Die Narben aus der Vergangenheit

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Die Narben aus der Vergangenheit
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Sabine von der Wellen

Die Narben aus der Vergangenheit

Teil 2 Herausforderndes Leben

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Gefährliches Spiel

Kann Unmögliches möglich werden?

Ein neues Heim

Krieg im Paradies

Mein innerer Wandel

Wer mit dem Feuer spielt

Ex-Horror

Erschreckende Auswirkungen

Von allem überfordert

Impressum neobooks

Gefährliches Spiel

Daniel und ich waren den ganzen Tag unterwegs. Ich stellte es als das Checken der Korruptionsbereitschaft unserer Unterhändler dar, die für unseren Boss Walter den Drogenhandel mit den anderen großen Städten koordinieren. Ich hatte Daniel in dem Glauben gelassen, dass ich immer noch vorhabe, unseren Boss Walter zu bescheißen und einen eigenen Drogenring aufzuziehen. Aber es geht eigentlich um etwas ganz anderes. Daniel weiß nichts von den Problemen in unserem Drogenmilieu, in dem es offenbar ein schwarzes Schaf gibt, dass die Ware aus Berlin abfängt und in Osnabrück verkauft. Also genau das tut, was ich eigentlich mit Hamburg vorgehabt hatte, und von dem Daniel ausgeht, dass ich das immer noch vorhabe.

Walter ist sowas wie mein Patenonkel und der Drogenboss in Osnabrück. Dabei ist Osnabrück noch ein kleiner Fisch. Hamburg und Berlin sind die Machthabenden und in Hamburg hatte ich erfolglos versucht einen Nebenzweig zu eröffnen.

Ich dachte anfangs, dass ich dazu in der Lage bin und als Walters Patenkind als unantastbar gelte und machen kann, was ich will. Aber ich hatte mich geirrt. Und nun sieht es tatsächlich so aus, als wenn die Ware von Berlin uns nicht mehr vollständig erreicht und anderweitig von irgendwem vertickt wird. Mich macht das schrecklich wütend, weil ich das nicht bin. Zumindest glaubt Daniel, dass ich deshalb den ganzen Tag so schlecht drauf war.

Aber es gibt etwas, was mich noch viel wütender macht.

Nach jahrelanger Gefühlskälte den Frauen gegenüber, die ich nur in mein Bett zog, um mich abzureagieren und um sie hinterher hinauszuwerfen, hatte ich mich einer Frau geöffnet. Ich hatte Gefühle zugelassen, mich zum Kasper gemacht und mich von ihr demütigen lassen. Ich hatte meine Zeit geopfert, um sie zu erobern und sie aus einer Beziehung mit einem Fußballgott zu reißen, der einem Modemagazin entsprungen sein könnte. Ich bin sogar bis zur Selbstaufgabe vor ihr zu Kreuze gekrochen und hatte ihr mein Leben und meine Gefühle vor die Füße gelegt. Und sie hat alles niedergemäht und mich in den Staub getreten. Sie sagte, sie will mich nicht mehr sehen.

Nun bin ich in mein altes, gefühlsloses Leben zurückgekehrt und werde das tun, was ich kann. Ich werde weiter Drogen verkaufen, Geld für meinen Boss eintreiben und schauen, wer so viel schlauer war als ich und einen eigenen Drogenzweig aufstellen konnte. Und ich lasse meinen Freund Daniel denken, dass ich es immer noch drauf anlege, selbst Geschäfte zu machen.

Er ist entsetzt darüber, lässt mich aber dennoch nicht im Stich. Ihn treibt die Angst, nicht da zu sein, wenn ich mal wieder meinen Arsch in Gefahr bringe. Aber es geht ihm dabei bestimmt nicht um mich, sondern um meine Schwester Ellen, in die er sich verliebt hat. Sie hatte ihren Freund vor zwei Jahren durch eine Überdosis verloren und er möchte nicht, dass sie noch einmal einen Tod beklagen muss, auch wenn es nur meiner ist.

Also waren Daniel und ich heute Morgen aufgebrochen, um erneut die Fühler auszustrecken. Daniel meint, nach einem eigenen Drogenzweig. Aber es geht doch nur darum, den eines anderen Abtrünnigen aufzudecken.

Ich hatte mit Karl, einem der Verteiler aus Bielefeld, gesprochen, der mir bereitwillig Auskunft gab. Er weiß, dass ich so etwas wie ein Sohn für den Boss bin. Außerdem weiß er wie ich, dass einige Lieferungen nicht beim Empfänger ankamen und hier und da etwas unterwegs hängengeblieben war. Ich spürte seine Unsicherheit und Angst, dass ich ihn kontrollieren wollte. Er weiß, dass dies heißen würde, dass wir ihm nicht mehr vertrauen und so etwas endet schnell tödlich.

Mir ist natürlich klar, dass es auch für mich böse enden kann, wenn unser Boss Walter von meiner Neugierde erfährt und sie falsch interpretiert oder jemand nervös wird und mir eine Kugel verpasst, bevor ich etwas herausfinden kann.

Daniel war den ganzen Tag sehr in sich gekehrt. Ich bin mir nicht sicher, ob er wütend auf mich ist oder mich einfach nur für völlig übergeschnappt hält. Aber dennoch blieb er unerschütterlich an meiner Seite, wohl um Ellen Leid zu ersparen. Dabei konnten Ellen und ich uns lange nicht ausstehen und ich war gegen ihre Beziehung. Aber dann brachte sie Carolin in mein Leben und es änderte sich einiges. Doch das ist nun vorbei. Carolin hat sich als eine dumme Hure herausgestellt, die ich hassen sollte.

Aber etwas in mir will sie nicht so sehen und das macht mich wütend.

Nun ist es schon Abend und wir fahren noch bei Sam vorbei. Ich brauche noch etwas, um den Abend zu überstehen und Daniels Laune etwas aufzupolieren. Weil Ellen heute mit Carolin unterwegs ist und ich mich weigere, auch nur in ihre Nähe zu kommen, muss er auf seine Freundin verzichten. Und er verzichtet auf noch mehr, als mir lieb ist. Er will kein Speed und keine Pillen. Er will gar nichts.

Ich kann ihn zumindest dazu überreden, mit mir in den Hyde Park zu fahren und ich werfe mir im Auto noch eine weitere Pille ein.

Daniel schüttelt nur den Kopf und murmelt was von: „… langsam völlig am Durchdrehen.“

Aber mir ist egal, was er vor sich hinbrabbelt. Ich will Party machen und der Hyde Park ist zumindest ein Ort, an dem Carolin nicht aufkreuzen wird. Ellen will mit ihr im Alando bleiben, weil Carolin anscheinend auch keinen Wert auf meine Gesellschaft legt.

Soll sie doch bleiben, wo der Pfeffer wächst.

Der Hyde Park ist wie immer gut besucht und wir treffen viele von unseren Bekannten. Ich gebe alles, um zu vergessen, dass mein Leben einem Haufen Scheiße gleicht. Aber hier unter meinesgleichen finde ich zumindest ein klein wenig Anerkennung. Etwas, was mir weder die Hamburger noch Carolin entgegenzubringen bereit sind. Aber ich glaube mittlerweile, und da kann auch die Pille nichts dran ändern, Carolins Ablehnung trifft mich schwerer.

Es ist noch gar nicht so spät, als Daniel sich neben mich schiebt. Ich stehe mit Timo und Sandra an der Theke.

Sandra ist süß. Ihre langen schwarzen Haare und Tätowierungen lassen sie interessant wirken. Außerdem hat sie schöne blaue Augen.

Sie hängt an meinem Arm und lacht immer wieder ziemlich laut. Ich habe sie geküsst, bin aber sicher, dass ich mich nicht dazu durchringen werde, sie mit nach Hause zu nehmen. Obwohl, warum nicht? Carolin ist auch mit Tim ins Bett gegangen.

Ich kann es immer noch nicht fassen. Dass sie mit Marcel schlief, weil sie mit ihm zusammenlebte, war klar. Und da verließ sie sogar der Elan, wie sie mir sagte. Es war halt etwas besonders mit uns und wirkte sich auf ihre Beziehung aus. Das hatte mich dann auch ein Stück weit aufgebaut und auch echt angemacht. Aber das sie nach Marcel und mir gleich mit Tim ins Bett gegangen ist …

Scheinbar hat ihr das mit mir nicht genug bedeutet. Dann bedeutet mir das mit ihr auch nichts mehr.

„Hey!“, säuselt Sandra in mein Ohr, und reißt mich aus meinen Gedanken, die an diesem Abend immer wieder um Carolin kreisen. „Weißt du, was ich jetzt will?“

Ihr Blick sagt nur zu genau, an was sie denkt. Ihre Hand schiebt sich dabei unter mein Hemd und streicht über meine Rückenmuskulatur.

Daniel baut sich vor uns auf. Er sieht besorgt aus. „Erik, ich muss weg. Kann ich dich hierlassen oder soll ich dich, oder euch, eben zu Hause absetzen?“, fragt er ernst und sieht erst mich und dann Sandra an. Für ihn scheint festzustehen, dass ich sie mitnehmen werde.

„Warum musst du weg?“, blaffe ich ihn an.

„Ellen hat angerufen. Es gibt einen Notfall. Ich muss eben zum Alando“, sagt er mit einem seltsam zurückhaltenden Unterton in der Stimme, als wolle er eigentlich nicht darüber sprechen.

Einen Notfall? Mein Kopf ist viel zu benebelt, um eins und eins zusammenzuzählen.

„Geh man. Das passt schon. Ich bleibe noch.“

Daniel nickt nur und geht.

Sandra hängt sich an meinen Hals und küsst mich.

Erst ganz langsam schiebt sich die Sache mit Ellens Notfall in meinen Kopf. Was mag bloß passiert sein? Hat Ellen sich zu sehr volllaufen lassen oder irgendwelche Drogen eingeworfen?

Und während ich dieses Mädchen an die Theke dränge und meine Zunge mit ihrer ringt, kommt mir ein anderer Gedanke. Geht es um Carolin? Ist ihr etwas passiert?

Ich gebe Sandra frei, die sich aber weiter an mich schmiegt wie eine Katze.

 

„Lass das!“, brumme ich und sie sieht mich verunsichert an. „Ich muss telefonieren“, erkläre ich und lasse sie stehen. Die Theke ist direkt neben der Tanzfläche und dort ist es unglaublich laut. Deshalb gehe ich zum Ausgang und greife nach meinem Handy. Aber wen soll ich anrufen? Ellen? Daniel?

Ich rufe Ellen an. Es klingelt lange, als sie endlich abnimmt: „Erik?“

„Was ist los? Daniel sagte, dass du ein Problem hast und er dir helfen muss.“

„Erik, ich kann jetzt nicht. Ich rufe dich später zurück. Okay?“

Sie legt auf und ich starre auf mein Handy, als wäre das schuld daran.

Arme schlingen sich von hinten um mich und ein Körper schiebt sich an meinen. Ich drehe mich um und Sandras blauen Augen sehen mich an. „Hey Süßer, so schnell lasse ich mich nicht abspeisen“, säuselt sie.

Aber ich bin viel zu sehr in Gedanken verstrickt, was bei Ellen abgeht. Sie klang gestresst und auch ein wenig wütend. Aber eins ist klar. Sie ist nicht der Notfall.

Ohne Sandra weiter zu beachten, die ihre feuchten Lippen in meinen Nacken drückt und ihre langen Finger unter mein Hemd und über meinen Bauch schiebt, rufe ich Daniel an.

„Erik, später!“, knurrt der nur und legt wieder auf.

Ich hätte doch mitfahren sollen. Aber nun ist es zu spät und die Unruhe, die mich packt, ist unerträglich.

Ich ziehe Sandra vor meine Füße.

Sofort legen sich ihre Lippen wieder auf meine.

Vielleicht ist das die beste Möglichkeit, die Zeit zu überbrücken, bis ich erfahre, was da los ist.

Aber es dauert lange. Sandra hat da nicht so viel Geduld und will schnell mehr. Da wir schon am Ausgang sind, zieht sie mich ganz nach draußen.

„Hast du ein Auto hier?“, fragt sie mit samtweicher Stimme.

„Nein.“

Sie sieht sich um und zieht mich über den Parkplatz ins Dunkle.

Ich lasse sie gewähren.

An einem alten Bulli presst sie sich an mich und wir küssen uns wieder. Ihre Hände sind schnell an meiner Hose und öffnen sie ohne Umschweife.

Ich reagiere sofort auf ihre fordernden Finger und sie zieht ihren Slip aus, der rot im Mondlicht leuchtet. Sie greift nach meinen Händen, schiebt sie unter ihren Rock und drückt sie auf ihre prallen Pobacken. Dabei verschlingt sie mich fast und presst sich an mich.

Ich gebe mich geschlagen. Langsam hebe ich sie hoch, während sie ihren Rock hochzerrt und drehe mich mit ihr an den Bus.

Ihre Beine schlingen sich um mich und ich schiebe mich in sie. Sie winselt auf wie ein getretener Hund.

Wir küssen uns erneut und ich presse sie in einem stetigen Rhythmus immer wieder an den Bus.

Sie stöhnt in mein Ohr und beißt mich ins Ohrläppchen, woraufhin ich meine Lippen an ihrem Hals versenke und kräftiger zustoße.

Ihre Hände verfangen sich in meinen Locken und sie wird ziemlich laut.

Ich sehe mich kurz um, ob wir weit genug von dem Trubel vor dem Zelt weg sind und hoffe, keiner hört ihr unkontrolliertes Stöhnen und Keuchen. Ich küsse sie, um ihr Gestöhne zu stoppen. Das ist mir wirklich zu viel.

Mit dem Klingeln meines Handys, wirft sie den Kopf zurück und schreit laut: „Ja, ja!“ in den Himmel.

Das ist fast schon peinlich.

Ich ziehe mich schnell aus ihr zurück und setze sie ab. Das Klingeln hört auf und ich mache mir schnell meine Hose zu.

Sandra lehnt am Bus und sieht mich an, als wolle sie mich fressen. Ihre Hand legt sich auf meine Wange und sie säuselt: „Oh Mann, können wir das gleich noch mal machen?“

Ich drehe mich von ihr weg und schaue nach, wer mich angerufen hat. Es war Ellen. Ich checke die Zeit. Eine halbe Stunde haben sie mich warten lassen. Nah, Danke.

Ihre Nummer drückend, rufe ich sie zurück. Sie geht sofort ran. „Erik, was wolltest du?“, fragt sie und klingt müde und genervt.

„Ihr habt einen Notfall?“, frage ich ungeduldig und spüre schon wieder die Arme, die mich erneut umschlingen.

„Ist nicht so schlimm. Wir haben alles im Griff“, meint Ellen zurückhaltend und wenig mitteilsam. Aber ich habe nicht vor, mich von ihr so schnell abspeisen zu lassen. „Was ist passiert?“

Ellen antwortet nicht mir, sondern jemand anderem: „Hast du noch ein paar Decken? Das reicht so nicht.“ Ich höre Daniel im Hintergrund.

„Ellen, was ist los?“, fauche ich.

Sie wendet sich mir wieder zu. „Ich sagte doch, alles halb so schlimm. Wir kümmern uns schon.“

„Um was?“, knurre ich und schiebe Sandra energisch von mir weg, die sich langsam wieder von hinten nach vorne schiebt und ihre Lippen an meinem Hals entlanggleiten lässt.

Ich weiß, dass Ellen mir nicht sagen will, was los ist. Sonst würde sie nicht so herumdrucksen. Aber dann entschließt sie sich dazu, doch mit der Wahrheit herauszurücken.

„Carolin. Sie hat etwas viel getrunken.“

„Und? Habt ihr sie nach Hause gebracht?“

„Es weiß doch keiner, wo sie wohnt und sie sagt es nicht“, raunt Ellen frustriert.

„Habt ihr sie nach uns gebracht?“, frage ich und schiebe erneut Sandra von mir weg, die sich immer wieder anpirscht.

„Nein, zu Daniel.“

Warum bringen sie Carolin zu Daniel? Was soll das denn? Unsere Eltern sind nicht zu Hause, da ist doch wohl klar, dass Carolin bei uns besser aufgehoben wäre.

„Sie wollte wegen dir nicht zur Villa gebracht werden. Also haben wir sie zu Daniel gebracht. Das war das Einzige, was sie mit sich machen ließ. Die ist völlig fertig und ich muss jetzt wieder zu ihr. Der geht es echt schlecht“, erklärt Ellen.

Was soll ich dazu sagen?

„Gut, dann weiß ich Bescheid“, sage ich nur und lege auf.

Carolin wollte also wegen mir nicht in der Villa schlafen. Jetzt ist sie bei Daniel. Schläft sie heute bei ihm im Bett, oder was?

Sandra säuselt mir ins Ohr, dass ich mit zu ihr gehen soll.

Ich schüttele nur den Kopf und schiebe sie wieder energisch weg. „Ich brauche ein Taxi“, zische ich nur und wähle eine Nummer, die mich mit der Taxizentrale verbindet.

Zehn Minuten später sitze ich im Taxi. Sandra ließ sich nur schwer wieder abwimmeln und auch erst, nachdem ich ihr unmissverständlich klarmachte, dass sie nicht mehr von mir zu erwarten hat. Aber sie war stur wie ein Esel und ich irgendwie nicht hartnäckig genug. Die Geschichte mit Carolin wallte zu durchdringend durch meinen Kopf. So konnte ich nicht mal verhindern, dass Sandra mir ihre Telefonnummer zusteckte.

Im Taxi öffne ich das Fenster einen Spalt und lasse das Deckelstück ihrer Zigarettenschachtel, auf die sie ihre Nummer gekritzelt hatte, mit dem Wind davonsegeln.

Kurze Zeit später halten wir vor Daniels Haus. Erst will ich dem Taxifahrer sagen, er soll warten. Aber dann überlege ich, dass ich auch später nach Hause laufen kann. Ich will nur sehen, ob die alles im Griff haben.

Statt zu klingeln, rufe ich Daniel an. Er raunt: „Ja?“

„Ich bin unten an der Tür. Machst du auf?“

Es ist Ellen, die mir die Haustür öffnet. „Du hättest nicht kommen brauchen. Wir kommen schon klar.“

Sie wirkt trotz ihrer Worte besorgt und geht mir voran nach oben.

Daniel kommt aus einem der zwei unbenutzten Zimmer und legt den Zeigefinger auf die Lippen, dass wir keinen Krach machen sollen. „Sie schläft“, sagt er mit viel zu weicher Stimme.

Ich sehe ihn herausfordernd an. Ganz im Gegensatz zu mir scheint Ellen kein Problem mit seinem Gesäusel zu haben. „Danke Daniel“, sagt sie und wirft sich in der Küche auf einen Stuhl.

Ich gehe schnurstracks zu dem Zimmer, aus dem Daniel gekommen war und öffne die Tür. Unter einem Berg von Decken sehe ich einen blonden Schopf auf einem Kissen gebettet auf einer Matratze liegen. Ich denke sofort, dass das Zimmer viel zu trostlos für sie ist.

Daniels Hand legt sich um mein Handgelenk. „Lass sie jetzt schlafen.“

Was meint er denn, was ich vorhabe?

Ich schließe die Tür wieder und gehe mürrisch hinter ihm her in die Küche. Ellen hat uns allen dreien eine Cola hingestellt. Ich hole mir lieber ein Bier, um die Wut herunterzuspülen, weil Daniel sich hier so aufspielt.

„Was soll das mit den Decken?“, knurre ich.

„Ich glaube, deine Kleine hat eine Alkoholvergiftung. Die friert, als wenn sie in einen zugefrorenen See gefallen wäre“, antwortet Daniel und ich sehe ihn an. Sein Glück, dass er nicht vergessen hat, dass sie eigentlich zu mir gehört. Das bringt mich wieder etwas runter.

„Was ist denn passiert? Sie macht das doch sonst nicht“, frage ich Ellen.

Sie grinst frech und antwortet: „Tja, alle wollten mit ihr das neue Sololeben feiern. Und dann kam auch noch Christoph und hat ihr den Rest gegeben. Wenn er sie nicht wieder an die Theke gelockt hätte, wäre es vielleicht nicht ganz so schlimm geworden.“

„Christoph?“, frage ich nach.

„Ja, du weißt doch, der aus meiner alten Klasse. Der kam zufällig auch ins Alando.“

Ich weiß, wen sie meint. Aber warum stürzt der sich gleich auf Carolin? Gab es da keine anderen Weiber?

Ellen sieht meinen und auch Daniels fragenden Blick, was Christoph mit Carolin zu tun hat und sie erklärt: „Ich hatte sie an dem Tag mitgenommen, als wir uns alle in unserer Stammkneipe trafen und die beiden hatten gleich einen Draht zueinander. Das war an dem Abend, als ihr euch auch das erste Mal mit uns im Alando getroffen habt.“

Mir fällt unser Zusammentreffen dort ein, und dass dieser Typ Carolin immer wieder auf die Tanzfläche gezogen hatte. Aber letztendlich tanzte sie mit mir. Sie hatte ihre Hände auf meine Brust gelegt und dabei ihre Finger ganz vorsichtig über meine Narben gleiten lassen und mich damit unglaublich aus der Fassung gebracht.

Den Gedanken daran schicke ich augenblicklich in die Wüste.

„Und was wollte der Typ heute von ihr?“, brumme ich.

„Oh, einiges!“, sagt Ellen grinsend. „Aber in erster Linie wollte er, dass sie ihren Vorsatz über Bord wirft.“

Daniel sieht sie an: „Ihren Vorsatz?“

„Das war den ganzen Abend lang der Gag des Tages. Carolin hat jedem erzählt, dass sie ein männerfreies Leben anstrebt. Zwei Monate lang. Wir wollten schon Wetten abschließen“, sagt Ellen belustigt. „Und Christoph hatte sie schon so weit, diesen Vorsatz zum Teufel zu jagen. Ich hatte alle Hände voll damit zu tun, dass er sie in Ruhe ließ. Aber als sie dann draußen zusammenbrach, musste ich dich anrufen“, sagt sie zu Daniel. „Der wollte sie mit zu sich nach Hause nehmen und sie wollte auch mitgehen.“ Ellen sieht mich an und raunt: „Weil sie Angst hatte, sonst auf dich zu treffen. Gut, dass Daniel allein gekommen ist. Ich hätte sie sonst gar nicht ins Auto gekriegt.“

„Ich hatte auch Besseres zu tun, als so eine Schnapsleiche nach Hause zu bringen“, knurre ich wütend.

Was war wichtiger? So eine Tussi an einem Bus zu nageln?

Langsam stehe ich auf und raune: „Ich hau dann wieder ab. Man sieht sich morgen.“

„Wo willst du hin?“, fragt Daniel und steht auch auf.

„Nach Hause.“

„Ich bringe dich eben.“

Als ich bei Daniel im Auto sitze, fragt er: „Was ist passiert?“

Ich sehe ihn verständnislos an. Meint er eben im Hyde Park?

„Was ist zwischen dir und Carolin passiert? Du warst Montag so gut drauf. Ich schwör dir, ich habe dich noch nie so gesehen“, sagt Daniel ernst und lenkt den BMW durch die Stadt.

Ich will das alles nicht hören. Es ist vorbei. Sie will mich nicht und ich sie nicht. Unsere Welten liegen Lichtjahre voneinander entfernt. Außerdem habe ich sie echt nicht nötig, wie ich eben im Hyde Park wieder einmal feststellen konnte. Und Sandras gibt es wie Sand am Meer.

Wir fahren vor das Tor der Villa. „Sie ist solo und wenn dir nur ein bisschen an dem Mädel liegt, dann schnapp sie dir jetzt“, sagt Daniel immer noch total ernst.

„Sag mal, gehts noch? Was soll ich mit der? Ich bin für so etwas echt nicht geschaffen“, raune ich und steige schnell aus. Die Tür laut hinter mir zuknallend, gehe ich zur Haustür. Daniel sieht mir nur kopfschüttelnd hinterher.

Und ich kann über mich auch nur den Kopf schütteln.

Nach einer ziemlich beschissenen Nacht fahre ich am nächsten Vormittag wieder zu Daniel. Es geht mir nicht um Carolin. Ich will mit Daniel noch später bei Walter vorbeifahren, um mal zu horchen, wie die Lage dort ist. Vielleicht gibt es Neuigkeiten.

Natürlich weiß ich, dass ich Daniel dann auch stecken muss, weswegen wir wirklich am vergangenen Tag nach Bielefeld gefahren waren.

Ich klingele rücksichtslos und Daniel macht mir auf. Ich finde ihn und Ellen beim Frühstücken.

 

„Magst du auch einen Kaffee und ein Brötchen?“, fragt Ellen und sieht mich seltsam an.

Ich werfe mich neben sie auf einen Stuhl und nicke. Es ist Daniel, der aufsteht und mir einen Teller, ein Messer und eine Tasse Kaffee holt.

„Danke“, raune ich und kann mir nicht verkneifen zu fragen: „Und was macht der Notfall? Ist die schon nach Hause gefahren?“

Die ist immer noch ziemlich tot“, sagt Daniel und legt die Betonung auf mein abweisendes Die.

Ich ignoriere das. Sie ist also noch da. Ich würde gerne nach ihr sehen und das macht mich wütend. Warum zieht sie mich so magisch an?

Nach dem Frühstücken gehen wir ins Wohnzimmer, um eine Zigarette zu rauchen. Ich bin nervös und kann nicht sitzen bleiben. Immer wieder zieht mich etwas in den Flur und ich lehne mich an die Küchentür und folge der Unterhaltung von Ellen und Daniel, die noch einmal aufrollen, wie es Carolin gestern ergangen war.

Dass all meine Sinne auf die Tür des Zimmers ausgerichtet sind, in dem sie liegt, merke ich daran, weil ich sofort merke als die Türklinke langsam heruntergedrückt wird.

Vorsichtig schleicht Carolin aus ihrer Höhle und wirkt völlig verunsichert, orientierungslos und so hilflos, dass sich etwas in meiner Brust zusammenzieht.

Sie blinzelt und schließt benommen die Augen. Ihre Bluse ist völlig zerknautscht und sie hat nur eine wirklich knappe Hotpants an. So war sie also gestern Abend losgewesen. Da wundert einen nichts mehr.

„Oh ha, so sieht also deine Solokarriere aus? Nah super“, brumme ich und Daniel und Ellen werden aufmerksam.

Carolin sinkt, nach einem kurzen Kampf, um sich aufrecht zu halten, an den Türrahmen ihres Zimmers.

„Lass das!“, faucht Ellen mich wütend an und geht an mir vorbei in den Flur. An unseren Notfall gewandt, fragt sie mit samtweicher Stimme: „Nah, geht’s? Du stehst immer noch schlimm zu.“

„Ellen, ich sterbe gerade“, jammert Carolin leise auf.

„So siehst du auch aus.“ Ellen packt sie am Arm und zieht sie an mir vorbei in die Küche. Sie drückt sie auf einen Stuhl. „Komm, trink erst mal was. Du musst schrecklichen Durst haben. Du hast dich gestern ganz schön abgeschossen.“

Ich folge ihnen und hole ein Glas Wasser. Als ich es vor Carolin auf den Tisch stelle, sieht Ellen mich lächelnd an. Sie soll jetzt bloß nicht wer weiß was denken.

Carolin greift danach und trinkt. Dabei zittert ihre Hand, als wäre sie auf Entzug.

Daniel lässt sich auch auf einen Stuhl fallen, während ich mich lieber wieder an die Tür lehne. Diesmal habe ich eher das Gefühl, so eventuell schneller gehen zu können, wenn ich glaube, gehen zu müssen.

„Das war kurz vor einer Alkoholvergiftung, würde ich sagen“, meint Daniel grinsend. „Hammer!“, fügt er noch hinzu.

„Toilette?“, stammelt Carolin plötzlich.

„Komm, ich zeige sie dir“, sagt Ellen mitleidig und zieht sie vom Stuhl.

Ich weiß nicht warum, aber ich schiebe mich in den Türrahmen und verstelle ihnen den Weg. Dabei knurre ich aufgebracht: „Sei froh, dass Ellen da war. Du wärst sonst heute Morgen wer weiß wo aufgewacht.“

„Lass sie in Ruhe. Das kann sie jetzt echt nicht gebrauchen“, brummt Ellen und schiebt mich an die Seite, um Carolin an mir vorbei zu dirigieren.

Daniel lacht nur und ruft hinter ihnen her: „Dann wäre es schon vorbei … mit deinem „männerfreien“ Vorsatz.“

„Was?“, murmelt Carolin verunsichert, bevor Ellen sie durch die Tür ins Badezimmer schiebt.

„Die weiß nichts mehr. Ob das wirklich nur Alkohol war?“, frage ich.

„Keine Ahnung. Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie das überstanden hat. Zeitweise habe ich heute Nacht gedacht, ich muss sie doch noch ins Krankenhaus bringen“, antwortet Daniel und sieht mich seltsam an.

Ich habe meinen Killerblick aufgesetzt, damit er nicht denkt, dass ich auch nur ein bisschen Mitleid mit Carolin habe.

Die Badezimmertür geht auf und Ellen schiebt das blasse Etwas direkt vom Flur wieder in das Zimmer, in dem sie die Nacht geschlafen hatte. Scheinbar geht es Carolin zu schlecht und sie muss sich wieder hinlegen.

Als Ellen wieder zurückkommt, wirkt sie besorgt. Sie lässt sich wieder auf den Küchenstuhl sinken und meint: „Die ist noch immer völlig fertig. Der ganze Stress und der viele Alkohol …, ich weiß gar nicht, wie wir die wieder auf die Füße bringen sollen. Und keiner weiß, wo sie wohnt. Auch wenn sie hierbleibt, braucht sie für morgen etwas zum Anziehen und ihre Schulsachen.“

„Die hat doch bestimmt ihr Handy dabei?“, frage ich Ellen und sie nickt.

„Gib es mir. Ich finde schon raus, wo sie wohnt.“

Ellen sieht mich überrascht an, steht dann aber auf und kommt wenig später mit Carolins Handy wieder.

Ich finde schnell, was ich suche. Die beiden wissen nicht, was ich weiß. Ich rufe Tim an.

„Hey, Süße“, säuselt der nach ein paarmal Klingeln ins Telefon. Der kann so froh sein, dass er nicht in der Nähe ist, sonst würde ich ihm jetzt eine reinhauen.

„Nein, ich bin es, Erik“, knurre ich deshalb auch ziemlich barsch.

Daniel und Ellen sehen mich beunruhigt an.

Um nicht lange mit dem Schleimer reden zu müssen, bringe ich gleich auf den Punkt, was los ist. „Carolin war gestern Abend unterwegs und hat sich so betrunken, dass sie fast eine Alkoholvergiftung hatte. Ellen und Daniel haben sie mitgenommen und nun müssen wir wissen, wo wir sie hinbringen sollen, wenn es ihr nachher etwas bessergeht.“

Tim scheint völlig irritiert zu sein. Er sagt keinen Ton.

„Tim?“, brumme ich ungehalten und weiß, dass Ellen und Daniel sich gerade fragen, warum ich ausgerechnet den anrufe. Wahrscheinlich dachten sie, ich rufe Marcel an.

„Ich weiß nicht“, raunt Tim abwehrend.

„Du kannst dir das überlegen. Entweder ich bringe sie zu Marcel oder in deine Wohnung. Mir ist das scheißegal“, knurre ich wütend.

Tim lenkt ein. „Ne, bringt sie bitte in meine Wohnung. Da wohnt sie jetzt.“

„Ich weiß!“, schnaube ich. „Und wo ist die?“

„Hast du ein Navy in deinem Mustang?“

„Sicher! Also gib mir einfach die Adresse und fertig.“ Je länger ich mit dem Typ spreche, umso mehr geht mir die Galle hoch, weil er Carolin in seine Wohnung verfrachtet hatte und sie dort auch noch vernaschte. Der bloße Gedanke daran lässt etwas in mir zum Tier werden. Sein Glück, dass er unerreichbar weit weg auf einer Musicaltour ist.

„Aber ich weiß wirklich nicht …“

„Verdammte Scheiße, gib mir jetzt die Adresse oder es passiert was!“, tobe ich los.

Tim lenkt ein. „Schon gut.“

Er sagt mir die Straße und die Hausnummer und erklärt mir kurz den Weg.

Carolin ist also in Alfhausen. Ich kenne den Ort nur vom Durchfahren.

„Alles klar“, brumme ich.

„Kann ich Carolin eben sprechen?“, fragt Tim vorsichtig.

„Nein, die schläft wieder“, fauche ich, füge aber ein „Danke!“, hinzu, dass mir wirklich schwerfällt und lege auf.

Ellen und Daniel sitzen nur da und starren mich an. Meine Schwester fängt sich als erstes. „Woher weißt du, dass sie in Tims Wohnung wohnt?“

„Ist doch völlig egal!“, fauche ich auch sie an. „Daniel, ich wollte mit dir noch zu Walter fahren, die Lage checken. Hier können wir eh nichts tun“, wende ich mich brüsk an ihn.

Der steht langsam und unschlüssig auf und Ellen meint: „Ich halte hier die Stellung.“ Sie scheint froh zu sein, dass ich gehe und das scheint für Daniel ein Anlass zu sein, mich besser schnellstmöglich aus der Wohnung zu bringen.

Er gibt ihr einen Kuss und raunt ihr zu, dass sie anrufen kann, wenn etwas ist.

Säusel, säusel … Mich kotzt das ziemlich an.

Es ist noch zu früh, um zu Walter zu fahren. So steuere ich den Mustang auf die Bundesstraße nach Alfhausen und wir schauen, wo die Adresse ist, zu der Carolin gebracht werden muss.

„Da hätten wir auch gleich den Schlüssel mitnehmen und ihre Sachen für morgen holen können“, murmelt Daniel.

Ich sage nichts dazu. Will er sie unbedingt noch eine Nacht bei sich behalten?

Wir machen noch einen größeren Schlenker und ich erzähle Daniel endlich, warum ich bei Walter schauen will, was los ist. Ich will Daniel wieder auf meine Seite ziehen. Er ist schließlich mein Freund und daher mir gegenüber verpflichtet … und lässt die Finger von Carolin.

So berichte ich ihm, dass jemand das gleiche Geschäft macht, was eigentlich ich aufziehen wollte. Plötzlich liegt mir daran, dass er weiß, dass ich auf der Seite der Guten stehe und nicht einen eigenen Drogenring aufbauen will. Ich halte es für besser, er weiß das. Mir ist plötzlich wichtig, dass er sich auf keinen Fall von mir abwendet.

„Wer?“, fragt Daniel und wirkt erleichtert.

„Das wissen sie nicht und ich habe auch überhaupt keine Ahnung. Aber wir sind es definitiv nicht“, sage ich. Uns hatte Daniel schließlich ausgebremst, als die Hamburger da waren. Heute können wir froh darüber sein.

Bei Walter finden wir an diesem Nachmittag nichts heraus. Er ist gar nicht da und auch Sam und Teddy scheinen unterwegs zu sein. Sie sind Walters richtigen Söhne und wie er Zuhälter. Aber während Walter ein Bordell führt, haben sich die beiden auf den Straßenstrich spezialisiert.