Das Biest in Dir

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»Deshalb hast du versucht, Loës zu bekämpfen, obwohl du insgeheim hofftest, er würde die Macht erlangen, nicht wahr?« Auf Cedryks Gesicht zeichnete sich ein wissendes Lächeln ab.

Skal, der sich durchschaut fühlte, im gleichen Moment jedoch auch froh darüber war, endlich mit jemandem über das Geheimnis sprechen zu können, das ihn seit geraumer Zeit immer mehr auffraß, nickte zustimmend. Vor allem, da dieser Jemand kein Geringerer war als Cedryk, dessen Vertrauen er so furchtbar missbraucht hatte und der von allen wohl am meisten unter seinen Fehlern gelitten haben musste.

»Schon verrückt, oder?«, meinte der Iatas-Meister in versöhnlichem Ton und sah seinem früheren Schüler tief in die pferdebraunen Augen. »Ich hatte gedacht, dass ich Loës’ Wege in die richtigen Bahnen lenken könnte, indem ich eine Truppe von Kämpfern aufstelle, die stark genug ist, um ihm die Stirn zu bieten. Mein Ziel war, dass sich der Dunkle Gott stets einer Macht gegenübersehen würde, die der seinen in nichts nachstünde. Eine Art Pendant sozusagen, damit er nicht zu stark wird. Ich wollte den Gott der Alben an der kurzen Leine halten. Du musst wissen, meine neuen Schüler, Darius und Therry, sind ...«

»Ich weiß, wer deine neuen Schüler sind, Skal! Und ich weiß auch, was sie sind!«, schrie Cedryk. Jedes Verständnis war aus seiner Stimme gewichen. Das Gesicht, das ihm eben noch so gütig, ja fast verzeihend entgegengeblickt hatte, verzog sich mit einem Mal zu einer wütenden Fratze. Eine tiefe Falte zierte seine Stirn, als er fortfuhr. »Du hast recht, es ist verrückt. Du bist verrückt, wenn du glaubst, du könntest einem Gott den Weg aufweisen, den er einzuschlagen hat. Ihn an der kurzen Leine halten, das waren doch deine Worte?«

»Ich ... Ich meinte, ich wollte nur ...«, begann Skal verwirrt zu stottern. Er kam mit den Gefühlswechseln des Mannes, den er einst näher zu kennen geglaubt hatte als jeden anderen, einfach nicht mehr mit.

»Eine Frage habe ich noch an dich.« Cedryks Stimme war mit einem Mal wieder vollkommen ruhig, fast ein Flüstern, so als wären die letzten Augenblicke gar nicht geschehen. Doch dafür durchdrangen seine Worte mit einer solch schneidenden Kälte die Luft, dass es Skal einen Schauer über den Rücken jagte. »Wie stehst du jetzt zu dem Albengott? Versuchst du insgeheim noch immer, Loës Steine in den Weg zu legen oder hast du dich nun vollkommen der dunklen Seite verschrieben?«

Skal hatte befürchtet, dass diese Frage kommen würde und es widerstrebte ihm, sie zu beantworten. Aber wenn irgendjemand die Wahrheit verdient hatte, dann Cedryk. Ein letztes Mal flüchtete er sich mit einem Blick hinüber zur Leiche seines Schülers und ließ die Augen über die trostlose Umgebung des Karaschja-Gebirges schweifen. Das Gesicht des jungen Mannes war, wie man selbst von ihrem Standpunkt aus erkennen konnte, bläulich angelaufen und so starr, dass es einer Totenmaske glich. Sich selbst konnte Skal zwischen all den schroffen Felsen mittlerweile schon gar nicht mehr entdecken.

Obwohl er kein Wort sagte, konnte er den ungeduldigen Blick seines einstigen Schülers im Nacken spüren und ohne ihn anzusehen antwortete er: »Nein, ich versuche Loës keine Steine mehr in den Weg zu legen. Im Gegenteil. Inzwischen habe ich erkannt, dass er der einzig wahre Weg ist. Ich muss ihm folgen, da es keine Möglichkeit gibt, seiner Macht zu widerstehen. Deshalb habe ich mich ihm gefügt, anstatt einen sinnlosen Kampf auszufechten, an dessen Ende nur mein Tod gestanden hätte. Obwohl ich natürlich immer noch hoffe, dass er unserem Volk den Frieden bringt.«

»Oh, keine Sorge, das werde ich«, drang es dunkel und rauchig an Skals Ohr.

»Was?« Verwirrt hob der alte Krieger den Kopf, um seinen vermeintlichen Gesprächspartner fragend anzusehen. Doch das, was er dann erblickte, ließ ihn einen erstickten Schrei ausstoßen. Wie selbstverständlich stand Loës, in einen dunkeln Umhang gehüllt, neben ihm. Genau an der Stelle, wo sich bis gerade eben noch Cedryk befunden hatte. »Aber ... wie ... wie kann das ...« Skal stockte der Atem.

»Überrascht?« Loës lächelte ihm süffisant entgegen. Seine schwarz glänzenden Augen blieben jedoch freudlos und kalt. Die Spitzen seiner spinnenbeinartigen Finger hatte er sittsam vor seinem Körper aneinandergelegt. Und obwohl es der makaberen Situation widersprach, wirkte der Albengott entspannt und zufrieden, beim Anblick des verwirrten Menschen.

»Wie ... wie seid Ihr ...? Wart Ihr die ganze Zeit schon ...?« Skal brachte vor lauter Verblüffung noch immer keinen richtigen Satz zustande. Er stand nur mit geweiteten Augen da, unfähig, die Lage zu erfassen. Loës unterdessen überbrückte die kurze Distanz zwischen ihnen mit einem halben Schritt, sodass er nun unmittelbar vor ihm stand. Das weite Gewand, in das der Dunkle Herrscher gekleidet war, raschelte bei jeder seiner Bewegungen und ohne auf die fragende Körperhaltung seines Untergebenen zu achten, streckte er langsam den rechten Zeigefinger aus, um diesen an der Stirn zu berühren. Skal wollte im ersten Moment zurückweichen, aber die eindrucksvolle Gestalt von Loës, der ihn um gut zwei Köpfe überragte, sowie die Aura von Macht und Überlegenheit, die er ausstrahlte, vertrieb jeden Gedanken daran, sich ihm zu widersetzen.

Zum zweiten Mal in kurzer Zeit wechselte die Umgebung im Blickfeld des Iatas. Dieses Mal jedoch nicht sanft und unmerklich, sondern ruckartig und mit einem stechenden Schmerz, der sich von der Stelle, an der Loës ihn berührt hatte, netzartig über seinen gesamten Körper ausbreitete. Die ewige Einöde des Karaschja-Gebirges zog unnatürlich schnell vor Skals Augen dahin, sodass er das allumfassende Weiß mit den darin aufragenden graubraunen Felsen nur noch als verschwommenes Bild wahrnahm, in dem die Farben ineinander überzulaufen schienen. Das Einzige, was konstant vor ihm bestehen blieb, war der in schwarzes Tuch gehüllte Leib, das langgezogene Gesicht mit den eingefallenen Wangen und die alles durchdringenden Augen, die sich in ihrer Dunkelheit sogar noch von dem Stoff abhoben.

Der Schmerz wurde immer schlimmer und als Skal das Gefühl hatte, tausende kleine Dolche würden sich ihm gleichzeitig an jeder Stelle seines Körpers durch die Haut bohren, endete es ebenso plötzlich wie es begonnen hatte.

Loës hatte seinen Finger zurückgenommen und das Vorbeiziehen der Landschaft ebbte augenblicklich ab. Die verschwommenen Farben wichen einem schwachen, orangegelben Schimmer, der von rauen Steinwänden zurückgeworfen wurde. Skal brauchte einige Augenblicke, um zu begreifen, dass er nicht mehr aufrecht stand, sondern auf weichem Stoff gebettet lag und dass das, was er ansah, die Decke seines Schlafquartieres war. Es vergingen weitere Atemzüge, bis ihm klar wurde, dass er das Innere des Tempels, in dem er erst vor wenigen Stunden gemeinsam mit Loës angekommen war, nie verlassen hatte.

Obwohl ihm kalte Schweißperlen auf der Stirn standen und sein Atem raste, blieb er dennoch ruhig liegen. Skal verspürte kein Bedürfnis, Loës danach zu fragen, was all dies zu bedeuten hatte, denn er wusste, dass sein Gebieter jeden Moment von sich aus erklärend das Wort an ihn richten würde. Er drehte lediglich den Kopf ein wenig nach rechts, damit das Gesicht seines Herren, welches im flackernden Schein dreier Kerzen noch gespenstischer aussah als sonst, komplett in sein Blickfeld rückte.

Wie eine Mutter, die an der Nachtstätte ihres Kindes hockte, saß der Albengott auf seiner Bettkante und sah zu ihm herab. Selbst im hellen Tageslicht hätten sich seine Gesichtszüge unmöglich deuten lassen. Wut, Zufriedenheit, Überraschung, alles mochte Loës in diesem Augenblick gleichzeitig durch den Kopf gehen. Und genauso klang auch seine Stimme, als er nach schier endloser Zeit des Schweigens wieder das Wort ergriff.

»Ihr Menschen seid schon ein seltsames Volk. Euer Tatendrang ist groß, doch der Wille schwach. Nur allzu leicht kann man euch etwas vorgaukeln, was nicht ist und eure Gedanken dabei in die gewünschte Richtung lenken, sodass ihr tanzt wie die Marionetten. Erst recht, wenn ihr schlaft. Wenn ihr euch in euren viel gerühmten Träumen sicher glaubt und auch die Geistesstarken unter euch – zu denen ich dich zweifelsohne zähle – jeden Schutz fahren lassen, da sie sich frei fühlen, wie der Vogel im Wind. Weißt du, dass Götter nicht träumen können? Uns ist es lediglich vergönnt, den Sterblichen im Traum zu erscheinen.«

Skal schüttelte langsam den Kopf. Und nach einigen weiteren Momenten der Stille beschloss er, die Frage an Loës zu richten, welche ihm auf der Zunge brannte, seit ihm bewusst geworden war, dass er sich ihm und nicht Cedryks verstorbenem Geist anvertraut hatte. »Was geschieht nun mit mir?« Obwohl er all seinen Mut zusammengenommen und sich jedes einzelne Wort zurechtgelegt hatte, klang seine Stimme zitternd und brüchig. »Werdet Ihr mich nun töten?«

»Oh nein, im Gegenteil.« Loës lachte über die Einfältigkeit des Menschen auf. »Wenn ich entschieden hätte, dass du den Tod verdienst, so wärst du aus deinem Traum nicht mehr erwacht, dessen sei dir sicher, Skal. Obwohl du dir das Sterben in Kürze sicher herbeisehnen wirst.« Erneut lachte der Dunkle Herrscher, amüsiert über das fragende Gesicht seines Untergebenen. Aufgrund des imposanten Eindrucks, den er auf ihm machte, wagte der Iatas noch immer nicht, seinen Oberkörper aufzurichten.

Loës genoss es, den Mensch in all seiner Qual vor sich liegen zu sehen. Nicht wissend, was ihn erwartete und um Worte ringend, die ihm vor lauter Angst einfach nicht über die Lippen kommen wollten.

»Du warst ehrlich zu mir, auch wenn es nicht deine Absicht war«, sprach der Albengott schließlich, um Skal nicht mehr unnötig leiden zu lassen ... zumindest noch nicht. »Die Tatsache, dass du mir am Ende, wenn auch nach einigen Umwegen, schließlich doch die Treue hältst, rettet dir das Leben. Dennoch kann ich den zeitweiligen Verrat, den du an mir verübt hast, indem du mich mit Hilfe deiner lächerlichen Schüler hintergehen wolltest, nicht einfach so verzeihen. Ich muss sichergehen, dass es nie wieder etwas geben wird, das deine Traue zum Wanken bringt.«

 

»Es wird nie wieder etwas geben, Meister, das schwöre ich euch«, bemühte Skal sich schnell zu versichern.

»Dennoch musst du für deinen Ungehorsam und deine Respektlosigkeit bestraft werden oder waren es nicht deine Worte, dass du mich an die kurze Leine nehmen wolltest?«

Skal verstummte und senkte augenblicklich in ehrerbietender Demut das Haupt. Da er bereits auf dem Rücken lag, verfehlte die unterwürfige Geste ein wenig ihre Wirkung, da er im schwachen Kerzenschein nun so aussah wie ein alter Mann, dem beim Schlafen der Kopf nach vorn gekippt war. Loës wusste es trotzdem anzuerkennen und zufrieden stellte er fest, dass er in ihm einen würdigen Diener gefunden hatte. Der Schmerz und die Folter, die in den nächsten Stunden Skals Lehrmeister sein sollten, würden ihr Übriges tun und ihn zu seinem perfekten Sklaven machen. Anders als eine gewisse Person, von der Loës mehr als enttäuscht war und die er durch den Iatas zu ersetzen gedachte.

Gemächlich erhob sich der Gott der Alben von der Bettkante und ging zur Tür, doch bevor er sie durchschritt, verweilte er noch einen Moment. Er brauchte sich nicht umzudrehen, um zu wissen, dass Skal den Kopf immer noch unterwürfig so weit wie möglich auf die Brust gedrückt hatte. Die Ohren des Mannes waren jedoch gespitzt, um ja kein Wort seines neuen Gebieters zu überhören.

»Es mag dir für die Dauer deiner Bestrafung nur ein geringer Trost sein, doch um deine Frage zu beantworten: Ja, ich werde deinem Volk den ersehnten Frieden bringen.«

Schmerzhaftes Erwachen

Schmerz durchflutete seinen Schädel. Das Erste, was Darius wahrnahm, lange bevor er die Augen öffnen konnte, war ein Pochen in seinem Kopf. Ausgehend von der rechten Schläfe zog es sich, hammerschlagartig, quer durch sein ganzes Hirn.

Warum er diese Qualen durchlitt, wusste er nicht. Darius wusste bloß, dass er sich den Zustand der süßen Ohnmacht wieder zurückwünschte, aus der er gerade im Begriff war zu erwachen. Er wusste auch nicht, wo er sich befand, geschweige denn wie er hierher gekommen oder was mit ihm passiert war. Doch selbst die einfachsten Bewegungen, mit denen man diese Fragen sonst rasch aus dem Weg räumen konnte, waren für den jungen Mann unerträglich.

Bei dem Versuch, die Augen zu öffnen, verspürte er nur noch mehr Schmerzen, so als hätte jemand seinen Sehnerv gepackt und würde nun mit einem Ruck daran ziehen. Instinktiv wollte er sich die Hände auf die Lider pressen, doch es gelang nicht. Der fehlgeschlagene Versuch, etwas zu sehen und die damit verbundenen Qualen – welche im Gegensatz zu dem dauerhaften Klopfen in seinem Schädel einem glühend heißen Einstich gleichkamen – ließen Darius nun vollständig aus seiner Trance erwachen.

Ein Vorteil war das jedoch nicht. Nun, da sein Bewusstsein in jedem einzelnen Teil seines Körpers wieder Einzug gehalten hatte, nahm er auch die Schmerzen umso deutlicher wahr. Es gab kaum eine Stelle, die nicht wehtat. Dabei war die Pein vielseitig wie die Farben einer Mischpalette und reichte von leichtem, beinahe schon sanften Pochen seiner weniger tiefen Fleischwunden, bis hin zu einem unentwegten Stechen in der Hüfte.

Bei jedem Atemzug schien es, als würde sich eine Klinge Stück für Stück in sein Inneres bohren. Mit aller Kraft, die Darius in der Lage war aufzubringen, versuchte er sich zu fokussieren. Auch wenn er nichts sehen konnte und alles in ihm danach schrie, durch Tod oder Bewusstlosigkeit den Qualen zu entrinnen, so gelang es ihm doch, sich wenigstens soweit zu konzentrieren, dass er seine Atmung verlangsamen konnte.

Gleichmäßig und so flach wie möglich wölbte und senkte er seine Brust. Tatsächlich wurden die Schmerzen nach dem ersten Aufflammen etwas weniger intensiv, auch wenn sie noch immer vorhanden waren. Immerhin erlaubte dieser Zustand es dem jungen Iatas erneut den Versuch zu starten, seine Augen zu öffnen.

Ein hektisches, unkontrolliertes Zucken huschte ihm über die Lider, doch das erwartete Brennen hinter seiner Stirn fiel bei Weitem nicht mehr so schlimm aus wie beim ersten Mal. Anscheinend wurde sein Erwachen auch noch von jemand anderem wahrgenommen, denn schon ertönte eine liebliche Stimme neben ihm, die er aber nur wie durch eine dichte Wolldecke hindurch wahrnahm.

»Na endlich kommst du wieder zu dir.«

Leise flüsternd, fast schon zärtlich, hauchte eine Frau die Worte an sein Ohr und zum ersten Mal gelang es Darius, die Augen einen Spaltbreit zu öffnen. Sehen konnte er trotzdem so gut wie nichts. Schwärze breitete sich vor ihm aus, die aber immerhin von dem indirekten Schein einer hinter ihm brennenden Fackel spärlich erleuchtet wurde.

Wie selbstverständlich wollte er den Kopf drehen, um die Frau, die er neben sich vermutete, anzublicken. Halb hoffte er, dass es Therry war, die an seinem Bett stand, doch irgendetwas in seinem Innersten sagte ihm, dass es sich um jemand anders handelte. Soweit beisammen, dass er Stimmen voneinander unterscheiden konnte, war Darius noch nicht, aber das Vertrauen, welches ihn jedes Mal durchströmte, wenn seine Freundin ihn ansprach, ließ sich ganz eindeutig missen.

Allerdings kam er ohnehin nicht dazu, sein Haupt zur Seite zu wenden, denn wie auch zuvor schon seine Hand, gehorchte es ihm einfach nicht. Doch nun, wo er die Augen geöffnet hatte, war er wenigstens in der Lage, den Grund dafür festzustellen. An sich herabblickend, bemerkte der Iatas, dass er nicht, wie bisher angenommen, auf dem Rücken lag. Breite, braune Lederriemen, die er im Zwielicht mehr erahnen und auf leichten Druck seiner Gliedmaßen hin spüren konnte, hielten ihn an einem hölzernen Stuhl fixiert.

»Was zum ...« Er wollte protestieren, doch seine Stimme versagte schon nach der Hälfte des Satzes. Kratzig und tonlos traten ihm die Worte über die Lippen und so langsam kehrte ein Hauch seiner Erinnerung zurück. Die Schlacht gegen die Zwerge, seine Verwandlung, der Kampf mit Loës. Skal! Dumpf klang das letzte Wort in seiner Erinnerung nach und mit dem sonst so Zuversicht spendenden Namen seines Meisters verband er auf einmal nur noch eine negative Empfindung, die er im Moment nicht so recht einzuordnen vermochte. Darius blieb allerdings auch kaum die Zeit, sich länger darüber Gedanken zu machen, da sein brummender Schädel plötzlich mit einer neuen Aufgabe konfrontiert wurde.

Lautlos, wie ein Schatten, der sich in seiner Schwärze noch von der ohnehin bereits vorherrschenden Dunkelheit abhob, schob sich auf einmal ein Gesicht vor das seine. Schwarze Haare umflossen das Antlitz der Frau, die ihm so nahe war, dass sich ihre Nasenspitzen beinahe berührten. Ihre Züge nahm Darius nur verschwommen wahr. Das Einzige, was er deutlich erkennen konnte, waren die markanten, mandelförmigen Augen. Dunkel wie die See bei Nacht blickten sie direkt in die seinen und schienen dabei bis ins Innerste seiner Seele vordringen zu wollen. Doch so unvermittelt, wie die Fremde in sein Sichtfeld getreten war, so plötzlich entfernte sie sich auch wieder von ihm. Mit einer Armlänge Abstand verharrte sie vor dem gefesselten Krieger und blickte abschätzig auf ihn herab.

»Und du sollst Gott Loës beinahe besiegt haben?« Ihre Stimme hatte nichts Weiches und Mitfühlendes mehr. Sie warf lediglich in kaltem Tonfall eine Frage in den Raum. »Für mich bist du nur ein ganz gewöhnlicher Mensch, der zu meinem Leidwesen das Glück hat, mit unserem Volk verwandt zu sein.« Ein kurzes Schweigen trat ein und Darius, der nun zunehmend Einzelheiten erkannte, blickte verwirrt zu ihr auf.

Der Oberkörper der Frau wurde von einem zerschlissenen Kettenhemd umhüllt, bei dem am Hals einige Glieder fehlten. Direkt unter der aufgerissenen Stelle kam ein Verband aus weißem Stoff zum Vorschein. Auch wenn alle Alben für ihn mehr oder weniger gleich aussahen, so hatte diese doch etwas an sich, das sie von der übrigen Masse der Schwarzaugen abhob. Es waren weniger ihre weiblichen Züge, die mit Abstand die Schönsten waren, die Darius je gesehen hatte, als vielmehr eine Aura von Überlegenheit, die sie zu umgeben schien.

»Du bist sogar noch schlimmer als ein einfacher Mensch«, sprach sie angewidert weiter. »Deine Rasse mag minderwertig und dumm sein, doch genau wie der Käfer, der sein Leben lang am Boden kriecht, wissen die meisten von euch immerhin, wo ihr Platz ist. Du aber glaubst auf frevlerische Art und Weise einem Alben gleichgestellt zu sein.« Ihre Stimme war zu einem katzengleichen Fauchen geworden, während sie ihn aus zusammengekniffenen Augen heraus ansah. Darius war drauf und dran, ihr an den Kopf zu werfen, dass er nichts für seine Abstammung konnte und sich nie damit rühmen würde, zur Hälfte ein Alb zu sein, doch er hielt es für besser, zu schweigen und sich seine Kräfte einzuteilen.

Suchend ließ er den Blick weiter durch den Raum wandern. Dunkle, fein bearbeitete und glatt geschliffene Steine, die sich in schmalen Fugen aneinander drückten, bildeten die Wand hinter der Frau. Ein Blick nach links oder rechts war ihm weiterhin nicht möglich, da sowohl um seinen Hals als auch um seine Stirn Bänder geschnallt waren, die ihn dazu zwangen geradeaus zu sehen.

Als Darius schließlich die Augen so weit wie möglich nach unten richtete, konnte er gerade noch auf seine eigenen Hände schauen, von denen die Haut in langen, weißlichen Lappen herabhing und das nackte Fleisch offenbarte. Seine Handgelenke waren straff auf die Armlehnen des Stuhles gefesselt worden, und obwohl sein Blick nicht bis zu den Füßen reichte, spürte er auf leichten Druck hin, dass auch sie angebunden waren.

»In meinen Augen seid ihr beide nichts als Missgeburten.« Wieder hatte die Albin in abwertender Weise die Stimme erhoben. Gleichzeitig stemmte sie wütend die Fäuste in die Hüften. Um die Rechte trug sie einen weiteren Verband. Ihrem Tonfall ließ sich nicht entnehmen, ob sie eine Antwort von Darius erwartete oder überhaupt Wert darauf legte, dass er ihr zuhörte. Umso erstaunter schien sie, als dieser plötzlich den Blick hob und seinerseits das Wort ergriff.

»Therry ist auch hier?« Seine Stimme war noch immer kraftlos und leise, doch die Albin schien ihn genau zu verstehen, denn plötzlich verzog sich ihr Mund zu einem breiten Lächeln. Anstatt zu antworten, verschwand sie seitlich aus Darius’ Blickfeld. Schon wollte er ihr hinterherrufen, aber zum einen wäre seine Stimme dafür kaum kräftig genug gewesen, zum anderen spürte er, dass sie noch immer in seiner Nähe war und sich keinesfalls von ihm abgewandt hatte.

Unvermittelt packten zwei Hände von hinten die Lehne seines Stuhles und zerrten ihn grob herum. Für einen Moment fürchtete Darius umzufallen und sein Herz machte vor Schreck einen gewaltigen Sprung. Doch schon einen Moment später standen die vier Beine wieder sicher auf dem Boden. Allerdings sorge das, was er nun erblickte, keinesfalls dafür, dass sein Pulsschlag sich abschwächte.

Auf dieselbe Weise gefesselt wie er und mindestens genauso elend zugerichtet, sah er sich plötzlich Therry gegenübersitzen. Ihre Augen waren geschlossen und die Verletzungen notdürftig verbunden. Jemand hatte ihr ein sackartiges Gewand über die Schultern gelegt, um behelfsmäßig ihre Blöße zu bedecken, da die Kleidung der jungen Frau, genau wie seine eigene, vom Kampf gegen Loës beinahe vollständig zerrissen oder verbrannt war.

»Kein schöner Anblick, oder?« Die Albin, die Darius soeben herumgedreht hatte, tauchte wieder in seinem Blickfeld auf. Und schlimmer noch, ihre Finger fuhren an dem zerbeulten Gesicht der Iatas entlang. Geistesabwesend glitten sie über den Verband, welcher um Therrys Schädel gewickelt und von Blut durchtränkt war. Innerlich schien sie an einem vollkommen anderen Ort zu sein.

»Lass sie los!«, zischte Darius. Seine Stimme wurde mit jedem Male, dass er sie gebrauchte, klarer und durchdringender, was auch der Albin auffiel. Die schien durch sein beherztes Aufbegehren aus ihrer Traumwelt gerissen und starrte nun wieder hasserfüllt zu ihm herüber. Schon wollte Darius erneut den Mund öffnen, um ihr etwas entgegenzuwerfen, doch schneller als sein eben erst erwachter Verstand es in dem Halbdunkel wahrnehmen konnte, erhob sie den Arm und schlug ihm mit der flachen Hand ins Gesicht, dass es an den Wänden nur so widerhallte.

Die Ohrfeige, obwohl kräftig und peitschenartig ausgeführt, war nicht besonders schmerzhaft für den kampferprobten Krieger. Viel eher erschreckte ihn, wie unerwartet sie kam. Das Echo war noch nicht ganz verhallt und Darius hatte die Augen kaum wieder geöffnet, als die feingliedrige Hand erneut auf ihn zufuhr. Grob krallte sie sich in sein angesenktes Haar und zog daran, was besonders unangenehm war, da er dem Druck nicht nachgeben konnte.

 

»Du hältst die Fresse, Abschaum! Ist das klar?«, schrie sie mit schriller Stimme. Wieder kam die Albin mit ihrem Gesicht so nahe wie möglich an das seine heran und taxierte ihn mit ihren nachtschwarzen Augen. »Ob das klar ist, habe ich dich gefragt?«

Viel mehr als untertänig zustimmen und hoffen, dass sich das Blatt irgendwann wenden würde, konnte Darius in diesem Moment nicht. Alles andere wäre töricht und das wusste er auch, doch sein Leben unter den Großen Brüdern hatte ihn geprägt. Falsch angebrachte Tapferkeit im Angesicht der Gefahr und der unbedingte Wille, sich von niemandem etwas gefallen zu lassen, setzten sich über sein logisches Denken und den gesunden Selbsterhaltungstrieb hinweg. Für die Dauer eines Lidschlages erkannte er die Dummheit, die er zu begehen vorhatte, doch es war bereits zu spät. Ein kurzer, schaumig-wässriger Speichelstrahl verließ, mit Druck zwischen den Vorderzähnen hervorgepresst, seinen Mund.

Perplex ließ ihn die Albin los und wich einen Schritt zurück. Sie mochte mit vielem gerechnet haben: Angst, Versprechungen, Schweigen, womöglich sogar mit verbaler Aufsässigkeit. Doch keinesfalls mit einer solch menschlichen Art ihres Gefangenen, seinen Unwillen zum Ausdruck zu bringen.

Langsam fuhr sie sich mit dem Zeigefinger über die Lippen und betrachtete den feucht glänzenden Film darauf. Dann wechselte ihr Blick scheinbar wieder zu Darius – obwohl sich bei Alben natürlich nie so genau sagen ließ, wohin sie gerade blickten. Den Mund zu einem schmalen Strich zusammengepresst und mit einem undeutbaren Gesichtsausdruck stand sie einige Atemzüge lang da und schien über das soeben Geschehene nachzudenken. Darius erwiderte ihren Blick. Zwanghaft bemüht, nicht wegzusehen oder sich seine Angst anmerken zu lassen, schaute er zu ihr auf.

Diesmal sah er den Angriff zwar kommen, doch ausweichen konnte der Iatas trotzdem nicht. In einer steil aufwärtsführenden Halbkreisbewegung kam der Fuß der Frau herangeflogen und traf ihn so wuchtig im Gesicht, dass er mitsamt dem Stuhl umkippte. Zwar hatte Darius noch reflexartig den Kopf zu drehen und die Arme zum Schutz hochzureißen versucht, doch die Fesseln waren unnachgiebig geblieben. Für einen Moment wurde er wieder bewusstlos. Aber der dauerte nicht lange an. Sein Verstand war kaum weggetreten, als ihn zwei Hände unsanft am Kragen packten.

»Tu das nie wieder, hast du verstanden?«

Zuerst schien die Albin ihn bloß zu schütteln, so als wolle sie verhindern, dass sein Geist vor ihr ins Reich der Ohnmacht floh. Doch dann versuchte sie ihn mit aller Macht an seinem Obergewand wieder in die Höhe zu zerren. Das war vom Kampf gegen Loës allerdings bereits derart in Fetzen gerissen, dass es dem Gewicht des jungen Mannes und dem des schweren Holzstuhles nicht standhielt. Mit einem kurzen Reißen ging der Stoff vollständig entzwei und Darius fiel erneut schmerzlich auf den Boden. Sein Hinterkopf fühlte sich an, als wäre er eine weiche Frucht, in die immer wieder jemand seine Finger drücken würde, um zu testen, ob sie reif war.

Die Albin, die es nicht geschafft hatte, ihren Gefangenen wieder aufzusetzen und bloß noch den Fetzen seines Hemdes in Händen hielt, schien dies in ihrer Rage für einen weiteren Versuch der Auflehnung zu halten, obwohl Darius nichts dafürkonnte. Mit gefletschten Zähnen packte sie ihn erneut, diesmal am Hals.

»Ob du mich verstanden hast, will ich wissen, du elende Made?«, kreischte sie weiter. Darius, dem die Frau nun unglaubliche Angst einjagte, bereute inzwischen, was er getan hatte und wollte ihr zustimmen. Niemals hätte er geglaubt, irgendwann einmal so den Schwanz einzuziehen. Doch hatte er im Moment eine andere Wahl? Mehr als ein Röcheln brachte er allerdings nicht hervor und die Hände der Albin drückten so unnachgiebig auf seinen Hals, dass es ihm selbst ohne die Fesseln unmöglich gewesen wäre, mit dem Kopf zu nickten.

Mit jedem Herzschlag, der verging und in dem er der Albin nicht antwortete, schien diese wütender zu werden und ihn noch fester zu würgen, was zur Folge hatte, dass Darius erst recht nicht dazu in der Lage war, einen Ton von sich zu geben. Es schien kein Ausweg aus dieser Misere zu existieren, und obschon er immer ehrgeizig und optimistisch gewesen war, begann der Kämpfer in ihm sich nun langsam aufzugeben. Schwarze Punkte tanzten vor seinen Augen auf und ab. Das Gesicht der Frau, die sich zu ihm hinabgebeugt hatte, blickte ihm hassverzerrt entgegen. Die langen, schwarzen Haare, welche ihr über die spitzen Ohren gerutscht waren und ihr Antlitz schleierartig verdeckten, würden wohl das Letzte sein, das er jemals zu Gesicht bekam.

Erst kurz bevor er das Bewusstsein verlor, so schien es, ließ sie wieder von ihm ab. Keuchend schnappte Darius nach Luft. Beim Öffnen seines Mundes liefen ihm einige Fäden blutigen Speichels von den Lippen hinab in den Schoß. Als er den Blick hob, stellte er fest, dass er wieder aufrecht saß. Kraftlos hing sein Kopf in den Lederriemen und er vermochte nicht zu sagen, wie er wieder in diese Position gekommen war. Noch immer blickte die Albin auf ihn herab, ihr Gesicht schien zu Eis erstarrt und ließ auch nichts von dessen Kälte missen. Offenbar hatte es sie einiges an Überwindung gekostet, von ihm abzulassen.

Darius kam inzwischen langsam wieder zu Atem und genoss die feuchte, modrige Luft, die seine Lungen durchströmte. Die schwarzen Punkte vor seinen Augen waren verschwunden, doch die Schmerzen schienen dafür umso stärker in den Vordergrund zu treten. Das Schlimme daran war jedoch, dass er die Qualen noch nicht einmal abschwächen konnte, indem er sich die Hände auf Gesicht oder Hals drückte. Ein weiterer Schwall Blut lief ihm übers Kinn, und als er sich mit der Zunge durch den Mund fuhr, spürte er, dass der Stiefelabsatz der Frau ein fingerdickes Loch in seine Wange geschlagen hatte.

»So, du bist also ein ganz Harter«, wieder ertönte die Stimme der Albin, diesmal jedoch beherrscht und sachlich, beinahe schon anerkennend, über die zweifellos mutige Tat ihres Gefangenen. Den Schock über seine unerwartete Gegenwehr schien sie inzwischen überwunden zu haben. Doch wie sich im nächsten Augenblick zeigte, war ihr Zorn keinesfalls verraucht. Beiläufig blickte sie sich im Raum um, in dem sich, soweit Darius erkennen konnte, außer ihr selbst nur noch Therry und er aufhielten.

»Schmerzen scheinen dir ja nicht allzu viel auszumachen.« Demonstrativ drehte sie ihren Kopf suchend in alle Richtungen, bis ihre nachtschwarzen Augen schließlich wie zufällig auf Therry verharrten und gefährlich zu glänzen begannen.

»Was ... was hast du vor?« Darius’ Stimme klang ungewöhnlich hoch und in diesem Moment hatte er genauso viel Angst wie zuvor, als die Albin ihn beinahe erwürgt hatte. Allerdings fürchtete er sich nicht um sein Wohl, sondern um das von Therry, die ihm noch immer bewusstlos gegenübersaß.

»Sieh genau hin, dann wirst du es sehen.« Mädchenhaft lächelte sie ihm entgegen, doch unter der falsch aufgesetzten Freundlichkeit, das konnte Darius spüren, brodelte es gewaltig.

»Wenn du sie anrührst, dann ...«, aber weiter kam er nicht. Urplötzlich verschlug es ihm die Sprache, als die Faust der Albin hart auf Therrys Jochbein traf.