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Always Differently

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Aus der Reihe: Always Differently #1
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»Nein! Bin ich etwa die Erste, die davon erfährt?«

»Selbstverständlich.«

»Und was ist mit Felix, hätte er nicht der Erste sein sollen?«

»Eigentlich schon, aber ich will ihn damit zum Valentinstag überraschen, als Geschenk sozusagen.«

Bis ins Detail schilderte Katarina Meike ihre Idee.

»Na da bin ich gespannt, was er für Augen machen wird. Das musst du mir im Anschluss alles haarklein erzählen. Und jetzt komm, wir stoßen erst mal an.«

»O Gott, nein. Bist du verrückt, keinen Alkohol mehr.«

»Ach Unsinn, ich habe noch eine Flasche alkoholfreien Sekt in der Kammer.«

An diesem Tag rauchte Katarina ihre letzte Zigarette mit ihrer Freundin. Na ja, sie nahm eher einen einzigen und letzten Zug. Danach schwor sie diesem Laster für immer ab. Ihr Baby sollte gesund auf die Welt kommen und nicht schon in ihrem Bauch mit Nikotin verseucht werden.

Ein neuer Morgen, ein neuer Tag. Wieder riss Katarina ein Blatt aus dem Kalender. Heute gab es zum Tagesspruch sogar jede Menge rote Herzchen.

»›Ich würde dich auch umarmen, wenn du ein Kaktus wärst und ich ein Luftballon.‹« Katarina lachte. »Passender Spruch. Nicht mehr lange und ich sehe aus wie ein Luftballon.«

Heute war der Tag, der vierzehnte Februar, Valentinstag. Katarina freute sich. Endlich war es so weit und sie konnte Felix ihr großes Geheimnis offenbaren. Nicht sofort, damit musste sie noch ein paar Stunden warten. Sie würde ihn erst nach der Arbeit sehen, also nicht vor dem Abend.

Den ganzen Tag über war sie aufgeregt. Sie sehnte sich nach dem Feierabend, doch gerade heute war die Zeit wie angestemmt. Alle paar Minuten sah sie auf die Uhr. Wenn sie wenigstens Stress in der Redaktion hätte, aber nicht einmal das war ihr heute vergönnt. Die Artikel waren längst fertig und abgesegnet, was sonst fast immer auf den letzten Drücker erfolgte. Alles lief heute mal besser als planmäßig. Ausgerechnet. Es war die reinste Folter.

Nach gefühlten vierundzwanzig Stunden hatte sie es endlich geschafft. Der Zeiger rückte auf Feierabend. Sie schnappte sich ihre Tasche und lief schnurstracks zur Straßenbahn. Jetzt war ihr nichts wichtiger, als nach Hause zu fahren und Felix zu überraschen.

Auf dem Weg schrieb sie Meike noch schnell eine Whatsapp: ›Hallo Meike, in ein paar Minuten hat die Folter ein Ende. Grins.‹

Meike war gerade online und antwortete umgehend: ›Da bin ich echt gespannt. Hast du es tatsächlich geschafft, bis heute dichtzuhalten?

Na aber, logisch. Ich hoffe bloß, dass Felix in der Zwischenzeit keinen Verdacht geschöpft hat. Er fragt sich ganz sicher schon, ob mit mir etwas nicht stimmt. Ich hab mein Grinsen nicht unter Kontrolle. Lach.‹

Katarina war seit Tagen extrem gut gelaunt. Aber schließlich hatte sie ja auch allen Grund dazu. Nur konnte Felix das nicht wissen, noch nicht.

Wenn du Glück hast‹, schrieb Meike zurück, ›schiebt er deine Überschwänglichkeit auf den Valentinstag. Ich drück dir die Daumen. Und vergiss nicht, ich will alles bis ins kleinste Detail wissen. Zwinker.‹

Katarina und Felix hatten diesem Tag bisher nie Bedeutung beigemessen. Doch er kannte sie gut genug und wusste, für Überraschungen war sie immer zu haben.

Jetzt bog Katarina um die Hausecke. Felix’ Auto stand im Hof. Er war also schon da. Mist. Sie hatte gehofft, noch vor ihm zu Hause zu sein. Sie wollte das Geschenk auf den Tisch stellen und ihn damit überraschen. Das war jetzt nicht mehr zu ändern.

»Hallo Felix, ich bin’s«, rief sie vorsichtshalber, als sie die Wohnungstür hinter sich zuzog.

Sie hörte ihn in der Küche. Er kochte irgendwas. Es zischte und brutzelte.

Ah, er zaubert bestimmt ein Valentinstags-Menü. Hat er den Tag also doch nicht vergessen.

Falls Katarina mit ihrer Vermutung richtig lag, wollte sie ihm die Überraschung nicht verderben.

Prompt kam er aus der Küche gestürmt. Er nahm sie in den Arm und drückte ihr einen flüchtigen Kuss auf die Lippen.

»Setz dich schon mal an den Esstisch, ich komme gleich nach.«

Perfektes Timing. Felix ging zurück an den Herd und Katarina schlich sich ins Schlafzimmer. In ihrem Kleiderschrank, ganz in der hintersten Ecke und von langen Kleidern verdeckt, lag das Geschenk für ihn. Hastig kramte sie es hervor, noch sollte er davon nichts mitbekommen. Doch das war im Augenblick eher unwahrscheinlich. Sie hörte ihn laut pfeifend mit einer Pfanne hantieren, vielleicht war es auch ein Topf. Dennoch beeilte sie sich. Sie klemmte das Paket unter ihren Arm und schloss leise die Tür hinter sich. Auf Zehenspitzen huschte sie flink ins Wohnzimmer.

»Wow, ist das toll.«

Sie war verblüfft, als sie den Raum betrat. Felix hatte sich echt Mühe gemacht. Auf dem Esstisch lag die weinrote Decke. Die holte Katarina normalerweise nur für ganz besondere Anlässe aus dem Schrank wie zum Beispiel Weihnachten. Als hätte es Felix geahnt, was natürlich nicht der Fall war, das hoffte sie zumindest, war heute einer dieser ganz außergewöhnlichen Anlässe.

»Ach, du liebe Güte. Er hat den Tisch sogar mit dem guten Geschirr eingedeckt.«

Vor fünf Jahren, am Tag ihrer Hochzeit, war das ein Geschenk von ihren Eltern.

»Das ist so lieb von ihm.«

Er wusste, dass Katarina an allem hing, was von ihren Eltern kam. Ihre Augen wurden feucht. Sie zwinkerte kräftig und atmete schnell tief durch.

Das muss an der Schwangerschaft liegen, dachte sie. Hoffentlich geht das nicht die ganzen neun Monate so weiter oder zehn, wie Dr. Fleischer sagt. In letzter Zeit fing sie bei jeder Kleinigkeit an zu heulen.

Neben jedem Teller stand ein Glas mit Rotwein. Somit war klar, Felix ahnte nichts von dem Baby. Denn für die nächsten Monate war Alkohol für Katarina tabu. Doch so lange er sein Geschenk noch nicht ausgepackt hatte, würde sie mitspielen und daran nippen, zumindest so tun als ob.

Felix kam ins Wohnzimmer und tischte einen regelrechten Festtagsbraten auf. Er war ein fantastischer Hobbykoch und hatte sich wieder einmal selbst übertroffen. Leider war alles viel zu schnell aufgegessen.

»Felix, das war genial. Aber so ein Aufwand für nur fünf Minuten Gaumenspaß. Ist echt schade.«

Das stand Katarinas Meinung nach in gar keinem Verhältnis zu der vielen Arbeit. Doch Felix machte das nichts aus, er hatte Freude am Kochen.

Es war so weit. Jetzt kam Katarinas Auftritt. Endlich konnte sie ihr Geheimnis mit Felix teilen.

»Ich habe auch etwas für dich.«

Sie verschwand unter dem Tisch und tauchte kurz danach mit einem großen Karton wieder auf. Sie hatte bewusst eine riesige Verpackung gewählt, Felix sollte ruhig ein wenig zappeln.

»Alles Gute zum Valentinstag.«

»Was hast du denn da gekauft«, fragte er neugierig und grinste dabei.

»Eigentlich ist das gar nichts weiter. Nur was ganz Kleines. Vielleicht trotzdem größer, als du vermutest. Genau genommen ist es doch etwas enorm Großes. Na ja, das kann man so oder so sehen. Es ist klein und auch groß.«

Felix fixierte Katarina dabei mit zusammengekniffenen Augen. Als ihr sein Blick bewusst wurde, stoppte sie mitten im Satz ihren Redefluss. Er saß weit zurückgelehnt mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl und amüsierte sich.

»Na, jetzt weiß ich ja genauestens Bescheid«, sagte er und gluckste leise.

»Hey, du machst dich lustig über mich! Mach es auf, dann wirst du schon sehen.«

Felix verdrehte die Augen und presste die Lippen fest aufeinander. Er versuchte das Lachen zu unterdrücken, das jeden Moment aus ihm herausplatzen würde.

»Nun gut«, sagte er, als er sich halbwegs wieder im Griff hatte. »Zeig mal her, was du da hast.«

Er stellte das Paket auf den Tisch. Ratzfatz riss er in groben Fetzen das Geschenkpapier ab und hob den Deckel herunter. Gespannt lugte er hinein.

Ohne Frage, Felix war neugierig. Katarina sah es ihm an, und das freute sie umso mehr.

Entrüstet verzog er den Mund. »Das ist nicht dein Ernst, oder?«

»Doch, doch«, sagte sie. »So einfach sollst du es nun auch wieder nicht haben.«

»Hätte ich mir normalerweise denken können. Typisch für dich.«

Er schüttelte den Kopf. Dann fing er an zu lachen, als er sich wieder über das riesige Paket hermachte und hineinsah. Eine weitere Kiste, sorgfältig verpackt in Geschenkpapier. Er holte sie heraus, hielt sie an sein Ohr und bewegte sie kräftig hin und her. Doch Katarina hatte vorgesorgt und den Inhalt ordentlich mit dicken Papierknäueln gepolstert. Felix sollte auf keinen Fall über den Inhalt spekulieren können.

Sie hatte sein Geschenk in einem Matroschka-System verstaut und er packte nun nacheinander Kiste für Kiste aus. Inzwischen hatte er sich bis zur fünften vorgearbeitet.

»Bist du dir sicher, dass ich hier drin auch noch was Brauchbares finde und nicht nur Kisten?«

»Hm. Also langsam bekomme ich auch schon so meine Zweifel«, sagte sie und rieb sich dabei frech grinsend das Kinn. »Möglich, dass ich nur geträumt habe, ich hätte etwas hineingetan. Versuch’s einfach weiter, wirst ja sehen.«

Knurrend stieß Felix die Luft aus und drehte schließlich das letzte Päckchen in seiner Hand.

»Mit wie vielen muss ich denn noch rechnen?«

Katarina hob nichtsahnend die Schultern und sah ihn unschuldig mit vorgeschobener Unterlippe an.

»Aha, das ist also das letzte«, sagte Felix. »Du hast dich soeben verraten. Ich seh’s an deinen Augen und diesem schamlosen Grinsen.«

Er riss das Papier ab und klappte den Deckel auf.

»Na da ist doch was.«

Er nahm das Kunststoffding heraus und stutzte.

 

»Hm, was soll das denn sein? Ist das ein Fieberthermometer? Das soll ich mir wohl in den Po stecken.«

Er feixte. Nein, damit konnte er nun wirklich nichts anfangen.

»Du willst mich verarschen, oder? Moment, hier ist ja noch was anderes versteckt. Zeig mal her.«

Er legte das Stäbchen mit den roten Strichen zur Seite und griff nach dem Stück Papier, das ganz unten in dem Päckchen lag.

»Da steht nichts drauf und mehr ist in der Schachtel nicht drin.« Verwundert sah er zu Katarina. »Also, klär mich mal auf.«

»Keine Ahnung. Vielleicht drehst du es einfach mal anders herum.«

Er schaute auf die Rückseite. Keine Reaktion. Er starrte nur auf den Zettel und sagte kein Wort. Weder zu dem, was da geschrieben stand, noch zu dem Bild, das darauf zu sehen war.

Oje, er freut sich nicht darüber. Vielleicht fühlt er sich überrumpelt.

Katarina wurde zunehmend nervös. Er hatte in der letzten Zeit nun schon mehrmals erwähnt, er wäre allmählich zu alt für ein Kind.

Scheiße. Und was nun?

Wie versteinert saß Felix da und starrte regungslos auf das Ultraschallbild. Katarina hatte zusätzlich eine Sprechblase oben drüber gesetzt. Nur zur Sicherheit, man konnte ja nie wissen. Schließlich hatte sie bei Dr. Fleischer auch ewig auf dem Schlauch gestanden.

In der Sprechblase standen folgende Worte: Hallo Papi, ich komme!

»Du meine Fresse«, stöhnte er kaum hörbar etliche Sekunden später. Schwerfällig hob er den Kopf und sah Katarina völlig entgeistert an. »Das ist doch nicht etwa das, was ich denke?«

Sie nickte verunsichert. Seit Felix in das kleine Päckchen gegriffen hatte, hielt sie schon die Luft an und wagte noch immer kaum zu atmen.

»Du bist schwanger?«, flüsterte er.

Wieder nickte sie. Er sah zurück auf das Foto, konnte aber kaum etwas erkennen. Abrupt wischte er mit dem Handrücken über seine Augen. Er hatte gar nicht bemerkt, dass ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Jetzt schaute er etwas genauer auf das Foto und berührte mit dem Zeigefinger ganz sacht die kleine Bohne. Dann sprang er ruckartig auf, riss Katarina in seine Arme und presste sie fest an sich.

»Das ist das beste Geschenk, das du mir überhaupt je gemacht hast.«

»O Gott, und ich dachte schon, du bist sauer.«

Katarina und Felix hatten es geschafft. Am zehnten November sollten sie endlich Eltern werden.


Umstände machen glücklich, manchmal auch seltsam

Katarina schwebte auf Wolke sieben. Sie war glücklich. Das wiederum machte Felix glücklich. Und da jetzt beide glücklich waren, konnte von nun an alles nur noch besser werden. Ihre Bilderbuchfamilie rückte in greifbare Nähe. Hinzu kam, sie war mit einem Mal etwas ganz Besonderes: Sie war schwanger.

Das bekam sie ganz deutlich bei ihrer Schwiegermutter Elsbeth zu spüren. Und das grenzte wahrhaftig an ein Wunder. Katarina kannte sie inzwischen viele Jahre, quasi schon seit sie und Felix zusammen waren. Deshalb fielen ihr selbst die kleinsten charakterlichen Veränderungen an ihr auf. Und von dem Augenblick an, seit Katarina schwanger war, war Elsbeth auf wundersame Weise geradezu wie umgewandelt.

Sie hatte von ihrer Schwiegermutter Sprüche erwartet wie: ›Katarina, hab dich nicht so, du bist schwanger und nicht krank‹ oder ›Spielen die Hormone mal wieder verrückt‹, ›Mein Gott, hast du viel zugelegt‹.

So kannte sie Elsbeth bisher, sie war permanent am Sticheln. Ein echtes Schwiegermonster. Es gab die ein oder andere Ausnahme, natürlich, aber die konnte Katarina an einer Hand abzählen.

Doch jetzt, seit sie schwanger war, hatte sich Elsbeth derart verändert, dass sie sich plötzlich freundlich verhielt, teilweise sogar herzlich. Hatte ihr etwa jemand eine Gehirnwäsche verpasst? Bitter nötig hatte sie es jedenfalls. Katarina war irritiert und verhielt sich erst einmal vorsichtig. Das war sie von Elsbeth einfach nicht gewöhnt. Sie traute diesem Sinneswandel nicht recht, aber es blieb dabei. Ihre Schwiegermutter hatte sich von einem Monster in einen nahezu beinah netten Menschen verwandelt.

»Wie lange wird das wohl so bleiben«, fragte Katarina. »Ich traue dem Frieden nicht.«

»Keine Ahnung, was in meine Mutter gefahren ist«, sagte Felix. »Vielleicht nimmt sie neuerdings Drogen.«

Katarina und Felix kicherten bei dieser Vorstellung.

»Oder mein Vater hat ihr endlich mal die Meinung gegeigt und sie hat’s kapiert. Schwer vorstellbar, aber manchmal geschehen noch Wunder.«

Katarina war zwar ein Träumer, aber nicht blauäugig und sie wusste, in ein paar Monaten wäre es mit der Schwangerschaft vorbei. Dann würde sich Elsbeth garantiert zurückverwandeln. Sie glaubte nicht daran, dass sich ihre Schwiegermutter tatsächlich ändern würde. Eher flösse Wasser bergauf und Schweine könnten fliegen.

Katarina war ein Schwangerschaftsneuling. Was das hieß? Jedenfalls nichts Gutes. Denn schon kurz nachdem alle Welt erfahren hatte, sie würde ihr erstes Baby bekommen, da geriet sie mitten zwischen die Fronten der weisesten aller Frauen – den Müttern. Das war unumgänglich und auch nicht anders zu erwarten. Schutzlos wurde sie von allen Seiten mit guten Ratschlägen katapultiert. Genau das, was sie eigentlich vermeiden wollte.

Am Mittwoch traf sie zufällig Elli und Paula in der Straßenbahn.

»Meine Güte, Katarina«, rief Elli und schlug sich die Hand vor den Mund. »Wenn ich nicht wüsste, dass du schwanger bist, würde ich glatt denken, du wärst fett geworden. Du bist jetzt in ’ner echt üblen Übergangsphase. Vielleicht versuchst du es mal mit anderen Klamotten.«

»Wenn du so schnell dick wirst, musst du deinen Bauch unbedingt regelmäßig mit Öl massieren, sonst hast du später Schwangerschaftsstreifen. Und glaub mir, die willst du nicht. Damit kannst du dich nie wieder im Bikini zeigen.«

Na klar, Paula musste ihren Senf auch dazugeben. Dabei war Katarina gerade mal in der sechzehnten Woche und hatte vier Kilo zugenommen.

»Du musst jetzt viel Vitamine zu dir nehmen, sonst entwickelt sich das Baby nicht optimal. Aber auch nicht zu viel, wenn es zu groß wird, passt es nicht unten durch. Dann erlebst du die Hölle bei der Geburt. Und das ist sie sowieso, das kann ich dir jetzt schon versprechen.«

Diesen blöden Spruch hörte sie vergangene Woche von Sandra. Und so ging das in einer Tour.

Katarina hasste es, sich von irgendjemandem auch nur irgendeinen Ratschlag geben zu lassen. Sie war immerhin fünfunddreißig Jahre und kein Kleinkind. In dem Alter musste sie sich nichts mehr vorschreiben lassen, das nervte einfach und brachte sie auf die Palme. Selbst von fremden Omis im Supermarkt durfte sie sich derartige Reden anhören. Glaubten denn alle, sie konnten sich jedes Recht herausnehmen, nur weil sie schwanger war? Auf was für einem Affenplaneten war sie hier überhaupt? Manchmal konnte Katarina nicht mehr an sich halten und ihr platzte der Kragen. Dabei fiel dann auch schon mal das ein oder andere böse Wort.

»Das will ich gar nicht hören.«, sagte sie, sobald dieses Thema zum Gespräch wurde. »Und zwing doch bitte deine Meinung denen auf, die das möchten. Ich bin dafür die Falsche.« Sie hielt sich die Ohren zu, drehte sich um und ließ ihr Gegenüber einfach stehen.

Ihre Verärgerung darüber steigerte sich mit jeder Woche ihrer Schwangerschaft. Und so nach ungefähr sechs Monaten wagte kaum noch jemand, sie darauf anzusprechen.

Katarina hasste solche Klugscheißer schon immer. Die hatten in ihrem Leben bereits Unmengen erlebt, eigentlich alles, und kannten sich mit jeder Situation aus.

Leider gehörte Meike auch zu diesen Weisen. Seit zehn Minuten standen sie und Katarina vor dem Haus und schwatzten miteinander.

»Wenn es so weit ist«, sagte Meike gerade, »weiß eine Frau instinktiv, was zu tun ist. Oder was glaubst du, wie die das im Busch machen?«

»Ja, ganz großartiger Spruch. Ich bin aber hier nicht im Busch und von gestern bin ich auch nicht. Und falls du es selber nicht merkst, manchmal gibst du nur dämliches Zeug von dir.«

Katarina hatte genug. Sie ließ jetzt Meike genau wie alle anderen einfach stehen und ging. Seit sie schwanger war, hatte sie sich nur noch schwer im Griff. Ihre Hormone spielten komplett verrückt.

»Die bringt mich noch total zur Raserei«, wetterte sie vor sich hin.

Zu Hause warf sie sich auf ihre Couch und boxte frustriert ins Kissen. »Na bestens«, fluchte sie. »Wenn das so weitergeht, habe ich bald keine Freunde mehr.« Doch was sollte sie tun? »Mein Gott, soll ich mir mit fünfunddreißig etwa noch erklären lassen, wie das mit dem Kinderkriegen funktioniert oder wie ich mit einem Baby umgehen muss? Und vielleicht noch dies und jenes und wo der Hund drauf geschissen hat?«

Dummerweise war Katarinas Wissen über Geburt und Babys tatsächlich etwas geringer, als sie anderen weismachte. Dafür hatte sie sich einfach nie wirklich interessiert, warum auch. Das gab sie natürlich nicht zu. Sie wollte sich schließlich nicht lächerlich machen. Außerdem war es ihr unangenehm. Das mussten aber Freunde und Kollegen nicht unbedingt erfahren.

Und damit das nicht herauskam, informierte sie sich heimlich. Sie war nicht komplett ahnungslos, das wäre zu dick aufgetragen. Grundsätzlich wusste sie schon Bescheid. Das Wissen, das sie darüber hatte, reichte vollkommen zu. Normalerweise! Doch in diesem Fall war es keine normale Situation. Sie selbst war jetzt schwanger und zudem diejenige, die das Baby bekommen würde. Sie wollte nichts falsch machen und auch nicht oberflächlich sein. Dieses Baby hatte sie sich so sehr gewünscht, es sollte ihm gutgehen und an nichts fehlen.

Darum ergatterte Katarina jede Babyzeitschrift, die sie bekommen konnte, und studierte sie von vorn bis hinten. Dumm nur, wenn sie mal wieder einen Packen unterm Arm nach Hause schleppte und gerade dann einer ihrer Freundinnen begegnete.

»Ach das ganze Zeug hat mir Dr. Fleischer aufgedrückt«, flunkerte sie dann.

Diese Ausrede funktionierte immer. In Sachen Baby versuchte sie sich lässig wie ein alter Hase zu geben, der alles wusste und nichts mehr dazulernen brauchte.

Katarina achtete jetzt viel mehr auf ihre Gesundheit. Alkohol und Nikotin waren tabu. Dafür bekam ihr Baby nun viele gute Nährstoffe durch ausreichend Obst und Gemüse. Allerdings legte nicht Katarina fest, was und wie viel gegessen wurde. Das übernahmen von Anfang an ihre Hormone.

Während der ersten Wochen gab’s etwas richtig Gesundes. Tomaten. Die enthielten jede Menge Vitamine und sogar Eisen und Folsäure. Klar, andere Menschen aßen die auch täglich. Das war also nichts Besonderes.

»Viele Leute essen gern Tomaten«, rechtfertigte sie sich vor Felix, als er ins Zimmer kam.

Er sah sie belustigt an. Dann wanderte sein Blick nach unten auf die Tomaten, die vor ihr lagen. Skeptisch fragte er: »Meinst du nicht, mehrere Kilo am Tag sind etwas seltsam?«

»Da hast du recht und ich kann dir nicht widersprechen. Aber die sind so unglaublich lecker. Ich kann einfach nicht aufhören zu essen.«

Dann kam die nächste Phase. Tomaten waren out. Auf dem Speiseplan standen ab sofort Salatgurken. Am besten waren die großen, dicken, dreißig Zentimeter langen. Bei denen konnte sich Katarina nicht beherrschen. Fünf, sechs Stück verdrückte sie davon wenigstens – täglich.

Nach ein paar Wochen endete diese Phase genauso abrupt, wie sie gekommen war. Die nächste begann. Ständig hatte Katarina neue Gelüste, die sich immer über einen längeren Zeitraum hinzogen. Besonders gierig war sie auf Schmelzkäse. Der war zwar nicht so gesund, aber was sollte sie dagegen tun. Ihr waren in dem Fall die Hände gebunden. Sie fühlte sich wie ein Roboter, der von Hormonen gesteuert wurde.

Von einem Tag auf den anderen war sie dann plötzlich angewidert von Schmelzkäse, und das ist noch heute so.

Darauf entdeckte sie ihre Vorliebe für Melonen, danach waren Nugatkekse und Nussecken an der Reihe und so ziemlich zum Schluss Nudeln mit Käse. Ihre sogenannten Phasen bewegten ganz langsam von gesund zu ungesund, sprangen über von wenig Kalorien zu vielen Kalorien und schließlich zu massenhaft Kalorien. Aber die letzte und verheerendste Phase waren die kugelrunden und mit Marmelade gefüllten Berliner. Denn diese entpuppten sich als schonungslose Killer ihrer Figur. Sie verputzte locker sechs Stück am Tag. An einem Tag! Das konnte nicht gutgehen.

 

Die Zeit raste. Inzwischen war es August und Katarina im siebten Schwangerschaftsmonat. Es war wie verhext. Sie ersehnte sie die Entbindung, einerseits. Nein, nicht die Entbindung, sie ersehnte ihr Baby. Sie wollte es endlich im Arm halten und wissen, wie es aussehen würde. Bestimmt wunderhübsch.

Andererseits wollte sie noch ein kleines bisschen schwanger bleiben und die Zeit genießen. Zum Teil tat sie das auch, denn sie war noch immer etwas Besonderes, und das fühlte sich verdammt gut an. Doch so allmählich wurde ihr das Gewicht lästig, obwohl ihr Bauch bis jetzt wenig sichtbar war. Dennoch fühlte sie sich behäbig, ungelenk und hatte scheußlich starke Ischias-Schmerzen. Außerdem musste sie alle paar Minuten zur Toilette, und das nervte.

»O mein Gott«, keuchte sie. Sie stand vor dem Spiegel und sah entsetzt an sich herab. »Vor Kurzem war ich noch so schön schlank. Und jetzt? Ich bin eine fette Qualle, verdammt.« Sie betrachtete sich von der Seite. »Mein Bauch könnte noch etwas dicker werden. Nur bitte nicht der Rest.«

Nackt war ihre Schwangerschaft nicht zu übersehen, nur war es eher unwahrscheinlich, dass sie so durch die Straßen laufen würde. Sie kicherte über diese Vorstellung. Dann ließ sie das weite, luftige Kleid zurück über ihre Hüften fallen.

»Ich sehe aus wie eine Tonne.«

Deprimiert verzog sie das Gesicht. So wollte sie niemals aussehen. Wenn doch nur ihr Bauch besser zu sehen wäre. Sie strich das Kleid glatt, so dass es straff war und komplett anlag.

»Ja, so sehe ich schon eher nach schwanger aus.«

Sie befand sich momentan in einem Stadium, in dem ihr Babybauch zwar vorhanden war, aber nicht offensichtlich zu sehen für Außenstehende. Zumindest glaubte sie das. Woher sollte sie auch wissen, wie andere sie sahen.

»Katarina«, sagte sie zu ihrem Spiegelbild, »du bist unförmig, geradezu fett. Ja, genau das denken all die Leute auf der Straße. ›Seht euch die an, die frisst zu viel, die platzt bald.‹«

Anderen spukten ja immer irgendwelche Gemeinheiten im Kopf herum.

»Das kann dir aber egal sein.«

Super Ratschlag. Den verteilte sie nämlich gern an andere. Bei ihr selbst hatte dieses ›mir egal, sollen die doch denken, was sie wollen‹ noch nie funktioniert, leider. Auch das war ein Grund, aus dem sie sich das Ende ihrer Schwangerschaft herbeisehnte.

Seit Katarina Dr. Fleischer das erste Mal aufgesucht hatte, nahm sie nun ganz regelmäßig Termine wahr. Früher hatte sie sich bei ihrer Gynäkologin nur ein einziges Mal pro Jahr durchchecken lassen. Und jetzt musste sie jeden Monat erscheinen. Das war echt lästig. Den Doktor sah sie inzwischen öfter als ihre Freunde, doch er bestand darauf, um sicherzugehen, dass es dem Baby gutging. Das wollte sie natürlich auch. Nur verabscheute sie generell jegliche Art von Arztbesuchen. Aber Dr. Fleischer entschädigte sie dabei jedes Mal mit einem neuen Foto von ihrem kleinen Schatz. Und das war ihr die Zeit wert. Darauf freute sie sich vorher schon.

Nach der Untersuchung nahm Katarina im Sprechzimmer Platz.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte der Doktor und notierte nebenher die heutigen Daten in ihrem Mutterpass. »Ihr Baby hat sich zeitgemäß gut entwickelt.«

Gott sei Dank, dachte sie und streichelte unbewusst über ihren Bauch.

»Nehmen Sie schon an einem Geburtsvorbereitungskurs teil?«

Hä? Was? Im Leben nicht, dachte sie und sagte zur Antwort laut: »Nein.«

»Das sollten Sie aber.«

Dr. Fleischer riss ein Blatt von seinem bunten Zettelklotz und kritzelte darauf irgendwas in Doktorschrift, also nichts Lesbares.

»Hier, bitte.« Er drückte Katarina das Papier in die Hand. »Das ist die Adresse von einem Geburtshaus. Dort finden solche Kurse statt. Gehen Sie mal hin und schauen sich das Ganze an. Die Hebammen da machen das wirklich toll und eine Erfahrung mehr kann nicht schaden. Meinen Sie nicht?«

»Ich überlege es mir«, sagte Katarina, dachte aber genau das Gegenteil.

Ihr war egal, dass sie außer der Telefonnummer und dem Namen dieses Hauses kein Wort entziffern konnte. Wo der Kurs genau stattfand, interessierte sie nicht. Sie würde da sowieso nicht hingehen. Diesen Firlefanz kannte sie aus dem Fernsehen. Dort saßen und lagen die Schwangeren auf dem Boden herum und hechelten. Das war doch albern. Meditieren und in den Bauch atmen, eine Kleinigkeit mit ein bisschen Konzentration, nichts weiter. Dafür brauchte sie doch keine Anleitung. Das war für Katarina seit Langem schon zu einem Ritual geworden. Wenn sie in ihrer Badewanne lag, hörte sie Entspannungsmusik und konnte dabei wunderbar abschalten. Kein Grund, um extra zu einem Kurs zu rennen. Alles nur reine Zeitverschwendung.

Katarina dankte Dr. Fleischer, packte die Adresse in ihre Tasche und verabschiedete sich.

»Wir sehen uns dann in vier Wochen«, sagte er und reichte ihr die Hand.

Mit dem Geburtsvorbereitungskurs wollte ihr der Doktor ganz bestimmt etwas Gutes tun. Das war auch sehr nett von ihm. Doch wie sich die Geburt tatsächlich anfühlen würde, konnte ihr dieser Kurs auch nicht vermitteln, nicht reell.

Das war eine Sorge, die Katarina wirklich quälte. Ihr war klar, dieser Tag würde unweigerlich kommen. Und das war nicht einmal mehr so lange hin. Sie hatte niemanden, mit dem sie über ihre Bedenken reden konnte. Dämliche Sprüche hörte sie schon genug von allen Seiten: So ist der Lauf der Dinge, drin geblieben ist noch kein Kind. Was hineingekommen ist, muss auch wieder heraus. Und wenn es ein Affe wird, hüpft er gleich hoch auf die Gardinenstange. Ihr habt es doch so gewollt usw. Auf diese Art von Kommentaren konnte sie gut und gern verzichten.

Sie hatte über die Entbindung auch schon so einige andere schlimme Geschichten gehört, welche natürlich die Mütter selbst erzählten. Sie schilderten die reinsten Horrorszenarien. Frauen müssten während der Geburt höllische Schmerzen erleiden, immer, und das über zig Stunden hinweg. Es würde sich so anfühlen, wie bei lebendigem Leibe auseinandergerissen zu werden. Ach ja? Woher kannten sie dieses Gefühl denn. Bestimmt waren sie eine Wiedergeburt.

Auch wenn sich Katarina bei solchen Geschichten an den Kopf fassen musste, lief es ihr dennoch kalt den Rücken herunter. Und manchmal kam ihr eben diese Geschichte in den Sinn, wie gerade jetzt. Dabei dachte sie an die Vierteilung aus dem Mittelalter und sah sich selbst zwischen vier Pferden hängen. Hände und Füße mit einem Seil an die Tiere gebunden. Ein Knall. Die Pferde galoppierten in verschiedene Richtungen.

Katarina schrak zusammen und quiekte auf.

»Blöde Rostlaube«, schimpfte sie.

Das Fahrzeug, an dem sie gerade vorbeiging, hatte eine Fehlzündung. Hektisch wedelte sie mit der Hand vor ihrem Gesicht herum. Ihr Puls raste durch diesen Schreck, vor allem aber musste sie schnell die gruseligen Bilder verscheuchen.

Katarina hatte diese Schauermärchen schon früher gehört. Hoffentlich waren es tatsächlich einfach bloß Märchen, oder doch nicht? Vielleicht war es die Wahrheit. Woher sollte sie das auch wissen, sie war noch nie in dieser Situation. Derartige Geschichten hatten sicherlich dazu beigetragen, ihr Unterbewusstsein von einer Schwangerschaft abzuhalten. Davon war sie jetzt fest überzeugt. Denn eines war Fakt: Um Schmerzen zu ertragen, war Katarina einfach nicht geschaffen.

Bis es so weit war, hatte sie zum Glück noch ein paar Monate Zeit. Im Augenblick wollte sie auch nicht länger darüber nachdenken.