Drachenreiter und Magier: 4 Fantasy Abenteuer

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Der titanische Kampf - lange vor der Zeit und jenseits der Dimensionen - zwischen uralten Göttern und gewaltigen Drachen zog sich in die Länge.

Keine der beiden Seiten konnte anscheinend die Oberhand gewinnen.

Wann immer die Götter einen Drachen töteten, erhoben sich dafür vier neue aus dem aufgeschmolzenen Erdreich.

Vier Götter kämpften gegen die Abertausende von Drachen. Vier Götter, die sich einer Übermacht der gewaltigen, feuerspeienden Wesenheiten entgegenstellten.

Blaakon, der Gott der Ordnung, schwebte auf seiner Lichtbarke und richtete sein Zepter und Schwert in Richtung der angreifenden Drachen. Aus beidem drangen Feuerstrahlen, die die Drachen reihenweise verglühen ließen, noch ehe die meisten von ihnen die Flügel ausgebreitet hatten.

Arodnap, der blindwütige Gott des Chaos, der die Gestalt eines fellbehangenen Barbarenkriegers angenommen hatte, schlug mit seiner mit funkelnden Obsidiansplittern besetzten Keule auf den Boden, woraufhin Blitze zuckten, die die Drachen wie Spinnweben umfingen und sie anschließend zu Asche verglühen ließen.

Taykor, der Krieger auf dem sechsbeinigen Riesenpferd, schleuderte seinen Dreizack, der daraufhin magisch glühte und wie eine Sense durch die Reihen der heranstürmenden Drachen fegte. Anschließend kehrte diese magische Waffe wieder zurück in die ausgestreckte Hand Taykors, der sich auch Gott der Dunkelheit und Finsternis nennen ließ.

Sein Gesicht blieb hinter dem Helmvisier verborgen. Magie ließ den Dreizack den Weg zurück in seine ausgestreckte Pranke finden. Und Magie war es auch, die ihn anschließend wieder den Feinden entgegen schleuderte.

Ahyr trieb seinen Kriegswagen voran. Aus den Mäulern der zweiköpfigen Löwen, die diesen Wagen zogen, drang ein schwarzer Hauch aus insektenschwarmartigen Teilchen, die die Drachen einhüllten und vernichteten. Sie zerfraßen sie, so als würden diese winzigen Teilchen in Wahrheit aus kleinsten, gierigen heuschreckenähnlichen Geschöpfen bestehen, die ihren Hunger stillten.

Ahyr schwang dabei seine Streitaxt.

Es war eine monströse Waffe mit doppelter Klinge.

Der Gott des Lichts ließ den Stiel der Axt in seiner Hand um die eigene Achse drehen - und das auf eine Weise, die vollkommen jeglichen Naturgesetzen zu widersprechen schien. Aber an Dinge wie Naturgesetze war ein Wesen wie Ahyr nicht derselben Weise gebunden wie die Sterblichen. Die doppelte Axtklinge drehte sich wie ein Windrad. Ahyr brüllte magische Worte in einer Sprache, die selbst gemessen an den uralten Göttern alt war. Eine magische Sprache, mit der sich Materie beherrschen ließ und die in der Lage war, die Elemente selbst zu gehorsamen Dienern zu machen.

Die sich wirbelnd drehenden Axtklingen erzeugten Funken aus gleißendem Licht. Ein Feuerregen ging von dieser Axt aus und wo immer einer dieser magischen Funken auf einen Drachen traf, wurde dieser vernichtet.

Der Geruch von Schwefel hatte zunächst überall in diesem öden, steinigen Vulkanland geherrscht.

Schwefel, der durch den Atem der Drachen entstand - und manchmal auch einfach durch die Erdritzen empordrang.

Aber jetzt begann ein anderer Geruch vorherrschend zu werden.

Es war der Gestank von verbranntem Drachenfleisch.







4



Die Übermacht war unendlich groß. Um ihr zu begegnen, schufen die vier Götter immer wieder Heere, die sie unterstützten. Krieger, die sich dem Stein erhoben und blindwütig gegen die Drachen stürmten. Manche dieser Krieger waren mit der Kraft einer dunklen Göttermagie aufgeladen, sodass sie einen Drachen töten konnten, sobald sie ihn auch nur berührten. Die meisten dieser trollähnlichen, im wahrsten Sinn des Wortes aus dem Boden gestampften Kreaturen wurden bereits vernichtet, ehe sie ihren Drachenfeinden überhaupt nahe genug kommen konnten, um die Kräfte, die man ihnen eingegeben hatte, überhaupt wirksam werden lassen zu können.

Sie verbrannten in den Feuerstößen, mit denen die Drachen sie versengten. Oder wurden einfach von den mächtigen Pranken der Drachen erfasst und fortgeschleudert.

“So werden wir sie auf Dauer nicht besiegen”, meinte Blaakon schließlich resigniert. Der Gott der Ordnung war mit seiner Lichtbarke emporgestiegen, um sich einen besseren Überblick über das Schlachtgeschehen zu geben.

Die Horden der Drachen waren so zahlreich, dass man inzwischen glauben konnte, dass ganze Land bestünde nur aus aneinandergedrängten Drachenkörpern, die sich nach und nach erhoben, um gegen vier Götter in den Krieg zu ziehen. Ein einziges lebendiges Gewimmel war da unter ihnen und Schwaden von schwefeligen Dämpfen stiegen von dieser Drachenbrut empor.

Blaakon entschied sich dazu, einen mächtigen Zauber anzuwenden.

Einen Zauber, den er hatte vermeiden wollen, denn es gab keine Magie ohne Nebenwirkungen.

Und die häufigste Nebenwirkung jeglicher Magie war die Erschöpfung desjenigen, der sie anwendete.

Kräfte sind kostbar, so hatte Blaakons Maxime immer gelautet. Man durfte sie nicht verschwenden. Wer Kräfte unnötig verschwendete, ging das Risiko ein, dass irgendjemand den Augenblick der Schwäche bei einem erkannte - und ausnutzte.

Aber es gab keine andere Möglichkeit, erkannte Blaakon.

Die Drachen waren zu mächtig.

Der Kampf würde sich sonst über Äonen hinziehen und wahrscheinlich bis zur völligen Erschöpfung beider Seiten andauern.

Blaakon steckte sein Schwert ein und ließ das Zepter hinter seinem Gürtel verschwinden. Stattdessen streckte er seine Hände aus. Seine Augen begannen zu glühen. Seine Hände ebenfalls. Fledermausähnliche Geschöpfe - keines von ihnen größer als ein Finger - drangen in großer Zahl aus Augen und Händen des Gottes und bildeten einen Schwarm gleißender Fledertiere. Diese teilten sich mehrfach, um schon im nächsten Moment zu gleicher Größe wieder heranzuwachsen.

Innerhalb von Augenblicken wuchs dieser gleißende Schwarm daher unübersehbar an. Dann stürzte sich der Schwarm auf die Drachen. Dabei teilten sich die gleißenden Fledertiere immer wieder aufs Neue.

Die Drachen hatten diesem Schwarm nichts entgegenzusetzen.

Sie verbrannten unmittelbar nach einer Berührung mit diesen Wesenheiten.

Die Lichtfledertiere flogen oft einfach durch die massigen Drachenkörper hindurch und hinterließen eine Spur aus Brand und Drachenblut.

Der Schwarm teilte sich und bildete einen weiteren Schwarm. Und diese beiden Schwärme teilten sich schon nach kurzer Zeit ebenfalls, so wie auch jedes einzelne dieser schwirrenden Wesen, deren Flügelschläge so schnell waren, dass ein sterblicher ihre Gestalten nicht hätte erkennen können.

Die Anzahl der Drachen, die zur gleichen Zeit aus dem Erdreich emporwuchen, konnte mit dem Wachstum von Blaakons magischen Schwärmen nicht mithalten.

Die Drachenmacht wurde zusehends in ihre Schranken gewiesen.

“Mein Respekt vor dem Gott der Ordnung”, stieß Arodnap, der Gott des Chaos, bewundernd hervor, als er sah, wie sehr die Drachen innerhalb einer (zumindest gemessen an den Maßstäben der Götter) recht kurzen Zeitspanne dezimiert worden waren.

 

Arodnap stützte sich auf die Obsidiankeule.

Warum sich weiter verausgaben, wenn es nicht nötig war?, dachte er und sah zu, wie Blaakon von seiner schwebenden Lichtbarke aus der Drachenmacht Einhalt gebot.







5



Es dauerte noch eine geraume Weile, bis kein Drache mehr lebendig war. Bis zum Horizont häufte sich die Asche, zu der sie durch die Magie der Götter verbrannt worden waren. Hin und wieder war ein halber Kadaver übrig geblieben.

Ein gespenstischer Anblick.

“Die Aufgabe ist erfüllt”, sagte Taykor und steckte den Dreizack in das Futteral auf seinem Rücken. Der Gott der Finsternis öffnete sogar das Helmvisier.

Sein Gesicht lag allerdings trotzdem im Schatten.

Nur seine Augen glühten auf eine Weise, die Taykor eigen war.

“Ich glaube nicht, dass wir sie schon besiegt haben”, meinte Arodnap. Er kniete nieder und beugte sich dann zum Boden. Er legte ein Ohr an die Erde. Dann schlug er mit der Obsidiankeule auf den Boden. Diesmal bildeten sich keine Blitze, sondern sprühende Funken. Der Laut der dabei entstand war dumpf. “Da ist noch was”, glaubte er. “Es ist so, wie ich schon einmal zu euch gesagt habe: Wir können diese Drachen nicht alle besiegen. Das ist unmöglich. Es werden immer wieder aufs Neue einige von ihnen heranwachsen - und zwar schnell, dass wir mit dem Töten nicht hinterherkommen.”

Blaakon ließ seine Lichtbarke herabgleiten. Dann verließ der Gott der Ordnung dieses magische Gefährt sogar und stieg mit seinen Götterfüßen über den an vielen Stellen aufgebrochenen und rissigen vulkanischen Untergrund,.

Sein Blick blieb an einer Stelle haften.

Lichtstrahlen drangen aus Blaakons Augen und trafen auf das Gestein. Sie schmolzen es allerdings nicht auf, wie man es angesichts der außerordentlichen magischen Energien hätte erwarten können, die Blaakon zu eigen waren. Stattdessen drangen sie in die Tiefe vor.

Nach einigen Momenten verebbten die Strahlen aus Blaakons Augen.

Sein Gesichtsausdruck verfinsterte sich,

“Ja, unser ungehobelter Freund Arodnap hat leider vollkommen Recht.” Blaakon deutete auf den Boden zu seinen Füßen. “Dort unter uns, in den tiefsten Tiefen, die man sich nur vorstellen kann, regt sich etwas.”

“Was genau hörst du?”, wollte Taykor wissen.

“Den Herzschlag von Wesen, die - selbst gemessen an uns Göttern - gewaltig sind”, gab Arodnap Auskunft. “Sie sind zu Abertausenden da unten unter der Erde. Und ihr Zorn auf uns kennt keine Grenzen.”

“Kein Wunder - wo wir so viele von ihnen getötet haben!”, meinte Blaakon.

“Hörst du diesen ominösen Herzschlag auch?”, wollte Taykor wissen.

“Ich habe in die Tiefe GESCHAUT”, sagte dieser. “Und ich habe ihn GESEHEN.”

“Und du, Ahyr? Oder bist du zu sehr damit beschäftigt deine Löwen ruhig zu halten, die dich wahrscheinlich insgeheim am liebsten verspeisen würden, weil du sie so selten fütterst!”

“Meine Löwen sind unruhig, weil sie spüren, dass die Gefahr noch nicht vorüber ist”, sagte Ahyr. “Sie riechen die Drachen. Sie riechen den Schwefelatem, der aus den Spalten der Erde steigt. Und sie hören den Herzschlag der Bestien. Setz deinen albernen Helm ab, Taykor! Dann bist du nicht länger der einzige Taube unter den Göttern!”

Arodnap lachte.

Blaakon verzog nur ein wenig das Gesicht und hob eine Augenbraue. Sein Bart begann für einen Moment auf göttliche Weise zu leuchten.

Dann vollführte er eine ruckartige Bewegung.

“Da nähert sich jemand”, stellte er fest.







6



Eine graue Gestalt war erschienen. Niemand unter den Göttern hatte diese Gestalt kommen sehen. Niemand hätte erklären können, wie die graue Gestalt so plötzlich her gelangt war.

“Sieh an, ein Bekannter”, stellte Blaakon fest. “Was führt den Grauen Luun hier her?”

“Eine gute Frage”, meinte Taykor.

Es gab die Elben, deren Magie nach und nach immer schwächer geworden war - und es gab die Elfen, deren Magie demgegenüber so stark geworden war, dass sie sich irgendwann kaum noch in einer Welt dauerhaft und in stabiler Existenz zu halten vermocht hatten.

Und es gab die Grauen Elfen, von denen man sagte, dass sie sich mit Vorliebe in die Angelegenheiten der Menschen einzumischen pflegten, weil sie daraus irgendeine Art des Vergnügens zogen.

“Dass Graue Elfen sich auch in die Angelegenheiten der Götter einmischen, ist mir neu”, stellte Ahyr fest. “Was willst du von uns, Grauer Luun?”

Der Graue lächelte hintergründig.

“Ich denke, es gibt einigen Anlass, sich einzumischen” sagte der Graue Elf.

“Es steht dir nicht zu, dich in die Angelegenheiten der Götter zu mischen”, sagte Ahyr.

“Die Angelegenheiten der Menschen und die der Götter sind manchmal nicht voneinander zu unterscheiden”, erklärte Luun. “Indem ich mich in diesen Kampf einmische, mische ich mich in erster Linie in die Angelegenheiten der Menschen ein. Denn sie werden in diesem Land nicht einmal dann überleben können, wenn ihr so freundlich seid und ihnen eine Mauer baut, die sie vor den Drachen schützt!”

“Die Angelegenheit mit den Drachen ist erledigt”, sagte Taykor. “Wir haben sie besiegt.”

“Ich wette, dass alle deine Göttergefährten die Herzschläge der unter der Erde schlummernden Drachen gehört haben. Nur du nicht, weil du deinen Helm nicht absetzen wolltest! Nein, euer Gegner ist nicht besiegt. Was ihr jetzt erlebt, ist nur eine Kampfpause in einem Krieg, der ewig andauern wird. Ihr habt keine realistische Chance, die Drachen zu besiegen. Selbst mit all eurer Magie und all euren göttlichen Fähigkeiten seid ihr dazu nicht in der Lage.”

“Es gibt keine Macht, die den Göttern zu trotzen vermag”, behauptete Taykor.

“Da wäre ich mir nicht zu sicher”, erwiderte Luun. “Aber sei’s drum! Es mag sein, dass die Drachen euch nicht zu besiegen vermögen - aber ihr sie auf Dauer eben auch nicht. Dieser Kampf wird sich übe Äonen hinziehen, bis eine Seite erschöpft ist. Und ich wäre mir da nicht zu sicher, dass das die Seite der Drachen ist.”

Taykor nahm jetzt tatsächlich seinen Helm ab. Er kniete nieder, was an sich für einen Gott schon einmal sehr ungewöhnlich war. Aber anders hätte er unmöglich sein Ohr an den Boden legen können. Selbst Göttern sind hin hin und wieder natürliche Grenzen gesetzt.

Als sich sein Ohr am Boden befand, veränderte sich sein Gesichtsausdruck.

Fast so etwas wie Verstörung zeichnete sich darin ab.

Die Augen glühten dämonisch auf.

Taykor stieß einen dumpfen Knurrlaut hervor, der mehr an ein wildes Tier, als an einen Krieger erinnerte.

“Ich weiß, dass es dir schwerfällt es zuzugeben: Aber ich habe doch recht, nicht wahr?”, sagte Luun. “Nun, ich hätte mich nicht hierher bemüht, in diesen entlegenen Winkel einer entlegenen Welt in einer entlegenen Dimension des Multiversums, wenn es da nicht eine Lösung gäbe, um euer Problem zumindest zeitweilig zu entschärfen. Ich sage bewusst nicht, um es zu lösen, denn eine dauerhafte Lösung gibt es nicht.”

“Und da bist du dir so sicher?”, knurrte Taykor finster und setzte sich den Helm wieder auf. Manche sagten, dass jeder, der sein Gesicht sah, unweigerlich wahnsinnig wurde, und da Taykor zwar möglicherweise selbst wahnsinnig war, es aber hasste, von anderen Wahnsinnigen umgeben zu sein, hatte er es sich zur Angewohnheit gemacht, einen Helm zu tragen. Zumindest, wenn er in Gesellschaft anderer war.

Aber gewiss galt die Gefahr des Wahnsinns beim Anblick von Taykors Gesicht wohl nur für gewöhnliche Sterbliche. Nicht für andere Götter. Und auch nicht für jemanden wie Luun. Was die Grauen Elfen betraf, so wusste ohnehin niemand so genau, welche Regeln eigentlich für sie galten. Sie wechselten allerdings so häufig und unvermittelt zwischen den verschiedenen Dimensionen des Multiversums, dass dies ohnehin nicht weiter von Belang war.

“Die Drachen werden immer wieder aus der Tiefe emporsteigen, um euch doch noch zu besiegen!”

“Was aussichtslos ist!”, erklärte Taykor.

“Ja, so aussichtslos wie eure Absicht, diesen Kampf irgendwann endgültig beenden zu können.” Luun zuckte mit den Schultern. “Es ist bedauerlich, aber ihr solltet euch den Tatsachen am besten einfach stellen, und versuchen, euch darauf einzurichten.”

“Und was soll das in diesem Fall genau heißen?”, mischte sich jetzt Blaakon ein.

Der Gott der Ordnung war in seine Lichtbarke zurückgekehrt und es war für die anderen Götter bis zu diesem Zeitpunkt kaum erkennbar, in wie fern er das Gespräch zwischen Luun und den anderen Göttern überhaupt verfolgt hatte.

Eine gewisse Abgehobenheit schien für Blaakon durchaus charakteristisch zu sein.

“Der Graue Elf soll sich aus unseren Angelegenheiten heraushalten und meinetwegen die Sterblichen mit seiner Anwesenheit in Erstaunen versetzen”, knurrte Ahyr. “Ich bin seiner Anwesenheit überdrüssig.” Ahyr machte eine Bewegung mit der Hand, so als wollte er Luun damit hinwegscheuchen. Bei vielen anderen Geschöpfen, wäre Ahyr dies zweifellos auch gelungen, denn diese Bewegung war von starken magischen Kräften begleitet.

 

Aber Luun hielt stand. Ihm schienen die Kräfte des Gottes nichts anhaben zu können - oder er ließ es sich nur nicht anmerken. Das konnte man bei Luun nicht so genau sagen. Und obgleich jeder der vier Götter dem Grauen Elf schon bei anderer Gelegenheit begegnet war, hätte keiner von ihnen das wirklich einzuschätzen vermocht.

“Versuch nicht, mich einfach aus dieser Existenzebene des Multiversums zu verbannen”, sagte Luun. “Das ist doch deiner unwürdig. Du könntest ebenso gut deinen Kopf in den Sand stecken, vorausgesetzt, es gäbe in diesem öden Land so etwas wie Sand. Nein, auch wenn ihr es nicht gerne hört und es euch davor graut, dass ich es offen aussprechen: Ihr braucht Hilfe!”

“Pah!”, machte Taykor und schwang sich wieder auf sein riesenhaftes sechsbeiniges Pferd, das wie zur Unterstützung der Aussage seines Herrn und Meisters einen durchdringenden Laut von sich gab.

“Vielleicht sollten wir zuhören, was der Graue Elf für einen Vorschlag zu machen hat”, meinte nun Arodnap. “Ablehnen können wir das dann dann immer noch.”

“Oder bis in alle Ewigkeit gegen eine unermesslich große Drachenhorde kämpfen”, gab Luun zurück. “Wie ich schon erwähnte, habe ich mich dazu entschlossen, meinen Einfluss in dieser Angelegenheit geltend zu machen. Nicht um euretwillen. Was euch vier betrifft, so wäre es vielleicht sogar ganz gut, wenn ihr die nächsten Äonen auf diesem öden Schlachtfeld verbringen würdet. Ich habe jemanden herbeigerufen. Er müsste jeden Augenblick in dieser Ebene des Multiversums ankommen. Vielleicht hat er sich etwas verspätet. Manchmal wehrt sich jemand gegen so einen Transfer.”

“Da hinten kommt jemand”, stellte Blaakon fest und sah zum Horizont.

Ein Mann näherte sich. Er hatte zwei Schwerter über dem Rücken gegürtet.

“Wer ist das?”, fragte Ahyr. “Ein Gott, den wir nicht kennen?”

“Nein, kein Gott”, sagte Luun. “Aber hat eine ganze Welt gerettet, deren Sonne durch einen Himmelskörper verdunkelt wurde und zu vereisen drohte.”

“Dann ist er doch ein Gott!”, beharrte Ahyr. “Nur Götter verfügen über derartige Kräfte.”

“Nenn ihn einen Magier”, sagte Luun. “Zweifellos ist er der größte Magier seiner Welt - auch wenn man dort im Augenblick nicht sonderlich viel Verwendung zu haben scheint. Aber das kann niemanden verwundern. Wenn die Mächte des Bösen besiegt sind, hat man für Helden im allgemeinen keine Verwendung mehr. Das ist eine Art Naturgesetz, könnte man sagen.”

“Und du denkst, er könnte uns gegen die Drachen helfen?”, fragte Arodnap.

“Sein Name ist Gorian”, erklärte Luun. “Und noch etwas solltet ihr berücksichtigen.”

“Was?”, fragte Arodnap.

“Gorian glaubt, dass er träumt. Er glaubt, dass er sich in Wahrheit in einer Stadt namens Nelbar befindet, dass er in einem der sieben Türme dieser Stadt residiert. Er glaubt, dass er sein Lager mit seiner Gefährtin, einer Heilerin, teilt und dass, wenn er aufwacht, die Menschen der Stadt ihn verehren und feiern, weil sie ihm die Rettung der Welt verdanken. Für ihn ist das hier...” Luun machte einer ausholende, allumfassende Handbewegung, “...nur ein Traum. Ein Spiel, das er nicht ernstzunehmen braucht und das sich darum von den Machtspiele seiner eigenen Existenzebene sehr deutlich unterscheidet. Wie ihr euch denken könnt, sind ihm die Mächtigen seiner Welt durchaus dankbar für das, was er getan hat. Aber zweifellos würden sie es bevorzugen, wenn er nicht länger unter ihnen weilen würde...” Luun zuckte mit den Schultern. “Es ist schon eine gewisse Tragik. Dort, wo er herkommt, scheint man zurzeit für seine immensen magischen Kräfte keine Verwendung zu haben. Aber hier hätte man Verwendung dafür.”