Charlotte und das Reitinternat - Auf Teufel komm raus

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Charlotte und das Reitinternat - Auf Teufel komm raus
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Feli Fritsch

Charlotte und das Reitinternat

Auf Teufel komm raus

Für all die vielen Menschen, die mein Neuseeland-Abenteuer unvergesslich gemacht haben!

Die Autorin Feli Fritsch ist ein Sommerkind und wurde 1997 im hessischen Darmstadt geboren. Sie wuchs in der Nähe von Frankfurt/Main auf, bis sie 2016 nach dem Abitur nach Mainz zog, um dort Buch- und Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität zu studieren. Seit 2020 studiert sie einen Master an der HTWK Leipzig.

Schon als Kind begann Feli, Ideen festzuhalten und kleine Geschichten zu schreiben, die mit den Jahren immer länger wurden. Es entstanden Stück für Stück erste Romane.

Thematisch befassen sich die meisten ihrer Bücher mit Pferden, denn die Liebe zum Reitsport entdeckte die Autorin noch vor der Grundschule. Aber auch da Segeln und eine eigene Segeljolle begleiten und inspirieren Feli seit 2013 zu neuen Büchern.

Seit 2016 veröffentlicht Feli Fritsch als Self-Publisherin bei epubli Jugendbücher. Ihr erstes Buch als Feli Fritsch ist der erste Band der Reihe Anja und das Reitinternat, in der sie Charlottes Mutter Anja ihre Abenteuer erzählen lässt.

Weitere Infos unter www.feli-fritsch.de.tl

Prolog

Die Geländestrecke war frei. Die Wiese war an diesem Dezembernachmittag fest. Zwanzig Reiter hatten die Strecke bereits hinter sich gelassen. Einige Löcher hatten sich in die vom Nachtfrost harte Erde geschlagen, die noch schnell provisorisch mit Sand gestopft wurden, damit das Turnier nicht in der Halle wiederholt werden musste.

Pharo und Charlotte standen in den Startlöchern und die Siebzehnjährige trieb den Schimmelhengst entschlossen an, als die grüne Lampe das Zeichen zum Start gab. Pharo zog an und beschleunigte innerhalb von Sekunden. Der kalte Wind schlug ihnen entgegen, als sie das erste Hindernis dieser M-Geländestrecke überwanden und dahinter weiter Gas gaben. Drum herum war es still. Aus dem kahlen Wald kam kein Geräusch. Die wenigen Zuschauer, die bei der Eiseskälte am Wegrand standen und zuschauten, schienen wie gebannt den Atem anzuhalten.

Charlotte konzentrierte sich voll auf den Parcours und ihr Pferd, als sie den Wall hochritten, den weißen Holzzaun nahmen und dahinter den Wall heruntersprangen, bevor sie durch einen Tunnel galoppierten und es dahinter über einen Dachsprung ging.

Charlotte Brückner warf einen Blick auf ihre Uhr. Sie waren an Sprung zehn und hatten die Idealzeit an diesem Punkt schon geknackt. Wenn sie weiter so unterwegs sein würden, hätten sie keine Fehler in der Zeitwertung.

In diesem Moment tauchte der Dachsprung vor ihnen auf und direkt dahinter eine Reihe an Kombinationen, die es in sich hatten. Lange hatten sie sowas Zuhause auf dem Reitinternat geübt. Mit rasendem Puls und ausgeschaltetem Gehör fasste Charlotte die Zügel ein bisschen kürzer und richtete Pharo gerade auf das erste Hindernis zu. Der Hengst spürte die Anspannung, schaltete seinen Kopf an und überwand die Hindernisse weitestgehend selbstständig. Charlotte war erleichtert, als sie die Kombinationen hinter sich ließen und nun auf einer langen Strecke flott galoppieren konnten. Der Hengst zog an, als Charlotte ihm treibende Hilfen und in den Zügeln nachgab. Innerlich war sie froh, oft genug heimlich mit ihm durch den Wald gerast zu sein, auch wenn ihr Vater das sicherlich nicht lustig gefunden hätte.

Als das nächste Hindernis in Sichtweite kam, suchte Charlotte aber doch den Kontakt zum Pferdemaul und ließ Pharo den Rest alleine machen. Er machte sich den Abstand passend und sprang in einem riesigen Satz über den Graben, der von malerischen Holzzäunen umbaut war. Ein Grinsen breitete sich auf Charlottes Gesicht aus, als sie die Zügel fallen ließ und sich auf die Zielgerade begab. Vor dem letzten Hindernis, einem Strohtunnel mit der Aufschrift Kölner Weihnachtsturniertage 2015, nahm Charlotte die Zügel kaum noch auf, sondern zählte laut die Sprünge bis zum Absprung. Es passte und Pharo flog lang gestreckt darüber hinweg.

Jubel brach aus, als sie in einer atemberaubenden Zeit die Lichtschranke durchquert und damit eine neue Bestzeit aufgestellt hatten. Charlotte Brückner und Pharo legten sich für das Geländeteam ihres Internats auf Platz Eins!

„Charly“, schrien ihre Freunde und rannten auf das immer noch atemlose Paar zu. „Das war unglaublich.“

Bonnie, Zoey, Jana, Melina, Kiara, Annika und Emilia umrundeten sie und lobten Pharo. Auch die Jungs aus der Clique suchten sich einen Gang, um Charlotte zu gratulieren. David, ihr Freund, küsste sie liebevoll auf den Mund, als sie sich zu ihm herunterbeugte.

Schließlich fand auch Anja Brückner eine Chance, an ihre Tochter und gleichzeitigen Schützling ranzukommen. „Du bist ganz toll geritten, meine Große!“, sagte sie unter Tränen und drückte ihre Tochter fest an sich. „Das war eine ganz fabelhafte Runde.“

Pharo schien den Tumult um sich herum zu genießen. Neugierig schaute er sich um, ließ sich streicheln und loben. Als Charlotte ihn anritt, streckte er den Hals und schnaubte mehrfach hintereinander ab. Sie mussten in die Abreitehalle, damit er sich nicht erkältete. Nicht jetzt, wenn er doch morgen schon in die Quarantäne für Neuseeland gehen würde.

Beim Osterturnier hatten Pharo und Charlotte nämlich einen Vielseitigkeitslehrgang in Neuseeland gewonnen – genauso wie Bonnie. Und das für zwei Personen. Jana und David waren die Auserwählten, die das Glück hatten, mit ihren Pferden mitfliegen zu dürfen. Und da die Vorschriften für Neuseeland sehr hart waren, mussten Alaska, Daydream, Pharo, Lupita und Aragon schon morgen – zwei Wochen vor dem eigentlichen Abflug – auf die Quarantänestation. In Neuseeland selbst dann noch mal drei Tage. Und dann konnte der Lehrgang losgehen. Ihre Pferde würden, gemeinsam mit einer Menge anderer Lehrgangsteilnehmer aus Deutschland von Frankfurt aus in einer Cargo-Maschine nach Auckland fliegen. Charlotte war aufgeregt und freute sich sehr auf ihren Aufenthalt in der Südsee. Noch nie war sie über die europäischen Landesgrenzen hinausgekommen. Dass es dann gleich Neuseeland war – unfassbar. Fünf Wochen mit ihren engsten Freunden und den Pferden. Weit weg von zuhause, eine Auszeit von allem. Sie war sehr unendlich dankbar, dass sie diese Möglichkeit hatte. Denn billig war das nicht, und wenn das nicht der Sponsor der Gewinnerpreise zahlen würde, hätte sie davon nicht mal träumen dürfen.

„Unglaublich, Lotte, unglaublich“, sagte David immer wieder, wenn seine Freundin im Schritt an ihm vorbeiritt, und riss sie damit aus ihren vorfreudvollen Gedanken.

„Er war auch echt unglaublich. Als ich Schiss bekommen habe, hat er einfach alles selbst gemacht und mich mitgenommen. Wirklich traumhaft“, grinste Charlotte und klopfte Pharos Hals.

Erleichterung machte sich in ihr breit, als der letzte Reiter durchs Ziel geritten war und niemand ihre Zeit geknackt hatte. Charlotte und Pharo gewannen in der Einzelwertung und holten damit gleich noch den Sieg für ihr Team.

Laute Jubelschreie umkreisten den Hof, als sich alle freudestrahlend um die Hälse fielen. Charlotte drückte Pharo einen fetten Kuss zwischen die Nüstern. Der Hengst verzog nur die Schnute und knabberte dann an ihrem Reithelm.

Es war nicht vorstellbar gewesen, aber dank Jana hatte auch das Dressurteam in diesem Jahr einen Sieg geholt. Die Springreiter hingegen hatten den zweiten Platz erreicht. Es war ein ziemlich erfolgreiches Wochenende für das Reitinternat Schloss Rosenthal geworden und alle feierten am Abend auf der Aftershowparty mit allen anderen Teilnehmern. Mit Cola wurde angestoßen und dann zusammengerückt, als es nach Sonnenuntergang doch ziemlich kalt wurde.

Fünf Wochen mit dir

Der Weihnachtsbaum leuchtete bunt in allen Farben. Die grünen Zweige wurden von den roten und weißen Kugeln und vom Licht der Kerzen in die unterschiedlichsten Farbtöne getaucht.

Draußen war es dunkel, als alle in unserem gemütlichen Wohnzimmer eintrafen und sich der Raum rasch füllte. Ich saß mit April am Tisch, meine Hündin war inzwischen ganz schön in die Höhe geschossen und flitzte schwanzwedelnd durch die Menschenmassen.

Heute Morgen hatte ich Alaska und Pharo vor ihrem Abflug in der Quarantänestation besucht und ihnen ihre Weihnachtsmöhre gebracht, die ich bereits vor zwei Wochen hatte einliefern müssen – ich fand das total übertrieben und sonderlich lecker hatte die Karotte auch nicht mehr ausgesehen. Gemeinsam mit fünf weiteren Pferden waren unsere fünf heute ganz früh morgens in Frankfurt losgeflogen. Es fühlte sich seltsam an, meine Pferde an Weihnachten nicht bei mir zu wissen. Ich hatte meine liebe Mühe, unseren letzten Abend bei unseren Familien und Freunden zu genießen.

„Charlotte“, Oma nahm mich fest in den Arm, als sie mit zwei Schüsseln in den Händen das Esszimmer betrat und mich aus meinen Gedanken riss.

„Oma, vielleicht sollten wir die Schüsseln abstellen“, sagte ich grinsend und nahm ihr eine davon ab. Wir brachten sie zu Mama in die Küche, die nach dem Dilemma im letzten Jahr beschlossen hatte, selbst zu kochen, und nicht mehr auf eine Cateringfirma zu setzen, die uns alle vergiften würde.

Mama hatte kurz vor Weihnachten im letzten Jahr Essen bei einer Cateringfirma bestellt, weil sich einfach zu viele Gäste angemeldet hatten. Ein paar Tage später, über die Weihnachtstage, lagen wir mit einer Salmonellenvergiftung im Bett. Ich hatte sogar mehr als vier Wochen krank gelegen. Danach war für uns ein neuer Fall gestartet, denn wir hatten rausgefunden, dass der Betreiber des Caterings mehr oder weniger pleite war und Kinder zum Containern losgeschickt hatte, um die Lebensmittel überhaupt noch herbeischaffen zu können, die gebraucht wurde. Dass die natürlich nicht mehr gut waren, schien ihm egal gewesen zu sein. Wir waren nicht die einzigen gewesen, die Folgen erlitten hatten, sodass die Strafanzeige recht schnell vor Gericht gelandet hatte.

 

„Freust du dich schon auf deinen Abflug?“, fragte Oma und ich stellte fest, dass ich eindeutig zu viel meinen eigenen Gedanken nachhing. Omas Lächeln war genauso strahlend wie der Weihnachtsbaum, bemerkte ich mit einem Lächeln.

Schnell zwang ich mir zur Konzentration. „Und wie. Ein bisschen nervös bin ich schon, aber ich hab ja meine Freunde dabei. Und ich freue mich wirklich total auf den Lehrgang“, gab ich zu und nahm dann Papa meinen Bruder Max ab, damit er Mama in der Küche helfen konnte.

„Weiß man denn inzwischen, wer euch trainieren wird?“, fragte Davids Mom Annette und nahm meiner Mutter einen Topf voll Suppe ab, als sie aus der Küche ins Wohnzimmer kam. Annette stellte ihn auf einen Aufsetzer auf den Küchentisch.

„Jap. Die Nationalreiter, die 2012 in London für Neuseeland an den Start gingen“, sagte ich. „Wir treffen uns auf einer Reitanlage in Auckland, wo wir dann die fünf Wochen über trainieren werden. Die Anlage beinhaltet genug Schlafzimmer, sodass wir direkt über den Pferden schlafen können“, erklärte ich und schaukelte Max auf dem Arm.

Mein kleiner Bruder quiekte. „Marly“, sagte er dann wieder.

„Komm, kleiner Mann, wir bringen dich mal rüber in deinen Laufstall“, lachte ich und ging mit ihm los ins Wohnzimmer. Dort setzte ich ihn in seinen Laufstall, wo er begann, mit ein paar Stofftieren zu spielen. Normalerweise war Max um diese Uhrzeit längst müde, aber heute war Weihnachten und im Hause Brückner echt viel los. Es war klar, dass er da nicht müde wurde.

Es waren alle eingetroffen, als Mama, Annette und meine Omas das Essen ins Esszimmer brachten. Wolfgang, Davids Dad, und mein Vater hatten gemeinsam mit Opa den Tisch ausgezogen, damit alle Platz fanden. Zwanzig Leute quetschten sich an den Tisch und beluden sich die Teller. Die Stimmung war locker und ausgelassen.

„Ein wenig beneide ich euch ja schon“, gab Annika zu, als sie Samuel ihren Teller reichte, um ihn sich füllen zu lassen.

„Ich wäre glaub ich auch neidisch geworden an eurer Stelle“, gab ich zu und zuckte grinsend die Schultern. „Aber Tauschen will ich trotzdem nicht.“

Die anderen lachten. Die Gespräche der Erwachsenen koppelten sich irgendwann von unseren ab und ich vergaß meine Sehnsucht nach meinen Pferden, die gerade mehrere tausend Meter über der Erde in einem engen Flugzeug ausharren mussten.

Nach dem Essen steckte mir Oma ein Päckchen zu und ich sah sie fragend an. „Für dich. Na los, mach auf“, grinste sie.

„O-okay“, sagte ich und machte sorgfältig den Tesafilm ab. Eine Sim-Karte kam zum Vorschein. „Oma, was ist das?“, wollte ich etwas dämlich wissen. Ich hatte von Handys schließlich deutlich mehr Ahnung als meine Oma.

Oma lachte. „Es war – zugegeben – ein wenig schwierig, die zu kriegen, aber ich hab dir eine Handykarte aus Neuseeland besorgt, damit du dort zum Ortstarif telefonieren und schreiben kannst“, grinste sie und ich brauchte einen Moment, bis ich das Gesagte komplett verstanden hatte.

„Danke, Oma, du bist die Beste!“ Ich fiel ihr um den Hals und sie drückte mich erfreut an sich.

„Kein Problem, meine Große. Du sollst uns ja auch mal erreichen können, wenn du schon um die ganze Welt fliegst“, lachte sie. Ich nickte freudestrahlend.

„Lotte.“ David tauchte neben mir auf und nahm liebevoll lächelnd meine Hand. „Kommst ihr? Es gibt Nachtisch.“ Er zwinkerte Oma und mir zu. Als er sich umdrehte, grinste mir Oma zu und gemeinsam folgten wir meinem Freund.

Gerade, als wir die Küche verließen, klingelte es an der Haustür und ich lief freudestrahlend darauf zu. Schon den ganzen Tag hatte ich auf Hannah gewartet, die nun vor der Tür stand und mir lachend in die Arme fiel.

„Charly, bin ich froh, wieder hier zu sein“, sagte sie, ihre Wangen waren von der Kälte draußen ganz rot.

„Ich freue mich auch, dich endlich wiederzusehen“, erwiderte ich und nahm meine Cousine die Jacke ab. Ich hängte sie auf die überfüllte Garderobe, während auch Oma ihre Enkelin begrüßte, und führte Hannah anschließend hinüber ins Esszimmer, wo sie von allen lautstark empfangen wurde. April jaulte und tanzte um sie herum.

David tauchte neben mir auf und schnappte sich meine Hand. „Ich freue mich auf fünf Wochen nur mit dir“, flüsterte er in mein Ohr, dann gab er mir einen Kuss auf die Wange.

„Ich freue mich auch.“ Ich blickte ihm tief in die hellbraunen Augen. Sie leuchteten bei meinen Worten.

„Gescheeeenke“, freute sich Melina, als Mama nach dem Essen Richtung Weihnachtsbaum nickte. Die ausgelassene Stimmung war nun auch bei mir angekommen, als wir uns alle verteilten und sich jeder sein Geschenk suchte.

Ich schnappte mir April und sie legte sich in meinen Schoß, was inzwischen nicht mehr so gut klappte wie früher, denn meine Hovawarthündin war groß und vor allem schwer geworden. Sie drückte mir mittlerweile regelmäßig das Blut in den Beinen ab, wenn wir uns gemeinsam über die Erde kullerten. Als April und ich eine halbwegs gemütliche Position gefunden hatten, nahm ich als Erstes das eingepackte Päckchen, das ich für sie hatte.

„Süße, Auspacken musst du aber alleine“, grinste ich und reichte es ihr. April legte es sich zwischen die Beine und begann damit, das Geschenkpapier systematisch zu zerrupfen und den Knochen, sowie das kleine rote Halstuch freizulegen.

Ich nahm mir ein Paket, auf dem Für Charly – von den Mädels ;) stand und machte es neugierig auf. Ein kleines Fotoalbum kam zum Vorschein. Dicke schwarze Pappseiten waren mit Ringen zusammengeheftet worden und jeder hatte Fotos reingeklebt und süße Sprüche dazu geschrieben. Es waren Erinnerungen, die wir als Freunde hatten. Von der ersten Klasse an, als ich bereits Emilia und Kiara gekannt hatte bis zum jetzigen Zeitpunkt: Weihnachten.

„Das ist für Neuseeland, damit ihr uns hier nicht vergesst“, Melina tippte auf das Buch und ich umarmte sie.

„Das ist total lieb von euch“, sagte ich dabei. „Aber wir werden euch unmöglich vergessen!“

Mama hatte mir jede Menge Sommerklamotten aus dem Sommerschlussverkauf mitgebracht und die Abschwitzdecke, die Pharo und ich beim Oktoberturnier im Gelände als Siegerpreis bekommen hatten, tatsächlich mit unseren Namen besticken lassen.

Als um halb neun alle gegangen waren, ging ich hoch in mein Zimmer und packte den Koffer soweit es ging. Für Alaska hatte ich die Schabracke mitgenommen, die ich zu meinem sechzehnten Geburtstag bekommen hatte. Die Pferdesachen waren bereits im Flieger mitgenommen worden. Jetzt müsste ich nur noch für mich packen.

Die Aufregung stieg an, als ich die letzten Sachen aus dem Bad zum Koffer brachte und Mama mir die Einkaufstüte brachte, in der sie am Freitag noch ein paar Sachen mitgebracht hatte. Ich stopfte den Bikini aus dem Sommer, die neue Packung mit der Pille – die angebrochene war im Handgepäck – und meine neue SIM-Karte in die Lücken. Handtücher würden wir dort bekommen, genauso wie Bettwäsche. Das hatte der Veranstalter bereits geschrieben und ich war heilfroh darüber, denn in meinem Koffer war kein Nanometer mehr Platz.

„Ich vergesse garantiert die Hälfte“, seufzte ich, als David in mein Zimmer kam und mich von hinten in den Arm nahm.

„Ach, sicher nicht. Lass mich mal deinen Koffer durchschauen“, grinste er und beugte sich über den Chaos-Koffer. „Prima“, flüsterte er, als er die Schachtel mit der Pille sah. Er dachte kurz nach, als er alles durchgeschaut hatte. „Duschzeug und Zahnbürste, dann hast du alles“, schloss er und nahm meine Hände.

„Zahnbürste hab ich im Handgepäck. Aber mit Duschzeug hast du Recht“, bemerkte ich, lief zu den Tüten und fand auch die Duschsachen, die Mama mir mitgebracht hatte. Ich warf sie hinüber in den Koffer und verdrängte die Frage, wie ich den bloß zubekommen sollte. Bevor ich weiter darüber nachdenken konnte, zog mich David fest in seine Arme und ließ mich nicht mehr los. Er schwieg und rückte mich noch näher an sich.

„Ich liebe dich, Charlotte“, sagte er leise und drückte seine Lippen feste auf meine.

„Ich liebe dich auch“, erwiderte ich, als sich eine leichte Lücke ergab.

Dann zog mich David mit sich mit ins Bett und wir kuschelten uns eng aneinander, als ich uns noch eine DVD anmachte …

Endlich Sommer!

Die Jalousien an den Fenstern des Flugzeuges waren zu und um mich herum schliefen fast alle Menschen. Einige schauten Filme. Ich war hellwach, obwohl es nach deutscher Zeit schon weit nach Mitternacht war. Ich saß in meinem Sitz und lehnte mich zurück, aber schlafen konnte ich einfach nicht – egal wie ich mich drehte und wendete. Meine Gedanken hielten mich wach, ließen mich nicht schlafen. Wir waren zwar schon im Anflug auf Bangkok, wo wir Zwischenstopp hatten, aber bis dahin waren es noch vier Stunden. Unsere Pferde müssten inzwischen fast in Neuseeland angekommen und dann in Quarantäne sein.

„Lotte, willst du nicht auch endlich schlafen?“ David saß neben mir und sah mich fragend an.

„Ich will, kann aber nicht“, entgegnete ich und ließ seufzend die Schultern hängen.

„Komm her“, er klappte die Lehne zwischen uns hoch und so konnte ich mich gegen ihn lehnen. David saß am Fenster und ich am Gang. Mir war es egal gewesen und mein Freund hatte unbedingt die Aussicht genießen wollen – daher hatte ich ihm den Vortritt gelassen. Jetzt im Nachhinein betrachtet, war es total sinnlos am Fenster zu sitzen: Man musste immer über alle Leute drüber klettern, wenn man aufs Klo musste, aber sehen konnte man trotzdem nichts. Nur um die Anlehnmöglichkeit beneidete ich David, denn er hatte den Kopf die meiste Zeit gegen das geschlossene Fenster gelegt.

Jana und Bonnie waren auf dem Zweierplatz direkt vor uns. Bonnie schlief, Jana schaute irgendeine Liebesschnulze auf dem Bildschirm vor ihr. Ich schloss die Augen und kuschelte mich mit der Decke dichter zu David, der mir noch einen Kuss auf die Stirn gab. Dann döste ich langsam über in den Schlaf.

Zum Frühstück wachte ich auf und reckte mich. David lächelte mir versonnen zu und gab mir einen Kuss auf den Mund. Dann schob er langsam das Fenster auf und ich warf einen Blick auf die viel zu hellen weißen Wolkenoberseiten. Eine Flugbegleiterin machte uns darauf aufmerksam, dass wir die Jalousie erst zum Frühstück öffnen sollten und ich war nicht mal böse drum. Als das Essen endlich kam und ich von meinem knurrenden Magen erlöst wurde, drehten sich Jana und Bonnie grinsend zu uns um. Sie sahen auch verschlafen aus. Bonnie standen die Haare zu Bergen, seit sie diese nur noch schulterlang trug.

Nachdem die Maschine in Bangkok gelandet war, machten wir uns auf dem Flughafen auf die Suche nach unserem Gate. Eine Stunde lang rannten wir dorthin, weil die Strecke mega weit war – der Flughafen war zwar übersichtlicher, aber mindestens genauso groß wie unser in Frankfurt. Mama rief mich auf dem Weg an und wollte wissen, ob wir sicher gelandet waren.

„Alle super, Mama. Wir laufen grad zum Gate“, erzählte ich ihr, das Handy in der einen Hand. David hatte meine andere Hand genommen. Ich war schon ein bisschen aus der Puste.

„Prima. Eure Pferde sind jetzt auch gerade gelandet. Die Pfleger bringen sie jetzt noch mit dem LKW zum Reitstall und dann dort in den Quarantänestall“, berichtete mir Mom.

„Das ist super. Grüß Max, Papa und April, ja?“, bat ich sie dann noch, weil die Handykosten fürs Ausland wirklich unfassbar teuer waren.

„Mach ich. Und du die anderen. Hab dich lieb, meine Große.“

„Ich dich auch.“ Mit einem Lächeln legte ich auf.

Ich reichte die Grüße an Jana, David und Bonnie weiter und natürlich auch die Info, dass die Pferde bereits angekommen waren. Dann setzten wir uns an unser Gate. In einer Stunde erst begann die Bordingzeit. Deshalb liefen Jana und David los zu McDonald’s, um uns etwas zum Mittagessen zu organisieren – das Frühstück aus dem Flugzeug hatte bei mir nicht sonderlich lange angehalten; vor allem bei dem Fußmarsch, den wir hatten zurücklegen müssen. In Neuseeland war gerade Nacht, in Deutschland helllichter Tag, als mein Freund und Jana endlich mit Hamburgern ankamen. Ich hatte Kohldampf und langte zu.

 

„Ich bin jetzt pappensatt“, sagte ich mir den Bauch haltend, als wir gemeinsam den Müll wegwarfen und dann zurück zum Gate liefen.

„Na, endlich“, grinste Jana neckend und piekte mir in die Seite. Ich war so voll, ich konnte ihr nicht mal mehr ausweichen.

Die Bordingzeit hatte gerade begonnen, als wir zurückkamen, und so liefen wir nach unten zur Maschine. Die Stewardess lächelte uns zu, als wir zu viert an ihr vorbeiliefen und uns dann unsere Plätze im Flieger suchten.

Wir konnten zeitig abheben. Irgendwann, als ich wieder Hunger hatte, gab es Essen, das David und ich gemeinsam verspeisten. Dann kuschelten wir uns wieder zusammen und schauten weiter auf unseren Bildschirmen einen Actionfilm, den David ausgesucht hatte. Irgendwann döste ich wieder ein und nahm nur noch Davids Geruch und das Rauschen der Flugzeugtriebwerke wahr.

***

Ungefähr elf Stunden später landete der Flieger sauber auf der Landebahn von Auckland in Neuseeland. Mein Puls war seit dem Augenblick, in dem wir uns anschnallen sollten, auf Höchstgeschwindigkeit. David saß neben mir, er hatte meine Hand in seine genommen und gemeinsam blickten wir nach draußen, wo man schon die Häuser sehen konnte, die aussahen wie bei einer Spielzeugstadt.

„Schau mal, Lotte“, David zeigte nach links. „Ist das nicht unser Reitstall?“

„Keine Ahnung“, erwiderte ich überfragt die Schultern zuckend und schaute auf den Bildschirm, der anzeigte, dass wir gerade eine große Schleife flogen. Ich wurde gegen David gedrückt.

„Leute, das ist sooo aufregend“, quiekte Bonnie auf dem Sitz vor mir und krallte sich in Janas Arm fest.

„Ich kann’s auch gar nicht erwarten. Das ist alles so krass hamma spannend“, stimmte ich ihr zu und legte mein Kinn sachte auf Davids Schulter, um aus dem Fenster schauen zu können.

Mein Freund drehte den Kopf, flüsterte „Ich hab dich lieb“ und gab mir einen liebevollen Kuss.

Ich kuschelte mich zu ihm und drückte aufgeregt seine Hand, als wir sanft auf der Landefläche aufsetzten und der Pilot in die Eisen ging. Ich kniff für einige Sekunden die Augen zu, dann gewann die Neugier und ich blickte mit rasendem Herzen aus dem Fenster, sah das Meer näherkommen, das Blau leuchtete uns in der strahlenden Sonne entgegen. Endlich Sommer!

„Alles gut, Lotte, mach dir keine Sorgen“, sagte David grinsend zu mir und küsste mich kurz auf die Wange, dann ließen wir unsere Blicke wieder nach draußen schweifen.

„Du hast gut reden“, sagte ich, während ich erleichtert wahrnahm, dass der Flieger langsamer wurde. „Du bist ja auch schon geflogen!“ Ich sah ihn mitleiderregend an und David zwinkerte mir zu.

„Aber noch nicht nach Neuseeland“, er strich mit dem Daumen über meine Handfläche und warf mir eine Kusshand zu. Ich wollte gerade etwas erwidern, da mischte sich Jana von vorne ein:

„Ich bin so gespannt, wie Neuseeland so ist. Die Reitanlage, Auckland, die Trainer, die anderen Teilnehmer, die Schlafzimmer … Habt ihr auch angegeben, dass ihr ins Doppelzimmer wollt? Die haben ja nicht so viele Gruppenzimmer“, grinste uns Jana an und warf Bonnie einen aufgeregten Blick zu. So hatte ich Jana noch nie erlebt, so aufgeregt.

„Haben wir, oder?“ David sah mich fragend an.

„Haben wir … Auch wenn ich meine Mom erst überzeugen musste. Die hat vielleicht einen Stress gemacht“, ich verdrehte genervt die Augen.

„Hat sie Angst, Oma zu werden?“, kicherte Jana.

„Ach, was weiß ich.“ Ich zuckte die Schultern.

„Ich erinnere mich an die Einführungsfahrt. Mann, war das an einem Morgen ein Terror bei euch“, Bonnie zog die Augenbrauen hoch. Sie hatte Recht. Als Mama mich und David dabei erwischt hatte, wie er bei mir übernachtet hatte, war sie total ausgeflippt – von wegen Aufsichtspflicht und so einem Kasper. Ich hatte ihr versprochen, dass sowas auf einer Klassenfahrt nicht mehr vorkam – aber eben nur auf einer Klassenfahrt und das hier war ganz klar keine Klassenfahrt.

„Du bist siebzehn, nimmst die Pille und bist schon über ein Jahr mit David zusammen, der ja jetzt kein Übeltäter ist oder dich vergewaltigen würde oder so“, fand Jana.

Ich nickte ihr zustimmend. „Finde ich auch. Und deshalb werde ich mir ab jetzt nichts mehr zu dem Thema sagen lassen“, beschloss ich. Mama hatte lang genug das Sagen gehabt!

Jana und Bonnie warfen sich einen vielsagenden Blick zu, den ich nur noch halb wahrnahm. Dann hielt die Maschine an und wir durften samt Handgepäck Richtung Gepäckausgabe wandern. David nahm meine Hand und ich noch Bonnies, die Janas Hand hielt, damit wir uns nicht verlieren konnten. Wir ließen uns vom Strom der Menschenmassen mitreißen und folgten ihnen durch die Kontrollen. Auf unsere Koffer mussten wir gar nicht lange warten. Nach der Kontrolle, an der wir unser Visum ausfüllen mussten, kamen unsere Rucksäcke und Koffer noch mal durch einen Scanner, dann durften wir endlich nach draußen in den Ankunftsraum, wo auch einige andere Lehrgangsteilnehmer ankamen, die im selben Flieger wie wir gewesen waren. Ich kannte allerdings niemanden von ihnen.

Wir wurden mit einem Reisebus die vierzig Kilometer bis nach Mairangi Bay gebracht, wo sich die Reitanlage befand, auf der dieser Lehrgang stattfand. Es war mitten am Tag und die Sonne stand hoch am Himmel. Eine brütende Hitze brachte die Klimaanlage des Busses zum Brummen. Ich saß neben David, hinter uns Bonnie und Jana, die auf Janas Handy Musik hörten.

„Dank Flugmodus hat mein Akku voll lange durchgehalten“, freute sie sich, doch dann widmete ich mich David.

„Ich kann’s kaum erwarten, mit dir alleine zu sein“, zwinkerte mir David zu und ich schüttelte lächelnd und die Augen verdrehend den Kopf. „Außerdem bin ich voll müde“, er gähnte.

„Kein Wunder. Es wäre ja auch schon wieder nach Mitternacht. Zwölf Stunden Zeitverschiebung, Jetlag, das steckt kein Körper einfach weg“, erwiderte ich mit einem Blick auf mein Handy. Dann schrieb ich schnell Mama eine SMS, dass wir gelandet waren und uns auf dem Weg zur Reitanlage befanden. Nur Sekunden später kam ihre erleichterte Antwort.

Wir kamen gut durch und erreichten ungefähr eine halbe Stunde später Mairangi Bay und die Reitanlage. Aufgeregt stieg ich aus und fühlte mich sofort wohl, als mir der warme Geruch von Pferden in die Nase stieg. Es war wohlig – wie Zuhause und trotzdem woanders.

„Wow, Leute“, Bonnie zeigte auf den Stall. Pferde streckten ihre Köpfe heraus und wieherten uns zur Begrüßung. Wir fanden Paddocks und große grüne Weiden, auf denen Pferde grasten. Auch Fohlen fanden wir. Klar, hier war die Fohlensaison noch im vollen Gange, während bei uns die Stuten erst ab Februar fohlen würden.

„Da oben schlafen wir“, Jana deutete auf die großen Fenster, die in der roten Steinwand über der großen Stallung war. Da waren also unsere Schlafzimmer. Mein Herz flatterte los.

„Lasst uns hochgehen“, meinte ich, den anderen Lehrgangsteilnehmern hinterher schauend.

„Nichts wie hinterher“, meinte auch Jana, die mit Bonnie den anderen folgte.

„Jetzt beginnt das Abenteuer“, grinste David, als er meine Hand schnappte und wir mit den Koffern los Richtung Zimmer liefen. Dass er damit mal wieder Recht hatte, wusste ich zu dem Zeitpunkt zum Glück noch nicht; ich wäre sofort wieder nach Hause geflogen …