Tamora - Im Sumpf des Lasters

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Tamora - Im Sumpf des Lasters
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Tamora

Im Sumpf des Lasters

Tamora

Im Sumpf des Lasters

von

Thomas Riedel

Bibliografische Information durch

die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über

http://dnd.d-nb.de abrufbar

1. Auflage

Covergestaltung:

© 2018 Thomas Riedel

Coverfoto:

© 2018 Sakkmesterke

Depositphotos.com, ID: 73770759

Impressum

Copyright: © 2018 Thomas Riedel Druck und Verlag: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

»In dieser Welt

mit ihrer schmutzigen Phantasie

ist man entweder jemandes Frau

oder jemandes Hure – oder

auf dem besten Wege, das eine

oder das andere zu werden.«

John Irving


Kapitel 1

Es war wieder einmal Flurwoche. Das Säubern des Treppenhauses gehörte nicht gerade zu ihren liebsten Beschäftigungen, aber der aushängende Reinigungsplan ließ ihr keine andere Wahl. Sie kam nicht umhin: Diese Woche war sie dran. Um ihr die leidige Angelegenheit ein bisschen zu versüßen und interessanter zu gestalten, hatte sich ihr dominanter Freund etwas Besonderes für sie einfallen lassen.

Mit einem wissenden und zugleich erwartungsfreudigen Lächeln tauchte Tamora den Feudel ins warme Wischwasser und wartete, bis er sich ordentlich vollgesogen hatte. Dann zog sie ihn aus dem Putzeimer, wrang ihn kurz aus und begann die Treppe zu wischen. Stufe um Stufe bewegte sie sich langsam rückwärts.

Ihr Freund hatte darauf bestanden, dass sie sich für ihn zurechtmachte und sie angewiesen, sich während der Reinigung des Treppenhauses auf gar keinen Fall umzudrehen – gleichgültig dessen, was immer auch passieren würde.

Tamora hielt sich an die Abmachung. Auch als sie Schritte im Hausflur vernahm, wendete sie nicht ihren Kopf, um nachzusehen, wer da kam. Schließlich gehörte es zum Spiel, dass er sie beim Putzen überraschte. Still hoffte sie, dass es auch tatsächlich ihr Freund war, der da gemächlich die Treppe hinaufschritt. Anderenfalls hätte sie jetzt ganz rasch das Weite gesucht. So, wie sie im Augenblick gekleidet war, wollte sie sich nur ungern von ihren Mitbewohnern erwischen lassen.

Bevor sie ihre Wohnung verließ, hatte sie sich für ihn aufgestylt – entsprechend seiner Haftnotiz, die immer noch am Badezimmerspiegel klebte. Sie war in eine schwarz-rote Lederkorsage geschlüpft und hatte ihre hauchzarten schwarzen Nahtstrümpfe an den sechs Strapsen befestigt. Wie gefordert hatte sie auf den dazugehörenden Slip verzichtet. Um nicht völlig entblößt zu sein, war sie nicht umhingekommen, das Outfit um einen kurzen Lederrock zu ergänzen, bevor sie in ihre High Heels geschlüpft war. Sie wusste, dass es nicht seiner gewünschten ›Kleiderordnung‹ entsprach, und dass sie deswegen Strafe zu erwarten hatte – aber da musste sie notfalls durch. Ihr Aufzug im Hausflur war ohnehin schon peinlich genug und in gewisser Weise reizte sie der Gedanke bestraft zu werden sogar.

Auf das Spiel war sie auch nur eingegangen, weil sie sich um diese Zeit allein im Haus wähnte. Die alleinstehenden Eigentümer der übrigen drei Wohnungen waren um diese frühe morgendliche Stunde bereits alle auf dem Weg zu ihren Arbeitsstellen.

Da war jedenfalls jemand im Treppenhaus. Deutlich vernahm sie die immer näher kommenden Schritte. Ihre innere Anspannung wuchs.

Es fiel ihr schwer sich nicht umzudrehen, aber sie hielt sich an die ihr gestellte Aufgabe. Auch als die Person hinter ihr stehenblieb, verhielt sie sich ganz ruhig und gab keinen Laut von sich. Sie tat unbekümmert, so, als sei es das normalste von der Welt, in ihrem Aufzug die Treppen zu wischen.

Für sie stand fest, dass es sich nur um ihren Freund handeln konnte, der in diesem Augenblick fasziniert ihr ungenügend bekleidetes Hinterteil anstarrte, das sich unter dem eng anliegenden Minirock abzeichnete. So, wie sie ihn kannte, ließ er in diesem Moment seinen Blick über ihre bestrumpften Beine auf- und abwandern und geilte sich an dem Anblick auf, den sie ihm bot.

»Na, gefällt dir, was du siehst, mein Herr? … Ich war gehorsam. Entspricht es dem, wie du es von mir erwartet hast?«, erkundigte sich Tamora sanft und wackelte leicht provokant und einladend mit ihrem Gesäß. »Bediene dich, wenn dir danach ist. Du brauchst dich nicht zurückhalten. Es gehört alles dir. Du wirst sehen, wie feucht mich der Gedanke an unser Spiel bereits gemacht hat.«

Das war keineswegs übertrieben. Schon beim Ankleiden war sie so erregt gewesen, dass sie es sich am liebsten selbst gemacht hätte. Nur mit Mühe hatte sie sich zurückhalten können.

Der Unbekannte ließ sich nicht lange bitten.

Ohne ein Wort zu sagen, streckte er seine Hand aus und begann damit hingebungsvoll ihren knackigen Hintern zu streicheln. Nach einer Weile widmete er sich ihren langen Beinen. Immer wieder strich er sanft über ihre Strümpfe. Dabei ließ er seine Fingerspitzen langsam an der Außenseite ihrer Beine hinabgleiten, nur um sich gleich darauf, behutsam und ebenso langsam, über die Innenseite hinauf ihrer Scham zu nähern.

Erwartungsvoll verharrte Tamora in ihrer gebückten Haltung auf den mittleren Treppenstufen. Sie hielt ihre Augen geschlossen und genoss die Liebkosungen in vollen Zügen.

Plötzlich trat der Unbekannte näher an sie heran. Sie registrierte, wie er seinen Unterleib gegen ihr Gesäß drückte, empfand den Griff seiner kräftigen Hände an ihren Brüsten und fühlte das zarte Kneten.

Tamora spürte, wie ihre Erregung zunahm und sie sich nichts sehnlicher wünschte als jeden Augenblick von ihm brutal genommen zu werden. Sie wollte ihn in sich fühlen, hart und ausdauernd.

Als der schweigsame Mann an seiner Hose zu nesteln begann, kam ihr ein fürchterlicher Gedanke.

Was, wenn er gar nicht mein Freund ist? Vielleicht ist ja einer meiner Nachbarn überraschend zurückgekehrt?

Sie dachte kurz darüber nach, ob sie sich nicht besser umdrehen und vergewissern sollte, mit wem sie es da zu tun hatte – entschied sich aber dagegen. Damit würde sie alles kaputt machen und die berauschende Magie des Augenblicks zerstören.

Im Haus gab es vier kleine Wohnungen. Tamora kannte jeden der Eigentümer.

Ich frage mich, wer von ihnen wohl über genügend Dreistigkeit verfügt, meine Situation derart schamlos auszunutzen? Wer sich da hinterrücks an mir zu schaffen macht ohne mich über den Irrtum aufzuklären?

»Bist du es, Schatz?«, erkundigte sie sich, bekam aber nach wie vor keine Antwort.

Trotz ihrer Unsicherheit rührte sie sich nicht vom Fleck und ließ es geschehen, dass der Unbekannte mit sanftem Druck ihre Schenkel zu öffnen begann. Gleich darauf presste er ihren Körper fest an sich heran und ließ seine Hände forsch in ihren Schritt gleiten. Ohne lange Umschweife schritt er direkt zur Tat.

Tamora wurde von einer Woge erotischer Erregung mitgerissen. Noch immer wusste sie nicht, mit wem sie es zu tun hatte, aber das war ihr in diesem Augenblick völlig egal. Jetzt wollte sie nur eines: seine Männlichkeit in sich spüren und die Wogen der Ekstase genießen.

Den unmittelbaren Eigentümer der Nachbarwohnung klammerte sie von vornherein aus. Mr. Chapman war ein 55-jähriger, verwitweter Beamter – viel zu penibel und korrekt, als dass er spontan eine derart verlockende Gelegenheit ausgenutzt hätte.

Obwohl, dachte sie, haben es nicht gerade diese stillen Typen faustdick hinter den Ohren?

Die Räume unterhalb ihrer Wohnung hatte ein katholischer Priester bezogen, und zwar einer von der modernen Sorte. In seiner Freizeit ging er ab und zu mal in Szenekneipen. Sie hatte ihn dort schon mehrfach gesehen. Natürlich war ihr bewusst, dass er als Geistlicher moralisch verpflichtet war, gewisse Bedürfnisse zu unterdrücken. Und dennoch waren derartige Begierden sicher auch bei einem Mann der katholischen Kirche vorhanden. Es lag also durchaus im Bereich des Möglichen, dass er es war, der in diesem Moment mit ihr ›sündigte‹.

Neben dem Pfarrer wohnte der 30-jährige Friseur Roger Dixon. Tamora hatte ihn noch nie zusammen mit einem Mädchen gesehen, doch sie war ihm schon des Öfteren in Begleitung eines jungen, gutaussehenden Mannes im Flur begegnet. Die unmittelbaren Nachbarn erzählten sich, die beiden hätten ein Verhältnis miteinander. Sie wusste nicht, ob dies dem Vorurteil geschuldet war, dass Männer jener Berufsgruppe grundsätzlich vom anderen Ufer waren. Letztlich war ihr das völlig egal. Sie empfand es keineswegs als anstößig, wenn jemand homosexuell war.

Aber kann ich ihn deswegen automatisch aus dem Kreis der Verdächtigen ausschließen? Immerhin ist es nicht völlig auszuschließen, dass mein reizvoller Anblick in ihm plötzlich die wundersame Vorliebe für das weibliche Geschlecht erweckt hat, oder?

Sie lachte in sich hinein.

Denk nicht immerzu darüber nach, sagte sie sich, sonst bringst du dich noch um den größten Genuss deines Lebens. Wer immer es sein mag, er versteht es eine Frau glücklich zu machen.

Während sie noch ihre Vermutungen darüber anstellte, wer sich da an ihr zu schaffen machte, war der Mann dazu übergangen ihren Kitzler mit den Fingern zu stimulieren – und ihr lustvolles Stöhnen reflektierte im halbhoch gefliesten Hausflur. Nach und nach wurde sie lauter und sie dachte nicht mehr darüber nach, dass man es inzwischen wohl auch in den Kellerräumen hören konnte.

 

»Fick mich endlich!«, forderte sie ihn keuchend auf. Sie spürte wie es ihr bereits feucht an den Innenschenkeln hinunterlief. »Ich will deinen Schwanz in mir spüren!«

Der Mann drückte sein Becken jetzt noch fester gegen ihren Po. Sie fühlte den Druck, ehe sein Schwanz bis zum Anschlag in sie eindrang. Langsam näherten sie sich im Rhythmus an. Er nahm sie hart und fest, wie sie es mochte, mal schneller, mal langsamer und umspielte mit seinen Händen ihre Brüste.

»Los mach schneller, fester, härter!«, feuerte sie den Unbekannten an. »Ich brauche das! Besorge es mir, so als wäre es das letzte Mal! Fick mich! … Komm schon! … Schneller!«

Schon kurz darauf brachte er sie an den äußersten Rand körperlicher Lust.

Tamora stand kurz vor ihrem Orgasmus und auch ihr unbekannter Liebhaber schien es nicht mehr länger auszuhalten. Sie spürte ganz deutlich das heftige Pulsieren seines Schwanzes und wusste, dass er gleich abspritzen würde.

»Lass es kommen!«, flüsterte er ihr ganz leise ins Ohr. »Jetzt! Gemeinsam mit mir!«

Tamora machte sich nicht mehr die Mühe, zu versuchen, seine Stimme zu identifizieren. Stattdessen ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf …

Aber genau in der Sekunde, als sie einen Aufschrei der Lust in den Hausflur schreien wollte, wurde sie plötzlich und völlig unerwartet vom schrillen Läuten des Telefons aus dem Schlaf gerissen.

»Verdammte Scheiße!«, fluchte sie erwachend und jede gute Erziehung vergessend. »Muss das Telefon immer im schönsten Augenblick klingeln? Eine Minute noch, … und dieser Kerl hätte mich zur Explosion gebracht!« Sie seufzte. »Der war so ganz anders als mein Freund, mit dem schon lange nichts mehr läuft.«

***


Kapitel 2

Tamora nahm das Mobilteil ihres Telefons zur Hand und drückte auf das grüne Hörersymbol für die Gesprächsannahme. »Jaaaa …?«, sagte sie und suchte ein Gähnen zu unterdrücken.

»Du klingst ja noch ganz schlaftrunken. Jetzt sag nur nicht, dass ich dich geweckt habe«, entschuldigte sich die Anruferin. »Ich bin wirklich davon ausgegangen, du wärst schon längst aufgestanden.«

»Heute wollte ich mal ein, bis zwei Stunden länger liegen bleiben … Du hast mich gerade aus einem irre schönen Traum gerissen, May«, stellte Tamora leicht verärgert fest. Sie hatte die Stimme ihrer Freundin direkt erkannt, auch ohne dass May ihren Namen nannte. »Was hast du denn auf dem Herzen?«

»Ich wollte eigentlich nur wissen, ob du Zeit hast? Du hast mir doch aufgetragen, dass ich dich anrufen soll, wenn ›Sie‹ wieder da ist.«

Tamora überlegte kurz, aber ihr fiel nicht ein, worauf May gerade hinauswollte. »Was meinst du, May. Hilf mir mal auf die Sprünge.«

»Na, ich meine die Prostituierte, an der du Interesse hattest ... Du hast heute Morgen aber eine echt lange Leitung«, erwiderte May lachend.

»Ach, richtig! Stimmt ja, darüber haben wir gesprochen.«

»Ich war vor einigen Minuten mal kurz unten im Salon und da kam sie gerade herein … Also, ich meine, wenn du willst, dann kannst du ja hereinschauen. Ich habe ihr davon aber noch nichts gesagt. Weißt du, … sie ist etwas merkwürdig.«

»Mit einem Wort, du und deine Angestellten, ihr meidet sie, wenn es geht, oder?«

»Na, so kann man das nun aber auch nicht sehen. Immerhin verdienen wir ja gut an ihr. Dennoch hat sie es nicht gern«, stellte May fest.

»Was?«

»Dass man sich viel mit ihr unterhält. Ob du das jetzt immer noch machen willst, musst du selbst wissen. Ich habe mein Versprechen jedenfalls eingehalten und dich verständigt.«

»Weiß dein Mann eigentlich davon?«, erkundigte sich Tamora.

»Er hat nichts dagegen einzuwenden. Er meint, es sei ausschließlich deine Sache.«

Tamora dachte kurz nach. Zeit hätte ich ja, das wäre kein Hinderungsgrund. Soll ich wirklich hingehen oder es lassen?

»Sag mal, bist du noch da?«, meldete sich May nach einer Minute des Schweigens.

»Natürlich.«

»Und … was meinst du? Hast du es dir überlegt?«, erkundigte sich May voller Neugierde.

»Ja, einverstanden«, erwiderte Tamora entschlossen. »Ich werde gleich bei dir vorbeischauen.«

May lachte. »Du musst dich wohl erst überwinden?«

»Na ja, so ganz alltäglich ist das nicht.«

»Nun, wie auch immer … dann sag ich mal: bis gleich.«

»Ja, bis gleich.« Tamora beendete das Gespräch. Eine Weile starrte sie nachdenklich aus dem Fenster auf die Straße hinunter. Soll ich es wirklich machen? Hm, … Aber irgendwie bin ich mir selbst gegenüber dazu verpflichtet. Ist schon ein komisches Gefühl. »Ach, alles Quatsch!«, schimpfte sie sich plötzlich laut. »Jetzt sollte ich nicht mehr groß überlegen. Es ist doch letztlich ganz einfach. Mehr als Nein sagen, kann sie ja nicht … Also, … nur zu!«

*

Schnell hatte sie sich frisch gemacht, angezogen und etwas aufgehübscht. Mit ihrem Wagen fuhr sie in die Londoner Innenstadt. Schon seit einigen Jahren wohnte sie etwas außerhalb in ›Twickenham‹. Das hatte zwar den Nachteil eines etwa zehn Meilen längeren Anfahrtsweges, wenn sie in die City wollte, doch hatte sie dort die ständige lästige Parkplatzsuche, der Lärm und letztlich die wahnsinnig hohe Miete gestört. Als sie die hübsche Eigentumswohnung im Vier-Familien-Haus in der ›Pope’s Avenue‹ gefunden hatte, im Ortsteil ›Strawberry Hill‹, nahe dem Golf Club, war sie vor Freude in die Luft gesprungen.

Sie war ein eher naturverbundener Mensch und wäre es nach ihr gegangen, so hätte sie sich am liebsten irgendwo in der Wildnis, fernab jeder Zivilisation, vergraben. Sie träumte von einem kleinen Haus, guter Musik und ihrer Arbeit. Damit wäre sie schon glücklich gewesen, aber im Augenblick war all das nicht drin. Später einmal, in einigen Jahren, wenn es ihr finanziell besser ging, ja, dann wollte sie ihre Pläne verwirklichen.

Auch an diesem Morgen war sie beruflich unterwegs. Aber das verstanden die wenigsten aus ihrem Bekanntenkreis. Sie waren mehrheitlich der Ansicht, dass Tamora ihr Geld im Schlaf verdiente oder sich danach auf der Straße nur zu bücken brauchte. Dabei ging sie einem harten Job nach, nur wollte davon kaum einer etwas wissen:

»Du bist doch immer zu Hause und hast keinen Chef. Du kannst tun und lassen was du willst.«

»Ihr seid mir gut«, antwortete sie dann jedes Mal. »Na, eines Tages stelle ich ihn euch vor, dann werdet ihr staunen, weil auch ich einen Boss habe.« Nein, sie nahmen es ihr nicht ab. »Also ist eurer Meinung nach, nur derjenige ein schwer arbeitender Mensch, der morgens aus dem Haus geht und in einem Büro seine Brötchen verdient?«

»Ja.«

»Gut, was hindert mich daran anderswo, außerhalb meiner eigenen vier Wände, ein Büro einzurichten? Das wird sogar vom Fiskus anerkannt. Dann würde auch ich aus dem Haus gehen, um meinen Lebensunterhalt zu verdienen.« Tamora amüsierte sich köstlich. Damit hatte sie alle in die Enge getrieben.

»Das ist noch immer ein Unterschied«, gaben einige zu bedenken.

»Seht ihr«, riefen andere fröhlich, »jetzt gibt sie endlich zu, dass sie es besser hat als wir.«

»In Manchem habe ich es tatsächlich besser. Ich bin keine Angestellte und in die korsetthaften Abläufe eines Betriebes eingeschnürt. Allerdings bekomme ich auch kein Weihnachts- oder Urlaubsgeld. Bei mir ist wirklich einiges anders. Bezahlter Urlaub? … Wenn ich Ferien machen will, dann verdiene ich nichts.« Warum muss ich nur gerade jetzt wieder daran denken?, fragte sie sich und grübelte darüber nach. Ach ja, richtig, ich bin beruflich unterwegs: in diesem Augenblick.

Eigentlich gab ihr Beruf sie niemals frei. Er war immer da. Andere Leute schlossen abends im Büro die Schubladen ab und hatten für viele Stunden ihre Ruhe – sogar geregelte Freizeit an den Wochenenden – und sie? Ich hätte niemals Schriftstellerin werden sollen, dachte sie spontan und fragte sich: Wie bin ich eigentlich dazu gekommen?

Sie wollte sich gerade weiter den Kopf darüber zerbrechen, als sie im letzten Augenblick Mays Einfahrt bemerkte. Gedankenversunken wäre sie beinahe an ihr vorbeigefahren. »Noch mal gut gegangen«, murmelte sie halblaut vor sich hin. »Ich sollte während der Fahrt nicht meinen Gedanken nachhängen.« Sie nahm ihre Handtasche vom Beifahrersitz, schloss den Wagen ab und schritt über die Stufen zum Haus hinauf.

May musste sie vom Fenster aus schon gesehen haben, denn noch bevor sie an der Tür läuten konnte, wurde ihr bereits geöffnet.

»Komm rein! Es ist wirklich eine Seltenheit, dich zu sehen. Du machst dich ganz schön rar«, begrüßte ihre Freundin sie mit einem strahlenden Lächeln.

»Weißt du …«, begann Tamora zögernd, »ich bin mir nicht wirklich sicher, ob es richtig ist, dass ich hergekommen bin.«

May war einer der wenigen Menschen, der sie verstand. »Verstehe mich nicht falsch. Ich klage ja gar nicht und bin schon mit den Brotkrümeln zufrieden, die ich von dir bekomme. Es ist einfach jammerschade, dass wir uns nur so selten sehen. Aber du weißt ja, ich habe auch immer sehr viel um die Ohren. Manchmal denke ich, ich muss meine Prioritäten ändern.«

»Du ahnst nicht, wie oft ich mir das auch schon gesagt habe«, nickte Tamora lächelnd. »Meinst du nicht, wir sollten lieber gleich nach unten gehen? Sonst ist sie am Ende noch weg und alles war vergeblich?«

»Da mach dir mal keine Sorgen«, meinte May schmunzelnd, legte Tamora einen Arm auf die Schulter und zog sie in den Flur. »Sie lässt sich gerade eine Dauerwelle legen und du weißt ja selbst, wieviel Zeit das in Anspruch nimmt. Weißt du was? Jetzt kommst du erstmal mit und ich mache uns einen ordentlichen Kaffee. Du kannst bestimmt einen brauchen, nachdem ich dich aus dem Schlaf gerissen habe. Du hattest sicher noch keinen, oder?«

»Stimmt, eine gute Idee«, erwiderte Tamora und folgte ihrer Freundin in die Küche.

»Sag mal, wann hast du denn das letzte Mal mit einer Prostituierten gesprochen?«, erkundigte sich May, während sie einen Kaffeepad in die Maschine einlegte und einen Becher auf die Tassenfläche stellte.

»Weißt du, das überlasse ich für gewöhnlich anderen, ich bleibe gern im Hintergrund. Zumeist recherchiere ich im Stillen von zu Hause aus. Das Internet ist eine echte Fundgrube. Außerdem habe ich eine umfassende Bibliothek, wie du ja weißt.«

»Ich verstehe, du willst unerkannt bleiben«, erwiderte May.

»Du weißt doch selbst, wie schnell sich die Leute das Maul zerreißen … Erst neulich habe ich wieder einen neuen Verehrer bekommen«, verriet Tamora ihr.

»Echt? Schon wieder?«, May lachte herzlich.

»Ja, tatsächlich! Diesmal ist es mein Postbote. Er wunderte sich, weil ich immer so viele Briefe von meinem Verleger bekomme. Da fragte er mich. Das Verlagshaus war ihm durch seine Frau bekannt, die wohl viel liest und deshalb wurde er aufmerksam.«

»Und was hast du gemacht?«

»Ach, ich habe ihm welche geschenkt, … Romane meine ich. Von den Freiexemplaren, die ich immer bekomme«, erwiderte Tamora.

»Auch von deiner ganz speziellen Serie?«, hakte May mit einem frechen Grinsen nach.

»Nein, natürlich nicht!«, gab Tamora lachend zurück. »Wo denkst du hin?! Ich bin doch nicht verrückt!«

»Warum nicht?«, setzte May herausfordernd nach. »So prüde bist du doch nicht.«

»Hat ja auch nichts mit Prüde sein zu tun«, entgegnete Tamora. »Ich will einfach nicht bekannt sein wie ein bunter Hund. Ich finde es schon schlimm genug, dass es dieser und jener weiß.« Sie sah ihre Freundin offen an. »Du weißt sehr genau, dass ich das nicht wirklich mag.«

»Warum eigentlich?« May erwiderte ihren Blick neugierig. »Ich glaube, wenn ich so schreiben könnte: Ich fände das schon ziemlich cool.«

»Ich schätze die blöde Fragerei nicht. Die Leute sollen mich schlicht in Ruhe lassen. Ich will einfach nicht über meine Arbeit erzählen. Es sind eh immer dieselben Fragen … und wenn ich es dann ausnahmsweise doch einmal mache, nimmt mir keiner die Schriftstellerin ab. Dieses wissende Lächeln nach dem Motto: du kannst ja viel erzählen! … Ach May, diesbezüglich hat sich nichts geändert.«

»Tja, wie man sich bettet, so liegt man, Süße!«

 

»Ich frage mich, was sie daran reizt?«, reagierte Tamora ein wenig verletzt, während May zwei große Pötte mit frischem Kaffee auf den Küchentisch stellte.

»Du, das kann ich dir erklären«, meinte sie dabei unbefangen.

»Ach, tatsächlich?« Tamora hob ihre Augenbrauen.

»Schau mal, … jeder Beruf lässt sich erlernen. Man macht entweder eine Lehre, so wie Liam und ich, oder studiert, wie dein Freund. Das ist es, was ich meine.«

»Soweit schon klar …«

»Und deine Schriftstellerei, die ist nicht wirklich erlernbar, oder etwa doch?«

Tamora überlegte, während sie leicht in den Kaffeepott pustete, um anschließend daran zu nippen. »Na ja, … dieses Talent hat man wohl einfach, oder auch nicht. Warum ich es habe, kann ich dir nicht sagen. Obwohl, natürlich kann man das grundlegende Handwerkszeug erlernen.«

»Betrachte es doch mal anders und sage dir, da ist eine Menge Neid im Spiel, und dass sie es dir deshalb madig machen wollen.«

Tamora dachte über Mays Worte nach. »Das mag vielleicht stimmen, aber wir sollten uns daran jetzt nicht festquatschen, sonst vergesse ich noch, warum ich eigentlich hier bin. Ich habe auch gar nicht so viel Zeit.«

»Das kenne ich von dir ja nicht anders. Aber ich muss mich auch sputen, gleich kommen die Kinder von der Schule zurück. Na komm, ich bringe dich nach unten.«

*

May betrieb mit ihrem Mann einen größeren, gutgehenden Friseur- und Kosmetiksalon Zu ihren Kunden gehörte auch eine Dame des horizontalen Gewerbes, die seit langem regelmäßig zu ihnen kam. Als May ihrer Freundin einmal beiläufig davon erzählt hatte, war Tamora direkt darauf angesprungen und hatte verlauten lassen, dass sie die Frau gern irgendwann einmal kennenlernen würde. May hatte ihr daraufhin zugesichert, anzurufen, wenn sie wieder im Laden wäre – und heute war es nun soweit.

Als sie ins Geschäft hinunterkamen wurde Tamora von Mays Mann Liam begrüßt. »Na, bist du mal wieder auf der Suche nach neuem Material?«, erkundigte er sich lächelnd.

»Ganz recht, Liam, bin ich«, erwiderte sie augenzwinkernd.

»Dann wünsche ich dir viel Erfolg.«

»Wo sitzt sie denn?«, mischte sich jetzt May fragend ein.

Liam deutete mit einer Handbewegung auf eine der hinteren Kabinen.

May und Liam Reynolds Geschäft war ein schicker, sehr modern eingerichteter Salon, aber dennoch hatten sie ein paar der alten Kabinen aus früheren Tagen beibehalten. Einerseits aus Sentimentalität, andererseits kamen sie damit dem Wunsch einiger Kundinnen entgegen, die es vorzogen etwas abgeschieden und für sich allein zu sein. Auf Nachfrage hatte eine ältere Dame einmal lächelnd geantwortet, dass es ihr unangenehm sei, wenn sie sich die Haare färben ließ und es alle wüssten. Schließlich müsse es ja nicht gleich von jedem in der Nachbarschaft breitgetreten werden.

Vor der besagten Kabine stand ein eleganter Paravent.

»Den macht sie immer zur Bedingung«, erklärte May.

»Und ich dachte, ihr macht das von euch aus«, bemerkte Tamora.

»Warum sollten wir?«, hakte May nach und sah ihre Freundin überrascht an.

»Na, zum Schutz der anderen Damen!«, reagierte sie mit einem breiten Grinsen. »Obwohl die ja nicht wirklich wissen können, was sie beruflich treibt.«

Alle Kundinnen saßen im Augenblick unter den Hauben. Sie konnten nicht hören, was gesprochen wurde.

May schob den Wandschirm etwas zur Seite. Ihr Mann hatte der Frau gerade eine Tinktur aufgetragen, die nun für einige Zeit einziehen musste.

Als sie May und Tamora in ihrer Kabine sah, setzte sie ein abweisendes und mürrisches Gesicht auf. Zwar kannte sie May, musste sich aber fragen, wer denn das andere Weibsbild sei und starrte sie entsprechend an.

In diesem Augenblick fühlte sich Tamora nicht recht wohl in ihrer Haut. Nicht, weil sie wusste, auf welche Weise diese Frau ihren Unterhalt bestritt, sondern aus einem ganz anderen Grund: Sie versetzte die Frau in eine peinliche Lage und brach in ihre Welt ein – eine Welt, die sie nichts anging.

May hatte den ungehaltenen, ja fast schon verärgerten Blick ihrer Kundin sofort bemerkt und reagierte schnell: »Chloe, ich möchte Ihnen meine Freundin Tamora vorstellen.«

»Und warum? Will sie mich wie ein Tier im Zoo begaffen?«, reagierte die Frau abweisend und warf May einen zornigen Blick zu. »Wenn das jetzt hier zu einer neuen Gepflogenheit wird, bin ich das letzte Mal hier gewesen.«

May war rot angelaufen. Jetzt wechselte ihre Gesichtsfarbe und sie wurde blass. »Nein, nein!«, erwiderte sie hastig. »So ist das doch gar nicht gemeint, Chloe! Darf ich es bitte erklären?«

Tamora hielt sich schweigend im Hintergrund. Chloe sah sie boshaft an. »Da bin ich aber gespannt!«, grollte sie. »Will sie vielleicht ein Autogramm von mir?« Dabei lachte sie abfällig. »Nackfotos zum signieren habe ich leider nicht zur Hand!«

»Nein, … meine Freundin ist Schriftstellerin, und würde Sie gern kennenlernen.«

»Ach, nein!« Für einen kurzen Augenblick trat auf Chloes Gesicht ein Ausdruck der Verblüffung. Dann sah sie Tamora mit einem spöttischen Blick von der Seite an.

»May, ich glaube, ich komme jetzt ganz gut allein zurecht«, schaltete sich Tamora ein. »Wenn du nur noch so lieb wärst, mir einen Stuhl zu bringen?«

»Ja, sicher.« May wandte sich ab und verschwand.

Chloe sah Tamora immer noch abweisend an. »Ich kann mich nicht erinnern schon Ja gesagt zu haben«, knurrte sie bissig. »Ich habe echt kein Interesse!«

»Das kann ich durchaus verstehen«, antwortete Tamora ruhig, »aber vielleicht geben Sie mir dennoch eine Chance?«

May war mit einem Stuhl zurück, schob ihn ihrer Freundin zurecht und zog sich zurück, nicht ohne die spanische Wand direkt wieder an ihren vorherigen Platz zu schieben.

»Jetzt werden die Ehehuren da hinten aber ihre Ohren weit aufsperren!«, meinte Chloe verächtlich.

»Das denke ich nicht«, erwiderte Tamora lächelnd. »Die sitzen doch alle unter ihren Hauben und können nichts von dem hören, was hier gesprochen wird. Abgesehen davon sieht man Ihnen doch gar nicht an, was Sie beruflich machen.«

»Was willst du eigentlich von mir? Brauchst du vielleicht Ratschläge, weil du selbst auf den Strich gehen willst?«, reagierte sie mit scharfem Unterton, ohne auf Tamoras Einwand einzugehen. »Soll ich dir ein paar Tipps geben?«

Tamora musterte die junge Frau eingehend, aber nicht aufdringlich. Sie mochte kaum älter als fünfundzwanzig sein, vielleicht sogar gleich alt – war modisch elegant gekleidet und hatte eine beneidenswerte Figur. Sie selbst hielt sich nicht für unattraktiv, aber sie beneidete Chloe um ihre Silhouette. Auch wenn sie nicht unzufrieden mit sich sein musste. Dazu gab es keine Veranlassung, denn alle bescheinigten ihr, eine äußerst attraktive Figur zu haben. Tamora schätzte sie auf etwas über fünfeinhalb Fuß. Sie hatte wohlgeformte, lange schlanke Beine, mittelgroße Brüste, eine schmale Taille und eine mittelbreite Hüfte. Alles an ihr war in sich stimmig und wirkte äußerst harmonisch. Ganz sicher kam sie in der Männerwelt gut an.

»Ich schreibe erotische Romane. Recht erfolgreich, … zumindest bescheinigt mir das mein Verleger, wohl aufgrund der Absatzzahlen ...«, begann Tamora und lächelte gewinnend.

»Das soll jetzt wohl ein Scherz sein, oder?«

»Weshalb?«, reagierte Tamora und sah sie irritiert an.

»Na, komm schon, Kleine … Wo habt ihr die Kamera versteckt?«

»Aber es stimmt wirklich«, beteuerte Tamora.

Chloes Lachen verstummte auf der Stelle. Aufmerksam sah sie Tamora an. »Dann betreibst du wohl gerade eine Recherche für ein neues Buch, oder wie habe ich das zu verstehen?«

»Wenn Sie so wollen: Ja! Ich suche nach einem neuen Ansatz. Irgendwie ist die Geschichte schon in meinem Kopf, aber nachdem ich mich bisher immer auf Angaben Dritter verlassen habe … Ich denke, es wird Zeit einmal direkt an die Quelle zu gehen.«

Chloe wirkte noch immer ein wenig überrascht. »Und was glaubst du, kann ich dir Besonderes erzählen, was du dir in deinem hübschen Köpfchen nicht selbst zusammenreimen könntest?«, erkundigte sie sich mit einem spöttischen Unterton. »Gibt es nicht eh schon genug Bücher über das Milieu? Soweit ich mich erinnere, lief vor einiger Zeit sogar eine Dokumentation im ›Discovery Channel‹ … ist noch gar nicht lange her.«

»Um diese Art Informationen geht es mir nicht«, widersprach Tamora.

»Um welche geht es dann?«

Tamora schluckte, bevor sie ihre Frage stellte. »Wäre es indiskret, wenn ich Sie bitten würde, mir ein wenig aus Ihrem Leben zu berichten? … Ich meine, darüber wie alles angefangen hat.«