Drachenreiter und Magier: 4 Fantasy Abenteuer

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2. EIN KÖNIG OHNE MACHT


Knarrend ging am nächsten Morgen das Burgtor herab. Graf Yakurul und seine Männer verließen Burg Arkull. König Kryll war auch gekommen, um dem Abschied beizuwohnen, der im übrigen sehr kurz und wenig herzlich ausfiel.

Mit versteinerten Gesichtern zogen die Remurier davon und wenig später schloss sich das Tor von Burg Arkull hinter ihnen. Die Zugbrücke wurde mit einem unüberhörbaren Ächzen hochgezogen.

"Sagt mir, mein König: Was wollten diese Remurier von Euch?", fragte dann jener Ritter, der Kryll zur Rechten stand. Es war Norjan, einer der verdientesten Gefolgsleute des Königs.

"Sie wollten, dass ich die Piraterie untersage!"

Über Norjans Züge huschte ein Schatten.

"Und was hat mein König ihnen gesagt?"

"Ich werde den Rat der Lords einberufen. Er wird entscheiden. Die Remurier drohen mit Krieg, falls praganische Piraten weiterhin ihre Küsten heimsuchen."

"Wäre ein Krieg für uns nicht sehr willkommen?", meinte Norjan. "Er würde das Volk von seiner Not und den Schwierigkeiten, die wir haben, ablenken!"

Doch der König schüttelte den Kopf.

"Ich denke da anders, mein Freund. Doch ich werde den Rat entscheiden lassen!"

"Warum eigentlich - wenn diese Frage erlaubt ist, mein König!"

"Weil ich nichts, aber auch gar nichts tun kann, wenn die Lords nicht hinter mir stehen!" Und insgeheim fragte Kryll sich, weshalb es überhaupt noch einen König von Pragan gab, da dieser doch kaum Befugnisse hatte.

"Ich bin dafür, dass Ihr diese Frage allein entscheidet, König Kryll. Damit würdet Ihr gegenüber den Lords ein Signal setzen, ihnen zeigen, dass der König noch Herr über sein eigenes Land ist", sagte Norjan.

Der König zuckte mit den Schultern und schlenderte gemeinsam mit Norjan über den Burghof.

"Eben das ist der Kern des Problems", erwiderte Kryll. "Ich habe keine Macht! Die Lords bestimmen, was im Lande gespielt wird. Es ist mir nie so klar gewesen, wie in diesem Augenblick: Ich bin lediglich eine Marionette!"

Tiefe Bitterkeit sprach aus diesen Worten und ein kleiner Schuss Verzweiflung schwang wohl auch in seiner Stimme mit.

Norjan versuchte ein Lächeln.

"Es liegt an Euch, ob der Thron an Macht gewinnt oder nicht. Eure Vorgänger haben viele ihrer Befugnisse aus der Hand gegeben und ist es nun an Euch, sie für die Krone zurückzuerobern! Ihr müsst die Lords in ihre Schranken weisen, ihnen sagen, wo der Weg ist, den sie zu nehmen haben! Nur so können wir das Land auf die Dauer vor dem Zerfall und dem Chaos retten. Schon jetzt gebärdet sich jeder einzelne dieser Lords wie ein kleiner König! Nicht mehr lange und es wird Anarchie ausbrechen! Einer wird gegen den anderen kämpfen!"

"Oh, Freund Norjan, ich glaube, jetzt übertreibt Ihr ein wenig! Von Anarchie kann noch lange keine Rede sein!"

Norjans Züge waren jetzt sehr ernst.

"Bis zur Anarchie wird es vielleicht gar nicht kommen, denn zuvor werden uns die Remurier in ihr Reich einverleiben. Aber gerade um das zu verhindern, müssen wir einig sein."

Kryll kratzte sich am Kinn.

Er schien unschlüssig darüber zu sein, was getan werden sollte.

Im Grunde habe ich Norjans Ideen schon längst akzeptiert, dachte der junge König bei sich.

Dann meinte er: "Ich werde in jedem Fall auf Widerstand stoßen, wenn ich meine Entscheidungen in dieser Frage getroffen habe. Was werden die Lords sagen, die mit meiner Entscheidung nicht zufrieden sind? Womöglich erklären sie dem Königtum den offenen Krieg! Lasse ich aber den Rat entscheiden, so trage nicht ich die Verantwortung, sondern die Lords selbst!"

Norjan dachte: Er hat Angst davor, Verantwortung zu tragen. Eine Eigenschaft, die eines Herrschers unwürdig ist...

"Jemand, der keine Verantwortung zu tragen bereit ist, braucht nicht damit zu rechnen, jemals mächtig zu werden", erklärte der Ritter dann kalt.

Den König erschrak über die Härte, mit der diese Worte ausgesprochen wurden.

Kryll erkannte, dass er von einem Mann wie Norjan noch viel lernen konnte.

Norjan wäre ein besserer König als ich, durchfuhr es ihn. Er war von seinen eigenen Gedanken überrascht. Ich darf nicht an mir zweifeln, rief es in ihm.

"Was würdet Ihr also vorschlagen, Norjan?", erkundigte sich Kryll dann. "Ich bin ganz Ohr!"

Die Stimme des Königs klang leise, vielleicht auch ein wenig zaghaft.

Er fühlte sich seiner Haut nicht so recht wohl.

"Ich würde ruhig auf einen Krieg mit Remur ankommen lassen, mein König!", erklärte nun Norjan im Brustton der Überzeugung.

Der König und der Ritter hatten nun eine Bank im Freien erreicht und setzten sich.

"Ein Krieg?" Die Stimme des Königs klang besorgt. "Könnte ein Krieg meine Position nicht auch erheblich schwächen?"

"Ganz im Gegenteil! Wenn der Krieg erst da ist, werden die Lords schon zusammenfinden, dessen bin ich mir sicher! Sie wissen genau, dass sie einzeln nicht den Hauch einer Chance gegen die Remurier haben. Deshalb werden sie wohl oder übel zu Euch halten, mein König."

"Bleibt nur zu hoffen, dass die Lords ebenso klug sind, wie Ihr es seid, Freund Norjan. Was geschieht, wenn sie mir sogar im Angesicht des Krieges die Loyalität verweigern? Was dann?"

Norjan machte ein unbestimmtes Gesicht.

"Ein gewisses Risiko müssen wir in Kauf nehmen, da geht kein Weg dran vorbei! Wenn tatsächlich der von Euch geschilderte Fall eintreten sollte, so müssen wir dann überlegen, was zu tun ist. Aber jetzt sollte uns das nicht belasten." Er machte eine Geste mit der Rechten. "Wer weiß, mein König! Vielleicht kommt es ja gar nicht zum Krieg! Vielleicht geben die Remurier doch noch klein bei und alles war nichts weiter als Donnergrollen ohne Blitz. Wer kann das heute schon voraussagen?"

Die Remurier werden nicht nachgeben, dachte der König. Wie konnten sie auch? Sollten sie hinnehmen, wie ihre Städte geplündert wurden? Wie praganische Piraten ihre Schiffe überfielen? Nein, für die Remurier gab es keinen anderen Weg, als den, den Graf Yakurul gegenüber König Kryll aufgezeigt hatte.

"Den Rat der hohen Lords von Pragan werden wir auf jeden Fall nicht einberufen!" Norjans Stimme klang fest und bestimmt.

"Warum nicht? Nichteinmal, um den hohen Herren meine Entscheidung mitzuteilen?"

"Nicht einmal dazu. Euren Entschluss werdet Ihr ihnen durch Boten schriftlich überbringen!"

"Warum das?"

"Nun, mein König, es ist nicht gut, wenn die Lords alle an einem Ort sitzen. Sie können sich dann untereinander zusammentun und möglicherweise Gegenmaßnahmen aushecken! Ihr wisst so gut wie ich, dass Ihr nicht der erste König von Pragan wärt, der einer Intrige eben jener Lords zum Opfer fiele, die ihn kurz zuvor noch zu ihrem Anführer gewählt hatten!"

Kryll bedachte Norjan mit einem nachdenklichen Blick.

Er ist fast wie ein Vater zu mir, dachte er.

"Wir wollen hoffen, dass alles so kommt, wie Ihr Euch das gedacht habt, Norjan", sagte er dann langsam. Ein Schuss von Traurigkeit und Resignation lag in der Stimme des Königs - etwas, das auch Norjan keineswegs entging.

"Ich kann Euch verstehen, Kryll! Es ist nicht gerade erfreulich, ein König ohne Macht zu sein. Aber ich werde Euch helfen, dass dieser Zustand geändert wird. Darauf könnt Ihr Euch verlassen."

Der König nickte schwach.

Bin ich überhaupt noch im Stande, einen einzigen Entschluss zu fassen?, fragte er sich in Gedanken.

Kryll erhob sich.

Er fühlte sich leer und matt.

Ein König ohne Macht!, dachte er zynisch. Was ist das für ein König!

Er blickte sich nicht zu Norjan um, als er davonging.

Mir fehlt die Initiative, etwas an diesem unbefriedigenden Zustand zu ändern, kam es Kryll in den Sinn. Die Initiative und die Kraft.

Er seufzte.

Nein, dachte er dann, das Schicksal oder die Götter - oder irgendwelche anderen finsteren Mächte - müssen es sehr schlecht mit mir meinen!




3. EIN FREMDER OHNE NAMEN


Kryll saß auf einem einfachen Thron aus Holz. Ein König von Pragan konnte sich den Luxus der südlicheren Länder nicht leisten. Aber dieser Holzthron - er war ohne jegliche Verzierungen - war für Kryll von Arkull so gut, wie es jeder andere Thron gewesen wäre.

 

In diesem Augenblick war er völlig allein im Thronsaal.

Ein so großer Raum für eine einzige Person - und anderswo in Pragan sind die Menschen obdachlos, dachte der junge König.

Welch eine Ungerechtigkeit!

Aber so war die Welt nun einmal, ungerecht und schlecht, hier im Norden ebenso wie im Süden. Und Kryll gehörte keinesfalls zu jenen, die glaubten, dass es in ihrer Macht lag, daran irgendetwas zu ändern.

Einer der königlichen Soldaten betraten den Raum.

Kryll kannte ihn. Er tat seit langem auf Burg Arkull seinen Dienst.

Der König blickte auf.

"Was gibt es, Lorson?"

"Mein König, ein Fremder bittet um Audienz!"

Kryll war ziemlich desinteressiert.

Er zuckte nur die Achseln.

Schließlich brummte er: "Dann lass ihn herein, Lorson!"

"Mein König! Ich muss Euch warnen! Dieser Mann macht einen recht merkwürdigen Eindruck! Er ist mir nicht ganz geheuer!"

"Lass ihn trotzdem herein! Ich habe keine Angst, Lorson, das solltet Ihr wissen."

"Das weiß ich, mein König!"

"Außerdem wird der Fremde mich vielleicht etwas unterhalten und aus meiner Langeweile erlösen!"

"Wir Ihr meint!"

Der König nickte leicht ungehalten, während Lorson sich verneigte und dann den Thronsaal verließ.

Kurze Zeit später kehrte der Soldat zurück. Ihm folgte eine sonderbare, in eine schwere Kutte gehüllte Gestalt.

So sehr Kryll sich auch bemühte, er konnte die Züge dieses Fremden nicht erkennen. Sie waren im Schatten der Kapuze verborgen, die tief ins Gesicht gezogen trug.

Ohne, dass er von irgendwem dazu aufgefordert worden wäre, trat der Düstere einige Schritte vor. Er stand nun sehr dicht vor dem Thron des Königs.

Lorson wollte im ersten Moment einschreiten, aber Kryll winkte ab.

"Lass gut sein", murmelte der König und lehnte sich zurück.

Und dabei dachte er verwundert: Warum kann ich sein Gesicht nicht erkennen?

Mit einer Mischung aus Misstrauen und Interesse musterte Kryll den Düsteren.

"Was willst du von mir?", fragte er dann.

Er bemühte sich, seiner Stimme keinen unfreundlichen, mürrischen Ton zu geben.

"Ich muss mit dir sprechen, Kryll!"

Kryll runzelte unwillkürlich die Stirn. Die ungewohnt persönliche Ansprache des Fremden irritierte ihn. Aber er sagte nichts. Den Grund dafür konnte er nicht erklären.

"Sprich, Fremder! Worum geht es?"

Der Düstere schüttelte jedoch den Kopf.

"Ich muss mit dir allein sprechen, Kryll von Arkull!"

Kryll lachte heiser.

"Ist es denn so vertraulich, was du mir zu sagen hast, Fremdling?", fragte er dann mit einer deutlichen Spur Spott in der Stimme. "So wichtig?" Kryll lachte erneut, aber es wirkte gezwungen.

"Ja, es ist sehr wichtig."

Kryll gab Lorson einen Wink, worauf der Soldat - zunächst etwas widerwillig und sichtlich irritiert - den Saal verließ.

Der König beugte sich dann nach vorne.

"Nun, was gibt es, Fremder?" Er runzelte die Stirn. Das Verhalten seines Gegenübers begann ihm mehr und mehr zu missfallen. "Wer bist du überhaupt?"

Der Düstere blieb ruhig, fast bewegungslos.

"Das ist nicht wichtig!"

"Und was willst du?"

"Ich will dir etwas geben, Kryll!"

Kryll zog die Augenbrauen hoch.

"Was könnte das sein? Wie ein reicher Herr siehst du nicht gerade aus! Ein Mann, die wie ein Bettelmönch aussieht und mir etwas geben will! Das muss man gehört haben!"

"Ich will dir das geben, wonach du am meisten dürstest und was du im Augenblick auch am dringendsten brauchst, König von Pragan!"

Kryll überlegte.

Diesem düsteren Fremden schien es zu gefallen, in Rätseln zu sprechen. Was konnte er meinen? Wovon sprach er?

Ein leichtes Unbehagen überkam den König.

"Kannst du dich nicht klarer ausdrücken?"

Kryll ertappte sich dabei, wie er das Gesicht des Fremden suchte. Aber da war nichts, als die Dunkelheit seiner Kapuze.

Alles Licht schien von dem Schatten, der der dort wohnte, verschluckt zu werden...

Kryll wurde ungeduldig.

"Also, raus mit der Sprache, was willst du mir geben?"

Der Düstere hob ein wenig den Kopf, aber von seinem Gesicht war noch immer nichts zu sehen.

Dann kam seine Antwort.

"Macht!"

"Macht?"

Der König begriff zunächst nicht richtig. Dann zeigte sich ein spöttisches Lächeln um seine Mundwinkel.

Kryll lachte freudlos.

"Wie willst du mir Macht geben, Fremder? Du scheinst mir nicht mehr als ein dahergelaufener Bettler zu sein! Du hast selbst keinerlei Macht, wie willst du mir da etwas abgeben?"

"Du irrst!", erwiderte der Düstere. "Du irrst, wenn du glaubst, dass ich dir von meiner Macht etwas abzugeben gedenke - denn wie Ihr richtig vermutet habt: Ich besitze nicht ein bisschen davon. Aber ich bin der Diener einer Macht - einer Macht, die größer ist, als alles, was du kennst, Kryll!"

Der König atmete deutlich hörbar durch.

Dann fragte er: "Von was für einer Macht sprichst du, Fremder?"

In Krylls Tonfall war jetzt kein Spott mehr. Unruhe schwang nun vielmehr darin mit.

"Du zeigst also Interesse", stellte der Düstere fest. Er nickte leicht. "Das ist gut..."

"Ich zeige gar nichts!", kam es unwirsch zurück. "Ich will lediglich wissen, worum es hier geht!"

Der Düstere trat nun noch näher an den König heran. Eine seltsame, unheimliche Aura umgab diesen Sonderling.

"Ich diene einer Macht, die tausendmal größerer ist, als die aller Königreiche dieser Welt zusammen! Wenn du dich in den Dienst dieser Macht stellst, so wirst du der mächtigste Mann dieser Welt werden! Deine Feinde wirst du mit Leichtigkeit zerschlagen können! Es gibt da nur einen Haken bei der Sache..."

"Und der wäre?"

"Diese Macht, von der ich gesprochen habe, hat noch keinen Zugang zu dieser Welt."

"Was kann sie mir dann nützen?"

"Es wird deine erste Aufgabe sein, dieser Macht ein Tor zu dieser Welt zu eröffnen!"

Der Düstere war nun wirklich schon sehr nahe an Kryll herangekommen, aber der junge König sah das Gesicht des Fremden noch immer nicht.

"Welche Macht ist es, der du dienst?", fragte Kryll schließlich.

"Ich diene Tarak, dem Herrn des Schattenlandes!"

Erschrocken fuhr Kryll ein wenig zurück. Doch der König konnte sich seinen eigen Schrecken nicht erklären. Es war unbestimmtes Gefühl, das ihn plötzlich erfasst hatte, nicht mehr. Der König des Schattenlandes... Was mochte das nur für ein Land sein, von dem der Fremde sprach?

Kryll erhob sich von seinem Thron. Unruhig lief er hin und her. "Worin besteht Taraks Macht?" Er gestikulierte mit den Händen. "Kann mir Tarak Schiffe und Krieger für den Krieg gegen meine Feinde geben? Kann er mir das Brot für meine Landsleute geben, damit sie nicht mehr hungern brauchen? Kann dieser Tarak machen, dass die Fischschwärme in Zukunft beständiger kommen, als sie es jetzt tun?" Krylls Worte klangen wild und unbeherrscht.

Er schien sich von dem Düsteren verhöhnt zu fühlen.

Doch der Fremde blieb ruhig.

Es war eine geradezu unmenschliche Ruhe...

Und die Antwort, die er gab, überraschte den König.

"Tarak wird dir Schiffe geben, die auch ohne Wind segeln. Er wird dir Krieger geben, deren Schwertarme nie ermüden und er wird den Hunger der Praganier zu stillen wissen!"

Diese Antwort hatte Kryll nun wirklich nicht erwartet. Er horchte auf. Seine Augen verengten sich etwas, als er einen bohrenden Blick auf sein Gegenüber richtete.

Er musterte den Düsteren prüfend.

"Wann und wo kann ich mit diesem Tarak zusammentreffen?"

"Sofort, wenn du willst!"

Kryll nickte.

"Wo ist Tarak zu finden?"

"Ich kann dich zu ihm führen?"

"Wie weit werden wir reisen müssen?"

"Nicht länger als eine Stunde, wenn wir zu Pferd sind!"

"Dann befindet sich Tarak hier in Pragan!"

Angst und Unbehagen ergriffen den König.

"Tarak ist überall - und nirgends!"

Kryll wusste nicht, was er von den letzten Worten des Düsteren halten sollte.

"Lorson!", rief er barsch und einen Moment später kam der Soldat in den Thronsaal geeilt.

"Lorson, mein Pferd soll gesattelt werden!"

"Wie Ihr befehlt, mein König!" Lorson verneigte sich untertänig und verschwand wieder.

"Wir brechen sofort auf!", wandte er sich dann an den Düsteren. Seine Stimme klang hart und entschlossen. Zusammen mit dem Düsteren verließ er den Thronsaal.

Auf dem Burghof wartete Lorson mit einem gesattelten Pferd. Auch Norjan war dort.

Misstrauisch musterte der Ritter den düsteren Mann, der sich selbst als Diener Taraks bezeichnete.

Trotz der hellen Sonne war sein Gesicht unter der Kapuze nicht zu erkennen.

"Wie ich höre, wollt Ihr verreisen, mein König!" Norjans Worte waren nicht ohne Vorwurf.

"Ja."

"Ich denke, Ihr werdet Lorson und mir erlauben, Euch zu begleiten!"

Kryll lachte.

"Falls mein düsterer Freund hier nichts dagegen hat..."

"Von mir aus können sie mit uns kommen", sagte dieser mit seiner tiefen, unheimlich klingenden Stimme. "Tarak kann jeden Diener gebrauchen!"

"Tarak?", fragte Norjan.

Kryll erläuterte ihm schnell, was er bis jetzt über Tarak, den Herrn des Schattenlandes, wusste.

Hoffentlich glaubt er diesem mystischen Unsinn nicht! dachte der alte Ritter Norjan besorgt.

"Und wohin geht nun Eure Reise, mein König?"

"Ins Schattenland - zu Tarak!"

"Du irrst", ließ sich der Düstere nun vernehmen. "Wir werden nicht zu Tarak reisen, sondern an einen Ort, an dem wir mit ihm in Kontakt kommen können!"

Norjan und Lorson wechselten einen verwunderten Blick, hüteten sich aber davor, noch etwas dazu zu bemerken.

Wie kann er diesem Fremden nur so schnell vertrauen, durchfuhr es Norjan. Er wandte sich an den düsteren Mann.

"Wie ist Euer Name, Fremder?"

Der Diener des Schattenkönigs zögerte etwas, bevor er antwortete.

Dann sagt er leise: "Ich habe keinen Namen."

"Wollt Ihr mich auf den Arm nehmen? Jeder trägt einen Namen! Vielleicht wollt Ihr nur Eure wahre Identität verbergen...."

"Im Schattenland trägt niemand einen Namen - außer Tarak selbst."

Norjan atmete tief durch.

"Wie du willst, Fremder... Ich muss schon sagen, Ihr seid ein komischer Vogel. Ihr sagt Euren Namen nicht, Ihr verbergt Euer Gesicht..."

Nun mischte sich Kryll, der junge König ein. Ungeduld stand ihm im Gesicht geschrieben.

"Lasst es gut sein, Norjan! Wir sollten nun langsam aufbrechen! Gebt dem Namenlosen ein Pferd! Ich habe keine Lust, länger zu warten!"

*


Wenig später ritten die vier über die Zugbrücke und dann den schmalen Bergpfad hinab. Der Namenlose aus dem Schattenland führte die Gruppe an.

Je weiter sie ritten, desto unheimlicher wirkte dieser Fremde auf Kryll. Aber der junge König hütete sich davor, etwas zu sagen. Der Düstere hatte ihm schließlich genau die Dinge versprochen, nach denen er sich am meisten sehnte.

Der Namenlose führte die kleine Gruppe über schmale Bergpfade und enge Schluchten. Er blickte sich nicht ein einziges Mal um. Stur und folgte er seinem Weg und überließ es den anderen, ihm entweder zu folgen oder es nicht zu tun.

Diese Sicherheit, mit der er seinen Weg fand, erstaunte Kryll.

Er kennt sich in dieser Gegend gut aus, schoss es Kryll durch den Kopf. Aber das konnte nur bedeuteten, dass er nicht zum ersten Mal hier war und diese Gegend durchstreifte...

 

Oder waren es andere, finstere Mächte, die seinen Schritt lenkten und ihm den Weg wiesen?

Sein Gesicht, dachte Kryll. Warum liegt es stets im Schatten der Kapuze, selbst dann, wenn das Licht so fällt, dass es eigentlich erkennbar sein müsste?

Fast schien es Kryll, als wäre dort gar kein Gesicht unter der Kapuze, sondern nur eine namenlose, undurchdringliche Schwärze...

*


Ein Fluss schlängelte sich in Mäandern zwischen den Bergen hindurch. Es war eher ein großer Bach als ein richtiger Strom, aber die Menschen dieser Gegend nannten ihn 'den Fluss'.

"Wir werden hier unsere Pferde tränken und dann eine Rast einlegen!", kündigte der Namenlose an.

Wie selbstverständlich hatte er die Führung dieser Gruppe an sich gerissen. Und es gab niemanden, der sich dagegen wehrte - schon gar nicht der junge König.

Norjan nickte.

"Das ist eine vernünftige Idee", meinte er.

Sie ritten also ans Wasser heran, stiegen ab und ließen die Pferde trinken.

Es fiel Kryll auf, dass sich der Namenlose stets etwas abseits von den anderen hielt. Er war schweigsam und Kryll fragte sich, was im Innern dieses finsteren Fremden wohl vor sich gehen mochte...

Lorson trat indessen nahe an den König heran.

"Habt Ihr eigentlich schon einmal in Betracht gezogen, dass dies hier auch Falle sein könnte? Der König von Pragan hat schließlich nicht nur Freunde..."

"Nein, das habe ich nicht in Betracht gezogen, Lorson."

"Ihr seid unvorsichtig, mein König!"

"Ich weiß nicht warum. Ich kann es nicht erklären, aber ich traue diesem seltsamen Fremden... Vielleicht ist es diese seltsame Kraft, die er ausströmt..."

Dann wandte sich Kryll an den Namenlosen. "Wie weit müssen wir noch reiten, mein Freund?"

Er nennt ihn 'Freund', durchfuhr es Lorson.

Langsam wandte sich die finstere Gestalt des Namenlosen herum.

"Es ist nicht mehr weit, Kryll. Wir sind bald dort."

Kryll stellte sich breitbeinig und verschränkten Armen vor dem Namenlosen auf.

"Lorson meint, dass dies alles vielleicht eine Falle sein könnte!", stellte der König dann in herausfordernder Weise fest.

Der Namenlose wandte sich an Lorson.

Im Gesicht des Soldaten zeigte sich deutliches Unbehagen. Mit ausgestreckter Hand deutete er auf die Kapuze des Namenlosen.

"Zum Beispiel hat noch keiner von uns dein Gesicht gesehen! Das ist verdächtig! Warum willst du unerkannt bleiben, Fremder? Warum sagst du uns nicht deinen Namen?"

"Ich besitze keinen Namen", wiederholte der Fremde. Seine Stimme war ruhig und doch schien ihr Klang eine leise Drohung zu enthalten...

In Lorsons Tonfall hingegen mischte sich nun eine deutliche Spur von Furcht.

"Zeige dich, Mann aus dem Schattenland! Leg' deine Kapuze zurück, damit wir dich erkennen können!"

Der Namenlose schwieg eine Weile.

Dann tastete er mit seinen dürren, unwahrscheinlich langen Fingern nach dem Saum der Kapuze.

Mit einer schnellen Bewegung legte er sie dann zurück.

Entsetzt und fast starr vor Schrecken sahen Kryll, Norjan und Lorson auf den Namenlosen.

Der Fremde besaß kein Gesicht.

Sein Kopf war eine einzige schwarze Kugel, die metallisch glänzte.

"War es das, was du sehen wolltest, Lorson?", erkundigte sich nun der Namenlose mit fast flüsternder Stimme.

Vorsichtig legte er dann die Kapuze wieder über die Kugel, die sein Kopf war.

"So sehen also die Menschen des Schattenlandes aus", stellte Norjan fest.

Der Namenlose gab darauf keine Erwiderung.

Er wandte sich ab.

"Gut!", sagte Lorson. "Wir haben sein wahres Gesicht gesehen - das vielleicht auch nichts weiter, als eine geschickte Maske ist. Aber sagt das schon irgendetwas über seine Loyalität aus?"

Er wechselte einen kurzen Blick mit Norjan und wandte sich dann an Kryll. Der junge König spürte, dass zwischen den beiden Männern eine Art stillschweigender Einigkeit herrschte.

"Wie wollen wir wissen, ob uns der Namenlose nicht doch in eine Falle führt, anstatt zu diesem Tarak", sagte Lorson dann.

Norjan studierte indessen Krylls Züge.

Er glaubt an diesen mystischen Unsinn, durchfuhr es ihn dann.

Der Namenlose wandte den Kopf ein wenig in Richtung des Königs. Aber die Worte, die dann über seine Lippen kamen, waren ebenso an die beiden anderen Männer gerichtet.

"Vertrauen wir einander, so werdet ihr die mächtigsten Männer dieser Welt! Misstraut ihr mir aber, so wird Taraks Rache furchtbar sein!"

Die Worte des Namenlosen hatten in Krylls Ohren einen seltsamen Klang.

"Also gut!", meinte Norjan. "Reiten wir weiter! Reiten wir weiter; sehen wir, was hinter diesem ganzen Gerede steckt!"

Die Stimme des Namenlosen war kaum mehr als ein gefährliches Zischen, als er antwortete: "Du wirst noch sehen, wie groß Taraks Macht ist! Und dann wird es dir nicht mehr einfallen, so zu reden! Noch vor Einbruch der Nacht wirst du deine abfälligen Worte zurücknehmen, das prophezeie ich dir!"

Eine unheilschwangere, spannungsgeladene Stimmung schien die Luft zwischen ihnen erfasst zu haben und förmlich zum Vibrieren zu bringen.

"Große Worte!", stellte Norjan fest. Seine Lippen verzogen sich zu einem fast spöttischen Lächeln. Ich muss verhindern, dass sie ernstlich aneinandergeraten, wurde es Kryll in diesem Moment klar. Zu einer Auseinandersetzung durfte es auf keinen Fall kommen...

"Ihr werdet mir und Tarak noch dankbar sein!" Die Stimme des Namenlosen verriet eine schier grenzenlose Selbstsicherheit.

"Reiten wir endlich weiter!", rief Kryll hastig.

Norjan nickte.

"Wie Ihr meint, mein König!"

Er misstraut sogar mir, dachte Kryll, als er sich wieder in den Sattel schwang. Die anderen folgten dem Beispiel des Königs, wenn auch zunächst etwas zögernd.

Kryll, hörte, wie Lorson leise vor sich hin fluchte.

"Wir sollten dem Namenlosen eine Chance geben", sagte Kryll zu ihm gewandt.

Lorson nickte düster.

"Auch ich habe Euch gewarnt, mein König!"

Er war seinem König ein loyaler Gefolgsmann, ebenso wie Norjan. Aber für beide galt, dass sie im Augenblick die Meinungen ihres Herrschers nicht teilten.

Sie ritten schweigend.

*


Sie ritten in die kahlen praganischen Berge hinein.

Die kleine Gruppe erreichte schließlich eine steile, viele Meter hochreichende Felswand

Merkwürdig, dachte Kryll. Diese Felswand war annähernd glatt... Von klein auf war er in diesen Bergen umhergeklettert, aber so etwas hatte er noch nie gesehen!

"Wir sind am Ziel!", verkündete der Namenlose. Kryll sah das Erstaunen in den Gesichtern von Lorson und Norjan.

Und auch der König selbst wunderte sich. Mit gerunzelter Stirn wandte er sich an den Namenlosen.

"Wo ist Tarak denn nun, Namenloser?"

Der Namenlose deutete auf die Felswand.

"Seht nur!"

Kryll und seine Gefolgsleute starrten angestrengt auf den nackten, glatten Fels.

Etwas blitzte.

Waren es Sonnenstrahlen, die das glatte Gestein reflektierte?

Wieder blitzte etwas.

Was dann geschah, ging unsagbar schnell.

Ein Gesicht erschien auf der Felswand. Ein Gesicht mit finsteren Zügen und von einem gelben Bart umrahmt. Das rechte Auge wurde durch eine bestickte Filzklappe verdeckt.

"Ich bin Tarak!", donnerte eine gewaltige Stimme.

"Und ich bin Kryll von Arkull, der König von Pragan!", kam es - zwar erstaunt, aber dennoch selbstbewusst - zurück. "Dein namenloser Diener hat mir deine Hilfe versprochen!"

"Ich weiß, Kryll."

"So wirst du mir helfen?"

"Ja das werde ich. Aber alles hat seinen Preis, wie du vielleicht auch schon erkannt hast!"

"Was willst du?"

"Hör zu, Kryll! Das Schattenland, über das ich gebiete, ist gleichzeitig sehr nahe und unerreichbar weit entfernt."

"Das ist ein Paradoxon!"

"Ja, so scheint es. Mein Reich liegt in einer anderen Dimension, in einer anderen Welt. Um dir zu helfen, muss ich in deine Welt gelangen - ich und die Wesen, die mir dienen. Aber ich kann mit meinen Heerscharen erst in deine Welt gelangen, wenn es ein Tor zu ihr gibt. Die schwache Verbindung zwischen den Welten, die uns diese Unterhaltung führen lässt, reicht nicht aus. Du, Kryll, musst mir ein solches Tor errichten! Dann kann ich dir helfen!"

Krylls Augen verengten sich.

"Wenn du keinen Zugang zu dieser Welt hast, wie kam dann dein namenloser Diener hier her? Das verstehe ich nicht!"

Das Gesicht im Fels lachte freudlos.

"In ferner Vergangenheit existierte einst ein Tor zu deiner Welt, Kryll. Die Wesen des Schattenlandes konnten zwischen den Welten hin und her wandern. Aber dann wurde das Tor zerstört. Wahrscheinlich durch rebellische Magier, aber das konnte nie bewiesen werden. Viele der unseren blieben nun auf deiner Welt zurück, Kryll - und der Namenlose gehört zu ihnen. Ich habe sehr lange gebraucht, um wieder Verbindung zu deiner Welt zu bekommen. Es könnte ein neues Tor zwischen den Dimensionen errichtet werden! Aber ein solches Tor können wir nur mit Hilfe eines Menschen aus deiner Welt erbauen. Und Tarak hat dich dazu ausersehen!"

"Dann sag mir, was ich zu tun hätte!", forderte Kryll.

"Zwei Dinge musst du finden und dann hier an diesen Ort bringen! Da ist einmal der Ring von Kuldan - ein Ring mit magischer Gewalt. Und dann ist da der Spiegel von Uz - ein magischer Spiegel, der eine Art Dimensionstor sein kann. Beides muss hier her gebracht werden!"

Kryll atmete tief durch.