Charlotte und das Reitinternat - Verliebt, verlobt, verheiratet, geschieden

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„Die Züchterin hat vor einigen Wochen Welpen bekommen. Sie werden in ein paar Tagen abgegeben“, sagte Mama und klickte durch die Fotos. „Eine Kleine ist noch übrig. Diese Blonde da“, Mama sah zu mir hoch, bis ich schließlich das Foto anklickte.

„Die ist mega süß. Oh, Charlotte“, David schlang von hinten seine Arme um mich und legte sein Kinn auf meine Schulter, während ich vornübergebeugt über dem Sessel meiner Mom hing, um auf den Bildschirm gucken zu können. Ich spürte Davids Hände an meinem Bauch.

„Hat sie schon einen Namen?“, fragte ich und Mama nickte.

„Sie heißt April“, erwiderte sie.

„April“, ich sprach den englischen Namen leise aus und blickte dann wieder auf das Foto. Ja, das passte irgendwie.

„Wenn auch du einverstanden bist, könnten wir uns fest melden“, sagte Mama und ich umarmte sie ganz feste.

„Ja, bitte. Das ist eine ganz tolle Idee. Ihr seid die Besten!“ Ich umarmte erst Mama und dann David, der breit grinste. Ich freute mich sehr über die Tatsache, dass Mama und Papa einen neuen Hofhund für uns nicht ausgeschlossen hatten.

„Herzlichen Glückwunsch, Süße. Ihr bekommt wieder einen Hund“, sagte David und ich küsste ihn.

„April“, flüsterte ich leise und wusste gar nicht, wie ich meine Freude über diese Überraschung am besten zum Ausdruck bringen sollte.

„Komm, lass uns nach oben gehen“, David nahm grinsend meine Hand, dann stolperten wir die Treppe hoch und verschwanden in meinem Zimmer, während Mama den Anruf bei der Hundezüchterin übernahm.

David schloss die Tür. „Ich liebe dich“, meinte er und zog mich mit sich in Richtung meines Bettes.

„Ich liebe dich auch“, flüsterte ich und wir ließen uns sachte in die Matratze sinken.

Miese kleine Hexe

Als ich am Samstag aufwachte, raste mein Herz los. Es war der 8. November und damit mein Geburtstag. Endlich war ich keine Kleine mehr. Endlich gehörte ich zu den 16-Jährigen. Endlich hatte ich David eingeholt.

Ich stand auf, machte die Rollladen und Rollos hoch und die Sonne lächelte mir entgegen. Ihre Strahlen trafen auf meine Haut und ich begann zu lächeln. Ich konnte über die Weiden blicken, die Pferde standen schon draußen und ließen sich den herbstlichen Wind um die Nase wehen.

„Alaska!“ Ich riss das Fenster auf und schrie gegen den Wind an. Ich hatte mein Pferd bereits auf der Weide gesichtet. Sie riss den Kopf hoch und spitzte die Ohren in meine Richtung. Ich winkte ihr vom Fenster aus zu und meine Stute wieherte laut. „Soll ich runter kommen?“, rief ich ihr entgegen. Alaska wieherte wieder. Ich nahm das als eine Aufforderung und sah an mir herunter. T-Shirt und lange Hose – das müsste gehen. Ich zog mir ein paar feste Turnschuhe an und kletterte das Rankengitter entlang, an dem ums Verrecken keine Rose ranken wollte. Mama meinte, dass es an der Wetterrichtung lag, aber ich vermutete einfach, dass sie keinen Plan davon und vor allem keine Lust dazu hatte, sich um die Ranken zu kümmern.

Ich rannte den Weg zur Koppel entlang. Alaska kam auf mich zu getrottet und blieb vor mir stehen. Ich kletterte unterm Zaun hindurch und griff mit der einen Hand in ihre Mähne. Die andere legte ich ihr auf den Rücken. Ich brauchte ein paar Versuche, bis ich mich auf ihren Rücken ziehen konnte. Aber dann saß ich ohne Sattel auf ihrem bloßen Rücken. Ich lenkte sie über die Schenkel und das Gewicht vom Zaun weg. Sofort galoppierte Alaska los und ich krallte mich in ihrer Mähne fest, die Beine fest um ihren Bauch geschlungen. Wir flogen über die kniehohen Grashalme, der Wind klatschte uns entgegen. Ich stieß einen jubelnden Schrei aus und Alaska wurde noch schneller. Die anderen Pferde schauten uns verdutzt hinterher, ein paar trabten ein Stückchen mit, bevor das Gras wieder interessanter wurde. Am Ende der Koppel hielten wir an. Der Wald gab ulkige Geräusche von sich, wenn der Wind durch die Baumreihen fegte. Die Äste der Tannen wankten im Wind, die Laubbäume hatten ihre Blätter so gut wie vollständig verloren. Ich begann leicht zu frieren, also drehten wir um und Alaska rannte in vollem Tempo zurück. Ich spürte jeden einzelnen Muskel unter meinem Hintern, Alaska spannte sich bei jedem Galoppsprung an. War es nicht wahnsinnig, dass all diese Vorgänge wie von selbst funktionierten?

Kurz vorm Zaun parierten wir in einer atemberaubenden Vollbremsung durch und ich musste kurz durchatmen. Ich klopfte Alaska erleichtert den Hals und legte mich nach hinten auf ihren Rücken und die Kruppe. Die Sonne schien uns zwar schwach entgegen, aber aus meinem Frieren wurde ein Zittern. Also richtete ich mich auf und wollte gerade absteigen, da erkannte ich die ganzen Menschen bei uns auf der hinteren Terrasse stehen. Sie jubelten, als ich abstieg und so trat ich überrascht näher.

„Happy Birthday, Charlotte“, riefen sie mir zu und klatschten in die Hände. Ein Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht auf.

„Was macht ihr denn alle hier?“, fragte ich und griff mit den Händen in das Rankengitter.

„Überraschung“, rief David und beugte sich zu mir über das Geländer der Terrasse. Er gab mir einen Kuss.

„Dann gehe ich mich nur schnell umziehen. Mein Aufzug ist nicht vorzeigefähig.“ Schnell kletterte ich die Ranke hoch und sprang auf meinen kleinen Balkon.

„Auf dem Pferd sah er ziemlich gut aus“, rief mir Bonnie hinterher und alle lachten. Ich beugte mich über den Balkon, streckte ihr grinsend die Zunge heraus und verschwand wieder in meinem Zimmer. Schnell schlüpfte ich in andere Sachen, machte mir die Haare einigermaßen ordentlich, dann sprang ich die Treppe nach unten. Die versammelte Mannschaft stand bei uns im Wohn- und Esszimmer und sie hatten Luftballons ins Zimmer gebunden. Es erinnerte mich ein wenig an meinen zehnten Geburtstag, aber irgendwie fühlte es sich auch noch so vertraut an, die Dinge von damals zu sehen. Denn erwachsen fühlte ich mich mit sechzehn noch lange nicht.

„Alles Gute zum Geburtstag, mein Mäuschen“, Mama nahm mich in den Arm und ich verzichtete auf einen ermahnenden Kommentar über ihren Kosenamen. Nach Mama nahm mich auch Papa in den Arm.

Dann kam David auf mich zu. „Happy Birthday, Süße“, er zog mich in seine Arme und küsste mich vor allen Leuten auf den Mund. Ein wenig war ich schon peinlich berührt, denn daran gewöhnt, von David geküsst zu werden, war ich noch nicht. Aber viel Zeit, um mir darüber Gedanken zu machen, was die anderen jetzt von mir denken könnten, hatte ich nicht, denn David übergab mir einen flachen Karton. „Hier. Für dich“, sagte er dazu.

„Soll ich es jetzt aufmachen?“, fragte ich und blickte in die Runde. Alle lachten und nickten.

„Klar!“ David rempelte mich auffordernd an, dann öffnete ich die hellblaue Schleife, die um den Karton gebunden war. Vorsichtig hob ich den Deckel des Kartons ab und hielt das hellblaue Papier zur Seite. Darunter befand sich – ich nahm es atemlos heraus und hielt es oben sachte fest – ein dunkelblaues Cocktailkleid.

„Das ist für mich?“, fragte ich völlig überwältigt und sah David sprachlos an.

„Ja klar!“ Er lächelte bei meiner erfreuten Reaktion. Ich fiel ihm überglücklich um den Hals.

„Vielen, vielen Dank, David. Das Kleid ist wunderschön!“, sagte ich zu ihm und drückte ihn kurz, bevor ich ihn wieder losließ und mir das Kleid noch mal genauer ansah. „Nur wüsste ich jetzt gerne noch, wie du das mit meiner Kleidergröße gemacht hast. Du kannst mir nicht weißmachen, dass du das nach Augenmaß ausgesucht hast“, neckte ich ihn zwinkernd und legte das Kleid vorsichtig wieder zusammen, damit es keine Knitter bekam.

„Ich hab Hilfe bekommen. Von deinen Eltern und all unseren Freunden“, gab er zu.

„Ihr wusstet davon?“ Ich sah Emilia, Annika, Melina, Bonnie und Kiara immer noch sprachlos an. Sie nickten. Neben ihnen standen die Jungs aus unserer Clique, Elias grinste mich an. Paul – Kiaras Freund – hatte auch kommen können. Theo hatte keine Zeit gehabt, was mich nicht wunderte. Er ließ sich nur selten auf dem Hof blicken und um ehrlich zu sein, hatte ich auch ein wenig Angst gehabt, wie sich die Gruppe verhalten würde, wenn Theo mit seiner hohen Konfliktbereitschaft hier aufgetaucht wäre. Aber dann erkannte ich ein Gesicht, das ich seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hatte.

„Hannah?“, fragte ich völlig überrascht in die Runde. Meine Cousine trat aus der Menge.

„Ja, ich bin’s“, sie nahm mich in den Arm. Hannah lebte in Bayern und ging auf eine ganz normale Schule. Sie ritt eigentlich nicht, auch wenn ich fand, dass sie Talent besaß. Ab und zu, wenn sie hier war, gingen wir gemeinsam ins Gelände. Bei sich zuhause ging Hannah segeln und fechten.

„Das ist ja mal eine Überraschung! Schön, dass du da bist“, freute ich mich und ließ sie los. Sie reichte mir ein kleines Paket und als ich sie fragend ansah, nickte sie. Ich löste vorsichtig den Tesa-Film vom Geschenkpapier und schlug das Päckchen dann auf. Darunter befand sich eine schwarze Fliegenhaube für Alaska, die ich ihr über die Ohren ziehen konnte, um die Fliegen von ihren Ohren fernzuhalten. Verziert war die Fliegenhaube mit einer Deutschlandflagge und unserem Internatslogo.

„Danke, sie ist wunderschön.“ Überglücklich und dankbar nahm ich Hannah in den Arm, bevor die anderen etwas sagen konnten.

Annika nahm von Emilia ein Paket in Übergröße entgegen und sprach für alle: „Wir haben uns zusammen etwas für dich und Alaska überlegt und David hat uns die entscheidende Idee in den Kopf gesetzt. Aber du kannst ja erst mal aufmachen.“ Sie reichte mir schließlich das Geschenk der ganzen Gruppe.

„Oh ha, das ist ja riesig“, musste ich lachen und legte das Paket, das allerdings fast nichts wog, auf den Boden, um es aufzumachen. Zum Vorschein kam eine Dressurschabracke, die mit einer Bestickung verschönert worden war. Der Rand der Schabracke war grün-gold und in gold-roten Buchstaben stand Alaska in der hinteren Ecke. Darüber war mein Name in gold-grünen Buchstaben gestickt worden. In der Mitte prangte ein großes & hervor.

 

Ich sah meine Freunde an. „Euer Ernst?“

„Ja, unser voller Ernst.“ Das war Elias.

„David hat sich vor einigen Wochen eine sehr ähnliche bestellt und als wir sie gesehen haben, dachten wir, dass das doch vielleicht auch etwas für dich wäre“, erzählte mir Kiara und ich nickte grinsend.

„Vielen Dank“, ich umarmte alle und legte dann die Schabracke zu der Fliegenhaube.

„Und jetzt wir.“ Meine Mom freute sich übelst und ich wusste, dass das ihre Hormone waren, die manchmal mit ihr durchgingen. Irgendwie mochte ich Mama so in gewissen Hinsichten lieber, aber ab und zu war sie unter dem Einfluss der Schwangerschaftshormone auch ganz schön anstrengend.

„Jetzt bin ich aber mal gespannt“, grinste David und legte mir einen Arm um die Taille. Mama verschwand wortlos aus dem Zimmer. Alle starrten mich fragend ab, aber ich zuckte nur die Schultern. Dann wandten sich alle Gesichter meinem Dad zu.

„Wartet ab“, erwiderte er. Ich seufzte. Was würde jetzt wohl kommen?

Erst warteten wir still, dann begann Bonnie zu quieken. „Oh, wie süß!“ Alle drehten sich zur Tür und auch ich wirbelte herum. Zunächst blickte ich in eine leere Tür, aber als ich den Blick zu Boden wandern ließ, erfasste er einen blonden Welpen, der etwas tollpatschig und dennoch zielstrebig auf mich zugelaufen kam.

Ich setzte mich auf den Boden und wartete, bis der süße Hund angekommen war. „Du bist ja süß!“ Ich strich über ihren Kopf. Mir war schon klar, dass das der Hund war, den mir Mama vor ein paar Tagen im Internet gezeigt hatte. Schwanzwedelnd ließ sich die Kleine in meinen Schoß fallen.

„Charlotte, das ist unser Geschenk an dich“, sagte Mama, die in der Tür stehen geblieben war.

„Das ist wundervoll, Mama“, ich streichelte meinem Hund über den zarten Kopf und schaute in ihre dunklen Augen. Sie war echt niedlich.

„Ist das April?“, wollte David wissen, der sich jetzt auch hinkniete, um den kleinen Hund zu streicheln.

„Ja, das ist April. Sie sind gestern acht Wochen alt geworden und wir konnten sie heute Morgen abholen“, erklärte Papa weiter. Meine Eltern setzten sich wieder aufs Sofa und die ganze Gruppe sammelte sich um mich. Jeder wollte April mal streicheln oder ein Foto machen.

„April ist ein Hovawart, mit dem du regelmäßig etwas machen musst“, sagte Mama.

„Ach, das sollten wir schon hinkriegen“, winkte ich ab und schaute kurz zu meinen Eltern, die uns lächelnd beobachteten.

„Darf sie bei mir im Zimmer schlafen?“, fragte ich dann noch und meine Freunde lachten, als meine Eltern seufzten. Erst wollte Mama protestieren, doch mein Dad legte ihr eine Hand auf die Schultern, sodass sie schließlich einwilligten.

Nachdem wir uns alle mit Kuchen und belegten Brötchen vollgestopft hatten, gingen wir alle hoch in mein Zimmer. Meine Freundinnen setzten sich aufs Bett, Kiara saß auf Pauls Schoß, der es sich auf meinem Schreibtischstuhl gemütlich gemacht hatte. Elias ließ sich geräuschvoll in meinen Sitzsack fallen und stöhnte mit geschlossenen Augen genießerisch. David zog mich mit sich und setzte sich auf den Schreibtisch. Er hob mich hoch auf seinen Schoß und ich quiekte kurz. Ich ließ ihn gewähren, auch wenn ich nicht wusste, ob der Schreibtisch meinen anhänglichen Freund und mich aushalten würde.

„Und, was machen wir jetzt?“, wollte Emilia unternehmungslustig wissen. Beim genaueren Nachdenken fand ich, dass sie sich vom schüchternen Notenfreak zu einem selbstbewussteren Teenager entwickelt hatte.

„Wir könnten Wahrheit oder Pflicht spielen“, schlug Elias vor.

„Nee“, winkte Bonnie ab.

„Warum denn nicht?“ Elias rückte sich in dem Sitzsack zurecht, sodass er Bonnie ansehen konnte, die auf meinem Bett saß und sich neben Annika gehockt hatte.

„Zu viele Pärchen“, erwiderte sie.

„Ach? An welche Form von Wahrheit oder Pflicht hast du denn gedacht?“ Elias zog wissend und breit grinsend die Augenbrauen hoch.

„Das war ja wohl mega eindeutig, auf welche Version du hinauswolltest“, David griff sich hinter mir einen Stift und warf ihn auf Elias, während Emilia ihn mit einem Kissen abwarf.

„Wie wär’s mit ‘ner Kissenschlacht?“, fragte Paul und kitzelte Kiara leicht in die Seite.

„April sollten wir vielleicht in Ruhe dabei schlafen lassen“, wandte Hannah ein, die bis jetzt noch nichts gesagt hatte. Sie deutete auf den schlafenden Hund.

„Sie hat recht!“ Schließlich sprang ich vom Tisch auf und ging zu meinem Regal. „Wie wär’s mit dem Klassiker?“

„Klassiker?“, wollte Samuel wissen und rückte Richtung Bettkante.

„Werwolf“, ich hielt das bekannte Kartenspiel hoch und alle nickten.

„Darf ich den Erzähler spielen?“, fragte mich Hannah.

„Klar“, ich gab ihr lächelnd das Spiel. Dann beugte ich mich zu ihr rüber und flüsterte ihr zu: „Wollen wir nachher noch ‘ne Runde auf den Platz? Happy freut sich sicherlich!“

„Gerne.“ Meine Cousine packte die Karten aus und verteilte sie in einem riesigen Chaos, das die anderen fabrizierten. Doch dann wurde es Nacht und alle schliefen ein.

„Als Erstes erwacht bitte unser Engelchen Amor“, sagte Hannah und man hörte, wie sie mit einem Stift auf einen Zettel den Namen der Person schrieb, hinter der sich Amor versteckte. „Okay, Amor hat sich entschieden … Ich gehe jetzt und tippe die beiden an. Sie wachen auf, schauen sich in die Augen und verlieben sich unsterblich ineinander. Dann gehen sie gemeinsam schlafen“, Hannah schlich durch den Kreis und es raschelte ab und zu, dann räusperte sie sich. „Unsere Wölfchen wachen auf“, sie wartete ab und ich hielt neugierig meine Augen geschlossen. Ich hatte die Karte der Hexe erwischt – wie immer.

„Habt ihr’s mal bald?“, fragte Hannah irgendwann ungeduldig und wir lachten. Dann fuhr sie fort: „Okay, die Wölfis haben ihr Opfer gefunden und schlafen wieder ein.“

Irgendwann wurde ich aufgerufen und ich öffnete die Augen. Hannah zeigte mir das Opfer der Wölfe; es war Annika. Ich entschied mich, sie nicht zu retten und auch niemanden zu töten. Angeklagt wurde Elias, der nur ganz knapp entkam. Als Annika nach ihrem Tod ihre Karte aufdeckte und Amor erschien, waren wir alle natürlich gespannt, wen sie verkuppelt hatte.

In der nächsten Runde war David von den Wölfen ausgewählt und er bettelte mich mit geschlossenen Augen an, ihn mit meinem Heiltrank zu retten, obwohl er nicht mal wusste, wer wirklich die Hexe war. Also überlegte ich. Als Opfer der Wölfe konnte er zwar selbst kein Wolf sein, aber David zu retten, nur weil er mein Freund war, war ja schließlich auch nicht fair.

„Nicht parteiisch werden“, ermahnte mich Hannah und zwinkerte mir zu. Dann entschied ich mich schließlich, ihn ebenfalls nicht zu retten und meinen Tötungstrank bei Samuel auszuprobieren.

„Ich wusste gar nicht, dass ihr so böse sein könnt“, meinte Annika, die als Ausgeschiedene im ganzen Spiel zuschauen konnte.

„Nee, wir sind die Engel in Person, weißt du doch“, kicherte Elias.

Es starben also David und Samuel. Samuel war der weiße Werwolf gewesen und David die Seherin. Ich hatte also wenigstens bei Samuel den richtigen Riecher gehabt und bei David war mir die Antwort ja ebenfalls schon vorher bewusst gewesen.

„Ihr hättet mich gebrauchen können“, mein Freund warf seine Karte weg und setzte sich dann hinter mich. Hannah nahm sie grinsend hoch.

„Und, wer wird angeklagt?“, wollte sie dann wissen.

Es klagten sich zwar alle gegenseitig an, aber irgendwie hatten es alle auf Elias abgesehen, den Emilia bis zum Ende zu verteidigen versuchte. Und dann kam auch raus warum: Elias war als Werwolf enttarnt worden und hatte sich zuvor in die Jägerin Emilia verliebt.

„Ich darf jemanden mit in den Tot reißen“, schrie meine beste Freundin wild herum und drehte sich um die eigene Achse, ihre Augen fixierten uns alle nacheinander. „Charlotte!“

„Och, nee“, ich gab meine Karte ab.

„Was war sie? Was war sie?“, wollte Bonnie wissen und riss Hannah die Karte aus der Hand. „Hexe“, stellte sie nüchtern fest.

„Wenigstens konnte ich einen Trank verwenden. Hätte ich bloß noch jemanden gerettet“, seufzte ich und stand auf, um nach April zu sehen.

„Moment mal. Bist du daran schuld, dass ich gestorben bin?“, fragte mich David entsetzt.

„Halb. Ich hab dich unparteiisch nicht gerettet“, grinste ich ihn an und er zog mich zu sich zurück auf den Schoß.

„Du miese kleine Hexe“, er küsste mich in den Nacken, dann ging das Spiel weiter.

Die Werwölfe schlugen zu, in der nächsten Runde starb Melina als Mädchen, ohne die Werwölfe überführen zu können, und angeklagt wurde Kiara, die als Heilerin verlor. Dann kämpften noch zwei Werwölfe, alias Bonnie und Lukas, gegen unseren Fuchs, hinter dem sich Paul versteckte. Doch der hatte keine Chance mehr.

„Ich kann es nicht fassen“, beschwerte sich Melina. „Wie konntest du zulassen, dass ich sterbe?“, fragte sie Lukas, doch der grinste nur.

„Werwolf ist eben Werwolf!“

„Ich hätte dafür niemals gedacht, dass Bonnie ein Werwolf ist. Sie hat gar nichts gesagt und sich aus allem rausgehalten. Und als ich starb noch so einen auf Dorfbewohner gemacht“, meinte ich und fixierte meine Freundin, die jetzt richtig fett grinste.

Alle waren aus dem Haus getrödelt, nachdem wir noch einen Film geguckt hatten. Am Anfang hatte es eine Riesendiskussion gegeben, welchen Film wir schauen wollten. Die Jungs hatten lautstark für Action gepredigt, während wir Mädchen unbedingt einen Liebesfilm schauen wollten. Am Ende hatten wir sie schließlich überstimmt und die Jungs hatten nur murrend nachgegeben.

„Nach absoluter Mehrheit würde das gar nicht zählen“, wandte Lukas ein.

„Klappe, du Angeber“, hatte Melina ihn mit einem Kissen zum Schweigen gebracht.

„Wir machen das nach relativer Mehrheit“, ich sah in die Jungenrunde, die schließlich seufzend nickten.

Jetzt standen Hannah und ich im Stall und machten Happy und Alaska fertig. Happy war eine ältere Stute, die nicht mehr im vollen Schulbetrieb ging. Ab und zu wurde sie von jüngeren, talentierten Reitern auf einem Turnier geritten, aber die meiste Zeit genoss sie ihre Zeit auf der Weide.

„Kaum zu glauben, wie die Zeit rennt“, meinte Hannah plötzlich. „Jetzt bist du schon sechzehn!“

„Ja, stimmt. Ich wäre auch lieber für immer fünfzehn geblieben, wobei sechzehn schon ‘ne coole Zahl ist“, ich zog Alaskas Sattelgurt nach, setzte den Helm auf und schlug den Kragen meiner dicken Jacke hoch. Auch wenn draußen die Sonne schien, würde das keine tropischen Temperaturen bedeuten.

„Mit sechzehn darfst du so viel mehr als mit fünfzehn“, begann Hannah. „Du darfst Alkohol trinken …“

„Was ich nicht mache, weil ich das nicht mag“, unterbrach ich sie. Auf dem Platz stiegen wir auf und ritten die Pferde nebeneinander warm.

„Du darfst in die Disco …“, Hannah grinste mich an.

„Worauf ich ebenfalls keine Lust hab“, ich zwickte sie spielerisch in die Seite.

„Und du darfst mit deinem Freund anstellen, was du willst“, schloss sie ab.

„Hä?“, ich sah sie an. Durfte ich das nicht sowieso schon? Ich verstand nur noch Bahnhof.

„Dein Freund, David, der ist süß“, fand Hannah.

„Ich weiß. Süße Jungs haben es einfacher, dass man sich für sie interessiert“, sagte ich und sah meine Cousine fragend an. Sie hatte immer noch nicht erklärt, was sie mit ihrem dritten Argument gemeint hatte.

„Naja, du weißt schon. Irgendwann steht das an. Also … ich meine … Komm schon, Charly, du weißt doch, was ich meine“, druckste sie herum und da kam mir etwas in den Sinn.

„Du spinnst doch. Deswegen sechzehn werden? Ich brauche keinen der drei Gründe, da hätte ich schön fünfzehn bleiben können“, ich fasste Alaskas Zügel kürzer und trabte an.

„Aber … Stellst du es dir nicht ab und zu mal vor?“, Hannah trabte Happy ebenfalls an und ritt auf den Zirkel.

„Äh, nein, irgendwie nicht“, gab ich zu. „Ich hab da noch gar nicht dran gedacht, um ehrlich zu sein“, erwiderte ich und löste Alaska auf der linken Hand, bevor ich aus dem Zirkel wechselte und sie Schlangenlinien in drei Bögen traben ließ. „Du etwa schon?“, fragte ich Hannah, als sie nichts mehr sagte.

 

„Naja … nicht nur vorgestellt …“, stotterte sie kaum hörbar und ich hielt neben ihr an.

„Du meinst …?“ Ich war überrumpelt. Hannah nickte. „Wann?“, wollte ich wissen. „Und mit wem?“

„Mein Freund Hendrik und ich sind seit über einem Jahr zusammen. Und im Frühsommer waren seine Eltern für drei Tage weg und sein großer Bruder hat sich mit seinen Freunden auf ‘ner Party vergnügt. Wir hatten sturmfrei“, erklärte sie schließlich und ich betrachtete sie genauer. Man merkte es ihr gar nicht an. Sie wirkte weder erwachsener, noch reifer oder so. Und körperlich hatte das auch rein gar nichts hinterlassen. Hannah war immer noch Hannah.

„Krass, damit hätte ich nicht gerechnet“, erwiderte ich schließlich und ritt Alaska wieder an, um die peinliche Situation aufzulösen.

„Tja, so kann man sich täuschen“, sie zwinkerte mir zu. Meine Gedanken schweiften ab. Hannah war ein halbes Jahr vor mir geboren und außer unserer Familie verband uns nicht wirklich viel. Hannah ging zuhause nicht reiten und auch sonst teilten wir nicht viel, außer den Spaß daran, auf einem Pferd zu sitzen. Dennoch gehörte Hannah als eine ganz wichtige Person zu meinem engeren Kreis, mit der man eben auch mal über das Thema erstes Mal reden konnte.

Irgendwann galoppierte ich Alaska an und ritt sie eine Gymnastikreihe aus fünf kleinen Kreuzen. Mein Pferd löste sich schnell und kaute abschnaubend auf dem Gebiss herum. Ich ließ ihr trabend die Zügel aus der Hand kauen, bevor ich sie wieder aufnahm und sie angaloppierte.

„Sie läuft super“, rief mir Hannah zu und hielt einen Daumen hoch.

„Danke“, entgegnete ich und ritt eine Galoppvolte, bevor ich die Zügel kurz fasste und Alaska auf einen L-Steilsprung zuritt. Meine Stute zog von sich aus hin, machte es sich passend und sprang genau im richtigen Moment ab. Wir flogen über das Hindernis, dahinter ließ ich Alaska an den Zügel galoppieren und schließlich kontrolliert zum Schritt durchparieren. Ich lobte mein Pferd.

„Schluss für heute, Alaska“, ich klopfte ihren Hals, mein Pferd schnaubte. Ihr Fell wurde langsam dicker. Ich müsste sie dringend scheren, bevor es zu spät wurde.

„Dann bin jetzt ich dran“, Hannah trabte Happy freudestrahlend an und ritt sie an den Zügel. Sie hatte meiner Meinung nach Talent, auch wenn sie das gerne abwinkte und nicht wahrhaben wollte.

Hannah galoppierte Happy an und ritt Volten, Zirkel und fliegende Wechsel, die Happy perfekt beherrschte. Dann ritten auch sie die Kombination aus den fünf Kreuzen. Happy kam immer mehr an die Hilfen und Hannah sprang einige einfache Sprünge aus der untersten Klasse. Als sie einen niedrigen A-Sprung genommen hatten, ließ sie Happy austraben und kam neben mir zum Schritt.

„Fertig“, Hannah schnaufte noch etwas aus der Puste, dann ritten wir beide unsere Pferde ab. „Was hast du immer gesagt? Viel Schritt vor und nach dem Reiten“, Hannah zwinkerte mir zu.

„Ja, das sage ich auch immer noch“, ich zwinkerte zurück.

Fünfzehn Minuten später führten wir die Pferde in die Stallgasse zurück. Draußen war es inzwischen dunkel geworden.

„Wir müssen uns beeilen, sonst kommen die anderen zum Pizzaessen und wir sind noch nicht fertig“, meinte ich und zog Alaska ihre Trense ab. Ich band sie in der Mitte der Stallgasse fest und öffnete den Sattelgurt.

„Stimmt, das wäre peinlich. Und duschen sollten wir vielleicht auch noch“, Hannah tat es mir mit Happy gleich.

Ich brachte den Sattel in meinen Spind in der Sattelkammer, deckte ihn ab und wusch das Mundstück der Trense ordentlich unter warmem Wasser sauber. Dann kam auch sie in den Spind.

„Ich finde es wirklich schön hier“, meinte Hannah schließlich, als sie Happys ersten Huf hob, um ihn von Dreck und Steinen zu säubern. Auch ich suchte mir Alaskas Hufkratzer.

„Du solltest öfters kommen“, fand ich. Wir bürsteten die Sattellage unserer Pferde mit einer Bürste ab, damit das Fell durch den Schweiß nicht verklebte, dann bürstete ich noch mal durch alle Gamaschen, bevor ich sie in ihrem Kasten verstaute.

„Ja. Ich würde gerne öfter kommen. Aber Nürnberg ist ja auch kein Katzensprung von hier weg“, Hannah zuckte die Schultern und strich über Happys Nüstern.

„Leider.“ Ich sortierte Alaskas Mähne und den Schopf, dann deckten wir unsere Pferde in die Übergangsstalldecken ein und brachten sie in die Boxen.

„Hast du einen Apfel?“, fragte mich Hannah, als ich die Boxentür von Alaska zuzog. Die Gitterstäbe waren eisigkalt.

„Klar. In der Futterkiste. Bring mir einen mit“, ich hängte das Halfter ab, dann gaben wir unseren Pferden die Äpfel und verschwanden aus dem Stall ins Haus.

„Na, ihr“, begrüßte uns Mama, die gerade dabei war, die Sachen für die Pizza zu machen, während Papa den Teig mühsam auf der Arbeitsplatte ausrollte. „Ihr seid sicherlich durchgefroren, oder?“

„So ziemlich“, grinste Hannah schief.

„Dann geht schnell duschen“, Mamas Bauch war schon wieder dicker geworden und mit der Zeit wurde er wohl auch ziemlich nervig. Mama beschwerte sich immer, dass sie nicht mehr in ihre alten Klamotten passte und sich nun dick und hässlich fühlte und es kein Wunder sei, wenn Paps sie irgendwann nicht mehr attraktiv fände, was er immer wieder abstritt.

„Die anderen kommen in einer Stunde. Bis dahin müssten die Damen dann fertig gestylt sein“, Dad grinste uns neckend an. Hannah und ich sahen uns an.

„Oh, nein, das reicht nieeee“, jammerte sie los und grinste mich dabei an.

„Da sitzen meine Haare noch nicht. Das wird ein Drama“, fügte ich hinzu und dann brachen wir alle vier in Lachen aus. Ich fragte mich in diesem Moment, ob es mit einem kleinen Geschwisterchen genauso werden würde. Aber dann entschied ich mich, dass es niemals so sein würde. Es war ja deutlich jünger als ich und dazu wusste ich nicht mal, ob es eine Schwester oder ein Bruder werden würde. Nein, es würde niemals so sein wie dann, wenn Hannah zu Besuch war.

„Ich hab einen riesen Kohldampf“, meinte Hannah und ließ sich mir gegenüber auf einen Stuhl fallen. Die Dusche war für uns beide wirklich entspannend gewesen. Hannah hatte mir von ihrem Freund Hendrik erzählt und ich davon, wie David und ich zusammengekommen waren, wer Zoey war und was Kamilla damit zu tun hatte.

Ich hörte meinen Magen laut knurren. „Ich auch. Wo bleiben denn die anderen?“

In diesem Moment klingelte es an der Tür und Mama ließ alle herein. Aus der Küche duftete es nach Pizza. Eigentlich hatte Papa grillen wollen, aber wir hatten ihn überstimmt – draußen war uns einfach zu kalt.

„Habt ihr auch so einen Hunger wie ich?“, fragte David, der als Esrster ins Esszimmer kam und schnurstracks auf mich zuging.

„Allerdings!“ Ich grinste, als David sich zu mir rüber beugte und mich zärtlich küsste. Ich erwiderte ihn glücklich und stolz darauf, dass auch Hannah meinen Freund mochte.

Alle hatten sich gesetzt, als Mama und Papa mit zwei Blechen Pizza ins Zimmer kamen. Alle machten sich über das Essen her und redeten fröhlich durcheinander.

Als ich mich leise umblickte, stellte ich fest, dass sich Hannah super in die Gruppe integriert hatte. Sie unterhielt sich mit David und Elias. Kiara und Paul waren in ein Gespräch mit Lukas und Melina vertieft. Ich stand irgendwann auf, weil ich nach April sehen wollte, die ihr Futter schon nach dem Reiten bekommen hatte. Als ich zurückkam, war die Stimmung noch immer bombastisch. Mama hatte sich in ihren Sessel niedergelassen und Papa besorgte ihr was zu Essen. Die beiden wirkten glücklich und ich war es in diesem Moment auch. Das war der schönste Geburtstag meines Lebens gewesen.

David und ich waren mit April nach draußen gegangen, nachdem sich alle verabschiedet hatten. Hannah war noch heute Abend mit ihren Eltern zurückgefahren. Ihr Dad hatte voll rumgestresst, weil er ja schon den ganzen Tag in der Stadt hatte verbringen müssen, nur um darauf zu warten, dass meine Geburtstagsfeier wieder vorbei war. Ich hatte das sehr schade gefunden, denn die Zeit mit Hannah war immer etwas ganz Besonderes. Die anderen waren im Internat verschwunden und nun ließ ich April nach draußen, ihre Geschäfte erledigen.