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Always Differently

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Aus der Reihe: Always Differently #1
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Die Qual vor der Wahl

Der große Tag rückte allmählich in greifbare Nähe. Schon bald durften die rund 7,88 Milliarden Erdenbewohner einen neuen Bürger begrüßen, Katarinas kleinen Schatz.

Noch vor Kurzem konnte sie es kaum erwarten, endlich ihr Baby im Arm zu halten und ihren Bauch und somit überflüssiges Gewicht loszuwerden. Doch jetzt war das Gegenteil der Fall. Der bevorstehende Termin machte ihr große Angst. Bilder von der Entbindung nahmen deutlich Gestalt an. Sie hatte Horrorvorstellungen, die sie immer öfter verfolgten. Sie geriet in eine Sackgasse und sah keinen Ausweg. Was zur Hölle sollte sie tun. Mit jemandem darüber reden und sich gute Ratschläge anhören? Gott bewahre. Das brauchte sie nicht schon wieder. Unterm Strich musste sie da sowieso allein durch.

»Fünfunddreißig Jahre«, murmelte Katarina vor sich hin. »Was für eine scheißlange Zeit.«

Genauso lange war es her, seit sie das letzte Mal als Patientin in einem Krankenhaus war. Und das war bei ihrer eigenen Geburt.

»Mann, bin ich froh, dass ich mich daran nicht mehr erinnere. Und verdammt noch mal, ich will nicht dorthin«, jammerte sie.

Sie hockte auf ihrer Couch und presste beide Hände auf ihre Ohren. Als würde das irgendetwas nutzen, denn der Umstand blieb. Das Krankenhaus würde der Ort für ihre Entbindung werden.

Warum auch immer, es gruselte ihr davor. Besuche dahin vermied sie generell, sofern möglich. Nur wenn es sich absolut nicht verhindern ließ, ging sie hinein, hielt es aber nicht mehr als ein paar Minuten darin aus. Das viele Weiß und der Geruch, das war einfach unerträglich.

Nicht mehr lange und sie musste wieder in ein solch schreckliches Gebäude. Diesmal war sie diejenige, die darin festsitzen würde. Wenn sie Pech hatte, musste sie einen ganzen Tag, vielleicht sogar drei endlose Tage dort ausharren, stickige Luft atmen und weiße Wände anstarren. Und schnell mal die Kurve kratzen, war dann nicht.

Bei diesen Gedanken spielte sich wieder einmal Katarinas Fantasie in den Vordergrund. Die Klinik, in die sie nicht freiwillig ging und regelrecht hineingezerrt werden musste, war vom Boden bis zur Decke grauenhaft weiß. Jeder Schritt hallte von den kahlen Wänden wider. Operationsbesteck klapperte. Sie wurde auf eine Trage verfrachtet, durch einen langen, eisig kalten Gang geschoben und rauschte an den Zimmern der anderen Patienten vorbei. Die Leute darin stöhnten, jammerten und riefen nach ihr um Hilfe. Doch sie konnte nichts tun. Sie war selbst ein Opfer.

Die Schwester in der weißen Kluft eilte mit ihr samt der Pritsche achtlos an den klagenden Insassen vorüber und schob sie durch eine schwingende graue Doppeltür in einen Raum. Er war kahl, weiß und kalt, wie alles hier. Mittendrin stand ein verwaister Entbindungsstuhl. Katarina wurde schroff angewiesen, hinaufzuklettern. Brav tat sie, was ihr gesagt wurde. Sie legte sich hin. Das Licht wurde eingeschaltet. Jetzt konnte sie kaum noch etwas erkennen. Das gleißende, grelle Neonlicht machte sie fast blind.

Das ist hier wie in einer Leichenhalle, dachte sie und bekam den ersten Anflug einer Panikattacke. Sie hob den Kopf und sah zu ihren Füßen undeutlich einen Doktor. Zumindest nahm sie an, es wäre einer. Durch seinen weißen Kittel konnte sie ihn in dem weißen Raum kaum ausmachen. Er verschmolz förmlich mit seiner Umgebung.

Er stellte Fragen und untersuchte sie währenddessen. Sekunden später raunzte er sie grob an.

»Und jetzt pressen!«

Ein Albtraum. Vor ihr stand ein Mann, noch dazu ein völlig fremder. Arzt hin oder her.

»Ich kann nicht«, brüllte sie zurück.

Das Pressen war nicht das Problem. Aber was wäre, wenn sie die Kontrolle über ihren Körper verlieren würde. Sie sah rot. Pressen und auch noch da unten, das war doch alles eins! Nicht auszudenken, vielleicht kam nicht ihr kleiner Schatz heraus, sondern etwas aus der anderen Öffnung.

»O Gott, nein, nein, nein«, rief sie und wollte damit ihre Fantasiebilder vertreiben. »So eine Scheiße, und das im wahrsten Sinne des Wortes.«

Darüber wollte Katarina auf gar keinen Fall näher nachdenken, nicht jetzt. Doch gerade das war eines ihrer Probleme, das sie in Verbindung mit dem Krankenhaus brachte. Vielleicht sogar das Schwerwiegendste und sie hatte zuvor keine Möglichkeit, das abzuklären.

Egal ob Fernsehen, Zeitung oder Internet, nirgendwo wurde in dieser Hinsicht aufgeklärt. Frauen, die bis ins Detail ihre Entbindung schilderten, verloren kein Wort über dieses Thema. War das etwa nur Katarinas Problem? War es gar normal und sie hatte davon eine falsche Vorstellung oder wurde diesbezüglich vielleicht ganz bewusst geschwiegen, weil es allen einfach nur peinlich war?

»Ich wette, in diesem Geburtsvorbereitungskurs verlieren die auch kein Wort darüber. Schöne Vorbereitung.«

Der Termin rückte näher, Katarina wurde verzweifelter. Jeder Gedanke an das Krankenhaus löste Panik in ihr aus.

»Was mache ich nur«, jammerte sie vor sich hin.

Die Angst nahm ihr die Luft. Sie fröstelte, trotzdem bildeten sich nasse Schweißflecke unter ihren Achseln. Sie wollte nicht in einem weißen, kahlen, kalten Raum entbinden mit fremden Männern um sich herum. In ihrer Vorstellung war es eher kuschlig, bunt und mit warmem, gelbem Licht, aber nicht zu viel davon.

»Verdammt, ich hab’s.«

Katarina hörte auf zu grübeln. Sie hatte ganz plötzlich eine Idee. Sie wusste jetzt einen Ausweg.

Rasch holte sie ihre Handtasche. »Oh, nicht schon wieder«, seufzte sie, als sie darin wühlte. Sie hatte das Ding noch immer nicht ausgemistet. »Tja, was soll ich machen, ich brauche diesen ganzen Kram eben«, sagte sie sich und rechtfertigte damit den Inhalt.

Sie wurde hektisch, fand alles Mögliche, nur nicht, was sie suchte. Lippenstifte und Gloss in nude, rosé und brown, Kugelschreiber, Taschentücher, davon drei benutzt, Nasenspray, etliche Kassenzettel, zwei Nagelfeilen, Geldbeutel und, igitt, was war das denn? Im Stoff der Tasche klebte ein völlig plattgedrückter, schmieriger Brötchenrest. Mit zwei Fingern pulte sie ihn ab und warf ihn angewidert in den Müll.

Das konnte doch nicht wahr sein. Wo war er bloß hin? Sie hatte ihn nicht weggeworfen, da war sie sich ganz sicher. Genervt drehte sie die Tasche auf den Kopf und kippte das gesamte Zeug auf den Tisch.

»Da bist du ja, du kleiner Scheißer.«

Sie hatte das Zettelchen mit der Notiz von Dr. Fleischer gefunden. Dabei ging es ihr nicht um den Kurs, allein der Gedanke war schon lächerlich. Nein, es war ausschließlich das Geburtshaus, dem Katarinas Interesse galt.

Vor einigen Wochen hatte sie diesen Kurs rein aus Neugierde im Internet gegoogelt. Ihr war aufgefallen, dass dort nicht nur der Kurs angeboten wurde, nein, es bestand auch eine Möglichkeit, in diesem Haus zu entbinden. Seitdem haftete die Vorstellung von einem kuschligen und bunten Zimmer mit warmem, gelbem Licht in ihrem Kopf. Denn genau das versprachen die Fotos im Netz. Diese Erinnerung entpuppte sich jetzt als die Lösung.

Es gab dort keine Ärzte und niemand trug weiße Kittel, geschweige denn, dass einer von ihnen zu ihren Füßen stand. Einzig und allein Hebammen betreuten die schwangeren Frauen.

Für Katarina war das Geburtshaus der perfekte Ort und sie nahm sich vor, dort zu entbinden. Und nur dort, nicht in irgendeinem nach Desinfektionsmittel stinkendem Krankenhaus. Schon die Vorstellung erzeugte bei ihr eine Gänsehaut. In der Regel blieben dort Mutter und Kind bis zu drei langen Tagen, für sie wäre ein einziger schon die Hölle.

In dieser Zeit sollten sich Mutter und Kind nach der Geburt erholen und aneinander gewöhnen.

Erholen, das konnte sich Katarina zu Hause wesentlich besser und aneinander gewöhnt hatten sie und ihr kleiner Schatz sich schon seit Monaten. Das war doch alles nur Geldschneiderei.

Im Krankenhaus lernte die Mutter zu stillen, wie sie das Baby baden und wickeln sollte und noch ein paar weitere Kniffe. Für Teenie-Mütter war das alles gut und schön und möglicherweise auch nötig.

Aber mal ehrlich, Katarina war keine fünfzehn, sondern fünfunddreißig Jahre alt. Es wäre äußerst merkwürdig, wenn sie in ihrem Alter bisher noch nie mit einem Baby zu tun gehabt hätte. Folglich brauchte sie diesen ganzen Zirkus nicht. Sie wollte lediglich in einer gemütlichen Umgebung ihren kleinen Schatz zur Welt bringen und anschließend sofort nach Hause gehen. Und in diesem Geburtshaus war das möglich.

Entschlossen schnappte sie ihr Telefon, nahm den Zettel, den Dr. Fleischer ihr gegeben hatte, und tippte die Nummer ab, die darauf stand.

Es klingelte am anderen Ende der Leitung, ihr Puls beschleunigte sich. Das tat er immer bei offiziellen Telefonaten. Sie atmete tief durch. Sie war nervös.

»Hebammen- und Geburtshaus hier, Guten Tag«, meldete sich eine Frauenstimme.

Katarina nannte hastig ihren Namen. »Und ich würde gern bei Ihnen entbinden.«

»Mein Name ist Hanni. Ich bin eine der fünf Hebammen in unserem Haus.«

Die Frau war sehr freundlich und ihre Stimme angenehm, beinah mütterlich. Das war gut und Katarinas Herzschlag beruhigte sich ein wenig.

»Bevor ich etwas zu Ihrem Anliegen sagen kann, benötige ich erst mal ein paar Daten von Ihnen.«

Gott sei Dank, dachte Katarina. Sie legte die Hand auf ihr rasendes Herz und atmete erleichtert aus. Die Antwort der Hebamme gab ihr Mut. Würde sie Katarina nicht bei sich aufnehmen wollen, hätte sie sofort abgelehnt und würde jetzt keine Fragen stellen. Sie ließ sich sämtliche Einträge aus dem Mutterpass geben und erkundigte sich nach ein paar persönlichen Dingen.

Jetzt war Katarina froh, dass sie den Zettel von Dr. Fleischer nicht entsorgt hatte. Sie war ihm dankbar für diesen guten Tipp, der sie aus ihrer misslichen Lage befreit hatte. Sie hatte nicht erwartet, dass es ganz so einfach sein würde, dort aufgenommen zu werden. Die Hebamme war genauso nett, wie sie es sich erhofft hatte. Das passte zu dem Ambiente, das sie dazu im Internet vorgefunden hatte. Nun würde doch noch alles gut werden. Zum Glück hatte sie niemandem von ihren Sorgen erzählt.

 

»Gut. Oder nicht gut«, sagte die Hebamme, nachdem sie mit ihrer Befragung durch war. »Leider muss ich Ihnen sagen, ich kann Sie nicht aufnehmen.«

Laut schallend hallte der Satz in Katarinas Ohren wider. Das hatte die Hebamme nicht wirklich gesagt. Das war nicht möglich. Sie war sich sicher, sie hatte sich verhört. Denn das wäre nicht fair. Das konnte nicht sein, durfte nicht sein. Wie ein Tornado jagten die Worte durch ihren Kopf. Sie war wie betäubt, aber sie musste sich jetzt zusammenreißen und etwas dazu sagen. Dabei fühlte sie sich derzeit kaum in der Lage, überhaupt einen zusammenhängenden Satz zustande zu bringen.

»Wie meinen Sie das«, krächzte sie. Ihr Hals war plötzlich ganz trocken und ihre Stimme klang, wie die einer Fremden.

»Normalerweise sind die werdenden Mütter von Anfang an in unserem Haus«, erklärte die Hebamme. »Das heißt von Beginn an ihrer Schwangerschaft. Wir begleiten sie durch diese Zeit bis hin zur Geburt und auch in der Nachsorge.«

Sie erklärte Katarina den eigentlichen Ablauf und die bei ihnen im Geburtshaus nötigen Voraussetzungen für eine Entbindung.

»Sie sind jetzt in der dreißigsten Woche. Somit ist Ihr Zustand sehr weit fortgeschritten. Anders gesagt, Sie sind schon im letzten Trimester. Hinzu kommt, der Verlauf Ihrer Schwangerschaft ist uns bislang völlig fremd. Das Risiko ist einfach zu groß. Das verstehen Sie hoffentlich.«

Nein, das verstehe ich nicht, schrie Katarinas Verstand. Sie haben doch meine ganzen Daten!

»Sie wollen sicher nicht die Gesundheit Ihres Babys oder Ihre eigene einer Gefahr aussetzen. Es tut mir ehrlich sehr leid und ich kann verstehen, dass Sie enttäuscht sind, aber Sie können nicht bei uns entbinden. Sie sollten sich an eine Klinik wenden.«

Verdammt! Katarina wollte sich keine Blöße geben, doch sie verlor mit einem Mal jegliche Kontrolle. Tränen überströmten ihr Gesicht. Das Telefon in ihrer Hand war inzwischen nass und schmierig und rutschte an ihrem Ohr. Doch sie musste es festhalten, weiter an ihr Ohr pressen. Sie durfte diese Verbindung jetzt auf keinen Fall unterbrechen. Sie musste unbedingt etwas darauf antworten und ihr Geheule in den Griff bekommen. Vielleicht ließ sich die Hebamme doch irgendwie erweichen, wenn Katarina ihr erzählte, was sie bewegte.

Sie bekam keine Luft. Ihre Nase war zugeschwollen. Als sie etwas dazu sagen wollte, hatte sie plötzlich wieder die niederschmetternden Worte der Hebamme Hanni im Ohr. Sie heulte erneut. Jeder Atemzug löste krampfartige Schluchzer aus. Es gelang ihr einfach nicht. Nur ein kläglich erstickter Laut, das war alles, mehr brachte sie nicht hervor. Das Geburtshaus war ihre letzte Hoffnung gewesen. Nun stürzte eine Welt über ihr zusammen.

Die Hebamme redete auf sie ein, um sie zu beruhigen. Vergeblich. Katarina hörte nichts von all dem, was sie sagte. In ihren Ohren rauschte es nur laut.

Tu etwas, kreischte ihre innere Stimme. Immer wieder, bis sie aufhorchte. Allmählich fing sie sich. Sie atmete bewusst flacher und langsam ließ das Beben in ihrem Körper nach. Vorsichtig holte sie tief Luft. Sie musste sich jetzt konzentrieren und durfte nicht an die Worte der Hebamme denken. Sonst würde sie gleich wieder einen Heulkrampf bekommen.

Katarina hatte nur diese eine Chance. Sie musste der Hebamme um jeden Preis ihre Verzweiflung klarmachen, damit sie doch bitte und um Gottes willen ihre Meinung änderte.

»Ihre Gründe sind einleuchtend«, begann sie. Ja und? Weiter!

Ihr Kopf war schlagartig wie leergefegt. Sie war angespannt und stand unter Druck.

Was wollte ich verdammt noch mal gerade sagen? Ich will bei denen im Haus entbinden. Mensch, das weiß sie längst, darum geht’s ja! Stimmt. Ich muss sie umstimmen, ihr alles erklären. Nur wie? Ich werde ihr sagen, dass nur dieses Geburtshaus für mich infrage kommt. Herrgott noch mal konzentrier dich und mach endlich!

Die Hebamme sagte nichts. Sie wartete geduldig, dass Katarina weitersprach.

»Sie verstehen mich falsch. Ich kann nicht in ein Krankenhaus gehen. Das geht nicht, nein. Ich muss bei Ihnen entbinden.«

Katarina stammelte irgendetwas zusammen, redete durcheinander und verhaspelte sich dabei permanent. Unklar, ob die Hebamme überhaupt etwas von dem ganzen Kauderwelsch deuten konnte. Doch das Wichtigste, sie begriff, dass Katarina in einer Zwangslage steckte, aus der sie allein nicht mehr herauskam. Denn unerwartet traf sie eine Entscheidung, mit der sie vermutlich gegen sämtliche Regeln verstieß.

»Nun gut«, sagte sie und atmete dabei schwer aus.

O Gott, danke, dachte Katarina jubelnd und wäre der Hebamme am liebsten um den Hals gefallen. Gleichzeitig hatte sie ein schlechtes Gewissen der Frau gegenüber, die nun womöglich ihretwegen ein Risiko auf sich nahm.

»Kommen Sie übermorgen hierher. Ich will noch nichts versprechen. Ich schaue Sie mir an und dann sehen wir weiter. Und wenn Sie einmal hier sind, können Sie anschließend gleich am Kurs zur Geburtsvorbereitung teilnehmen.«

O ja, selbst das. Katarina würde alles tun, wenn sie damit um das Krankenhaus herumkäme.

»Vielen, vielen Dank. Sie können sich nicht vorstellen, was das für mich bedeutet.«

»Juhu! Hab ich ein Glück.«, rief sie durch den Raum, nachdem sie den Hörer aufgelegt hatte.

Katarina war um eine zentnerschwere Last erleichtert. Das gruselige Krankenhaus hatte sie bereits vergessen und vollständig aus ihrem Kopf verbannt. Sie hatte jetzt eine feste Zusage für das Geburtshaus, zumindest so gut wie.

Ihr kleiner Schatz durfte in einer gemütlichen Wohnzimmeratmosphäre zur Welt kommen, das war beinah wie zu Hause. Besser hätte sie es gar nicht treffen können. Das Krankenhaus konnte sie ab sofort mal kreuzweise.

Sie stellte sich vor, sie lag zwischen vielen bunten Kissen, die Hebamme Hanni und vielleicht noch eine zweite waren bei ihr, sonst niemand. Außer Felix natürlich, der durfte nicht fehlen. Entspannungsmusik, alles war wunderbar. Dann ging es zur Sache. Die Geburt begann. Wehen, Schmerzen, Atmen nicht vergessen, Wehen. Pressen! Pressen?

Bei dem Wort grinste Katarina. Sie stellte plötzlich fest, der Gedanke daran versetzte sie gar nicht mehr in Panik. Grund dafür mussten das Geburtshaus und seine Atmosphäre sein.

Alles richtig gemacht, Katarina, genau der richtige Ort für dich, dachte sie.

Katarina war aufgeregt, nicht allzu übermäßig, nur ein klein wenig. Sie verließ sich heute auf ihr Gefühl, und das sagte ihr: Alles wird gut. Sie atmete noch einmal tief durch, dann öffnete sie die Tür zu dem Geburtshaus. Es war so weit, in wenigen Minuten hatte sie ihren Termin bei der Hebamme Hanni.

Sie trat in den Vorraum.

Wow, wie in einer Arztpraxis, nur wesentlich wohnlicher, dachte sie erstaunt.

Der Empfangstresen war nicht besetzt, auch sonst war kein Mensch zu sehen. Das war die Gelegenheit. Sie konnte sich also in aller Ruhe umschauen.

Katarina lief über den Gang. Dabei kam sie sich vor wie eine heimliche Schnüfflerin. Doch sie musste sich vergewissern, das vorzufinden, was sie erhoffte.

Es gab mehrere Zimmer, einige davon standen offen. Sie lugte vorsichtig um die Ecke. Niemand drin. Sie wollte auch nicht stören, sondern einfach nur ihre Neugier befriedigen. Wow. Gleich vom ersten Raum war sie überrascht. Bunte Farben, ein riesiges rundes Bett, Sitzbälle, Hocker, eine komische Stoffschaukel und Holzstangen. Wer weiß, wozu das alles gut war, aber irgendwie cool. Mitten im nächsten Zimmer stand eine knallviolette Badewanne, ringsum Stufen, Holzverkleidung und ein kleines Bett. Vor den Fenstern hingen Vorhänge, auch in violett, nur nicht so knallig. Selbst die Lichtleisten, die im ganzen Raum versteckt waren, schimmerten in dieser Farbe. Sie war völlig geplättet.

Die nächste Tür war geschlossen, leider, sie wagte auch nicht, einfach so hineinzuspähen. Sie war unschlüssig.

»Keine Angst, gehen Sie ruhig hinein und sehen sich alles an.«

Katarina fuhr erschrocken herum.

»Oh, ich wollte Sie nicht erschrecken. Ich dachte, Sie haben mich kommen gehört. Ich bin Hanni und nehme an, Sie sind Frau Hanselmann-Breuer. Ist das richtig?«

»Ja, so ist es, aber sagen Sie einfach Katarina. Ich war eben derart verblüfft, dass ich Sie gar nicht wahrgenommen habe. Es ist toll hier bei Ihnen.«

Hanni war mittelgroß, graumeliert mit Strubbelkopf und sicher schon in den Sechzigern.

»Ich freue mich, wenn es Ihnen bei uns gut gefällt. Kommen Sie, ich zeige Ihnen noch den Rest von unserer Einrichtung.«

Anschließend führte sie die Hebamme Hanni zu sich in den Besprechungsraum.

»So, ich würde mir jetzt gern noch Ihren Mutterpass ansehen und dann möchte ich Sie untersuchen.«

Während des Gesprächs machte Hanni noch einmal deutlich, dass sie mit Katarinas Aufnahme ein hohes Risiko auf sich nahm, und das bestand ebenso für sie und das Baby. Bei Frauen ab dreißig war Vorsicht geboten und Katarina war bereits fünfunddreißig, noch dazu mit einer Erstlingsgeburt.

»Keine Ahnung, was mich dabei geritten hat«, sagte Hanni kopfschüttelnd. »Sie haben mich mit Ihrer Geschichte wohl um den Finger gewickelt. Aber bei ersten Anzeichen einer Komplikation schicke ich Sie umgehend ins Krankenhaus.«

Katarina war einverstanden. Damit konnte sie leben. Was sollte schon schiefgehen. Sie fühlte sich fit und lange nicht wie fünfunddreißig. Und wie die Obersten der Weisen immer zu sagen pflegten, Schwangerschaft ist keine Krankheit. Diesem Punkt stimmte ihnen Katarina ausnahmsweise zu.

Bevor Sie gehen durfte, zeigte ihr Hanni einen weiteren Raum.

Ach du liebe Scheiße, dachte Katarina.

Mehrere dickbäuchige Frauen und auch welche mit fast gar keinem Bauch turnten hier auf Sitzbällen herum. Sie sah sogar ein paar Männer. Zwei von ihnen waren offensichtlich genauso schwanger wie ihre Frauen. Aber alle Achtung, dass sie diesen ganzen Zirkus mitmachten.

»Hier findet unser Kurs zur Geburtsvorbereitung statt«, unterbrach Hanni ihre Gedanken. »Einmal pro Woche. Sie können gleich mitmachen. Wir sehen uns dann nächsten Dienstag wieder, gleiche Zeit.«

Na toll.

Katarina hatte gehofft, dass Hanni kein Wort mehr davon erwähnen würde. Falsch gedacht. Nun durfte sie auch noch wöchentlich an diesem Gehampel teilhaben.

Wie zum Hohn lag in der Ecke ein letzter, einsamer Ball, der wohl nur auf sie gewartet hatte. Sie holte ihn und beobachtete erst einmal, was die anderen Frauen damit anstellten. Immer nach der Devise: Interessiert zusehen und so tun als ob. Das hatte sie sich zumindest so gedacht. Nur kam sie damit nicht lange durch. Kursleiterin Anette stand ihr sofort zur Seite. Sie zeigte ihr, wie sie sich an den Ball hängen, drauflegen oder setzen und das Becken kreisen konnte. Bei dieser Nummer sollte sie sich dann auch noch entspannen. Total verrückt. Nur dass es funktionierte, sogar besser, als sie vermutet hatte.

Hinterher saßen alle im Kreis auf dem Boden. Jede der Frauen erzählte etwas über ihre Schwangerschaft und welche Sorgen sie mit sich trug. Selbst bei ihnen lief nicht alles nach Plan, auch wenn es nicht immer ein so großes Problem war wie bei ihr. Das verblüffte Katarina. Dennoch hielt sie sich bewusst zurück, nicht alle Welt musste ihre Geschichte kennen.

Die Entspannung auf dem Boden mit der beruhigenden Musik dazu fand sie am besten. Beinah wäre sie dabei eingenickt. So peinlich wurde es dann zum Glück doch nicht.

»Ach, was soll’s«, sagte sie am Abend zu Felix. »So übel war der Kurs gar nicht. Ich darf dort entbinden und wenn das der Preis dafür ist, ist es okay für mich.«

Katarina wurde mit jeder Woche unförmiger und unbeweglicher.

»Dieser verdammte Ischias«, schimpfte sie morgens. »Ich habe wieder kaum geschlafen.«

Ihr Baby drückte auf den Nerv und die Schmerzen waren laut ihren Schilderungen – unerträglich. In der Nacht wurde sie wach. Sie konnte unmöglich noch länger auf der Seite liegen. Sie musste sich umdrehen, wenigstens auf den Rücken. Nur wie? Vielleicht sollte ich Felix kurz wecken, überlegte sie. Aber er musste wiederum früh raus und den ganzen Tag arbeiten. Nein, er braucht seinen Schlaf.

 

Am nächsten Tag fühlte sie sich wie gerädert.

»Hilf mir mal bitte aus dem Bett«, sagte sie zu Felix, bevor er zur Arbeit fuhr. »Wenn das so weitergeht, bin ich ein körperliches und psychisches Wrack, bis das Baby kommt.«

In ihrem Zustand konnte Katarina aus der Rückenlage nicht mehr selbständig aufstehen. Keine Chance. Das Ganze endete dann bestenfalls in einer akrobatischen Übung.

»Nicht mehr lange und du hast es geschafft«, sagte Felix und zog sie dabei auf die Beine.

Er hatte gut reden. Aber er musste diese nächtlichen Qualen auch nicht erdulden. In einem Punkt hatte er allerdings recht, demnächst war es so weit. Nicht, dass Katarina den Termin nicht selbst kannte und daran erinnert werden musste. Das wäre auch albern. Sie wollte einfach nicht daran denken. Denn das hieße, sie bekäme Wehen. Wehen bedeuteten Schmerzen und die hatte sie ohnehin schon zur Genüge. Nein, nicht noch mehr davon, das war für sie undenkbar. Dafür fehlte ihr schlichtweg die nötige Vorstellungskraft.

Katarina war nicht bereit, aber immerhin vorbereitet. Die Tasche, die sie zur Entbindung mitnehmen wollte, stand seit etlichen Wochen gepackt im Schrank.

»Sicher ist sicher«, sagte sie damals zu Felix, »man weiß ja nie.«

Sie wollte damit einer möglichen Panik vorbeugen, falls ihr Baby Pläne für einen anderen Termin hatte. Aus eben diesem Grund hatte sie Felix auch schon vor Monaten davon überzeugt, das Kinderzimmer herzurichten. Und das hatte er ganz großartig gemacht.

Von den Wänden und der Lampe grüßte das Sandmännchen. Vor den Fenstern hingen zartlila Vorhänge mit kleinen Giraffen und in der Ecke stand ein Bettchen, für später, wenn ihr kleiner Schatz dann etwas älter war. Und natürlich wollten Kinder spielen. Dafür hatte Felix eine extragroße Holztruhe besorgt, die inzwischen schon fast voll war mit Spielzeug. Ihr Baby konnte einziehen.

Für die ersten Wochen hatte Katarina von ihrer Freundin Meike einen Stubenwagen bekommen, leihweise sozusagen. Den würde sie später aber wieder zurückgeben müssen. Denn genau genommen war er ein uraltes Erbstück. Die Babys mehrerer Generationen hatten darin geschlafen, auch Meike selbst und ihre Kinder.

Alles war bereit, bis auf Katarina. Selbstverständlich freute sie sich auf ihren kleinen Schatz, keine Frage. Nur reell betrachtet war er die ganze Zeit über sowieso schon bei ihr. Und da, wo er momentan war, hatte sie ihn ganz für sich allein. Zudem war sie noch immer etwas Besonderes, und das war ein echt tolles Gefühl. Doch vermutlich war nach der Schwangerschaft damit Schluss, leider.

Katarina wartete auf erste Anzeichen. Sie steckte jetzt mitten in der vierzigsten Schwangerschaftswoche. Es konnte also täglich so weit sein, dass es losging und ihr kleiner Schatz Hallo sagen wollte. Aber sie fühlte sich wie immer. Ihr Baby nahm sich Zeit.

Es wird ein Mädchen und putzt sich noch. Mal wieder so ein kluger Spruch der Weisen. Dennoch war sie heute unruhiger als sonst. Und das hatte diesmal einen Grund. Morgen war der zehnte November, der von Dr. Fleischer errechnete Geburtstermin.