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Die Lohensteinhexe

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„Der Leibhaftige selbst.“

„In welcher Gestalt erschien er dir?“

„Als Geißbock.“

„Wie ist sein Name?“

„Disidaemonia.“

Hier erschauert er. Das ist griechisch und bedeutet in der Abwandlung so viel wie ‚bewundernswerter Weib‘. Eine erstaunliche Duplizität, was allerdings ein Weib wie sie niemals wissen kann. Er wird unsicher. Vielleicht sagt sie doch die Wahrheit?

„Wann und wo bist du ihm zum ersten Male begegnet?“

„Auf dem Bocksberg, vor zwei Monaten.“

„Wie viele Teufel hast du?“

„Einen, und der ist genug.“

„Hast du mit ihm gebuhlt?“

„Ja.“

Von den Zeugen geht ein Raunen aus.

„Hattest du Spaß dabei?“

„Ja.“

Es folgen Fragen nach Dauer, Art und Intensität des Aktes, welche die Hexe zu seiner Zufriedenheit beantwortet, da sie dem Detail nach dem geforderten Protokoll entsprechen.

„Hast du mit ihm ein Teufelsbalg gezeugt?“

„Nein.“

Das ist nicht ungewöhnlich und somit akzeptabel.

„War der Samen des Teufels kalt oder warm?“

„Kalt, eiskalt!“ schreit sie daraufhin und verfällt einem irrsinnigen Lachen.

Wieder verhärten sich seine Züge. Er weiß, er könnte sie jetzt zu allem Möglichen befragen, sie würde es bejahen. Aber es war die erste falsche Antwort, untauglich fürs Protokoll. Sofort bemerkt die Ärmste ihren Fehler und versucht, ihn zu korrigieren.

„Oh nein, er war heiß, glutheiß!“, setzt Sie schnell hinzu, bevor die Tortur wieder einsetzt.

„Warum lügst du?“, brüllt der Magister, der sich erhoben hat und schon Miene macht, sie anzuspucken.

„Ich weiß es nicht.“

„Blasphemie!“, ruft der Dn. Consul zwischen, was nichts anderes heißen soll, als züchtige sie.

Doch Titius gebietet dem Einhalt. „Du weißt es nicht?“, fährt er argwöhnisch fort. „Das ist seltsam, zumal ein Leugnen der Wahrheit mienals unabsichtlich geschieht.“

„Ja.“

„Dann gibt’s du zu, gelogen zu haben?“

„Ja.“

„Du lügst also aus Freude am Lügen?“

„Nein.“

„Warum dann?“

„Ich weiß es nicht.“

„Wer soll dir das glauben?“

„Oh Herr, bitte, beendet meine Qual. Ihr habt es geschworen.“

Der Magister sieht an ihr herab. Wie schrecklich ist sie jetzt anzusehen. Ihr ausgemergelter Leib ist von der Folter gezeichnet. Blut und Schwellungen an den Gelenken künden von großer Qual.

Ihre Hände sind unnatürlich verkrampft, ebenso ihre Füße. Der Brandfleck unter der Brust hat sich tief in die Haut gesengt und bereitet ihr großen Schmerz. Am liebsten möchte er sich abwenden. Aber er darf es nicht, nicht vor all den Zeugen, die ihn genau beobachten und von denen er keine Schwäche zeigen kann. Alles folgt einem festgefügten Ritus, jeder Verstoß könnte auch für ihn gefährlich werden.

„Aber ich kann es nicht beenden, nur du kannst es“, drängt er sie erneut.

„Aber wie, Herr? Wie?“

„Sag mir nicht, was ich hören will, sondern, was du mir sagen willst, frei heraus. Es muss dir von Herzen kommen. Erst dann bin ich überzeugt.“

Die Zeugen sehen sich verwundert an. Ein solcher Appell ist unüblich. Selbst Syndikus Knospe scheint verwundert. Doch obgleich es seinen Pflichten entspräche, die Zeugen auf die offenkundige Verwirrtheit des Magisters hinzuweisen, unterlässt er es, denn er ist ein Feigling und Duckmäuser. Man zieht ihn gern zu solchen Prozessen heran, da von ihm der geringste Widerstand zu erwarten ist. Seine Fügsamkeit entlohnt man mit 3 bis 5 Gulden, die er gern einsteckt und ein Drittel davon der Mutter Gottes für das Seelenheil seines Mandanten opfert.

Dabei wird er nicht einmal rot und glaubt sich sogar von aller Schuld befreit. Man weiß das und verachtet ihn dafür. Er selbst kommt damit aber ganz gut klar, zumal man ihn niemals daraufhin anspricht. Schon deshalb kommen ihm kaum mehr Zweifel an der Rechtmäßigkeit seines Handelns, worüber tiefer nachzudenken er sich ohnehin längst abgewöhnt hat.

„Wenn dem so ist, dann habe ich es getan, habe alles getan“, gesteht sie überraschend deutlich und senkt den Kopf.

„Was hast du getan?“

„Habe dem Jacob den Verstand geraubt.“

„Also willst du jetzt alles erzählen, die reine Wahrheit, nichts hinweg lassen, aber auch nichts hinzufügen?“

„Ja, das will ich. Ich will alles erzählen, so wahr mir Gott helfe.“

Der Magister wirkt erleichtert. Der Vater schaut mit tränenverquollenen Augen nach ihr hin. Man gibt ihr zu trinken. Dann hebt man sie von der Bank und setzt sie auf einen Stuhl gegenüber dem Tribunal. Sie darf sich jetzt mit einem Schaffell bedecken. Die Fackel und Öllampen werden jetzt so aufgestellt, dass sie von allen Seiten gleichermaßen beleuchtet wird. Nichts darf den wachsamen Augen der Zeugen entgegen. Selbst die kleinste Kleinigkeit kann von Bedeutung sein.

Sie weiß, dass sie verloren ist und ihr Leiden nur noch verringern kann. Noch niemals ist es gelungen, die Unschuld einer Hexe zu beweisen, und das jetzt so bleiben.

Seltsam. Beim Anblick dieses bedauernswerten Weibes, das sich in sein Schicksal ergeben hat, empfindet der Magister plötzlich eine tiefe Rührung, ja beinahe Achtung. Jeder Triumph ist ihm unmöglich. Stattdessen überwiegt eine tiefe Scham.

Ihr Blick ist in sich gekehrt, kalt und ausdruckslos, ihr Gesicht bleich und starr. Sonderbarerweise bittet sie darum, ihren Vater aus dem Raum zu entfernen. Er solle sie wie bisher in Erinnerung behalten, erklärt sie, und es klingt schon wie ein Abschied. Obwohl sich der alte Mann dagegen sträubt, kommt man ihrer Bitte nach. Sie wirkt erleichtert, auch wenn ihr Tränen über die Wange rollen.

Noch lange schaut sie ihm nach, während man ihn gegen seinen Willen aus dem Keller drängt. Welches abscheuliche Schauspiel. Immer wieder versucht er sich, den Bütteln zu entwinden. Am Ende schleift man ihn unter lauten Wehklagen hinaus.

*****

Das Geständnis

Die Tür schlägt zu, dann herrscht Stille. Niemand sagt ein Wort, aus Angst, sie könne erneut verstocken. Dabei will es fast scheinen, als nötige ihr letzter Wunsch dem Tribunal Respekt ab. Und doch überwiegt Argwohn, denn es ist unmöglich, dass eine Hexe menschliche Regungen zeigt.

Das ist nur ein Trick. Sie bleibt gefährlich. Deshalb befiehlt man die Wache herein, damit sie sich mit ihren Lanzen neben der Tür postiere. Der BütteI wirft Schwefel in den Kessel. Sein beißender Geruch soll den Dämon verschrecken. „Hic fuit!“, (hier ist er gewesen) ruft er zum Zeichen seiner Wachsamkeit und spuckt in die Flammen.

Alle Augen sind auf die Angeklagte gerichtet. Man hat zusätzlich zwei Schöffen zur Beglaubigung des endgültigen Urteils geordert, sobald das ‚Articulum principalem‘ benannt ist. Das ist der Hauptartikel, auf den sich die Anklage stützt. Es muss durch die Beklagte eingestanden und schlüssig bewiesen sein. Erst dann bekommt es - durch die Signaturen der Zeugen und des Magisters beglaubigt - die erforderliche Rechtskraft.

Die Angeklagte wirkt erstaunlich gefasst. Ihr Blick ist in sich gekehrt und voller Ruhe. Inmitten des Kerzen- und Fackellichtes wirkt sie sonderbar erhaben, fast wie eine Königin mit ihren regelmäßigen Zügen und dem blassen Oval ihres Gesichts. Nichts vermag diesen Ausdruck zu stören. Selbst das zottige Fell, womit sie ihre Blöße bedeckt, scheint ihre Anmut zu erhöhen.

Doch dann, als sei ihr plötzlich ein anderer Gedanke gekommen, lässt sie es von ihren Schultern gleiten und legt die Hände zwischen die gespreizten Schenkel. So stellt sie sich den edlen Herren in obszöner Schamlosigkeit dar.

Sie befühlt sich mit den Fingern. Dazu holt sie tief Luft, wodurch sich ihre jugendlichen Brüste straffen und das goldene Fleisch ihres Leibes aus jeder Pore Wollust atmet. Ihre Lippen sind geschwollen und ihr Blick sinnverklärt. Nach dieser schmerzhaften Tortur gleicht das einem Wunder, aber alles an ihr wirkt geradezu magisch und anziehend.

So sehr sich die Herren auch mühen - es ist ihnen unmöglich, den Blick von ihr zu nehmen. Niemand kann sich ihrer Anmut entziehen. Selbst die Wachen starren sie mit bleichen Lippen und zusammengekniffenen Nasen an. Ihre Münder sind verzerrt und ausgetrocknet, ihre Gesichter von innerer Spannung verkrampft.

Nicht anders ergeht es den Schöffen und Zeugen. Sogar der Magister wirkt wie gelähmt. Fassungslosigkeit weitet seine Augen, und er empfindet diese ‚Darbietung‘ als einzige Provokation.

Es ist, als bäume sich dieses Weib mit aller Macht noch einmal auf, beklemmend und ängstigend mit dem Wahnsinnsausbruch ihres Geschlechtes, als könne sie allein das noch erretten.

Und in der Tat; niemand denkt jetzt noch an Befragung. Sie wirkt auf eine seltsame Weise schön, ja ist die leibhaftige Sünde selbst. Fast will es scheinen, als fände sie eine bittere Wollust darin, die Edlen mit dem Gluten ihre Leidenschaft zu versuchen. Und sie versteht sich darauf sehr gut. Kaum jemand, dem jetzt nicht absurde Phantasien kommen im Spiel mit diesem Weib voller Leidenschaft und Hingabe.

Aber ihre Mühen bleiben vergebens. Schnell werden Rufe der Empörung laut. Se. Cantorius nennt sie ‚schamlos‘, Dn. Consul ‚dreckige Hure‘. Selbst der Büttel - davon angesteckt - greift zur Siebenschwänzigen, wird aber vom Magister zurückgewiesen.

Sie ist nicht die Erste, die es so versucht. Manche geloben alles, was man von ihnen verlangt, sogar die Ehe mit dem Henker ist kein Tabu mehr. Andere flehen um ein erlösendes Elixier kurz vor Vollstreckung, und wieder andere sind bereit, selbst die letzte Marter zu ertragen, wenn ihnen nur diese Todesart erspart bleibt. Dieser aber wird keine Gnade finden, nicht nach einem solchen Affront.

 

Sie scheint das auch zu ahnen, denn augenblicklich bedeckt sie sich und gibt sich erstaunlich demütig, nennt die Herren ‚gute Christenmenschen‘ und sei nun bereit, ihr Urteil zu empfangen.

„Doch wenn ich vor meinen Schöpfer trete, werde ich es ohne Reue tun, denn ich handelte aus Not“, stellt sie klar. „Schon deshalb wird euer Urteil unvollständig bleiben, als Zeichen eurer Schuld an mir und meiner unsterblichen Seele.“