Mannesstolz

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Kröger richtet sich im Sessel auf.

„Was denn noch?”

Malvoisin muß sich erneut räuspern.

„Ihr Sohn wurde entmannt.”

Kröger springt auf und schreit.

„Was? Entmannt?” Der Kapitän senkt seine Stimme wieder und preßt hervor: „Welches Schwein …”

„Wir wissen noch nicht, ob es ein Mann oder eine Frau war oder beides.”

Kröger setzt sich wieder, scheint den ersten Schreck bereits überwunden zu haben und spricht deutlich leiser.

„Wo ist mein Sohn?”

„Er wurde in die Rechtsmedizin nach Lübeck gebracht.”

„Kann ich meinen Jungen sehen?” Der Kapitän wirkt auf Malvoisin erstaunlich gefaßt.

„Selbstverständlich. Darum hätte ich Sie ohnehin bitten müssen, um ihn zu identifizieren. Sind Sie abkömmlich?”

Kröger steht wortlos auf und tritt vor sein Büro. „Frau Meinrad, lassen Sie Fregattenkapitän Hendersmann bitten, mich für heute zu vertreten. Mein Sohn Malte ist tot …”

Frau Meinrad schlägt die Hände vors Gesicht.

„Um Gotteswillen, Herr Kapitän − weiß Ihre Frau schon? Der arme Junge!”

„Nein, sie weiß es noch nicht. Das bringe ich ihr bei, wenn ich aus Lübeck zurückkomme. Weisen Sie Kapitän Hendersmann kurz ein, im übrigen vorerst absolutes Stillschweigen, verstanden? Ach, und die Besprechung mit den Lehrgruppenkommandeuren findet morgen um 9 Uhr statt. Keine Begründung!”

Kröger sieht seine Sekretärin streng an.

Frau Meinrad schluchzt deutlich.

„Jawohl, Herr Kapitän, Stillschweigen, Besprechung morgen.”

Kröger setzt seine weiße Schirmmütze auf. „Lassen Sie uns fahren.”

*

Malvoisin und Kapitän Kröger betreten die Rechtsmedizin in Lübeck, wobei Malvoisin als ortskundig vorgeht. Er bedeutet Kröger, kurz zu warten. Malvoisin sucht Professor Anderson, den er an seinem Arbeitsplatz findet, angetan mit grüner Kleidung und Gummischürze.

„Hallo, Klinge!”

Anderson dreht sich zu ihm um.

„Ah, Malle. Ich wollte gerade mit der näheren Untersuchung unseres Gehenkten anfangen …”

„Warte noch. Ich habe seinen Vater draußen, um ihn zu identifizieren.”

„Oh ja, dann haben wir das hinter uns. Wie hat er die Nachricht aufgenommen?”

„Erstaunlich gelassen, nur das nicht.”

Malvoisin macht eine Schnittbewegung mit Zeige- und Mittelfinger.

„Verstehe.”

Malvoisin geht hinaus und holt Kapitän Kröger in den Obduktionssaal, führt ihn an den Untersuchungstisch; beide treten zum Kopfende. Anderson hebt das Abdecktuch hoch und schlägt es bis zum Brustkorb zurück. Kapitän Kröger tritt heran und betrachtet seinen Sohn.

„Herr Kapitän …?”

„Ja, Herr Kommissar, das ist mein Sohn Malte.”

Er stockt.

„Nein, das war mein Sohn.”

Kröger stockt erneut, betrachtet mit regungsloser Miene seinen Jungen.

„Das ist nur noch seine geschundene Hülle.”

Kapitän Kröger faßt das Abdecktuch an; es macht den Anschein, als wolle er es ganz wegziehen.

„Nicht, tun Sie sich das nicht an!”

Malvoisin faßt Kröger unwillkürlich am Unterarm. Der sieht ihn scharf an, worauf Malvoisin ihn losläßt, und preßt hervor:

„Ich habe meinen Sohn nackt gesehen, als er geboren wurde, ich habe ihn nackt gesehen, als ich ihn wickelte, ich habe ihn nackt gesehen, wenn ich ihn badete, ich habe ihn nackt am Strand gesehen, ich habe ihn nackt in der Sauna gesehen, ich habe ihn nackt gesehen, wenn er sich in meinem Garten sonnte …”

Kröger wird dabei immer lauter und schreit fast.

“…, und ich werde ihn nun nackt im Tode sehen!” Damit reißt er das Tuch weg, erstarrt, läßt es fallen, verfällt in Stoßatmung, zieht hörbar den Atem durch die Nase ein, schwankt, wehrt Malvoisin ab, als der ihn halten will, ergreift im selben Augenblick mit festem Griff dessen rechten Unterarm, wendet sich ihm zu. Sein Gesicht bebt, und er zischt:

„Finden Sie die Bestie, die das getan hat, und finden Sie sie schnell, ehe ich es tue.”

Kröger läßt Malvoisin los, der schweigend verharrt, den direkten, starren Augenkontakt ausgehalten hat, und geht hinaus.

„Puh, da möchte ich aber nicht in der Haut derjenigen stecken, die Du finden mußt, ehe der Mann sie erwischt!”

Malvoisin, sich fassend, wendet sich Anderson zu: „Wie kommst Du darauf, daß wir eine Täterin und nicht einen Täter suchen?”

„Oh, da gab es mal einen berühmten Fall in Japan in den 30er Jahren vor dem Krieg. Eine Sexsüchtige hat ihrem fleißigen Liebhaber das beste Stück abgeschnitten, nachdem sie ihn als übersteigerten Akt erwürgt hatte, und lief damit noch tagelang in Tokio herum. Das ein Mann das tut ist eher unwahrscheinlich, plagen uns doch alle heimlich, still und leise Kastrationsängste.”

Malvoisin ist erstaunt.

„Na, Du kennst ja tolle Schweinereien!”

Anderson bleibt gelassen.

„Das läppert sich im Laufe der Jahre. − Im übrigen sollten wir von mehreren Tatbeteiligten ausgehen …”

„Wie kommst Du darauf?”

„Wir haben hier einen zu Lebzeiten sehr kräftigen Mann vor uns, vermutlich bestens trainiert, sportlich. Der hat nicht einfach stillgehalten. Die erste Betrachtung hat ergeben, daß er keine Blutergüsse von Schlägen hatte, aber Druckstellen an den Handgelenken und Unterarmen, und eine Verletzung am Kopf, die geblutet hat; er ist also niedergeschlagen worden. Und er war an den Händen gefesselt − sieh hier an den Handgelenken − …”

„… und an den Füßen?”

„Nein, er konnte noch laufen. Merkwürdig ist, daß er zwei Holzsplitter in einem Fuß hatte. Er hat sie nicht mehr herausgezogen, also muß er sie kurz vor seinem Tod eingetreten haben. Er hat leichtere Hämatome an beiden Ober- und Unterarmen. Das kann von kräftigem Zupacken stammen, muß aber nicht zwingend auf einen bösartigen Kampf hindeuten. Das kann auch von hitzigem Sport herrühren. Beachvolleyball zum Beispiel. Aber jetzt lasse mich meine Arbeit machen, Du willst schließlich noch heute meinen Bericht haben. Und bring’ den Vater zurück, den Mann kannst Du im Moment nicht allein lassen.”

Professor Anderson wendet sich der Leiche zu, blickt nochmals auf.

„Übrigens, habt Ihr seine wertvollsten Zentimeter gefunden?”

„Nein, den Penis haben wir nicht.”

Anderson macht eine hinausschickende Kopfbewegung und wirft die kleine Kreissäge zum Öffnen an.

Malvoisin wirft nochmals einen Blick auf den Toten und murmelt:

„Nee, das muß ich nich’ haben, nich’ vorm Essen“ und verläßt den Obduktionssaal. Er ist gar nicht so sicher, ob er vor dem Abend überhaupt zum Essen kommt und ob dann sein wunderbarer Matjestopf noch vorhanden sei. Er kennt die Begeisterung seiner Lieben, wenn er einen Matjestopf angesetzt hat. Da muß er stets aufpassen, noch etwas abzukommen. Insgeheim schreibt er ihn für dieses Mal ab.

*

Malvoisin setzt Kapitän Kröger vor dessen Privathaus in Plön ab.

„Herr Kapitän, hat Ihr Sohn Malte bei Ihnen noch ein Zimmer gehabt?”

„Ja, warum?”

„Dürfte ich es mir ansehen?”

„Selbstverständlich, wenn es Ihnen hilft, die Mörder zu finden …”

„Sie sprechen in der Mehrzahl …?”

„Es müssen mindestens zwei gewesen sein, ein Einzelner hätte meinen Sohn nicht überwältigen können, völlig unmöglich. Und wäre sein Bruder in der Nähe gewesen …

„Ach, Sie haben noch einen Sohn?”

„Ja, Martin, mein Zweitgeborener.”

„Wo ist er?”

„Mein Kleiner ist an Bord der ‚Gorch Fock’ auf See …“ Er überlegt kurz. „… muß gerade in Höhe Gran Canaria auf der Rückreise sein.”

„Werden Sie ihn informieren?”

„Nein, warum sollte ich?! Er kann seinem Bruder nicht mehr helfen. Auch mein oder seiner Mutter Tod würde ihm nicht gemeldet werden. Unkonzentriertes Verhalten an Bord kann Menschenleben kosten. Es genügt, wenn er es zu Hause erfährt. Man ändert damit nichts mehr.” Kröger hält kurz inne, sieht, wie nach etwas suchend, gen Himmel. Dann fährt er fort.

„Übrigens, würde es Ihnen etwas ausmachen, wenn ich meine Frau vorher unter vier Augen informiere?”

„Nein, natürlich nicht. Ich warte am Wagen.” Malvoisin schließt den Wagen ab und lehnt sich dagegen, wobei er die Seite mit Blickrichtung auf das Haus behält. Kapitän Kröger geht zum Haus, betritt es und schließt die Tür.

Malvoisin kann vom Auto aus sehen, wie sich das Ehepaar im verglasten Terrassenbereich trifft. Der Kapitän spricht mit seiner Frau, die plötzlich aufschreit, die Arme hochreißt, schwankt, fällt. Kröger kann sie auffangen und auf ein Sofa legen. Er telephoniert, sieht anschließend nach seiner Frau. Kurz darauf kommt er aus dem Haus und auf Malvoisin zu, der von der anlehnenden in die aufrechte Haltung wechselt.

„Herr Kommissar, es tut mir leid, ich muß Sie bitten, später zu kommen. Ich mußte den Arzt rufen. Es ist zuviel für sie.”

„Ich bedauere, Herr Kapitän, aber bei einem Tötungsdelikt kann ich nicht warten. Ich muß das Zimmer Ihres Sohnes unverzüglich in Augenschein nehmen. Das duldet keinen Aufschub.”

Malvoisin sieht Kröger fest an, dessen Mimik signalisiert, daß er die kalt wirkende, aber ermittlungstechnisch notwendige Maßnahme einsieht.

Kröger geht vor, Malvoisin folgt dem Kapitän wortlos, der ihn an der geöffneten Haustür mit einer seinerseits wortlos höflichen Geste einlädt, näherzutreten.

„Mit meiner Frau können Sie jetzt nicht sprechen, sie wird Ihnen nichts beantworten. Da ist jetzt jeder Versuch sinnlos. Sehen Sie das bitte ein.”

Kröger räuspert sich kurz.

„Das Zimmer meines Sohnes befindet sich da vorn. Ich darf vorgehen.”

 

Damit setzt der Kapitän seinen Weg fort, wobei Malvoisin bemerkt, daß der Kommandeur seine Schirmmütze wie an jedem normalen Tag ordentlich an der Garderobe abgelegt hat, ehe er nach wenigen Metern vor einer Tür stehenbleibt, die mit einem vergoldeten Seepferd beschlagen ist.

„Hier wohnt, äh, wohnte mein Sohn Malte.”

Er öffnet die Tür, tritt einen Schritt zurück und gibt Malvoisin den Weg frei. Der tritt ein und läßt seinen Blick schweifen. Er prägt sich jede Einzelheit ein. Die Ausstattung und Atmosphäre kommt ihm vertraut vor. Er erinnert sich. Er rührt nichts an. Nach einem letzte Rundumblick faßt er in seine Jackentasche.

„Ich werde das Zimmer versiegeln, Herr Kapitän. Wir werden morgen vormittag gegen 8.30 Uhr wiederkommen.”

„Sicher, ganz wie Sie es für richtig halten. Ich werde nicht anwesend sein, da dienstlich unabkömmlich, nur meine Frau und ihre Schwester, die ich aus Kiel rufen werde, denn allein wird es Maltes Mutter nicht ertragen.”

„Wir werden es so schonend wie möglich halten, Herr Kapitän, aber ein Tötungsdelikt bleibt immer ein Tötungsdelikt. Ein harter Lebenseingriff, dem dann leider auch manche Nichtbeachtung von sonst üblicher Rücksichtnahme und Courtoisie folgt − folgen muß. Das geht uns oft auch contre cur, und Polizisten, gerade auch Kriminalbeamte, sind entgegen landläufiger Meinung keineswegs allesamt gefühl- und taktlos. Unser Beruf befaßt sich aber leider mit den unschönen Seiten des Lebens und der bösartigen Seite der Menschen. Wat schasst da moken, nich?”

Malvoisin zuckt mit den Achseln, schließt die Zimmertür und bringt das amtliche Siegel an. Pflichtgemäß erklärt er dem Hausherrn, daß Siegelbruch strafbar ist, der verstehend mit dem Kopf nickt. Dann verlassen beide Männer das Haus.

An seinem Fahrzeug angekommen, legt Malvoisin dem äußerlich immer noch gefaßten Kröger in kameradschaftlicher Vertrautheit die rechte Hand auf die Schulter.

„.. und mein herzliches Beileid, Herr Kapitän. Mein Großer ist knapp 18, wenn ich mir vorstelle …”

„Ich danke Ihnen …” Kröger gibt ihm die Hand. „… und Sie wissen, wo sie mich finden.”

Malvoisin steigt in seinen Wagen und fährt davon, während der Kapitän zügig zum Haus zurückkehrt.

*

Malvoisin hält am Alten Fährhaus in Plön an und sucht sich im Außenbereich einen schönen Platz. Der schreckliche Tod eines jungen Menschen und die Schändung seines Körpers, das spürbare Elend dessen Eltern − als das hat ihn intensiver getroffen, als er sich das als Profi eingestehen will. Sein privater Bruder Innerlich ist einfach nur geschockt, sein Bruder Äußerlich muß das unterdrücken und ihn nüchtern, sachlich handeln lassen. Aber nun hat er Batteriezeit und will bei dem herrlichen Wetter wenigstens eine Stunde nur in die Gegend gucken, einen Fruchtsaftcocktail genießen und einen Käsekuchen essen. Das geplante Fischessen bei Ueli ist ihm glatt durchgerutscht.

Es kommt eine hübsche Bedienung heran. Beide kennen sich gut. Sie ist 35 Jahre alt, mit einer schönen, weiblichen Figur, ein wenig über 1,70 m, hellbraune Locken. Am Strand zieht sie die Blicke auf sich, aber sie ist solo. Bedienung im Fährhaus − ja, Bedienung für einen faulen Pascha − nein. Nicht, daß sie sich in der warmen Jahreszeit nicht mal einen knackigen Feriengast geangelt hätte. Eine Nonne ist sie nicht. Mal für eine überschaubare Zeit einen maunzenden Kater bei sich zu haben findet sie ganz schön, aber im Winter rollt sie sich gemütlich in ihrem kleinen, hübschen Haus ein und liest einen Krimscher nach dem anderen. Warum sollte sie da einen Mitesser an sich heranlassen, der nur ihr kleines, geerbtes Vermögen verbrauchte. Nee, das muß sie nicht haben.

„Moin Martin. Das ist ja eine nette Überraschung. Bist lange nicht bei uns gewesen.”

„Da sagst Du ‘was − moin Gesche. Stehle mir grad mal eine Stunde.”

„Anstrengender Dienst?”

„Seelisch?”

„Ja.”

„Darfst Du drüber reden?”

„Nicht wirklich. Lies morgen die ‚LN’. Da wird sicher ’was drinstehen. Aber lieb, daß Du fragst.”

Er nimmt mit seiner Linken ihre Rechte und küßt sie. Gesche sieht ihn lächelnd an, fast so, als wäre sie heimlich in Martin von Malvoisin verliebt.

„Das übliche?”

„Jou, dat wör scheun.”

Wortlos streicht sie ihm mit dem Handrücken über die Wange und geht. Sie mag ihn sehr.

*

Malvoisin kommt ins K1 zurück. Langeland sitzt am Bildschirm.

„Hast Du ’was über Malte Kröger gefunden?”

Fritz blickt zu ihm herum.

„Der Coupierte ist offenbar gar nicht so unbekannt. Sieh Dir das mal an.”

Malvoisin stellt sich hinter Langeland, und der holt die erste der gefundenen Dateien aus der Verkleinerung ins Großbild zurück. Malvoisin pfeift leise durch die Zähne.

*

Malvoisin tippt die Rufnummer der Polizeistation Grube ein, kurzes Warten.

„Malvoisin. Herr Weber, fahren Sie doch bitte nach Kellenhusen und befragen auf dem DLRG-Turm am Südstrand einen Rudolf Hartmann, ob er bestätigen kann, daß sein Rettungskamerad Andreas Asmussen gestern abend bei ihm war und wann der gegangen ist. − Wie, Sie können nicht? − Unfallaufnahme? − Na, dann rufen Sie die Wachmannschaft in Dahme an und schicken Thies oder Möller ‘rüber. − In Ordnung. − Meldung nach Lübeck. Ende.”

*

Es ist gegen 20 Uhr und immer noch sehr warm. Dat is man Tiet för’t Tweedüüster-Speel.

Dem Beachvolleyball-Platz am Ende des kurtaxbelegten Kellenhusener Südstrandes in Richtung Grömitz nähern sich die vier jungen Reserve-Seeoffiziere-Rettungsschwimmer.

Sie schlendern die Wasserlinie Strand entlang. Es sind die „Seepferde”.

Timo hat den Volleyball unter dem Arm, Jens trägt eine Badetasche, die beiden anderen haben nichts dabei, alle tragen die roten DLRG-Badehosen und rote Sportjacken. Als sie am Netz ankommen, stellt Jens die Tasche seitwärts ab, Timo legt den Ball hin und kommandiert:

„Klamotten zieht aus” und im Handumdrehen stehen alle vier nackt da, recken und strecken sich, laufen kurz auf der Stelle, um sich zu lockern, Jens und Timo gehen auf die andere Seite, spielen mit dem Rücken Richtung Grömitz, Christian und Rudolf bleiben auf der Kellenhusener Seite − und das Spiel geht an.

Was sie nicht sehen, da viel zu konzentriert auf das Spiel, ist, daß sich von dem Deich her zwei junge Mädchen nähern. Sie tragen bauchfreie helle T-Shirts, himmelblaue, bzw. rote Shorts und bunte Flipflops, und sie haben leichte Überstreifer gegen die mögliche Abendkühle über ihre Schultern geworfen. Beide bleiben stehen.

Ricky stupst ihre Freundin an.

„Du, die jungen Hengste sind wieder da und spielen. Laß uns nähergehen.”

Jenny ist begeistert.

„Oh ja.”

Beide kichern leise und gehen so weit heran, daß sie gut sehen können, aber nicht gesehen werden und lassen sich auf ihren Überstreifern nieder.

Das Spiel ist in vollem Gange, Christian und Rudolf sind in Führung.

„Sieh Dir das Muskelspiel an, man weiß gar nicht, wer der Schönste ist”, flüstert Ricky.

„Ich wüßte schon, wen ich nähme, den Blonden da rechts außen [sie meint Christian]. Mir wird ganz warm, wenn ich ihn nur sehe. Schau nur seine Männlichkeit … hmmm, das sollte man zum Wachsen bringen …” Die Augen der Brünetten funkeln.

Ricky kann es nicht fassen.

„Noch mehr, wie groß denn noch? Du bist ja gierig!”

Die Brünette verteidigt sich entrüstet.

„Wieso gierig? Wir sind im Urlaub, Süße, da sollte man sich ’was gönnen, und den angele ich mir, ehe wir wieder fahren müssen. Aber sag’ mal, wo ist denn der Hübsche, der letztes Mal den Schiedsrichter gemacht hat?”

Ricky flüstert ihre Antwort, aber sie kann dabei den Blick nicht abwenden.

„Ach Du meinst den kleineren Blonden mit dem aparten Ohrring?”

Die Brünette ist überrascht. „Daß Du das bemerkt hast …!”

Ricky sieht ihre Freundin mit dem Blick ‚Bin ich denn blind?’ an.

„Ja sicher habe ich das. Aber das war doch der, der mit dem, den sie Rudolf gerufen haben, … na, Du weißt schon.”

„Ist das nicht eine Verschwendung?” flüstert die Brünette, mit Bedauern im Ton.

Ricky nickt zustimmend.

„Für uns schon, für die beiden sicher nicht.”

*

Es war Abend, aber noch hell genug, um den Weg und die Umgebung zu erkennen. Zwei junge, attraktive Mädchen kam aus Richtung Lensterstrand und liefen auf dem Landesdeich auf Kellenhusen zu. Es war sehr heiß am jenem Tag. Sie trugen deshalb nur Shorts und ihre Bikinioberteile, dazu leichte Sandalen. Eine hatte einen leichten Rucksack umgeschnallt, die andere trug eine Badetasche mit sich. Sie schwatzten und lachten dabei. Der Abend war angenehm warm.

„Hast Du den hübschen Blonden gesehen, wie der immer wieder an uns vorbeigelaufen ist?”

„Dem sind fast die Augen ‘rausgefallen, aber er hat sich nicht getraut, glaube ich.”

„Ob wir den mal ansprechen, wenn er morgen wieder da ist?”

„Warum nicht. Wär’ doch cool zu sehen, was er macht, wenn er zwei schöne Rücken eincremen darf.”

„Ob er danach noch aufstehen kann?” Beide lachen auf. „Einen süßen Schwanz hat er jedenfalls.”

„Wie alt der wohl ist?”

„Ich schätze 18, vielleicht auch erst 17. Am Ende ist der noch Jungfrau!”

Die das sagt, grinste schelmisch. Die andere bekam leuchtende Augen.

„Ein Zustand, dem wir abhelfen könnten.” „Männliche Jungfrauen sind so süß hilflos.”

„Dafür sind sie anschließend umso arroganter. Dann sind sie plötzlich die großen erotischen Helden.”

Es schwang Bedauern aber auch Verärgerung in ihrer Stimme. Sie gingen weiter und kamen an einem Baumbestand zwischen dem Naturstrand und dem Landesdeich vorbei. Die Dunkelhaarige ließ ihren Blick Richtung Ostsee schweifen und bemerkte eine Bewegung. Sie blieb stehen, hielt ihre Freundin am Arm fest.

„Du, da hinten sind zwei. Ich glaube, die treiben’s grad miteinander.”

Die Festgehaltene drehte sich abrupt um.

„Wo?”

„Da hinten, zwischen den vorderen Bäumen, am hohen Strandhafer.”

„Mach‘ Sachen! Der kriegt tatsächlich einen geblasen.”

„Komm’, laß’ uns näher gehen.”

„Meinst Du?”

„Wer es so öffentlich treibt, darf sich nicht wundern, wenn zugesehen wird. Ich find’s geil.”

Die Freundinnen schafften es, sich unbemerkt dem Schauplatz des heißen Treffens zu nähern.

Der Große hatte sich gegen einen schlanken Baum gelehnt, hielt sich, die Augen genußvoll geschlossen, rückwärts umschlingend, am Stamm fest, während vor ihm ein blondes Wesen mit schulterlangen Haaren kniete. Sie konnten nur den Rücken erkennen. Die Kopfbewegungen bestätigten, was die Mädchen bereits vermutet haben.

„Ist das nicht scharf?”

Sie konnten den Blick von der lasziven Szene nicht abwenden.

„Mir wird auch schon ganz warm.”

„Hör‘ auf, ich bin auch schon feucht.“

Beider Augen leuchteten. Die Brünette sah ihre Freundin an.

„Was meinst Du, wenn wir schon keinen Kerl haben, dann helfen wir uns nachher selbst, hm?”

Die Dunkelhaarige überlegte nicht lang.

„Nichts dagegen. Komm, ich will einen Vorschuß.” Beide sahen sich an, gaben sich einen zärtlich-intensiven Zungenkuß. Als sie wieder ihren Blick dem anderen Pärchen zuwandten, konnte ihr Erstaunen kaum größer sein. Die blonden Haare, der androgyn schöne Rücken, gehörten zu einem jungen Mann, der gerade begann, die Künste seines Partners zu genießen.

„Was sagst Du jetzt? Zwei Typen!”

Fasziniert sahen beide Mädchen weiter zu. Die erotische Szene vor ihnen wurde intensiver. Sie mündete in ein wildes erotisches Feuer.

*

Die beiden Mädchen bemerken während ihrer intensiven Betrachtung männlicher Qualitäten nicht, daß sich ihnen jemand leise nähert und nun hinter ihnen steht:

„Na, meine Damen, genießen wir?”

Beide fahren erschrocken herum.

Ricky faßt sich als Erste, leise, aber leicht stotternd.

„Äh, w..wo, äh, wo kommen Sie denn her?”

„Vom Deich. Und da ich zwei der Jungs kenne, kam ich näher, um auch die beiden anderen kennenzulernen.”

„Stehen Sie auf Männer? Und wer sind Sie überhaupt?” giftet die Brünette ihn mit funkelnden an, leise, aber deutlich pampig.

Malvoisin lächelt, nimmt seinen Rembrandt ab und geht in die Hocke und wird ironisch.

 

„Ich bin der liebe Onkel von der Kripo Lübeck, und ich steh nur auf einen Jungen, falls Sie das wissen wollen …” Er hält beiden seinen Dienstausweis hin.

Die Brünette reagiert schnippisch.

„Haste Töne. Schwul, aber bei der Kripo.” Malvoisin senkt kurz den Kopf und grient ob dieser Frechheit in sich hinein.

„Habt Ihr die Jungs schon häufiger beobachtet?”

„Warum wollen Sie das wissen?”

„Können wir uns darauf einigen, daß ich die Fragen stelle?”

Ricky beschwichtigt kleinlaut.

„Is’ ja gut, und ja, wir waren schon mal da.”

„Wie oft?”

Die Brünette antwortet.

„Dreimal …” Ihr Ton wird wieder patzig. „… was dagegen?“

„Nein, sicher nicht …”

Die Brünette gibt sich trotzig.

„Na also! Jahrhundertelang habt Ihr Kerle uns nackt begafft …” sie unterbricht sich selbst, sieht Malvoisin kritisch an „…, na ja, Sie wahrscheinlich nicht, aber jetzt schauen wir eben auch mal, einfach so und zum Vergnügen!”

Dann sieht sie wieder zu den Spielern herüber, die noch immer nicht bemerkt haben, daß sie beobachtet werden, zumindest tun sie so.

Die Brünette schmachtet, als wäre Malvoisin plötzlich verschwunden.

„Hach, man möchte das Badewasser sein, in das sie sich hineinsetzen …”

„Na, der Spruch ist aber auch nicht neu!” spottet Ricky und grinst trotzdem über ihr ganzes Gesicht.

Die Brünette seufzt ganz versonnen.

„… aber geil! Und Sonnencreme sollte man aus ihnen machen können und sich damit einreiben − überall…”

Ricky gibt sich empört.

„Jenny, Du bist ja schlimm!”

Malvoisin hat den etwas notgeilen Mädchen schmunzelnd zugehört.

„Sagt mal, wie heißt Ihr eigentlich?”

„Ich bin Ricky, … äh, Ricarda Sommer, und das ist meine Freundin Jenny Malinski.”

„Kann ich bitte Eure Ausweise sehen?“

Jenny sieht Malvoisin mit großen Augen an und tastet sich dabei betont über ihre Brüste und den nackten Bauch.

„Ach herrje, habe ich tatsächlich nicht bei mir. Am Strand reicht es normalerweise, wenn ein Typ meine Titten sieht. Der Ausweis genügt, dann vergißt er alles und will nur noch eines …”

Malvoisin faßt es nicht, kann aber nicht umhin, ob dieser lasziven „Entschuldigung” in sich hinein zu schmunzeln.

Ricky flüstert verdruckst.

„Wir haben wirklich keine Ausweise dabei. Konnten ja nicht ahnen, daß wir hier verhört werden.”

„Na na, Verhör ist das noch keines, nur eine erste Befragung, aber sagt mir, wie alt seid Ihr und wo wohnt Ihr?”

Jenny schweigt trotzig, Ricky gibt, wieder flüsternd, Auskunft.

„Ich bin 19 und Jenny ist 18, und in der Rosenstraße wohnen wir, nettes Quartier. Alter roter Backsteinbau …”

Malvoisin kommentiert die Mitteilung leise.

„Ach, das ehemalige Haus von Oma Eiker.”

Er sieht in die Weite, verfällt kurz in Reminiszenzen.

„Da habe ich mal als 16jähriger gewohnt. Na ja, ist ein paar Tage her; war urgemütlich damals − und billig.”

Jenny wird neugierig und fragt flüsternd, „Wie billig war denn damals billig?”

„15 Mark mit Frühstück und Abendbrot − tja, eben andere Zeiten.”

Die Mädchen staunen zunächst schweigend. Der Mann muß 100 Jahre alt sein, wenn er sich noch an Preise von knapp über 7 €uro 50 für solch ein Quartier erinnern kann! Daß man 2003 im „Ferienglück” noch für 10 € am Tag wohnen konnte, wissen sie natürlich nicht.

Malvoisin besinnt sich wieder seiner Aufgabe.

„Wie lange seid Ihr schon hier, und wie lange bleibt ihr?”

Ricky schimpft leise.

„Mann, wir zahlen heute 30 €uro und müssen uns ums Essen selber kümmern.” Ihr Blick geht zum Beachvolleyball hinüber, sie will lieber den spielenden Männern zusehen, ergänzt aber noch, „Äh, ja, vor acht Tagen sind wir gekommen und in acht Tagen geht es leider schon wieder nach Hause.”

„Habt Ihr immer nur die vier hier gesehen, oder waren auch noch andere da?”

Jenny spielt leise wieder mit.

„Die vorigen Male war ein Blonder mit Ohrring dabei, der machte den Schiedsrichter. Keine Ahnung, warum der heute nicht da ist.

Ricarda wird temperamentvoll.

„Du hast den Großen vergessen, Jenny” − und zu Malvoisin gewandt −, „der ist bestimmt 1,95 m groß, schwarze, kurze Haare, Dreitagebart. Der sieht richtig Klasse aus, das reinste Pferd!”

„Wieso Pferd?”

Jenny ergänzt, jetzt auch nicht mehr ganz so leise. „Na wissen Sie! Sehen Sie sich doch mal die Jungs an, die sehen doch alle aus wie junge Pferde, aber der, der hat dreimal hier gerufen …”

Malvoisin gibt sich gespielt erstaunt.

„Wobei?”

Jenny reagiert fast etwas entrüstet.

„Steht Ihr bei der Kripo alle so auf der Leitung? Na Pferd eben, ich denke, Ihr Männer achtet bei Euch auf so ’was…” und hält ihm beide ausgestreckten Hände hin, als wollte sie eine Abmessung zeigen.

„Ach so, so Pferd, jetzt verstehe ich. War mir gar nicht aufgefallen.” Er markiert den Unwissenden.

Jenny wundert sich.

„Sie kennen ihn?”

„Ich bin ihm flüchtig begegnet, zweimal, aber da war das nicht zu erkennen.”

„Na, da brauchen Sie aber eine Brille, wenn Sie das nicht …” Jenny schüttelt verständnislos den Kopf.

„Mädels, Ihr geht jetzt besser, ich habe mit den Jungs zu reden.”

Um sicherzustellen, daß die Mädchen auch wirklich gehen, begleitet er sie zum Deich zurück. Auf dem Deich will Ricarda es dann wissen.

„Was wollten Sie eigentlich? Uns das Vergnügen stören?” Sie gibt sich verärgert.

„Wieso Vergnügen stören? − Ach so …” Malvoisin lacht. „… das meint Ihr!” Er sieht beide abwechselnd an. „Ihr könnt Euch nackte Männer ansehen wo und so lange Ihr wollt, aber ich ermittele in einem Tötungsdelikt …”

Ricarda erschrickt.

„Um Gotteswillen, wer ist denn tot?”

„Der Große.”

„Der Tote vom Strand, wovon der ganze Ort brummt?” Ricarda dämmert es. „Die Leute haben sich sogar im Lebensmittelladen darüber unterhalten.”

„Ja, wir haben ihn heute morgen in einem Strandkorb gefunden. Wann habt Ihr ihn zuletzt gesehen?”

Malvoisin schaut beide prüfend an, die Mädchen wechseln bestürzte Blicke, beide verschränken die Arme.

„Jenny, wann haben wir ihn zuletzt gesehen? Das war vor zwei Tagen, aber nicht hier.

„Nicht hier, nicht mit den anderen?”

Die Mädchen antworten im Duett.

„Nein.”

Ricarda beginnt, zu erzählen.

„Wir waren von Lensterstrand gekommen. Hier kann man ja nicht nackt baden und abends ist es uns zu gefährlich.”

Jenny fährt fort.

„Ja, und da haben wir vom Deich aus zwei Leute Ballspielen sehen, und da sind wir halt näher, um zu sehen, wer das war.”

*

Jenny und Ricarda gingen vom Deich herunter neben einem kleinen Strandwaldstück über einen Trampelpfad Richtung Strand. Ihnen fielen zwei Nackte auf, die Paarvolleyball ohne Netz spielten. Die Zwei waren so intensiv bei der Sache, daß sie die Mädchen nicht bemerkten, die sich auf einem sandigen Stück hinkauerten und zwischen dem Deichgras durchlugend die beiden Spieler beobachteten.

„Sieh Dir die beiden an.”

„Schau das Mädchen, das ist ja eine Hübsche! Hast Du die schon mal gesehen?”

„Ich weiß nicht, aber … ach, jetzt weiß ich doch. Die kam mal in DLRG-Klamotten vom Strand hoch. Aber der Typ, wow, das ist ja …”

„Der Oberhengst, der Seilbesitzer! Kannst Du Dich nicht vom letzten Spiel erinnern …?”

„Ja klar! Der ist das!“ Sie grinste. „Und Du hattest als Berufswunsch plötzlich ,Glöcknerin‘!“

„Jetzt streite Du auch noch ab, daß Du nicht auch gern mit dem Seil die Glocken läuten ließest!!“

Die Andere grinste schelmisch und ihre Zunge spielte mit der oberen Zahnreihe.

„Den haben wir doch auch schon bei der DLRG gesehen, nicht?“

„Aber nicht ohne …!“

„Na, der ist wirklich nicht ohne!“

Die Freundinnen lachten sich tonlos an.

„Laß’ uns doch ein wenig bleiben − mal sehen, was die beiden noch machen.”

Beide grinsten und schauten dem Spiel zu. Der Ball ging hin und her.

Da streckte Malte sich, um den Ball noch zu erreichen, schaffte es nicht, knallte im Vorwärtssprung der Länge nach hin und blieb liegen. Das Mädchen ging zu ihm hin.

„Na, schon geschafft?”

Er drehte sich auf den Rücken.

„Das könnte Dir so passen!”

Malte spannte sich an und sprang auf. Im Stehen strich er sich den Sand von Brust, Bauch und Geschlecht. Sie merkte, was er andeuten wollte.

„Laß’ es, Malte, ich bin dafür nicht in Stimmung. Ihr Männer müßt nicht immer glauben, nur weil wir mal nackt vor Euch herumspringen und Eure Hormone Purzelbäume schlagen, daß wir gleich auf Pfadfinder machen: Allzeit bereit! Ha? Du bist nicht unwiderstehlich. Lern das endlich mal.”