Kirche

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Kirche
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Philipp Elhaus, Christian Hennecke, Dirk Stelter,

Dagmar Stoltmann-Lukas (Hg.)

Kirche2 Eine ökumenische Vision

Philipp Elhaus, Christian Hennecke, Dirk Stelter, Dagmar Stoltmann-Lukas (Hg.)

Kirche2

Eine ökumenische Vision


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über ‹http://dnb.d-nb.de› abrufbar.

© 2013 Echter Verlag GmbH, Würzburg

www.echter-verlag.de

Umschlag: wunderlichundweigand.de

Satz: Hain-Team, Bad Zwischenahn (www.hain-team.de)

Druck und Bindung: CPI, Clausen & Bosse, Leck

ISBN

978-3-429-03548-8 (Print Echter Verlag)

978-3-7859-1136-5 (Print Lutherisches Verlagshaus)

978-3-429-04708-5 (E-Book PDF)

978-3-429-06122-7 (e Pub)

Inhalt

Wort zum Geleit

Kirche2 – eine Idee und ihre Geschichte

Inspirationen

Graham Cray: Kirche ganz frisch

Hans-Hermann Pompe: Im Westen was Neues? Ein Kommentar

Gisèle Bulteau: Die Ortskirche von Poitiers

Eric Boone: Eine Kirche der Nähe

Estela Padilla: „Ohne Vision verkümmert das Volk“

Aufbruch in die Lebenswelten

Heinzpeter Hempelmann: Milieugrenzen überschreiten! Das Evangelium milieusensibel und lebensrelevant kommunizieren

Matthias Krieg: Lebenswelten – terra incognita im eigenen Land

Matthias Sellmann: Glauben, oder: Vom Unterschied zwischen Teebeuteln und Piranhas

Christina Brudereck: Kirche hoch 2

Harald Schroeter-Wittke: Musik und Milieus – grundlegende Überlegungen

Gerhard Wegner: Sozialräume sind Kraftfelder Gottes. Kirche, Diakonie und die Erneuerung der Sozialität in Stadtteilen und Dörfern

Wandel gestalten

Valentin Dessoy: Rückbau – Umbau – Neubau? Eckpunkte einer systemisch fundierten und strategisch ausgerichteten Kultur des Lernens in der Kirche

Damian Feeney: Missionale Leitung

Burghard Krause: Spiritual/Missional Leadership. Geistliche Leitung in missionarischem Horizont

Hans-Hermann Pompe, Hubertus Schönemann: Was heißt – bitte schön – Mission?

Carsten Hokema: Wir gehen hin

Markus Weimer: Das Fresh-X-Netzwerk – Kirche. erfrischend. vielfältig

Michael Herbst: Wie finden Erwachsene zum Glauben?

Klemens Armbruster: Wieso verlieren Erwachsene den Glauben?

Christian Hennecke: Wandel hoch zwei – zehn Wegmarken ins Neuland

Kirchliche Orte und Kontexte

Thomas Söding: Auf hoher See. Kirchenschiffe im Neuen Testament

Jochen Arnold: Schmecket und sehet! Praktisch-theologische Überlegungen zur Feier menschenfreundlicher Gottesdienste

Stephan Winter: „Man trifft sich dann im Gottesdienst!?“ Gottesdienste in größeren Seelsorgeeinheiten als eine zentrale Herausforderung der Pastoral im pluralistischen Umfeld

Paulus Terwitte, Fabian Vogt: Leidenschaftlich predigen. Verkündigung im 21. Jahrhundert

Hans Jürgen Marcus: „Ein starkes Stück Kirche“. Die Caritas und ihre Rolle für die Zukunftsfähigkeit der Kirche

Michael Hochschild: Im Fluss fließt die Quelle. Zur Rolle der Orden und Bewegungen für die Kirche von morgen

Martin Alex, Thomas Schlegel: Von ländlicher Idylle und schrumpfender Peripherie – Hintergründe und Ausblicke

Philipp Elhaus: Kirche in der Stadt

Martin Wrasmann: Kirche als Mehrwert – lokale Kirchenentwicklung als ein konsequenter Schritt für das Ankommen im „Jetzt und Morgen“

Klaus Grünwaldt: Glaube am Montag

Maria Herrmann: (Nicht nur) Social media und der Kongress

Ausblick

Michael Herbst: Wir2 – „Wohl denen, die da wandeln“

Nicholas Baines: „Anfangen, wo die Menschen sind“ – Sendungswort

Dirk Stelter, Dagmar Stoltmann-Lukas: „… so sende ich euch“. Eine Ökumene der Sendung

Philipp Elhaus, Christian Hennecke: Kirche2 – eine ökumenische Vision

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren

Wort zum Geleit

Die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und das Bistum Hildesheim sehen es als gemeinsame Aufgabe, den Menschen das Evangelium zu verkünden und die Nähe des Reiches Gottes zu bezeugen.

Auf der Suche nach neuen Formen einer zeitgemäßen und authentischen Verkündigung und nach neuen Gemeinschafts- und Gemeindeformen haben Menschen aus Bistum und Landeskirche miteinander dieselben geistlichen Wurzeln entdeckt. So wuchsen im Suchen, Ausprobieren und Finden ein gemeinsamer Weg, wechselseitiges Vertrauen und die Idee, einen Kongress Kirche2 zu veranstalten. Er wurde zu einem Sammelpunkt vieler Akteure, Protagonisten und Interessierter in unseren Kirchen, denen das Evangelium und der Aufbruch der Kirche am Herzen liegen.

Es ging und geht nicht darum, Gemeinden und Kirchenleitungen zu höheren Leistungen anzustacheln. Wir sehen das Ziel der beeindruckenden Themenvielfalt des Kongresses, die sich in den anregenden Beiträgen dieses Buches niederschlägt, vor allem darin, rückwärtsgewandte Verlustangst einzudämmen und mit Gottvertrauen den Blick nach vorne zu richten. Wir sind eine starke Gemeinschaft, und das sollten wir sowohl in neuen als auch in wiederentdeckten alten Ausdrucksformen christlichen Glaubens und Lebens selbstbewusst zeigen!

„Kirche hoch zwei“ zeigt an, dass wir tatsächlich von einer Trendwende kirchlichen Lebens sprechen können: Die Diskussionen um neue Strukturen, um Geld und Mitgliedschaft treten immer mehr in den Hintergrund und machen kreativen neuen und bewährten alten Gedanken Platz. Im Zusammenspiel von Innovation und Tradition, Spiritualität und Theologie wird Neues gewagt. Wir verstehen Kirche2 als ein gemeinsames Aufbruchssignal für unsere beiden Kirchen. Die Bereitschaft, voneinander und von anderen Bewegungen zu lernen, wächst. Deshalb waren Vertreter der englischen „Fresh Expressions of Church“ zu Gast, ebenso Christinnen und Christen aus den USA, den Philippinen, Frankreich und der Schweiz. Sie alle haben neue geistliche Ausdrucksformen erprobt und ihre Erfahrungen mit uns geteilt.

Die Resonanz auf diesen Kongress war überaus positiv und sie hält an. Wo häufig von ökumenischer Eiszeit gesprochen wird, ist hier ein echter ökumenischer Klimawandel zu erahnen. Mit Begeisterung und ökumenischem Vertrauen ist diese Zusammenkunft vorbereitet und durchgeführt worden. Wir wünschen uns, dass dieser Funke überspringt und in vielen Menschen Ermutigung, Hoffnung und kreative Energie entzündet, um die Zukunft unserer Kirchen so mitzugestalten, dass wir mit dem, was wir tun, zugleich nah bei Gott und nah bei den Menschen sind.

 

Für uns Christinnen und Christen ist diese Aufbruchserfahrung wichtig. Und die Gesellschaft erwartet von der Kirche ein gemeinsames und überzeugendes Zeugnis für die Fülle des Lebens, die Christus schenken will.

Wir sind sicher, dass der Kongress und die daraus entstandene Bewegung Kirche2 weite geistliche Räume eröffnen und Hoffnungsbilder in Köpfe und Herzen pflanzen können. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, diese dann in die verschiedenen Orte kirchlichen Lebens zu übersetzen. Einen wichtigen Beitrag dafür leistet dieses Buch. Der Herausgeberin und den Herausgebern danken wir dafür herzlich.


Landesbischof Ralf Meister, Bischof Norbert Trelle,
Hannover Hildesheim

KIRCHE2 – eine Idee und Ihre Geschichte

Drei Monate vor Beginn ausgebucht, breites Medienecho, begeisterte Reaktionen – das war der ökumenische Kongress Kirche2 vom 14. bis 16. 2. 2013 in Hannover. Über 1350 Menschen teilten Ideen, Visionen und Erfahrungen und verwandelten ein Messezentrum in ein ökumenisches Laboratorium für die Zukunft der Kirche. Andere beteiligten sich per Twitter oder schauten im Livestream vorbei. Fünf große Plenarveranstaltungen, 23 Foren, 69 Workshops und 50 Stände machten den Kongress zu einem großen Forum der Begegnung und Inspiration.

Der ökumenische Kongress, den die Evangelisch-lutherische Landeskirche Hannovers und das Bistum Hildesheim in Kooperation mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Niedersachsen organisierten, bewegte sich im produktiven Spannungsfeld von Mission und Ökumene. „Kirche hoch zwei“ steht für Begegnung. Und was sich da beim Kongress begegnete, blockierte sich nicht oder kürzte sich gar weg, sondern potenzierte sich: Deutsche Fragehorizonte trafen auf englische Lebenswelten und Strategien. Evangelische Kirche und katholische Kirche entdeckten ihre gemeinsame Situation, ihre gemeinsame Sendung und erlebten die Dynamik, die sich entfaltet, wenn sie ihre Gaben zusammenbringen. Diese Dynamik ließ Kirche in einer neuen Dimension erfahren: traditionell verwurzelt und offen für Experimente, lokal verankert mit globalem Horizont, gottoffen und strategisch im eigenen Handeln, bei Christus zuhause und mit ihm unterwegs zu den Menschen. Deutlich wurde: Glaubwürdige Mission heißt, nah bei Gott und nah bei den Menschen zu sein. Bewährte und innovative Formen, Kirche zu sein, gehören im Sinne einer „mixed economy“ zusammen. Erfahrung vor Ort und internationale Inspirationen brauchen einander. Reale und virtuelle Kommunikation beflügeln sich wechselseitig.

Der Schwung des „hoch zwei“ wurzelte in tiefem Vertrauen: einem Vertrauen auf Gott, dass er unserer Gegenwart nicht ferner ist als einer womöglich idealisierten Vergangenheit. Und ein Vertrauen in die Teilnehmenden: dass sie keine Rezepte verordnet bekommen wollten, sondern einen Raum suchten, in dem sie im Sinne der oben genannten Begegnungspaare sich über ihre Träume und Erfahrungen austauschen, miteinander vor Gott feiern und gemeinsam Schritte in die Zukunft setzen konnten.

Der Kongress entstand nicht am grünen Tisch noch wurde er von Kirchenleitungen dekretiert. Er war kein Event ohne Bodenhaftung, sondern wuchs aus konkreten ökumenischen Begegnungen. So verkörperte er bereits in seiner Vorgeschichte das, was er initiiert hat: eine gemeinsame Suche nach einem Bild für die Kirche der Zukunft, das jetzt schon in vielen kleinen Miniaturen aufleuchtet.1

Am Anfang stand der thematische Austausch von Fachreferentinnen und -referenten aus Bistum und Landeskirche aus den Arbeitsbereichen Ökumene und Missionarische Dienste bzw. Seelsorge. Wir entdeckten Parallelen in der Wahrnehmung der Situation in unseren Kirchen. Wir teilten die Hoffnung, dass sich die schwebenden Pleitegeier über unseren Kirchenlandschaften in Hoffnungstauben des Geistes verwandeln können, der uns in schmerzhaften Umbrüchen und der herausfordernden Gestaltung des Rückbaus auf neue Wege lockt. Wir merkten, wie uns der beginnende Dialog bereicherte und wir im Spiegel der Wahrnehmung des anderen neue Facetten der eigenen kirchlichen Wirklichkeit entdeckten. Dabei öffnete sich uns sowohl biografisch als auch in der theologischen Reflexion ein neuer und vertiefter Einblick in den Ursprung der einen Kirche, die zugleich ihre Gegenwart ausmacht und ihre Zukunft eröffnet: die Sendung durch den Auferstandenen, in der sich seine Sendung durch Gott fortsetzt (Joh 20,21). Diese Dynamik verwehrt die typischen Depressionsschleifen angesichts der diversen kirchlichen Verlustszenarien und lässt ebenso neugierig und erwartungsvoll in die Zukunft blicken.

Lernen am dritten Ort – Inspiration aus England

Die Leidenschaft für eine Ökumene der Sendung führte uns an einen dritten Ort: in die anglikanische Kirche nach England. Dort konnten wir an beeindruckenden Beispielen sehen, wie eine Großkirche einen Aufbruch erlebt. In der Church of England wurden in den letzten zehn Jahren über 1000 „fresh expressions of church“ gegründet, vielfältige und kreative Gemeindeformen jenseits der bewährten Ortsgemeinde. Die beiden Erzbischöfe, Bischöfe und Kirchenleitung unterstützen dies intensiv. „Fresh expressions“ sind für die englischen Kirchen inmitten von finanziellen Abbrüchen und Mitgliederschwund ein unübersehbares Hoffnungszeichen. Ob Café-Gemeinden, „Überraschungskirche“ für junge Familien, Gemeinden für jungen Erwachsene oder diakonische Gemeindeformen in sozialen Brennpunkten – für bisher wenig erreichte Zielgruppen wird Kirche durch solche frischen Formen wieder relevant. Sie verstehen sich als Ergänzung zu vorhandenen Ortsgemeinden und wollen die bisherige Form von Kirche bereichern, nicht ersetzen. Für diese Zusammenarbeit von bewährten und neuen gemeindlichen Formen mit einer gemeinsamen missionarischen Ausrichtung – treffend mit „mission-shaped church“2 beschrieben – haben die Anglikaner den Begriff der „mixed economy“ geprägt. Die jeweiligen Stärken sind offensichtlich. Ortsgemeinden haben eine geografische Nähe mit gewachsenen volkskirchlichen Chancen und Kontaktbrücken. „Fresh expressions“, deren Sozialformen weniger vorgegeben und durch ihre jeweiligen Trägerkreise geformt werden, haben ihre Stärken eher in kirchenfernen Milieus und setzen auf Beziehungsnetzwerke und ganzheitlich gelebte Gemeinschaft. Ihr Ansatz lässt sich so zusammenfassen: Früher haben wir Menschen zu unseren Veranstaltungen in die Kirche eingeladen (Komm-Struktur). Danach sind wir zu den Menschen gegangen, um sie an ihren Lebensorten zu uns einzuladen (Geh-Struktur). Nun bleiben wir bei den Menschen, um mit ihnen in ihren Lebenswelten neue gemeindliche Formen zu entwickeln.3

Während der intensiven Reflexionsphasen auf drei ökumenischen Studienreisen nach London zwischen 2009 und 2011 und auf flankierenden Studientagen entwickelte sich nicht nur ein wachsendes ökumenisches Netzwerk in Landeskirche und Bistum, sondern auch eine vertrauensvolle Weggemeinschaft untereinander. Das Lernen am dritten Ort ermöglichte uns, jenseits von konfessioneller Trennschärfe gemeinsame Entdeckungen zu teilen und die Konsequenzen unserer Erfahrungen für unsere jeweilige Kirchenlandschaft zu bedenken.4 Unser Miteinander entwickelte sich zu einem lebendigen Kommentar der ersten vier Artikel der Charta Oecumenica5: Gemeinsam im Glauben zur Einheit der Kirche berufen, gehen wir aufeinander zu und handeln gemeinsam mit dem Ziel, das Evangelium zu verkünden.

Als im Frühjahr 2011 in Filderstadt bei Stuttgart der Kongress Gemeinde 2.0 mit dem Transfer von anglikanischen Erfahrungen in süddeutsche kirchliche Kontexte nach extrem kurzer Werbephase über 800 Menschen anlockte,6 lag der Gedanke auf der Hand: Wir möchten den uns herausfordernden Horizont einer Kirchenentwicklung in ökumenischer Weite noch weiteren Menschen mit Leidenschaft für ihre Kirche im norddeutschen Raum bzw. darüber hinaus zugänglich machen. Neben den inspirierenden fresh expressions of church in England wollen wir auch andere weltkirchliche Impulse (u. a. aus dem Bistum Poitiers7, den Philippinen sowie den USA8) und vor allem die Dynamik der vielen kleinen Aufbrüche in unseren Kirchen wahrnehmen.

Das „energetische“ Anliegen – der Horizont des Aufbruchs

Zwei Hypothesen lagen der inhaltlichen Kongressplanung zugrunde:

1. Wenn die Kirche in Zukunft nah bei den Menschen bleiben bzw. überhaupt wieder in die lebensweltliche Nähe der Menschen rücken möchte, gelingt dies nur über Netzwerke von unterschiedlichen kirchlichen Orten mit gemeinsamer, missionarischer Ausstrahlungskraft und neuen pastoralen Strukturen. Basis für diesen Ansatz bildet die gemeinsame Berufung aus der Taufe. Die unterschiedliche Differenzlogik der Konfessionen, die zwischen Laien und Klerus, Geistlichen und „Nicht-Theologen“, Ehrenamtlichen und beruflich Tätigen unterscheidet, entfaltet die verschiedenen Charismen, die mit der einen Taufe gegeben sind. Kirche baut sich von den Getauften her auf, lokal, an unterschiedlichen Orten, in verschiedenen Formen. Für diese ekklesiologische Wende muss ein bislang dominierendes Kirchenbild, das sich auf die Ortsgemeinde als die Sozialform und den Priester bzw. Pastor als die religiöse Repräsentanz von Kirche konzentriert, verflüssigt und das allgemeine Priestertum der Getauften als Ausgangspunkt von kirchlicher Entwicklung entdeckt werden. Die Frage nach einer neuen Kultur des Kircheseins, nicht nach der Struktur, wird zur Schlüsselfrage der Zukunft. Diese Frage lässt sich nicht an den konkreten Menschen als den Subjekten von Kirche vorbei beantworten – und auch nicht vorbei an jener ebenso unberechenbaren wie notwendigen Inspiration des Geistes Gottes. Wie Kirche zu gestalten ist, wird zur Frage aller, nicht nur von Expertinnen und Experten. Rückblickend formuliert eine Teilnehmerin: „Dieser Kongress hat mich beflügelt. Viele Ideen habe ich mitgenommen und einiges von dem, was uns Hauptamtliche erzählen, kann ich jetzt besser verstehen und einordnen. Vorher hatte ich oft das Gefühl, dass wir Ehrenamtlichen als Lückenbüßer, die nichts kosten, verheizt werden sollen. Nun sehe ich, dass wir gestalten können und sollen und dass wir ernst genommen werden. Hoffentlich bewahrheitet sich das auch bei uns.“

2. Der Wandel der Kirchenbilder und die Entdeckung der eigenen Berufung aus der Taufe heraus kann gewollt, aber nicht gemacht werden. Als geistlicher wie als Bildungsprozess ist er unverfügbar. Dazu braucht es einen Mentalitätswechsel, der weder angeordnet noch geplant werden kann. Es gibt jedoch ästhetische wie inhaltliche Faktoren, die eine disponierende Wirkung für diese an sich unverfügbaren Prozesse haben. Überzeugende und inspirierende kirchliche Beispiele können deutlich machen, dass Kirche noch ganz anders aussehen kann, als ich sie bisher erlebt habe. Menschen mit Passion können mir den Weg zu den Quellen weisen, die das eigene kirchliche Engagement nähren. Visionäre und prophetische Blicke können mir die Gegenwart neu deuten und Horizonte öffnen, die ich bislang nicht wahrgenommen habe – und all dies in ökumenischer Weite. Vervielfä ltigung der Wahrnehmungsperspektiven aber eröffnet die Erfahrung von Freiheit und den Zuwachs von Handlungsmöglichkeiten. Wo hier noch Begeisterung einzieht, kann ich mich neu auf den Weg machen – vom Gipfel eines Kongresserlebnisses hinab in die Niederungen meines kirchlichen Alltages, der für mich neu zum Land der Verheißung geworden ist.

Für das Konzept des Kongresses bedeutete dieser primär „energetische“ Ansatz: Wir verteilen keine fertigen Rezepte, sondern erzählen Geschichten. Wir bieten primär Anschauungsbeispiele von Lebensorten und -formen des Glaubens und weniger programmatische Soll-Abstraktionen. Wir versuchen den verhängnisvollen Konjunktiv zu vermeiden, der vielstimmig tönt, wie Kirche zu sein hätte, was sie alles noch machen müsse etc., um dann doch nur das Überforderungsgefühl zu steigern. Wir orientieren uns in der Dramaturgie des Kongresses nicht am Proporz im Blick auf die veranstaltenden Kirchen, sondern am Interesse der Teilnehmenden. Wir nehmen in den Blick, was sich in den unterschiedlichen Erfahrungen, Initiativen und Aufbrüchen als gemeinsames Bild für eine Kirche der Zukunft abzeichnet. Wir schaffen Raum für Partizipation und informelle Begegnungen, wir vernetzen – bereits im Vorfeld – über Social Media und natürlich auch auf dem Kongress. Ein Sechstel der Angebote im Bereich der Workshops und im Networkingbereich konnten wir über ein offenes Mitwirkungsportal auf der Web-site generieren. Wir bieten eine „mixed economy“ an Frömmigkeits- und Milieustilen. Und wir feiern in den liturgischen Teilen, die sich durch die Plenarveranstaltungen ziehen, dass die Geschichte der einen, allgemeinen Kirche mit einem verheißungsvollen Indikativ beginnt – „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt 5,13). Damit wurden die liturgischen Teile nicht zum frommen Sahnehäubchen, sondern zum selbstverständlichen Ausdruck des geteilten Lebens während der Kongresstage. Treffend formulierte es ein Teilnehmer: „Der spirituellste Raum war die ‚selbstverständliche‘ Ökumene, die über dem ganzen Kongress schwebte.“