Anja und das Reitinternat - Auf eigene Faust

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Anja und das Reitinternat - Auf eigene Faust
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Feli Fritsch

Anja und das Reitinternat

Auf eigene Faust

Für Tamara

Die Autorin

Die Autorin Feli Fritsch ist ein Sommerkind und wurde 1997 in Darmstadt geboren. Sie wuchs in der Nähe von Frankfurt/Main auf, bis sie 2016 nach dem Abitur nach Mainz zog, um dort Buch- und Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität zu studieren.

Schon als kleines Kind begann Feli, Ideen festzuhalten und kleine Geschichten zu schreiben, die mit den Jahren immer länger wurden. Es entstanden Stück für Stück die ersten Romane.

Thematisch befassen sich die meisten ihrer Bücher mit Pferden, denn die Liebe zum Reitsport entdeckte die Autorin noch vor der Grundschule. Aber auch das Segeln und eine eigene Segeljolle begleiten und inspirieren Feli seit 2013 zu neuen Büchern.

Seit 2016 veröffentlicht Feli Fritsch als Self-Publisherin bei epubli Jugendbücher. Ihr erstes Buch unter ihrem Pseudonym als Feli Fritsch ist der erste Band dieser Jugendbuchreihe, aber auch Anjas Tochter Charlotte lässt Feli ihre Abenteuer erzählen.

Weitere Infos unter www.feli-fritsch.de.tl

Prolog

Draußen war es herrlich zugeschneit und alles war weiß, während der 16-jährigen Anja Klein der kalte, winterliche Wind ins Gesicht wehte. Unter dem Reithelm trug sie flauschige Ohrenwärmer und ihre Hände steckten in warmen Handschuhen, während sie mit ihrem Fuchspony Boreo ohne Sattel einen entspannten Ausritt durch die zugeschneite Landschaft rund um das Reitinternat Schloss Rosenthal machte, das ihren Eltern Steffan und Friederike Klein gehörte und auf dem sie aufgewachsen war. Obwohl Anja ein Sommermensch war, mochte sie es, durch die zugeschneiten Felder und den winterlichen Wald mit den weiß bedeckten Ästen und Wegen zu reiten. Wäre ihr nicht so kalt, würde sie Stunden so unterwegs sein.

Diese gemeinsamen Stunden mit ihrem Pony Boreo hatte sie eh selten genug. Seit dem letzten Sommer ritt sie nicht mehr ihn im Reitunterricht, sondern ihren Trakehnerwallach Domino, den sie genauso sehr liebte wie ihren frechen Ponywallach. Nach den Deutschen Jugendmeisterschaften und dem anschließenden Willkommensturnier im Oktober hatte Anja Boreo dann endgültig aus dem Turniersport verabschiedet, sodass er seine freie Zeit als Rentner meistens auf der Weide verbrachte. Jetzt im Winter, wenn die Pferde nicht immer auf die eingefrorene Weide konnten, langweilte er sich aber in seiner Box zu Tode und Anja nutzte die freien Tage um Weihnachten, um auch Zeit mit ihrem Pony zu verbringen.

Heute war Neujahr und das Training mit Sky, dem talentierten Nachwuchshengst ihres Vaters, pausierte über die Feiertage. In wenigen Tagen würde es wieder Fahrt aufnehmen, denn die ersten Turniere der Saison waren schon geplant. In diesem Jahr sollte Sky zum ersten Mal auch international in der schweren Klasse unterwegs sein und um sich in diesem Feld durchsetzen zu können, würden sie viel trainieren müssen. Zusätzlich ritt sie die junge Zuchtstute Sierra auf Turnieren, die Anja viel zu schade fand, um sie nur in der Zucht einzusetzen, denn Sierra war ein Ausnahmespringpferd – ganz wie ihr Boreo.

Seit dem letzten Herbst aber regulierte ihr Vater das Training sehr stark und Anja ritt maximal noch zwei Pferde an einem Tag. Grund dafür war die entscheidende Situation im letzten Herbst gewesen, als Anja sich so stark unter Druck gesetzt hatte, dass ihre Menstruation ausgeblieben war und sie wochenlang mit der Gewissheit trainiert hatte, schwanger zu sein. Dass der Test ein falsches Ergebnis angezeigt hatte, war erst beim Besuch des Frauenarztes herausgekommen. Anja und Phil waren mit einem blauen Auge davongekommen – dennoch nahmen ihre Eltern dies zum Anlass, ihre Tochter mehr Teenager sein zu lassen als Bereiterin. Denn Anjas Freund Philipp, der ebenfalls Deutscher Meister geworden war, hatte einen Anspruch auf die letzten freien Minuten in ihrem Leben erhoben und das fand Anja auch richtig so.

„Na, Dicker. Gefällt es dir auch so wie mir?“ Anja beugte sich lächelnd vor und kraulte Boreos Hals unter dem dicken Fell. Im Winter sah der Welsh-Wallach immer wie explodiert aus, weil er so ein dichtes Winterfell bekam. Seit er nur noch wenig geritten wurde, scherte Anja ihn nicht mehr. Er war also eher ein flauschiger Teddybär als ein Sportpony. Mit seinen 20 Jahren hatte Boreo ihr dennoch den größten Wunsch überhaupt erfüllt: Gemeinsam waren sie Deutsche Jugendmeister der Pony-Springreiter geworden. Noch immer konnte Anja es kaum glauben, wenn sie den Pokal auf dem Regal in ihrem Zimmer sah. Die Abschwitzdecke, die sie gewonnen hatten, zog sie Boreo so oft wie möglich auf, damit auch ja jeder sah, was für ein wundervolles und tolles Pony sie hatte. Und dieses Pony hatte sich seine Rente wirklich verdient.

Phil erwartete Anja schon, als sie auf den Hof zurückkehrte. „Hattet ihr einen schönen Ausritt?“, wollte er grinsend wissen.

Anja nickte. „Ja, aber es war ganz schön kalt. Ich glaube, ich kann meine Füße nicht mehr bewegen“, grinste sie zurück und ließ sich wie ein Eiszapfen von Boreos niedrigem Rücken gleiten. Ihre Füße fingen an, beim Auftreten wehzutun, aber Anja packte die Zügel und führte Boreo in den Stall. Noch immer hatte er seine Paddockbox im Privatstall.

„Wie wäre es mit einer warmen Dusche? Dann kannst du dich wieder aufwärmen“, schlug Phil vor, aber Anja hatte den Unterton in seiner Stimme schon verstanden.

„Lass mich raten“, grinsend drehte sie sich zu ihrem Freund um. „Du willst dich auch gleich aufwärmen, weil du aus Solidarität zu mir mitfrierst?“

Phil musste lachen. „Das Angebot kann ich nicht ausschlagen“, neckte er sie zwinkernd und zog Anja in seine Arme.

„Ach, Phil“, Anja befreite sich aus seinem Griff. Ihr war es peinlich, dass er ihr jedes Wort im Mund umdrehte. Dennoch schenkte sie ihm einen Kuss auf die Wange, bevor sie sich Boreo widmete und ihn fertigmachte. In weniger als zwei Stunden würde es dunkel sein. Es wurde Zeit, dass sie nach oben ins Haus kamen.

„Und? Wie fühlst du dich? Hast du die Weihnachtsturniertage schon verdaut?“, fragte Phil zwinkernd, als er auf dem Rückweg seinen Arm um Anjas Schulter legte.

„Jaa“, grinste sie. Anja dachte mit einem Lächeln an die drei Turniertage in Darmstadt zurück. Mit Domino hatte sie den Gruppensieg für die Mannschaft entschieden und damit den Titel vom letzten Jahr erfolgreich verteidigen können. Außerdem waren sie in der Einzelwertung erneut Erster geworden und somit hatte es Domino geschafft, mit Anja an Boreos Sieg vom Vorjahr anknüpfen zu können. Der Landestrainer hatte Anja wieder Hoffnungen auf einen Startplatz bei den Junioren gemacht – diesmal mit Domino.

„Ich komm noch gar nicht drauf klar, dass du schon wieder bei den Meisterschaften an den Start gehen darfst“, sagte Phil, als habe er ihre Gedanken gelesen.

„Naja, sooo fest steht das ja noch gar nicht. Er hat mir nur die Möglichkeit gegeben, in dieser Saison zu zeigen, was in uns steckt, um an einen Startplatz zu gelangen. Aber wenn ich nicht an Turnieren teilnehme, dann wird er mich vielleicht gar nicht aufstellen“, erwiderte Anja.

Phil zuckte die Schultern. „Kann es sein, dass du gar nicht willst?“ Er schaute sie ungläubig an.

„Auf der einen Seite freue ich mich schon riesig über diese erneute Chance. Ich meine, noch mal bei den Meisterschaften dabei zu sein und eine Chance auf den Titel zu kriegen. Diesmal mit Domino …“, begann sie.

„Aber?“, erriet Phil.

„Anderseits frage ich mich, ob ich damit Boreo verrate. Er hat mir doch den Sieg geschenkt und jetzt einfach mit ’nem anderen Pferd, weil er zu alt ist und ich mit ihm eh nicht mehr an den Start gehen darf? Das ist doch auch unfair“, fand sie und mied es, Phil in die Augen zu sehen. Sie wusste eh, wie er dazu stand.

„Ach, Anja.“ Phil drückte ihr einen Kuss auf die Wange, bevor sich Anja löste, um nach dem Schlüssel in ihrer Jackentasche zu kramen. „Ich glaube, Boreo würde wollen, dass du mit Domino den Titel verteidigst und dir einen neuen holst. Er will doch nicht, dass du jetzt aufhörst, nur weil deine Ponyzeit vorbei ist und er sein Leben genießen darf.“

„Also du meinst, ich sollte es versuchen?“, wollte Anja weiterhin skeptisch wissen.

„Versuchen?“, fragte Phil ungläubig. „Kämpfen!“

***

Vor einigen Monaten hatten die Internatsmannschaftsreiter durchgesetzt, dass die Essensausgabe an Freitagen länger geöffnet hatte. Um 19 Uhr startete das Training und so kurz vorher sollte man sich nicht den Bauch vollschlagen. Also blieb die Ausgabe bis 22 Uhr offen, sodass die Schüler auch danach noch Essen konnten.

Auch an diesem Freitag in den Ferien fand ein lockeres Training für diejenigen statt, die in den Ferien auf dem Internat geblieben waren. Anja machte Domino fertig. Vorher hatte sie Sky trainiert, mit dem sie in einer Woche bei einem internationalen Neujahrsspringen an den Start gehen würde. Auch mit Domino hatte sie sich gemeldet, allerdings im M-Springen, das national geritten wurde.

„Du bist immer dabei“, sagte Henriette Richter mit einem freundlichen Lächeln, als Anja die Reithalle betrat und Domino eine Runde um den Parcours führte. Da Anjas Eltern immer auf dem Hof bleiben mussten, machten sie keinen Urlaub. Anja blieb also auch nichts anderes übrig, als ihre Ferien auf dem Internat zu verbringen. Sie hatte noch kein Training in den Ferien verpasst.

„Ja, so ist das“, erwiderte Anja und zwang sich zu einem Lächeln, bevor sie Dominos Sattelgurt nachzog und sich in den Sattel schwang.

 

„Dafür bist du immer auf dem aktuellsten Stand. Du hast das regelmäßigste Training von allen und das darf man nicht unterschätzen“, merkte Henriette an und verfrachtete den Äppel-Sammler samt Schubkarre hinter die Bande, um die Hindernisse für das Training herunterzubauen.

Die erste Qualifikationsrunde für den Reitschul-Cup fand in zwei Monaten Anfang März statt. Eine Woche wurde dafür eingeplant, weil meistens mehr als 50 Reitschulen gemeldet waren. In dieser Runde gingen bis zu zehn Reiter pro Team an den Start – Anja machte sich also keine Sorgen um einen Startplatz. Dennoch wusste sie, dass Henriette es zu schätzen wusste, dass sie sich so reinhängte.

„Hey, Anja“, wurde sie von Andrea begrüßt, die mit ihrem Pferd Poppy die Reithalle betrat und sich freudestrahlend umsah. In Andrea hatte Anja eine echte Freundin außerhalb ihrer kleinen Clique gefunden. Andrea war zwei Jahrgänge über ihr und ritt schon länger in der Mannschaft. Dennoch begegneten sie sich auf Augenhöhe und Anja mochte Andrea sehr.

Nach dem Aufwärmen, zu dem auch die restliche anwesende Mannschaft erschienen war, legte Henriette Trabstangen auf die Erde und baute Gymnastikreihen auf, mit denen jeder sein Pferd selbstständig lösen durfte. Domino war super drauf und galoppierte entspannt unter Anja her. Die Verbindung zum Maul war federleicht und es reichten die kleinsten Hilfen, um den Wallach zu kontrollieren. Vor etwa einem Jahr war er zu ihr aufs Internat gekommen, als Anjas Eltern ihn für ihre Tochter gekauft hatten. In diesem einen Jahr war eine Menge passiert und sie waren zu einem Team geworden.

„Was macht Marie eigentlich, wenn sie jetzt nach dem Abitur das Internat verlässt? Dann ist sie aus der Mannschaft?“, wurde Anja von Andrea in ein Gespräch verwickelt, als sie beide eine Schrittpause einlegten.

„Ja, sie wird die Mannschaft damit automatisch verlassen. Aber so ist das: Schüler kommen und gehen. Der Nachwuchs wartet schon auf eine Chance. Das ist doch bei uns hier nicht anders“, erwiderte Anja mit einem Zwinkern.

„Stimmt auch wieder. Ohne das hätten wir vielleicht auch nie eine Chance bekommen“, dachte Andrea laut nach.

Anja wollte gerade zu einer Erwiderung ansetzen, als Henriette sie aufforderte, zu reiten und nicht zu quatschen. Also trabten sie die Pferde wieder an und Anja wagte sich an die ersten Sprünge zwischen A und L. Domino war heute ein echtes Traumpferd, ganz als wollte er ihr beweisen, dass er sowas von bereit für die DJM war. Anja beschloss, ihrem Trakehnerwallach eine Chance zu geben.

Nach dem Training machte sie ihn in der Stallgasse fertig, als ihr bester Freund Oliver mit seiner Schoki in den Stall kam. „Hey, Anja. Wie lief’s Training?“, wollte er grinsend wissen.

„Gut“, erwiderte Anja mit einem Lächeln. Oliver war schon seit Jahren ihr bester Freund und vor einigen Monaten hatte sich die angespannte Stimmung zwischen ihnen in Luft aufgelöst. Zunächst hatte Phil ihnen vorgeworfen, eine Affäre zu haben, was auch die Freundschaft der beiden beeinträchtigt hatte. Und als Anja schließlich angenommen hatte, schwanger zu sein, war ihr Oliver mit seinem Kindergarten regelmäßig auf die Nerven gegangen. Mittlerweile war aber alles wieder in geregelten Bahnen. Vor allem, seit er mit Celina zusammen war und die beiden auch endlich in ihrer Beziehung angekommen waren. Am Anfang hatte sich Celina noch sehr zurückgehalten und selten offen gezeigt, dass Olli ihr Freund war. Mittlerweile fand man die beiden auch häufiger mal knutschend im Schulgang.

„Domino war ein echter Traum heute“, schwärmte Anja und schob die Gedanken an die Vergangenheit beiseite.

„Das muss ansteckend sein. Schoki hat heute auch richtig abgeräumt. Seit den Turniertagen schon ist sie nur gut drauf“, grinste Olli und deckte seine Stute in eine dicke Winterdecke ein. Auch Anja machte Domino fertig und ließ ihn dann in Ruhe fressen.

„Wir sollten uns über unsere tollen Pferde freuen“, beschloss Anja und Olli nickte.

„Kommst du mit in die Mensa? Ich habe einen Bärenhunger“, fragte er breit grinsend und Anja nickte schließlich lachend.

***

Müde und erschöpft kam Anja vom Training zurück. Sie hatte sich in der Mensa ihr Abendessen geholt und sich von Oliver im Internatsgebäude schon verabschiedet. Er hatte sich dann auf den Weg in sein Zimmer gemacht, das er sich mit Phil teilte – jedenfalls bis zu den Sommerferien. Ab der Oberstufe hatte jeder Schüler die Möglichkeit, ein Einzelzimmer zu nehmen. „In dem Alter hat jeder verdient, seine Privatsphäre zu haben“, hatten Steffan und Friederike gesagt und die neue Regelung eingeführt. Sowohl Amelie und Sebastian als auch Oliver und Celina hatten diesen Vorschlag dankend angenommen – so klar.

„Da bist du ja, mein Schatz“, wurde Anja von ihrer Mama begrüßt, noch bevor sie Schuhe und Jacke ausgezogen hatte.

„Hi, Mama. Ich war noch mit Olli in der Mensa zu Abend essen. Das Training war echt klasse – Domi ist so super gesprungen“, grinste sie und befreite sich von den fünf Schichten Klamotten.

Anjas Papa wartete schon im Wohnzimmer auf seine Tochter. Anja setzte sich mit einer Decke dazu, denn sie wollte sich erst aufwärmen, bevor sie unter die Dusche stieg. Da sie morgen nicht früh aufstehen musste, konnte sie ruhig etwas länger wach bleiben.

„Wir haben Neuigkeiten.“ Steffan Klein schaute von der Fachzeitschrift in seinem Schoß auf.

Anja wurde hellhörig. „Was denn?“

„Du und deine Freunde bekommen Verstärkung. Zum neuen Halbjahr wird ein neuer Schüler in eure Klasse kommen“, sagte er und Anja nickte. Das war nichts Ungewöhnliches. Es kam durchaus regelmäßig vor, dass neue Schüler auch erst nach einigen Jahren auf das Internat kamen. Diese besaßen aber meistens ein Pferd und hatten schon Reiterfahrung.

„Aber du wirst niemals erraten, wer euer neuer Mitschüler wird“, grinste Anjas Mama und ließ sich mit einer Tasse Tee in den Sessel sinken.

„Was? Wir kennen den?“ Anja zog ihr Bein zu sich heran und richtete sich dadurch auf. Das waren ja mal Neuigkeiten!

„Ja, aber du wirst es nicht erraten“, lachte Steffan.

„Dann sag doch“, quengelte Anja ungeduldig.

„Es wird Lewis Lehmann sein. Er zieht mit seiner Flicka zum neuen Halbjahr bei uns ein und wird sein Abitur hier machen“, ließ Steffan dann die Bombe platzen.

„Was? Lewis? Wie cool ist das denn?!“ Anja lehnte sich grinsend zurück. Sie und Phil hatten Lewis im letzten Sommer auf den DJM kennengelernt und seitdem nichts mehr von ihm gehört. Damals hatte er sich mit seinem Pony Flixi den Sieg in der Ponydressur geangelt und seine Liste mit Erfolgen damit nur verlängert. Lewis, Sohn vom Unternehmer Horst Lehmann, war kein unbeschriebenes Blatt in der Reitbranche. Umso cooler, dass er zu ihnen kam.

„Hat sein Vater also Geld locker gemacht und sich deshalb damals so erkundigt?“, fragte Anja neugierig nach.

Friederike rang mit sich, bevor sie antwortete. „Er hat tatsächlich mit dem Gedanken gespielt. Nun hat Lewis aber, unter anderem wegen seines Meistertitels, ein Stipendium bekommen und das ermöglicht ihm ohne Weiteres eine Ausbildung bei uns. Er freut sich übrigens schon darauf, dich und Phil wiederzusehen und eure Freunde kennenzulernen.“

„Ich freue mich auch. Das muss ich sofort Phil erzählen.“ Anja sprang schon auf, aber Steffan hielt sie zurück.

„Anja, bitte posaun‘ das nicht gleich in die ganze Welt hinaus, ja? Lewis würde gerne ruhig hier anfangen. Sein Vater will nicht, dass gleich jeder von ihm weiß.“

„Ja, ist gut. Ich sag’s nur Phil. Versprochen!“ Anja drehte sich um und verließ das Wohnzimmer. Das waren ja mal mega Neuigkeiten. Sie konnte ihre Aufregung gar nicht in Worte fassen!

Sie konnte ja nicht ahnen, dass mit Lewis‘ Einzug auf das Reitinternat ihr nächstes verwirrendes Abenteuer begann, das sich erst im Mai aufklären würde …

Lauffeuer

Als ich am Sonntag übers Internatsgelände lief, um in den Stall zu gelangen, kamen mir mindestens zehn Mitschüler entgegen, die mich fragten, ob ich es schon wüsste: Lewis Lehmann, das supersüße Nachwuchstalent, würde zu uns aufs Internat kommen. Ich stöhnte jedes Mal innerlich auf, denn ich hatte es am Freitagabend nur Phil erzählt. Er musste es ausgeplaudert haben, denn ich hatte mit niemandem drüber gesprochen – nicht mal mit Amelie und Marie und die waren meine besten Freunde. Und von Cedric konnte das auch nicht ausgehen, denn der Tratschtante hatten es Mama und Papa auch nicht gesagt.

Als ich Phil im Stall antraf, stellte ich ihn deshalb zur Rede: „Kann es sein, dass du ausgeplaudert hast, dass Lewis aufs Internat kommt?“, fragte ich ihn mit hochgezogenen Augenbrauen, nachdem er mich zur Begrüßung geküsst hatte.

Phil war erstaunt. „Nein, habe ich nicht. Wir haben doch gesagt, wir sagen es erst dann, wenn deine Eltern es uns freigeben, damit Lewis einen einfachen Start hier hat“, entgegnete mein Freund.

Wir schauten uns an und grübelten, dann sagten wir beide gleichzeitig: „Olli!“

Ich hatte Phil am Freitagabend sofort in seinem Zimmer besucht, nachdem ich duschen gewesen war. Olli war nicht da gewesen, obwohl wir vor nicht allzu langer Zeit noch essen gewesen waren. Sicher hatte er Celina besucht, denn von Amelie wusste ich, dass sie freitags meistens bei Sebastian war. Deshalb hatte ich mich nicht gewundert, als ich Phil in seinem Zimmer alleine angetroffen hatte. Während ich Phil also von den brandheißen Neuigkeiten berichtete hatte, war Olli wieder zurückgekommen. Wir hatten ihn daraufhin aus dem Zimmer werfen wollen, aber er hatte sich geweigert – es sei schließlich auch sein Zimmer. Also waren Phil und ich in den Stall abgezogen. Olli war uns sicherlich, neugierig wie er war, gefolgt und hatte uns belauscht. Und wir hatten es nicht bemerkt, weil es draußen stockdunkel gewesen war. Also war es auch kein Wunder, dass nun das halbe Internat davon wusste!

„Olli ist so tot, wenn ich ihn in die Finger kriege“, sagte ich und lehnte mich verärgert stöhnend an die Boxentür.

„Das kann ja nicht wahr sein, dass der immer so viel rumtratschen muss“, fand Phil und streichelte Sky über die Nüstern, der neugierig seinen Kopf aus der Box gesteckt hatte. Gleich würde es zum Training gehen.

In dem Moment betrat Cedric den Stall und blieb aufgeregt vor mir stehen. „Wieso wusste ich nicht, dass Lewis zu uns kommen wird und erfahre es stattdessen von ’nem Mitschüler?“, wollte er wissen.

„Weil Mama und Papa genau das vermeiden wollten: dass es jeder weiß. Und so wie man dich kennt, hättest du es sofort deinen Kumpels erzählt!“ Ich sah ihn herausfordernd an.

Cedric grinste gehässig. „Aber jetzt ist es besser? Jetzt hast du es rumerzählt!“

„Stimmt gar nicht“, regte ich mich auf. „Ich habe es nur Phil gesagt und Olli muss uns belauscht haben“, versuchte ich, mich zu rechtfertigen.

Cedric legte den Kopf schief. „Aber du hast es Phil erzählt. Ich dachte, es sollte niemand wissen?“

Ich stöhnte genervt. „Mama und Papa haben gesagt, dass es nur Phil und ich wissen dürfen … wir kennen Lewis nämlich schon von den Meisterschaften, klar?“

Cedric stöhnte. „Jetzt ist das Kind in den Brunnen gefallen. Was sagen wir Mama und Papa?“

„Die Wahrheit“, schlug Phil vor und ich nickte zustimmend. Auch Cedric war – wenn auch erst widerwillig – einverstanden und dann suchten wir Olli, um ihn zu fragen, ob er der Ursprung der Gerüchte war. Natürlich versuchte er zunächst, die erdrückende Tatsache abzustreiten.

„Na guut“, gab er schließlich nach. „Ich fand’s total doof von euch, dass ihr so eine Geheimniskrämerei macht. Und dann wollte ich es halt wissen und habe euch belauscht. Und da es nichts mit eurem Liebesleben zu tun hatte, dachte ich, dass ich es Celina ruhig sagen kann. Die war gerade bei Amelie und die hat es dann sicher Sebastian erzählt.“

„Wenn du gelauscht hast, dann hast du doch sicher auch mitgekriegt, dass ich Phil gesagt habe, dass das niemand wissen soll. Wieso hast du nicht die Klappe gehalten?“, wollte ich stinksauer wissen. Ich war nämlich am Ende diejenige, die von Mama und Papa den Anschiss bekam – schließlich hatte ich offiziell als Einzige davon gewusst.

„Moooment, das habe ich nicht gehört. Dann hätte ich es nicht weitergesagt, wirklich!“ Olli war ehrlich erstaunt, ich nahm ihm das ab.

„Jetzt wissen es aber alle“, seufzte ich. Wie sollte ich das bloß Mama und Papa erklären?

 

***

Natürlich dauerte es nicht lange, bis die Information auch bei meinen Eltern gelandet war. Diese waren enttäuscht, aber nicht sauer. Sie hatten in der Zwischenzeit herausgefunden, dass auch einige Lehrer die Neuigkeit weitergequatscht hatten. Ollis Abhöraktion war also nicht einziger Grund für die schnelle Verbreitung des Lauffeuers gewesen.

Am Abend telefonierte ich mit Lewis, um ihm die Botschaft zu übermitteln, dass mit Heimlichtuerei nichts mehr war. Er fasste diese Tatsache ziemlich gut auf:

„Aach, das ist nicht so schlimm“, lachte er. „Ich war ehrlich gesagt sowieso gegen diese Geheimniskrämerei. Mein Vater wollte das so und ich hab es nur ihm zuliebe gemacht. Mir ist wichtig, dass die Leute unbefangen auf mich zugehen und das tun sie vielleicht eher, wenn sie mehrere Wochen vorher Zeit hatten, um sich abzuregen.“ Lewis kicherte leise.

„Puhh, das erleichtert mich gerade. Ich fühl mich irgendwie auch ein Stückchen schuldig“, erwiderte ich.

„Ach, quatsch. Du kannst ja nicht damit rechnen, dass dich jemand belauscht. Du hast nichts falsch gemacht“, winkte Lewis ab.

„Na gut“, gab ich schließlich nach. Eine unangenehme Stille stellte sich ein.

Bis Lewis sie unterbrach. „Wie geht es dir? Was macht Boreo? Wir haben uns ja ziemlich lang nicht gesprochen“, bemerkte er.

„Ja, das stimmt“, erwiderte ich. „Uns geht es gut. Boreo steht viel auf der Weide oder wir reiten durchs Gelände. Er genießt seine Rente sichtlich, auch wenn er auf dem Reitplatz immer noch mit viel Laune dabei ist. Leider habe ich einfach nicht mehr so viel Zeit, um mit ihm noch so viel zu unternehmen.“

„Oh, was ist los?“, fragte Lewis nach, der die ganze Zeit neugierig zugehört hatte.

„Ich reite zwei Pferde meines Vaters und trainiere ja noch mit meinem eigenen Pferd Domino, mit dem ich Chancen auf einen Startplatz bei den kommenden Meisterschaften habe. Der Landestrainer hat mich angequatscht“, berichtete ich ihm.

„Wow, das ist ja cool!“, freute sich Lewis. „Ich kenne deine Situation. Seit letztem Sommer ist bei Flixi und mir auch Schluss. Ich reite jetzt Flicka und deshalb haben meine Eltern Flixi auch vor Weihnachten verkauft. Er läuft jetzt in Norddeutschland.“

„Du kannst das? Ich hätte Boreo niemals abgeben können!“, sagte ich sofort. Mein Pony war mein Ein und Alles. Er und ich – wir gehörten einfach zusammen.

„Nein, ich konnte das nicht. Ich war auch nicht dabei, als Flixi abgeholt wurde. Ich hätte Rotz und Wasser geheult. Aber ich verstehe auch meine Eltern: Das Pferd kostet Geld und ich habe nicht mehr die Zeit für ihn. Und er ist noch jung und kann einen anderen Reiter überglücklich machen.“

„Das ist natürlich auch verständlich“, gab ich nachdenklich zu. Ich konnte froh sein, dass meine Eltern mein Pony weiterhin durchfütterten, obwohl er nicht mehr geritten wurde. Sie hätten ihn auch genauso gut in der fünften Klasse einsetzen können. Das wäre der absolute Horror gewesen!

„Ich freue mich schon voll, wenn ich zu euch ziehe. Ich bin sehr gespannt, wie es bei euch so ist“, wechselte Lewis das Thema und riss mich aus den Gedanken.

„Es wird dir bei uns gefallen. Wir haben ein total schönes Gelände zum Ausreiten und die meisten Lehrer sind auch ganz cool.“ Ich begann, Klamotten zu sortieren. Am nächsten Wochenende würde das Neujahrsspringen mit Domino und Sky stattfinden und ich wollte nicht mal wieder alles auf den letzten Drücker zusammensuchen, sondern eine Liste schreiben. Dafür musste ich wissen, welche Sachen noch tragbar waren und welche gewaschen werden müssten.

„Ich bin gespannt. Zum Glück ist es nicht mehr lang. Bei uns zuhause ist schon total die Aufbruchsstimmung und Flicka merkt auch schon, dass etwas anders ist als sonst“, berichtete Lewis.

Wir quatschten noch kurz, dann legten wir auf. Lewis musste früh ins Bett, weil morgen ein wichtiger Trainingslehrgang begann. Und ich hatte auch volle Pläne für die kommende Woche.