Das Biest in Dir

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Freudig erregt über seinen Fund verzog der Alb seine porzellanfeinen Züge. Obwohl er lächelte, legte sich seine hohe Stirn angriffslustig in Falten. Um sich gut an die Umgebung des Naoséwaldes anzupassen und besser voranzukommen, war der kräftige Mann, der Nubrax um fast vier Haupteslängen überragte, in eine leichte Lederrüstung gekleidet. Darüber trug er einen weiten, moosgrün gepunkteten Umhang mit einer Kapuze, dessen Saum ihm bis über die Knie reichte. Anders als sein Gegenüber verfügte der Schwarzäugige jedoch auch über eine angemessene Waffe an seiner Seite. Und noch während der Zwergenprinz den Blick auf die lederne Schwertscheide gerichtet hatte, zog der Alb bereits einen breiten Säbel daraus hervor.

»Joa, ich hab drei von ihnen gefunden! Hol die anderen!«, brüllte der Krieger und taxierte Nubrax weiterhin scharf mit seinen pechfarbenen Augen. Langsam und vorsichtig näherte er sich Paro und ihm über den laubbedeckten Waldboden, der seine Schritte in ein sanftes Nichts abdämpfte. Die Muskeln des Mannes waren sichtlich gespannt und er war bereit, jeden Augenblick den entscheidenden Ausfallschritt zu machen. Sein Rufen war allerdings unnötig gewesen. Schließlich hatte Ephialtes zuvor laut genug gesprochen, um jeden Feind von hier bis Baknakaï auf sie aufmerksam zu machen.

Schon raschelte es erneut und ein weiterer Alb, kaum dem Kindesalter entwachsen, kam hinter einem Baum zum Vorschein. Auch in seinen Händen blitzte es metallisch auf, als ein einzelner Sonnenstrahl den Weg durch die Baumkronen hinab zur Erde fand. Unstet und panisch wechselte Nubrax’ Blick zwischen den beiden Kriegern hin und her.

»Was wollt ihr von uns?«, versuchte er zu sagen. Doch selbst wenn die Worte ihm nicht im zugeschwollenen Halse stecken geblieben wären, hätten sie sich nach einem fadenscheinigen Versuch der Zeitschinderei angehört. Das Anliegen der beiden Soldaten war absolut klar.

Gehetzt sah sich der Prinz in seiner Umgebung um, doch sie waren nach fast allen Seiten hin vom dichten Unterholz eingekesselt. Die einzigen Passagen, die zwischen den mächtigen Laubbäumen und nadelspitzen Dornenfleckenbüschen existierten, wurden von den Alben besetzt gehalten. Vorsichtigen Schrittes und ohne die Zwerge dabei aus den Augen zu lassen, hatten sie einander gegenüber Aufstellung bezogen. Offenbar waren sie nicht gewillt, sofort anzugreifen, sondern wollten ihre Gegner lediglich an der Flucht hindern, bis weitere Verstärkung eingetroffen war.

Soweit lasse ich es aber nicht kommen, schoss es Nubrax, der sich nun noch nicht einmal mehr die Mühe machte seine Stimme zu erheben, durch den Kopf. Schon hörte er ein neuerliches Knacken und das Geräusch, welches Blätter verursachen, wenn man in großer Eile durch sie hindurchläuft. Krampfhaft überlegte er, wie er Paro und sich selbst retten konnte.

Wegrennen kam nicht infrage. Ihm wäre es vielleicht, trotz der Luftknappheit in seinen Lungen, aufgrund seiner geringen Körpergröße gelungen, die hochgewachsenen Schwarzaugen im dichten Gestrüpp abzuhängen. Paro, der wie ein nasser Sack auf dem umgestürzten und mit Moos überwucherten Baumstamm hing, hatte allerdings keine Chance zu entkommen. Die unbeschreiblichen Schmerzen in seinem Arm, den er sich schnaubend und mit hemmungslos verweinten Augen eng an den Leib gepresst hielt, schienen seinen gesamten Körper förmlich paralysiert zu haben.

»Rührt euch nicht vom Fleck und leistet keinen Widerstand!«, richtete sich nun zum ersten Mal einer der Alben, es war der größere, welcher sie zuerst erspäht hatte, an die drei. Seine Stimme war glasklar und klang trotz des schneidenden Untertons erstaunlich friedlich. »Wenn ihr tut, was wir euch sagen, dann hat der Gesunde«, mit einem Wink seines ausgestreckten Schwertes deutete er kurz auf Nubrax, »vielleicht eine Chance zu überleben. Und euch beiden erleichtern wir gnädig den Abgang.« Angriffslustig senkte der Zwergenprinz den Kopf, verengte die Augen zu Schlitzen und biss die Zähne aufeinander.

Die mangelnde Luft, den einsetzenden Schwindel und den Schmerz in seiner Kehle ignorierte er so gut wie möglich und machte sich bereit, mit geballten Fäusten auf den Alben loszugehen. Seine Muskeln spannten sich, doch urplötzlich nahm er aus dem Augenwinkel heraus eine Bewegung von Ephialtes wahr, an den er schon gar keinen Gedanken mehr verschwendet hatte. Die eine Hand fest um seinen Stock geklammert, die andere auf Brusthöhe unter dem Mantel verborgen, setzte er mit erstaunlich weit ausgreifenden Sprüngen seines gesunden Beines auf ihn zu.

»Gar nichts wirst du tun, elendes Schwarzauge!«, erhob sich ein weiteres Mal die tiefe Stimme des früheren Leibgardisten. Wie schon zuvor brüllte er laut genug, um beinahe den gesamte Naoséwald mithören zu lassen. Schlagartig riss er seine Rechte unter dem Gewand hervor und holte noch im Sprung zum Wurf aus.

»Fangt auf, Majestät!«, bellte er und ohne zum Stehen zu kommen oder seinen Blick von dem jungenhaften Alben abzuwenden, warf er ein kurzes Messer nach Nubrax. Der überraschte Zwerg hatte kaum die Dauer eines Lidschlages Zeit, den silber schimmernden Gegenstand als das zu erkennen, was er war. Doch da er sich durch die vermeintliche Attacke in seiner Meinung über den treulosen Verräter bestätigt sah, versuchte er im ersten Augenblick instinktiv auszuweichen. Als er erkannte, dass Ephialtes nicht vorgehabt hatte, ihn mit der Waffe zu verletzten, war sie bereits nutzlos im herabgefallenen Laub der umstehenden Bäume gelandet. Wie ein Ertrinkender, der nach dem rettenden Stück Treibholz greifen wollte, stürzte sich der mittelbergische Thronfolger auf den Boden, um im fahlen Licht der aufgehenden Sonne nach der Klinge zu suchen.

»Nein, lass das liegen!«, schrie der Alb, der nur wenige Schritte vor ihm stand und setzte mit großen Schritten auf ihn zu, wobei er sich in einer Ranke verfing und beinahe gestolpert wäre. Nubrax bekam davon nichts mit. Stattdessen durchpflügte er mit bloßen Händen das vom letzten Regen noch immer aufgeweichte Erdreich. Doch je dringlicher er nach dem Messer tastete, desto weniger schien er es finden zu können. Unablässig waren seine Augen auf den Waldboden fixiert, während er auf den Knien kauernd mit dem Unterarm die Blätter beiseite wischte.

Im Hintergrund konnte er hören, wie das Breitschwert des jüngeren Angreifers mit dem Krückstock von Ephialtes zusammenschlug. Obwohl es keinem Zwerg schwerfiel, bei geringer Helligkeit etwas zu erkennen, wirkte das hektisch aufgewühlte Laub wie ein Vorhang, der die rettende Waffe beinahe schon absichtlich zu verbergen schien.

Schließlich, nach einer gefühlten Ewigkeit, berührten Nubrax’ Finger einen harten, scharfkantigen Gegenstand in der ansonsten butterweichen Erde. Noch nie zuvor hatte er sich so über einen Schnitt in die Hand gefreut, als er das Messer an der Klinge aus dem Dreck zog.

Doch die Suche hatte einen Herzschlag zu lang gedauert. Denn im gleichen Moment, da der Prinz die Waffe zu Verteidigung emporreißen wollte, traf ihn schon der Stiefel des Alben hart an der Schulter. Ein stechender Schmerz durchfuhr seinen Körper, während er von den Knien gerissen wurde und sich auf dem Waldboden einmal um die eigene Achse drehte.

»Bleib liegen, Zwerg, oder das nächste Mal züchtigt dich der Stahl meines Schwertes!«, spie der Krieger ihm drohend entgegen. Wie zum Beweis seiner Worte richtete er den Säbel auf Nubrax’ Hals, kaum dass dieser zum Liegen gekommen war. »Leg das Messer nieder und wir lassen dich am Leben«, fügte er hinzu, während seine schwarz glänzenden Augen durchdringend auf ihn herabsahen.

Aber der Königssohn dachte gar nicht daran aufzugeben. Was hatte er denn schon zu verlieren? Zwar überkam ihn eine seltsam verquere Gefühlsmischung aus Glück und Dankbarkeit, dafür, dass der Schwarzäugige ihn nicht getötet oder gegen den Kopf getreten hatte – obwohl ihm nach wie vor zu beidem die Möglichkeit gegeben war. Allerdings wusste er nur zu gut, wozu Wesen seiner Art fähig waren. Aus diesem Grund hatte er nicht vor, ihm mit der gleichen Nachsicht zu begegnen.

Ein weiteres Mal war das Geräusch von Stahl zu hören, der wuchtig gegen Holz prallte, dicht gefolgt von einem dumpfen Aufschlag, welcher wohl von Ephialtes’ entzwei geschlagener Krücke stammte. Auf dem Rücken liegend kam Nubrax der Aufforderung augenscheinlich nach, indem er übertrieben langsam die Hand mit dem Messer auf den Boden sinken ließ, ohne es jedoch gänzlich loszulassen. Gleichzeitig krallten sich die Finger seiner Linken unmerklich ins feuchte Erdreich.

Nach wie vor nahm er Kampflaute hinter sich wahr und empfand dabei zum ersten Mal so etwas wie Verbundenheit mit seinem unfreiwilligen Weggefährten. Kaum dass dieser Gedanke in seinem Hirn Gestalt anzunehmen begann, tat Ephialtes ihm unbewusst einen weiteren Gefallen, indem er schmerzgepeinigt aufbrüllte und damit sämtliche Aufmerksamkeit auf sich zog. In diesem Moment entschied sich Nubrax alles auf eine Karte zu setzen und warf seinem Gegner mit ganzer Kraft den Dreck ins Gesicht, woraufhin der reflexartig den Kopf zur Seite drehte und sich die Hände vors Gesicht hielt.

»Scheiße! Du verdammter, kleiner ...«, begann der albische Soldat zu fluchen, doch er wurde von seinem eigenen Schmerzensschrei unterbrochen, als Nubrax ihm noch im Liegen das Messer in den Fuß jagte. Das derbe Stiefelleder war nicht in der Lage, dem Zwergenstahl standzuhalten, der sich nun erbarmungslos in den Knochen bohrte.

Noch immer hielt der Prinz die Waffe an der Schneide gepackt, so wie er sie im schmutzigen Laub zu greifen bekommen hatte. Nach beiden Seiten hin schnitt sich das scharfkantige Metall ins Fleisch seiner Finger, als er es noch fester zu umgreifen versuchte, aber das qualvolle Aufheulen des Alben war es allemal wert.

Schon fiel die hünenhafte Kreatur, gleich einem gefällten Baum, nach hinten über und landete mit dem Oberkörper in den Dornen eines Gebüschs. Im gleichen Maße wie der Alb zu Boden ging, schien Nubrax förmlich auf die Beine zu fliegen, sodass die feuchte Erde, welche seinen kompakten Körper von oben bis unten besudelte, nach allen Seiten hin von ihm abfiel.

 

»Verrecke, du schwarzäugige Missgeburt!«, versuchte er zu sagen, doch die Beschimpfung hörte sich wie das bedrohliche Zischen einer Schlange an. Mit einem Sprung überwand der Zwerg die kurze Distanz, ließ dabei das Messer los und fing es beinahe im gleichen Augenblick mit geübtem Handgriff wieder so auf, dass sich seiner Finger nun zur Gänze um das fein gearbeitete Holz schlossen. Der Alb war viel zu überrumpelt, als dass er noch in der Lage gewesen wäre, sich zu verteidigen. So drückte Nubrax ihm die Schwerthand beinahe schon spielerisch zu Boden, während er sich mit seinem kompletten Körpergewicht auf die Brust des Mannes fallen ließ und ihn so am Boden fixierte.

Richte Loës schöne Grüße aus, wenn ich ihn dir bald hinterherschicke, verabschiedete Nubrax den Krieger in Gedanken, während er in weitem Bogen mit dem Messer ausholte, um es ihm bis zum Griff in die Kehle zu rammen. Er genoss es, die Furcht in den glänzenden Augen der Kreatur sehen, die ihn im Stehen fast um das Doppelte überragt hatte und nun, schockiert über die unerwartete Wendung, unter ihm zappelte. Doch urplötzlich ließ ihn der mahnende Schrei einer Frau innehalten.

»Nubrax, nein!« In seinem Kampfrausch hörte es sich für ihn so an, als käme die Stimme von ganz weit weg, trotzdem war der Zwerg wie festgefroren, als er sie vernahm. Unvermittelt und scheinbar grundlos ließ er die Klinge mitten in der Luft verharren. Wäre der Ruf einen Wimpernschlag später erfolgt oder nur um den Laut eines Vogelzwitscherns leiser gewesen, hätte sich das Blut des Alben nun über ihn ergossen.

Reglos verharrte Nubrax auf dem Rumpf des Schwarzäugigen und bemerkte dabei kaum, dass er ihm mit dem Knie die Luft abdrückte, sodass diesem das Atmen inzwischen fast schon schwerer fiel als ihm selbst. Der Sohne Boringars’ wagte noch immer nicht, sich zu rühren. Weder konnte noch wollte er den Blick vom angstverzerrten Gesicht seines Gegners abwenden. Zum einen, weil der Mann sein Schwert nach wie vor fest umklammert hielt, sodass er jeden Augenblick wieder zum Gegenangriff übergehen konnte. Zum anderen war er selbst wie versteinert, als die vertraute Stimme an sein Ohr gedrungen war.

»Hört auf zu kämpfen. Ihr beide, lasst sofort von den Zwergen ab«, wieder sprach die Frau. Ihre helle Stimme war gleichermaßen flehentlich wie befehlend. Doch als sie nach einem kurzen Moment der Pause zur Gänze aus dem dichten Geäst hervortrat, versanken ihre Worte förmlich in purem Unglauben.

»Nubrax? Kann das wahr sein?« Es war weniger eine Frage als mehr eine Aufforderung an den Zwerg, den Blick zu heben. Doch erst als der Alb unter ihm den Griff um sein Schwert löste, sodass es langsam zu Boden glitt und er als Zeichen seiner Niederlage beide Handflächen nach oben drehte, hob Nubrax zögerlich den Kopf.

»Bitte ... geh runter von mir«, hauchte der Alb, dessen Körper, gleich einem seidenen Spinnenfaden im Wind, vom durchbohrten Fuß an aufwärts immer stärker zu zittern begann. Der Zwergenprinz ignorierte ihn jedoch.

Wie selbstverständlich schien der Soldat davon auszugehen, dass sein Feind nun von ihm ablassen würde und er sich seiner Wunde zuwenden konnte. Nubrax verharrte allerdings unverrückbar wie mittelbergischer Fels auf seiner Brust, um ihn weiterhin in der Defensive zu halten. Noch wagte er dem plötzlichen Frieden nicht recht zu trauen und nach wie vor war der kriegerische Teil von ihm darauf gefasst, falls nötig, sofort mit dem kurzen Silbermann zuzustoßen. Davon jedoch einmal abgesehen, hatte sich seine Aufmerksamkeit nun gänzlich auf die rehbraunen Augen der Zwergin gerichtet, die nur wenige Armlängen vor ihm stand.

»Joa?«

Bruderliebe

Ungläubig blickte Darius an der hünenhaften Gestalt empor, welche sein Sichtfeld in den hinteren Teil der Zelle komplett abdeckte. Noch immer lag das Antlitz des Fremden im Schatten und nach wie vor hatte der den Stiefel fest auf seine Brust gestemmt. Langsam und genüsslich schien der Riese den Druck zu erhöhen, sodass Darius das Atmen zusehends schwerer fiel.

»Erkennst du mich noch?« Die tiefe Stimme des Mannes hörte sich rau an und ein kaum zu leugnender Akzent, der sich ein wenig wie Gegrunze anhörte, gab seinen Worten einen etwas dümmlichen Klang. Schließlich, als fast alle Luft aus Darius’ Lungen herausgepresst war und er das Gefühl hatte, dass ihm jeden Moment die Augen aus den Höhlen treten würden, nahm der Fremde seinen Fuß von ihm herunter.

Doch wenn der erschöpfte Iatas geglaubt hatte, dass sein Martyrium damit vorbei wäre, so hatte er sich getäuscht. Noch bevor er in der Lage war, seinen ersten befreiten Atemzug zu machen, packte ihn eine kräftige Hand am Hals und zog ihn in die Höhe. Eine große Anzahl kleiner, grüner Schuppen zeichnete sich deutlich auf der ledrigen Haut ab. Dazu spannte sich ein breiter Metallring um das dicke Handgelenk, von dem aus eine Kette in den hinteren Teil der Zelle verlief.

»Du hättest wohl kaum geglaubt, mich jemals wiederzusehen, nicht wahr, Mensch?«, grunzte der Riese, dessen Kopf bis kurz unter die Kerkerdecke reichte, genüsslich. Dabei hielt er Darius ohne Mühen mit einer Hand in der Luft und zog ihn ganz nah zu sich heran. Die Füße des jungen Mannes baumelten nutzlos über dem Boden, während er in die grässliche Visage des Orks blickte.

Kleine, gelbe Augen starrten gemein und ohne Wimpernschlag aus ihren Höhlen, welche tiefer gelegen waren als die eines Menschen, da die Stirn der Kreatur erstaunlich weit nach vorn gelagert war. Diese Laune der Natur verschaffte dem grüngeschuppten Ungeheuer ein zugleich minderbemitteltes, wie auch zorniges Aussehen. Die Augen waren allerdings das einzig kleine im Gesicht des Monsters. Lange gebogene Hauer, nicht unähnlich denen eines Wildschweines, entwuchsen ihm seitlich aus dem Maul und ließen seinen ohnehin schon stattlichen Unterkiefer noch mächtiger wirken.

Unentwegt schien ihm Speichel aus dem Maul über seine riesigen Beißwerkzeuge zu laufen, der dann in langen, klebrigen Fäden gen Boden troff. Kurz über seiner Furcht erregenden Schnauze klafften, ohne eine sichtbare Erhebung, zwei nüsternähnliche Schlitze, die der Kreatur als Nase dienten. Da das flache Riechorgan im deutlichen Gegensatz zu den riesigen Hauern stand, wirkte der gesamte Kopf des Orks seltsam deformiert.

»Ihr zwei seid wirklich die Letzten, mit denen ich hier gerechnet hätte. Umso süßer wird meine Rache sein, wenn ich dir die Haut abziehe«, knurrte der Ork, sichtlich erfreut über den unerwarteten Besucher in seiner Zelle. Dabei verzog er seine Mundwinkel zu einem grauenhaften Lächeln.

»Ich hab keine Ahnung, wer du bist«, keuchte Darius wahrheitsgemäß, während er sich an die Faust der Bestie klammerte, um den Druck von seinem Hals zu nehmen. »Du musst mich mit jemand anderem verwechseln.« Die letzten Worte des jungen Iatas gingen beinahe in seinem eigenen Gurgeln unter, da ihm die Luft inzwischen mehr als nur knapp wurde. Das bemerkte auch der Ork und ließ ihn mit missbilligendem Blick seiner kleinen Knopfaugen wieder zurück auf den Boden. Wie sich im nächsten Moment zeigte, tat er es jedoch nicht aus Warmherzigkeit, sondern einzig, damit Darius auch noch seine folgenden Worte mitbekam.

»Eine Verwechslung? Ganz bestimmt nicht, Mensch ... Denk nach, du hellhäutiges Stück Dreck. Sagt dir der Name Drug irgendetwas? Ihr mögt vielleicht alle gleich aussehen, doch dein Gesicht und das deiner Schwester hat sich mir ins Hirn gebrannt.« Dabei deutete er mit der freien Hand durch die Gitterstäbe in die Nachbarzelle, wo Therry auf dem Boden saß und sich mit Hilfe der rothaarigen Elfin bereits einen großen Teil der Bandage von ihren Augen abgewickelt hatte.

Darius vermied es, das wütende Monstrum darüber aufzuklären, dass Therry nicht seine Schwester war, geschweige denn eine Aussage über sein Gehirn zu treffen, welches bei der Rasse der Orks bekanntlich keine allzu stattliche Größe aufwies. Stattdessen ließ er sich sämtliche Ereignisse durch den Kopf gehen, bei denen er je mit dem kriegerischen Volk in Kontakt gekommen war. Und plötzlich dämmerte es ihm, als er an seinen ersten Aufenthalt im Albewald zurückdachte. Die Erkenntnis musste sich offenbar auch auf seinem Gesicht widerspiegeln, denn Drug nickte vielsagend und deutete erneut auf Therry.

»Du hast in jener Nacht meinen Bruder getötet, Menschin. Jetzt sieh zu, wie deiner stirbt!«, bellte er, riss Darius erneut in die Höhe und stieß ihn mit dem Kopf gegen die Gitter, welche die beiden Zellen voneinander trennten, sodass sein Gesicht halb durch die schmalen Zwischenräume gedrückt wurde. Das Ungeheuer bemühte sich bewusst, nicht so viel Kraft aufzuwenden, damit das Leben seines Opfers kein allzu jähes Ende fand. Vielmehr schien es sein Anliegen zu sein, dass die Mörderin seines Bruders ihrem Gefährten ins Gesicht sehen musste, wenn das Leben langsam und unter Qualen aus ihm wich.

»Darius? Was geht hier vor?«, keuchte Therry aufgeregt und arbeitete Drug unbewusst in die Hände, indem sie sich bemühte, den Verband um ihre Augen noch schneller abzulegen. Die Elfin, die ihr dabei anfangs noch helfend zur Hand gegangen war, starrte nun bloß noch mitleidig zu Darius herüber, in dem Wissen, dass sie, genau wie auch ihre Landsleute, nichts für ihn tun konnte. Ab und zu schien ihr Blick zwar noch Hilfe suchend in den hinteren Teil seiner Zelle zu wandern, so als erhoffte sie sich von dort ein Wunder, doch nach wie vor war der wütende Ork der Einzige, der die Gegenwart des jungen Kriegers teilte.

»Komm zurück zu uns, Amestris!«, zischte es aus dem hinteren Teil ihres eigenen Verlieses. Als die Waldbewohnerin den Kopf drehte, sah sie ihre Familienmitglieder, mit denen sie sich den Gefängnisraum teilte und welche sie fordernd zu sich herüberwinkten. Nach wie vor hatten sich ihre Leute in der hintersten Ecke eng an die Wand gedrängt, um dort ängstlich und fest ineinander geschlungen zu verharren.

»Überlass den Menschen sich selbst, du kannst nichts für ihn tun.« Die Stimme ihrer Mutter wurde nun eindringlicher und Amestris war klar, dass sie recht hatte. Aber obwohl ihr gar nicht wohl dabei war, so nahe an dem tobenden Ork zu stehen, fiel es ihr dann doch schwer, die aufs Übelste zugerichtete und zu ihren Füßen kniende Frau im Stich zu lassen. Schließlich gewann jedoch die furchtsame Natur der Elfin die Oberhand, welche sie dazu drängte, sich von jedweder Gefahrenquelle fernzuhalten. Während sie zurückwich, blickte sie entschuldigend zu dem Menschen hinüber, der immer stärker von dem boshaften Ork malträtiert wurde.

»Ich habe nichts Unrechtes getan und wenn du mich nicht augenblicklich loslässt, dann reiß ich dir den Kopf ab!«, spie Darius eine Drohung aus, die er, wie sie beide wussten, unmöglich wahr machen konnte. Noch immer versuchte er, sich aus Drugs Griff zu befreien, doch der hielt ihn ohne Schwierigkeiten und mit beständiger Härte gegen das Gitter gedrückt. Bedrohlich legte die grüngeschuppte Kreatur ihm eine Pranke in den Nacken, sodass der Iatas den Druck auf seinem Genick spüren konnte, welches der Ork ihm jederzeit mit Leichtigkeit zu brechen vermochte.

Mit fahrigen Fingern hatte Therry endlich die Binde um ihre Augen abgelöst. Sie wusste nicht, was geschehen war. Das Letzte, woran sie sich noch klar und deutlich erinnern konnte, war die Schlacht um Urgolind und eine zappelnde, wild um sich schlagende Albin, in die sie genüsslich ihre Zähne versenkt hatte. Danach war alles dunkel und von einem gleichmäßigen Pochen in ihrem rechten Auge überdeckt worden, bis sie in den Armen zweier Männer wieder zu sich gekommen war, die sie grob umhergetragen hatten.

Ihr gesamter Körper fühlte sich seltsam taub und leicht an. Therry wusste, dass ihre Brust von einer gewaltigen Brandwunde bedeckt wurde, die Loës ihr mit seinem Drachenschwert zugefügt hatte.

Außerdem hatte die Albin, gegen welche sie gekämpft hatte, ihr mehrfach mit einem Stein auf den Kopf geschlagen, dennoch spürte sie fast keinen Schmerz. Einzig von ihrem rechten Auge, auf dem sie nach wie vor nichts sehen konnte, strahlte mit zuverlässiger Gleichmäßigkeit ein unnachgiebiges, wenn auch noch einigermaßen erträgliches Stechen bis in den hintersten Teil ihres Schädels.

»Darius!« Das Antlitz ihres besten Freundes war das Erste, was die junge Iatas erblickte und sein Name der erste, der ihr über die bebenden Lippen kam, als sie entsetzt zu ihm aufsah. Starr blickte er sie mit seinen blaugrauen Augen an, während sein von Schlägen zerbeultes Gesicht gegen eine Wand aus quer und senkrecht verlaufenden Gitterstäben gepresst wurde. Als Nächstes richtete sich ihr Blick auf das riesige Ungeheuer hinter ihm, welches ihren Gefährten an Körperbreite gut um die Hälfte übertraf und dessen raue Stimme bereits zuvor seltsam bekannt in ihren Ohren geklungen hatte.

 

»Du«, hauchte sie nur, nachdem ihr bewusst geworden war, um wen es sich handelte. Groß und bedrohlich baute sich einer jener Orks, die Darius und sie damals – kurz nachdem sie sich das erste Mal begegnet waren – am Rande des Albewaldes angegriffen hatten, vor ihr auf.

»Ja, ich«, grunzte der Ork, diesmal so intensiv, dass man ihn kaum verstehen konnte und sie seine Worte deshalb mehr von den wulstigen Lippen ablesen musste. »Sag mir doch bitte, dass wenigstens du dich an mich und meinen Bruder erinnern kannst, dessen Leben du so kaltherzig genommen hast. Ansonsten sollte ich wohl besser dafür sorgen, dass man mich nicht mehr allzu schnell vergisst«, sprach er hämisch, obwohl seine Worte von einer gewissen Bitterkeit durchdrungen waren.

Kaum hatte Drug den Satz beendet, drückte er Darius’ Kopf mit einem Ruck noch stärker gegen die Metallstreben, welche die beiden Zellen voneinander trennten. Obwohl der junge Krieger kräftig gebaut war und sich mit aller Macht von dem Gitter wegzudrücken versuchte, versagten seine Muskeln im Angesicht der rohen Stärke des Orks. Ein Hilfe suchendes, schmerzgepeinigtes Aufstöhnen hallte von den Wänden des modrigen Kerkers wider, als sich eine der Querstangen durch seine Stirn zu drücken drohte.

»Hör auf!«, kreischte Therry und wollte aufspringen, um zu Darius zu Hilfe zu kommen. Doch kaum, dass sie sich erhoben hatte und ihre Beine zum ersten Mal seit Beendigung der Ohnmacht das Gewicht des Körpers aus eigener Kraft tragen mussten, begann sich alles in ihrem Kopf zu drehen. Therry wurde gleichzeitig heiß und kalt, während sie trocken zu würgen begann. Das dumpfe Pochen in ihrer rechten Augenhöhle wurde schlagartig stärker und schwarze Flecken tauchten unvermittelt in ihrem Sichtfeld auf. Schon sank sie wieder in Richtung Boden und erst im allerletzten Moment gelang es ihr, sich mit den Händen abzustützen.

Auf allen vieren kroch die sonst so stolze Iatas-Kriegerin über die steinernen Fliesen auf ihren Freund zu, während ihr gesamter Körper von der kurzen Anstrengung noch immer bedrohlich zitterte. Nach wie vor galt ihr Auge und all ihre Aufmerksamkeit einzig und allein Darius.

»Halte durch«, hauchte sie und während ihre Blicke sich kreuzten, konnte Therry spüren, dass ihr eine einzelne Träne über die zerkratzte Wange lief. »Bitte halte durch.« Die letzten Worte gingen jedoch beinahe in ihrem eigenen Schluchzen unter, als der Ork den Druck auf Darius’ Genick ohne eine Spur von Mitleid noch weiter erhöhte und ein erstes unheilvolles Knacken an ihre Ohren drang.

Der Kopf ihres Gefährten war inzwischen unnatürlich weit nach hinten gebogen, während das Gitter sich weiterhin gnadenlos gegen seine Stirn drückte. Therry überlegte krampfhaft, wie sie ihm, der nur wenige Armlängen vor ihr stand und dennoch unerreichbar war, helfen konnte.

Drug schien sich indessen bei der Auslebung seiner Rache bestens zu amüsieren, denn wieder ließ er ein hämisches Grunzen vernehmen und bellte: »Sieh dir genau an, was ich mit deinem Bruder mache! Dasselbe erwartet dich, wenn ich dich erst einmal in die Finger bekomme.« Darius’ Augenlider begannen inzwischen wild zu flattern und Blut lief ihm in einem schmalen Rinnsal aus der Nase. Als zudem noch seine Glieder zu erschlaffen drohten, begann Therry haltlos zu weinen. Sie schämte sich ihrer Tränen nicht, geschweige denn dass sie versuchte, sie zurückzuhalten, obschon ihr blindes Auge wie Feuer brannte.

»Hör auf zu flennen, elende Menschin. Spitz lieber deine Ohren, denn es braucht nur noch einen winzig kleinen Stoß und das Rückgrat deines Bruders bricht entzwei, wie ein morsches Stück Holz!«, kläffte Drug mit gefletschten Zähnen und grinste böse.

»Nein ...«, wimmerte Therry und ballte ihre Fäuste, bis die Knöchel weiß hervortraten und sämtlicher Wundschorf auf ihren Handrücken wieder aufriss. »Bitte nicht.« Verzweifelt kroch sie auf Händen und Knien über den dunklen Boden auf Darius zu. Ihr ganzes Sein drehte sich einzig und allein darum, ihm irgendwie helfen zu können – auch wenn sie keine Ahnung hatte, wie sie das anstellen sollte. Dabei bemerkte die sonst so durchdacht handelnde Kriegern noch nicht einmal, dass sie dem Grüngeschuppten direkt in die Falle ging.

Innerlich wie äußerlich lachte der Ork auf, als er feststellte, dass sein Plan aufging und ihn nur noch wenige Handbreit davon trennten, den Schopf der einfältigen Menschin zu packen und mit einem Ruck an sich heranzuziehen.

»Nur noch ein kleines Stück«, flüsterte er, wobei sich seine dicken, ledrigen Lippen, die von länglichen Furchen durchzogen waren, kaum bewegten. Lauter und an die vor ihm im Dreck kriechende Frau gewandt, grunzte er provokativ: »Ich mag eure Gesetze vielleicht nicht kennen, doch acht meiner Männer haben durch die Hand dieses Menschen den Tod gefunden. Ist es euren Ansichten nach etwa nicht recht und billig, dass ich ihn jetzt dafür ebenfalls töte?« Dabei deutete er mit einer kleinen Bewegung an, seine Pranke noch ein Stück weiter in Darius’ Nacken zu drücken, was dieser nicht überleben würde.

Sichtlich erregt nahm er das erschrockene Aufkeuchen Therrys wahr und fuhr fort: »Und du, du hast meinen Bruder vor meinen Augen ermordet. Entspricht es nicht der Ehre von euch Menschen, Gleiches mit Gleichem zu vergelten?« Therry hatte keine Ahnung, was er damit meinte und es war ihr auch egal. Das Einzige, was ihr in diesem Moment wichtig erschien, war, dafür zu sorgen, dass Drug weitersprach. Denn solange wie sie ihn am Reden hielt – da war sie sich sicher – würde er das Leben von Darius zumindest vorerst verschonen.

»Ich habe deinen Bruder nicht ermordet«, erwiderte sie deshalb mit vor Tränen bebender Stimme. Ungeachtet dessen versuchte sie ihren Worten dennoch einen selbstsicheren und möglichst glaubhaften Klang zu verleihen. Innerhalb von nur einem Lidschlag schien sich der komplette nächtliche Kampf, welcher vor etwas über einem Mond zwischen Darius, ihr und den Orks am Rande des Albewaldes stattgefunden hatte, vor dem geistigen Auge der Iatas abzuspielen. »Er hat mich zuerst angegriffen. Ich habe mich nur verteidigt«, sprach sie wahrheitsgemäß und blickte herausfordernd zu ihrem Gegenüber hinauf.

»Was hat denn das damit zu tun?«, brüllte Drug sichtlich entrüstet über die Dreistigkeit ihres offenbar willkürlich gewählten Argumentes, mit dem sie nicht nur die Ehre seines toten Bruders, sondern auch die eines jeden anderen tugendhaften Orks in den Schmutz zog.

Just in diesem Augenblick erkannte Therry, dass sie sich getäuscht hatte. Der Versuch, das grüngeschuppte Ungeheuer am Sprechen zu halten, hatte nicht das Geringste genützt.

»Jetzt stirb endlich, du elendige Made«, war das Einzige, was sadistisch hinter den breiten Hauern hervorkam. Für die Dauer eines Herzschlages konnte die schluchzende Frau in den stechend gelben Augen ablesen, dass sie mit ihrer Rechtfertigung das Leben von Darius verspielt hatte. Hasserfüllt und scheinbar unendlich langsam verzog sich das ohnehin schon hässliche Gesicht des Orks zu einer Grimasse, während er sein gesamtes Körpergewicht in Bewegung zu bringen versuchte.