Anja und das Reitinternat - Mit Kind und Kegel

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Anja und das Reitinternat – Mit Kind und Kegel

Für meine Oma

Über die Autorin

Die Autorin Feli Fritsch ist ein Sommerkind und wurde 1997 in Darmstadt geboren. Sie wuchs in der Nähe von Frankfurt/Main auf, bis sie 2016 nach dem Abitur nach Mainz zog, um dort Buch- und Erziehungswissenschaft an der Johannes Gutenberg-Universität zu studieren.

Schon als kleines Kind begann Feli, Ideen festzuhalten und kleine Geschichten zu schreiben, die mit den Jahren immer länger wurden. Es entstanden Stück für Stück erste Romane.

Thematisch befassen sich die meisten ihrer Bücher mit Pferden, denn sie hat ihre Liebe zum Reiten bereits vor der Grundschule entdeckt. Aber auch das Segeln und eine eigene Segeljolle begleiten und inspirieren Feli seit 2013 zu neuen Büchern.

Seit 2016 veröffentlicht Feli als Self-Publisherin bei epubli aus Berlin Jugendbücher unter einem anderen Namen. Dieser dritte Band der Buchreihe um Anja gehört zu ihren ersten Büchern.

Weitere Infos unter www.feli-fritsch.de.tl

Prolog

Die Vorhänge vor der geöffneten Terrassentür tanzten im leichten Zug, der durch Anjas Zimmer wehte. Philipp, ihr Freund, stand am Tisch und versuchte, drei Kerzen anzuzünden, aber sie gingen durch den Wind immer wieder aus.

Heute war Anjas sechzehnter Geburtstag und er hatte sich extra etwas für sie überlegt. Die Ferien waren noch voll im Gange, sodass sie den ganzen Dienstagabend für sich hatten. Sie hatten sturmfrei. Cedric, Anjas Bruder, war mit seiner Freundin Marie noch im Training und ihre Eltern hatten ebenfalls im Stall zu tun. Cedric war nämlich heute erst von der deutschen Jugendmeisterschaft für die Vielseitigkeitsreiter zurückgekommen und wollte sein Pferd Spirit dennoch ein wenig trainieren. Er hatte die Meisterschaften gewonnen und eine große Feier dieser beiden Ereignisse an diesem Tag stand für morgen an.

Phil schloss die Tür und ließ die Rollladen herunter. Dann startete er einen erneuten Versuch, die Kerzen anzuzünden. Diesmal klappte es. Er verteilte Rosenblätter auf dem Tisch um den Kuchen herum. Es war ein Erdbeerkuchen, genauso wie Anja ihn liebte. Auf dem Sofa hinter dem Tisch lagen ein paar Videokassetten, die sie sich anschauen konnten. Er hoffte, dass sie sich freute.

Anja war gerade erst vom Training zurückgekommen. Sie hatte mit Boreo heute Springtraining bei ihrem Vater gehabt und der zog das Niveau nun an, damit sie in wenigen Wochen auch gut reiten würden. Anja hatte es nämlich geschafft: Sie war in die Auswahl für die Ponyreiter der deutschen Jugendmeisterschaften gekommen.

Neben dem Training mit Boreo, das sie schon seit zwei Monaten wirklich jeden Tag beanspruchte, ritt sie ihr neues Pferd Domino ein, mit dem sie ab der zehnten Klasse im Reitunterricht starten würde, da Boreo in Rente ging. Und dann kam auch noch Skys Training dazu. Sky war der Nachwuchshengst von Anjas Vater und sie selbst hatte die Chance bekommen, ihn auf seinem Ausbildungsweg zu begleiten. Anja bildete ihn mit aus und stellte ihn auf Turnieren vor. Und die nächsten Turniere standen auch schon wieder an. Der Trainingsplan war also voll.

Als Anja aus der Dusche stieg, ging es ihr schon viel besser. Sie schlüpfte in ihre Lieblingsunterwäsche, die sie sich erst vor wenigen Wochen mit Amelie gekauft hatte. Danach zog sie sich ein Top an und streifte eine kurze Hose über die Beine. Der Sommer war richtig in Fahrt gekommen und das Training machte sowohl in der Halle als auch auf dem Platz keinen Spaß mehr.

Mit einem letzten Blick in den Spiegel und einem zufriedenen Lächeln trat Anja aus dem Badezimmer und hinaus auf den Flur. Phil hatte sie ins Gästebadezimmer geschickt, weil er seine Überraschung in Ruhe planen wollte. Davon wusste Anja jedoch nicht viel und lief die Treppen hoch. Sie klopfte an die Tür und wartete darauf, dass Phil von innen öffnete. Und er öffnete tatsächlich.

„Hey“, sagte er und nahm Anja sofort an den Händen. Im Raum war es dunkel, sie sah nur die tanzenden Flammen der Kerzen auf dem Tisch. Als sie einen zweiten Blick darauf warf, erkannte sie auch die Rosenblätter, die Phil mühevoll verteilt hatte.

„Na?“ Anja wusste seine Aufmerksamkeit sofort einzuordnen. Dennoch brachte es sie diesmal nicht aus der Ruhe.

„Noch mal alles, alles Gute zum sechzehnten Geburtstag. Ich liebe dich!“ Phil zog sie in seine Arme und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Noch mal vielen Dank“, erwiderte Anja lachend. „Ich liebe dich auch!“ Sie sah sich noch mal um, bevor sie Phil in die Augen blickte.

Philipp küsste sie jetzt richtig und vertiefte den Kuss deutlich früher als sonst. Seine eine Hand fuhr an Anjas Hinterkopf und öffnete den lieblos zusammengedrückten Dutt, seine andere Hand stahl sich unter ihr Top. Seine Finger streichelten über die samte Haut und lösten ein unglaubliches Kribbeln aus.

„Wie geht es dir?“, wollte Phil wissen und küsste sie noch mal.

Als sich Phil wieder von ihr löste, nutzte Anja die Gelegenheit. „Gut … und ich weiß, was du willst.“ Sie zuckte kurz mit den Augenbrauen und sah ihren Freund herausfordernd an.

Phil ging drauf ein, ohne erstaunt zu sein. „Und? Willst du es auch?“

„Och, joa. Warum nicht?“ Sie zwickte ihm in die Seiten und Phil lachte auf.

„Na, dann!“ Er nahm ihre Hand und zog sie mit sich ins Schlafzimmer. Auch hier war alles dunkel. Er hatte es die ganze Zeit darauf abgesehen, stellte Anja mit einem verschmitzten Lächeln fest.

Phil setzte sich auf die Bettkante und zog Anja zu sich herunter. Sie ließ sich auf seinen Schoß fallen und verschränkte ihre Beine hinter seiner Hüfte. Phils Hände hielten sie fest.

„Bist du aufgeregt?“, wollte er von ihr wissen, als er eine Strähne aus ihrem Gesicht wieder zurück hinters Ohr legte.

„Ein bisschen“, gab sie zu und war sich sicher, dass er ihr rasendes Herz in der Stille hören konnte.

„Musst du nicht“, flüsterte Phil und näherte sich ihren Lippen.

„Dein Wort in Gottes Ohren“, sagte Anja noch, dann warf sie ihre Bedenken über Bord und küsste ihn. Phil erwiderte den Kuss und schob seine Hände etwas deutlicher unter ihr Top. Als Anja ihn nicht abwehrte, zog er es ihr geschickt über den Kopf. Anja tat es ihm gleich und befreite Phil von seinem T-Shirt, das sie dann auf seine Tasche neben der Tür warf. Als sie sich ihm wieder zuwandte, zog er sie an sich und drehte sich um, sodass er über ihr lag. Anja lachte kurz und spürte dann, wie Phil ihr immer näher kam. Er küsste sie zuerst auf den Mund, dann auf die Wange und den Hals herunter bis zur Schulter. Sein Finger fuhr die Rundung ihrer Brust nach. Seine Berührungen lösten eine Gänsehaut und ein heißes Kribbeln auf ihrer Haut aus.

„Wow, damit hab ich nicht gerechnet“, bemerkte Phil.

„Ich auch nicht“, flüsterte Anja zurück. Ihre Augen gewöhnten sich langsam an die Dunkelheit und sie erkannte sogar seine Gesichtszüge.

Nachdem Phils Finger eine Runde um ihren Bauchnabel herum gedreht hatte, öffnete er mit einer schnellen Handbewegung den Knopf ihrer Shorts. Philipp streifte ihr die Hose von den Beinen, sodass Anja innerhalb kürzester Zeit nur noch in Unterwäsche dalag.

„Jetzt du“, forderte Phil sie auf und drehte sich auf den Rücken. Er sah sie erwartungsvoll an.

Anja kannte seine Bermuda-Shorts, die er in diesem Sommer beinahe jeden Tag getragen hatte. Neben einem Knopf war sie mit einer Schleife verschlossen. Mit zwei Fingern öffnete Anja diese und strich ihm dann zunächst über den nackten Oberkörper, um ihn ein wenig auf die Folter zu spannen.

„Du hast es eindeutig drauf“, hauchte Phil, als er Anja zu sich zog und sie leidenschaftlich küsste. Und dann nutzte sie die Chance und öffnete den Knopf der Hose. Langsam schob sie ihre Hand hinein und verzichtete auf das unsichere Gefühl, das sie an dieser Stelle in ihren Vorstellungen immer gehabt hatte. Phils schlagartiges Aufstöhnen bestätigte ihr Vorhaben und sie wurde mit einem siegessicheren Grinsen hemmungsloser. Als er sich dafür jedoch rächen wollte, wich ihr Grinsen einem sachten Betteln.

Herrscher aller Reusen

Das Training der Internatsmannschaft fand an diesem Freitagabend auf dem Springplatz statt. Die Sonne schien fröhlich vom Himmel und schenkte mir eine weitere schöne Sommerbräune. Obwohl die Sommerferien nächsten Mittwoch schon wieder vorbeiwaren, so kam der Sommer noch mal richtig in Fahrt.

„Anja, antraben und angaloppieren!“, rief mich Henriette auf. Sie war die Trainerin der Internatsmannschaft fürs Springreiten. Mit ihr waren Boreo und ich letzten Winter bei den Kölner Weihnachtsturniertagen in Darmstadt gestartet und hatten nicht nur in der Mannschaft gewonnen, sondern auch noch einzeln. Doch seit Beginn des zweiten Halbjahres hatte ich Domino mit ins Training genommen. Mit ihm waren wir bereits in der ersten Runde zur Qualifikation der Weihnachtsturniertage in diesem Jahr geritten. Da wir uns für das Quali-Finale Anfang September qualifizieren konnten, stand auch jetzt in den Ferien jede Woche Training für die an, die die Ferien nicht zuhause oder woanders verbrachten.

Olli trainierte mit Schoki in der Mannschaft für die Sparte Geländereiten und Marie, die Freundin meines Bruders Cedric, ritt Dressur. Auch Phil war im Mai in die Dressurmannschaft berufen worden, nachdem er sich für die Deutschen Jugendmeisterschaften qualifiziert hatte. Im letzten Jahr war er noch hessischer Landesmeister geworden, jetzt schon wurde er deutschlandweit bekannt.

„Fährst du nicht morgen wieder mit Sky aufs Turnier?“, fragte mich Andrea, mit der ich im Dezember gestartet war. Sie und ihr Pferd Poppy wurden langsam sicherer, denn Andrea hatte Talent, aber eben auch die Angewohnheit, sich immer total verrückt zu machen.

 

„Ja. Morgen ist eine Springpferdeprüfung in M und da sollen Sky und ich natürlich auch teilnehmen. Er hat sich gut entwickelt in den letzten Wochen“, bestätigte ich ihr.

„Das ist schon stressig, oder? Ich meine, du hast ja nebenbei auch noch die Internatsmannschaft, Domino und auch noch das Training mit Boreo für die Meisterschaften. Wird dir das nicht ein bisschen zu viel?“ Andrea sah mich mitfühlend an.

„Doch, schon langsam. Das geht ja jetzt schon seit mehreren Monaten so. Nach dem Training jetzt kann ich gleich joggen gehen, damit ich mich selbst auch fit halte. Die Idee hatte Papa dazu“, erklärte ich ihr.

Andreas Augen weiteten sich. „Wie lange willst du das denn durchhalten?“

„Bis die Saison zu Ende ist. Ab den Herbstferien wird der Stress nachlassen“, war meine Antwort.

„Da geht der Spaß am Reiten ja total verloren. Ich hätte da keine Lust drauf.“ Andrea lenkte Poppy auf einen Zirkel.

Da einige der zehn Reiter aus der Internatsmannschaft, die sich bis zu den Sommerferien zusammengesammelt hatten, nach dem Abitur von der Schule gegangen waren, trainierten wir jetzt nur noch zu siebt. Drei neue Reiter wollte Henriette bis November in die Mannschaft berufen, um auch dieses Jahr wieder mit einer guten Truppe an den Start gehen zu können. Ich hatte diesmal ein paar Einstiegsnachteile, da ich mit Domino noch nicht so viel Erfahrung gesammelt hatte wie mit Boreo. Dennoch hatte sich Domino auf unseren ersten Turnieren gut geschlagen. Das erste Mal gestartet war ich mit ihm beim alljährlichen Mai-Turnier unseres Internats. In einer L-Gelände- und einer M-Dressurprüfung. Er hatte sich toll gemacht und wir waren in beiden Prüfungen unter die Top-Drei gekommen. Derzeit trainierte uns Henriette intensiv, damit Domino sich genauso gut schlagen würde wie Boreo.

„Er ist sehr sauber am Sprung“, rief Henriette, als ich durch eine dreifache Kombination gesprungen war. Nach einigen Monaten Training hatte er gelernt, viel mehr von alleine zu machen und im Parcours mitzudenken. Wir ergänzten uns gut und ich war froh, den braunen Wallach als Freund an meiner Seite zu haben, auch wenn ich das Training mit Boreo nach den Meisterschaften wirklich sehr vermissen würde.

„Manchmal ist er noch unsicher, aber zum Glück verlässt er sich da auf mich“, erwiderte ich und klopfte Dominos braunen Hals.

„Das ist gut. Mit der Zeit wird er an Sicherheit dazugewinnen“, lächelte Henriette, die mit Nachnamen Richter hieß. Wir Mannschaftsreiter durften sie aber mit Vornamen ansprechen und duzen.

Wir ritten unsere Pferde nach dem Training ab und ich brachte Domino danach in den Stall. Er hatte eine Box im Privatstall bekommen, direkt neben Boreo. Mein Ponywallach war am Anfang richtig eifersüchtig gewesen, aber mit der Zeit hatte das zum Glück nachgelassen.

Ich sattelte ab und versorgte meine Pferde. Dann ging ich hoch ins Haus und suchte meine Joggingklamotten. Vor der Tür schlüpfte ich in meine Turnschuhe. Gerade, als ich gehen wollte, klingelte es.

Olli, mein bester Freund, stand davor. „Na, fertig für den Feierabendlauf?“ Er grinste mich hochmotiviert an.

„Fertig ja, motiviert nicht“, erwiderte ich und zog die Tür hinter mir ins Schloss.

„Das wird schon, wenn wir erst mal losgelaufen sind“, winkte Olli ab. Auch er ging fast jeden Tag mit joggen, obwohl er sich selbst nicht dem harten Fitnessprogramm meines Vaters unterziehen musste. Er tat es freiwillig, hauptsächlich aber, um mir eine Freude zu machen, weil ich einfach keine Motivation mehr hatte, um diesen Horrortrip zu fahren, der zum Glück bald ein Ende hatte. Olli war seit Januar mit Celina zusammen, die neben Amelie meine beste Freundin war. Es hatte ewig gedauert, bis die beiden endlich zueinander gefunden hatten. Dabei hatte es vor Weihnachten noch gar nicht danach ausgesehen, dass es funktionieren würde. Denn alle hatten gedacht, zwischen Olli und mir würde etwas laufen – inklusive Phil. Und das, obwohl wir uns nur gegenseitig und leider auch heimlich Mut zugesprochen hatten, unsere Liebessituationen wieder in den Griff zu bekommen, denn auch zwischen Phil und mir hatte es bereits dicke Luft gegeben. Dann hatte Phil wortlos die Beziehung beendet, bis Olli sich ein Herz gefasst hatte und ihm endlich erklärt hatte, was los war. Seitdem lief es für uns alle wieder blendend. Selbst Amelie war noch immer mit ihrem Freund Sebastian zusammen!

***

Am Samstag fuhren wir schon früh los nach Niedersachsen, wo die Reitpferdeprüfungen stattfinden sollten. Ich war noch tot müde, als wir mit dem Pferde-LKW vom Hof gerollt waren, sodass ich nach wenigen Kilometern wieder einschlief. Cedric war zuhause geblieben, wenn auch widerwillig, denn er sollte sich um Haus und Hof kümmern. Meine Eltern hatten ihn darum gebeten, solange wir auf dem Turnier waren, denn zurückkommen würden wir erst am Sonntagabend. Cedric hatte gemuckt und sich tagelang versucht zu drücken, bis Mama und Papa eines Abends ein Machtwort gesprochen hatten. Ich selbst war zu dem Zeitpunkt beim Training gewesen und Cedric hatte genauso wie meine Eltern nichts durchblicken lassen. Ich wusste nicht, womit sie ihm gedroht hatten. Aber Fakt war: es hatte funktioniert. Cedric würde ab heute für zwei Tage der Herrscher aller Reusen sein.

Pünktlich um halb neun rollten wir auf den LKW-Parkplatz vom Turnierplatz. Mama hatte mich eine Viertelstunde vorher bereits geweckt, damit ich nicht zu verschlafen sein würde. Meine Motivation hielt sich auf dem Gefrierpunkt. Ich war nur froh, dass Papa mit zwei seiner Nachwuchspferde heute und morgen auch je eine Prüfung ritt. So galt nicht alle Aufmerksamkeit mir. Mama würde mich noch genug betüddeln.

„Deine Prüfung beginnt um zwölf Uhr. Wollen wir vorher etwas frühstücken gehen?“, fragte mich Mama vom Beifahrersitz aus, während Papa den LKW in die Parklücke manövrierte.

Ich überlegte, was ich antworten sollte. „Können wir machen“, sagte ich, obwohl ich gar keinen großen Hunger hatte.

Mama ließ es gut sein und half Papa beim Einparken, während ich meinen Blick durch das Fenster nach draußen richtete. Die Sonne war den ganzen Tag noch nicht aufgetaucht, der Himmel war grau und es sah sogar ein bisschen nach Regen aus. Hoffentlich würde sich das Wetter halten, denn meine Prüfung würde draußen auf dem Reitplatz stattfinden.

Papa schloss Strom an den LKW und dann luden wir die drei Pferde aus. Ich führte Sky in den Stall und brachte ihm dann noch einen Apfel. Frühstück hatten sie bereits um sieben Uhr bekommen, als wir kurz eine Pause eingelegt hatten, in der Papa sich einen Kaffee gekauft hatte.

„Lasst uns zum Frühstück gehen. In der Ausschreibung stand etwas von einem Frühstückszelt“, freute sich Mama, als die Pferde versorgt waren. Papa nahm ihre Hand und die beiden liefen voraus. Ich schaute mich neugierig um. Überall waren Stände und Fahnen aufgestellt. Wo man nur hinschaute, wurden Pferde geführt oder sogar schon geritten. Eine Reitabzeichenprüfung hatte gerade begonnen, bevor danach die Reitpferdeprüfungen der Klasse A starten sollten. Eine junge Reiterin auf einem braunen Pony ritt gerade durch das Dressurviereck. Schlecht war sie nicht, nur noch etwas unerfahren. Sie hatte weder eine ruhige Hand noch einen ruhigen Schenkel. Aber das würde sich alles noch entwickeln. Ich erinnere mich nur zu gut an meine erste Prüfung, damals mit Tabaluga. Ich war auch alles andere als gut geritten.

„Anja, kommst du auch?“, riss mich Mama aus den Gedanken. Sie stand am Eingang zum Frühstückszelt. Ich wandte den Blick von der Prüfung ab und lief zu ihnen herüber.

„Bin schon da“, sagte ich und setzte mich mit meinen Eltern an einen Tisch. Mama brachte mir einen Teller mit einem Brötchen und gekochtem Schinken mit. Eigentlich mochte ich das sehr gerne, aber an dem heutigen Morgen hatte ich wirklich gar keinen Hunger. Lustlos stocherte ich im Müsli herum, das mir Papa zur Stärkung vor der Prüfung mitgebracht hatte.

„Hast du keinen Hunger, mein Schatz?“, fragte Mama besorgt, als sie bemerkte, dass ich noch gar nicht gegessen hatte.

Ich schüttelte den Kopf.

„Das ist bestimmt die Aufregung“, schätzte Papa und ich ließ ihn in dem Glauben.

Mama ließ das nicht gelten. „Trotzdem musst du etwas frühstücken. Komm, Anja. Wenigstens ein halbes Brötchen“, bat mich Mama und ich zwang mich dazu, das Brötchen zu essen.

Danach ging es endlich in den Stall. Dort half ich Papa dabei, Sierra fertig zu machen. Die junge Stute war im selben Jahr geboren wie Sky und lief heute ihre erste M-Dressur. Cedric war sie Anfang der Saison mal geritten, aber die zwei waren überhaupt nicht miteinander klargekommen. Cedric war kein Stuten-Reiter und konnte Dinge auch nicht ausdiskutieren, wie man es eben mit einer Stute machen musste. Er dachte, mit Durchsetzen kam er bei ihr weiter wie bei seinem Hengst Spirit. Dass er da falsch lag, wusste er genauso gut wie ich und Papa. Dennoch hatte Papa die Ausbildung der jungen Stute selbst übernommen.

„Manchmal wünschte ich, ich hätte dir Sierra auch noch geben können“, sagte Papa, als ich der Stute noch mal über das graue Fell striegelte und er sich seine Stiefel anzog.

„Du weißt, dass ich das sofort ausprobiert hätte“, sagte ich zu Papa, weil er wusste, dass ich schon damals sehr von Sierra geschwärmt hatte, als sie vor sechs Jahren auf die Welt gekommen war.

Papa nickte. „Ja, das weiß ich. Aber deine Mutter hat recht: Du hast mit Sky, Domino und Boreo eindeutig schon genug zu tun. Ich kann dir unmöglich noch ein Pferd aufhalsen.“ Damit hatte er leider recht. Ich lief ja jetzt schon auf dem Zahnfleisch. Ich hatte einfach nicht die Nerven für ein viertes Pferd. „Aber du weißt ja, dass du sie immer gerne reiten darfst“, zwinkerte mir Papa zu.

Ich schüttelte erstaunt den Kopf. „Nein, das wusste ich nicht!“

„Dann weißt du es ja jetzt“, Papa strich mir liebevoll über die Schulter, dann nahm er mir Sierra ab und schwang sich in den Sattel. Er ritt mit der Grauschimmelstute los Richtung Abreiteplatz und ich folgte den beiden. Mama war noch zur Meldestelle gerannt, um unsere Startnummern und Startzeiten zu erfragen.

Als Papa aufgerufen wurde, hatten wir seine Startnummer an der Turnierschabracke befestigt. Er ritt ins Viereck ein und schaffte es, Sierra mit all seiner Erfahrung und all seinem Gespür so gut vorzustellen, dass sie am Ende eine Gesamtnote von 8,0 bekamen. Und damit gewann er die Prüfung. Wir freuten uns, als wir in den Stall zurückgingen. Ich wollte Sky für das Springen fertigmachen.

„Jetzt reitet nur noch meine Kleine“, sagte Mama liebevoll, als ich Sky den Sattel festschnallte und mir die Trense schnappte.

„Aus deiner Kleinen ist eine ganz Große geworden“, sagte Papa zu Mama und legte ihr einen Arm um die Schulter.

Mama nickte. „Das stimmt.“ Dann hielt sie Sky fest, bis ich meinen Helm aufgesetzt hatte. Für Mama war ich immer noch die kleine Anja, die mit Boreo in A-Springen an den Start ging. Mit sechzehn Jahren fühlte ich mich zwar noch lange nicht erwachsen, aber ich war dem Erwachsensein auf jeden Fall einen großen Schritt nähergekommen. Ich dachte an letzten Dienstag zurück, als Phil und ich zum ersten Mal miteinander geschlafen hatten. Das taten keine Kinder! Aber davon ahnte Mama ja nichts.

Ich hatte mein Jackett bereits an, als ich vor dem Stall in Skys Sattel stieg. Ich ritt vor zum Abreiteplatz und machte Sky und mich warm. Als ich anfing, ihn im Galopp zu lösen, kam auch die Sonne zum Vorschein. Dann ritt ich ihn an ein paar Hindernisse heran. Er war frisch und gut drauf und ließ sich ziemlich gut reiten. Wenn das so blieb, hätten wir gute Chancen auf eine Traumnote!

„Als Nächstes in der Bahn sehen Sie Sky von Skyline aus einer Frisko-Mutter. Er wird geritten von Anja Klein vom Reitinternat Schloss Rosenthal“, wurden wir aufgerufen und ich ritt herüber zum Springplatz. Der Parcours war weder leicht noch schwer, dafür aber an einigen Stellen für die jungen Nachwuchspferde einladend gebaut. Ich grüßte die Richter, dann wartete ich darauf, dass der Start frei war.

Die Sonne knallte auf uns herunter und innerhalb von Sekunden wurde es mir im Jackett viel zu warm. Aber ich war mit Sky schon auf dem Weg zum ersten Sprung. Reiß dich zusammen, ermahnte ich mich selbst. Dann setzten wir über den ersten Sprung. Zielstrebig ging es auf den zweiten zu. Sky übernahm das Kommando, als er merkte, dass ich nicht bei der Sache war. Mir wurde schwindelig und das Bild vor meinen Augen drehte sich langsam, als wir auf den ersten Oxer der dreifachen Kombination zuritten. Ich hielt mich in seiner Mähne fest und zählte die Sprünge bis zum nächsten Hindernis. Sky machte sich die Abstände von alleine passend. Mist, wieso hast du auch das Frühstück verweigert, du dumme Nuss?, schoss mir durch den Kopf. Auf der längeren Distanz zum nächsten Sprung fing sich mein Kreislauf zum Glück wieder und der Blick war nicht mehr ganz so verschwommen. Ich signalisierte Sky, dass ich wieder da war, und lenkte ihn halbwegs sicher die letzten Sprünge an. Der junge Hengst überwand sie fehlerfrei.

 

„Eine Null-Fehler-Runde für das junge Paar vom Reitinternat. Sie erhalten eine 7,8 in der Gesamtwertung“, wurde verkündet, als wir gerade den Ausgang ansteuerten.

Papa war nicht entgangen, dass etwas nicht nach Plan verlaufen war. „Anja, was war denn los? Zwischendurch hatte ich das Gefühl, dass Sky die Prüfung ganz alleine schmeißen muss!“

Ich nickte. „Mein Kreislauf hat zwischenzeitig mal den Geist aufgegeben“, erwiderte ich. Ich wollte es nicht unnötig dramatisieren. Eine 7,8 war eine gute Note und außerdem hatte ich keine Lust darauf, dass mich meine Eltern wieder wie ein kleines Kind ins Bett schickten oder gar zum Arzt schleiften.

„Ich hätte darauf bestehen müssen, dass du die zweite Hälfte vom Brötchen auch noch isst“, machte sich Mama Vorwürfe.

„Ach, quatsch. Dafür bin ich schon selbst verantwortlich“, winkte ich ab.

„Aber ich bin deine Mutter!“, widersprach sie mir.

„Schluss jetzt mit der Diskussion. Anja, brauchst du einen Arzt oder nur ein ordentliches Frühstück?“, wollte Papa von mir wissen.

„Frühstück. Aber erst reite ich Sky ab!“ Mit diesen Worten verschwand ich auf den Reitplatz, bevor sie mich daran hindern konnten. Mama verschwand und kam wenige Minuten später mit einer Cola und einer Portion Pommes zurück. Papa bot mir an, Sky für mich abzureiten, aber ich verweigerte ihm diese Möglichkeit. Stattdessen schnappte ich mir die Schachtel Pommes und ritt futternd auf dem dritten Hufschlag entlang.

***

Trotz der unschönen Zwischenfälle gewannen Sky und ich die Prüfung. Papa war damit ruhig gestellt, Mama hingegen hätte mich trotzdem gerne zum Arzt geschleppt. Nach dem Abendessen suchte ich das Münztelefon der Reitanlage und rief im Jungenabteil des Internats an. Ich war gespannt, wer dranging, denn ich hatte Phil gesagt, dass ich abends anrufen würde. Aber es war nicht Phil, der ans Telefon ging, sondern Olli. Olli und Phil waren seit Karstens Auszug in einem Zimmer einquartiert worden (ratet mal, wie Phil das gefunden hatte – gar nicht gut!).

„Hey, meine Lieblingsabenteurerin!“, rief er in den Hörer und schien sich geräuschvoll in seinen Sitzsack sinken zu lassen. Das Telefon im Internat war schnurlos und so konnte es jeder mit auf sein Zimmer nehmen.

„Hey, Olli. Ist Phil da?“, fragte ich, weil mir das Geld für Smalltalk zu viel wert war.

„So ist das also“, lachte Olli. „Keine Ahnung. Den habe ich seit dem Mittagessen nicht mehr gesehen. Soll ich ihm etwas ausrichten?“, wollte Olli wissen.

Ich seufzte. „Nein, nicht nötig. Maximal, dass Sky und ich die Prüfung doch noch gewonnen haben“, erwiderte ich.

Olli wurde hellhörig. „Was heißt hier doch noch? Ist etwas vorgefallen?“

Ich berichtete Olli, was passiert war. Er hörte mir aufmerksam und auch ein bisschen besorgt zu.

„Wieso wolltest du keinen Arzt? Der hätte mal draufschauen können, ob du dir nicht doch einen Virus eingefangen hast.“ Olivers Stimme klang leicht vorwurfsvoll, aber ich überhörte diesen Unterton wissentlich.

„Weil ich weiß, dass es kein Virus ist. Das war einfach nur der Kreislauf. Das habe ich ab und an mal. Da muss ich ja jetzt kein Drama draus machen“, fand ich.

„Wie du meinst. Ich hätte mich an deiner Stelle durchchecken lassen“, entgegnete Oliver.

Wir quatschten noch kurz, bevor wir uns verabschiedeten. Olli hatte mir davon erzählt, wie durchgedreht Amelie derzeit drauf sei und mich gefragt, ob ich wisse, was mit ihr los war. Vor Oliver stellte ich mich ahnungslos, aber ich hatte da so eine Idee, was mit Amelie los sein könnte – ungefähr genau dasselbe wie mit mir …