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Die Lohensteinhexe

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Glücklicherweise blieb die Verfärbung aus. Er hat den Mächten des Bösen widerstanden. Erleichtert verband er die Wunde und war entschlossener denn je. Und sollte sie es wagen, ihn noch einmal zu foppen, würde er ihr jeden Schandpflock einzeln in die Gelenke rammen.

Als Mann in den reiferen Jahren verkörpert er mit seiner imposanten Erscheinung einen würdevollen Repräsentanten des hiesigen Tribunals. Dieses Amt genießt hohes Ansehen, aber auch Respekt, da es wegen seiner Unerbittlichkeit gefürchtet ist.

Dabei mag man ihn mit seinem schulterlangen, hellbraunen Haar und dem sorgsam gestutzten Bart beim ersten Hinsehen eher für einen Krämer halten - aber das täuscht. Sein unbestechlicher Blick für das Wesentliche, kombiniert mit einer geschliffenen Logik, verrät schnell den messerscharfen Kasuisten, der selbst unscheinbarste Dinge als Ausdruck der Verderbtheit zu entlarven weiß.

Und er lässt nicht locker, bis sie eingestanden sind, selbst wenn er dabei bis zum Äußersten gehen muss. Darin hat er Erfahrung. Deshalb hat man ihn auch mit der Leitung des Prozesses beauftragt, denn es ist vor allem eine Frage des Prestiges für die hiesige Comturei, eine Hexe möglichst schnell und ‚sauber‘ zu überführen.

Vom Wesen her ist er ein sensibler, stiller und sehr belesener Mensch, der die Kunst liebt, aber auch Diskussionen. Seine Wirkung auf andere wird als angenehm bezeichnet, und sein Wort hat Gewicht.

Auch wenn er sich bescheiden gibt und keinen Wert auf diesen Umstand legt, so schmeichelt ihm doch der damit verbundene Respekt. Vielleicht hält er sich deshalb für etwas Besonderes und sich selbst unfehlbar?

Noch niemals hat er eine Hexe geschont, und das wird auch jetzt so bleiben, denn er ist ein Verfechter der heiligen Inquisition, jenem vor Gott geschaffenen Instrument der Wachsamkeit vor dem Bösen dieser Welt, ohne dem – davon ist er überzeugt – sie für alle Zeit verloren wäre.

Dennoch ist jetzt etwas neu, verspürt er eine unbestimmte Unruhe, die ihm sagt, dass dieser Prozess anders ist. Auch wenn er es noch nicht benennen kann, wird er es herausfinden.

*****

Die peinliche Befragung

Nach der Leugnung in der gütlichen Befragung, folgt gemäß Protokoll nun das ‚peinliche Verhör‘.

Dazu liegt sie splitternackt, von Kopf bis Fuß epiliert, am ganzen Leib zitternd, auf der Bank. Die Büttel haben sie bis zur Bewegungsunfähigkeit geknebelt und ihre nach außen gedrehten Füße mit einem Keil fixiert. Komisch sieht es aus, mit den riesigen Schellen an Händen und Füßen, dazu ihr Gewimmer. Er weiß, dass sie gleich leiden wird und mag sich nicht vorstellen, jetzt an ihrer Stelle zu sein. Schmerz ist etwas Schreckliches, vor allem, wenn er nicht dosierbar ist. Er würde es ihr gern ersparen, doch die Wahrheit duldet keinen Kompromiss.

Ob er sie bedauert? Kaum, auch wenn er in Gedanken das ‚Miserere‘ für sie klagt. Aber das tut er für jede verlorene Seele, obgleich er um die Sinnlosigkeit weiß. Sie sind dem Satan verfallen und bekommen ihre gerechte Strafe. Nur ein Wunder kann sie noch erretten.

Auf Geheiß ihres Defensors genannten Verteidigers, des ehrwürdigen Syndikus Knospe, wurde ihr Vater herbeigeholt, ein alter, kränklicher Mann in einer grauen Strumpfhose und ärmlichen Mantille, damit er sie gütlich stimme. Dieser hustet schwer wie alle unter der Schwindsucht Leidenden und kann sich vor Schwäche kaum auf den Beinen halten. Fassungslos starrt er auf sein Kind und weiß ihr nichts anderes zu raten, als ‚vernünftig‘ zu sein; der Se. Cantorius und Dn. Consul - zwei Herren des Gerichts, die der Befragung als Zeugen beiwohnen - wären dann vielleicht gnädig gestimmt.

Doch sie hört gar nicht hin, stammelt immer wieder die gewohnten Tiraden von Unschuld, Intrige und Verleumdung, und wenn es einen Herrgott gäbe, würde er sie erlösen. Das sind Sprüche, die man hier schon kennt und kaum noch jemanden rühren.

„Hör auf zu jammern“, erbost sich der Magister. „Wenn du unschuldig bist, wird es sich zeigen, ebenso, ob du Mitgefühl verdienst. Solltest du allerdings lügen, dann Gnade dir Gott.“

Dann ordnet er die Blutprobe an. Dazu kommt der Büttel herbei und sticht ihr mit einer Nadel in die Hand. Doch sie zeigt keine Reaktion. Ebenso tritt kein Blut aus der Einstichstelle, wie eine Nachschau mit dem Glas ergibt. Diese Anwesenden sind verdutzt.

Damit nicht genug. Nun spreizt man ihre Schenkel und verweist vor den Zeugen auf jene wunde Grotte, in welcher der Teufel in schändlicher Buhlschaft gedrungen sei. Dazu drückt der Büttel ihre Scham auseinander und deutet auf ein bestimmtes Mal, das nicht natürlichen Ursprungs wäre. Zweifellos ein Stigma diabolicum (Teufelsmal), konstatiert Dn. Consul mit unbestechlichem Urteil. Besitzt doch der Satan die Eigenart, sich nach jeder Kopulation durch ein Zeichen in sein Opfer ‚einzubrennen‘ und sich somit auf ewig mit ihm zu verbinden.

Ihr Vater bittet den Syndikus, sich für sie einzusetzen, da dieses natürlichen Ursprungs sei. Schon ihre Mutter habe am Körper reichlich Male gehabt, das könne er bezeugen.

Der aber wirkt unentschlossen, scheint beeindruckt von den Beweisen und der Härte der Anklage. Vielmehr rät er ihm, besser zu schweigen, bevor er sich um Kopf und Kragen rede. Oder wolle er vielleicht selber visitiert und als Hexenmeister entlarvt werden?

Verzweifelt sinkt der Alte vor dem Magister auf die Knie, umfasst den Saum seiner dunkelroten Schaube und stammelt etwas. Dabei ist er kaum zu verstehen, denn ihn schüttelt ein erneuter Hustenanfall. Aber das ist auch nicht nötig. Seine gebrochene Haltung und das jämmerliche Schluchzen verraten seine tiefe Bestürzung.

Er weiß, dass ihm nur noch wenig Zeit beschieden ist. Liebend gern würde er jetzt mit der Tochter tauschen, gibt das auch zu verstehen, bleibt aber unerhört.

„Was soll das, alter Mann?“, stößt ihn der Magister fort. „Wollte man jeder Bitte um Gnade nachkommen, bräuchte man keine Gerichtsbarkeit mehr. Die Welt wäre voller Chaos, und am Ende würde der Teufel triumphieren. Darum sage ich dir, wahre Gnade kann nur Gott gewähren. Aber man muss sie auch verdienen. Es liegt also nur an deiner Tochter.“ Dann aber wendet er sich dem Büttel zu, damit er ihr die Instrumente und deren Wirkung erkläre.

Dieser tritt auch gleich hinzu und fährt sie barsch an: „Sieh her, Weib. Das hier sind die Daumenschauben, wovon dir gleich das Blut aus den Fingerspitzen spritz. Wie du sehen kannst, sind sie noch rot vom Blut der alten Liese, welche im vorigen Jahr gebrannt und zunächst auch nicht bekennen wollte. Willst du das ebenfalls nicht, so ziehe ich dir die spanischen Stiefel an, und sind sie dir zu groß, haue ich dir einen Keil dazwischen, das dir die Wade nach hinten steht und das Blut aus dem Füßen schießt, als wenn du Preiselbeeren durch eine Beutel presst. Genügt das immer noch nicht, werde ich dir heißen Schwefel auf den Leib streuen, auf dass du gebrannt wirst wie ein Stück Ochsenlende.“

Der Scriba (Schreiber), ein kleines buckliges Männlein in grauen Pluderhosen und schief sitzender Mütze, kauert auf einem Hocker zur Linken des Magisters Titius und notiert akribisch jede Äußerung. Dabei ist er besonders eifrig. Die relevanten kennzeichnet er mit einem Strich, die vermeintlichen Lügen mit einem Punkt. So ergibt sich am Ende ein klares Bild über die ‚Wahrhaftigkeit‘ ihrer Aussage, woran sich letztlich das Strafmaß bemisst. In Fälle wie dem Ihren steht es allerdings ohnehin meist fest. Lediglich die Art der Vollstreckung bleibt noch offen.

Zu seinen weiteren Aufgaben gehört die Überwachung der Sanduhr. Sie wird zu Beginn der Befragung umgestülpt, und nach Ablauf von etwa fünfzehn Minuten folgt ein Ruf zur Unterbrechung, wie es die Regel vorschreibt. Der Angeklagten bleibt dann Zeit zur Erholung und vor allem Besinnung.

Diese ist jetzt ganz starr vor Entsetzen und beginnt erneut um Gnade zu flehen, als der Sand zu verrinnen beginnt. Der Magister bleibt unbeeindruckt. Die Beweise seien erdrückend und jedes Leugnen zwecklos. Sie solle endlich bekennen. Dann könne man von weiterem absehen. Das sei die letzte Ermahnung.

„Nein!“, schreit sie und versucht sich aufzubäumen.

„Also willst du dich der Marter unterziehen.“

„Die Wahrheit, die ihr hören wollte, ist eine Lüge. Ich aber kann nicht wider der Wahrheit reden.“

„Wie erklärst du dir dann die Blutprobe?“, setzt er unerbittlich nach.

„Das weiß ich nicht. Ich habe nichts gespürt. Aber da war auch nichts. Ich schwöre es, bei meinem Leben Untersucht das Gerät.“

„Das können wir gern tun.“ Und schon führt man auf sein Zeichen eine Magd herein. Man hat ihr die Augen verbunden, damit sie der Anblick der Hexe nicht verschreckt. An ihrem Arm führt der Büttel die Probe durch. Sie schreit laut auf, und aus der Einstichstelle quillt Blut. Zum Beweis wird ihr Arm den Zeugen gezeigt.

„Was sagst du nun?“

Die Angeklagte bleibt daraufhin stumm.

„Und was ist mit dem Mal in deiner Scham?“, wirft ihr der Magister weiter vor.

„Das habe ich schon immer, edler Camerarius, seit meiner Geburt“, beschwört sie unter Tränen.

„Seit deiner Geburt? Das ist seltsam, zumal solche Male bei Kleinkinder noch nicht beobachtet wurden, wie mir der ehrwürdige Medicus Gregorius in diesem Schreiben glaubhaft attestiert.“ Dazu hält er es hoch und zeigt es den Zeugen. Der Schreiber macht einen weiteren Strich.

„Ich, ich kann es nicht sagen, Dominus“, stammelt sie.

„Aber wir können es. Niemand hat dort ein Zeichen. Das ist völlig ungewöhnlich, es sei denn, es wurde auf schändliche Weise eingebrannt, wie es nur der Teufel kann.“

„Wie kommt es eigentlich, dass dein Vater davon nichts weiß?“, mischt sich Se. Cantorius in gespielter Einfalt ein - ein hoffärtiger Mann, mit dickem Bauch, großem Hut und stutzerhaften Silberschnallen an den Waden. Er war es auch, der sich bei ihrer Visitation viel Zeit ließ und mit dem Finger in sie eindrang, um ihn danach einer Geruchsprobe zu unterziehen.