Die Narben aus der Vergangenheit

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Deal aus Verzweiflung

Mein Handy weckt mich. Ich öffne langsam die Augen und fühle mich wie dreimal überfahren. Es dauert, bis ich schnalle, dass ich gar nicht bei Carolin bin, sondern in der Villa und alles schiebt sich in meinen Kopf.

… Wir waren bei der Hellseherin und Carolin versicherte mir, dass ich ihr einziges, annehmbares Schicksal, trotz der vielen anderen Männer auf ihrer langen Schicksalsliste, bin. Dann musste sie sich plötzlich übergeben und ich haute ab, um mich bei Daniel zuzudröhnen.

Entsetzt schüttele ich den Kopf. Wie konnte ich nur so dumm sein? Und das, wo Julian bestimmt nur darauf wartet, mich aus dem Rennen zu schmeißen, um freie Bahn zu haben. Für sich und seinen Bruder Tim. Und statt zu Carolin zurückzukehren, besaufe ich mich im Schnellverfahren und fast bis zur Bewusstlosigkeit.

Ich sehe mich um. Zumindest habe ich die Wohnung nicht zerlegt. Das war früher meine Spezialität gewesen, wenn ich betrunken war. Mit Drogen passierte das auch, aber nur in Ausnahmefällen.

Ich sehe auf meine Armbanduhr. Wenn ich mich beeile, kann ich noch schnell duschen.

Ich hieve mich vom Sofa und ziehe meine Schuhe und meine Jacke aus, um kurz darauf ins Badezimmer zu stolpern. Dort entledige ich mich der anderen Klamotten, die ziemlich übel riechen. In meinem Kopf läuft noch nichts rund und das Duschen hilft nur bedingt. Wenigstens habe ich noch etwas zum Anziehen hier. Meine Hose ist vollgekotzt und meine Schuhe auch.

Nah toll. Mariella wird sich freuen.

Ich kämme meine nassen Haare und steige in meine alten Sneaker. Zähneputzen sitzt auch noch drin, um den schalen Geschmack aus dem Mund zu bekommen, und ich kehre ins Wohnzimmer zurück. Dort greife ich nach meinem Handy. Das hatte mich aus dem Schlaf gerissen.

Es ist eine SMS von Carolin drauf, die ich öffne. Mir laufen schon Gedanken wie: Guten Morgen Schatz. Alles okay bei dir?“, durch den Kopf und: „Ich vermisse dich!“

Zu lesen bekomme ich aber: „Ich brauche eine Auszeit. Heute Abend bin ich wieder da.“

Was soll das heißen? Dass sie mich nicht sehen will? Bis zum Abend?

Aufgebracht schreibe ich zurück: „Bitte, warte auf mich in der Wohnung. Ich bin gleich bei dir.“ Ich rufe ein Taxi und sprinte nach unten.

Mein Vater kommt mir im Flur entgegen und ruft: „Erik, du bist ja zu Hause! Das trifft sich gut, da können wir etwas Wichtiges besprechen.“

Ich rausche an ihm vorbei, schon wieder mein Handy am Ohr und antworte nur schnell: „Jetzt nicht! Ich muss weg“, und stürme aus der Haustür.

Um diese Zeit braucht wohl keiner ein Taxi, denn meins ist schon kurz darauf zur Stelle. Ich springe hinein und gebe die Adresse an, erneut einen Anrufversuch startend.

Carolins Handy ist immer noch ausgeschaltet. Verdammt!

Es erneut versuchend, stelle ich fest, dass sich das auch nicht ändert.

Ich zahle das Taxi und laufe um das Haus herum zur Haustür. Daniel muss wohl schon zur Uni gefahren sein, weil sein BMW weg ist.

Schnell schließe ich auf, renne die Treppe hoch und schließe die Wohnungstür auf. Die Stille, die mir entgegenspringt, sagt mir, dass ich zu spät bin. Carolin und Ellen sind offenbar schon zur Schule unterwegs.

Ich sehe mich um und fühle eine tiefe Wehmut, dass dies irgendwann nicht mehr mein Zuhause sein könnte … oder Carolins. Dann greife ich nach meiner Tasche und verlasse die Wohnung wieder, um zur Uni zu fahren.

Gerade als ich durch das Haupttor laufe, treffe ich auf Daniel, Torben und Stefan. Daniel sieht mich seltsam an und fragt: „Alles im grünen Bereich? Bei euch war heute Morgen schon alles ausgeflogen.“

Ich starre ihn an und murre: „Ich habe in der Villa geschlafen.“

„Aha“, antwortet Daniel nur und Torben säuselt: „Gibt es Krieg im Paradies?“

„Halt die Klappe!“, fahre ich ihn an, als mein Handy brummt. Es ist Ellen.

„Ja?“, melde ich mich mürrisch. Ich habe keine Lust, die nächste Abreibung über mich ergehen zu lassen.

„Carolin hat mir eine SMS geschrieben, dass sie erst abends wieder da ist. Wo steckt die?“

Mir wird die Luft dünn. „Ist sie nicht mit dir zur Schule gefahren?“

„Daniel hat mich hingebracht, weil ihr beide heute Morgen schon weg wart“, erklärt sie.

„Dann kommt Carolin gleich bestimmt noch“, versuche ich sie und mich zu beruhigen. „Ruf mich sofort an, wenn sie da ist, ja?“

„Hattet ihr Zoff?“, knurrt Ellen und ich antworte nur: „Später! Klingel mich einfach kurz an, wenn sie kommt.“

Daniel sieht mich verunsichert an und ich schüttele den Kopf. Erneut versuche ich Carolin anzurufen, aber ohne Erfolg.

„Komm, wir müssen los“, raunt Daniel und ich folge ihm und den anderen in die Uni.

Ellen meldet sich nicht und während der Lesung drehe ich fast durch. Es schieben sich tausend Bilder in meinen Kopf, die von Marcel über Tim bis zu Julian reichen. Was, wenn sie herausfinden will, ob das andere Schicksal nicht doch besser für sie ist?

Nach Ellens erster Stunde, und mitten in unserer Vorlesung, ertönt mein Handy und ich nehme schnell das Gespräch an, um das Klingeln zu beenden. Wir haben heute nicht den ewig angepissten Dozenten, der mich auf dem Kicker hat und ich bin froh darüber. Der alte Greis da vorne hört eh schlecht.

„Ja?“, raune ich ins Telefon und schiebe mich tiefer in meinen Stuhl.

„Sie ist nicht da! Erik, Carolin ist nicht zur Schule gekommen“, faucht Ellen aufgebracht.

„Ich suche sie“, antworte ich ihr entsetzt, drücke das Gespräch aus und raune Daniel zu: „Carolin ist verschwunden.“

Seine blauen Augen funkeln mich aufgebracht an und ich weiß nicht, was er davon hält.

Ich stehe auf und rufe laut: „Sorry, aber mir ist schlecht. Ich glaube, ich muss kotzen“, und schiebe mich aus der Reihe.

Daniel folgt mir. „Ich muss ihm helfen!“, ruft er genauso laut dem Dozenten zu, der uns nur rauswinkt, wohl darauf bedacht, dass ich es noch bis zur Toilette schaffe.

Ich sprinte durch die Gänge der Uni und Daniel hinter mir her. „Was hast du vor?“, fragt er und ich schüttele nur den Kopf, weil ich das selbst nicht weiß. Bei den Autos beschließen wir getrennt die Straßen abzufahren. Als Erklärung für unsere nun erforderliche Suchaktion liefere ich Daniel: „Ich weiß nicht, ob sie wieder abgehauen ist, wie bei Marcel und unserer Sabrina damals.“

Daniels blauen Augen funkeln wütend. „Hat sie denn einen Grund alles hinzuschmeißen?“

Ich starre ihn aufgebracht an, weil sie genau das damals getan hat. Sie hatte alles hingeschmissen und ihre Beziehung zu Marcel beendet - und auch Hals über Kopf unsere Freundschaft.

In mir baut sich ein quälend dunkler Schatten auf, der alle Wärme frisst. Daniels Hand legt sich auf meinen Arm und er hält mich fest, bevor ich in den Mustang steigen kann. „Was ist passiert?“, fragt er mit schneidender Stimme und scheint wirklich wütend zu sein.

„Erkläre ich dir später“, versuche ich mich vor einer Antwort zu drücken.

„Erik, warum hast du in der Villa geschlafen?“ Daniel ist wirklich aufgebracht.

„Verdammte Scheiße. Ich bin gestern ausgerastet, wegen dem ganzen Scheiß von ihr, und ich wollte mir von dir meine Dröhnung holen. Aber du warst nicht da und ich bin in die Stadt gegangen und habe mich volllaufen lassen. Natürlich konnte ich so nicht wieder bei ihr aufkreuzen.“

Daniel sieht mich weiter an und fragt: „Und … hast du eine Tussi abgeschleppt, oder warum ist Carolin weg?“

Ich reiße mich von ihm los und knurre: „Spinnst du? Ich war nur völlig betrunken!“

„Wusste Carolin, wo du bist?“

„Ich habe ihr eine SMS geschrieben, dass ich ihr so nicht unter die Augen treten will und deshalb in der Villa schlafe“, erkläre ich und Daniel nickt. „Dein Glück. Aber warum ist sie dann abgehauen?“

Ich kann nur die Schultern hochziehen und dränge ihn, endlich loszustarten. Jeder übernimmt einen Bereich und wir bleiben über die Handys in Kontakt.

Während Daniel alle Straßen in Haste und um den Wall und der Wohnung abfährt, jage ich den Mustang nach Bramsche.

Bei Marcel zu Hause ist niemand.

Mein nächstes Ziel ist Tims Wohnung in Alfhausen. Mich quält der Gedanke, dass er wieder aufgetaucht ist und sie erneut zu sich holte, wie er es immer gerne tut, wenn sie aus einem Leben ausbricht.

Aber der Postkasten sagt mir, dass auch hier schon länger niemand war. Ich weiß nicht mal, ob Carolin noch den Schlüssel zu der Wohnung hat.

Meine nächste erfolglose Suche ist bei Carolins Elternhaus. Dahin hatte sie sich damals auch geflüchtet, als sie von Marcel abgehauen war.

Immer wieder versuche ich sie am Telefon zu erreichen und bin zwischen wilder Verzweiflung und Wut wie zerrissen. Warum macht sie das? Was ist los?

Ich fahre nach Hause und hoffe, dass sie endlich dort aufgekreuzt ist. Ellen meldet sich nicht und ich weiß somit, dass sie immer noch nicht in der Schule angekommen ist.

Verdammt, langsam packt mich eine unglaubliche Panik. Wie kann ich sie finden?

Bei uns in der Wohnung herrscht immer noch diese Grabesstille und ich schreibe ihr eine verzweifelte SMS: „Carolin, wo bist du? Du bist nicht zu Hause und ich kann dich nicht erreichen. Bitte, sag mir wo du steckst und ich hole dich ab. Ich liebe dich und brauche dich. Es tut mir leid.“

Es klingelt an der Wohnungstür und ich reiße sie auf. Es ist Daniel, der nur den Kopf schüttelt. Auch seine Suche war erfolglos.

Nun ist es schon fast Mittag und ich drehe langsam durch.

„Erik, sie wird schon wieder aufkreuzen“, versucht Daniel mich zu beruhigen und schiebt mich zur Küche.

 

Ich lasse mich auf einen Stuhl fallen und er macht uns einen Kaffee.

„Warum tut sie das?“, frage ich mich bestimmt zum hundertsten Mal, aber diesmal laut.

„Das wirst du sie fragen können, wenn sie wieder da ist“, meint Daniel nur und ein seltsamer Blick trifft mich. Er sieht meine Verzweiflung. Aber da ist noch etwas anderes. Er fragt sich natürlich, was bei Carolin so eine Reaktion auslöste. Von Ellen weiß er, genauso wie ich, was Carolin zu so etwas treibt: Der Mann an ihrer Seite, der sie bescheißt.

„Daniel, ich schwöre dir, ich habe nichts gemacht!“, knurre ich und er sieht auf seine Tasse, sagt aber nichts. Das macht mich noch wütender. „Wir waren bei der Hellseherin … gestern, und die hat uns einige Sachen erklärt, auf die wir beide nicht gut klargekommen sind. Es ist alles so verworren.“ Ich überlege, ob ich Daniel von dem Schicksalsdurcheinander erzählen soll. „Weißt du, sie hat uns wegen unserer Schicksale aufgeklärt. Angeblich hat jeder eins und meins verbindet mich klar mit Carolin.“ Ich werfe Daniel einen schnellen Blick zu, der mich nur anstarrt. „Aber Carolin hat scheinbar zwei. Eins mit mir und eins mit zwei anderen Typen.“

Daniel zieht eine Augenbraue hoch und murmelt: „Was für ein Schwachsinn!“

Mir ist klar, er glaubt nicht an den Quatsch und ich bringe schnell auf den Punkt: „Naja, wir haben uns wegen ihrem Schicksalsscheiß gestritten und auf einmal ging es ihr voll schlecht und sie musste sich sogar übergeben. Da konnte ich nicht mehr und wollte zu dir runter. Das hat sie sauer gemacht und sie hat gesagt, ich soll gehen. Das habe ich dann halt auch gemacht.“

Daniel sieht mich an und er knurrt: „Jetzt weißt du, warum mich keine zehn Pferde zu so einer Zukunftstussi bringen. Solange sie dir etwas Gutes sagt, ist alles in Ordnung. Aber wehe nicht.“

Ich nicke und trinke meinen Kaffee aus. Aber was wäre gewesen, wenn ich niemals von Carolins zweitem Schicksal erfahren hätte? So weiß ich zumindest, was es zu bekämpfen gibt.

Aber hatte ich ihr nicht gestern Abend gezeigt, dass ich gar nicht fähig bin für uns zu kämpfen? Zumindest nicht ohne meine Helferlein? Mir ist klar, sie muss denken, dass die Drogen immer noch wichtiger sind als sie. Und tief in mir wütete etwas und schreit erbarmungslos nach Erlösung. Einmal noch. Nur Heute! Nur um das alles zu ertragen!

Ich springe auf und knurre: „Daniel, sag mir wie ich sie finde. Bitte! Sonst drehe ich durch!“ Mir ist klar, ich verlange Unmögliches. Aber Daniel antwortet seelenruhig: „Geh zu Sam. Er hat da einen Kumpel, der ist ein Technikass. Ich weiß, es gibt Möglichkeiten, über ein Handy jemanden ausfindig zu machen. Ich weiß nicht genau, wie. Er schon!“

Ich starre ihn an und bin hin und her gerissen. Zu Sam zu gehen und ihm zu sagen, dass mir der kleine, weiße Falter abhandengekommen ist, erscheint mir undenkbar. Wenn er sie dann auch sucht und findet?

Langsam schüttele ich den Kopf.

„Sag ihm nicht, wen du suchst“, sagt Daniel, der meine Gedanken scheinbar errät.

Ich lasse mich wieder resigniert auf meinen Stuhl fallen und starre auf meine leere Tasse.

Er sieht mich einige Zeit mitleidig an und murmelt: „Komm Alter, wir fahren zu Sam.“ Dabei zieht er mich am Arm hoch und ich lasse mich vom Stuhl zerren.

Wir fahren mit beiden Autos, um hinterher noch einmal die Stadt absuchen zu können, sollten wir bei Sam nichts erreichen.

Sam finden wir in seinem Club, von dem er seit kurzem der Mitbesitzer ist. Der wird gerade renoviert und ich denke, er will daraus so etwas wie ein Bordell machen.

Als Daniel und ich den großen Vorraum betreten, sieht uns Sam schon verächtlich entgegen. Daniel hatte ihn telefonisch auf unser Kommen vorbereitet.

„So, unser Kleiner braucht Hilfe? Einer deiner Junkiefreunde, der dich ausgenommen hat?“ Er klingt unfreundlich und wütend. Mir ist klar, er ist sauer, weil ich Walter einspannte, um Sam und Teddy wegen Carolin den Wind aus den Segeln zu nehmen.

„Kannst du mir helfen, ihn zu finden?“, frage ich ihn und sein Grinsen wird fieser. „Was willst du? Dass ich meine Leute ausschicke? Meine Nutten beauftrage, die Augen offenzuhalten? Oder was?“ Er lacht gehässig auf.

Daniel sieht an meinem Gesicht, dass ich zumache und schon auf dem Sprung bin zu gehen.

„Wir haben seine Handynummer“, sagt der schnell und Sam zieht eine Augenbraue hoch. „Bin ich ein beschissener Freak, der Handystrahlung erschnüffelt oder die Telekom? Was soll ich mit einer Handynummer?“

„Du hast doch diesen Kumpel …“, raunt Daniel eindringlich und Sam geht ein Licht auf. „Du meinst Adam? Der kleine Pisser ist mir noch eine ganze Menge schuldig. Der bedient sich bei meinen Mädels, wie es ihm gerade in seinen verkümmerten Schwanz kommt“, knurrt Sam nachdenklich. „Aber der kann so etwas, das stimmt.“ Sich an Daniel wendend, murrt er: „Aber woher weißt du das?“

Daniel grinst nur und ich sehe von einem zum anderen. An Sams Gesicht sehe ich, dass ihm gar nicht passt, dass Daniel da etwas weiß, was keiner wissen soll. Mir schiebt sich der Verdacht auf, dass Sam generell mit dieser Technik arbeitet und mir wird mulmig. Bei wem alles wendet er das schon an? Daniel wäre nicht so locker, wenn er Sam in Verdacht hätte, uns zu überwachen.

Der nimmt sein Handy und ruft jemanden an, Daniel weiter seltsam musternd, der seinem Blick standhält.

„Adam? Komm zum neuen Club, ich habe einen Job für dich.“

Ich bin überrascht, dass Sam sofort den Typ her dirigiert und frage mich, was Daniel damit zu tun hat? Aber ich kann ihn jetzt nicht fragen.

„Du kommst jetzt! Hast du verstanden?“, brüllt Sam in sein Handy und legt auf.

Er grinst mich an und raunt: „So, mein Freund, und was bekomme ich für diese Leistung?“

„Was willst du?“, frage ich aufgebracht. Mir ist klar, dass hier ist für ihn nur ein Geschäft.

„Oh, mir kommt da einiges in den Sinn“, raunt Sam mit durchdringendem Blick und ich sehe Daniel verunsichert an.

„Wie wäre es, wenn du das für Erik tust, weil er immer noch so etwas wie dein kleiner Ziehbruder ist? Ich denke, die Familie ist bei euch heilig?“, sagt der fast schon verächtlich.

Sam sieht Daniel an und knurrt: „Das ist auch so. Aber wir teilen auch alles … ohne Ausnahme.“

Ich weiß, worauf er anspielt.

Daniel antwortet mit ruhiger Stimme: „Alles, außer dem wohlverdienten Geld und die Lebensgefährtin. Nutten sind etwas anderes, Sam.“ Dabei klingt er, als wäre er der Ältere und müsse dem Kleineren etwas Wichtiges aus dem Leben beibringen. So fällt auch Sams Blick aus.

„Lebensgefährtin! Was ist das für ein Wort? Das ist auch nur eine fürs Bett“, knurrt er.

Daniel schüttelt den Kopf: „Nein, das stimmt nicht! Das ist etwas für das Herz und die Seele und daher nicht einfach weiterzureichen.“

Ich sehe Daniel genauso verdattert an, wie Sam ihn anstarrt.

Der knurrt, nun wirklich wütend: „Du hast doch `nen Schuss! Herz und Seele. Was ist bloß mit euch passiert? Ist irgend so ein scheiß verseuchter Stoff im Umlauf?“ Damit schießt er auf einige Handwerker zu, die gerade eine Tür in den großen Barbereich bringen und nicht wissen, wo sie diese abstellen sollen.

Ich sehe Daniel immer noch an und er grinst. „Was?“, fragt er mich mit funkelnden Augen.

Ich schüttele nur den Kopf. Ellen hat so ein Glück mit diesem Typ. Er ist so verdammt ehrlich und weiß, was wirklich läuft und wichtig ist. Er erinnert mich an jemanden, der das auch draufhat. Marcel.

Nervös nach meinen Zigaretten greifend, biete ich ihm eine an und wir rauchen an der Theke sitzend, die bald ein reges Treiben bewältigen soll. Der Laden liegt an einem wirklich guten Standort und er wird laufen. Viel zu viele Männer brauchen so etwas.

Mir wird erschreckend übel, wenn ich mir vorstelle, dass mit Carolin alles vorbei sein könnte und auch mir dann nichts anderes übrigbleibt, als mir wieder irgendwelche Weiber aufzugabeln und nach Hause mitzunehmen, um mich abzureagieren und meinen sexuellen Frust abzubauen. Mir graut es bei dem Gedanken an den kalten, emotionslosen Sex, der lange Jahre mein Leben bestimmte und mich jetzt nur anekelt. Wahrscheinlich bekomme ich nicht mal einen hoch, bei so einer fremden Tussi, der ich nicht mal das kleinste Gefühl entgegenbringe. Und ich werde nie wieder einer Frau Gefühle entgegenbringen, wenn ich Carolin verliere. Davon bin ich überzeugt.

Wir warten fast eine gefühlte Ewigkeit, bis ein schmieriger, hässlicher Typ den Laden betritt. Daniel macht mich auf ihn aufmerksam und ich sehe zur Tür. Das ist also Adam?

Sam taucht plötzlich neben mir auf und er sieht mich seltsam an. Ich wüsste gerne, was in seinem Kopf vor sich geht. Sam ist mir eigentlich nie besonders schlau vorgekommen, aber er hat mich auch immer mal wieder überrascht. Nun nickt er zu einer Seitentür und deutet Daniel, er soll sitzen bleiben. Ich frage mich, warum Daniel nicht mitgehen soll, folge Sam aber. Auch Adam folgt uns und mir wird mulmig.

Wir gehen durch einen langen Gang zu einem Büro, das vollkommen neu eingerichtet ist und wohl Sams neues Domizil werden soll. Es steht eine Tür zu einem weiteren Raum auf, dessen Wand, die wir von hier aus sehen können, vollkommen verspiegelt ist. Und ich sehe in den Spiegeln ein riesiges Bett und eine Schlafzimmerausstattung vom Feinsten.

Das wird wohl Sams neue Lasterhöhle und wehe dem Mädel, das darin verschwindet.

Sam geht um den Schreibtisch herum und schließt wie nebenbei die Schlafzimmertür.

Ich werfe mich in einen der weichen Lederstühle, die in schwarzrot gehalten sind. Passend zu allem anderen hier.

Adam setzt sich vorsichtiger, als wüsste er nicht, was ihn erwartet.

Sam sieht mich seltsam nachdenklich an, und dann Adam.

„Mein Freund hier braucht eine Handyüberwachung“, sagt er zu Adam, der erleichtert scheint. „Kein Problem! Ich brauche die Nummer und einen Computer.“

Sam nickt und schiebt ihm seinen Laptop hin.

Adam beginnt wie ein Gestörter darauf herumzuhacken. Ich höre nur eine unglaublich schnelle Abfolge von Anschlägen, die ich mit meinem Zweifingersystem nicht in Tagen zusammenbringen würde.

„Du kriegst das hin?“, fragt Sam Adam lauernd.

„Sicher, weißt du doch! Aber ich brauche die Nummer.“

Ich greife nach meinem Handy und gebe Adam Carolins Nummer.

Sam starrt mir dabei ins Gesicht, als wolle er jede Regung darin aufnehmen. Leise höre ich ihn raunen: „Herz und Seele …“ Dann steht er auf und knurrt laut: „Komm!“

Adam sieht auf und ich werde unsicher. Ich sah mich meinem Ziel schon so nahe und jetzt scheint Sam einen Rückzieher machen zu wollen. Sein Blick ist unergründlich und ich folge ihm, während er allerdings zu Adam keinerlei Anstalt macht, ihn zu stoppen. Der bearbeitet weiter sein Programm und Sam geht mir voran aus dem Raum. Wir laufen den Gang entlang bis zu einem Hinterausgang. Dort treten wir in einen Hof mit verwilderten Rabatten rundherum.

Sam dreht sich zu mir um und raunt: „Wir müssen noch über die Bezahlung reden.“

Ich sehe ihn verunsichert an. Warum hier draußen? Warum alleine? Was will er von mir?

Aber ich nicke. Carolin meldet sich nicht bei mir und meine Nerven liegen blank.

„Tja, Erik, als hätten wir dich nicht immer zuvorkommend behandelt“, murmelt Sam plötzlich mit einer Stimme, die mir einen kalten Schauer über den Rücken treibt, weil sie so etwas wie einen Hauch von Sanftheit und Gefühl in sich trägt. „Aber du hast nicht mitgespielt. Dabei wollten wir etwas Brauchbares aus dir machen. Ich muss zugeben, ich habe dich eine Zeitlang echt gehasst, weil unser alter Herr dich uns vorzog, und er tut es scheinbar immer noch. Hast ihn eingewickelt, was? Mit dieser Herz und Seele Geschichte.“

Ich sehe ihn beunruhigt an. Warum kommt er jetzt auf das zu sprechen?

„Weißt du, Erik, wer will schon etwas für das Herz und die Seele?“, knurrt Sam und ich habe zum ersten Mal das Gefühl, er gäbe alles dafür.

Ich strecke mich zu meiner vollen Größe und sehe Sam in die Augen. Er ist ein Bär! Aber ich bin fast genauso groß wie er und im Gegensatz zu ihm besser durchtrainiert.

„Ich! Und ich habe es gefunden!“, antworte ich ihm, weil ich denke, das ist gerade sein wunder Punkt.

Sam grinst böse und sieht mir direkt ins Gesicht. Seine stahlblauen Augen sind eiskalt, als er raunt: „Genau, du! Wie immer du! Und jetzt stehst du hier, weil dir das für dein Herz und deine Seele abhandengekommen ist.“

 

Mir fällt die Kinnlade runter, was Sam nur noch breiter Grinsen lässt und er weiß, dass er richtigliegt. Ich bin heute so ein verdammt schlechter Schauspieler.

„Also, was ist die Bezahlung?“, fragt Sam mit dumpfer Stimme.

„Was willst du dafür?“, knurre ich verärgert, weil ich mich selbst verraten habe.

„Ich bin ein Spieler, Erik. Das weißt du. Darum spielen wir ein Spiel.“

In mir geht alles auf Habachtstellung. Sams Spiele sind keine … sie sind Wahnsinn!

Da ich nicht antworte, raunt er: „Unser alter Herr hält die Hand über dich und deine Kleine. Wir sollen das auch und natürlich machen wir das auch.“ Sam tritt dicht an mich heran und sein Zeigefinger stößt mir vor die Brust. „Aber wenn du sie nicht mehr willst oder sie dich nicht mehr, dann gehört sie mir. Ist das klar?“

Ich schlage seine Hand weg und fauche: „Niemals! Du spinnst wohl!“

Sam grinst nur. „Dann willst du nicht wissen, wo sie steckt? Mit wem sie sich gerade vergnügt?“ Sein Grinsen wird breiter und in mir schiebt sich etwas Großes, Böses durch den Bauch. Sam hat Möglichkeiten, von denen ich nur träumen kann und ich weiß nicht, ob er etwas weiß, was ich nicht weiß.

„Weißt du, wo sie ist?“, frage ich aufgebracht und er zieht nur die Schultern hoch, immer noch grinsend.

In mir brauen sich alle Hurrikans der Welt zusammen und ich sehe Carolin in den Armen eines anderen … Marcel, Tim, Julian oder wer weiß wem … und es zerreißt mich.

„Du fasst sie niemals an, solange sie zu mir gehört“, knurre ich wütend. „Und Teddy auch nicht.“

„Deal!“, sagt Sam und seine Stimme klingt, als hätte ich ihm gerade einen Porsche geschenkt. Mir wird übel, als ich leise raune: „Deal.“

Wir kehren in das Büro zurück. Adam kommt gerade von irgendwoher und grinst. „Gib mir dein Handy. Ich muss noch ein Programm laden und es einrichten und du findest das Handy mit der Nummer, sobald es angeschaltet wird.“

„Was?“, frage ich aufgebracht. „Erst, wenn es an ist?“

„Das läuft über das GPS System. Ich habe mich bei dem Anbieter eingehackt und die Daten gezogen. Es ist nicht erlaubt ohne Zustimmung eine Handyortung zu aktivieren. Aber ich bin gut! Besser als sonst einer! Die merken das nicht.“

Das Grinsen, das Adam uns schenkt, ist eher zum Abgewöhnen. Wie kann ein Mensch nur so verwahrlost und hässlich sein. Da sind Sam und Teddy regelrechte Schönheiten gegen.

„Gut, aber ich kann sie nur erreichen, wenn das Handy an ist?“

Er nickt. „Das Programm ist noch neu. Ich arbeite noch daran. Ich kann schließlich keins von der Polizei nehmen. Die sind da schon weiter.“

„Ist schon gut“, raune ich und stelle mich hinter Adam, um zu sehen, was er macht. Er bearbeitet mein Handy und den Laptop abwechselnd und Sam raunt: „Okay, ich muss eben nach den Handwerkern sehen. Ihr beide kommt bestimmt ohne mich klar.“ An mich wendet er sich mit den Worten: „Und du vergiss unseren Deal nicht.“

Ich sehe ihn nur an. Niemals hätte ich mich darauf einlassen dürfen. Vielleicht ist heute schon alles mit Carolin vorbei und ich habe sie gerade verkauft. Aber wenn sie bei jemand anderem ist, hat sie es nicht besser verdient.

„Da ist das Handy. Es wurde gerade angemacht. Und siehst du wie der Navigator, den ich dir geladen habe, reagiert? Wow, ich liebe das! Und Wum, da ist es!“

Ich starre auf den roten Kreis, der mir angezeigt wird.

Schnell reiße ich das Handy an mich und Adam sieht mich erschrocken an.

„Was bekommst du?“, frage ich ungeduldig.

„Nichts, das ist ein Dienst an Sam“, sagt er verunsichert, weil ich mit meinem Killerblick auf den roten Punkt starre. Sie ist in der Stadt und bleibt an einem Ort.

Mit wem? Mir bleibt die Luft weg, weil sich mir schon wieder bitterböse Bilder in den Kopf schieben, die sie in einem Bett mit irgendeinem Typen zeigen.

Ich ziehe meine Geldbörse und sehe mich um, ob Sam in der Nähe ist. Einen Hunderter aus der Börse ziehend, haue ich den auf den Tisch. Dabei zische ich: „Ich will, dass du alles von dem Laptop löscht, was mit dieser Aktion zu tun hat.“

„Aber das ist Sams …“, weiter kommt er nicht. Ich packe ihn am Kragen und ziehe ihn aus dem Sessel. „Sofort!“

„Ja, ist schon gut“, stammelt der Typ jämmerlich und ich lasse ihn in den Sessel zurückplumpsen. Er bearbeitet den Laptop erneut und nickt dann. „Alles weg!“, raunt er.

„Wehe nicht! Dann treffen wir uns wieder und du bist dran“, raune ich aufgebracht, weil der Punkt sich immer noch nicht bewegt.

Ich sprinte aus dem Büro und sehe Daniel immer noch an der Theke sitzen. Sam brüllt gerade einen der Handwerker an und sieht nur auf, als ich an ihm vorbeihaste. Daniel folgt mir und ich laufe zu seinem BMW. Als er neben mir ist, fragt er verunsichert: „Was ist los?“

Ich drehe mich zu ihm um und raune: „Ich weiß wo sie ist. Kann ich den BMW nehmen? Den hört sie nicht.“

„Sicher!“, sagt Daniel nur und gibt mir seinen Schlüssel. Ich gebe ihm den vom Mustang und reiße die Tür des BMWs auf. In mir wird alles auf einmal zu einer Eiswüste. Mir ist klar, noch ein paar Minuten und meine Welt kann vollkommen aus den Angeln gehoben werden.

Ich rase vom Hof und folge den Daten auf meinem Handy. Der Punkt ist immer noch an Ort und Stelle. Und dann zeigt mein Handy eine SMS an. Sie ist von Carolin und ich öffne sie, während ich an einer Ampel warten muss.

„Mir geht es gut. Ich brauche nur Zeit zum Nachdenken. Mach dir keine Sorgen.“

Ich starre auf ihre Zeilen und frage mich, was das soll. Nachdenken? Worüber will sie nachdenken? Und bei wem?

„Ich komme dich holen“, schreibe ich zurück, mit der Wut kämpfend, die die Eiswüste mit der Wucht eines Eisbrechers zerstört.

Noch wenige Straßen. Was will sie hier? Es gibt hier nur Wohnhäuser und Villen von Betuchten.

Ich werde langsamer, als ich die nächste Straße einbiege und auf einen Spielplatz zusteuere, der an der linken Straßenseite liegt. Carolins hellen Haare leuchten in der Sonne und ich fahre an den Straßenrand. Sie hat mich noch nicht entdeckt und ich starre auf ihre blonden Haare und ihr blasses Gesicht. Ich lasse das Fenster herunterfahren und höre Kinderstimmen. Und dann bückt sie sich, was aber von einer halbhohen Hecke verdeckt wird. Als sie sich erhebt, hat sie ein Kind auf dem Arm, dessen blonde Locken genauso leuchten wie ihre Haare. Das Ganze ist wie eine Zukunftsvision, die es niemals geben wird.

Mir bleibt die Luft weg. Ich sehe die kleine Hand, die sich auf Carolins Wange legt, verstehe aber nicht, was geredet wird. Es ist noch ein Kind da … ein kleines Mädchen mit Zöpfen, wie Ellen sie früher trug.

Carolin trägt den Kleinen zur Rutsche und er klettert geschwind die Treppe hoch. Aber oben sieht er sich nach Carolin um und sie hält ihm ihre Hände hin. Erst dann wagt er zu rutschen.

Ich lasse mich tief in den Autositz sinken, alle Anspannung verlierend. Sie hat keinen anderen. Sie ist auf einem Spielplatz und spielt mit Kindern, statt sich mit einem anderen in einem Bett zu wälzen.

Von der ganzen Anspannung dieses Tages zerfressen, überkommt mich nun ein Anfall vom Melancholie und ich schlucke die aufsteigenden Tränen herunter und brumme: „Du bist so ein Trottel! So blöd! So unsagbar blöd!“ Aber im selben Augenblick denke ich: „Tja Sam, sie gehört immer noch mir.“ Und mir ist klar, das darf sich niemals ändern, denn dann sind wir beide verloren.

Eine Frau tritt an Carolin heran und spricht mit ihr, während das Mädchen um die beiden herumtollt.

Erneut muss Carolin dem kleinen Lockenkopf auf der Rutsche ihre Hände hinhalten, damit er sich überhaupt zu rutschen traut. Dass der kleine Kerl so ein Vertrauen in sie setzt!

Ich höre Carolin und die Frau sprechen, verstehe sie aber nicht.

Das Mädchen scheint über etwas begeistert zu sein, während Carolin erneut dem Kleinen auf der Rutsche hilft. Ich höre ihn quengeln und Carolin hebt ihn auf ihre Hüfte, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt. Wer ist das? Ich wusste nicht, dass sie hier jemanden kennt.

Ich steige aus und die Autotür fällt hinter mir ins Schloss. Carolin sieht sofort auf und mir direkt in die Augen. Sie stellt den Lockenkopf auf die Erde, der sofort wieder losjammert und sie nimmt ihn schnell wieder hoch. Die Frau lacht und Carolin setzt ihn in einen hypermodernen Kinderwagen.

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