Russell - Rollentausch

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Russell

Rollentausch


Russell

Rollentausch

Transgender – Novelle

Hannah Rose

Bibliografische Information durch die Deutsche Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar

1. Auflage

Covergestaltung:

© 2020 Susann Smith & Thomas Riedel

Coverfoto:

© 2020 depositphotos.com

Dieses Werk enthält sexuell explizite Texte und erotisch eindeutige Darstellungen mit entsprechender Wortwahl. Es ist nicht für Minderjährige geeignet und darf nicht in deren Hände gegeben werden. Alle Figuren sind volljährig, nicht miteinander verwandt und fiktiv. Alle Handlungen sind einvernehmlich. Die in diesem Text beschriebenen Personen und Szenen sind rein fiktiv und geben nicht die Realität wieder. Ähnlichkeiten mit real existierenden Personen oder Orten sind rein zufällig. Das Titelbild wurde legal für den Zweck der Covergestaltung erworben und steht in keinem Zusammenhang mit den Inhalten des Werkes. Die Autorin ist eine ausdrückliche Befürworterin von ›Safer Sex‹, sowie von ausführlichen klärenden Gesprächen im Vorfeld von sexuellen Handlungen, gerade im Zusammenhang mit BDSM. Da die hier beschriebenen Szenen jedoch reine Fiktion darstellen, entfallen solche Beschreibungen (wie z.B. das Verwenden von Verhütungsmitteln) unter Umständen. Das stellt keine Empfehlung für das echte Leben dar. Tipps und Ratschläge für den Aufbau von erfüllenden BDSM-Szenen gibt es anderswo. Das vorliegende Buch ist nur als erotische Fantasie gedacht. Viel Vergnügen!

Impressum

© 2020 Hannah Rose

Verlag: Kinkylicious Books, Bissenkamp 1, 45731 Waltrop

Druck: epubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

ISBN siehe letzte Seite des Buchblocks

»Ich fand Kraft darin, die Wahrheit zu akzeptieren, wer ich bin.

Es ist vielleicht nicht die Wahrheit, die andere akzeptieren können, aber ich kann nicht anders leben. Wie wäre es, in jeder Minute deines Lebens eine Lüge zu leben?«

Elison Goodman,

›Eon #1: Dragoneye Reborn‹


Kapitel 1

F

ür Russell hatte alles damit begonnen, dass er sich bis über beide Ohren in Anouschka verliebt hatte. Er war bereits seit dem Zeitpunkt in sie verknallt, seit er sie das erste Mal auf der High-School gesehen hatte. Aber er hatte nie den Mut aufgebracht, sich ihr zu offenbaren. Er fand sie umwerfend – mit ihren langen, dunklen Haaren, den groß rehbraunen Augen und ihr süßen Stupsnase. Und in all den darauffolgenden Jahren war sie für ihn nur noch schöner und attraktiver geworden.

Doch während sie immer hübscher wurde, wurde er selbst immer dünner und seine Gesichtszüge mädchenhafter, ganz gleich, was er tat, um sein Aussehen zu verbessern. Auch in anderer Hinsicht waren sie sehr unterschiedlich: Anouschka hing mit den beliebtesten Mädchen der Schule ab – den sportiven, gutaussehenden, zickigen Gören – indessen er seine Haare soweit wachsen ließ, dass sie jedem Heavy-Metall-Rocker zur Ehre gereicht hätten, nur um sich unter der üppigen Mähne verstecken zu können, und seine Angst, in den Augen der anderen ein Nichts zu sein, mit kitschiger Poesie zu übertünchen versuchte. Und all das wegen eines Mädchens, von dem er vermutete, das es nicht einmal wusste, dass er überhaupt existierte.

Nie hatte er es gewagt sie einmal anzusprechen und sich immer nur aus schützender Entfernung nach ihr gesehnt, während andere Jungs in seinem Alter frech genug waren, die Mädchen anzugraben. Und je mehr er sich in sich selbst vergrub, umso erbärmlicher empfand er sich. Dabei hatte er schon des Öfteren ihre Blicke aufgefangen, wenn er im Schulflur an ihr vorbeigelaufen war, und sich seinen Tagträumen hingegeben, vielleicht eines Tages mit ihr zusammen zu sein.

Ein oder zwei Mal hatte er sich Mut gemacht und wollte sie ansprechen, doch dann war er zurückgeschreckt und hatte sich eingeredet, dass sie sich sowieso nicht für einen femininen Spargeltarzan wie ihn interessieren würde – wo er sicher war, dass alle Mädchen von ihm, wegen seiner langen Haare und seines seltsamen Kleidungsstils, dachten, er müsse auf jeden Fall homosexuell sein. Schließlich waren die Jungs in Anouschkas Umfeld alle irgendwie gleich: groß, herausgeputzt, mit kurzen Haaren und fein ziselierten männlichen Gesichtszügen.

Auch hatte er immer vermutet, dass sie bereits ziemlich viele Erfahrungen gesammelt hatte, während er selbst immer noch Jungfrau war – ein Zustand, von dem er vermutete, dass er sich auch niemals ändern würde.

Aber all das hatte ihn nie daran gehindert, von ihr zu träumen und sich nach ihr zu verzehren.

Wie hätte er auch ahnen können, dass eine verrückte Wendung des Schicksals alles ändern würde, wenngleich keineswegs so, wie er es sich in seinen Träumen ausgemalt hatte …



Kapitel 2

R

ussell hatte sich an diesem Mittag in der Cafeteria an der Schlange angestellt, als er hinter sich eine Stimme vernahm, die ihm einen Schauer durch den Körper jagte, als er sie hörte – es war Anouschkas.

»Hey, Crystal!«, sagte sie. »Sprichst du heute Nachmittag auch für das Theaterstück vor?«

Kaum hatte sie ihrer Freundin die Frage gestellt, durchzuckte ihn ein weiterer Stromstoß – weil auch er für das Stück vorsprechen wollte –, und er sich nicht hatte vorstellen können, dass Anouschka schauspielerische Ambitionen hegte. Es war nicht wirklich seine Art, Gespräche anderer zu belauschen, aber jetzt, wo er langsam der Schlange hinterherschlurfte, war seine ganze Aufmerksamkeit auf die Unterhaltung hinter seinem Rücken gerichtet.

»Ich weiß nicht. Ehrlicherweise habe ich darüber auch noch nicht nachgedacht. Aber hast du die Schauspiellehrerin gesehen?«, antwortete Crystal. »Die ist doch irgendwie gruselig.«

»Oh, komm‘ schon«, flehte Anouschka. »Ich will nicht alleine gehen.«

»Ist ja schon okay«, seufzte ihre Freundin. »Dann komm‘ ich halt mit.«

In diesem Moment hatte Russell die Spitze der Schlange erreicht und musste wieder in die Realität zurückkehren, um sein Mittagessen einzunehmen und sein Tablett wieder wie gewöhnlich zu seinem angestammten Platz in der abgelegenen Ecke der geschäftigen Kantine zu tragen.

Das einzig andere an diesem Tag war, dass er sich nicht ganz so schlecht fühlte wie üblich. Liegt vielleicht daran, dass Anouschka auch vorsprechen will, dachte er still für sich, während er sich einem seiner dummen Tagträume hingab. Nur stießen sie diesmal darin nicht per Zufall in einem Plattenladen aufeinander und entdeckten, dass sie Fans der gleichen Band waren, oder in einem Hotel, wo sie mit ihrer Familie rein zufällig ebenfalls Urlaub machte. Nein – dieses Mal war seine Fantasie ganz mit der Realität verknüpft. Anouschka will schauspielern! Sie kommt zum Vorsprechen!

Alle die ihn kannten, wunderten sich, dass er sich für Theater und Schauspielerei interessierte – da er sich zumeist äußerst schüchtern und zurückhaltend verhielt. Doch auf der Bühne eine Rolle zu spielen, fühlte sich für ihn ganz anders an. Er mochte vielleicht kein Vertrauen in sein richtiges Leben haben, aber er empfand es immer als überraschend einfach, eine Bühnenrolle zu spielen – wirklich eine ›Rolle‹ zu spielen – und bereits zu Grundschulzeiten war ihm immer wieder gesagt worden, dass er dafür wohl ein natürliches Talent habe.

Als er die Plakate für das Romeo-und-Julia-Vorsprechen gesehen hatte, hatte er sich spontan entschieden, hinzugehen und mitzumachen. Doch jetzt spürte er eine nervöse Erregung – nicht des Vorsprechens wegen, sondern beim Gedanken daran, Anouschka vielleicht endlich ein bisschen besser kennenlernen zu können. Und er war schon sehr gespannt, ob er nun mehr über sie erfahren würde, als dass ihre Eltern noch vor ihrer Geburt aus Russland eingewandert waren.


Als Russell an diesem Nachmittag seine letzte Unterrichtsstunde beendet hatte, ging er direkt zum Raum der Theatergruppe, stieß die Doppeltüren auf und trat ein. Er sah sofort, dass sich bereits eine kleine Gruppe an Schülern versammelt hatte, überflog die Gesichter und fühlte eine plötzliche Enttäuschung, als er Anouschka nicht unter ihnen ausmachen konnte.

»Ah, wie schön, noch ein Bewerber«, zeigte sich die Schauspiellehrerin erfreut und schaut von ihrem kleinen Auditorium zu ihm hinüber. »Verrätst du uns deinen Namen?«

»Russell«, murmelte er und spürte, wie er direkt errötete, was immer geschah, wenn er vor einer Menschenmenge sprechen musste – denn das war anders, als oben auf der Bühne zu stehen. Jetzt musste er, er selbst sein – und er hasste nichts mehr als Aufmerksamkeit jeglicher Art, die sich auf sein wahres Ich bezog.

»Nun, Russell«, fuhr die Lehrerin mit einem seltsamen Lächeln fort, »warum setzt du dich nicht dort hin? … Aber ich würde mir wünschen, dass du ein bisschen mehr aus dir herauskommst, wenn es gleich ans Vorsprechen geht.«

 

Russell hatte Miss Stafford schon einmal gesehen und wusste, dass ihr den Ruf vorausging, etwas verrückt zu sein. Doch heute war es das erste Mal, dass er ein Wort mit ihr wechselte. Sie hatte etwas Komisches an sich, dass er nicht gut einsortieren konnte. Sie war hübsch für eine Frau ihres Alters, aber nicht gerade eine, auf die jüngere Männer noch anspringen würden. Sie hatte mehr von einem französischen Filmstar der 1930er oder 40er – groß und dunkelhaarig, mit leiser, ein wenig heiser klingender Stimme und war immer in mehrschichtige schwarzen Sachen gekleidet.

Er kam ihrer Aufforderung nach und fühlte, wie ihm ums Herz schwer wurde, als sie verkündete: »So, wie ich das sehe, sind nun alle da, und ich finde, wir sollten mit dem Vorsprechen beginnen.«

Weit und breit kein Anzeichen von Anouschka. … Vermutlich hat Crystal sie vom Kommen abgehalten, dachte er und empfand einen Anflug von Frustration, als seine große Chance, ein wenig mit ihr abzuhängen und sie kennenzulernen, in einem Schwarzen Loch zu verschwinden drohte – und als Miss Stafford weiter zu ihnen sprach, einen Stapel ausgedruckter Monologe zur Lektüre verteilte, hörte er kaum noch zu, was sie sagte, und versank immer mehr in seinem Unglücklichsein.

»Warum machst du nicht den Anfang, Russell?«, fragte Miss Stafford und riss ihn aus seinen Gedanken, als sich alle Augen auf ihn richteten. »Komm‘ schon, steh‘ auf … Stell dich dort drüben hin und trage uns deinen Monolog vor.«

Mit einem Seufzer stemmte er sich von seinem Sitz hoch und schritt im Raum nach vorne, während Miss Stafford zu ihren anderen Schülern trat, die ihn alle anstarrten, derweil er sich vorbereitete.

Doch ehe er überhaupt anfangen konnte, etwas von seinem Blatt abzulesen und es vorzutragen, schwangen die Doppeltüren wieder auf – und Anouschka und Crystal kamen herein. Sofort fühlte er ein Flattern in seiner Magengrube und wie ihm kalter Schweiß ausbrach, als er zu ihr hinübersah.

»Es tut uns leid, dass wir zu spät kommen, Miss Stafford«, entschuldigte sich Anouschka auch im Namen ihrer Freundin. »Wir haben irgendwie den zeitlichen Überblick verloren.«

»Das ist nicht schlimm, Mädchen«, reagierte die Lehrerin mit einem verständnisvollen Lächeln. »Wir fangen gerade erst an. Setzt euch bitte. Russell beginnt gleich mit dem Vorsprechen.«

Russell fühlte sein trommelndes Herz, als Anouschka und Crystal in der vordersten Reihe Platz nahmen und ihre Augen jetzt auf ihn richteten. Unweigerlich musste er tief durchatmen, um seine Nerven zu beruhigen. Er starrte auf das Blatt in seinen Händen und überflog die Seite, während er auszublenden versuchte, dass das Mädchen seiner Träume ihn tatsächlich einmal wahrnahm, anschaute und ihm zuhören würde. Jetzt habe ich die Gelegenheit, ihr zu zeigen, wie gut ich schauspielern kann, dachte er still. Das ist meine einmalige Chance, und ich werde sie nutzen!

Doch als er den Text verinnerlichte, den er bekommen hatte, verwirrte ihn, dass es kein Monolog Romeos, sondern einer der Julia war. Nur ein kurzes Stück, aber definitiv aus ihrer Sicht.

Es war ihm ja schon zu Ohren gekommen, dass Miss Stafford oft mit ausgesprochen verrückten Ideen daherkam. Naja, was soll’s. Wenn sie will, dass wir alle diesen Julia-Teil lesen, dann ist das eben so, beruhigte er sich und begann mit leiser, sanfter Stimme, ihr einen weiblichen Touch gebend, seinen Vortrag: »Soll ich von meinem Gatten Übles reden?« Er ließ ein theatralisches Seufzen folgen. »Ach, armer Gatte! … Welche Zunge wird deinem Namen Liebes tun, wenn ich, … dein Weib von wenig Stunden, ihn zerrissen?!« Seine Stimme wurde lauter, dramatischer und anklagender. »Doch, Arger, was erschlugst du meinen Vetter?! Der Arge wollte den Gemahl erschlagen … Zurück zu eurem Quell, verkehrte Tränen! Dem Schmerz gebühret eurer Tropfen Zoll! Ihr bringt aus Irrtum ihn der Freude dar.«

Als er weiterlas und sich ganz dem Text hingab, ging ein kleines Gelächter durch die Sitzreihen, das Miss Stafford schnell mit einem »Schhh!« zu Ruhe brachte, ehe sie sich wieder nach vorne neigte, um ihn aufmerksam zu beobachten.

»Mein Gatte lebt, den Tybalt fast getötet«, fuhr er fort, »und tot ist Tybalt, der ihn töten wollte. Dies alles ist ja Trost: Was wein' ich denn?! … Ich hört' ein schlimm‘res Wort als Tybalts Tod, das mich erwürgte; ich vergäß' es gern …«

Zumindest registrierte er mit kurzen Blicken zur Lehrerin, dass er sie beeindruckte, wenngleich der Rest der Klasse sich belustigt zeigte, dass er die Mädchenrolle vortrug. Aber schließlich ist es doch nur ein Vorsprechen, ging es ihm durch den Kopf. Also, was soll`s?! Ist mir egal. Es reicht, wenn ich Anouschka etwas von meiner sensiblen Seite zeigen kann … Ihr beweisen kann, dass ich keine Angst habe Emotionen zu zeigen. Auch wenn ich wetten würde, dass die Jungs, mit denen sie sich abgibt, sich schwul vorkommen würden, wenn sie so mit der Rolle des anderen Geschlechts flirten, wie ich es gerade tue.

Angespornt durch diese Gedanken steckte er noch mehr Gefühl in den Text, bis seine Stimme am Ende tatsächlich vor Emotionen zitterte. »Doch ach! Es drückt auf mein Gedächtnis schwer, wie Freveltaten auf des Sünders Seele … Tybalt ist tot, und Romeo verbannt!«

Als er an dieser Stelle endete, wurde es für einen Moment so still, dass man eine Nadel hätte fallen hören können, bevor Miss Stafford aufsprang und heftig zu Klatschen anfing.

»Sehr gut, Russell«, keuchte sie mit ihrer leisen, heiseren Stimme. »Wirklich ausgezeichnet! Ich dachte ja, ich hätte dir einen Romeo-Monolog gegeben, aber du hast mich damit auf eine sehr interessante Idee gebracht.« Sie wandte sich der Klasse zu. »Ja, ich denke, ihr alle werdet die Monologe tauschen. Alle Mädchen werden Romeo vortragen und die anderen Jungs übernehmen wie Russell, die Julia.«

Bei ihren Worten überkam ihn eine eisige Angst. Was zum Teufel habe ich getan?, fragte er sich. Sie hat die Blätter ausgeteilt und ich habe nur vorgetragen, was sie mir gegeben hat … Und jetzt habe ich diesen verrückten Rollentausch ausgelöst?

Am aufkommenden Murren und den Blicken, die ihm von allen anderen zugeworfen wurden, konnte er deutlich entnehmen, dass Miss Stafford die einzige im Raum war, die sich an dieser Idee erfreute.

»Ja, … Ja, was für eine wundervolle Idee«, plapperte sie vor sich hin. » Ihr wisst das vielleicht nicht, aber zu Shakespeares Zeiten wurden alle Rollen von Männern besetzt. Frauen durften damals nicht auf die Bühnen … Aber das jetzt? Das wird etwas ganz Anderes!«

Inzwischen hatte Russells Gesicht eine tiefrote Farbe angenommen. Er schlich sich auf einen Platz ganz weit hinten im Raum und wagte es nicht auch nur einen Blick in Anouschkas Richtung zu werfen. Sie wird mich dafür hassen, dass ich alles durcheinandergebracht habe, so wie alle hier. Er seufzte in sich hinein. Ich hätte Miss Stafford besser sagen sollen, dass sie mir den falschen Text gegeben hat.

»Hey! Das war echt cool!«, rief ihm Anouschka zu, als er auf ihrer Höhe war.

Er zuckte unmerklich zusammen, blieb stehen und seine Augen huschten zu ihr hinüber. Er spürte, wie sein Herz einen wilden Satz machte, als er in ihr hübsches, lächelndes Gesicht blickte. »Danke«, murmelte er, in seine unbeholfene Einsilbigkeit zurückkehrend.

Doch als er jetzt zu seinem Platz ging, war es ihm egal, was der Rest der Klasse über ihn dachte. Was interessieren mich dich anderen, lächelte er in sich hinein, wenn Anouschka mein Vortrag gefallen hat?


Das weitere Vorsprechen entwickelte sich zu einem Fiasko. Die Jungs versuchten sich an ihren Texten mit übertrieben hohen Stimmen, während die Mädchen sich wie ausgemachte Machos gaben. Miss Staffords ›geniale‹ Idee schien genau das Gegenteil von dem zu sein, was sie sich davon erwartet hatte.

Crystals Vortrag empfand Russell als einen der Schlimmsten, denn sie versuchte den Eindruck eines Robert DeNiro zu hinterlassen. Er kam nicht umhin, sich verlegen auf seinem Platz zu winden und wunderte sich darüber, wie ein Mädchen, dass so cool und beliebt war, sich vor allen selbst zum Narren machte. Das Ganze hatte nicht einmal etwas Humorvolles an sich – es war einfach nur schrecklich.

Anouschka kam als letzte dran.

Mittlerweile fühlten sie sich alle ziemlich ausgelaugt und gedemütigt, und Russell bemerkte, dass sie alle nur noch aus dem Raum wollten. Als er sie vorne sah und anstarrte, hätte er seinen rechten Arm für sie geben wollen und wünschte sich, es möge ein Wunder geschehen, ihr diese Blamage zu ersparen. Doch Miss Stafford unternahm nichts die Sache zu beenden oder sie zumindest etwas von Julia vortragen zu lassen – und er hasste sie dafür, dass sie dem Mädchen seiner Träume ebenfalls diese Folter zuteilwerden ließ.

Wieder verstummte die Gruppe, als Anouschka die Bühne betrat.

Doch dann geschah etwas Erstaunliches. Denn anstatt ihren Monolog mit übertrieben tiefer, verstellter Stimme zu lesen, wie die anderen Mädchen, modulierte Anouschka ihr Stimme nur geringfügig – gerade so weit, dass sie eine Nuance unter ihre normale kam, während sie ihre Körpersprache anpasste, um einen Hauch weniger weiblich rüberzukommen. Dazu neigte sie sich leicht nach vorne, zog ihre Schultern mit und spreizte ihre Beine ein wenig – gerade so, wie man es bei den Jungs sehen konnte.

Wie geil ist das denn?!, entfuhr es Russell still. Der Effekt ist echt unglaublich!

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