Das Biest in Dir

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Mit dem nächsten Herzschlag war der Geist des Iatas wie geleert. Eine weiße Wand schien sich quer durch sein Hirn zu spannen und hielt die Gedanken an die vermeintlichen Schwächen seines Gottes zurück; verbot ihm sämtliche Beleidigungen, mit denen er ihn unwissentlich beschämt hatte. Ab sofort, das wusste er, stand nicht nur sein Handeln, sondern auch sein Denken einzig im Dienste des Dunklen Herrschers.

Loës, der im Geist seines Menschensklaven nach Belieben lesen konnte, nickte nun bestätigend mit dem Kopf. Voll Genugtuung erhob er die rauchige Stimme, während er auf den zu seinen Füßen kauernden Mann hinabsah.

»Ich bin alles für dich, merk dir das. Ich bin deine Familie, ich bin dein einziger Freund und vor allem kann ich aber auch dein schlimmster Feind sein, wenn du mich dazu zwingst. Du wirst alles tun, was ich dir befehle und du wirst es tun, wenn ich es dir befehle. Außerdem wagst du von nun an nie wieder abwertend von mir zu sprechen oder auch nur zu denken.« Angriffslustig fletschte Loës die Zähne und ballte seine Hände zu Fäusten. Die Knöchel traten gräulich-weiß unter der papierdünnen Haut hervor und knackten dabei deutlich vernehmbar.

»Merk dir eines, Skal, vom heutigen Tage an ist nicht nur dein Körper mein Eigentum, sondern auch dein Verstand. Wann immer du den Wunsch hegen magst, mir untreu zu werden, denke immer daran: Ich bin in deinem Kopf!«

»Ihr seid allmächtig«, bestätigte Skal tonlos, in der Hoffnung, dass die Tortur nun endlich ihr Ende haben mochte. Jede Faser seines Körpers sehnte sich nach Erlösung. Genauso wie er sich aus tiefstem Inneren nur noch wünschte, Gott Loës zufriedenzustellen und ihm dienen zu dürfen. Das Wohlwollen seines Gebieters zu erlangen würde von jetzt an, bis in alle Ewigkeit, sein höchstes Ziel darstellen. Sein Gegenüber schien das zu bemerken, denn zum ersten Mal zeichnete sich ein zufriedenes Lächeln auf dessen Lippen ab.

»Ich sehe, du hast nun endlich verstanden«, sprach er, wobei seine Stimme noch immer den geheimnisvoll rauchigen Unterton aufwies. Allerdings hatte sie inzwischen ihre grausame Schärfe verloren. »Mehr als diese Erkenntnis wollte ich nicht von dir. Und nun erhebe dich, mein Schüler. Wir haben viel zu tun.«

Ein kurzes Winken mit der Rechten folgte und tatsächlich konnte Skal jetzt ohne größere Mühen vom Boden aufstehen. Im ersten Moment drehte sich noch alles vor seinen Augen, aber als er in sich ging und auf Verletzungen oder eventuelle Rebellionen seines gepeinigten Körpers lauschte, vernahm er nichts. Abgesehen von seiner aufgebissenen Lippe war er vollkommen unversehrt und bereit, Bäume auszureißen. Dankbar blickte der alte Krieger hinauf in die schwarzen, mandelförmigen Augen des Albengottes, die ihm – zumindest hatte er in diesem Moment den Eindruck – beinahe schon gütig entgegenschauten.

»Ich mag grausam sein, Skal, aber vergesse nie, ich bin auch gerecht. Wer nicht gegen mich aufbegehrt, sondern meinen Willen befolgt, der hat vor mir nichts zu befürchten. Das gilt für dich, ebenso wie für jedes andere Lebewesen auf Epsor. Nur wer sich mir entgegenstellt, muss mit harten Strafen rechnen ... Oder aber wer mein Vertrauen missbraucht, so wie Saparin es in der Schlacht getan hat, als er dazu bereit gewesen war, sein Leben für Nemesta zu opfern anstatt für mich.« Den letzten Satz sprach Loës so leise aus, dass Skal ihn nicht einmal vollständig verstanden hatte, doch er war sich sicher, dass die Worte nicht für ihn bestimmt waren und hakte deshalb nicht nach. Nie wieder würde er eine Entscheidung seines Gottes infrage stellen.

»Komm jetzt, es gibt viel zu erledigen«, raunte der Dunkle Herrscher erneut und drehte sich auf der Ferse um. Ohne zu zögern senkte Skal das Haupt und folgte in drei Schritten Abstand dem wehenden Saum seines Umhangs. Die mentale Sperre, welche es ihm bis eben noch unmöglich gemacht hatte aufzustehen, geschweige denn die Tür zu durchschreiten, war wie weggeblasen. Ihm wurde klar, dass Loës ihn ganz bewusst auf eine Art und Weise gequält hatte, deren Schaden sich innerhalb von wenigen Augenblicken wieder gänzlich beheben ließ. Das Ergebnis jedoch würde ewig währen.

»Darf ich fragen, was mein Meister als Nächstes zu tun gedenkt?« Skal sprach laut und deutlich, dennoch mit ehrfürchtigem Unterton in der Stimme. Ganz wie es einem Diener geziemte.

Der Mensch weiß nun, wo sein Platz ist, sodass ich mich endlich um andere Widrigkeiten kümmern kann, dachte Loës im Stillen und schmunzelte. Einen Moment später antwortete er: »Wir gehen deine Schüler besuchen. Nachdem sie mir gesagt haben, was ich wissen will, wirst du mir deine Treue sogleich das erste Mal unter Beweis stellen können. Das erste Mal von vielen, denn Skal, der Iatas, ist am heutigen Tage gestorben. Ab sofort bist du mein Zuoul. Mein Vollstrecker.«

Skal hörte am Tonfall seines Meisters, dass dieser nicht Willens war, das Gespräch noch weiter zu vertiefen. So faltete er lediglich untertänig die Hände vor dem Bauch und senkte den Kopf. In dem Wissen, dass sein Gebieter, der mit weit ausgreifenden Schritten vor ihm herlief, beide Gesten nicht sehen konnte, marschierte er folgsam hinterdrein. Darius und Therry existierten nun bloß noch als Werkzeuge, die Loës gefällig zu sein hatten, bis der sie wegwarf. Zu einer anderen Art von Gefühlen, ob er sie nun jemals für die beiden gehegt haben mochte oder nicht, war Skal von nun an nicht mehr fähig.

Mit nach wie vor vollgeschwitzten Kleidern und in immer genau demselben Abstand folgte der ehemalige Iatas-Meister seinem Gott durch den fackelbeschienenen Gang. Dabei kam ihm der Gedanke, dass der Herr der Dunkelheit ihn womöglich auch dann gequält hätte, wenn er sich von Anfang an nicht nur für seine Untreue, sondern auch für seine respektlosen Gedanken und Träume entschuldigt hätte. Doch diesen frevlerischen Einfall verwarf er ebenso rasch wieder, wie er gekommen war. Skal wollte kein weiteres Mal riskieren, dass sein Meister ihm zürnte. All sein Verlangen drehte sich nun einzig und allein darum, ein guter Diener und würdiger Zuoul zu sein.

Und Loës lächelte darüber.

Die Kerker von Eichenburgh

Wieder erwachte Darius mit brummendem Schädel, auch wenn es dieses Mal nicht ganz so schlimm war wie noch vor einigen Stunden. Was jedoch unverändert blieb, war die Orientierungslosigkeit, die, kaum dass er die Augen aufschlug, von ihm Besitz ergriff.

Aus irgendeinem Grund konnte der junge Iatas spüren, dass er nicht besonders lange weggetreten gewesen sein konnte. Auch hielt das Bewusstsein viel schneller wieder Einzug in seinen Körper und Geist als beim letzten Mal. Es war beinahe so, als wäre sein Wahrnehmungsvermögen es inzwischen gewohnt, immer wieder in kurz aufeinanderfolgenden Zeitabständen, aus der Ohnmacht zu erwachen. Im ersten Moment hatte Darius noch das Gefühl, er würde auf einem schwankenden Boot fahren und es dauerte einige Augenblicke, bis er sich seines Irrtums gewahr wurde und feststellte, dass das Schaukeln unter seinem Körper nicht von unruhiger See herrührte.

Zwei dunkel gekleidete Personen, die er im schwachen Licht des scheinbar unterirdischen Ganges nur verschwommen wahrnehmen konnte, hatten ihn an den Ellenbogen und Handgelenken gepackt und zogen ihn mit sich, wobei seine Füße nutzlos über den Boden schleiften. Urplötzlich kehrte die Erinnerung an die vergangenen Ereignisse zurück. An die wahnsinnige Nemesta und den tot geglaubten Saparin. Nur einen Herzschlag später überkam ihn siedend heiß der Gedanke an Therry.

Obwohl die Fänge der Ohnmacht noch nicht gänzlich von ihm abgelassen hatten, sein Körper seltsam taub und der Blick unnatürlich verschleiert war, hob Darius den Kopf. Er schien so viel wie ein Fass zu wiegen. Desorientiert wanderten seine Augen zu den beiden Männern hinauf. Daran, dass es sich um Alben handelte, bestand für ihn keinerlei Zweifel. Auch wenn er noch nicht scharf genug sehen konnte, um in dem Zwielicht die Farben ihrer Augen zu erkennen, so bemerkte er dennoch die spitz zulaufenden Ohren. Soweit es ihm möglich war, machte Darius sich zur Gegenwehr bereit, auch wenn er kaum wusste, wie er sich wehren sollte und all seine Gedanken nur bei einer einzigen Person waren.

»Wo ist Therry?«, versuchte er mit fester und bedrohlich wirkender Stimme zu sagen, um seinen Wachen zu zeigen, dass er sich trotz seiner verhängnisvollen Situation nicht vor ihnen fürchtete. Viel mehr als das unverständliche Lallen eines Betrunkenen kam ihm jedoch nicht über die schwer gewordene Zunge, die offenbar ein Eigenleben entwickelt zu haben schien. Denn sogleich folgten weitere zusammenhanglose Silben, die sich allesamt so anhörten wie das Geschwätz eines Schwachsinnigen. Doch die beiden Männer neben ihm schienen seinen Lauten tatsächlich eine gewisse Information entnehmen zu können. Schlagartig verstärkten sie ihre Griffe und schienen sogar ihre Schritte noch ein wenig mehr zu beschleunigen. Währenddessen wandten sie einander die Köpfe zu, wobei sie mit Leichtigkeit über den von Darius hinweg sehen konnten, da der noch immer zur rechten Seite hin umgeknickt war und auf seiner Schulter ruhte.

Rasch wurden einige knappe Sätze gewechselt, doch Darius konnte deren Inhalt nicht verstehen. Einzig die Worte: Betäubung lässt nach, drangen zuverlässig an sein Ohr. Hilflos und entmachtet von den zwei Fremden durch die Gegend getragen zu werden, war dem Iatas zuwider. So versuchte er ein ums andere Mal, einen Fuß aufzustellen, um sich aus eigener Kraft auf den Beinen zu halten und so zumindest den Anschein von Widerstand zu erwecken.

Die ersten drei Versuche scheiterten in kläglichem Stolpern, das von seinen Bewachern abgefangen wurde. Doch dann gelang es Darius tatsächlich die Beine anzuziehen und für einen kurzen Moment im Tempo der beiden einen Schritt nach dem anderen zu tun. Auch die Kraft und Kontrolle über seinen Körper kehrten nun mit erstaunlicher Schnelligkeit in ihn zurück. Kaum, dass sich sein Blick wieder zu klären begann, versuchte er durch konstantes Ziehen und Zerren den festen Griffen seiner Bewacher zu entkommen. Allerdings bekam er schon im nächsten Augenblick die Konsequenz dafür zu spüren. Hart und vollkommen unerwartet traf ihn die Faust des einen mitten in die ungeschützte Magengrube, sodass er wieder in sich zusammensank und nach einem erschrockenen Aufkeuchen schwer nach Atem lechzte.

 

»Wir müssen uns beeilen, das betäubende Schmerzmittel lässt viel zu schnell nach!«, drangen die aufgeregten Worte von einem der Alben an Darius’ Ohr. Dessen verkrampfter Oberkörper verlagerte sich inzwischen ungewollt soweit nach vorn, dass seine Füße keinen Halt mehr auf dem Boden fanden und erneut nutzlos hinter ihm her schleiften. Sein Sichtfeld war dabei einzig auf die dunklen Steinplatten des Bodens beschränkt. Die Tatsache, dass man ihm noch immer links und rechts die Arme festhielt, machte es für ihn noch unerträglicher, da er nun nicht einmal in der Lage war, sich die Hände an den schmerzenden Bauch zu halten. Zwar versuchte er sich wieder aufzurichten, doch der zweite Alben packte ihn hart im Nacken und hielt ihn unermüdlich weiter nach unten gedrückt.

»Wir hätten ihn doch fesseln sollen, dann würde er jetzt nicht solche Scherereien machen!«, zischte er verärgert an den anderen gewandt, während seine Finger sich schraubstockartig immer weiter zusammendrückten.

»Ja, du hast recht«, gab sein Kamerad mit schuldbewusstem Unterton in der Stimme zu. »Allerdings hätte ich nicht gedacht, dass er sein Bewusstsein so schnell zurückerlangen würde. Die Betäubung hätte ihn für mehrere Tage schlafen lassen müssen.«

»Das muss mit seiner Verwandlung zu tun haben, die Bestie in ihm unterdrückt anscheinend die Wirkung des Mittels.« Diesmal kam die Stimme von einem dritten Mann, der einige Schritte hinter Darius lief und den dieser bisher noch gar nicht bemerkt hatte. Kaum, dass der junge Krieger die Worte vernahm, versuchte er seinen ohnehin schon weit nach vorn gebeugten Oberkörper noch ein wenig mehr in Richtung Boden zu bewegen, in der Hoffnung, den Sprecher zwischen seinen Beinen hindurch erspähen und sich so einen besseren Überblick über seine Feinde verschaffen zu können.

Das hätte ihm jedoch beinahe die zweite schmerzhafte Erfahrung innerhalb kurzer Zeit eingebracht, denn im gleichen Moment ließ einer seiner Bewacher vollkommen unerwartet von ihm ab. Einzig das schnelle Eingreifen des anderen Alben schützte Darius davor, mit dem Gesicht voran auf den Steinfliesen aufzuschlagen.

»Er ist verwandelt?«, tönte es ungläubig und mit bebender Stimme, während der Mann bis zur Wand zurückwich. Augenblicklich hob der Iatas den Kopf und erkannte, dass der panische Soldat nach dem Schwert in seinem Gürtelbund griff.

Reflexartig nutzte Darius seine freigewordene Hand und schlug dem Krieger, der ihn nun im Alleingang festzuhalten versuchte, den Handballen zwischen die Beine. Aufstöhnend ließ dieser von ihm ab und wankte mit schmerzverzerrtem Gesicht an die andere Wand des gut vier Schritte breiten Ganges.

Darius, der sich nun vollkommen aus eigener Kraft auf den Beinen halten musste, taumelte und kurz darauf knickte ihm der linke Fuß um, sodass er mit einem Knie auf den Boden aufsetzte. Schon sah er die schmale Schwertklinge seines anderen Bewachers im fahlen Licht der wenigen Fackeln bedrohlich aufblitzen. Wie das rettende Stück Treibholz in der tosenden Flut umklammerte der Alb den Griff mit beiden Händen und holte in einer halbmondförmigen Bewegung zum Streich aus.

»Rühr ihn nicht an, du Narr!«, kam es von hinten und beide, sowohl Darius als auch der offensichtlich verängstigte Soldat, hielten in ihrem Tun inne und wandten den Kopf. Zwei weitere Krieger schlossen mit gezogenen Schwertern zu ihnen auf. Doch mehr als die todbringenden Waffen erstaunte Darius, was sie an der jeweils anderen Hand mit sich führten. Genau wie seine beiden Bewacher trugen auch sie noch eine Person zwischen sich. Die Gestalt war deutlich kleiner als er, sodass ihre Füße frei in der Luft pendelten, und obwohl der Großteil ihres Gesichtes unter einer weißen Bandage verborgen war, erkannte er sie sofort.

»Therry?«, kam es dem Iatas sogleich ungläubig über die Lippen, während sein Kontrahent nicht weniger verwirrt schien. Noch immer hielt dieser das Schwert mit zittrigen Händen hocherhoben, bereit jeden Augenblick zuzuschlagen.

»Lass die Waffe sinken und überwältige ihn, Dummkopf«, tönte der Größere von beiden und hielt seine Klinge indessen unmittelbar vor Darius’ Gesicht, um ihn ruhig zu halten. Der andere legte sein Schwert an Therrys Hals und stierte aus seinen schwarzen Augen, die im Halbdunkel des Flures wie leere Höhlen wirkten, vielsagend zu ihm herüber. Er musste sich keiner weiteren Drohung bedienen, um die Situation klarzumachen. Stattdessen richtete er das Wort an seinen noch immer leicht ängstlichen Kameraden, der Darius gegenüberstand und von allen Beteiligten am wenigsten zu wissen schien wie er sich zu verhalten hatte.

»Der Uèknoo ist in diesem Moment doch gar nicht mehr verwandelt. Er ist harmlos, also greif ihn dir, bevor er sich seiner Kräfte erneut gewahr wird.«

Einen Atemzug lang schien der Mann noch immer nicht zu verstehen. Zwei-, dreimal schaute er zwischen dem Sprecher, Darius und seinem Mitstreiter hin und her, der sich in diesem Augenblick unter Stöhnen wieder aufraffte und die Hände schützend gegen die Genitalien drückte. Dann endlich begriff er, steckte rasch die Waffe wieder in die Scheide und packte Darius an den Handgelenken.

Instinktiv spannte der junge Krieger die Muskeln und hielt dagegen, doch ein richtiges Gerangel zwischen ihnen gab es nicht, denn schon drückte der andere Alb seine Klinge ein wenig fester gegen Therrys Hals, sodass ihr neben einem kleinen Blutstropfen auch ein leises Stöhnen entwich.

»Lass sie!«, verlangte Darius knapp, doch schon wurde ihm von seinen beiden Bewachern ein Arm grob auf den Rücken gedreht. Während sich der eine noch mit schmerzverzerrter Miene den Schritt hielt, begann der andere ihn bereits wieder den Gang entlangzuschleifen. Wahrscheinlich dachten sie, sie würden Darius durch den Armhebel ausreichend beschäftigen. Doch einzig die Tatsache, dass Therry sich in Gefahr befand, sorgte dafür, dass er sich nicht zur Wehr setzte. Auf makabere Weise wurde ihm mit einem Male klar, dass seine Gefährtin seit der Schlacht mehr oder minder oft als Geisel hatte herhalten müssen, damit seine Feinde dazu in der Lage waren, ihn in die Schranken weisen zu können.

»Da...Darius?« Leise und verunsichert vernahm er die Stimme seiner Gefährtin.

»Verdammt, jetzt wacht sie auch noch auf«, meinte einer der hinter ihm befindlichen Alben deutlich angespannt.

»Therry! Therry, ich bin hier«, versuchte Darius auf sich aufmerksam zu machen, da sie ihn aufgrund ihrer großflächigen Augenbinde, die nur wenig mehr als Mund und Nase freiließ, nicht sehen konnte. Doch unversehens bekam der Iatas die Folge dafür zu spüren. Mit einem Ruck wurde sein Arm noch weiter nach oben gezogen, sodass er sich auf die Zehenspitzen stellen musste, wollte er keine Verletzung riskieren. Aber auch das verschaffte ihm kaum Linderung. Ein stechender Schmerz raste die Schulter des jungen Mannes hinauf und ließ ihn schmerzerfüllt aufschreien.

»Hört gefälligst auf, miteinander zu sprechen! Ist das klar?«, befahl eine Stimme in sein Ohr, während sich der Druck ganz langsam verringerte und wieder auf ein erträgliches Maß zurückging.

»Darius, was ist hier los?« Wieder sprach Therry und in ihrer zitternden Stimme schwang deutlich vernehmbare Angst mit, nachdem sie ihren besten Freund hatte schreien hören.

»Ihr sollt verdammt noch mal die Schnauze halten!«, plärrte es in Darius’ Ohr und wieder wurde ihm der Arm bis über die Schmerzgrenze hinaus gegen das Gelenk gedrückt. Er vermied es, seinen Peiniger darüber aufzuklären, dass er diesmal nichts dafürkonnte, sondern presste nur die Zähne aufeinander, um ihm nicht die Genugtuung und Therry nicht die Sorge eines neuerlichen Aufbrüllens zu geben.

»Was sollen wir jetzt tun?«, fragte der andere Alb neben Darius, welcher mit der ganzen Situation sichtlich überfordert schien. Normalerweise wäre es dem Iatas ein Leichtes gewesen, den unkonzentrierten Mann in diesem Moment, trotz seines festen Haltegriffes, zu überwältigen. Doch zum einen fürchtete er noch immer, Therry damit in Gefahr zu bringen und zum anderen war er nach wie vor unbewaffnet. Selbst wenn er das Überraschungsmoment gut ausnutzen würde, gäbe es keine Chance, auch noch die restlichen drei Wachen außer Gefecht zu setzen. Erschwerend hinzu kam, dass sein eben erst aus der Ohnmacht erwachter Körper ihm noch immer nicht vollkommen gehorchte.

Überhaupt hatten die vier Alben ihn und Therry die meiste Zeit über mehr tragen oder gewaltsam ziehen und schieben müssen, sodass sie sich seit seinem Erwachen auch noch nicht sonderlich weit vom Fleck bewegt hatten. Dennoch erkannte Darius, wie sich aus dem Halbdunkel vor ihnen die Konturen einer verschlossenen Tür schälten.

»Ich hab auch keine Ahnung, was wir jetzt machen sollen«, schnaufte einer der Soldaten, die Therry gepackt hielten. »Lord Saparin hat mir aufgetragen, für das Überleben der beiden zu sorgen und sie nach Urgolind zu bringen. Dass der Heiler sie vor dem Transport nicht ausreichend betäuben würde, konnte ich nicht ahnen.«

»Ich schlage vor, dass wir sie erst einmal in eine der Zellen bringen, Peilnhin. Ich will nicht das Risiko eingehen, dass sie sich jetzt verwandeln. Wenn Saparin sie unbedingt in der Festung haben will, dann muss er uns nachher dabei helfen sie durch den Wald zu schleppen«, entgegnete der, der Darius zuvor mit dem Schwert bedroht hatte, und machte sich dabei kaum die Mühe, seine offensichtliche Angst vor den Gefangenen zu verbergen. Schon waren sie, eng aneinandergepresst, durch die schmale Tür in den Raum dahinter getreten.

Eine Vielzahl von Fackeln, die in metallenen Halterungen an den Wänden hingen, sorgten dafür, dass dieses Zimmer deutlich besser beleuchtet wurde. Vermutlich wurde es öfter durchquert. Jede der vier Seiten maß gut sechs Schritte. Etwa in der Mitte wandte sich eine schmale, kupferfarbene Wendeltreppe steil hinauf. Ihre dünnen Geländerstäbe standen so dicht aneinander, dass man kaum die Hand zwischen ihnen hätte hindurchstecken können. Darius blickte auf die Wand links neben ihnen, die aus fein bearbeiteten Steinen bestand und in die eine weitere Tür eingelassen war.

Anstatt eines Wachpostens, der sich hier unten bisher missen ließ, versperrte lediglich ein einfacher Holzriegel den breiten Durchgang. Unmittelbar vor der Wegeskreuzung hielt die kleine Gefangenenkolonne an und Darius konnte förmlich spüren, wie die Blicke ihrer Bewacher für einen Augenblick zwischen Treppe und Tür hin und her wechselten.

Ein unruhiges Rascheln drang dem jungen Krieger von hinten an die Ohren, welches wohl von Therry stammte, die sich unbeholfen zu befreien versuchte. Aufgrund ihrer Augenbinde und der Tatsache, dass ihre Füße noch nicht einmal den Boden berührten, standen ihre Erfolgschancen jedoch noch niedriger als seine eigenen. Zu sprechen wagte sie sich auch nicht mehr, da ihr die Konsequenzen dafür wohl noch allzu deutlich im Gedächtnis waren.

»Wir können sie so unmöglich durch den Wald transportieren, die Gefahr einer Flucht wäre zu groß«, sprach der, der Peilnhin genannt worden war, nach einigen Momenten und brach damit das allumfassende Schweigen. »Werfen wir sie vorübergehend in die Zellen.«

Schnell wurde der Riegel beiseite geschoben und sowohl Darius als auch Therry durch den hölzernen Türbogen gepresst. Der Raum dahinter war deutlich größer und genau wie der erste auch wieder mit einer Art Gang zu vergleichen. Wenn auch mit einem recht kurzen. Links und rechts erstreckten sich jeweils drei Gefängniszellen, die nach außen und zum größten Teil auch zueinander durch dicke Gitterstäbe abgegrenzt waren. Mehrere verängstigte Gesichter blickten Darius mit großen Augen aus dem Halbdunkel entgegen.

Das schwache Dämmerlicht, welches durch ein einzelnes, winzig kleines Fenster kurz unterhalb der Decke am Ende des sieben Schritte breiten Ganges in den Kerker fiel, schaffte es kaum, die Szenerie ausreichend zu erhellen. Somit blieben viele dunkle Ecken zurück, die der junge Krieger nicht ausreichend überblicken konnte.

Doch soweit er es erkannte, handelte es sich bei allen Gefangenen um Elfen, die nun, da urplötzlich Fremde aufgetaucht waren, neugierig die Köpfe hoben. Viele von ihnen traten so weit wie möglich an ihre Zellentüren heran. Hoffnungsvoll und gleichzeitig verängstigt sahen die Männer und Frauen durch die Gitterstäbe, aber Darius konnte den Blickkontakt zu ihnen nicht lange aufrechterhalten. Metallisches Geklirr drang an seine Ohren und schon wurde er wieder durch überdeutlichen Druck von hinten darauf aufmerksam gemacht, dass er sich von der Stelle zu bewegen hatte.

 

»Los, rein da!«, keifte einer der Alben, und ehe er sich versah, wurde Darius auch schon hart in die vorderste der Zellen gestoßen.

Jetzt oder nie, dachte sich der Iatas, denn wenn er es nun versäumen würde zu handeln, wäre es um ihn und Therry geschehen. Sobald die schwere Gittertür hinter ihnen einmal ins Schloss gefallen war, gab es kein Entkommen mehr für sie.

Der Soldat hatte ihn jedoch völlig unvorbereitet und mit solcher Kraft ins Innere der Zelle gestoßen, dass Darius einige Schritte machen musste, um sich zu fangen und nicht gleich hinzufallen. So schnell wie möglich drehte er sich wieder um, aber es war bereits zu spät. Schon sah er, wie die Tür hinter ihm zugeworfen wurde und zwei seiner Bewacher bedrohlich die Spitzen ihre Schwerter durch die Gitterstäbe steckten, um ihn auf Distanz zu halten, während ein Dritter abschloss. Therry war noch immer außerhalb der Zelle und wurde von Peilnhin mit der Waffe am Hals bedroht.

»Wo sollen wir sie hinstecken?«, fragte einer der Alben, als er sich im Rückwärtsgang wieder von der Zelle entfernte.

»Therry! Therry! Was habt ihr mit ihr vor, ihr Bastarde?« Darius, der wie von Sinnen an den breiten Gitterstäben zog, obschon sie sich kein Stück bewegen ließen, brüllte sich in hilfloser Verzweiflung die Seele aus dem Leib, weil er befürchtete, von seiner Freundin getrennt zu werden. Doch schon einen Moment später wurde ihm zumindest diese Sorge genommen, als Peilnhin auf das Nachbarabteil deutete und resignierend das Wort erhob.

»Werfen wir sie da rein, dann warten wir auf Lord Saparin. Hauptsache die beiden Uèknoos sind nicht in der gleichen Zelle.«

»Aber was ist mit ihm?«, meldete sich wieder der Erste und deutete auf Darius, der nach wie vor die Gitterstäbe fest umklammert hielt, so als könnte er sie damit entzweibrechen. »Sollen wir ihn nicht woanders unterbringen? Ich meine wegen ...«

»Nein!«, unterbrach der Wortführer der kleinen Truppe ihn hart und schüttelte den Kopf. »All die anderen Zellen sind ebenfalls belegt und ich will nicht das Risiko eingehen, ihn nochmal rauszuholen. Der Mensch ist ein Kämpfer, das hast du doch gerade selbst gesehen. Da drin ist er im Moment am besten aufgehoben, bis wir mit Verstärkung zurückkehren. Und jetzt öffne die andere Zelle.«

Augenblicklich machte der Soldat sich daran, der Anweisung Folge zu leisten und steckte einen großen, aber dennoch kompliziert gearbeiteten Schlüssel in das Schloss. Die Nachbarzelle war zu Darius’ Seite hin lediglich durch sich überkreuzende Gitterstäbe abgetrennt, sodass es einem Hohn gleichkam, dass er zwar alles mit ansehen, jedoch nichts unternehmen konnte.

Noch immer war Therry die Einzige, auf die sich seine Aufmerksamkeit richtete. Die Gruppe der sieben oder acht Elfinnen, welche sich – kaum dass die albischen Soldaten die Tür geöffnet hatten und bedrohlich ihre Schwerter auf sie richteten – verängstigt gegen eine Pritsche an der hinteren Wand drückten, interessierten ihn nicht. Ebenso wenig nahm der junge Krieger sich die Zeit, einen Blick über die Schulter in den hinteren, dunklen Teil seiner eigenen Zelle zu werfen.

Zum ersten Mal war es Darius vergönnt, Therry länger als nur für einen flüchtigen Augenblick ansehen zu können. Eine Augenbinde aus blütenweißem Stoff bedeckte ihre obere Gesichtshälfte und bei genauerem Hinsehen erkannte er, dass auch mehrere andere Stellen ihres Körpers fachmännisch und mit sauberen Bandagen versorgt worden waren. Zudem trug sie ein braunes, sackartiges Kleid mit kurzen Ärmeln, dessen grober Stoff an den Schultern ausgefranst war, so als hätte man es in aller Eile und ohne viel Mühe behelfsmäßig zurechtgeschnitten. Ihre Füße steckten in einfachen Filzschuhen, die ihr etwas zu groß waren und bei jedem Schritt ein wenig rutschten.

Durch eine flüchtige Handbewegung über seinen eigenen Körper stellte Darius fest, dass auch er an den schlimmsten Stellen schützende Verbände trug und ebenfalls neu eingekleidet war. Derselbe Stoff aus derben Keschfasern wie bei Therry umhüllte auch seinen Körper. Zudem hatte sich mittlerweile Schorf über das Loch in seiner Wange gelegt. Und als er etwas genauer in sich hineinhorchte, fiel ihm auf, dass sich sowohl die Verletzung an seiner Hüfte als auch sein geschwollenes Gesicht und der pochende Unterkiefer seltsam taub anfühlten. Es war beinahe so, als würden die verwundeten Stellen gar nicht mehr richtig zu seinem Körper gehören.

Schon wurde Therry unter einem abfälligen: »Fühl dich ganz wie zu Hause, Menschenhure«, ins Innere des Verlieses geschubst. Da sie nichts sehen konnte, gelang es ihr weder das Gleichgewicht zu halten noch sich ausreichend mit den Händen abzustützen, sodass sie zuerst schmerzhaft auf die Knie fiel und dann, unter dem hämischen Gelächter der Wachen, der Länge nach auf dem gefliesten Steinboden aufschlug. Zwar hatte die tapfere Iatas-Kriegerin versucht, sich nicht die Blöße eines Schmerzensschreies zu geben, dennoch war ihr ein kaum überhörbares Stöhnen entwichen, als sie unbeholfen zu Boden ging.

»Ihr Mistkerle, ich bring euch um!«, brüllte Darius wutentbrannt und streckte in einem Anflug von Vergeltungsdrang seinen Arm so weit wie möglich durch die Gitterstäbe, um nach den verhassten Alben zu greifen. Erreichen konnte er sie jedoch nicht. Mit unverhohlener Schadenfreude schlossen die Männer die Zelle wieder ab, ohne auf ihn zu achten.

»Nein, Darius, lass sie«, entgegnete Therry trotz ihrer misslichen Lage stolz und mit fester Stimme.

»Ich wünsche euch viel Spaß, bei dem dreckigen Elfenpack und allem, was hier unten sonst noch so rum kriecht«, meinte einer von ihnen vielsagend, während er sich den Schlüsselbund wieder zurück in die Tasche steckte. Darius’ Hass steigerte sich dadurch nur noch weiter. Selten zuvor hatte er sich seinen Biestzustand so dringend herbeigesehnt wie jetzt. Doch wie immer, wenn er es sich am meisten ersehnte, ließ sich das Gefühl des wohligen Kontrollverlustes und der animalischen Gewissheit, unbesiegbar zu sein, beharrlich missen.

Dabei bezog sich die Wut des jungen Kriegers nicht ausschließlich auf die Schwarzaugen. Auch für die Elfinnen in Therrys Zelle, die sich in ihren weißen Gewändern nach wie vor verängstigt um die Liege am hinteren Ende der Zelle kauerten und Schutz suchend einander umarmten, anstatt seiner wehrlosen Gefährtin zu helfen, hatte er nichts als Verachtung übrig. Ebenso gut hätten sie sich beim Öffnen der Zelle auf die zahlenmäßig unterlegenen Alben stürzen können.

Erst als die vier Soldaten wieder durch die breite Holztür verschwunden waren, kühlte sich sein Gemüt ein wenig ab. Schwer atmend ließ er die Gitterstäbe los und wandte den Blick wieder zur Seite in die Nachbarzelle. Mit einer Schwerfälligkeit, die dem jugendlich-sehnigen Körper der jungen Frau Hohn sprach, erhob Therry sich langsam wieder auf die Knie und taste mit einer Hand nach ihrem Gesicht.

»Darius?« Ihre Stimme klang Hilfe suchend und verunsichert, während sie mit dem anderen Arm vorsichtig ihre Umgebung abzutasten versuchte.