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Always Differently

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Aus der Reihe: Always Differently #1
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Mehr und mehr wurde ihr bewusst, wie schwer diese Probleme bis heute ihren Kopf belastet hatten. Genau das war die Ursache, warum sie bisher überhaupt nicht den Hauch einer Chance gehabt hatte, schwanger zu werden. Dessen war sie jetzt sicher.

Doch das sollten nicht die einzigen schwerwiegenden Probleme sein. Ein weiteres war ganz klar ihre Psyche. Seit ihrem letzten Geburtstag erinnerte sie ihre innere Stimme täglich daran, dass sie alt wurde, auf die Vierzig zuginge und noch immer kinderlos sei. Das tat nicht nur weh, Katarina war verdammt noch mal am Verzweifeln.

Sie dachte an ihre Freunde und die Kollegen. Was, wenn ihr Gerede nicht nur nervendes Blabla gewesen war, sondern Tatsache? Sie wagte kaum, diese Theorien näher in Erwägung zu ziehen. Fakt war, auch wenn sie es nicht darauf angelegt hatte: Nach dreizehn langen Jahren, ohne Verhütung, wäre jede Frau trotz aller Probleme schwanger geworden.

»Nicht ich, warum? Was stimmt nicht mit mir? Ganz sicher ist da etwas nicht in Ordnung, das liegt nicht nur an meinem Kopf.«

Jetzt hatte sie den Stein ins Rollen gebracht. Die Wahrheit lag auf dem Tisch. Aus dem winzigen Körnchen, dem sie bisher kaum Beachtung geschenkt hatte, war plötzlich ein großer, harter Klumpen geworden, der nun schwer auf ihre Seele drückte.

An Felix konnte es nicht liegen. Er hatte bereits bewiesen, dass er zeugungsfähig war. Und das nicht nur ein Mal. Das war, bevor sie sich kennenlernten.

»Demnach liegt es an mir. Irgendetwas stimmt mit mir nicht, dazu habe ich eine Menge Probleme und die Jüngste bin ich auch nicht mehr.« Zwangsläufig fragte sie sich: »Wie viele Frauen bekommen in meinem Alter überhaupt noch ein Kind?«

Natürlich gab es auch wesentlich ältere Mütter, das war selbst Katarina klar. Und laut Statistik waren die meisten Frauen bei der Geburt ihres ersten Kindes bereits über dreißig. Aber um Himmels willen, zu denen wollte sie nie zählen!

»Was soll ich nur tun?«, jammerte sie und mit jedem weiteren Tag stieg ihre Verzweiflung.

Sollte sie besser aufgeben und keine dieser alten Mütter werden? Dann wären ihre Probleme mit einem Schlag gelöst. Doch was würde aus ihrer Bilderbuchfamilie werden? Es würde genau das eintreten, wovor sie sich immer gefürchtet hatte. Ihr Traum würde zerplatzen wie eine Seifenblase.

»Nein! Ich werde nicht aufgeben. Träume sind dafür da, um sie wahr werden zu lassen.«

Katarina fasste neuen Mut und setzte das Wort Baby ganz oben auf ihre Liste, und zwar in die rechte Spalte direkt gegenüber ihren Ängsten.

»Scheiß auf Kontra. Ich lasse es jetzt einfach drauf ankommen und vertraue dem Rat, dass es sich schon irgendwie finden wird. Schließlich müssen diese Reden von irgendwo herrühren. Ich hoffe einfach mal, dass da etwas Wahres dran ist. Und sollte ich womöglich aus körperlichen Gründen nicht schwanger werden, ist die linke Spalte mein geringstes Problem.«


Nägel mit Köpfchen

Katarina wusste, mit Mitte dreißig war Zeit ihr ärgster Feind. Der Zeiger ihrer biologischen Uhr stand auf fünf vor zwölf und mahnte zu höchster Eile. Sie war bereit zu handeln und alle Möglichkeiten auszuschöpfen. Das war sie ihrer kleinen Bilderbuchfamilie schuldig.

Doch so viele Mittel und Wege standen gar nicht zur Verfügung. Das eine war der Gang zum Arzt, das andere intensive Arbeit mit Felix. Sie entschied sich, mit letzterer Methode zu beginnen. Und zwar täglich, ab jetzt.

Für Felix war ihr Entschluss nahezu ein Fest, fast schon wie Weihnachten und Ostern zusammen. Während für Katarina der Erfolg im Vordergrund stand, arbeitete er zu seinem Vergnügen und vergnügte sich zugleich bei der Arbeit. Seit Wochen kam Felix nun voll und ganz auf seine Kosten. Katarina dagegen hoffte von einem Monat zum nächsten.

Heute war es wieder so weit. Der Tag ihrer Periode stand bevor. Bereits nach dem ersten Weckerklingeln an diesem Morgen konnte sie an nichts anderes mehr denken. Sie lag regungslos im Bett und horchte in sich hinein.

Keine Bauchschmerzen und kein Ziehen in der Brust, das ist schon mal gut. Fühlt sich auch alles trocken an.

Sie stand auf und ging ins Bad. Dabei hoffte und betete sie darum, zu wem wusste sie selbst nicht recht, das war ihr auch egal, dass die Periode dieses Mal bitte ausbleiben möge. Sie setzte sich auf die Toilette und riss ein Stück Papier ab.

»Okay, dann mal los, Vorhang auf.«

Aus Angst vor der möglichen Enttäuschung hielt sie für einen Moment die Luft an.

»Puh«, erleichtert atmete sie wieder aus, als sie das Ergebnis sah. »Nichts.«

Nichts war gut, ein kleiner Funken Hoffnung. Jetzt bloß nicht durchdrehen und zu früh freuen. Diesen Schlag ins Gesicht brauchte sie nicht schon wieder. Davon hatte sie in den letzten Monaten genug. Sie musste sich beherrschen und erst einmal abwarten, nur war das genau das Schwierige an der ganzen Sache. Abwarten gehörte nämlich nicht gerade zu ihren Stärken.

Dem nächsten Tag fieberte sie förmlich entgegen. Und sie hatte Glück, wieder meinte es das Schicksal gut mit ihr. Denn er lieferte das gleiche Resultat, ebenso der übernächste.

Katarina benahm sich wie ein Flummi. Sie war aufgeregt und völlig aus dem Häuschen, obwohl sie erst den dritten Tag über der Zeit war. Aber sie wusste nur zu gut, das besagte noch rein gar nichts. Darum behielt sie dieses Geheimnis vorerst für sich. Sie wollte ganz sicher sein, bevor sie Felix davon erzählte.

Doch insgeheim schwebte sie schon auf Wolke sieben und konnte ihr großes Glück kaum fassen. Wieder hatte sie ihr kleines Mädchen mit den hüpfenden Zöpfen vor Augen. Sie freute sich so sehr darauf. Nicht mehr lange und sie würde ins Babykaufhaus gehen und den ersten Strampler kaufen, vielleicht auch ein Paar von den kleinen Schühchen.

Noch am selben Abend verpuffte ihre Euphorie.

»So ein Mist«, fluchte sie leise.

Ihr monatlicher Dauergast war zwar sehr spät dran, kehrte aber plötzlich und unerwünscht zurück.

Katarina war am Boden zerstört. Es hatte wieder nicht geklappt. Das wievielte Mal? Sie wusste es nicht. Irgendwann hatte sie aufgehört zu zählen.

Sie saß im Bad auf dem schneeweißen Deckel ihrer Toilette, das Gesicht in die Hände gestützt und dachte nach. Felix hatte bereits Kinder, aber sie wurde nicht schwanger, egal wie oft sie Sex hatten. Hm, das konnte jetzt nur noch eines bedeuten.

»Ich kann keine Kinder bekommen, mit mir stimmt was nicht.«

Ihre Kehle wurde eng und ihr Kinn zitterte. Gleich würde sie wieder losheulen.

»Das bringt doch alles nichts.« Sie sprang auf und herrschte ihr Spiegelbild an. »Jetzt ist Schluss!«

Es war nun an der Zeit, endlich einen anderen Weg einzuschlagen. Selbst wenn dies bedeuten sollte, die grausame Wahrheit schriftlich schwarz auf weiß zu bekommen. Dann würde sie wenigstens wissen, woran sie war und konnte einen Haken an dieses hoffnungslose Unterfangen setzen. Mit ein wenig Glück, würde auch ihre innere Stimme endlich mit dieser ewigen Stänkerei aufhören.

»Zögern, Warten und Hoffen, das ist hiermit offiziell beendet.«

Sie nickte sich fest entschlossen zu und griff zum Telefon, bevor sie es sich doch noch anders überlegen und feige davonlaufen würde.

Erst neulich hatte Katarina im Netz nach einem Gynäkologen für sich gesucht. Selbstverständlich war es nicht das erste Mal, dass sie einen aufsuchen würde. Sie ging schon immer regelmäßig zur Untersuchung. Schließlich wurde sie dazu von ihrer Krankenkasse in Form eines recht netten Briefes aufgefordert, oder eher darauf aufmerksam gemacht. Es war nur ein freundlich gemeinter Hinweis. Und den befolgte sie gewissenhaft. Immerhin konnten kostspielige Operationen und Chemotherapien durch regelmäßige Untersuchungen begrenzt werden.

Ihre bisherige Ärztin war vor ein paar Monaten weggezogen, daher brauchte Katarina einen neuen Anlaufpunkt. Nach gründlicher Recherche fiel ihre Wahl auf Dr. Fleischer. Entgegen seines Namens waren die Bewertungen über ihn durchweg ausgezeichnet.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, es war bereits nach 18.00 Uhr. Hoffentlich erreichte sie noch jemanden in der Praxis. Sie tippte rasch die Nummer ein. Perfektes Timing, heute war bis 19.00 Uhr Sprechstunde. Katarina erklärte ihr Anliegen und kurz darauf war der Termin gemacht.

»Vielleicht hat Annerose doch recht«, überlegte sie laut, »und ich leide tatsächlich an inneren Fehlbildungen.«

Zumindest glaubte sie inzwischen selbst, dass bei ihr möglicherweise etwas nicht richtig funktionierte.

»Wenn ich Glück habe, ist es nur ein kleines Problem und schnell zu beheben.«

Davon ging sie erst einmal aus. Sie wollte sich nicht selbst verrückt machen, verzweifelt war sie auch so schon genug. Also bewahrte sie bis zu diesem Termin die Ruhe, etwas anderes brachte sowieso nichts.

Das hatte sich Katarina jedenfalls vorgenommen, aber es klappte nicht. Es war wie verhext. Mit einem Mal hörte und las sie in sämtlichen Medien von unzähligen Paaren, die seit vielen Jahren alles daransetzten, ein Baby zu bekommen. Sie hatten ebenfalls Probleme, schwanger zu werden. War das irgendein neuartiges Phänomen oder war sie bisher nur taub für derartige Schlagzeilen? Keine Ahnung. Wie auch immer. Fakt war, überall gab es plötzlich nur noch ein Thema, und zwar künstliche Befruchtung. In nicht seltenen Fällen schlug selbst dieser Versuch fehl. Wie sollte sie da ruhig bleiben, bis sie Gewissheit hatte?

Sie war genervt von der andauernden Warterei, das machte sie ganz krank, es war kaum auszuhalten. Nur noch ein paar Tage, doch die zogen sich unendlich hin wie weicher Kaugummi.

 

In dem einen Moment war Zeit ein Freund im nächsten ein Feind. Für Katarina war sie heute ein Freund. Ihr Termin stand bevor. Gott sei Dank, die Tage der Folter waren überstanden.

Sie war aufgeregt und völlig neben der Spur. Einen klaren Gedanken zu fassen, schien beinah unmöglich. Das hatte sie für den heutigen Tag längst abgehakt.

Sie saß im Wartezimmer, total hilflos und allein. So jedenfalls kam sie sich vor. Immer wenn der Gong für die nächste Patientin ertönte, zuckte sie zusammen. Zwei geschlagene Stunden ging das so. Es gongte – sie zuckte, es gongte – sie zuckte.

Ein erneuter Gongschlag, wieder erschrak sie. Doch dieses Mal war sie tatsächlich an der Reihe. Sie wurde aufgerufen.

»Frau Katarina Hanselmann-Breuer, ins Sprechzimmer Nummer zwei bitte.«

Katarinas Anspannung wuchs, sofern das überhaupt noch möglich war. Doch eine Gewissheit hatte sie schon jetzt. Sie wusste, wenn sie dieses Zimmer in ein paar Minuten wieder verlassen würde, veränderte sich ihr komplettes, künftiges Leben. Nur die Richtung war noch unklar.

Aber alles kam ganz anders. Das hatte sie so nicht erwartet. Nicht einmal im Traum hätte sie mit so was gerechnet, darum war sie völlig überrascht.

Sie klopfte an die Tür zum Sprechzimmer.

»Ja«, rief drinnen jemand, vermutlich der Doktor.

Er saß hinter seinem Schreibtisch, als Katarina eintrat, und studierte eine Akte.

Anscheinend meine, dachte sie. Er verschafft sich über mich einen Überblick.

Sie war heute zum ersten Mal bei ihm. Das machte sie etwas unsicher. Doch war nicht das der eigentliche Grund, sondern ihr Anliegen.

Auf den ersten Blick schätzte sie ihn grob um die sechzig, also ein ganzes Stück älter als sie selbst. Sein Haar war schon ziemlich licht, ein ergrauter spärlicher Rest, der als dünner Kranz um seinen sonst kahlen Schädel lag.

»Da sind Sie ja«, sagte er. Er legte die Akte beiseite und warf ihr einen strengen Blick über den Rand seiner Brille entgegen.

Katarina war sich keiner Schuld bewusst, dennoch fühlte sie sich wie ein gescholtenes Schulkind. Jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie ging auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Der erste strenge Eindruck verflog, als er die Brille abnahm und lächelte. Heimlich atmete Katarina auf. Sie war erleichtert. Dr. Fleischer wirkte jetzt beinah fürsorglich und sie fühlte sich in seiner Obhut zunehmend wohler.

»Setzen Sie sich doch.«

Freundlich wies er auf den Stuhl, der vor seinem Schreibtisch stand. Sie nahm Platz.

»Nun gut, Frau Hanselmann-Breuer, was führt Sie denn zu mir?« Seine Stimme war tief und kräftig, aber trotzdem angenehm.

Katarina knetete ihre Hände im Schoß. Sie war schon wieder total nervös und wusste: So wird das nichts. Sie schloss ihre Augen, um sich zu sammeln und ihre Anspannung in den Griff zu bekommen. Dann atmete sie tief durch und begann mit ihrer Geschichte. Dabei versuchte sie möglichst der Reihe nach und nicht wild durcheinander zu erzählen.

Der Doktor war ein guter Beobachter, vielleicht war ihre Panik aber auch nur offensichtlich. Denn nachdem sie mit ihrer Erzählung fertig war, tätschelte er zur Beruhigung ihre Hand.

»Hören Sie, das muss noch gar nichts Schlimmes bedeuten«, begann er gelassen. »Dafür kann es viele verschiedene Gründe geben. Sehr oft ist die Ursache völlig simpel. Es gibt Paare, die wollen unbedingt und unter allen Umständen schwanger werden. In ihren Köpfen kreist nur noch dieses eine Thema. Sie haben jeden Monat zu einem exakt bestimmten Zeitpunkt Geschlechtsverkehr. Danach heißt es hoffen, dann Enttäuschung und wieder hoffen. Doch gerade damit setzen sie sich selbst unter enorm psychischen Druck. Dieser Stress führt im Endeffekt zu einem Chaos im gesamten Hormonhaushalt und wirbelt ihn total durcheinander. Und genau dadurch wird eine Empfängnis beinah unmöglich.«

Es war gut, von dem Doktor noch einmal zu hören, worüber sie selbst schon gelesen hatte. Das gab ihr wieder Mut und sie entspannte sich, ein wenig zumindest. Ihr wurde bewusst, wie verkrampft sie die ganze Zeit auf dem Stuhl gesessen hatte.

Sie hoffte, wenn das alles war, was ihrer Schwangerschaft im Wege stand, ließe sich das bestimmt irgendwie hinbekommen. Selbst wenn es bedeutete, dass Felix und sie weiterhin täglich daran arbeiten müssten. Andererseits taten sie doch schon genau das, und das Ergebnis war gleich null. Und ja, sie stand unter Druck, so wie es Dr. Fleischer eben beschrieben hatte. Sollten sie und Felix die Sache mit dem Sex besser weglassen? Dann ließ der Druck ganz bestimmt nach. Wiederum kein Sex gleich kein Baby, oder hatte sie da was verpasst? Was sollte sie nur tun?

Katarina schwelgte tief in Gedanken.

»Hem-hem.« Dr. Fleischer räusperte sich. Nun hatte er wieder ihre volle Aufmerksamkeit und sprach weiter. Er war mit seiner Schilderung noch nicht am Ende.

»Natürlich ist das nicht immer der Grund«, setzte er fort. »Manchmal gibt es leider auch organische Ursachen. Und um die auszuschließen, werden wir alles Stück für Stück untersuchen, was dem Baby den Weg versperren könnte. Aber wir wollen schließlich nicht gleich den Teufel an die Wand malen.« Wieder tätschelte er kurz Katarinas Hand. Dann rückte er seine Brille zurecht. »So, und nun legen Sie sich bitte nebenan auf den Stuhl. Ich fange jetzt erst einmal mit der Routineuntersuchung an. Nicht, dass Sie mir noch vor Anspannung platzen.«

Die letzten Worte, die ihr der Doktor soeben dargelegt hatte, verunsicherten sie erneut und zerstreuten ihre Bedenken nicht ansatzweise. So wie sie das sah, standen ihre Chancen fifty-fifty. Einerseits bestand die Möglichkeit, dass ihr Körper nicht funktionsfähig war. Bei den anderen fünfzig Prozent, die sie nur für geringfügig weniger schlecht hielt, spielte ihr Kopf verrückt und machte Stress. Er brachte ihren kompletten Zyklus durcheinander. Und das Ende vom Lied, sie wurde nicht schwanger, weil sie unbedingt schwanger werden wollte. Das ergab doch überhaupt keinen Sinn, oder? Für sie jedenfalls nicht, obwohl sie darüber schon gelesen hatte. Das wäre zwar nicht ganz so aussichtslos, als wenn sie ein organisches Problem hätte, aber auch nicht wesentlich besser.

Unsicher stand sie auf. Sie spürte, dass sich ihre Knochen in Pudding verwandelt hatten. Mit Mühe gelangte sie ins Nebenzimmer und war froh, dass ihre Knie auf dem Weg dahin nicht versagt hatten. Zittrig kletterte sie vor sich auf den mintfarbenen Untersuchungsstuhl und lehnte sich zurück.

Sie war bereit. Bereit der Wahrheit ins Auge zu blicken. Das redete sie sich fest ein, allerdings stimmte es ganz und gar nicht. Sie war absolut nicht bereit, weder heute noch morgen oder sonst irgendwann. Doch es gab jetzt kein Zurück mehr. Denn schon kam der Doktor herein und streifte seine Handschuhe über.

»Zunächst einmal werde ich Sie untersuchen. Alles Weitere besprechen wir danach.«

Er begann sie abzutasten und führte seine routinemäßige Kontrolle durch. Anschließend griff er nach einer Tube.

»Vorsicht«, sagte er, »es wird jetzt kalt.«

Er drückte eine gallertartige Substanz auf ihren Bauch. Vor Schreck entfuhr Katarina ein erstickter Laut.

»Ich habe Sie gewarnt.« Er grinste. Doch gleich darauf wurde er wieder ernst. »Ich werde nun einen Ultraschall machen, um zu sehen, ob es irgendwelche Auffälligkeiten an der Gebärmutter oder den Eierstöcken gibt. Zugleich sehe ich auch, ob die Eileiter gut durchlässig sind.«

Er nahm ein Gerät in die Hand, das Katarina an einen großen Pilz erinnerte. Damit rutschte er über ihren Bauch und durchleuchtete sie von außen. Sie beobachtete ihn dabei, doch er verzog keine Miene. Sein Gesicht gab nicht die kleinste Information preis. Er schaute nur immer wieder auf den Monitor, der vor ihm stand, und erklärte, was die einzelnen grauen Flecke darauf zu bedeuten hatten.

Plötzlich hielt der Doktor inne. Er starrte mit zusammengekniffenen Augen auf den Bildschirm und runzelte die Stirn.

Wieso sagt er denn nichts? Sein Gesichtsausdruck, Katarina erschrak darüber. O Gott, Scheiße, das war’s, dachte sie. Nun wird es doch keine Bilderbuchfamilie für mich geben. Mach’s gut, mein kleines Baby.

Sie hatte es ja gewusst, die ganze Zeit über war da schon dieses Gefühl, und das hatte meistens recht. Sie schluckte schwer und schloss die Augen, um ihre aufsteigenden Tränen zurückzuhalten. Als sie wieder aufblickte, verzog der Doktor seine Mundwinkel bis an die Ohren.

»Jetzt entspannen Sie sich endlich mal«, sagte er. Dabei lachte er kurz auf und drehte den Bildschirm zu ihr. »Schauen Sie her, erkennen Sie das?«

Katarina stand kurz vor einem Zusammenbruch und nun sollte sie auch noch Rätsel raten. Er war doch der Doktor. Das sagte sie natürlich nicht laut. Stattdessen betrachtete sie konzentriert das Durcheinander auf dem Monitor, eine graue Masse mit ein paar Flecken.

Soll mir das irgendetwas sagen, fragte sie sich. Das Ende meines Wunschtraumes? Doch warum grinst der Doktor dann so? Verständnislos sah sie ihn an und schüttelte den Kopf.

»Nun gut.«

Er sah, dass Katarina völlig im Dunklen tappte und wurde ernst. Ihr Gesichtsausdruck war wieder mal wie ein offenes Buch.

»Ich werde es Ihnen erklären. Also, was Sie haben, ist ziemlich schwerwiegend.«

Katarina schluckte hart. Ihr Hals fühlte sich plötzlich eng und trocken an. Gleich würde ihr der Doktor die ernüchternden Tatsachen erläutern. Doch davon wollte sie nichts hören. Am liebsten würde sie jetzt die Hände auf ihre Ohren pressen oder besser noch, einfach davonlaufen. Doch sie war keine drei Jahre mehr, sondern fünfunddreißig und für solche Eskapaden einfach zu alt. Also blieb sie gehorsam, wo sie war, und betete still darum, dass er ihre schlimmsten Befürchtungen bitte nicht wahr werden ließe.

Sie bebte innerlich.

Tief durchatmen, Katarina, sonst klappst du zusammen, noch bevor du dein Urteil hörst.

Danach blickte sie dem Doktor ängstlich in die Augen. Sie suchte darin nach irgendeinem Anzeichen. Da war jedoch keine einzige Regung, rein gar nichts. Nun machte sie sich auf das Schlimmste gefasst und presste fest die Lippen aufeinander.

Gut, dann mal los.

Sie war bereit, sich anzuhören, was er weiter zu sagen hatte.

»Für die eine Patientin ist es etwas Gutes und für die andere wiederum eine Katastrophe.«

Ich hasse Katz-und-Maus-Spiele.

Um seine Mundwinkel zuckte schon wieder so ein eigenartiges Grinsen, nur ganz kurz. Katarina musste sich geirrt haben. Sein Gesicht wirkte jetzt streng und erinnerte sie an ihren alten Mathelehrer Herrn Lösche. Seine Augen dagegen wirkten beinah belustigt.

Was soll das? Worauf läuft das hier hinaus?

Sie hatte irgendwie ein komisches Gefühl, ihr war ganz elend.

Spannt der mich bewusst auf die Folter, fragte sie sich.

»Sehen Sie diese winzig kleine Bohne hier?«

Dabei zeigte der Doktor mit dem Finger auf eine dunkle Stelle in der grauen Masse.

Ein Tumor, dachte sie sofort, und ihr wurde noch elender, falls eine Steigerung überhaupt möglich war.

»Sie ist jetzt etwa drei Millimeter groß«, setzte er fort.

Katarina hörte inzwischen nicht mehr, was er sagte, denn sie sah bereits ihre eigene Beerdigung, die sich wie ein Film in ihrem Kopf abspielte. Blumen, Musik, verheulte Gesichter.

»Und – diese kleine Bohne ist Ihr Baby.«

Filmriss. Plötzlich drangen die Worte Baby und Bohne an Katarinas Ohr.

»Wie bitte?«, fragte sie verdattert, denn sie traute dem nicht, was sie soeben gehört hatte. »Ich habe eine Bohne im Bauch und die soll mein Baby sein?« Was bedeutet das nun wieder? Ich verstehe gar nichts mehr.

Der Doktor begriff, dass sie noch immer völlig auf dem Schlauch stand, und schüttelte den Kopf.

»Sie sind eine ziemlich harte Nuss, wissen Sie das? Und auch noch extrem schwer zu knacken. Ich werde mich wohl noch deutlicher ausdrücken müssen.«

O ja, bitte. Ich verstehe im Moment nämlich nur Bahnhof.

»Gebärmutter, Eierstöcke usw., alles sieht gut aus und ist vollkommen in Ordnung.«

»Ihr Ernst? Gott sei Dank! Aber was ist jetzt mit dieser Bohne?«, fragte Katarina ungeduldig.

»Ja, die wird ihr Leben in ungefähr neun Monaten komplett auf den Kopf stellen.« Und damit sie es diesmal auch ganz sicher kapierte, fügte er hinzu, »Die Bohne ist eine befruchtete Eizelle. Sie bekommen ein Baby.«

 

In ihren Ohren rauschte es. Hatte sie sich eben verhört? Wahrscheinlich, das konnte gar nicht anders sein. Aber warum hallte dann das Wort Baby so deutlich in ihrem Kopf nach, immer wieder und wieder. Verwirrt sah sie den Doktor an. Er stand neben ihr und gluckste. Demnach konnte die Nachricht, die er ihr eben mitgeteilt hatte, so schlecht nicht sein.

Oje, er hält mich garantiert für schwachsinnig. Anscheinend ist jeder anderen Frau sofort klar, dass eine Bohne ein Baby ist. Moment – ein Baby? Die Bohne ist ein Baby?

Mit einem Mal lichtete sich der Nebel hinter ihrer Stirn. Es war wie eine Erleuchtung. Ihr wurde plötzlich klar: Nein, ich habe mich nicht verhört. Der Doktor hat eindeutig gesagt, ich bekomme ein Baby.

Augenblicklich wurden ihre Augen feucht. Tränen liefen über ihre Wangen und hinterließen zusammen mit der Wimperntusche einen hässlichen Fleck auf ihrem weißen Pulli.

Meine Güte, ich führe mich total peinlich vor dem Doktor auf.

Sie wollte etwas sagen. Ihr Mund klappte auf und zu wie bei einem Fisch, doch sie brachte kein einziges Wort heraus. Sie heulte und heulte.

Stopp. Abrupt riss sie die Augen auf. Ihr Magen kribbelte wie verrückt, sie stand kurz vor einer Panikattacke.

Nein, nein, nein, das ist gerade alles nicht echt. Mein Kopf blockiert mich und innerlich stimmt auch irgendwas nicht mit mir, ich weiß das. Ich stecke wieder in einem Tagtraum. Ja, genauso ist es. Und das Ganze mit dem Baby bilde ich mir nur ein.

Sie traute der Sache nicht recht. Zumindest hatte sie über den Schreck ihre Heulerei völlig vergessen. Sie schniefte nicht mal mehr, fand dafür aber ihre Stimme wieder.

»Kneifen Sie mich bitte mal ganz fest und sagen Sie mir das mit dem Baby noch mal. Schnell«, bat sie ihn hastig.

»Sofern Sie mir dann endlich glauben, kneife ich Sie, so oft Sie wollen. Ich freue mich für Sie. Nicht jede Frau ist über die Nachricht schwanger zu sein, so glücklich. Bedauerlicherweise gibt es da auch andere Fälle.«

Er zwickte Katarina ins Bein.

»Au, Scheiße! Entschuldigung.«

Sie rieb sich die schmerzende Stelle. Das war garantiert kein Traum.

»Prima. Glauben Sie es jetzt endlich?«

Sie nickte nur, denn sie konnte schon wieder nicht sprechen. In ihrem Hals formte sich bereits ein Kloß, ihr Kinn flatterte und von einem Moment auf den anderen verlor sie komplett die Fassung. Alles, was sich die ganze Zeit über angestaut hatte, brach mit einem Mal aus ihr heraus. Sie heulte und gleichzeitig lachte sie vor Freude und war unglaublich glücklich.

Minuten später war Katarina auf dem Weg nach Hause. Sie strahlte und konnte damit einfach nicht mehr aufhören. Natürlich erntete sie dafür verwirrte Blicke. Aber das war ihr egal. Sollten die Leute doch denken, was sie wollten.

Bin ich verrückt? Klar bin ich verrückt, und zwar vor Glück, liebe Leute.

Für sie war der heutige Tag der schönste in ihrem Leben. Sie würde ein Baby bekommen, ihr Traum ging endlich in Erfüllung. Es war wie ein Wunder und sie begriff es noch immer nicht recht.

Katarina blieb stehen.

»Ich muss Felix anrufen.«

Hastig kramte sie in ihrer Handtasche nach dem Telefon. Hast du wieder den halben Hausstand mitgeschleppt, würde er jetzt fragen.

»Ja, lieber Felix, da hast du mal wieder eindeutig recht. Ich habe viel zu viel Krempel in meiner Tasche. Die ist nicht nur unnötig schwer«, grummelte sie, »ich finde auch nichts. Verdammt noch mal, wo ist dieses dämliche Ding.«

Unzählige Male hatte sie sich schon vorgenommen, die Tasche endlich auszumisten, aber sie brauchte all das Zeug. Sie konnte einfach nicht darauf verzichten. Allerdings glich es beinah einer Schatzsuche, wenn sie etwas Bestimmtes darin finden wollte, so wie jetzt.

Das Beste wäre, die Tasche komplett auszukippen. Nur mitten auf dem Gehweg? Nein, keine so gute Idee. Katarina hatte inzwischen jedes Fach mindestens dreimal durchwühlt. Kein Handy.

»Scheiße«, sagte sie gedehnt. »Es liegt auf dem Küchentisch. So ein Mist.«

Doch nach der ersten Enttäuschung war sie sogar froh darüber. Sie hätte Felix angerufen, ihm die Nachricht übermittelt, juhu und fertig. Was wäre das denn bitteschön für eine Überraschung? Gar keine. Nein, Katarina hatte so lange darauf gewartet und alles dafür getan. Dieses Ereignis einfach so und auch noch übers Telefon zu übermitteln, ging gar nicht.

»Ich werde mir für Felix etwas ganz Besonderes überlegen.«

Katarina beschloss, ihm ihre Neuigkeit noch ein Weilchen vorzuenthalten – bis zum Valentinstag. Damit hätte sie das perfekte Geschenk.

Doch das Warten fiel ihr schwer, sehr schwer sogar. Sie fühlte sich wie ein proppenvoller Luftballon und platzte beinah vor Ungeduld. Sie musste etwas tun dagegen, dringend. Und dabei half nur eins, Dampf ablassen. Die einzige Chance für die nächsten Tage, um sich selbst im Zaum zu halten. Dafür benötigte sie ein geeignetes Ventil. Es war unumgänglich. Sie musste mit jemandem darüber reden, und zwar sofort.

Meike kam ihr in den Sinn, ihre beste Freundin. Sie war genau die richtige Person, der sie ihr Geheimnis anvertrauen konnte. Meike würde schweigen wie ein Grab. Wäre ja noch schöner, wenn alle Welt bereits von ihrem Baby wüsste, nur nicht Felix.

Katarina wollte vorher niemandem davon erzählen, das hatte sie sich zumindest vorgenommen. Felix sollte es als Erster erfahren. Doch die Sache lief nicht ganz so wie geplant. Sie verlangte ihr eine enorme Willenskraft ab. Wie sollte sie unter dem Druck dieses Wissen auch nur einen einzigen Tag lang für sich behalten. Da würde ihr ganz sicher jede Frau, die schon einmal in ihrem Leben schwanger war, ohne zu zögern recht geben.

Katarina warf sich ihre Jacke über, eilte zum Nachbarhaus und klingelte Sturm. Ihre Freundin Meike wohnte dort.

»Hey, Meike« rief sie sofort, als die Tür aufging. »Wir müssen reden. Ich muss dir dringend eine Neuigkeit verraten.«

»Na komm erst mal herein.«

»Entschuldige, ich bin etwas aufgeregt.«

»Ach ja?«, sagte Meike und grinste. »Ist mir gar nicht aufgefallen.«

Sie nahm Katarina die Jacke ab und schickte sie ins Wohnzimmer.

»Ich komme gleich nach. Ich hole uns nur schnell etwas zu trinken.«

Schon über eine Minute, was machte Meike denn so lange? Katarina lief ungeduldig von einem Fenster zum anderen und wartete darauf, dass ihre Freundin endlich herzukäme. Letztlich setzte sie sich auf die Couch und trommelte ganz nervös mit den Fingern auf den Tisch.

»Meike, was treibst du denn so ewig?«

»Immer mit der Ruhe«, rief sie zurück. »Bin gleich da. So lange wird die Neuigkeit wohl warten können.«

Wenige Sekunden später erschien sie in der Tür und stellte ein Glas Wasser vor Katarina auf das kleine Tischchen. Das trank sie immer, darum hatte Meike gar nicht erst gefragt.

»So«, sagte sie und setzte sich mit einer Cola in der Hand zu Katarina auf die Couch. »Was gibt es denn Wichtiges, das du mir so dringend erzählen musst? Bist du schwanger?«, fragte sie wie nebenbei und leerte das halbe Glas in einem Zug. Dabei musterte sie ihre Freundin interessiert.

»Hä?«, rief Katarina angesäuert. »Die Frage kann jetzt nicht dein Ernst sein.«

»War nur so eine Idee. Was ist es dann?«

»Nein, Meike, jetzt mal ehrlich. Liest du heimlich in einer Glaskugel?«

Meike lachte. »Mensch, sag bloß. Liege ich damit etwa richtig? Vor mir bleibt nichts verborgen, das weißt du doch. Manchmal grusele ich mich vor mir selber. Ich glaube, ich habe tatsächlich einen sechsten Sinn. Aber was ist nun, haben wir Grund zum Feiern? Sag schon.«

»Also manchmal bist du echt unmöglich, du verdirbst mir die ganze Show. Aber was soll ich noch sagen, ja, wir haben einen Grund.«

»Das ist ja großartig!«, rief Meike. Sie umarmte Katarina. »Ich freue mich so sehr für dich, für euch beide natürlich. Seit wann weißt du es und wann ist es denn so weit?«

»Seit zwei Tagen. Der Doktor hat den Termin auf den zehnten November festgesetzt, plus minus ein paar Tage eventuell.«

»Wie hat Felix reagiert?«

»Gar nicht, er weiß es nämlich noch nicht. Niemand weiß es bis jetzt.«