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Always Differently

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Aus der Reihe: Always Differently #1
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Damit hatte Katarina heute gar nicht gerechnet. »Na, und ob wir wollen. Das ist ja großartig«, rief sie, ohne zu zögern.

Beinah wäre sie Dr. Teddy um den Hals gefallen und hätte vor Freude laut juhu gebrüllt. Doch sie war hier in einem Krankenhaus und da war Geschrei nicht angebracht. (Außer wenn es von den Babys kam. Denen wurde der Lärm verziehen, denn sie hatten sich noch nicht so unter Kontrolle wie normalerweise in einer zivilisierten Gemeinschaft üblich.)

Schon gar nicht gut angekommen wäre Katarinas Gebrüll in einem Zimmer voll mit Neugeborenen, die glücklicherweise endlich schliefen. Aber wenn schon nicht juhu, wäre es dann unhöflich, wenn sie stattdessen kurz aus dem Raum stürmen und Felix anrufen würde? Ja, vermutlich auch das. Also riss sie sich zusammen und wartete, bis Dr. Teddy sich von ihr verabschiedete.

Doch er wollte nicht aufhören zu reden und Katarina fiel es schwer, ihre Ungeduld zu unterdrücken. Sie hoffte nur, dass der Doktor davon nichts mitbekam. Schließlich war er Fratz’ und damit ihr aller Retter.

Felix fuhr mit dem Auto im Schneckentempo nach Hause. Tuuut. Lichthupe. Tuuut! Schon wieder.

»Ja, hup doch noch mal, ich kann dich so schlecht hören!«, brummte er.

So ging das schon die ganze Fahrt über, seit er mit Katarina und Fratz das Krankenhaus verlassen hatte. Im Rückspiegel sah er, wie eine alte Zweitakter-Möhre zum Überholen ansetzte. Auf gleicher Höhe stierte der andere Fahrer genervt zu Felix herüber und wedelte dazu wie ein Scheibenwischer mit der Hand vor seinem Gesicht herum.

»Ist das zu glauben? Der Idiot zeigt mir doch glatt einen Vogel.«

Felix fuhr tatsächlich außergewöhnlich langsam. Selbst ein Opa wollte es jetzt wissen. Er kam mit seiner Oma auf einer verstaubten Čezeta angebraust. So eine Gelegenheit ergab sich für ihn womöglich nie wieder, also packte er sie am Schopf. Nun konnte er der Jugend von heute mal so richtig zeigen, was so eine alte Dame aus den Fünfzigern draufhatte. Das war noch Qualität, nichts im Vergleich zu diesen neumodischen Luxuskarren aus Plastik. Und das war noch nicht alles. Im Vorbeifahren streckte Opa sogar noch den Stinkefinger in die Höhe.

»Welchem Museum ist der denn entlaufen«, rief Felix und feixte los.

»Das ist mal ’n richtig cooler Opa. Je oller, desto doller.«

Katarina und Felix amüsierten sich über ihn mit seiner Oma. Und die anderen – sollten sie doch überholen, hupen, fluchen oder irgendwelche Tänzchen in ihren Autos vollführen. Felix war das egal. Ihn ließ das kalt. Er hatte die Verantwortung für ein Baby. Sein Baby, und das würde er unter allen Umständen beschützen.

Es war Winter. Der Frost hatte sich dieses Jahr so richtig ausgetobt und seine Spuren hinterlassen. Der Asphalt war haufenweise übersät mit Schlaglöchern. Jedes Einzelne davon würde seinen Fratz durcheinanderschütteln und sein empfindliches Gehirn hin- und herschleudern wie ein rohes Ei in seiner Schale.

»Auf keinen Fall fahre ich schneller, nicht ein einziges km/h«, murmelte er vor sich hin, als er plötzlich ein breitgelaufenes Eidotter vor Augen hatte und dabei an das kleine Köpfchen seines Babys dachte.

Felix schloss die Tür auf.

»Überraschung!«, rief er, sobald Katarina mit dem Baby die Wohnung betrat.

Meine Güte, war das süß von ihm. Er hatte eine ellenlange Willkommens-Girlande aufgehängt und die ganze Wohnung mit vielen Luftballons geschmückt. Katarina war ganz aus dem Häuschen.

»Oh, das ist aber schön. Und endlich sind wir wieder zu Hause, jetzt kann es nur noch bergauf gehen.«

(Den Tag vor dem Abend zu loben, konnte manchmal gründlich danebengehen.)

»Mein kleiner Schatz«, sagte sie zu Fratz, »dein Papa ist mal wieder ganz schön verrückt. Sieh nur, was er für uns beide gemacht. Aber was …«

Katarina stockte. Irritiert sah sie zu Felix, der hob aber nur die Schultern. Sie schaute wieder zurück auf Fratz. Er lag in seiner Tragetasche und brüllte plötzlich, was das Zeug hielt. Bei einer derartigen Lautstärke würden bald alle Nachbarn Bescheid wissen, dass sie wieder zu Hause waren. Na bestens. Und wieso hatte ihr kleiner Schatz mit einem Mal eine derart kräftige Stimme? Wie war das möglich? In der Klinik hatte er gerade mal ein klägliches, süßes mäh-mäh-mäh von sich gegeben, wie ein kleines Schäfchen. Und nun das!

»Oje, warum weint er denn?«, fragte Katarina.

Ab jetzt war sie auf sich gestellt. Es gab nun keine Schwester mehr, die ihr zu Hilfe kam, wenn sie nicht weiterwusste. Außer ihr gab es hier nur noch Felix. Ein mulmiges Gefühl.

»Liegt doch auf der Hand. Du hast gerade zu ihm gesagt, sein Vater wäre verrückt. Klar, dass er heult.«

»Sehr witzig.«

Katarina holte Fratz aus der Tasche und lief mit ihm im Wohnzimmer hin und her.

»Er ist soeben das erste Mal in seinem Leben Auto gefahren«, sagte Felix. »Zum ersten Mal frische Luft, Bäume und viele unzählige andere neue Eindrücke. Und nun ist er auch noch in einem neuen und fremden Zuhause. Kein Wunder, dass er davon überfordert ist. Er muss erst einmal ankommen.«

Katarina lief noch immer auf und ab. Im Vorbeigehen warf sie Felix einen skeptischen Blick zu. Fratz brüllte unermüdlich.

»Für dich beziehungsweise uns ist die Situation doch auch neu.«

»Das weiß ich«, knurrte Katarina, »aber hier ist es viel schöner als im Krankenhaus.«

Felix verdrehte die Augen.

»Was, wenn er Schmerzen hat oder irgendwas mit seinem Kopf ist?«

»Katarina, glaubst du wirklich, Dr. Teddy hätte Fratz entlassen, wenn er das nicht ganz sicher ausschließen könnte? Mach dich nicht verrückt, vielleicht hat er nur Hunger. Hunger macht böse, sagt dir doch was, oder nicht?«

»Hunger? Er bekommt alle vier Stunden. Er hat erst um …, sag mal, wie spät ist es überhaupt?«

»Etwa halb vier.«

»Ach je, wann ist das denn passiert.«

»Warum, wann hatte er sein letztes Ein-Gang-Menü?«

»Zehn?«, sagte Katarina kleinlaut.

»Na bitte. Armer kleiner Kerl«, sagte Felix zu dem strampelnden, schreienden Fratz und streichelte ihm mitfühlend über sein Köpfchen. »Du hast also nicht nur einen verrückten Vater, sondern auch eine Rabenmutter.«

»Stimmt nicht, Fratz. Hör nicht auf das, was dein Papa sagt, zumindest nicht darauf. Der Papa redet Quatsch. Du hast keine Rabenmama. Du bekommst jetzt ganz schnell was zu essen, mein kleiner Schatz.«

Katarina hatte noch immer unerträgliche Schmerzen. Vorsichtig setzte sie sich in den Sessel und rückte das Stillkissen zurecht. Das hatten sie kurz vor der Geburt noch schnell auf Anraten ihrer Freundin Meike gekauft, weil es nämlich was ganz Tolles wäre. Und das war es auch. Die letzten Tage vor der Entbindung hatte Katarina nachts darauf geschlafen. Eine absolut fantastische Entlastung für ihren Bauch und den verdammten Ischias.

»Gibst du mir mal unseren Schreihals«, sagte sie zu Felix. Sie platzierte den kleinen Fratz auf dem Kissen, dann fütterte sie ihn.

Das wurde auch höchste Zeit. Denn er hörte sofort auf zu schreien, und das nicht nur, weil sie ihm den Mund mit ihrer prallgefüllten, riesigen Zapfstelle stopfte. Nein, halb verhungert bekam er endlich etwas in den Magen. Jetzt bloß nicht ablenken lassen. Mit geräuschvoll lauten Schmatz- und Schnalzlauten konzentrierte er sich auf sein Menü. War das eine Wohltat für den Kleinen.

Satt und zufrieden hing er anschließend über Katarinas Schulter. Dabei klopfte sie ihm sanft auf seinen Rücken. Rülps. Ah, da kam das erwartete Bäuerchen.

»Braver Junge«, lobte sie und legte ihn in sein neues Bettchen, den Stubenwagen ihrer Freundin Meike.

Dieses besondere alte Stück wurde seit Generationen in ihrer Familie weitergereicht. Eine große Ehre demnach für den kleinen Fratz. Aber ihn interessierte das nicht im Geringsten. Kaum lag er, schon schrie er wieder.

»Ja was denn«, wisperte sie. »Gefällt dir dein neues Bettchen nicht? Das ist doch viel schöner als die olle Plastikkiste in der Klinik. Na komm mal her.« Sie nahm Fratz wieder auf den Arm. »Sch-sch. Vielleicht musst du dich tatsächlich noch an dein neues Zuhause gewöhnen. Für Mama ist jetzt auch alles neu. Das wird schon. Sch-sch-sch, nicht weinen, mein Schatz, alles wird gut.«

Katarina wiegte und schleppte Fratz gute zehn Minuten durch die ganze Wohnung, hin und her, her und hin, nahe am Tinnitus. Jetzt übernahm Felix. Gott sei Dank. Ihr platzte gleich der Kopf. Sie musste sich wenigstens ein paar Minuten ausruhen. Der Lärm war einfach zu viel im Augenblick. Felix würde das schon hinbekommen. Er war eh der ruhigere Pol.

Babys waren bekanntlich sehr sensibel gegenüber den Gefühlen der Eltern. Und Katarinas Nerven lagen gerade blank. Ihr Herz raste bei jedem Gaukser. Gegen sie war ein Zitteraal die Ruhe selbst, doch sie schaffte es nicht, ihre Unruhe zu verbergen, und selbst wenn, Babys hatten ein hochsensibles Radar dafür.

In der Klinik war alles easy. Das heißt die komplette Zeit einschließlich heute Morgen. Dort hatten sich Felix und Katarina noch köstlich über ihren Sprössling amüsiert. Sein Stimmchen war ganz zart und sehr sanft. Sie nannten ihn ihr kleines Schäfchen. »Mäh-mäh-mäh.« Mein Gott, klang das süß.

Die anderen Winzlinge auf der Station waren dagegen wesentlich energischer. Da war nichts mit mäh-mäh-mäh, sondern brüll-kreisch-brüll, und das in einem immensen Lautstärkepegel. Beinah hätten sich die beiden Eltern-Neulinge die Ohren zugehalten. Meine Güte, das war aber auch ein Lärm. Vom vorgeschriebenen Dezibel-Grenzwert ganz zu schweigen. Keine Ahnung wie, doch zum Glück schafften sie es, sich zu beherrschen. Das war nicht gerade leicht, vor allem für Katarina. Sie musste sich zusätzlich auf ihr Gesicht konzentrieren. Ihre Muskeln spielten verrückt, sie waren permanent drauf und dran, Grimassen zu schneiden.

 

Das durfte keinesfalls passieren, schließlich galt das als nicht gesellschaftsfähig, zumal Katarina und Felix nun selbst Eltern waren. Also rissen sie sich zusammen, so gut sie konnten und lächelten brav. Ja, das gehörte sich erwartungsgemäß so.

Aber jetzt war das Krankenhaus Geschichte. Und zu Hause in ihrer Dreizimmerwohnung wehte ein anderer Wind. Dafür sorgte der kleine Fratz. Er hörte einfach nicht auf zu weinen. Weder bei Katarina noch bei Felix. Laut und energisch brüllte er durch das ganze Haus und verkündete so seine Ankunft.

Die beiden Eltern-Neulinge probierten alle Tricks und Kniffe, die ihnen in den Sinn kamen. Nichts half, außer wenn Fratz das selbst wollte. Er war ein ganz schlaues Kerlchen. Ja, da hatten die zwei ein richtig kleines Früchtchen aus der Klinik mitgebracht. Und er entwickelte sich prächtig, wurde geradezu ein kleiner Terror-Fratz. Nur dabei hatten seine Eltern nicht allzu viel zu lachen.

Von Anfang an war er anders als andere Babys. Er war etwas ganz Besonderes.

ENDE Buch I


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