Das Biest in Dir

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Vertrauen

Einen kurzen Augenblick lang sah Drug seinen zwei Artgenossen nach, wie sie sich mit Isolandòr hinüber in die dunkle Ecke zu dem schweigsamen Elfen begaben und ihn dabei ordentlich malträtierten. Schon als die Alben ihn und die beiden anderen Vorugnaï-Gosh am Abend in den Kerker geworfen hatten, saß der schmächtige Blumenfresser zusammengekauert auf dem Boden neben der Pritsche und hatte bisher noch kein einziges Wort gesprochen. In der Hoffnung, dass seine Zellengenossen ihm keine Beachtung schenken würden, hatte er sich die Kapuze tief ins Gesicht gezogen und seither nur auf den Boden gestarrt. Das perfekte Opfer.

Drug hasste Varinez und Baaludor. Erst in den letzten Tagen seiner mittlerweile fast sechs Wochen andauernden Gefangenschaft in der Gewalt der Alben hatte er sich die Mühe gemacht, ihre Namen zu behalten. Bisher war das auch kaum nötig gewesen, da sie sich die meiste Zeit über ohnehin in getrennten Gitterwagen befunden hatten, in denen sie von den Schwarzaugen wie Vieh durch die Landschaft gekarrt wurden. Nun hatten ihre Knechter jedoch ein elfisches Gefängnis erobert – zumindest war es das, was er dem Gespräch von Saparin und Nemesta entnehmen konnte, welches die beiden beim Durchqueren des Kerkers vor seiner Zellentür geführt hatten.

Warum die Alben ihn einsperrten, anstatt seinem Dasein ein würdiges Ende zu bereiten, wusste er nicht. Ebenso wenig, wie lang er diesen Keller sein Zuhause nennen und die Gesellschaft seiner Artgenossen ertragen musste. Aber eines war klar: Er war es gewohnt, Befehle zu erteilen und nicht sich mit anderen zu einigen. Lange würde er sich die beiden nicht mehr gefallen lassen, so viel war klar.

Doch da die zwei sich untereinander so gut verstanden, dass sie ihre beiden Elfen sogar gemeinsam zu Tode quälen wollten, konnte er es nicht wagen, offen gegen sie aufzubegehren. Trotzdem würde er sie töten. Entweder, wenn sie schliefen oder aber spätestens nachdem ihnen der Ausbruch aus diesem Rattenloch gelungen war. Allerdings konnte er sich für den Moment auch erst einmal damit begnügen, ein anderes Leben auszulöschen.

Langsam fuhr Drug herum und ein breites Grinsen legte sich auf sein echsenartiges Antlitz, als er Darius in die Augen sah. »Schön, du lebst noch«, grunzte er zufrieden und ging gemächlich auf ihn zu. »Wir beide haben schließlich noch eine Rechnung miteinander zu begleichen.«

Nach wie vor lag der junge Krieger auf dem Rücken und hatte den Kopf in den Armen seiner Gefährtin gebettet. Durch die Zwischenräume der Gitterstäbe hindurch hielten sie einander in tiefer Verbundenheit an den Händen, was Drug mit einem abschätzigen Schnauben quittierte.

»Wie niedlich, der Mörder meiner Männer und die Mörderin meines Bruders werden im Angesicht ihrer gerechten Strafe sentimental«, schnarrte er hämisch und fletschte die Zähne. Doch weder zu Darius noch zu Therry drangen seine Worte richtig durch.

Kalter Schweiß lief den beiden Iatas aus jeder Pore und ihre Herzen schienen im gleichen Takt immer schneller zu schlagen. Noch immer bestand für Darius keine Chance sich zu erheben, geschweige denn den Kampf mit dem riesigen Ungeheuer aufzunehmen. Obwohl er angespannt und hilfebedürftig war wie noch nie zuvor in seinem Leben, ließ sich die geheimnisvolle Biestkraft, mit der er selbst Loës beinahe in seine Schranken hatte weisen können, weiterhin beharrlich missen. Der Blick in Therrys Gesicht verriet ihm, dass auch sie diesbezüglich keine Veränderung an sich spüren konnte.

In der kurzen Zeitspanne, während der sie die streitenden Orks beobachtet hatten – immer in der Hoffnung, sie mögen sich gegenseitig die Schädel einschlagen – war das erblindete Auge seiner Gefährtin weiter angeschwollen. Es schien nun, einer riesigen Träne gleich, eine wässrig-gelbe Substanz abzusondern, während die Blutung selbst zu Schorf verkrustet war. Allerdings war inzwischen nicht nur Therrys Augenhöhle, sondern ihre gesamte rechte Gesichtshälfte von der rötlich-braunen Kruste überzogen.

»Wenn du nicht die Frau wärst, die meinen kleinen Bruder umgebracht hat, dann könntest du mir jetzt fast leidtun«, sagte Drug, der inzwischen vor Darius haltgemacht hatte, mit bitterer Stimme. Obwohl diesmal kein Hohn in seinen Worten lag, war dennoch zu bezweifeln, dass er sie ernst meinte. Doch weder Darius noch Therry widmeten dem Ork auch nur einen Lidschlag ihrer Aufmerksamkeit. Die Blicke der beiden galten nur einander, nun da sie wussten, dass es endgültig vorbei war.

Mit einer stummen Geste in Amestris’ Richtung, die sich weit ins Innere ihrer Zelle zurückgezogen hatte, bedeutete Darius seiner Gefährtin, sich ebenfalls in Sicherheit zu bringen. Aber Therry schüttelte nur leicht den Kopf und lächelte ihn milde an.

»Bevor ich dem Wundfieber erliege, sterbe ich lieber hier und jetzt, gemeinsam mit dir«, flüsterte sie und drückte seine Hand noch ein wenig fester.

»Dem Wunsch komme ich gerne nach!«, knurrte Drug mit tiefer Stimme und ließ bedrohlich die Faustknöchel knacken. Doch wieder ignorierten die beiden ihn und in einem seltsam fehlangebrachten Gefühl von Sicherheit, erwiderte Darius den Händedruck, ungeachtet des Brennens, welches Therrys Finger auf seinem verbrannten Fleisch auslösten.

Auch wenn er sicher war, dass sich der Zorn des Orks noch steigern würde, wenn sie ihm weiterhin keine Beachtung schenkten, hielt der junge Krieger weiterhin daran fest, die letzten Augenblicke seines Lebens dem Menschen zu widmen, der ihm mehr bedeutete als jeder andere. Obwohl ihr Gesicht durch die furchtbaren Verletzungen und das geronnene Blut grausam entstellt war, umgab Therry dennoch eine Art von Schönheit, die jenseits aller weltlichen Ideale lag. Sowohl Darius als auch sie hatten nun keine Angst mehr vor dem Tod.

»Schau dir deine Schwester genau an, Mensch. Sie ist das Letzte, was du siehst«, grunzte Drug und hob seinen riesigen Fuß vom Boden, um das angebrochene Genick seines Feindes endgültig zu zerstampfen.

»Joa?« Nubrax’ Stimme war noch immer flüsterleise und kaum verständlich. Das erhebende Gefühl des Kampfrausches, welches beim Angriff der beiden Alben eingesetzt und die Schmerzen in seiner Kehle wenigstens ein bisschen unterdrückt hatte, ebbte nun immer mehr ab. Der Versuch, weitere Worte hervorzubringen, endete daher lediglich in einem erstickten Husten.

Bittere Tränen schossen dem Prinzen in die Augen, als die Innenseiten seines Halses beim Schlucken aneinander kleben zu blieben schienen. Dem heiseren Röcheln folgten einige Brocken blutigen Auswurfs und zusehends schlimmer werdende Atemnot. Nichtsdestotrotz verharrte er kniend auf der Brust des unter ihm begraben liegenden Alben und drückte ihm mit schraubstockartiger Härte das Handgelenk immer tiefer in den lehmigen Boden. Auf das schmerzhafte Stöhnen des Kriegers reagierte er nicht.

»Nubrax, bist du es wirklich?« Wieder ertönte die zittrige Stimme der Zwergin, die nun unmittelbar an ihn herangetreten war und vorsichtig die Hand ausstreckte. Für einen Außenstehenden mochte es wirken, als könne sie erst an die Existenz ihres Artverwandten glauben, wenn ihre Finger sein bärtiges Gesicht berührten. Doch obwohl ein sanftes Lächeln ihre leicht geröteten Wangen umspielte, zuckte sie im letzten Augenblick vor ihm zurück. Wie bei einem Fisch, der auf dem Trockenen lag, öffnete und schloss sich der Mund der stämmigen Frau einige Male in rascher Folge, ohne dass sie dabei auch nur einen Ton herausbrachte.

Nubrax schwieg. Trotz seines hämmernden Pulsschlages und dem unentwegten Schnauben des Schwarzäugigen war die Stille unglaublich drückend. Fast hatte er das Gefühl, der gesamte Wald würde gespannt den Atem anhalten, nur um Joas Wortkargheit zu lauschen. Selbst die Kampfgeräusche zwischen Ephialtes und dem jüngeren Alben waren verstummt. Dafür konnte er nun förmlich spüren, wie sich die Blicke der beiden stechend in seinen Rücken bohrten.

Brüskiert und in ehrlicher Anteilnahme über sein Schicksal sah die Zwergin, welche in eine leichte Lederrüstung gekleidet war, zu dem unter Nubrax liegenden Mann hinab. Sein Gesicht war bereits purpur angelaufen und die schwarz glänzenden Augen ein Stück weit aus ihren Höhlen getreten. Seine bis eben noch aristokratisch erhabenen Züge wirkten seltsam verschroben und entsprachen keinesfalls mehr dem Bildnis seiner Rasse.

»Geh runter von ihm.« Joas Worte waren sanft und betont sachlich. Nicht eine Spur von Vorwurf klang in ihnen mit. Es wirkte beinahe so, als spräche sie über einen bloßen Gegenstand. Doch als Nubrax nicht sofort tat, wie ihm geheißen, sondern im Gegenteil noch immer das kurze Kampfmesser angriffsbereit umklammert hielt, machte sie erneut Anstalten, ihn berühren zu wollen. Diesmal allerdings, um ihn mit sanfter Gewalt von dem Alben herunterzubugsieren. Der wagte aus Angst vor Konsequenzen nicht sich zu bewegen.

»Das ist alles nur ein Missverständnis. Du brauchst keine Angst zu haben. Ehlasco wird dir nichts tun, solange ich dabei bin, das kannst du mir glauben«, versicherte die Zwergin nun etwas eindringlicher und machte eine bedeutungsvolle Geste in Richtung des Spitzohrigen. Während sie das tat, schaute sie Nubrax jedoch ununterbrochen in die Augen. Fast so, als hoffte sie, etwas in seinem Innersten zu entdecken, wenn sie ihn nur lang genug anstarren würde. Der Königssohn erwiderte die Geste einen Moment lang, bis er schließlich resignierend mit dem Kopf nickte.

Mit einem letzten warnenden Blick auf den Alben lockerte er den Griff um dessen Handgelenk. Langsam, dafür aber doppelt so aufmerksam wie zuvor, ließ der stumme Zwerg das Messer ein Stück weit sinken. Viel länger hätte er es sowieso nicht mehr in die Höhe halten können, denn seine Lungen wurden inzwischen nur noch von so wenig Luft erreicht, dass sie bereits zu brennen begonnen hatten. Auch der Schwindel in seinem Kopf wurde zusehends schlimmer und wahrscheinlich konnte man ihm bereits ansehen, wie schwer es ihm fiel, sich auf der Brust des Mannes aufrecht zu halten.

 

»Nein, Majestät, tut das nicht!«, erhob sich die ungewöhnlich laute Stimme von Ephialtes so urplötzlich hinter ihm, dass er erschrocken zusammenzuckte. Nubrax’ benebelte Sinne vermittelten ihm gar das Gefühl, als würden sich die Worte schallend, wie in einem Bergwerksstollen, an den Baumstämmen brechen und von allen Seiten her auf ihn eindringen. »Tötet den Alben, mein Gebieter! Tötet ihn!«, bellte er wie ein Besessener.

»Hör nicht auf ihn, Nubrax«, entgegnete Joa jetzt mit zusehends forderndem Unterton und versuchte vergeblich, den einstigen Leibwächter mit ihrer mädchenhaften Stimme zu übertönen.

»Wo ist Euer Misstrauen geblieben? Mich haltet Ihr nach wie vor für einen Verräter, während Ihr einer Frau Glauben schenkt, die mit den Alben gemeinsame Sache macht.« Die Worte kamen nun so hastig aus Ephialtes’ Mund, dass sie sich beinahe überschlugen.

»Nubrax, ich bin es, Joa. Du kennst mich. Du weißt, dass du mir vertrauen kannst. Ich verspreche, dass weder dir noch Paro oder eurem Begleiter etwas geschehen wird. Aber du musst uns auch entgegenkommen ... Du musst Vertrauen haben.« Aus dem Augenwinkel heraus konnte die Zwergin sehen, wie ihr Landsmann mit der tiefen Stimme auf dem Boden liegend zu ihr herübersah und das Gesicht vor Abneigung und Qualen deutlich verzog.

Die eine Hand hatte er sich fest gegen den rechten Oberarm gedrückt. Sein dunkelrotes Blut lief ihm dennoch zwischen den Fingern hinab auf den Waldboden, wo es sich mit der Erde vermischte und beinahe schon albschwarz wirkte. Mit der anderen klammerte er sich krampfhaft an einen bereits entzweigeschlagenen Ast. Wie ein Schwert hielt er das Holz, welches kaum mehr eine Armlänge maß, vor seinen Rumpf und versuchte damit, selbst im Liegen seinen Gegner noch auf Distanz zu halten.

Dass ihm sein Vorhaben bisher geglückt war, lag einzig und allein daran, dass Joas Kampfgefährte sich auf ihren stummen Befehl hin zurückhielt, anstatt ihm den Todesstoß zu versetzen. Allerdings schaute der Jüngling inzwischen zunehmend angespannter zu der Zwergin herüber. In seinem Blick lag die unausgesprochene Frage, ob er den Störenfried zum Wohle ihres Kameraden nicht doch lieber zum Schweigen bringen sollte. Als seine Muskeln sich plötzlich spannten und er unaufgefordert mit dem Breitschwert in der Rechten zum Schlag ausholen wollte, schüttelte Joa jedoch augenblicklich den Kopf. Eindringlich zog sie die Brauen hoch und gebot ihrem Begleiter damit gerade noch rechtzeitig innezuhalten.

»Nubrax, bitte. Du kennst mich doch, ich bürge dafür, dass euch nichts geschehen wird«, wiederholte sie an den argwöhnischen Prinzen gewandt. Der hatte die Klinge zwar bereits gesenkt, verharrte allerdings noch immer halb auf seinem am Boden liegenden Kontrahenten. Die Unsicherheit stand ihm deutlich ins blasse Gesicht geschrieben und ein leises Röcheln drang aus seiner Kehle. Es war eindeutig, dass er nichts lieber getan hätte, als einen Blick auf einen seiner beiden Weggefährten zu werfen.

Joa konnte dem imaginären Weg, den sein Kopf zu beschreiben im Zuge war, ohne Weiteres folgen. Es schmerzte sie in der Seele, den alten Paro zu sehen, wie er bäuchlings neben einem moosüberzogenen Baumstamm lag und sich nicht mehr rührte. Das Gesicht des einstigen Kriegsministers von Mittelberg war zur Hälfte im weichen Schlamm versunken und beide Arme lagen auf Höhe der Brust unter seinem reglosen Körper begraben.

Der andere Zwerg, den sie nicht kannte und der sich selbst in der Niederlage noch heroisch gab, war nach wie vor gewillt, mit seinem kurzen Knüppel um sein Leben zu fechten. Allerdings war auch er aufgrund schwerster Verletzungen bereits mehr tot als lebendig. Doch daran sollte Nubrax im Augenblick nicht denken. Deshalb sprach Joa mit beruhigender und gleichermaßen eindringlicher Stimme weiterhin auf ihn ein, wobei sie sich inständig bemühte, den Blickkontakt nicht abbrechen zu lassen.

»Wenn du von Ehlasco herunterkommst, können wir euch helfen. Wir versorgen eure Wunden und ich werde dir erklären, was hier vor sich geht. Es ... es ist alles nicht so, wie es aussieht.« Eine Strähne ihrer langen, haselnussbraunen Haare löste sich von ihrem Ohr und fiel ihr neckisch ins Gesicht. Sanft und zuversichtlich lächelte sie Nubrax an. »Vertrau mir.«

»Sie lügt! Tötet das Schwarzauge und dann tötet diese verdammte Hure!«, schrie Ephialtes wie am Spieß und versuchte, seiner Verletzung zum Trotz, mit aller Macht wieder auf die Beine zu kommen. »Ich halte Euch den Rücken frei, Majestät, nur fallt nicht auf die falschen Worte dieser Albenfreundin herein.«

Die Hetzworte erreichten Nubrax’ Ohren zwar noch, aber es war bereits zu spät. Er hatte schon damit begonnen, den Druck vom Körper des unter ihm Liegenden zu nehmen. Das Bein des Schwarzäugigen bebte und zuckte vom durchbohrten Fuß an aufwärts unkontrolliert, sodass er fast wie ein regennasser Hund wirkte, der sich trockenschütteln wollte.

Obwohl sein Verstand ihm sagte, dass es keinen logischen Grund gab, Joas Worten mehr zu trauen als denen von Ephialtes, entschloss der Königssohn sich dazu, auf sein Herz hören.

»Nein!«, brüllte der ehemalige Leibwächter von Neuem, als er endlich auf den Füßen war. »Tut das nicht.« Doch noch bevor er sich Nubrax, der fremden Zwergin oder einem der beiden Alben nähern konnte, gab sein verwundetes Bein wieder nach. Dank der Schnittwunde, welche der junge Angreifer ihm zugefügt hatte und die seinen rechten Oberarm der Länge nach zierte, war er noch nicht einmal in der Lage, sich richtig abzufangen.

Wieder ließ Nubrax die mahnenden Worte von sich abprallen. Von Atemnot gepeinigt und des Kämpfens müde, wollte er einfach nur glauben, was seine Freundin von früher ihm sagte. Alles, was er wollte, war, dass die ständige gegenseitige Gewalt endlich ein Ende nahm. Doch wie ihm seine schwindenden Sinne schon einen Lidschlag später vermittelten, hatte er mit seiner Gutgläubigkeit einen verhängnisvollen Fehler begangen.

Noch bevor sich seine Kniespitze gänzlich vom eingedrückten Brustkorb des Alben gelöst hatte, sah dieser seine Chance gekommen. Auch wenn er aufgrund seines durchbohrten Fußes ebenso große Schmerzen haben musste wie der Sohne Boringars’, schoss sein Oberkörper urplötzlich in die Höhe.

Schneller als es ihm zuzutrauen war, griff er nach seinem Säbel, der zuvor nur wenige Handbreit neben ihm auf den Boden gefallen war. Gleichzeitig versuchte er mit der Linken das Messer seines Feindes zu packen. Die kurzen und sonst so kraftvollen Finger des Zwergenprinzen versuchten zwar dagegen zu halten, aber er war zu überrumpelt, um angemessen reagieren zu können.

Er hatte Joa, die er aus seinem früheren Leben, einem Leben vor dem Kampf gegen Loës, zu kennen geglaubt hatte, vertraut. Doch in dem Moment, als der wutentbrannte Alb seinen ersten befreiten Atemzug tat und gleichzeitig das Schwert emporriss, erkannte Nubrax, dass dieses Vertrauen fehlangebracht war. Das einst so anmutige Gesicht des Mannes hatte sich vor lauter Hass zu einer dämonischen Fratze verzogen. Fingerdicke Furchen durchliefen seine Gesichtszüge und es klang, als würde er fauchen. Dem Königssohn war nun klar, dass er besser auf Ephialtes gehört und seinen Vorteil ausgespielt hätte, solange wie er noch dazu in der Lage gewesen war.

»Grüß Barmbas von mir, wenn du ihn siehst!«, giftete der Alb zynisch und ließ die Klinge in einer fließenden Bewegung auf den Hals seines Feindes zuschnellen. »Dein selbst ernannter Heerführer wird dir nämlich schon bald ins Jenseitige Reich folgen!«

Ein panisch grunzender Aufschrei fuhr durch den Kerker, direkt gefolgt von einem kaltblütigen Lachen.

Noch immer hatte Drug sein Bein drohend erhoben, um sich mit seinem gesamten Körpergewicht auf den verhassten Menschen fallen zu lassen. Für einen Augenblick nahm die Vorstellung in seinem Kopf Gestalt an, wie Varinez und Baaludor dem Elfengeneral die Haut abzogen. Und obwohl er die beiden nicht leiden konnte, legte sich ein zufriedenes Lächeln auf seine Lippen.

Einen Wimpernschlag später hielt Drug jedoch mitten in der Bewegung inne, als ihm klar wurde, dass es ein Ork war, der da nach wie vor hinter ihm schrie und dass eine viel hellere Stimme darüber in Gelächter ausgebrochen war. Noch im gleichen Moment erfüllte das markerschütternd laute Kriegsgebrüll Baaludors die unterirdischen Kerkerräume ein zweites Mal.

»Was zum ...«, grunzte Drug verärgert, als er mit einer bösen Vorahnung den Kopf nach hinten wandte. Aber kaum hatten seine an die Dunkelheit bestens angepassten Augen das Geschehen erfasst, stockte ihm der Atem. Varinez von dem zuvor stets eine so erhabene Ruhe ausgegangen war, dass es selbst ihm Respekt eingeflößt hatte, rollte quer über den Boden und presste sich dabei den Stumpf seines linken Unterarmes fest gegen den Brustkorb. Grünes Blut schoss einer Fontäne gleich aus der Wunde hervor, während der Vorugnaï-Gosh wie ein verwundetes Schwein um sein Leben quiekte.

Baaludor ließ indessen seine kurzen Arme windmühlenartig durch die Luft kreisen. Doch all seine Kraft nützte dem Koloss nichts, da es der Gestalt, auf die er immer wieder einschlug und die fast zur Gänze von seinem fetten Wanst verdeckt wurde, scheinbar mit Leichtigkeit gelang, ihm auszuweichen.

»Ich hab euch gewarnt, was passiert, wenn ihr den Elfen nicht ruhigstellen könnt!«, donnerte Drug, setzte seinen Fuß neben Darius’ Kopf auf den Boden und drehte sich nun gänzlich um.

Obwohl es ihm im ersten Augenblick widerstrebte, sich aus dem Handgemenge herauszuhalten, wartete er lieber noch kurz ab, anstatt seinen Landsleuten sofort zu Hilfe zu eilen, so wie sie es zuvor bei ihm getan hatten.

Wie jeder Ork, der etwas auf sich hielt, hatte Drug sich in seinem Leben noch nie der Feigheit schuldig gemacht. Aber im Gegensatz zu den meisten seiner Artverwandten auch noch nie der Dummheit. Klug genug, um nachzudenken, bevor er handelte, rührte er sich nicht von der Stelle, sondern verfolgte interessiert das Geschehen. Irgendetwas sagte ihm, dass sie es hier nicht mit dem elfischen General zu tun hatten, der bis eben noch vor ihnen auf dem Boden gekniet und ihr Gelächter auf sich gezogen hatte.

»Hilf mir, Drug! Mach ihn nieder, der Elf ist wahnsinnig geworden!«, schnaubte Baaludor schweratmig und schlug noch immer mit seinen massigen Armen um sich, als wolle er eine Fliege verscheuchen. Drug dachte allerdings gar nicht daran, auch nur eine Kralle krumm zu machen, solange er sich nicht selbst in unmittelbarer Gefahr befand.

Einer weniger, um den ich mich sonst später kümmern müsste, dachte er nur und schaute mit misstrauischem Blick auf Varinez, der sich nach wie vor wild grunzend auf den Steinfliesen wälzte. Verzweifelt versuchte der sich den Armstumpf mit Hilfe seines sackartigen Obergewandes abzubinden, während die Blutlache um ihn herum stetig größer wurde.

»Aber ich kann weder seine Hand sehen, noch die Waffe, mit der sie ihm abgeschlagen wurde«, murmelte Drug nachdenklich an sich selbst gewandt, während er umsichtig versuchte, einen Blick auf die Gestalt zu werfen, die seinen Mitgefangenen so übel zugerichtet hatte. Die Qualen, welche der Verblutende unterdessen erleiden musste, störten ihn nicht. Im Gegenteil.

»Drug, du elender Hundesohn, wo bist du? Warum hilfst du mir nicht?«, rief Baaludor erneut und drehte den wulstigen Hals ein Stück weit, um sich nach seinem vermeintlichen Unterstützer umzusehen. Doch diese kleine Ablenkung war es, auf die sein Gegner gewartet zu haben schien. Schneller als Drug oder er selbst es für möglich gehalten hätte, fand das Leben des dickbäuchigen Vorugnaï-Gosh jäh ein gewaltsames Ende.

Die Gestalt, die bisher nur im Schatten seines gewaltigen Körpers den unkoordinierten Schlägen ausgewichen war, von denen jeder einzelne einen ausgewachsenen Kanima zu Boden geworfen hätte, hatte sich nun kurzerhand zum ersten Gegenangriff entschlossen. Ein einzelner, aufwärtsgeführter Fauststoß auf das Kinn des Kolosses genügte, um ihn gut zwei Manneslängen weit durch die Luft zu schleudern. Mit dem Geräusch eines nassen Sackes schlug er auf dem Boden auf und erhob sich nicht mehr.

In diesem Augenblick wurde Drug eines klar: Bei dem tobenden Elfen, der ihm plötzlich auf so unverhoffte Art und Weise seine beiden unliebsamen Artgenossen vom Hals geschafft hatte, handelte es sich nicht um den General. Obwohl es ihm schon immer schwergefallen war, Elfen voneinander zu unterscheiden und er sie bisweilen sogar schon mit Menschen verwechselt hatte, konnte er ganz deutlich das lange, blonde Fell auf dem Kopf von diesem erkennen. Das des Generals hingegen war kurz und schwarz.

 

»Du?«, knurrte Drug nur, als er den bisher stets in sich zusammengekauerten Waldbewohner als das erkannte, was er war. Einen Killer. »Wie hast du das fertiggebracht?« Die Stimme des Vorugnaï-Gosh klang zittrig und zum ersten Mal in seinem Leben verspürte er so etwas wie Angst. Doch indem er das Maul aufriss und somit seine mächtigen Hauer noch deutlicher zur Geltung brachte, versuchte er über dieses unangenehme und ihm bis zum heutigen Tage völlig fremdartige Gefühl hinwegzutäuschen.

Der Elf antwortete nicht, sondern schritt nur langsam auf ihn zu. Seine Kleidung, die aus einem ohnehin schon giftgrünen Umhang bestand, war über und über mit Orkblut bedeckt. Und für Drug stellte sich nun nicht mehr die Frage, wie die Hand von Varinez, dessen Schreie inzwischen zu einem leisen Wimmern verkommen waren, abgetrennt worden war oder wo sie sich befand.

Mit dem unverkennbaren Knacken, das Knochen von sich gaben, die dem mahlenden Prozess eines mächtigen Kiefers ausgesetzt waren, biss sein Gegenüber auf die orkische Klaue, die quer in seinem Mund steckte. Es war dem Grüngeschuppten ein Rätsel, wie der Elf es geschafft hatte, doch irgendwie musste er seinem Zellengenossen die Pranke in einem Stück vom Arm abgerissen haben.

Genüsslich kaute er auf dem Gliedmaß herum, wobei das erstaunlich laute Splittern der Knöchel, sowie das mehrere Schritte weit herausspritzende Blut, selbst Drug einen kalten Schauer über den Rücken jagten. Ein kleiner Teil von ihm bereute inzwischen, dass er Baaludor nicht geholfen hatte, den berserkerhaften Elfen niederzumachen. Doch der weitaus größere Teil fasste sich ein Herz, senkte angriffslustig den Kopf und stellte sich dem Unvermeidbaren entgegen.

»Wer bist du?«, knurrte Drug bedrohlich und machte sich bereit, ohne Rücksicht auf Verluste und ohne irgendeine Art von überflüssiger, wenn auch sonst so berauschender Gewalt gegen seinen Feind vorzugehen. Mit einer einzigen schnellen Attacke würde er den unverhofft aufgetauchten Gegner zu Fall bringen und dann sogleich seine Zähne in dessen süßem Fleisch versenken.

»Mit den beiden anderen magst du leichtes Spiel gehabt haben, Blumenfresser. Doch jetzt hast du es mit einem echten Krieger zu tun.« Kraftvoll schlug Drug sich mit der Faust auf die mächtige Brust. Obwohl er wusste, dass seine beiden Artgenossen, von denen einer noch immer am Boden zappelte, ihm durchaus ebenbürtig waren, ließ seine Ehre den Gedanken nicht zu, einem einzelnen, unbewaffneten Elfen zu unterliegen.

»Du wirst mir endlich mal ein würdiger Gegner sein, im Gegensatz zu deinem Landsmann – dem Stolz der Waldelfenarmee. Oder diesem halb toten Menschen.« Drug grunzte verächtlich und zog die Nase hoch. Die Angst, welche er zuvor noch empfunden hatte, wandelte sich nun zusehends in blutrünstige Kampfeslust. »Bringen wir es zu Ende, Elflein. Zeig was du kannst!«

Ohne den Blick seiner stechend blauen Augen von ihm abzuwenden, drehte der Sohn Sylfones den Kopf ein wenig zur Seite und ließ beiläufig seine Beute zu Boden fallen. Mit einem schmatzenden Geräusch schlug die Hand auf dem Kerkerboden auf. Dünne, klebrige Fäden aus Spucke und Blut verbanden sie noch für einen Moment mit dem Mund des Elfen und rissen erst ab, als er sich mit der Zunge über die Lippen fuhr. Für Drug ein eindeutiges Zeichen, dass der Sieger ihrer Auseinandersetzung – egal wer es sein mochte – sich am Fleisch des Verlierers laben würde.

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