Das Biest in Dir

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»Was wolltest du sagen?« Wieder erhob sie die Faust und schlug erbarmungslos zu. »Wolltest du mir etwa drohen?« Diesmal rammte sie Therry das Knie gegen die Brust. Dabei musste sie die Lehne das Stuhles festhalten, damit dieser nicht ebenfalls umkippte. Da ihr Opfer nicht nur gefesselt, sondern auch nach wie vor ohnmächtig war und die Angriffe deshalb nicht spüren konnte, war es eindeutig, auf wen selbige eigentlich abzielten.

Und es funktionierte. Stumme Tränen rannen Darius übers Gesicht, da er gezwungen war, mit anzusehen, wie seine beste Freundin vor ihm zu Tode geprügelt wurde. Er wagte allerdings kein weiteres Mal das Wort zu ergreifen, um die wahnsinnige Foltermeisterin nicht noch weiter in die Raserei zu treiben. Dabei hätte er in diesem Moment einfach alles gesagt, was sie hören wollte. Kein Bitten und kein Flehen wäre ihm zu entwürdigend gewesen, Hauptsache, sie würde aufhören, Therry so zu quälen.

Seine eigenen Verletzungen, obschon sie beinahe ebenso lebensbedrohlich waren, spürte er in diesem Moment nicht mehr. Jeder Gedanke in seinem Kopf drehte sich einzig und allein nur noch um Therry. Doch es gab für ihn keine Möglichkeit, irgendetwas für sie zu tun, und das war bei Weitem die schlimmste Folter von allen. Das schien auch die Albin zu bemerken, denn gerade als sie erneut zum Schlag ausholen wollte, verharrte sie mitten in der Bewegung.

»Und du sollst der Uèknoo sein, der meinem Meister beinahe das Leben genommen hat?« Spöttisch hallte ihre Stimme an den Wänden der kleinen Kammer wider, als sie auf das verheulte Gesicht von Darius herabsah. Blut, Rotz und Tränen hatten sich inzwischen miteinander vermischt und liefen hemmungslos über das Gesicht des stolzen Kriegers, der, einer Karikatur gleich, soweit in sich selbst zusammengesunken war, wie seine Fesseln es erlaubten.

»Bitte hör auf«, flüsterte er gerade laut genug, damit sie ihn hören konnte, und vermied es dabei, der Wahnsinnigen in die glänzenden Augen zu sehen, um sie nicht noch weiter zu provozieren.

»Was willst du?«, wieder war ihre Stimme von einem Wimpernschlag auf den andere weich und mitfühlend geworden, während sie ganz nahe an seinen Mund herankam, um ihn besser verstehen zu können. Diesmal regte sich keinerlei Widerstand in Darius, der ihn dazu gebracht hätte, etwas Respektloses zu tun. Er wollte einfach nur noch, dass es aufhörte.

»Bitte ... töte mich, wenn du willst. Aber hör auf, Therry so zu quälen.« Durch das Loch in seiner Wange bekamen die Worte einen seltsam pfeifenden Unterton und er klang beinahe wie ein alter Säufer, dem die Zunge schwer vom vielen Wein geworden war. Verständnisvoll nickte die Frau ihm zu und wirkte dabei, als könne sie kein Wässerchen trüben.

»Keine Sorge, ich werde dich schon noch töten«, begann sie mit kindlicher Stimme. »Doch zuerst wird deine Blutsgenossin noch dafür bezahlen, was sie mir angetan hat. Und du darfst zuschauen.«

»Warum?«, hauchte Darius nur. Er hätte niemals geglaubt, dass seine Stimme so zittrig und weinerlich klingen könnte. Doch die Angst in seinem Innersten, die nackte Panik, die ihn all seine Würde vergessen ließ, hatte die Oberhand über ihn gewonnen und ließ nicht zu, dass er ehrenvoll aus dem Leben trat, so wie er es sich stets vorgenommen hatte. »Warum bringst du es nicht einfach zu Ende? Warum musst du uns so leiden lassen?«

Schon oft hatte Darius durch seinen Bruder von Leuten gehört, die grausam gefoltert und gedemütigt worden waren und dann jeglichen Stolz verloren hatten. Doch nie hätte er geglaubt, dass auch er einst so tief sinken könnte und sich nun vor seiner Foltermeisterin so gehen lassen würde.

»Warum ich das tue, willst du wissen?« Genauso leise wie zuvor Darius flüsterte sie ihm die Worte mit rauchiger Stimme ins Ohr. »Nun, um euch Menschen zu quälen, habe ich noch nie einen Grund gebraucht. Und mehr als Menschen seid ihr ja schließlich auch nicht.« Wie vom Taiscor gestochen wich sie wieder von ihm zurück und griff in die lederne Tasche, die außen an ihrem Kettenhemd befestigt war. »Minderwertige, dreckige Menschen, die sich noch dazu einbilden, albischer Herkunft zu sein. Außerdem habt ihr es gewagt, Hand an mich und meinen Meister zu legen. Der einfache Tod wäre als Bestrafung noch viel zu gnädig für euch.« Erneut funkelte es verheißungsvoll in ihren Augen, so als wären sie zwei glatte, schwarze Diamanten.

Gebannt verfolgte Darius, wie sie in einer langsamen, fast zeremoniellen Handbewegung einen schmalen Gegenstand aus ihrer Tasche zog. Sie versuchte das dunkle Etwas, von dem er im schwachen Licht des fensterlosen Raumes ohnehin nicht erkennen konnte, was es war, in ihrer Hand zu verbergen. Allerdings war es etwas zu lang, sodass der Gegenstand nach beiden Seiten hin zwischen ihren Fingern hervorragte. Lächelnd beobachtete sie Darius, der noch immer am ganzen Körper zitterte.

»Wenn du glaubst, du und deine Blutsgenossin hätten das Schlimmste bereits überstanden, dann sieh mal genau hin ... Denn du wirst ja immerhin noch etwas sehen können.« Darius verstand im ersten Moment nicht, was die Worte zu bedeuten hatten, doch als die Albin einen Teil des schwarzen Gegenstandes zu Boden fallen ließ, und ein silbernes Schimmern zwischen ihren Fingern aufglänzte, trat ihm der kalte Schweiß aus den Poren.

»Pass gut auf, was dich gleich erwartet«, zischte sie und kaum unterdrückte Vorfreude schwang in ihrer Stimme mit, als sie sich mit dem Messer in der Hand Therrys Gesicht näherte.

»Nein!«, schrie Darius und riss mit aller Kraft an seinen Fesseln, sodass die Beine des Stuhls abwechselnd vom Boden abhoben und er gefährlich wankte. »Nein, nein, nein!« Immer wieder und immer lauter brüllte er in seinem ohnmächtigen Zorn die Worte, in dem Wissen, dass er die Frau damit nicht aufhalten, sondern, wenn überhaupt, nur noch mehr anstacheln würde.

»Siehst du auch gut hin, Mensch?«, lachte sie glockenhell, während Daumen und Zeigefinger ihrer linken Hand beinahe zärtlich eines von Therrys Lidern nach oben zogen und sich die Klinge in Ihrer Rechten langsam dem Auge der jungen Iatas näherte.

Darius tobte inzwischen wie noch nie zuvor in seinem Leben. Sinn ergaben die Laute, die ihm dabei über die Lippen traten, keinen mehr. Ein einziges bestialisches Gebrüll dröhnte nun aus seiner Kehle. Seine Augen waren mit einem Mal ebenso schwarz wie die der Albin und fingerlange Reißzähne entwuchsen seinem Mund. Wie ein Berserker riss er an seinen Fesseln, rüttelte mit bis zum Zerbersten gespannten Muskeln an den Bändern, die sich in seine Haut und sein Fleisch schnitten, aber selbst seine Verwandlung konnte ihm diesmal nicht helfen. Zu geschwächt war sein Körper und zu stark das Leder, welches ihn erbarmungslos an dem massiven Stuhl hielt.

Es war offensichtlich, dass seine Foltermeisterin genau diesen Zustand bei ihm auszulösen erhofft hatte, doch noch immer ließ sie nicht von Therry ab. Mit nach oben gezogenen Mundwinkeln blickte sie Darius entgegen und bewegte spöttisch die Lippen, während ihre rasiermesserscharfe Klinge bereits ein kleines Stück in Therrys Augapfel eingedrungen war.

Das Rauschen in Darius’ Ohren verhinderte, dass er auch nur einen Ton von dem verstand, was die Albin sagte, aber die Bilder, die er mit anzusehen gezwungen war, brachten ihn um den Verstand.

Doch dann, als die Schneide bereits zu fast einem Viertel in Therrys Auge eingedrungen war und sich eine Blutbahn über ihr Gesicht ergoss, fiel plötzlich ein Lichtstrahl in den Raum, der die Helligkeit der einzelnen Fackel noch bei Weitem übertraf. Schlagartig hielt die Foltermeisterin in ihrem grausigen Treiben inne und zog das Messer ein Stück weit zurück. Noch mehr von dem Lebenssaft floss aus Therrys Auge und die Albin sah schuldbewusst in Darius’ Richtung, hinter dem sich offenbar in diesem Moment eine Tür geöffnet hatte.

Mit wenigen Schritten durchquerte ein hochgewachsener Mann den Raum. Seine langen, blonden Haare hatte er sich zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, der hin- und herpendelte, als er erregt nach dem Messer griff.

Darius, der wenigstens für den Moment Therrys und sein Leben in Sicherheit glaubte, beruhigte sich augenblicklich wieder. Nicht zuletzt, weil seine Verletzungen und der enorme Blutverlust es ihm nicht erlaubten, den Zustand, der von allen, die um ihn wussten, als Biest bezeichnet wurde, aufrechtzuerhalten. Schrittweise ließ auch das Rauschen in seinen Ohren nach und er begann Fetzen einer Unterhaltung wahrzunehmen.

»... dir keine Sorgen zu machen ... die beiden schon am Leben gelassen«, drang die gereizte Stimme der Albin bruchstückhaft an sein Ohr. »Ich wollte nur meine Rechnung mit der Furie begleichen und sehen, wie der da reagiert.« Abwechselnd deutete sie zuerst auf Therry, dann auf ihn und wirkte dabei gleichermaßen schuldbewusst wie arrogant.

»Loës hat gesagt, er will die Uèknoos unversehrt.« Diesmal sprach der Mann, der Darius noch immer den Rücken gekehrt hatte. Mit geschickten Fingern riss er einen langen Streifen aus Therrys sackähnlichem Gewand und band es ihr straff um den Kopf, sodass zumindest ihr zerstörtes Auge wieder ein wenig Schutz erhielt.

»Loës hat gesagt, er will sie lebend. Und so hätte ich sie ihm auch übergeben. Bezüglich ihres Zustandes hat er sich nicht geäußert und mehr als ihre Zungen brauchen sie nicht, um seine Fragen zu beantworten«, meinte die Albin mit provokativem Unterton. Missbilligend beobachtete sie, wie ihr Gesprächspartner die Enden der provisorische Augenbinde, trotz der Fesseln, die Therrys Kopf an der Lehne des Stuhles fixierten, geschickt verknotete.

»Nemesta«, entgegnete der Mann gereizt und schien sie dabei eindringlich anzusehen. »Unser Meister wurde in der Schlacht schwer verletzt und hat uns bis zu seiner Rückkehr die Verantwortung über seine Gefangenen übertragen. Du solltest diese Ehre nicht mit Füßen treten, indem du mit deren Leben spielst.« Auch er bedachte Darius und Therry nur mit einer beiläufigen Handbewegung, so als wären sie Gegenstände. Objekte, die man nicht in seiner Nähe haben wollte, die aber sehr wertvoll und zerbrechlich waren.

 

Darius atmete schwer. Teils vor Erleichterung, dass der Spuk wenigstens für den Moment vorbei war, doch vor allem wegen der Schmerzen, die sich, nun, da seine Aufmerksamkeit nicht mehr einzig und allein Therry galt, wieder in seinem ganzen Körper ausbreiteten.

»Keine Sorge, Nemesta, wir bekommen unsere Rache schon noch. Loës wird sie uns gewiss überlassen, wenn er mit ihnen fertig ist«, sprach der Mann verheißungsvoll und trat einen Schritt auf seine Gesprächspartnerin zu, jedoch nicht bedrohlich, so wie sie es zuvor bei Darius getan hatte, sondern auf die Art und Weise, wie es eine Frau stets nur einem Mann erlaubte. »Vergiss nicht, dass auch ich noch eine Rechnung mit den beiden offen habe. Wenn du dich nur noch ein kleines bisschen geduldest, dann werden wir sie uns teilen. Einen Menschen für dich, einen für mich.«

Wie zum Schein ging Nemesta auf seinen Annäherungsversuch ein und bewegte ihren Kopf auf den seinen zu, nur um ihn im letzten Moment hart bei den Schultern zu packen und von sich zu stoßen.

»Ich bekomme sie beide! Nur dann werde ich mich noch gedulden«, verlangte sie mit fester Stimme, die keinen Widerspruch zuließ und sah mit starrem Blick zu ihrem Gegenüber hinauf. »Ich bin es schließlich auch gewesen, die in der Schlacht von Therry verwundet worden ist, nicht du. Ich will das Miststück langsam in Scheiben schneiden und er soll zusehen.«

Leicht widerwillig schien ihr Gesprächspartner mit dem Kopf zu nicken. Einige Atemzüge lang standen sich die zwei noch gegenüber und sahen einander tief in die Augen. Dann lief die Frau, die er Nemesta genannt hatte, langsam an ihm vorbei und schritt, ohne ihre Gefangenen eines weiteren Blickes zu würdigen, hinter ihm durch die Tür. Auch ihr Gefährte wandte sich zum Gehen und Darius, der wusste, dass der Mann sein Leben und das von Therry nicht gerettet hatte, weil sie ihm etwas bedeuteten, empfand dennoch ein starkes Gefühl der Verbundenheit zu ihm.

»Ich danke dir.« Beinahe ohne sein Zutun verließen die Worte seinen Mund und schon im nächsten Augenblick kam er sich verlogen dabei vor. Zum ersten Mal sah der Fremde ihn an. Sein Gesicht war mindestens ebenso hasserfüllt wie das von Nemesta. Aber das war es nicht, was Darius innerlich wie äußerlich zusammenzucken ließ. Die Züge des Mannes waren ihm wohlbekannt. Auch wenn sich die langen Gesichter, die schwarzen Augen und stets arrogant wirkenden Mienen dieses Volkes alle ähnelten, so würde Darius dieses Antlitz niemals vergessen.

»Saparin!«, entfuhr ihm unwillkürlich der Name des Priesters, dessen Leiche Therry und er damals im Tempel von Loës zurückgelassen hatten.

»Wage nie wieder das Wort an mich zu richten«, presste der Angesprochene gezwungen zwischen den Zähnen hervor und Darius konnte sehen, dass er nichts lieber getan hätte, als sich gleich hier und jetzt bei ihnen für die damals zugefügte Schmach zu revanchieren.

»Aber ... du ... du bist tot ... Therry hat dich umgebracht.« Fassungslos schaute der junge Mann zu dem Alben auf. Mit eigenen Augen hatte er sich nach seinem Kampf gegen dessen Bruder davon überzeugt, dass Therry ihm ein Messer bis zum Griff in die Brust getrieben hatte und er in einer sich stetig ausbreitenden Lache seines eigenen Blutes auf dem Boden lag. Der Schock über Saparins plötzliche Wiederauferstehung ließ ihn sogar für einen Moment die Sorgen um seine Gefährtin vergessen.

Angeekelt durch die Beulen und Wunden, welche jede freie Stelle des Halbmenschen bedeckten und die Kruste aus geronnenem Blut und Rotz, die sein Gesicht überzog, steigerte sich Saparins Wut sogar noch. Als Darius schließlich erneut den Mund öffnete, um stotternd seinem Unglauben Ausdruck zu verleihen, konnte der Halbgott, trotz seiner eben gehaltenen Predigt, nicht länger an sich halten. Mit voller Wucht schlug er seine Faust zielgenau auf die Kinnspitze seines Gefangenen. Von Hass getrieben war der Angriff stärker als er es beabsichtigt hatte und er konnte spüren, wie der Kiefer des Mannes unter seinen Faustknöcheln brach.

Angewidert wischte er sich die Rechte an einem Taschentuch ab, während er verärgert über seine fehlende Selbstbeherrschung auf den reglosen Körper vor sich herabsah. Für einen Moment stieg Panik in ihm auf, doch schon kurz darauf erkannte er, dass sich Darius’ Brust langsam wieder hob und senkte.

»Stirb mir jetzt bloß nicht weg«, sprach Saparin dumpf in das Halbdunkel des Raumes. Einen Lidschlag später wandte er sich ab und folge Nemesta durch die Tür.

Die Früchte des Sieges

Mit weit ausgreifenden Schritten marschierte Saparin den schmalen Gang entlang. Die Worte des Menschen hatten ihn aufgewühlt und die Beherrschung verlieren lassen. Nemesta durfte das nicht erfahren, nicht nach der Standpauke, die er ihr gehalten hatte. Doch als Darius, den er sich absichtlich bemüht hatte nicht anzusehen, das Wort an ihn gerichtet hatte, war sein Zorn einfach mit ihm durchgegangen.

Ein sanftes Lächeln umspielte Saparins Züge, als er, immer drei Stufen mit einmal nehmend, die schmale Wendeltreppe aus den Kerkern hinaufstieg. Eigentlich konnte er Nemesta ihre Rache nicht verübeln, da er selbst eine gewisse Befriedigung verspürt hatte als er sah wie sie Therry das Auge zerstochen hatte.

»Genau wie bei Pahrafin«, murmelte Saparin unwillkürlich vor sich hin, als er den oberirdischen Bereich Eichenburghs betrat. Dunkelheit hatte sich über das gesamte Östliche Reich gelegt. Erhellt nur von den Bränden der elfischen Behausungen und durchbrochen von den Siegesgesängen der Zwerge.

Auch sein Bruder war, bevor sie ihn hingerichtet hatten, aufs Schrecklichste gefoltert worden und auch ihm hatten die beiden Iatas eines seiner Augen genommen. Saparin konnte sich noch gut daran erinnern, wie er ihn, vor kaum mehr als einem Mond, in ihrer Heimat, dem Albewald, gefunden hatte. Die Schmerzen, welche sein älterer Bruder durchlitten hatte, bevor sein Leben mit einem Schwertstich beendet worden war, mussten unerträglich gewesen sein.

»Doch seid euch gewiss, dass die euren noch tausendmal schlimmer sein werden, sobald Gott Loës erst mit euch fertig ist.« Wieder hatte der Alb die letzten Worte unbedacht vor sich hingeflüstert, als im selben Augenblick auch schon einer seiner Offiziere schattengleich neben ihm aus dem Boden wuchs.

»Sagtet Ihr etwas, Durchlaucht?« Saparin sah den Mann kurz an und schüttelte dann beiläufig den Kopf. Einen Lidschlag später, als dieser sich unter einer höflichen Verbeugung wieder entfernen wollte, hielt er ihn jedoch am Arm fest.

»Warte, Peilnhin. Lass rasch nach einem Heilkundigen schicken und bring ihn hinunter in die Folterkammer, wo die beiden Biester gefangen sind. Er soll sich um ihre Verletzungen kümmern und ihre Schmerzen lindern. Schließlich dürfen sie vor lauter Qualen nicht den Verstand verlieren ... Zumindest noch nicht.« Der Blick des Halbgottes ging ein wenig ins Leere, während ihm die letzten Worte kaum vernehmlich über die Lippen traten.

Einen Augenblick später fuhr er in gewohnt befehlsmäßigem Ton fort: »Anschließend schickst du jemanden, der dein Vertrauen genießt, hinüber nach Urgolind, auf das er einen sicheren Raum suche und dort reichlich Ketten platziere. Danach bringst du, zusammen mit den verschwiegensten deiner Leute, die Uèknoos, Darius und Therry, durch den Wald hinauf in die Baumfestung. Aber achte darauf, dass weder die plündernden Zwerge noch sonst irgendjemand ihre Verlegung mitbekommt. Ich mache dich persönlich für das Überleben der beiden Halbmenschen verantwortlich, Peilnhin. Es wäre also besser, wenn du deine Aufgabe ernst nimmst.«

»Selbstverständlich, Durchlaucht«, nickte der hochgewachsene Alb dienstbeflissen und hielt sich zum Zeichen seiner Ergebenheit die Hände sittsam ineinander gefaltet vor den Bauch.

»Ach ja, noch etwas. Hast du gesehen, wo Nemesta hingegangen ist?« Saparin versuchte seine Stimme möglichst beiläufig klingen zu lassen, obwohl er seinem Gegenüber keine Rechenschaft schuldig war und es ihm egal sein konnte, was dieser von ihm dachte.

»Lady Nemesta hat das Gefängnis soeben verlassen. Ich glaube, sie ist in Richtung der Hütten gelaufen.« Saparin nickte knapp zum Zeichen, dass der Krieger sich entfernen durfte. Anschließend machte er sich ebenfalls daran, Eichenburgh zu verlassen.

Die langgezogenen, tristen Gänge, die so gar nicht zu den sonst so offenherzigen und weitläufigen Bauwerken der Elfen passen wollten, erweckten in ihm auf makabere Art das Gefühl, wieder im Tempel von Loës zu sein. Auf Fenster war weitestgehend verzichtet worden, sodass selbst bei Tag ein zwielichtiges Halbdunkel vorherrschen musste, wie es eher seinem Volk zu Gesichte stand.

Die wenigen Fenster, die es dennoch gab, waren von außen mit starken Metallgittern versehen. Alles in allem hätte sich das Haus, welches in seinen Ausmaßen gewiss Platz für über sechzig Elfen geboten hätte, kaum mehr von den anderen Gebäuden des Naoséwaldes unterscheiden können. Immerhin war es auch eines der wenigen, die unmittelbar auf dem Erdboden errichtet worden waren und das einzige unter ihnen, welches man zum Großteil aus Stein gebaut hatte.

Noch vor wenigen Stunden war es eine Art Gefängnis gewesen, das ein wenig abseits von den Riesenbäumen, auf deren Wipfeln das eigentliche Elfenreich thronte, in der kleinen Waldeslichtung lag. Genau genommen war es das noch immer, ein Gefängnis. Nur die Insassen hatten gewechselt.

Eine letzte Handvoll Elfen hatte sich erfolglos hinter den hölzernen Flügeltüren, die inzwischen nur noch zur Hälfte in ihren beschädigten Angeln hingen, verbarrikadiert. Saparin durchschritt den Torbogen, dessen Lettern bereits mit einer schwarz-purpurnen Schleife verdeckt waren, mit Genugtuung. Nach dem Fall von Urgolind, dem Herz des Waldelfenreiches, war es reine Routine gewesen, die letzten Feinde aufzuspüren und niederzuwerfen. Verluste hatte es aufseiten der Alben dabei keine gegeben.

Nachdem das Leben der Gefängniswachen ein jähes Ende gefunden hatte, waren ihnen die Insassen ins Jenseitige Reich gefolgt. Jeder einzelne der Häftlinge war unbewaffnet und feige wie ein kleines Lamm gewesen, sodass sie die Schärfe des albischen Stahls eigentlich gar nicht verdient hatten.

Jetzt boten die Zellen unfreiwillige Unterkunft für die elfischen Offiziere und Adligen, die das Gemetzel überlebt hatten. All jene, die sein Gebieter zu befragen gedachte, sobald er sich vom Kampf gegen Darius, Therry und die aufsässige Waldelfenkönigin erholt hatte. Letztere hatte Gott Loës in einer Verzweiflungstat hinterrücks ihr Zauberschwert in den Rücken gestoßen und ihn damit fast umgebracht.

Kaum, dass Saparin das durch dezenten Fackelschein erhellte Gebäude verlassen hatte, dessen Erdgeschoss inzwischen als behelfsmäßiges Quartier für einige albische Soldaten diente, erkannte er, wie vor ihm eine schmale Gestalt zwischen den Bäumen des Waldes verschwand. Die Flora war in diesem Teil des Forstes, gut fünf Meilen von Urgolind entfernt, nicht sonderlich dicht, sodass die bestens an die Dunkelheit gewöhnten Augen des Halbgottes alles gut erkennen konnten.

In einem Umkreis von gut zweihundert Schritten waren einige kleine Hütten errichtet worden, in denen bisher vermutlich das elfische Wachpersonal gehaust hatte. Nun dienten sie Saparin und seinen Offizieren als Einzelquartiere. Allerdings erschien es ihm übertrieben, von Hütten zu sprechen, denn so wie die meisten Wohnunterkünfte der Elfen waren auch sie sehr schlicht gehalten. Obwohl gemütlich und mit viel handwerklichem Geschick errichtet, maßen sie nicht sehr viel mehr als ein zusammengerollter Bergtroll.

Zielsicher steuerte Nemesta auf die hinterste der Baracken zu, unter deren Fensterläden ein wenig Licht hindurchschimmerte. Bereits dieser kurze Fußmarsch schien die stolze Albenkriegerin arg anzustrengen, da ihre Schritte sich zunehmend verlangsamten und sie auf einem Bein wieder zu humpeln anfing.

Die Wunden, die sie sich bei der Schlacht zugezogen hat, setzen ihr stärker zu, als sie sich eingestehen will, dachte Saparin unwillkürlich und passte sein Tempo dem seiner Gefährtin an. Er wollte Nemesta nicht in Verlegenheit bringen, indem er sie einholte und damit ihre körperliche Einschränkung offensichtlich machte.

Gemächlich lief er um einige auf dem Boden liegende Zweige und kniehoch gewachsene Farne herum, stets bemüht, keine Geräusche zu verursachen. Als seine Partnerin schließlich die Tür zu ihrer Unterkunft durchschritt, fragte er sich einen Augenblick lang, ob es überhaupt ratsam war, ihr zu folgen. Doch noch während Saparin darüber nachdachte, lenkten seine Füße ihn beinahe schon eigenständig vor den Eingang der kleinen Behausung.

 

Er hatte die Hand bereits erhoben und mit den Faustknöcheln zweimal gegen die Tür geklopft, als ihm zu seiner eigenen Verwunderung klar wurde, dass er überhaupt nicht wusste, was er sagen sollte, wenn Nemesta ihm öffnete. Noch während er nach Worten suchte, wurde die Klinke bereits von innen heruntergedrückt und mit zusammengezogenen Augenbrauen erschien die Albin in der Tür. Als sie ihren Begleiter erkannte, hellte ihr Blick sich jedoch schlagartig auf.

»Komm rein«, sagte sie ruhig und wandte sich sogleich wieder um. Saparin kam der Aufforderung nach kurzem Zögern nach und folgte ihr ins Innere. Die Wohnfläche bestand nur aus einem einzigen Raum und da die Hütte über keinen Schornstein verfügte, waren Kerzen die einzige Lichtquelle. Gut zwei Dutzend von ihnen hatte Nemesta aufstellen lassen, wodurch die hellbraunen Innenwände in einen gelblich flackernden Schein getaucht wurden.

Mit wenigen Schritten hatte die Albin das Zimmer durchquert und stand nun vor einem mannshohen Spiegel, welchen sie ebenfalls in das Quartier hatte bringen lassen. Ohne Saparin eines weiteren Blickes zu bedenken, nestelte sie an den Haken und Ösen ihres Kettenhemdes. Der Halbgott stand unschlüssig neben der Tür und überlegte für einen Moment, was er als Nächstes tun sollte. Da Nemesta nicht von sich aus bereit schien, ein Gespräch anzufangen, beschloss er, selbst das Wort zu ergreifen.

»Ich kann nachvollziehen, dass du dich lieber heute als morgen an den beiden Menschen rächen möchtest, aber du musst auch Loës verstehen. Er legt immensen Wert darauf, sie lebend wieder vorzufinden. Wenn wir dieser einfachen Aufgabe nicht nachkommen können, werden wir seinen Zorn auf uns ziehen und dann ...«

»Ich weiß. Du hast ja auch recht«, fiel Nemesta ihm ins Wort. Dabei klang sie jedoch nicht arrogant oder launisch, so wie es in der letzten Zeit häufiger der Fall gewesen war. Ihre Stimme war, genau wie ihre ganze Wesensart, sanft und ruhig. Diesmal, das konnte Saparin spüren, gab sie es allerdings nicht vor, um ihn zu täuschen. Tatsächlich schien sämtliche Aggression und aller Hass, der die kampfbesessene Albin sonst so sehr prägte, verschwunden zu sein. Mit vertrauensseligen Augen blickte sie Saparin durch den Spiegel hinweg an und ein kleines Lächeln huschte über ihre Züge, als sie weitersprach.

»Mir ist klar, dass das, was ich getan habe, nicht richtig war. Aber ich konnte diese Schmach einfach nicht auf mir sitzen lassen.« Dabei fuhr sie sich mit den Fingern über den Verband an ihrem Hals, wo Therry sie erst wenige Stunden zuvor gebissen hatte. Die Verschlüsse ihrer Rüstung hatte sie inzwischen gelöst, sodass diese jetzt schlaff an ihr herabhing. »Die kleine Schlampe hätte mich beinahe umgebracht. Ich wollte, dass sie mindestens genauso sehr leidet wie ich. Und ihr Bruder sollte mindestens genauso viel Angst haben, wie ich sie in diesem Moment hatte.« Geistesabwesend drehte sie die Kettenglieder, welche Therry mit ihrem Biss aufgeknackt hatte, zwischen den Fingern hin und her.

»Ich bin sehr froh, dass du überlebt hast.« Saparin errötete ein wenig, als er die Worte aussprach. Langsam näherte er sich Nemesta von hinten und griff nach dem Saum ihres Stahlhemdes. Durch den Spiegel sahen die beiden sich tief in die Augen und vorsichtig half er ihr, sich der Panzerung zu entledigen.

Nemesta hätte es auch ohne ihn geschafft, doch sie genoss es, Saparins kraftvolle und gleichzeitig sanfte Hände auf ihrem Körper zu spüren. Gänsehaut überkam sie, als er mit seinen Fingern ihre Taille berührte und augenblicklich richteten sich die kleinen Härchen in ihrem Nacken auf. Achtlos warf sie die Rüstung in die Ecke und drehte sich nun gänzlich zu ihrem Gefährten um. Einzig ein schmuckloses Untergewand aus weißem Leinen, welches ihrem Körper nicht im geringsten Maße gerecht wurde, verdeckte jetzt noch ihre Blöße.

»Dabei fällt mir ein, ich habe mich noch gar nicht bei dir bedankt«, hauchte sie und trat noch einen halben Schritt auf Saparin zu, sodass ihre Hüften sich berührten. »Ohne dein Eingreifen hätte der Zwergenprinz mich in der Schlacht getötet.« Lächelnd legte sie ihm die Arme um den Hals und näherte sich langsam mit ihrem Mund dem seinen.

Als ihre Lippen sich berührten, kam es Nemesta vor, als würde glühend heiße Lava sie durchfluten und die Gänsehaut auf ihren Armen und Schultern verstärkte sich. Im ersten Moment stand Saparin einfach nur da und es ließ sich nicht erschließen, ob er den Moment ihrer Zweisamkeit genoss oder nicht. Doch gerade als der Albin in den Sinn kam, dass er womöglich gar nicht mehr als Freundschaft zwischen ihnen wollte, erwiderte er den Kuss. Und das mit solcher Leidenschaft, dass ihr ganzer Körper, von den Fußsohlen bis hinauf zur Nasenspitze, zu kribbeln begann.

Einige Augenblicke lang verharrten die beiden ineinander verschlungen. Ihre Zungen erforschten hemmungslos den Mund des jeweils anderen, bis Nemesta sich schließlich wieder ein wenig von ihm löste. Sie konnte spüren, dass Saparin nur widerwillig von ihr abließ – und es gefiel ihr. Doch eines musste sie noch wissen, bevor sie sich ihm gänzlich hingab.

»Was ist eigentlich mit ihm passiert?«, fragte sie und musste die Stimme dabei kaum erheben, da Saparin noch immer, im wahrsten Sinne des Wortes, an ihren Lippen hing und sie sich so nahe standen, dass sie seine versteifte Männlichkeit durch den Stoff ihrer Kleidung hindurch spüren konnte.

»Wen meinst du?« Der Halbgott klang ehrlich verwirrt, da er in diesem Moment nicht damit gerechnet hatte, dass Nemesta über irgendjemand anderen sprechen, oder auch nur denken würde.

»Ich rede von Nubrax, dem Zwerg, der mich angegriffen und dich mit seiner Axt geschlagen hat. Was ist mit ihm geschehen? Hast du ihn getötet?« Noch immer hatte Nemesta die Arme um Saparins Hals gelegt und fuhr ihm verspielt mit den Fingern durch die langen Haare, aber sie spürte, dass er sich just in diesem Moment wieder ein wenig von ihr entfremdete. Halb verwünschte die Albin sich dafür, dass sie wieder damit angefangen hatte, doch ihr Interesse war nun einmal geweckt und so musste sie es wissen.

Saparin gingen inzwischen wieder die Bilder durch den Kopf, wie er Nemesta im allerletzten Moment aus der Reichweite des kleinen Wüterichs gestoßen hatte, nur um selbst beinahe in zwei Teile zerhackt zu werden. Unbewusst fuhr er sich mit der Linken über das frische Gewand, welches er der Kleiderkammer eines wohlhabenden Elfen entnommen hatte. Geschickt verdeckte das weite Hemd die tiefe und für ein sterbliches Wesen tödliche Wunde, welche die Waffe in seinen Bauch geschlagen hatte. Das Schlimmste war dabei jedoch, dass ihnen neben der Rache an Darius und Therry auch noch die an dem Zwergenprinz und dessen halbwüchsigem Begleiter verwehrt blieb.

Für den Bruchteil eines Lidschlages huschte ein Schatten über Saparins bis eben noch glücklich erfülltes Gesicht, da er wieder daran denken musste, wie einer von Barmbas’ Leuten die beiden Zwerge nach der Schlacht mit sich genommen hatte. Die stille Drohung, welche in jenem Moment zwischen ihm und dem verkrüppelten Krieger namens Ephialtes gestanden hatte, nagte noch immer an ihm. Nemesta würde die Demütigung rasend machen, wenn sie davon erführe. Und schlimmer noch, sie könnte sie zu einer Dummheit, wenn nicht gar zu einem kurzentschlossenen Krieg gegen die mittelbergischen Zwerge verleiten.