Das Biest in Dir

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So zuckte der Halbgott nur beiläufig mit den Schultern und meinte in ausweichendem Tonfall: »Er ist tot. Als du mit der Furie beschäftigt warst, kam mir einer seiner Landsleute zu Hilfe und hat ihm hinterrücks den Kopf von den Schultern geschlagen.«

»Ja ... so ein Verhalten sieht diesen kleinen Kröten ähnlich«, entgegnete Nemesta langsam, doch in ihrer Stimme schwang eindeutiger Zweifel mit. Prüfend blickte sie Saparin ins Gesicht. »Sind seine sterblichen Überreste aufbewahrt worden? Ich will diesem zu klein geratenen Mensch, dem es in seiner Dreistigkeit gelungen ist, uns beiden Schaden zuzufügen, wenigstens noch einmal ins Gesicht sehen.«

»Ich weiß es nicht. Wir können morgen nach ihm suchen lassen, aber ich mache mir keine großen Hoffnungen. Zu viele Zwerge sind gestorben, als dass man einen einzelnen Kopf finden könnte und die Kleinen Leute pflegen ihre Gefallenen ja bekanntlich wieder mit in die Heimat zu nehmen«, meinte Saparin, wobei seiner Stimme deutlich zu entnehmen war, dass ihm die Richtung, in die ihr Gespräch zu verlaufen drohte, ganz und gar nicht gefiel.

Ohne seiner Gegenüber viel Zeit zum Nachdenken zu lassen, fuhr er schnell und mit tief melancholischen Worten fort: »Ich hatte in diesem Moment aber auch kein Verlangen danach, mich um den Leichnam eines Zwerges zu kümmern. Meine Sorge galt einzig und allein dir.«

Daraufhin errötete Nemesta ein wenig. Gerührt schenkte sie ihm ein neuerliches Lächeln, das Saparin nur allzu gern erwiderte. Langsam näherte er sich ihrem Mund und hauchte seiner Geliebten sanft einen Kuss auf die leicht geöffneten Lippen.

»Willst du deine Rachegelüste nicht wenigstens für diese eine Nacht vergessen und dich nur mir widmen?«, fragte er, während seine Hand von ihrer Taille gefühlvoll den Rücken hinauffuhr und sie sanft aber bestimmt an sich drückte. Anstatt zu antworten, schmiegte Nemesta sich noch näher an ihn. Lüstern ließ sie ihre Hand an seinem Bein hinabfahren, um dann sachte, aber dennoch fordernd seine Männlichkeit von unten zu umgreifen. Augenblicklich konnte sie spüren, wie Saparin unter ihren Fingern erbebte. Die Münder noch immer fest aufeinandergepresst, schob sie ihn zielsicher auf ihr Nachtlager zu, das nur wenige Schritte neben dem Spiegel, in der hinteren Ecke des Raumes stand.

Obwohl das Bett schmal und nur für eine Person ausgelegt war, ließen sie sich, von wilder Leidenschaft getrieben, beinahe gleichzeitig darauf hinabfallen, sodass der Holzrahmen bedrohlich knarrte. Anfangs zurückhaltend, dann jedoch zunehmend besitzergreifend tasteten Saparins Hände nach den Brüsten seiner Partnerin. Umfuhren zuerst vorsichtig die weiblichen Rundungen, bis er sich schließlich kaum mehr beherrschen konnte und sie wollüstig zusammendrückte. Mit einem frenetischen Stöhnen erwiderte Nemesta seine rauen, aber für sie dennoch sehr erregenden Zärtlichkeiten.

Breitbeinig und leicht nach vorn gebeugt kniete sie auf ihm und ließ ihre Hände ebenfalls leidenschaftlich über seinen Körper gleiten. Sanft und gleichzeitig verlangend strich sie ihm übers Gesicht und krallte sich mit den Nägeln ein wenig in die weiche Haut seines Halses. Mit einem Ruck richtete die Albin sich urplötzlich kerzengerade auf, sodass sie nun genau auf seinem Bauch saß. Durch sachten aber bestimmten Druck auf seine Schultern hinderte sie Saparin daran, sich ebenfalls zu erheben. Dabei drückte sie ihre Schenkel zusammen, sodass auch seiner Kehle unwillkürlich ein Laut der reinen Lust entsprang.

Ohne Hast umschloss Nemesta mit Daumen und Zeigefinger ihrer Linken die Schnürbänder, welche ihr Untergewand an seinem Platz hielten und zog daran. In einer fließenden, aber scheinbar unendlich langsamen Bewegung streifte sie sich den Stoff über den Kopf und entblößte ihrem Gefährten das, wonach er sich verzehrte, seit er sie das erste Mal gesehen hatte.

Ein Lächeln umspielte die Züge des Alben, bei dem er wolfsgleich seine Zähne aufblitzen ließ, während sein Blick an ihrem Körper entlangwanderte. Saparin schien sich regelrecht an ihrer nackten Haut festzusaugen und ein Funkeln lag in seinen Augen, das nicht allein vom flackernden Licht der Kerzen stammte.

Nemesta genoss es, wie er lüstern zu ihr aufsah und sich vor Verlangen kaum mehr zurückhalten konnte. Auch in ihrem Unterleib stieg inzwischen eine kribbelnde Spannung auf, die sie einzig und allein an die bevorstehende Vereinigung ihrer beiden Körper denken ließ.

Längst hatte Saparin den Gürtel seiner Hose geöffnet und sich die Stiefel ausgezogen. Ohne von dem viel zu schmalen Lager aufzustehen, entledigte er sich, gemeinsam mit ihrer Hilfe, seiner Beinkleider, die achtlos zu dem Kettenhemd in die Ecke flogen. Auch Nemestas Augen weiteten sich jetzt in unverhohlener Vorfreude, ihn jeden Moment in sich zu spüren. Ohne groß darüber nachzudenken, griff sie nach dem Hemd ihres Geliebten, um es ihm vom Leib zu reißen und ihn endlich in seiner vollen Nacktheit vor sich zu sehen.

Doch kaum, dass sie sein Gewand zur Hälfte nach oben gezogen hatte, zuckte die Albin erschrocken zusammen. Dort, wo sie bis eben noch Saparins Bauchnabel vermutet hatte, den sie verführerisch mit ihren Fingern umstreicheln wollte, klaffte ein fausttiefes Loch. Über eine Handspanne lang zog sich die Wunde durch seinen Oberkörper, aber kein einziger Blutstropfen ergoss sich aus ihr. Hätte Nemesta nicht augenblicklich mit den Zärtlichkeiten, die sie Saparin scheinbar mit jeder einzelnen Stelle ihres Körpers gleichzeitig angedeihen ließ, aufgehört, er hätte es vermutlich selbst kaum wahrgenommen.

Fassungslos wechselten ihre Augen zwischen der lebensgefährlichen Wunde und dem Gesicht ihres Liebsten hin und her. Er erwiderte den Blick nichtssagend und plötzlich wurde der Albin erneut bewusst, dass ihr Partner sein Leben gegeben hätte, nur um das ihre zu schützen. Neben der hemmungslosen Lust, die sie für ihn empfand, gesellte sich nun auch noch ein weiteres Gefühl hinzu, das sie seit zweihundert Jahren nicht mehr empfunden hatte. Liebe.

»Tut ... tut das weh?«, fragte sie leise und streckte die Hand nach der Verletzung aus, nur um sie im letzten Moment ängstlich wieder zurückzuziehen.

»Nein.« Saparin schüttelte den Kopf, erstaunt darüber, wie mitfühlend seine sonst so gewaltbesessene Gefährtin sein konnte. »Zumindest nicht sehr. Ich spüre es zwar noch, aber es fühlt sich eher so an, als wäre die Stelle eingeschlafen. Das Fleisch ist taub und kribbelt ein bisschen.« Behutsam griff er nach ihrer Hand und fuhr mit ihr über die offene Stelle. »In ein paar Tagen wird es aber wieder besser«, fügte er aufgrund von Nemestas leicht schockiertem Gesichtsausdruck hinzu, um sie zu beruhigen. Daraufhin legte sie ihre Stirn jedoch nur noch mehr in Falten.

»Woher weißt du das?«, fragte die Albin leicht verwirrt. Doch schon im nächsten Augenblick, als Saparin sein Hemd noch ein Stück höher zog und so seine muskulöse Brust enthüllte, fiel es ihr wieder ein.

»Oh ... ja ... stimmt. Du hast bei deiner Wiederauferstehung ja keinen neuen Körper bekommen«, sprach sie, während ihr Blick mitleidig auf seine zweite Verletzung fiel. Die Wunde war deutlich schmaler, es hätte nicht einmal mehr ein Finger hineingepasst und die Ränder schienen gut zusammenzuheilen. »Das war die Halbmenschin, Therry, nicht wahr?« Saparin nickte stumm, doch ihre letzten Worte hatten ihn nachdenklich werden lassen.

»Ein neuer Körper? Heißt das, du sahst früher, bevor du gestorben bist, einmal anders aus?« Der Halbgott versuchte seine Stimme möglichst beiläufig klingen zu lassen, während er darum bemüht war, ihr beim Sprechen in die klaren, schwarzen Augen und nirgendwo sonst hinzusehen.

»Ja und nein«, antwortete Nemesta vielsagend und legte den Kopf nachdenklich auf die Seite. »Loës hat mir genau den Körper zurückgegeben, den ich vor zweihundert Jahren hatte. Die Wunde, die mich damals getötet hat, ist natürlich nicht mehr vorhanden.« Demonstrativ deutete sie mit der Hand auf ihre unverhüllten Brüste.

»Du bist also nicht der Erste für mich, falls du das gemeint hast«, fügte sie hinzu und lächelte schelmisch. Saparin erwiderte das Grinsen und konnte es seinen Augen nun doch nicht verbieten, an ihrem Körper herabzuwandern und unverhohlen ihre vollkommene Schönheit zu bewundern. Tatsächlich war kein Makel und keine Narbe auf der ebenmäßig weißen Haut der Kriegerin zu sehen. Obwohl er ihr nun endlich beiliegen wollte, brannte ihm noch immer eine Frage über jene Frau, von der er eigentlich gar nichts wusste, auf der Zunge.

»Wie war das damals eigentlich bei dir?«

Nemesta hob eine Braue und sah ihn fragend an.

»Deinen Tod meine ich«, spezifizierte er, als ihm die Zweideutigkeit seiner Worte auffiel. Erneut huschte ein Lächeln über Nemestas Züge, diesmal jedoch so bitterböse, wie er es von ihr gewohnt war.

»Sagen wir es mal so, ich bin meinem Mörder in der heutigen Schlacht begegnet und nun wird nie wieder ein Alb durch seine Hand fallen«, sprach sie vielsagend, jedoch mit einem Unterton, der das Thema als abgeschlossen bewertete.

Auch wenn sie inzwischen wahrhaftige Liebe für Saparin empfand, so gab es doch immer noch Dinge, die ihn nichts angingen. Ein Kapitel aus ihrem Leben, das schon längst geschlossen war ...[Fußnote 1]

Er schien es zu verstehen und fragte nicht weiter nach, was allerdings auch einfach nur daran liegen konnte, dass seine Lust ihn nun endgültig zu übermannen drohte. Begierig streckte er erneut seine Hände nach ihr aus, doch Nemesta drückte seinen Arme zärtlich nieder und hielt ihn zurück.

»Du sollst wissen, dass ich dir wirklich sehr dankbar bin, für das, was du für mich getan hast.« Ihre Stimme klang leise und verführerisch, doch Saparin spürte, dass sie das, was sie sagte, dennoch vollkommen ernst meinte. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, senkte Nemesta langsam den Kopf, bis ihr Mund nur einen Fingerbreit über der von Nubrax geschlagenen Wunde verharrte.

 

»Das werde ich dir nie vergessen.« Heiß und ein wenig kitzelnd konnte er ihren Atem auf der gesunden Haut um die offene Stelle herum spüren. Vorsichtig, als hätte die sonst so tollkühne Kriegerin noch immer Angst, ihm Schmerzen zuzufügen, hauchte sie ihm sanft einen Kuss auf den Schorf. Obwohl Saparins zerstörte Nervenenden die Liebkosung gar nicht wahrnehmen konnten, hätte er sich in diesem Moment nichts Schöneres vorstellen können.

Mit anzusehen, wie die Frau, für die er mehr empfand als für jedes andere Wesen auf der Welt, halb auf ihm lag und seiner Verletzung eine ganz besondere Pflege angedeihen ließ, schien sich durch nichts mehr steigern zu lassen. Doch schon im nächsten Moment wurde er eines Besseren belehrt, als ihr Kopf noch weiter an ihm herabwanderte und ihre Lippen sich genauso fürsorglich um eine andere Stelle seines Körpers kümmerten.

Nemesta genoss es, wie ihr Geliebter unter den gleichmäßig kreisenden Bewegungen ihrer Zunge erbebte und ihm hin und wieder ein zittriges Keuchen über die Lippen kam. Wie, um sie in ihrem Tun zu bestärken, streichelte er ihr wohlwollend, wenn auch ein wenig ungeschickt, mit der Hand über den Hinterkopf, ließ ihre Haare zwischen seinen Fingern hindurchgleiten und strich sie ihr hinters Ohr. Mit einer Hand öffnete Nemesta ihre Hose, streifte sich die Stiefel ab und ließ den Stoff elegant an sich herabgleiten, während sie Saparin mit der anderen nach wie vor unvergleichliche Freuden bereitete.

Als sein Atem immer schneller wurde und seine Rechte sich bereits neben ihr in die Laken krallte, ließ die Albin von einem Augenblick auf den nächsten von ihm ab und schlängelte sich an seinem schweißglänzenden Körper hinauf. Ohne ihn zur Ruhe kommen zu lassen, drückte sie fordernd ihr Becken gegen das seine. Nach dem dritten Stoß begriff Saparin endlich und drang freudig erregt in sie ein.

Immer und immer wieder durchbrachen Nemestas Schreie die nächtliche Stille des Naoséwaldes. Es war ihr gänzlich egal, wer sie alles hörte und was ihre Untergebenen denken mochten. In diesem Augenblick zählten nur noch sie beide.

Und während sie sich im flackernden Schein der Kerzen liebten, spürten sie, dass sich in dieser Nacht mehr miteinander verband als nur ihre Körper. Die schwarzen Herzen zweier ebenso grausamer wie besessenen Wesen schlugen im Einklang miteinander und es schien, als wäre nichts auf der Welt stark genug, ihre Seelen zu entzweien.

Ein treuer Schüler

Skal hatte gewusst, dass er Loës nicht würde widerstehen können. Er hatte gewusst, dass seine Macht mit nichts zu vergleichen war, das er kannte. Warum hatte er bloß dieses doppelte Spiel mit ihm getrieben?

Endlos lange, so schien es ihm, hatte der dunkle Gott der Alben, welcher nun auch sein Gott war, ihn gestraft. Auch wenn in Wahrheit vermutlich noch gar nicht allzu viel Zeit vergangen war. Immer und immer wieder hatte er ihn für seine wiederholte Abtrünnigkeit gefoltert.

Anfangs hatte Skal sich noch zu wehren versucht, wenn die schwarz glänzenden Augen, die so unglaublich durchdringend und allwissend wirkten, vor ihm aufgetaucht waren. Aber jedes einzelne Mal war es Loës mühelos gelungen, den mentalen Schutzwall, welchen er mittels Konzentration um seinen Geist herum aufgebaut hatte, zu durchdringen.

Immer wieder aufs Neue war das göttliche Wesen tief ins Innere seines Kopfes vorgedrungen, um ihn mit bloßer Gedankenkraft bis an den Rande des Ertragbaren zu treiben. Skal hätte niemals geglaubt, dass man ohne ein Messer, eine Zange mit glühendem Metall oder den sonstigen Einsatz einer irgendwie gearteten körperlichen Gewalt jemandem solche Schmerzen bereiten könnte.

In den wenigen Augenblicken der Ruhe, die Loës ihm seit dem Erwachen aus seinem Traum gegönnt hatte, und in denen er, wie er stets gesagt hatte, mit wichtigeren Dingen als ihm beschäftigt war, lag der einst so stolze Iatas zuckend und wimmernd auf dem Boden seiner Kammer. Mit aller Kraft presste er dann die Augenlider aufeinander, drückte sich die Hände gegen die Ohren und versuchte somit die Pein zu lindern. Das stechende Gefühl in seinem Hirn, das jeden Augenblick zu zerspringen drohte, war unbeschreiblich. An ein Aufstehen war nicht zu denken, denn seine Beinmuskeln weigerten sich strikt, jedem Befehl nachzukommen.

Immer wieder hatte Skal beteuert, einzig ihm, Loës, dem Herrn der Dunkelheit, treu ergeben zu sein. Tausendmal hatte er seine Fehler bereut, doch das Wort Vergebung schien im Sprachgebrauch seines neuen Meisters nicht vorzukommen.

Die Tür zum Gemach des Kriegers war unverschlossen. Mehr noch, wie zum Hohn klinkte Loës sie nicht einmal ein, wenn er den Raum verließ. Dadurch war Skal, während er sich vor Schmerzen zitternd auf dem Boden wand, gezwungen, hinaus in den schwach beleuchteten Flur zu sehen. Wenn der dunkle Gott ihn in seinem Gemach besuchte oder es verließ, dann ging er nicht den direkten Weg durch die Wand, welchen er sonst bei jeder sich bietenden Gelegenheit bevorzugte. Einzig um ihn zu demütigen und auf groteske Weise zu zeigen, dass es keinen weltlichen Weg zur Flucht gab, schritt Loës jedes Mal mitten durch den weit geöffneten Türbogen aus schwarzem Königsholz.

Was das für wichtige Dinge waren, für die sein Gebieter ihn auch in diesem Moment wieder fallen gelassen hatte wie ein Kind, das seiner alten Puppe überdrüssig geworden war, konnte Skal mittlerweile ganz gut einschätzen. Während er schweißnass und innerlich wie äußerlich bebend auf den dunklen Fliesen des Albewald-Tempels lag, breitete sich in ihm zunehmende Gewissheit darüber aus, was das mächtigste Wesen Epsors tat, wenn es sich nicht gerade ihm widmete.

Skal genoss den kurzen Moment der Ruhe. Er fühlte, wie die durchdringende Kälte der Steinplatten in ihn eindrang und die sengende Hitze seines Körpers abkühlte. Selbst das Gefühl, jeden Augenblick die eigenen Innereien erbrechen zu müssen, ließ ein klein wenig nach. Langsam aber sicher beruhigte sich sogar seine Atmung wieder und ging von dem stoßweisen Keuchen in ein kontrolliertes, wenn auch nach wie vor gieriges, Ein- und Ausatmen über.

Das Zeitgefühl war dem Iatas-Meister inzwischen längst abhandengekommen und er vermochte nicht zu sagen, ob Augenblicke oder Stunden vergangen waren, in denen er die Grausamkeiten seines Herren hatte ertragen müssen. In seiner Kammer gab es kein Fenster, an dem er sich hätte orientieren können, ob draußen bereits der neue Tag angebrochen war oder nicht. Im Moment war Skal jedoch einfach nur froh darüber, dass er ein wenig Ruhe hatte, um wieder zu sich zu finden.

Auch wenn ihm sein Gebieter nach außen hin stets überlegen und allmächtig erschien, was er ja auch war, so ließ sich dennoch nicht leugnen, dass auch er immer wieder eine Pause machen musste, um sich zu erholen. Der Grund dafür war, wie Skal vermutete, weniger die anstrengende Gedankenfolter, die Loës ihm angedeihen ließ. Viel eher hegte er den Verdacht, dass die Schwertwunde, welche die junge Königin Esnatora seinem Meister in der Schlacht heimtückisch beigebracht hatte, an dessen Kräften zehrte.

Über die Ausmaße der Verletzung konnte der alte Krieger indes nur spekulieren. Zum einen musste sie so schlimm sein, dass sie Loës, den Herren der Dunkelheit und baldigen Gebieter über ganz Epsor, weit genug geschwächt hatte, um ihn sich in seinen Tempel zurückziehen zu lassen. Zum anderen war er noch immer so stark, dass er den Weg dahin, anders als Skal zu Anfang vermutet hatte, nicht auf dem Rücken eines gewöhnlichen Pferdes bestreiten musste. Indem er sich der Macht seines Tränensteins bedient hatte, war es dem Albengott gelungen, sie beide unmittelbar nach der Schlacht in seinen Tempel zu zaubern.

Skal hatte eine solche Reise, bei der er sich in dem einen Moment noch an den Toren Urgolinds befunden hatte und im nächsten bereits auf dem Vorplatz des geheimen Albewald-Tempels stand, noch nie zuvor erlebt. Allerdings war sie vergleichbar mit jener, die er kurz darauf in seinem Traum gemacht hatte. Für die Dauer einiger weniger Lidschläge waren die Bilder der ihn umgebenden Landschaft in einem solch ungeheueren Tempo vorbeigezogen, dass sie sich vor seinen Augen zu einem undefinierbaren Brei vermischt hatten. Und noch bevor er sich der Situation gänzlich klar werden konnte, hatte die Reise auch schon wieder ihr Ende genommen. Skal war erstaunt darüber, wozu Loës, selbst nach der Verwundung durch das Götterschwert Nisanchi, welches er unmittelbar nach seinem Sieg an sich genommen hatte, noch in der Lage gewesen war.

Mit hocherhobenem Haupt und trotz der Schmerzen, die er zweifelsohne empfunden haben musste, war er in gemächlichen Schritten durch den Eingang seines Tempels gewandelt. In der einen Hand das Götterschwert, in der anderen eine dünne Kette, an der, eingelassen in eine goldene Fassung, der schwarze Tränenstein glänzte. Eine Aura der Macht war von dem Albengott ausgegangen, die dafür sorgte, dass sich Skals Nackenhaare unweigerlich aufgestellt hatten, wenn er mehr als drei Schritte an ihn herangetreten war.

Nur wenige Augenblicke nach ihrer Ankunft waren dem Iatas-Krieger auf unerklärliche Art und Weise die Lider schwer geworden, was nichts mit den Strapazen der Schlacht zu tun gehabt haben konnte. Kaum drei Atemzüge später hatte ihn ein tiefer Schlaf ereilt. Inzwischen war er sich beinahe sicher, dass der hühnereigroße Zauberstein nicht nur für die ungewohnte Art zu reisen, sondern auch für seine Müdigkeit verantwortlich war.

Allzu lange hatte die Ruhe in dem weichen Federbett allerdings nicht gewährt und nur kurz nachdem Skal aus seinem verräterischen Traum erwacht war, hatte die Peinigung durch seinen neuen Meister auch schon ihren Anfang genommen.

Zu Beginn hatte Loës, während er ihn gefoltert hatte, noch versucht, die Wunde in seinem Nacken mit abwertenden Äußerungen über die tote Elfenkönigin zu verharmlosen. Doch die Tatsache, dass er sich ab und an zurückziehen musste, gerade wenn er über einen längeren Zeitraum hinweg gestanden hatte, zeigte, wie es wirklich um ihn stand. Es war klar, dass die Schandworte einzig dem Zweck gedient hatten, seinen Schmerz zu überspielen. Im Gegensatz zu ihm schien Loës jedoch immer kürzere Pausen zu benötigen, um erholt an sein Tagewerk zurückzukehren.

Die Regenerationsfähigkeit eines Gottes ist nun einmal nicht mit der eines Sterblichen zu vergleichen, dachte Skal selbstmitleidig. Tatsächlich schien es, als ob die Kraft seines Meisters im gleichen Maße zunahm, wie die seine schwand.

Skal wusste, dass er die hypnoseähnlichen Angriffe auf seinen Verstand nicht mehr lange würde ertragen können. Dabei war es weniger so, dass Loës seinen Geist von außen manipulierte und ihm dadurch seinen Willen aufzwang. Vielmehr konnte der nervlich bis zum Zusammenbruch gepeinigte Krieger spüren, wie sein Gebieter in das Innere seines Kopfes eindrang und diesen mit aus dem Nichts kommenden Schmerzperioden zu überfluten schien.

Doch fast noch schlimmer als die sich stetig hochschaukelnde Intensität des Stechens und Brennens in seinem Hirn waren die kurzen Zeitabstände dazwischen, in denen die rauchige Stimme seines Meister ihn ganz leise immer und immer wieder die beiden gleichen Fragen stellte: Weißt du, warum ich das tue? Wirst du dich mir gegenüber noch ein einziges Mal respektlos verhalten?

Jedes einzelne Mal hatte Skal bei seinem Leben geschworen, dass Loës ihm vertrauen könne und dass es nie wieder zu einem Verrat seinerseits kommen würde. Doch es hatte nichts genützt.

»Na, denkst du an mich?«

Skal, der ohnehin schon am ganzen Körper bebte, zuckte plötzlich merklich zusammen, als er erneut die unverkennbare Stimme seines Meisters hinter sich vernahm. Geräuschlos war dieser, einem Geist gleich, durch die Rückwand seiner Kammer getreten und der alte Iatas konnte nun förmlich spüren, wie sich der stechende Blick in seinen Hinterkopf bohrte.

Loës stand so dicht hinter ihm, dass Skal die Stiefelspitzen des Gottes an seinem Rücken fühlen konnte. Indes schien er selbst wie von unsichtbaren Kräften am Boden gehalten zu werden und es gelang ihm nur unter größten Anstrengungen, den Kopf ein wenig zur Seite zu drehen. Aus dem Augenwinkel heraus sah er, wie sich der Umhang seines Gebieters bewegte, so als würde ein leichter Luftzug ihn erfassen. Der sich kräuselnde Stoff raschelte kaum vernehmlich, was jedoch in Skals schnaufender Atmung unterging.

Ohne einen einzigen Ton von sich zu geben, umrundete der Albengott seinen Sklaven, dem er, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln, den Respekt beibringen wollte, an dem dieser es bisher hatte mangeln lassen. Denn schließlich war es die Mühe wert. Loës konnte spüren, dass in dem Menschen noch großes Potenzial schlummerte, welches sich schon bald zeigen würde. Erneut begann er zu sprechen und wählte dabei einen bewusst spöttischen Unterton.

 

»Du hast mich nicht so früh zurückerwartet, nicht wahr? Hast du gehofft, ich würde noch ein wenig meine Wunde lecken und ebenso in Selbstmitleid zerfließen wie du?« Skal antwortete nicht, doch es lief ihm kalt den Rücken herunter, als die Worte süffisant an sein Ohr drangen und er kurz darauf ihren tieferen Sinn verstand.

»M...Meister, ich habe nicht ... ich ... ich wollte nicht ...« Seine Stimme war ebenso leise wie die des Dunklen Herrschers, doch klang sie um einiges kraftloser. Müde und erschöpft bewegten sich die Lippen des einst so stolzen Kriegers nur langsam. Sein Verstand hingegen arbeitete – bemessen auf seine momentanen Verhältnisse – im Hochakkord. Was hatte das nur zu bedeuten? Woher wusste sein Herrscher, was er dachte? Konnte er etwa ...

»Ja, Skal, deine Gedanken sind für mich ein offenes Buch«, unterbrach Loës seine Überlegung. Diesmal klangen die Worte seltsam beherrscht, so als müsse er sich zurückhalten, um den am Boden Liegenden nicht anzuschreien oder Schlimmeres mit ihm zu machen. Dem Iatas stockte der Atem. Unwillkürlich schloss er die Augen, in der Hoffnung, sein Innerstes damit vor dem Eindringen von außen schützen zu können. Gleichzeitig versuchte er an nichts zu denken, was sich als schwer erwies, da ihm gegen seinen Willen wieder der Gedanke daran kam, wozu sein Meister wohl noch alles in der Lage war.

Dass Loës die Fähigkeit des Gedankenlesens besaß, hatte Skal schon befürchtet, seit dieser in seinen Traum eingedrungen war und ihn dort zu dem Geständnis gebracht hatte, für welches er nun geradestehen musste. Doch so deutlich wie jetzt hatte der Albengott ihm seine Kunst noch nie vor Augen geführt.

»Ich glaube, du hast es immer noch nicht ganz verstanden«, raunte es vielsagend durch das Zimmer, sodass die Worte an den Wänden widerhallten. Skal konnte spüren, wie der Herrscher der Dunkelheit sich langsam zu ihm hinabbeugte und die langen, spinnenbeinähnlichen Finger nach seinem Gesicht ausstreckte. Es fiel ihm unsagbar schwer, keinen wimmernden Laut von sich zu geben oder zu versuchen, mit dem Kopf wegzuzucken. »Du bist ein Nichts, und wenn ich es will, dann stirbst du auf der Stelle. Aber ich habe Größeres mit dir vor und deshalb muss ich mich darauf verlassen können, dass du mir stets zu Willen bist.«

»Ich bin Euch treu, Meister. Nur Euch allein«, beschwor Skal zum unzähligen Male. Dabei versuchte er seine Stimme, die er kaum erheben musste, da das lange, spitze Ohr seines Herrschers mit Sicherheit nur eine Handspanne von seinem Mund entfernt war, fest und selbstsicher klingen zu lassen. »Nie wieder werde ich Euch Anlass dazu geben, an meiner Treue zu zweifeln.«

»Falsche Antwort!«, kam es augenblicklich und mit Eiseskälte zurück, während Loës sich erhob. Skal, der in ebendiesem Moment seine Augen wieder ein klein wenig zu öffnen gewagt hatte, sah noch, wie sich sein Meister Zeige- und Mittelfinger an die Stirn legte. Noch im selben Augenblick jagten unsagbare Schmerzen durch seinen Kopf und zwangen ihn zu den abstrusesten Verrenkungen.

Obwohl Skals Schultern und das Becken nach wie vor fest auf den Stein gedrückt waren, hob sich seine Hüfte unnatürlich weit vom Boden ab, während Arme und Beine in wildes Zucken verfielen. Kontrolle über diese Handlungen hatte er keine mehr. Das Einzige, zu dem er noch fähig war, war das Empfinden von Schmerz.

Glühend heiße und eiskalte Ströme durchfluteten seinen Kopf von beiden Seiten, bis sie sich schließlich in der Mitte vereinten und das Innere seines Schädels in Dampf zu verwandeln schienen. Skal schrie aus Leibeskräften. Ein zufriedenes Grinsen von Loës war jedoch das Einzige, was er damit hervorrief.

So abrupt, wie die Folter begonnen hatte, so urplötzlich endete sie auch wieder und die letzten Schreie verhallten jämmerlich an den rußgeschwärzten Wänden. Schwer atmend sackte Skal in sich zusammen. Jeder einzelne Muskel seines Körpers schien zu erschlaffen, während er nicht dazu in der Lage war, auch nur einen klaren Gedanken zu fassen. Wie lange die Qualen angedauert hatten, konnte er noch nicht einmal im Ansatz sagen. Vielleicht mochte es bloß für wenige Atemzüge gewesen sein, doch fühlte es sich so endlos lang an, dass es Skal vorkam, als hätte er sein gesamtes bisheriges Leben nichts anderes als die Peinigungen seines Meisters erfahren.

»Bitte ... bitte habt Erbarmen«, hauchte er, unfähig, dabei ein Augenlid zu heben. Doch Loës ging nicht auf das Flehen seines Sklaven ein. Im Gegenteil. Genüsslich erhob er die Stimme.

»Weißt du, warum ich das tue? Wirst du dich mir gegenüber noch ein einziges Mal respektlos verhalten?«

»Nein, mein Gebieter, nie wieder«, entgegnete der Iatas erneut mit zutiefst untertäniger Stimme. »Nie wieder werde ich Euch einen Grund geben, an meiner Treue zu zweifeln, das schwöre ich.«

»Das meine ich nicht«, zischte Loës kaum hörbar und wieder setzten von einem Augenblick auf den anderen Schmerzen ein, so als würde sich eine Säge durch das Innere von Skals Kopf arbeiten. Doch diesmal gab es etwas, das ihn dazu brachte, sich noch für einen kleinen Moment zusammenzunehmen und den letzten Anflug eines klaren Gedankens festzuhalten, bevor er den Qualen in seinem Hirn nachgab.

Für einen Wimpernschlag gelang es Skal, alles in einem anderen Licht zu sehen und endlich den Grund zu erkennen, aus dem Loës ihm all das anzutun schien. Dann versank sein Geist erneut in den Fluten aus flüssigem Feuer und sein Körper verfiel in unkontrollierte Krämpfe.

Äonen schienen zu vergehen, bis der Dunkle Herrscher wieder von ihm abließ, und als der Iatas erkannte, dass er für den Moment wieder einmal das Schlimmste überstanden hatte, öffnete er nach Atem ringend den Mund. Er brachte all seine verbliebene Kraft auf, um gegen die Ohnmacht anzukämpfen, dennoch schienen ihm die Worte im ersten Augenblick nicht über die Lippen treten zu wollen.

»Ja?«, fragte Loës langgezogen, als er bemerkte, dass sein Untergebener etwas zu sagen hatte.

»Ich ... ich entschuldige mich«, krächzte Skal und schaffte es unter Mühen, die Augen einen Spaltbreit zu öffnen. Loës’ Gesicht schien einerseits erwartungsvoll, zugleich jedoch auch abweisend und desinteressiert. Nach einem Moment der Pause, als der Dunkle Gott zu glauben schien, dass nichts mehr kommen würde, wollte er sich erneut die Finger an die Stirn legen. Aber indem der Iatas-Meister all seine Kraft zusammennahm, gelang es ihm, einen Arm zu heben. Und tatsächlich hielt Loës inne.

»Ihr wisst schon längst, dass ich einzig Euch treu ergeben bin«, kam es von dem am Boden Liegenden flüsternd und mit der Stimme der Erkenntnis. Die rissigen Lippen des Kriegers waren von seinem eigenen Blut rot gefärbt, nachdem er sich einige Male darauf gebissen hatte. »Zudem werde ich mich Euch gegenüber nie wieder respektlos verhalten oder an Eurer Stärke zweifeln – aber auch dessen seid Ihr Euch bewusst.«

Noch während er sprach, dachte Skal an Loës’ Nackenwunde, welche er bisher dankbar als dessen Schwachstelle angesehen hatte, durch die es ihm erlaubt gewesen war, ab und zu wenigstens ein bisschen zu verschnaufen. Aber schon im nächsten Augenblick verbot er sich diesen Gedanken – und zwar für immer. Genauso ging ihm zum allerletzten Mal der Satz durch den Kopf, welchen er in seinem Traum dem vermeintlichen Cedryk gegenüber geäußert hatte: Ich wollte den Gott der Alben an der kurzen Leine halten.