Lohensteinhexe, Teil VI

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Lohensteinhexe, Teil VI
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Kristian Winter (winterschlaefer)

Lohensteinhexe, Teil VI

Der Kampf beginnt

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Eine schwere Entscheidung

Die Reue

Die Forderung

Das Duell

Eine neue Wendung

Impressum neobooks

Eine schwere Entscheidung

Dieser 16. im Herbstmond des Jahres A.D. 1636 war ein trüber und kalter Tag. Der Winter stand vor der Tür und regenschwere Wolken bedeckten den Himmel. Nasskalter Wind riss die Blätter von den Bäumen und fegte sie durch die Gassen. Selbst die streunenden Hunde verkrochen sich immer häufiger in den Kellern und Kasematten, wo sie sich den Platz mit allerlei lichtscheuem Gesindel teilten und nicht selten Opfer ihres Hungers wurden.

Obwohl Marschall Tilly und Gustav Adolf mittlerweile gefallen waren, kam das Land nicht zur Ruhe. Überall trieben sich marodierende Söldnertruppen herum, plünderten Städte und Dörfer und taten den Menschen Gewalt an.

Zwar war es Markgraf Gero bisher durch Zahlung kleinerer Zuwendungen an die Kommandanten gelungen, seine Comturei davon weitgehend zu verschonen. Doch seine Mittel waren begrenzt und die Haufen der Landsknechte wurden immer größer, so dass die allgemeine Unsicherheit stieg und es nur eine Frage der Zeit schien, bis Düren das Schicksal der Wendenburg ereilen könnte.

Noch spürte man hierzulande nichts davon. Aber eine Prophezeiung, wonach das Ende bald gekommen sei, machte in jüngster Zeit die Runde, ohne dass man hätte sagen können, woher sie kam bzw. welche Intention dahinter stand.

Aber gerade das nährte einen ganz bestimmten Verdacht. Schon munkelte man von einer Hexe, die hier in letzter Zeit ihr Unwesen trieb und die zunehmende Verelendung herbeiführte, denn so viel Unglück konnte nur ein Werk des Teufels sein. Das wiederum führte zur Sensibilisierung der Menschen mit einer allgemeinen Spannung, die nicht immer angenehm war.

Dieser Morgen schien indes wie immer. Der Markt war zwar geöffnet, doch kaum noch etwas zu holen, denn die wenigen Händler, die noch geblieben waren, verstiegen sich zunehmend aufs Betteln, um überhaupt noch über die Runden zu kommen.

Dennoch war heute etwas anders. Schon von weitem war ein großes Geschrei zu hören, das von der anderen Seite vom dortigen Brunnen drang. Dort herrschte ein großer Tumult, der die Leute in Scharen anzog. Eines der Weiber vermisste ihre Brosche und bezichtigte eine andere des Diebstahls.

Was für ein Gezeter.

Sie bespuckten, kratzten und schlugen einander, dass es ein wahres Fest war, vor allem für die vielen Umstehenden, die sie darin noch anfeuerten.

Jofree, der dieses Treiben von seinem Pferd aus beobachtete, rümpfte die Nase. Er war an diesem Morgen ausgeritten, um etwas ganz Bestimmtes zu erledigen oder besser, hinter sich zu bringen.

In seiner braunen ärmellosen Tunika, den spitzen Schnabelschuhen und dem dunklen Barett der Höflinge wirkte er überaus elegant und bildete einen bizarren Kontrast zu diesem ärmlich gekleideten Pöbel. Hinzu kam seine würdevolle Haltung. Mit dem steif durchgedrückten Rücken und der in die Seite gestemmten Faust erinnerte er an einen hoffärtigen Edelmann, der sich an diesem Trubel voller Herablassung ergötzte.

Doch das täuschte. In Gedanken war er ganz woanders und nahm dieses Geschehen nur am Rande wahr. Jetzt wartete er schon über eine Stunde im Sattel seines Lieblingsfalben Bordi, dessen Mähne er wie jeden Morgen eigenhändig kämmte und stundenlang striegeln konnte und war noch immer unschlüssig, wie er es am besten angehen sollte.

Dabei hatte er die ganze Nacht gegrübelt, wog die Möglichkeiten gegeneinander ab und stellte neue Vergleiche an, ohne jedoch zu einem Entschluss zu kommen. Denn gleichviel, wie er sich auch entschied - immer wieder verfingen sich seine Gedanken in einer ganz bestimmten Vorstellung, die sich ihm, Gott weiß warum, am Ende stets aufdrängte und ihm schreckliche Angst machte.

Es war der Augenblick der Tat, jener Moment, in dem sie ihn erkennen würde. Und selbst wenn er nur ganz kurz ausfiele, genügte er, ihn und all das, was ihn ausmachte, für immer zu vernichten.

Niemals trat ihm das deutlicher vor Augen, so dass er allein bei der Vorstellung Atemnot bekam. Warum hatte ihm das Schicksal eine solche Prüfung auferlegt? Wieso gab es keine andere Lösung?

Wiederholt betrachtete er seinen Dolch, womit er es vollbringen wollte. Dabei hatte er sich vorgenommen, es in einem Augenblick der Arglosigkeit zu tun. Nur so konnte es schmerzlos geschehen - wenigstens das war er ihr schuldig.

Wiederholt befühlte er jene Stelle an seinem Hals, die er dafür auserwählt hatte. Doch welch ein Schauer durchfuhr ihn dabei.

Gewiss hatte er schon einmal getötet. Doch damals war es anders, blieb ihm keine Wahl, weil die Umstände weniger ihn als jemand anderen betrafen, der ihm sehr nahe stand. So war es dann zum Streit gekommen, in welchem ein Wort das andere gab und bald die Klingen flogen.

Aber auch wenn niemand Zeuge war, konnte er vor Gott beeiden, seinen Gegner im fairen Kampf getötet zu haben – ein unbedingtes Muss für jeden Edelmann.

Und selbst wenn er sich danach aufgrund gewisser Umstände genötigt sah, diesen Vorfall durch die Bestechung eines Zeugen jemand anderen anzulasten, der dann unter der Folter gestand und später gestäupt wurde, konnte er damit leben. Blieb doch dieses Opfer für ihn nur ein mehr oder weniger nötiges Übel für ein ehrlich ausgefochtenes Duell unter Ehrenleuten.

Jetzt aber war das anders, gab es nichts mehr zu vertuschen. Sie war unschuldig und sein Vorhaben nichts weiter als ein kaltblütiger Mord. Niemals würde ihm das Gott verzeihen und er sich selber auch nicht. Das wusste er und hatte Angst davor.

Dennoch blieb ihm keine Wahl. Seine Auftraggeberin würde ihn zweifellos nachträglich ans Messer liefern mit der Folge seiner Hinrichtung wegen Hochverrats. Handelte es sich doch bei dem Getöteten um keinen Geringeren als den jungen Ludger zu Düren, Markgraf Geros Lieblingsneffe, einem Heißsporn und brutalen Despoten, doch aufgrund fehlenden eigenen Nachwuchses legitimer Anwärter auf die Nachfolge.

Nicht genug damit, dass der an seiner Stelle Verurteilte ausgerechnet als Lustknabe sein Vorgänger war, der nicht über den nötigen Scharfsinn verfügte, sich gegen eine solche Intrige zu behaupten – er, Jofree, nahm danach auch noch kaltblütig dessen Platz ein und bekundete stets seine Trauer über dessen Ableben.

Das war durchaus keine Heuchelei, sondern ein echtes Gefühl. Jedenfalls redete er sich das immer ein und glaubte am Ende sogar daran. Schon deshalb empfand er keine Skrupel, sich als Günstling des Markgrafen im neuen Wohlstand zu sonnen. Im Gegenteil, es erschien ihm wie ein Naturgesetz, wonach sich der Stärkere als der Würdigere erwiesen hatte und dem Schwächeren somit nur Recht geschah.

Überhaupt hielt er sich lange Zeit für tiefere Gefühle unfähig. Dafür machte er sein feminines Äußeres verantwortlich, das, von seinem Umfeld oft missdeutet, ihn in einen falschen Weg zwang. Doch obgleich er insgeheim darunter litt, verstand er schon bald, das Beste daraus zu machen, um danach verblüfft festzustellen, dass man auch damit recht gut leben konnte.

Jetzt aber kamen ihm erstmals Schuldgefühle. Es war die quälende Gewissheit von etwas abgrundtief Bösem, wofür er in der Hölle schmoren würde.

Wie belanglos erschien ihm dagegen das Gekreisch dieser törichten Weiber dort drüben. Mochten sie sich nur die Köpfe einschlagen, je ärger, desto besser. Er konnte darüber nur lachen.

In Gedanken ertappte er sich sogar dabei, wie er mitschlug, und er wusste auch wohin. Er hatte das schon öfter beobachtet, wenn Verbrecher öffentlich gezüchtigt wurden und empfand eine seltsame Freude daran.

Selbst jetzt erschien es ihm überaus drollig, wie sie sich in die Haare gingen, einander wegdrückten und doch immer wieder zu treten versuchten und dabei einen ganz eigenartigen Tanz vollführten, begleitet vom Jubel und den Pfiffen der Umherstehenden, die sich daran ergötzten.

Und wäre er in anderer Stimmung gewesen, er hätte sicher mitgeklatscht, ihnen womöglich sogar einen Kreuzer zugeworfen. So aber holte ihn gleich wieder jener Gedanke ein, weshalb er gekommen war.

Aber da war diese unerklärliche Furcht, die Angst vor dem Versagen gerade in jenem Moment, wo ein Versagen unverzeihlich bliebe, wenn ihn ihr fragend- erschrockener Blick träfe und seine Hand schwach werden ließ. Nichts fürchtete er mehr. Darum musste es schnell geschehen, kurz und schmerzlos.

Doch wie sollte das gelingen, wenn er schon allein beim bloßen Gedanken daran zu zittern begann? Sie würde ihn erkennen und dann wäre alles vorbei.

Eine andere Lösung musste her. Nur welche?

Und während er noch immer diese streitenden Weiber beobachtete, die jetzt dazu übergingen, sich mit Dreck zu bewerfen und dabei in ihrer Entschlossenheit keinen Schritt voreinander wichen, kam ihm plötzlich eine verblüffende Idee.

 

Er packte die Zügel, gab seinem Falben die Sporen und preschte im straffen Galopp auf sie zu. Er war ein guter Reiter und verstand es, mit seinen Künsten zu beeindrucken. Besonders das niedere Volk konnte er damit jedes Mal verschrecken, wenn er auf diese Weise eine Attacke antäuschte und kurz vor ihnen abstoppte.

So tat er es auch jetzt, indem er, kurz bevor er sie erreichte, die Zügel schlagartig raffte und damit den Gaul auf die Hinterhufe zwang. Schnaubend richtete sich Bordi auf, ruderte mit den Vorderläufen in der Luft, worauf die Weibermenge erwartungsgemäß zurückwich, und kam dann direkt vor ihnen zum Stehen.

„Habt ihr denn nichts Besseres zu tun, als euch zu prügeln?! Ihr solltet euch schämen!“, schäumte er vor Wut und muss ihnen dabei sicher wie ein Wesen aus einer anderen Welt vorgekommen sein, so sauber, so elegant, so distinguiert.

Völlig verdattert starrte man ihn an. Ein älteres Weib aus der Menge fing sich jedoch sofort und trat ihm dreist entgegen.

Es war eine alte Rothaarige in einem zerrissenen Leinenfetzen auf dem Leib, der wohl vormals ein Kleid gewesen war, und einer albernen Filzkappe auf dem Kopf. Offenbar war sie die Scharfmacherin, die seinen niederen Rang sofort erkannte. Ziemlich ruppig fuhr sie ihn an, er solle sich gefälligst um seinen Kram kümmern - das hier ginge ihn nichts an und hatte damit sogleich einige Lacher auf ihrer Seite.

Doch Jofree ließ sich nicht beirren. Mit einem heftigen Tritt gegen ihre Schulter stieß er zurück.

„Hör zu, du verdammte Schlampe. Wenn nicht augenblicklich Ruhe ist, werde ich die Stadtwache rufen und erzählen, dass du den Pöbel aufwiegelst. Dann wirst du in den Turm geworfen wegen gemeinen Landfriedenbruchs und ich werde persönlich darüber wachen, wie man dich auf den Bock spannt und dir deine Titten abschneidet. So was macht man nämlich mit Furien wie dir.“

Das zeigte Wirkung. Die Lacher verstummten. Man begann zu flüstern und betrachtete ihn voller Misstrauen. Nur diese Schlampe gab sich weiterhin unbeeindruckt.

„Sieh an, willst dich wohl wichtig machen, du Rotznase?“, provozierte sie spitz. „Wer bist du überhaupt?“

„Es wäre besser zu fragen, wer bist du, wenn du deine Freude darin zeigst, wie sich diese beiden Weiber hier zerfleischen, anstatt die wirklichen Gefahren zu erkennen.“

„Was meinst du damit?“ Ihre Verwunderung schien echt.

„Das, was du offenbar in deiner Hühnerblindheit nicht siehst!“, erwiderte er energisch und wandte sich jetzt wieder den anderen zu. „Seht euch doch nur um. Verwundert es euch nicht, wieso das Wasser in letzter Zeit so dreckig ist (es war tatsächlich in den letzten Tagen etwas trübe) und warum die Jauche nicht mehr stinkt, dass sie selbst beim Hineintreten unbemerkt bleibt? Außerdem weht der Wind nicht mehr vom Süden wie sonst um diese Jahreszeit und die Krähen haben sich zu stark vermehrt. Ihr wisst, was das bedeutet.“

„Unsinn!.“

Jofree blieb indes hartnäckig. Man wüsste, was man wüsste, stichelte er weiter und behauptete, dass hier schon seit Längerem seltsame Dinge vor sich gingen, die womöglich einiges erklären könnten, selbst diese Rauferei. Dazu müsste man aber Scheuklappen ablegen, statt sich sinnlos die Köpfe einzuschlagen.

„Unter uns gibt es keine Verworfenen, wenn du das meinst“, stellte jetzt eine andere klar, die seinen Verdacht erriet. „Und wenn, hätten wir sie schon längst erkannt!“

„Du und erkennen? Dass ich nicht lache! Sieh dich doch nur an! Erkennst nicht einmal den Dreck unter deinen Füßen!“, spottete er.

Und tatsächlich war sie gerade unbemerkt in einen Haufen getreten.

Jetzt lachten alle und brachten sie in Verlegenheit, da sich damit genau das bestätigte, was Jofree soeben gesagt hatte. Er hakte auch sofort nach.

„Was ist mir dir? Findest du es etwa schön, derart im Dreck zu stehen? Dabei sagte ich doch gerade, woran das liegt! Auch du bist blind! … Aber wie ich sehe, hast du einen Augenfehler. Vielleicht liegt es daran? Wer hat dir das zugefügt?“

„Das habe ich seit meiner Geburt.“

„Seit deiner Geburt? Das ist seltsam. Du siehst den Dreck vor deinen Augen nicht, willst aber eine Verworfene erkennen. Wie soll das gehen?“

Dieses forsche Ansprechen, samt Preisgabe der Lächerlichkeit zeigte Wirkung. Sie errötete und wäre jetzt sicher am liebsten fortgerannt, zumal sie nun alle anstarrten. Damit hätte sie sich aber nur noch unmöglicher gemacht - ein Zustand, der schnell ins Gegenteil umschlagen konnte.

Jofree spürte, dass es nur noch eines kleinen Anstoßes bedurfte und die Ärmste wäre tatsächlich in Not geraten. Doch gerade als die Situation zu eskalieren drohte, begann er sie zu entschärfen.

„Ach, ihr dummen Gänse, lasst euch nichts erzählen! Und ihr wollt eine Hexe erkennen? Seht nur hin - hat sie etwa ein Mal auf der Wange? Trägt sie ein Kopftuch, um ihr Äußeres zu verbergen? Heißt sie etwa Innocentia, Clothildia oder gar Lydia als typische Hexennamen? Ist sie allein und steht immer abseits beim Wasserholen? Ich sage Euch, das sind die Zeichen einer wahren Hexe! Und bei Gott, wenn ihr jemals solche findet, dann tut, was ihr tun müsst!“

Erneut setzte Gemurmel ein. Man neigte die Köpfe einander zu und begann zu tuscheln. Gewiss wäre jetzt der rechte Moment für weiteres Gift gewesen, doch Jofree genügt es. Der Rest lag nun in Gottes Hand.

Schlagartig riss er seinen Gaul herum und jagte davon, weg von diesem Ort, dann die enge Gasse hinauf zum Stadttor hin, das er in Windeseile durchquerte und erst draußen vor dem Burgfried wieder zum Stehen kam. Hier sah er sich noch einmal um, als fürchte er, verfolgt zu werden.

Erst jetzt wurde ihm bewusst, was er getan hatte. Die Saat der Verderbnis war gelegt und es war nur noch eine Frage der Zeit, bis sie aufging.

Doch wie elend wurde Ihm beim Gedanken an das nun Folgende. Gleich rief der Ausrufer zur neunten Stunde und sie würde am Brunnen erscheinen, mit ihrem Krug unter dem Arm und dem verräterischen Kopftuch. Völlig arglos käme sie dorthin, vielleicht noch mit einem ‚Gott zum Gruß‘ auf den Lippen.

Zweifellos würde man ihr sofort das Tuch vom Kopf reißen und auf das Mal an ihrer Wange verweisen, dann Gassendreck darauf schmieren und irgendeine Abnormität erkennen.

Eine von ihnen, vermutlich die Rothaarige, riefe dann den Fluch aus. Der Rest wäre Folge einer wüsten Raserei, in der man erleben konnte, wie schnell Menschen zu Bestien pervertieren, sobald sie vom Hexenwahn ergriffen sind.

Er hatte das schon einmal erlebt und seither nie vergessen. Ein solcher Mob ist unberechenbar. Selbst die ansonsten harmlosesten Gestalten werden plötzlich zu Ungeheuern, die glauben, durch das Massakrieren eines Opfers eine erhabene Pflicht zu erfüllen. Ihre Grausamkeit kennt keine Grenzen, da allerorts die törichte Überzeugung herrscht, Hexerei sei nur durch ein Übermaß an Brutalität zu vertreiben.

So war damals der Betroffenen am lebendigen Leib die Haut abgezogen worden und niemand hatte auch nur einen Finger gerührt, obwohl engste Verwandte darunter waren. Selbst die ansonsten frommsten Gottesdiener scheuten sich nicht, auf die Bedauernswerte in ihrem Todeskampf zu spucken, indes andere das mit Bienenwachs versetzte brennende Kreuz über ihrem Leib schwenkten, bis ihre Schmerzensschreie verstummten und ihr Kadaver auf den Scheiterhaufen geworfen wurde.

Ihr drohte jetzt Ähnliches. Im günstigsten Falle würde man sie wie einen Hund erschlagen oder ihren Kopf so lange unter Wasser drücken, bis ihr Körper leblos erschlaffte.

Dann würde man sie an den Haaren gepackt über den Platz schleifen und spätestens jetzt, falls sie noch leben sollte, durch einen ‚finalen‘ Herzstich töten, da Hexen nur durch Verbrennen oder einen solchen Stich wirklich getötet werden können.

Er stieg von seinem Gaul, stemmte sich gegen eine Mauer und erbrach sich. Welches Brennen jetzt in seinem Hals. Es war das Feuer des Teufels, und wenn es eine Gerechtigkeit gab, musste sich jetzt der Himmel auftun und ein Blitz auf ihn herniederfahren.

Doch nichts geschah. Alles blieb ruhig, als wollte ihn die Welt verhöhnen.

Da riss er sich das Kreuz vom Hals, das er an einer silbernen Kette trug und warf es zornig weg. Wie ausgebrannt und leer war jetzt sein Herz, so dass er sich verzweifelt die Haare raufte und in den Dreck sank.

Dann aber, in diesem ganzen inneren Chaos, meinte er plötzlich eine Stimme zu hören. Es war ihre Stimme, die nach ihm rief, daran bestand kein Zweifel, und sie verzieh ihm.

Aber das war unmöglich. Das durfte sie nicht. Niemand konnte so etwas verzeihen. Diese Stimme aber wurde immer deutlicher, immer eindringlicher, so dass er sie nicht mehr ertrug.

Da sprang er wie von einer Tarantel gebissen auf, schwang sich auf seinen Falben und jagte, ungeachtet aller Risiken, in Windeseile zurück zum Brunnen.

Und tatsächlich! Seine schlimmsten Befürchtungen schienen sich zu bewahrheiten. Schon von weitem bemerkte er die aufgebrachte Weiberschar, die sich um irgendetwas drängte und dabei so vertieft war, dass sie ihn gar nicht Nahen hörten und das, obwohl er Bordi erneut effektvoll auf die Hinterläufe zwang.

In völliger Panik sprang er aus dem Sattel, warf sich mit wildem Geschrei auf die Menge und drückte die Weiber mit aller Kraft auseinander.

Kaum aber hatte er sich hindurchgedrängt, erblickte er Lydia auf den Knien. Sie wurde von zwei dieser Furien jeweils rechts und links am Arm gehalten, hingegen eine Dritte – es war die rothaarige Alte – unaufhörlich mit einem Knüppel auf sie eindrosch, gleich einem Stück Fleisch, das man gar klopft.

Augenblicklich sprang er dazwischen und stieß ihre Peinigerinnen beiseite. Dabei schlug er wie ein Irrer um sich, traf eine im Gesicht, die daraufhin stürzte, zog seinen Dolch und drohte jeder, die sich ihm jetzt noch näherte, sie auf der Stelle wie eine Sau abzustechen.

Und tatsächlich glich er mit seinen blutunterlaufenen Augen und dem Schaum vor dem Maul in diesem Moment einem zu allem entschlossenen Besessenen, so dass diese Weiber erschrocken innehielten und sich ängstlich bekreuzigten.

Noch bevor man sich versah, hatte er Lydia auf das Pferd gehoben und sich in den Sattel geschwungen. Und ohne, dass es jemand zu verhindern wagte, ritt er mit ihr davon, indes ihm die verwirrte Menge sprachlos nachschaute.

Kaum außerhalb der Stadtmauer, auf dem Weg nach Camin angekommen, hielt er inne, zog die Leblose vom Pferd und ließ sie behutsam ins Gras gleiten.

Sogleich überstreckte er ihren Kopf in den Nacken und drehte sie auf die Seite, um ihren Mund vom Blut zu befreien. Dann horchte er an ihrer Brust und war erleichtert, dass ihr Herz noch schlug.

Mit seinem Halstuch betupfte er sorgsam ihre Wunden. Sie musste mehrere schlimme Schläge ins Gesicht erhalten haben, denn ihr linkes Auge war völlig zugeschwollen und ihre Oberlippe aufgeplatzt. Auch schien ihre Nase gebrochen, denn auch sie war stark geschwollen und blutete.

In seinem Durcheinander rannte er zum nahen Bach hinunter, tränkte dort das Tuch im Wasser und kühlte damit ihre Schwellungen.

Danach setzte er sich neben sie und wusste in seiner Verzweiflung nicht, was er noch tun sollte. Er hoffte und betete und hatte doch nur einen Wunsch - sie möge am Leben bleiben, gleichviel, was das für ihn bedeutete.

Er hätte nicht sagen können, wie lange er so dasaß und grübelte. Irgendwann kam sie wieder zu sich. Als sie ihn erblickte, lächelte sie matt. Er hingegen brachte kein Wort heraus.

„Du?“, flüsterte sie mit schwacher Stimme.

Er nickte wortlos, umfasste ihre Hand, und was er die ganze Zeit befürchtet hatte, trat ein. Er empfand ein tiefes Mitgefühl. Niemals würde er jetzt noch seinen Auftrag erfüllen können, auch wenn ihm klar war, was das bedeutete.

„Hör zu“, flüsterte er ihr zu. „Du musst von hier verschwinden, für immer. Lass‘ dich nie wieder in Düren sehen, hörst du? Sie haben dich als Hexe erkannt und werden keine Ruhe mehr geben, bis du gerichtet bist. Hier bist du nicht mehr sicher.“

„Warum tust du das?“

„Ich bin es dir schuldig.“

„Aber du hast dich damit selbst in Gefahr gebracht. Man wird dich anzeigen, weil du mir geholfen hast.“ Sie versuchte, sich aufzurichten, doch er hielt sie behutsam nieder.

„Du musst dich schonen und zu neuen Kräften kommen. Ich werde dir nicht weiter helfen können. Dort drüben, siehst du diese Brücke? Geh‘ über diese Brücke und dann nach Norden.“

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