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Die Lohensteinhexe

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„Mein Vater ist ein rechtschaffender Mann“, verteidigt sie sich. „Er hat mich niemals so betrachtet, geschweige untersucht. Woher sollte er das also wissen?“

„Aber es ist doch hinlänglich bekannt, dass Hexen mit ihren Vätern buhlen“, ergänzt Dn. Consul verschmitzt und fühlt sich durch ihr Erröten bestätigt. Auch ihn erregt ihre Verlegenheit sehr, und er würde noch viel lieber ins Detail gehen, wagt es aber nicht.

Selbst der Magister ist nicht wie sonst. Noch immer ist es ihm unmöglich, ihrem Blick länger als zwei Sekunden zu ertragen, vor allem nach solch ekelerregenden Attacken.

Wieder spürt er diese sonderbare Betroffenheit. Hinzu kommt sein Wissen um die Haltlosigkeit einiger Beweise, wie der Nadel, die bei leichtem Druck tatsächlich in den Schaft zurückgleitet, durch eine Sperre aber ebenso arretiert werden kann. Das ist zwar nicht legal, als zusätzliche Druckmittel aber erlaubt.

Das heilige Tribunal duldet keine Schwächen. Es verlangt nach der Wahrheit, wenn nötig mit allen Mitteln. Nichts ist schwerer, als einen Dämon zu überführen, der sich mit tausend Gesichtern tarnt. Daher es ist nur legitim, ihn zu überlisten.

„Edler Titius“, fährt sie an ihn gewandt fort. „Sagt doch selbst, wenn ich verhext bin, warum wende ich dann nicht meine Zauberkraft an und erlöse mich aus dieser Pein?“

„Das versuchst du schon die ganze Zeit“, antwortet er und reckt ihr das Kruzifix entgegen. „Doch unter diesem Zeichen hast du keine Macht. Deshalb verschwindet auch geweihtes Wasser auf deinem Leib.“

Rasch tritt er auf sie zu, sprenkelt ihr zum Beweis ein paar Tropfen auf den Bauch, und siehe - bereits nach wenigen Momenten sind sie zum Erstaunen der Anwesenden nicht mehr zu sehen. „Und nun versuche nicht, mich zu beirren. Das sind nur weitere Beweise deiner Schuld.“

Wieder beginnt sie zu jammern. „Das tue ich doch gar nicht. Nur weiß ich nicht, wie ich Euch von meiner Unschuld überzeugen soll. Wohin das Wasser ist, weiß ich nicht. Aber es ist so warm hier, da verfliegt es schnell. Ich glaube, dass ihr das ebenso gut wisst, wie ich.“

„Du wagst es?!“, empört sich der Magister, verstummt jedoch gleich wieder, denn das Wasser verliert durch eine Zusatztinktur tatsächlich an Spannkraft und kann sich somit leichter verflüchtigen. Das kann sie aber unmöglich wissen. Die Rezeptur ist streng geheim und nur im engsten Kreis des Tribunals bekannt. Wenn doch, ist es nur ein weiteres Zeichen ihrer Magie.

„Ich bitte euch, Dominus“, fleht sie erneut. „Verschont mich, und ich werde Euch zu willen sein, wie immer ihr es wollt. Aber bitte, tut mir das nicht an. Ich habe solche Angst.“

„Schweig, du Vermaledeite! Eine solche Schamlosigkeit ist typisch für eine Verworfene wie dich. Aber dein Zauber ist hier unwirksam Es gibt nur einen Weg zur Erlösung - die Wahrheit.“ Seine Faust donnert auf den Tisch.

„Aber ich kann doch nicht … Das ist wider Gottes Gebot, das ihr selber predigt! Wie sollte ich da …“

„Der Mut zur Wahrheit ist immer eine schwere Bürde. Wer ihn aber nicht findet, muss leiden!“, ruft er und gibt das Zeichen. Daraufhin drückt man ihr die ‚Pfeife‘ genannte Holzklammer in den Mund, jenes mit Schnüren um den Kopf befestigte Instrument, das die Schreie des Opfers dämpfen soll.

Schon sengt sich unter leichtem Zischen das glühende Eisen in ihre Seite. Panisch windet sie sich in den Ketten, verdreht die Augen und versucht die Füße aus der Verkeilung zu befreien, woraufhin sich diese nur noch mehr verqueren. Blut rinnt aus den Wunden. Noch einmal bäumt sie sich auf. Dann erschlafft sie.

Der Gestank verbrannten Fleisches liegt in der Luft. Die Wärme der Fackeln und die Glut des Messingtroges schaffen eine stickige Schwüle. Der Magister tupft sich die Stirn.

Er hat nicht hingesehen, obgleich es seine Pflicht gewesen wäre. Das ist den Zeugen nicht entgangen. Ihm ist heiß und unerträglich stickig, so dass er sich die Halskrause aufzieht. Er weiß, dass sie sich fügen wird, spätestens nach wiederholtem Einbrennen. Er hat das schon oft erlebt. Die meisten gestehen dann, allerdings willenlos, im Zustand der Apathie, so dass es nicht unbedingt glaubhaft wirkt. Das ist zwar nicht befriedigend, gilt aber als rechtlich anerkannt. Manche bleiben aber auch störrisch, vertrauen auf Gott, der sie längst verlassen hat.

Dann folgt als Letztes die ‚hochnotpeinliche Befragung‘, wobei sie der Henker aufs Härteste rannimmt und nicht selten den Rand des Ablebens erreicht, ohne ihn jedoch zu überschreiten. Darauf verstehen sich nur versierte Meister des Quälens. Der Heutige ist einer davon.

Aber der Magister will ihr das ersparen. Sie ist so zart, wirkt so rein, so ganz anders als die gemeinen Bauernhuren, die bei der Tortur wie sie Säue quieken. Darüber hinaus scheint sie von scharfem Verstand. Ihre Antworten kommen klar und sind von bestechender Logik.

Gestern noch hatte sie die unzüchtigen Unterstellungen eines Zeugen mit einem Psalm aus der heiligen Schrift pariert und damit das ganze Tribunal verblüfft. Antwortete sie doch auf die Frage, warum sie dem Tribunal Voreingenommenheit vorwerfe, in bestem Latein: ‚Ubi libido dominatur, innocentiae leve praesidium est‘. (Wo die Begierde gebietet, hat die Unschuld schwache Schutzwehr)

Beim Himmel! So etwas ist ihm noch nie untergekommen. Das jagt ihm Furcht ein.

Jetzt tritt er vor sie hin und entfernt die Klammer, obwohl die ersten 15 Minuten noch nicht vorüber sind. Dann gießt er ihr einen Zuber mit kaltem Wasser über den Leib, woraufhin sie zusammenzuckt. Ihr irrer Blick wandert ziellos umher und bleibt schließlich an ihm haften.

„Confiteor!“ schreit er sie an, was nichts anderes als ‚Bekenne‘ heißt, malt das Kreuz in die Luft und verspricht, sie zu erlösen.

Sie murmelt etwas Unverständliches, so dass der Büttel herantreten und sich zu ihr herab neigen muss. Doch kaum kommt er ihr näher, rotzt sie ihn an, und er schrickt zurück.

Der Magister ist irritiert und weiß nicht zu reagieren. Sofort setzt der Büttel die Tortur fort, noch bevor er das Zeichen dazu bekommen hat. Mit aller Kraft dreht er die schwere Kurbel, bis ihr Leib derart gestrafft in einer absurden Schwebe verharrt. Speichel rinnt aus ihren Mundwinkeln. Ihre Schreie haben nichts Menschliches mehr. Die Anwesenden zeigen keine Regung. Der Magister, starr vor Schreck, greift sich ans Herz.

Wieder fleht sie um Gnade, dabei immer wieder ihre Unschuld beteuernd, worauf ihr Vater zusammensinkt. Doch der Magister weiß längst mehr. Sie wird gestehen, spätestens, wenn ein erstes Knacken Wirkung zeigt, wenn die Sehnen bersten und der Schmerz sie in den Wahnsinn treibt. Noch ein Ruck und noch ein Ruck. Der Büttel zerrt mit aller Kraft an der Kurbel.

Verdammt! Wann gibt sie endlich auf! Kein Mensch kann so etwas ertragen.

Noch ist sie störrisch wie ein Ziegenbock. Dann aber überstreckt sie den Kopf in den Nacken, dringt ein gellender Schrei aus ihrer Kehle, und sie beginn hastig zu nicken.

Endlich!

Sie scheint gebrochen. Eine Spur der Erleichterung huscht über des Magisters Gesicht, und er ordnet sofortiges Innehalten an. Aber er weiß auch, dass manche nur neue Kraft tanken, um danach nur noch störrischer zu werden. Schon deshalb darf er jetzt nicht nachlassen.

„Rede Weib! Willst du gestehen, dann will ich dich erhören“, setzte er sogleich nach, in der Hoffnung auf ihre Vernunft.

Sie nickt.

„Dann ist deine Seele noch nicht verloren.“ Sofort lockert er ihre Ketten, wischt ihr den Speichel vom Kinn und stabilisiert ihre Lage. Um sie besser zu verstehen, kniet er neben ihr nieder, umfasst ihre Hand und wickelt zum Zeichen seines Vertrauens das Velum genannte Schultertuch des Priesters darum. Das verdutzt die Anwesenden.

Sie zittert noch immer. Die erlittenen Qualen lähmen ihre Zunge. Er kennt das. Es ist jene Schockstarre, die den Körper in einen Dämmerzustand versetzt. Erst ganz allmählich wird sie ruhiger, ihr Atem gleichmäßiger, und ihre Sinne kehren zurück.

„Sei ohne Furcht, mein Kind. Es ist vorüber. Wir leiden mir dir … Und nun rede. Sag mir alles, was dich bedrückt, und ich werde es verstehen.“ Fast fühlt er sich versucht, ihr tröstend übers Gesicht zu streichen, weiß es aber zu unterdrücken.

Sie holt tief Luft, schließt die Augen und seufzt: „Tut das nie wieder, hört Ihr? Falls doch, werdet Ihr ebenso enden wie ich. Das ist mein Fluch über Euch – denkt immer daran, denn er wird ewig währen.“

Diese Bemerkung verwirrt ihn. Sie kann nur Folge ihres Durcheinanders sein. „Es ist schon gut. Wenn du jetzt die Wahrheit sagst, wirst du nicht länger leiden. Ich verspreche es.“

„Schwört es, bei allem, was euch heilig ist.“

„Ich schwöre es.“

Nachdem er diesen Eid geleistet hat, scheint ihr Widerstand gebrochen. Kaum zu Atem gekommen, bekennt sie aus tiefstem Herzen und das so schnell, dass es der Schreiber kaum protokollieren kann.

So gibt sie zu, verhext zu sein und zaubern zu können, mit dem Teufel gebuhlt zu haben und dessen Schandmal an sich zu tragen. Sie sei auch schon auf einem Besen geritten und habe im Kreis der Dämonen einen ganzen Krug gegorener Jauche gesoffen; ein Schwein wäre ihr Bruder, und geboren wäre sie in einer Neumondnacht unter einer abgestorben Weide, in welche Raben nisten.

Die Züge des Magisters verfinstern sich. Noch nie ist er so infam gedemütigt worden. Dieses Geständnis ist eine Posse. Will sie ihn zum Narren halten? Hier tagt ein ordentliches Tribunal und kein Bauernthing. Wo bleibt die Reue, wo die Aufrichtigkeit und vor allem der Respekt? Kein seriöses Protokoll kann so etwas ernst nehmen, nicht so, wie sie es vorträgt.

Aber womöglich liegt gerade darin ihrer Absicht. Sie will ihn und das ganze Verfahren vorführen. Zweifellos redet sie nur so, um weiteren Schmerzen zu entgehen. Er sollte er sie dafür züchtigen, doch er hat ihr sein Wort gegeben. Diese Schlange!

 

„Wer hat dich ein solches gelehrt?“, fährt er, sich zur Sachlichkeit zwingend, fort.