Die Muse von Florenz

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Die Muse von Florenz
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Manuela Terzi

Die Muse von Florenz

Historischer Roman


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Herstellung/E-Book: Mirjam Hecht

Umschlaggestaltung: U.O.R.G. Lutz Eberle, Stuttgart

unter Verwendung eines Fotos von: © https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Francesco_di_Giorgio_Martini_(attributed)_-_Architectural_Veduta_-_Google_Art_Project.jpg

und Master1305 / shutterstock.com

ISBN 978-3-8392-6904-6

Widmung

Für meine Mutter

Du hast

immer

an mich geglaubt.

Grazie mille, mamma!

Zitat

»Selig sind,

die nicht sehen und

doch glauben!«

Johannes Kapitel 20, Vers 29

Kapitel 1

Es versprach, der heißeste Tag des Jahres zu werden. Das tat der Freude und Ausgelassenheit der Menschen auf der Piazza del Duomo keinen Abbruch, da war Juliana sich sicher. Zu Hunderten würden sich die Florentiner seit den frühen Morgenstunden auf dem riesigen Platz zwischen dem Dom und dem Battistero drängen, dessen glänzende Außenmauern seine Betrachter stets so herrlich blendeten.

Juliana sehnte sich danach, zu den unzähligen Menschen zu gehören, die dort der Hitze des Maitages trotzten. Längst wollte sie sich inmitten der neugierigen Scharen aufhalten, stattdessen saß sie angespannt auf dem Bett in ihrer Kammer. Bereit, dem erlösenden Aufruf ihres Vaters zu folgen. Seit Stunden wartete sie ungeduldig auf ihn, den notario Ferdinando Serrati, der ihr am Morgen versprochen hatte, sie zu begleiten. Nach vielen Wochen des Flehens hatte ihr Vater endlich eingelenkt.

Weit nach der Mittagszeit schallte seine erzürnte Stimme durch die Casa Serrati. Die ungewohnte Schärfe darin weckte Julianas Neugier. Es ging um die cupola. So viel hatte sie verstanden, obwohl mehrere Männer durcheinanderredeten.

Der überraschende Besuch mehrerer Ratsmitglieder, die sich im Audienzzimmer des Notars eingefunden hatten, versetzte das ganze Haus in Aufruhr. Ihr Vater saß gewiss in dem unbequemen Stuhl nahe der Tür. Seine Besucher standen seit ihrem Eintreffen an jener Stelle, die vom heißen Sonnenlicht erfasst wurde. Sicherlich stand ihnen der Schweiß auf der Stirn, während ihr Vater sich kühle Luft mit einem Fächer verschaffte. Die Hitze in dem Raum des sonst kühlen Hauses rechtfertigte ihr Vater damit, dass die kalte Luft den Verträgen in den Truhen schade. Sie liebte den Raum mit seiner reich verzierten Holzdecke, der sie demütig werden ließ. Im Kindesalter hatte sie sich immer in einer Ecke versteckt, von wo aus sie die Verhandlungen ihres Vaters beobachten konnte. Unbemerkt, denn der handbemalte Schrank, eine Hochzeitsgabe ihres nonno, voller privater Urkunden ihres Vaters, hatte ein kleines Mädchen bestens verborgen.

Sie lächelte. Heute gelänge es ihr nicht mehr, sich dort unbemerkt zu verstecken. Auch verstand sie, warum ihr Vater bei seinen Verhandlungspartnern gnadenlos war. Beim notario gingen viele Verträge und Vereinbarungen über den Tisch. Kostbare Gemälde, Bauwerke und Skulpturen, alles bedurfte eines Vertrags, auf dessen genaue Einhaltung ihr Vater achtete. Mancher Künstler vollendete ein Gemälde, ohne den vereinbarten Lohn zu erhalten. Andere vergaßen den Tag der Lieferung, weil sie sich von einer Frau ablenken ließen oder sie neue Ideen von der Arbeit abhielten.

Laute Stimmen drangen durch die geöffneten Fenster ins Innere ihrer Kammer. Die ungewöhnliche Hitze hielt außerhalb des Hauses niemanden davon ab, die Mittagspause abzuwarten. Immer mehr Menschen zogen unter den Fenstern der Casa Serrati in der Via Porta Rossa vorbei. Sie alle wollten das Wagnis sehen. Geheimnisvolles wähnte Juliana deshalb auf der Piazza del Duomo, in deren Mitte das prächtige Kirchenschiff der Santa Maria del Fiore stand. Der Bau der cupola war in aller Munde, in der Casa Serrati wurde er totgeschwiegen. Bis heute.

»Brunelleschi wird den Tag des Triumphes nicht erleben!«, donnerte Ferdinando in diesem Moment. Ihr Vater ahnte nicht, dass sie auf die offene Loggia oberhalb des Audienzsaales getreten war.

Wühlte nur der Zorn ihren Vater so auf oder drohte er dem capomaestro wahrhaftig? Dem Mann, der kaum Zeit zum Schlafen fand, weil er beinahe rund um die Uhr arbeitete, um diese Kuppel zu bauen.

»Mögt Ihr Eure Gulden für dieses törichte Bauwerk verschwenden«, setzte ihr Vater nach.

Giovanni Baldachi, sein alter Freund, widersprach ihm heftig. Sein dichter, ockerfarbener Bart wippte bei jedem Wort sicherlich mit, was Juliana in Kindertagen erheitert hatte. »Es wird nicht das Geld sein, worum du dich sorgst, Ferdinando. Mach deine Arbeit, bevor ich mir einen anderen notario suche.«

»Was hat er dir versprochen, der kleine Wicht? Einen Stein in der vermaledeiten cupola, der deinen Namen trägt, Giovanni?« Ferdinando machte eine eindringliche Pause, um sich der Aufmerksamkeit der Männer zu vergewissern.

Die Anwesenden murmelten zögerliche Worte des Widerspruchs. Niemand wagte, laut zu werden und sich den Unmut des einflussreichen notario zuzuziehen.

»Eines Tages werdet ihr euch an meine Worte erinnern, dann ist es zu spät. Unsere Stadt wird nicht mehr dieselbe sein. Krankheiten und Seuchen werden vor den Stadttoren nicht haltmachen, uns heimsuchen. Niemand, der klaren Verstandes ist, fordert Gottes Zorn heraus.«

»Serrati, bei allem Respekt. Brunelleschis Modell zeigt, dass es durchführbar ist! Der Bau ist beschlossene Sache. Ihr waltet federführend bei den Vertragsunterzeichnungen und versucht neuerdings, den capomaestro in Misskredit zu bringen?« Zum ersten Mal seit seiner Ankunft in Florenz schwieg Antonio, Vaters Assistent, nicht. War der junge Genuese etwa vor dem Zorn des notario gefeit? Seit dem Frühjahr lebte er in ihrem Haus, hatte bisher nie die Stimme gegen seinen capo erhoben, der ein guter Freund seines eigenen Vaters war. Im Gegenteil. Juliana ärgerte die Unterwürfigkeit, mit der ihm der junge Mann begegnete. Noch mehr verabscheute sie Antonios seltsames Gehabe, wenn er zu Tisch kam. Er tänzelte und strich ständig über sein glänzendes, glattes Haar. So spiegelglatt wie der Arno im Sommer. Was trieb ihn zu diesem Widerspruch?

Juliana neigte ihren Kopf über die Balustrade und hoffte, einen Blick auf die Streithähne zu erhaschen. Ihr Blick erreichte lediglich das staubige Pflaster der Via Porta Rossa.

»Was? Gott bloßzustellen? Wäre es denkbar, verehrter Antonio, dass Ihr selbst den Verstand verloren habt?«

Armer Antonio! Niemand widersetzte sich ungestraft ihrem Vater. Sie wusste oft nicht, worüber sie mit Antonio beim Abendmahl sprechen sollte. Deshalb vermied sie es, ihm fern des Essens zu begegnen. Stets verhielt er sich beschämt, wenn er ihretwegen seine Arbeit unterbrach und von ihrem Vater deshalb einen Tadel erhielt. War sie gar der Grund für seine Scheu? Juliana sah ihn vor sich, wie er sich verlegen dafür einsetzte, dass man Brunelleschis Arbeit wertschätzte.

»Brunelleschi …«

»Schweigt, Antonio, bevor ich vergesse, aus welchem Grund Ihr unter meinem Dach lebt!« Vaters Stimme hallte bis auf die Straße hinaus. Plötzlich sprach er bedrohlich verhalten, verharrte am Fenster, genau unterhalb der Stelle, an der sie stand. »Niemand spricht den Namen länger in meiner Gegenwart aus.«

Juliana erschrak, als sie eine Hand auf ihrer Schulter spürte.

»Was suchst du hier? Die Zusammenkunft ist nicht für deine Ohren bestimmt, mein Kind.«

Hatte ihre Mutter schon lange dagestanden? Ungeduldig zog sie an Mutters Hand, bis die Sonne Dina Serratis helle Haut in glänzendes Licht tauchte.

»Hört selbst, Mutter! Vater droht dem capomaestro! Was hat er gegen ihn? Assunita sagt, in der Stadt redet man bereits über Vaters Jähzorn.« Juliana wagte nicht, ihre Mutter anzusehen, während sie sprach. Mit ihren achtzehn Jahren war sie weder Kind noch Frau, pflegte Dina zu sagen. An der Tür zu lauschen, stand einem Mädchen ihres Standes nicht zu, auch wenn sie die Unvernunft des freien Geistes quälte.

»Es war ein aufregender Morgen, Juliana. Ruh dich aus und sag deiner Freundin, sie soll dir nicht solchen Unfug erzählen«, schalt ihre Mutter sanft und nahm sie liebevoll in ihre Arme. »Zeig mir lieber deinen neuen Surcot, den Vater extra in Mailand für dich hat anfertigen lassen.«

Juliana folgte ihrer Mutter in ihre Kammer, während sie gedankenverloren eine ihrer widerspenstigen goldblonden Locken drehte. Der Stoff in der Farbe des Meeres, den sich Juliana über den Kopf streifte, betonte ihre blauen Augen. Stolz auf das prachtvolle Gewand wirbelte sie durch die Kammer, bis die Deckenmalerei zu einem bunten Einerlei verschwamm.

 

»Ein herrliches Material, das deine Vorzüge betont, Liebes.« Mutters Blick traf sie strafend, weil Juliana ausgelassen auf dem Bett landete. »Dein Vater ist uneinsichtig in so mancher Hinsicht, doch er liebt dich über alles.« Ein Schatten überzog das anmutige, schöne Gesicht Dina Serratis, die am offenen Fenster verharrte. Zierliche, hohe Wangenknochen und volle, weiche Lippen, die Vater so gern küsste. Mutters Bewegungen wirkten stets bedacht und sanft. In ihnen lag eine Stärke, die ihre stolze Herkunft verriet. In der Gegenwart ihrer Mutter fühlte Juliana sich oftmals unscheinbar, unsicher in allem, was sie tat und sagte.

Julianas Blick wanderte unschlüssig zu dem schicksalhaften Ort, der in den letzten Monaten ihrer aller Leben verändert hatte. Sie dachte an die Männer, die dort ihre Arbeit verrichteten, und fragte sich, ob sie von derselben Ungewissheit des nächsten Tages belastet waren wie sie. Natürlich, sie besaß alles, was ein junges Mädchen aus gutem Hause begehren konnte. Dennoch verspürte sie manchmal eine schmerzliche Leere, die zu füllen sie von Tag zu Tag stärker verlangte.

Vater betonte gern, dass seine einzige Tochter ihrer Mutter mit ihrer blassen Haut und dem wachen Blick ähnlich sei. Er schätzte sich glücklich, eine ansehnliche Tochter mit guter Erziehung zu haben. In den letzten Wochen hatte er es immer öfter erwähnt. Bei den sonntäglichen Spaziergängen zog Juliana bereits große Aufmerksamkeit auf sich. Anders als die Mädchen in ihren Kreisen, die beim Sticken und Singen von nichts anderem sprachen, verabscheute Juliana jeglichen Gedanken an ihre Zukunft, an Ehe. Die Blicke fremder Männer ängstigten sie. Erst neulich hatte sie bemerkt, dass sich ihr Körper veränderte. Die sanften Hügel ihrer mädchenhaften Brust wuchsen im Gegensatz zu ihrem Interesse, dem anderen Geschlecht zu gefallen. Darum war sie froh, wenn Vater die Arbeit öfter von gemeinsamen Ausgängen abhielt. Oder gab es einen anderen Grund, weshalb er sich kaum mit ihr auf der Straße zeigte? Schämte er sich ihrer, weil sie unverheiratet in der Casa Serrati weilte? Lieber hing sie romantischen Hirngespinsten nach, statt ihrer Mutter beim Sticken Gesellschaft zu leisten. Selbst Assunita, ihre treue Freundin und Verbündete im Herzen, war seit Kurzem einem befreundeten Bäckermeister in Fiesole versprochen. Aus heiterem Himmel. Bald würde die vertraute Freundin nicht mehr da sein. Das ruhige Mädchen mit einem Herz aus Gold würde am Ende des Herbstes in ein neues Leben ziehen, Ehefrau eines Mannes sein, der dann die Macht über ihr Schicksal in den Händen hielt. Juliana schauderte. Sie war nicht undankbar oder ungehorsam, doch predigte Vater nicht ständig, Florenz sei die Stadt der Freigeister? Warum wurden dann Assunita oder sie zu etwas gedrängt, das sie nicht wollten? Viel lieber wäre sie frei und ungezwungen wie die Künstler in der Dombauhütte hinter der Santa Maria del Fiore. Ja, sie neidete ihnen, dass sie ihre gewagten Ideen ausleben konnten.

»Was hat Vater gegen den capomaestro? Je mehr Menschen in die Stadt kommen, desto mehr Arbeit fällt ihm zu.«

Ihre Mutter zog Juliana sanft zu sich. »Dein Vater hat genug zu tun, sei unbesorgt. Er meint nicht, was er sagt.«

Juliana blickte über die nahe gelegenen Dächer zur Kathedrale und lächelte ihre Mutter verschwörerisch an. »Darf ich heute endlich das Modell von der cupola sehen, von dem Antonio gesprochen hat? Vater hat es mir versprochen.«

Die Gemüter in Vaters Arbeitszimmer erhitzten sich offenbar in diesem Augenblick erneut. Die zorngefärbten Stimmen verunsicherten auch ihre Mutter, die auf die Tür zusteuerte. Ihre Augen verdunkelten sich. »Wir sprechen darüber, sobald sich dein Vater beruhigt hat«, sagte sie und verließ mit eiligen Schritten die Kammer.

Der besorgte Klang in der Stimme ihrer Mutter bereitete Juliana Sorgen. Nie hatte sie ihren Vater so wütend erlebt, dass er sogar seinen besten Freund des Hauses verwies, wie er es soeben tat.

Juliana verließ ihre Kammer im Piano nobile, ging in das darunterliegende Stockwerk, um besser sehen zu können, und blickte über die Balustrade der Galerie in den kühlen Innenhof, wo sie ihren Vater am Eingangsportal entdeckte. Die hastigen Schritte der Männer auf den Cotti, die den Boden des Innenhofes auskleideten, schallten. Schulter an Schulter gingen Vaters Freunde. Hatten sie Angst, der notario würde ihnen aus Zorn den rettenden Ausgang versperren? Ängstlich musterte Juliana die schweren Querbalken und vergitterten Fenster des Hofs.

»Sucht Euch einen anderen, der diesen Unfug beurkundet!« Der hagere Mann mit den wachsamen Augen ballte die Faust. »Einen, der für ein paar lumpige Gulden bereit ist, seinen Ruf zu verspielen. Wie dieser eingebildete capomaestro den seinen!«

»Deine Selbstherrlichkeit und deine Unvernunft bringen dich in den Bargello, werter Freund«, sagte Giovanni. »Die Schuldscheine versprechen ein einträgliches Geschäft, und dem Volk schenken sie die Möglichkeit, an diesem einzigartigen Bau teilzuhaben.«

Juliana schauderte. In den Bargello? In dieses trutzige, dunkle Gefängnis, aus dessen Toren die Männer nach Tagen und Wochen mit bleichen Gesichtern und unsicheren Schritten herauswankten?

Zornig sahen sich die beiden Männer an, bis Giovanni das Zeichen zum Aufbruch gab. Mit einer unheilvollen Geste verließ er das Haus. Sogar er, Vaters bester Freund, der so manche Nacht bei Wein und Geschäften in der Casa Serrati verbracht hatte, entzog Vater das Vertrauen. Die anderen Ratsmitglieder folgten ihm und zogen den verunsicherten Antonio mit sich. Später würde er wieder im Arbeitszimmer ihres Vaters stehen. Er konnte schließlich nicht anders, da er im Einvernehmen der Familienoberhäupter in die Casa Serrati geschickt worden war. Antonio war gezwungen, vor dem notario zu erscheinen, wann immer dieser danach verlangte, die anderen Männer zeigten sich erleichtert, das Treffen beendet zu wissen.

Ein Windstoß zog durch das Haus und schlug die Tür von Vaters Arbeitszimmer krachend gegen die Wand. Juliana fuhr herum. Eines der Talglichter auf dem Pult ihres Vaters flackerte auf. Ein Funke sprang auf das reich mit Intarsien verzierte Holz über, wo Vater vor dem überraschenden Besuch seine Arbeit unterbrochen hatte. Juliana eilte rasch näher. Große Bögen Papier lagen ausgebreitet auf dem rindenbraun gebeizten Tisch. An einer Seite fraß das junge Feuer bereits gierig eine Spur. Beherzt schlug sie mit einem schmalen Buch die Flammen aus. Dunkle Ringe blieben von dem kleinen Brand. Beim Zusammenschieben der Papiere hielt sie überrascht inne. Vor ihr lagen Pläne, übersät mit Zahlen und Berechnungen, die sie verwirrten. Und erstaunten.

Auf der Treppe tobte ihr Vater. »Soll Antonio fortbleiben, wenn es ihm beliebt. Undankbar wie sein Vater. Warum habe ich mich auf den unsinnigen Vorschlag eingelassen, den vorlauten Bengel unter meine Fittiche zu nehmen?«

Dina versuchte, ihren Mann zu beruhigen. »Antonio lebt nur aus einem Grund hier, das weißt du genau, mein Lieber. Julianas wegen. Hast du gemeint, du könntest mich täuschen? Er tut den ganzen Tag so, als verstünde er nicht, was du ihm erklärst, und verstummt, sobald er unsere schöne Tochter sieht. Glaubst du wahrhaftig, ich wüsste nicht, weshalb du Antonio nach Florenz geholt hast? Es war nicht wegen der vielen Verträge für die Künstler, deren Werdegang du mit genügend Gulden aus deinem eigenen Tresor so liebend gern unterstützt.«

»Du redest wirr«, sagte Ferdinando aufbrausend. »Ich gebe mein Kind doch nicht diesem einfältigen Jungen! Morgen soll er gehen.«

Julianas Lächeln erstarb. Warum war sie so blind gewesen, Vaters Absichten nicht zu durchschauen? Antonio als ihr Ehemann? Niemals! Sie wollte sich nichts und niemandem unterwerfen. Besonders nicht einem Genuesen, der nichts von ihr wusste, außer dass sie einen vermögenden Vater hatte. Sicherlich war Antonio mehr an Vaters florierenden Geschäften interessiert als an ihr.

»Ferdinando, nimm Vernunft an. Was willst du seinem Vater denn sagen, wenn du Antonio plötzlich heimschickst? Dass er dir nicht nach dem Mund reden wollte?«

Meist gelang es Mutter, ihren aufbrausenden Mann zu umgarnen, doch nicht heute. Allen guten Worten abgeneigt, polterte ihr Vater die Treppe hinauf.

Betroffen von dem, was sie gehört hatte, wich Juliana von der Tür zurück. Vaters grimmiges Gesicht warnte sie deutlich, nicht hier, an diesem verbotenen Ort, von ihm entdeckt zu werden. Hastig suchte sie nach einem Fluchtweg und schlüpfte in letzter Sekunde in den Schrank. Unbequem und stickig war ihre Zuflucht. Etwas Hartes drückte gegen ihren Rücken, mit Vaters Zorn verglichen schien es jedoch das kleinere Übel. Kaum hatte sie die Schranktür zugezogen, fiel die Tür hinter dem Paar ins Schloss. Juliana blinzelte atemlos durch einen kleinen Spalt.

Dina verharrte mit Tränen in den Augen vor ihrem Mann.

»Was ist mit dir, Liebster?«

Vaters Blick ging ins Leere. »Hast du nicht gehört, wie sie mich verspotten?«

»Niemand tut das, Ferdinando. Vielleicht solltest du ein wenig ausruhen und …«

Mit einer unwirschen Handbewegung unterbrach er sie. »Ich frage mich, ob es nicht besser wäre, Florenz zu verlassen.«

*

Der Tag, auf den Juliana sehnsüchtig gewartet hatte, war endlich da. Wie lang war ihr diese Woche erschienen, in der sie auf Vaters Einlösung des Versprechens gewartet hatte. Es war alles anders gekommen. Seit Vaters Disput mit Baldachi und seinen Freunden verlangten immer mehr Ratsmitglieder und Patrizier Einlass zum notario Serrati. Seit Tagen wurden die Forderungen lauter. Fürchteten die Männer um den Fortbestand ihrer Verträge, weil sie entgegen Vaters Überzeugung an Brunelleschi glaubten? Die Rufe jener, die Vaters Äußerungen missbilligten, waren in den letzten Stunden durch das geschlossene Tor und an Julianas Ohr gedrungen. Doch ihr stand nach erfreulicheren Dingen der Sinn. Am späten Nachmittag brach sie mit ihrem Vater zur Piazza del Duomo auf. Das Kirchenschiff spendete nur kurz erholsamen Schatten, denn sie mussten sich weit hinten ans Ende der langen Schlange reihen, die sich bereits vor der Basilika gebildet hatte. Vermutlich war das der einzige Ort, an dem niemand den notario vermutete. Juliana war verwirrt und enttäuscht. Verdankte sie die Erfüllung seines Versprechens der Beharrlichkeit ihrer Mutter oder dem Umstand, dass ihr Vater dem unerwünschten Besucherstrom in der Casa Serrati entfliehen wollte? Lange hielt ihre Unsicherheit jedoch nicht an. Schließlich stand sie auf der Piazza del Duomo und beobachtete überglücklich die vielen Menschen, wie sie es sich seit Tagen wünschte.

Überwältigt blickte sie zu der mächtigen Kathedrale Santa Maria del Fiore im Herzen der Stadt und hörte kaum das Lachen und Jubeln der Menschen um sie herum. Den Kopf in den Nacken gelegt, betrachtete sie den mannesbreiten Tambour, einen Ring aus Stein, die Basis für das Unvorstellbare, das Unglaubliche. Er allein sollte den Cupolone tragen, die große Kuppel, ohne ein schützendes Gerüst darunter. Die Gewissheit, in wenigen Momenten einen Blick auf das Modell aus Holz und Stein von capomaestro Filippo Brunelleschi zu erhaschen, den Vater einen Träumer schimpfte, ließ Julianas Knie zittern.

Die engen Gassen spuckten unaufhörlich Schaulustige auf die überfüllte Piazza. Würde sie heute nur verschwitzte Häupter sehen? Längst glich die Piazza einer riesigen Baustelle, nicht dem Vorplatz eines heiligen Ortes. Um mehr Platz zu schaffen, waren sogar Bäume umgesägt worden. Den Arbeitern blieben nur wenige Orte, an denen sie ihre spärlichen Arbeitspausen im wohltuenden Schatten verbringen konnten. An besonders heißen Tagen glühte der Boden unter ihren Füßen. Sie hasteten so schnell sie konnten barfuß darüber. An den Längsseiten der Häuser, die die Piazza säumten, reihten sich Stapel langer Holzbretter und roter Backsteinziegel, so weit das Auge reichte. Abenteuerlich anmutende hölzerne Konstruktionen entstanden nach Brunelleschis Bauplänen. Damit würde die schwere Last in die Höhe gehievt, ohne dass die Arbeiter unter der Bürde zusammenbrachen, erklärte ihr Vater mit einem Kopfschütteln. Juliana lauschte verblüfft dem Knirschen der Zahnräder und Seile, die große Steinblöcke und Körbe mit Ziegeln in die Lüfte hoben. Bisher hätten die Männer schwer beladen schmale, gewundene Stufen bezwingen müssen, die hinauf zum Tambour führten, erklärte ihr Vater weiter.

»Hätte ich dich bloß nicht mitgenommen«, murmelte Ferdinando Serrati. Ungeduldig drängte er sie weiterzugehen, doch Juliana blieb versteinert stehen.

 

Irgendwo fiel der Name des Baumeisters. Filippo Brunelleschi. Ein Arbeiter hatte nach dem capomaestro gerufen. Allein die Erwähnung seines Namens ließ die umstehenden Menschen verstummen. Über die Mauern der Stadt hinaus kannte man den eigenbrötlerischen capomaestro und lobte seine Bauwerke. Nur in Florenz, wo er Tag für Tag eine Armee von Arbeitern befehligte, wusste man auch weniger Gutes über ihn zu berichten. Von übermäßigem Ehrgeiz war die Rede, dabei fand Filippo zahlreiche Befürworter. Besonders laut waren deren Stimmen geworden, nachdem er den Wettbewerb der Dombauhütte für sich entschieden hatte, die für den Bau der gigantischen Kuppel verantwortlich zeichnete. Juliana wusste nicht viel darüber, doch die Aufregung, die seit Anbeginn der Arbeiten auf der Piazza herrschte, war ihr nicht verborgen geblieben. Viele Steinmetze, Maurer und Hilfskräfte hatten sich in die Arbeitsregister eingetragen und wurden aus den unzähligen Bewerbern ausgewählt. Ihrem Vater oblag es, die Verträge mit den Dutzenden Handwerkern abzuschließen und dafür zu sorgen, dass alle Vereinbarungen mit der Dombauhütte, der Opera del Duomo, eingehalten wurden.

»Es ist unglaublich. Sie lassen den aufgeblasenen Träumer hochleben.« Ihr Vater beschirmte seine Augen mit einer Hand und wies gen Norden. Hinter den mächtigen Stadtmauern warteten Schlangen von Menschen bis über die Hügel nach Prato oder Fiesole. Alle wollten einen Blick auf die Bauarbeiten werfen, von denen man sich überall erzählte. Ein Bauwerk, das alles übertreffen und Florenz zur Königin der Künste machen sollte. »Das nennen sie arbeiten? Faules Pack, das sich dieser Verrückte angelobt hat.«

Juliana folgte dem Blick ihres Vaters und lächelte milde. Es war unerträglich heiß. Sie sehnte sich danach, ihr Tuch abzunehmen und die sanfte Brise auf ihrem Kopf, auf ihrem Gesicht zu spüren, doch das schickte sich nicht. Viele der Arbeiter waren erschöpft in den spärlichen Schatten geflüchtet. Hastig tranken sie kühles Wasser, um sich die Hitze erträglicher zu machen. Sie bissen in frisches Brot und aßen köstlich duftenden Schinken. »Nicht jeder kann sich in die Kühle seines Palazzo zurückziehen und ein Loblied auf den Tag singen«, antwortete Juliana und beobachtete die erschöpften Männer. Unmittelbar neben ihr trat ein breitschultriger Mann aus einem Bretterverschlag hervor. Sein schmutziges Hemd triefte vor Schweiß und roch übel. Verunsichert trat sie einige Schritte zurück.

»Nicht jeder ist so mutig, dem notario zu widersprechen«, flüsterte der Arbeiter mit einem spöttischen Lächeln und deutete eine Verbeugung an. »Schade, dass nicht Ihr an seiner Stelle seid und der Signoria die Augen öffnet, bevor der notario alle ins Verderben stürzt.«

Bevor Juliana etwas sagen konnte, empfahl sich der Mann und sah ihren Vater verärgert an. Obwohl das Verhalten des Fremden unentschuldbar war, konnte sie nicht umhin, über seine Worte nachzudenken. Nicht jeder konnte Vaters Freund oder Fürsprecher sein. Ferdinando Serrati suchte keine Freunde, sondern Bewunderer, die ihm Beifall klatschten und sein Urteil niemals infrage zu stellen wagten. Sie wusste, ihr Vater war in seinen Entscheidungen hart, beinahe grausam. Schließlich vertrat er die Rechte jener, die ihn berufen hatten und darauf beharrten, dass sich der notario nicht vom Glanz Hunderter Gulden blenden ließ. Immerhin verhalf er auch dem einfachen Künstler zu seinem gerechten Lohn, falls ihm dieser von einem launischen Patrizier vorenthalten wurde. Manchmal wurde die Wache gerufen, um ihren Vater zu beschützen. Dennoch schaffte der notario vieles zum Wohle der Stadt, auch wenn das mancher Florentiner anders empfand.

Juliana liefen Tränen über die Wangen. Umringt von Dutzenden Menschen fühlte sie sich allein. Verstohlen wischte sie sich mit dem Handrücken über das Gesicht und straffte den Rücken. Was immer geschah, sie würde heute das Modell sehen! Assunita würde gewiss vor Neid platzen, wenn Juliana ihr später jedes Detail genau schildern konnte. Meistens erzählte die Freundin, was sie brühwarm in der Bäckerei ihrer Eltern von Gerüchten und Ereignissen in der Stadt erfuhr. Heute war es Juliana, die etwas zu berichten hatte. Mit einem hoffnungsvollen Lächeln wandte sie sich ihrem Vater zu, dessen Aufmerksamkeit sich auf ein neues Ärgernis richtete.

»Gott steh uns bei!«

Hatte nicht ihr Vater, der notario, den Kuppelbau zu beaufsichtigen und hatte er nicht in den Sitzungen des Rats immer wieder das Wort für den capomaestro ergriffen und ihn verteidigt? Woher kam Vaters plötzliche Sorge um das Scheitern des Baumeisters?

»Brunelleschi suhlt sich in Gottes Gnade und wird einem Engel gleich triumphieren«, wiederholte sie jene Worte, die er ihr bis vor Kurzem Abend für Abend gepredigt hatte. Was immer ihren Vater zweifeln ließ, es war zu spät. Die Fortschritte an der cupola ließen sich nicht leugnen, glaubte man den Aussagen von Brunelleschis treuen Gefolgsleuten. Vaters seltsames Verhalten lastete Juliana der schwülen Hitze an. Er verhielt sich jedoch seit Wochen sonderbar, lange bevor es so heiß geworden war, überlegte sie.

»Du hast recht, Liebes. Heute ist nicht der Tag für die Hirngespinste eines alten Mannes. Lass uns endlich sehen, was dir den Schlaf raubt, meine schöne Tochter.« Die dicken Sorgenfalten schienen verschwunden. Er beugte sich über sie und gab ihr einen sanften Kuss auf die Stirn. »Es wird nicht lange dauern, bis alles einstürzt und du begreifst, dass du närrisch und blind warst«, fügte er hinzu.

Juliana seufzte, endlich stand die lang ersehnte Betrachtung des Modells unmittelbar bevor. Aufgeregt wandte sie sich dem Treiben rund um die Basilika zu. Vergessen war die Beklommenheit, die Vaters Worte in ihr ausgelöst hatten. Sie folgte ihm und zwang sich, kleinere Schritte zu gehen. Ihre Ungeduld kannte keine Grenzen mehr. Die unbändige Freude der Menschen, der Stolz, mit dem sie sich brüsteten, ein solches Bauwerk in ihrer Stadt zu haben, erfasste sie ebenso. Oft hatte sie versucht, sich die vollendete Kuppel vorzustellen, und war am bloßen Gedanken daran gescheitert.

Sie glaubte, dass nur ein Mann ein genaues Bild der cupola im Kopf hatte: Filippo Brunelleschi. Der energische Bauherr war voller Ideen, wenn auch mit einem gewissen Maß an Eigensinn, und er schien allen Widrigkeiten zu trotzen. Er plane die Wölbung aus Mauerwerk und Holz, hatte Juliana von Bernardo erfahren, einem Diener in der Casa Serrati. Der junge Mann mit dem bleichen Gesicht ließ sich von ihrem Lächeln stets zu leicht betören und hatte keine Widerrede gewagt, wenn sie ihn weiter ausgefragt hatte. Zudem hatte sie ihn einmal dabei ertappt, wie er sich in der Küche an den Knöpfen einer Magd zu schaffen gemacht hatte. Bernardos Angst, in Ungnade zu fallen und seine Arbeit zu verlieren, überstieg seine Sorge, ihr Vater könnte von ihren zweifelhaften Tauschgeschäften erfahren. Bernardo war mit einigen der Handwerker befreundet und hörte so manches, was er Juliana über ihre Kinderfrau Maria ausrichten ließ.

Brunelleschis Entwurf, nicht frei von Zweifel und Gefahr, hatte sich in der letzten Zusammenkunft der Signoria, dem Rat der Obersten der Stadt, durchgesetzt. Gegen Vaters Willen, der in dem Gremium als notario für Recht und Ordnung zu sorgen hatte, was beschwerlich und manchmal schwierig war. Der capomaestro verstand jegliche Widerworte gegen sein Meisterstück als Kritik an seiner Person. Das führte zu kleineren oder größeren Auseinandersetzungen zwischen den Anwesenden. Manchmal verlor Brunelleschi derart die Beherrschung, dass man ihn aus Sitzungen im Palazzo della Signoria tragen musste, weil er sich weigerte, den Saal zu verlassen. Ein prachtvoller Saal mit riesigen Gemälden in goldenen Rahmen, in denen sich das Sonnenlicht spiegelte. Sie seufzte leise. Am Kuppelbau spalteten sich wahrhaftig die Gemüter der Florentiner.

Je näher Juliana und ihr Vater der Basilika kamen, desto schlimmer wurde das unsanfte Gedränge. Dicht an dicht standen die Menschen inzwischen vor dem Eingang. Sie reckten ihre Hälse und sahen jenen nach, die mit verklärtem Blick aus dem Portal traten. Das Modell in der Kühle des Domes diente nicht nur dazu, die Neugier vieler zu stillen. Es sollte selbst den ungläubigsten Zweiflern zeigen, warum Brunelleschi den ausgeschriebenen Wettbewerb zu Recht für sich entschieden hatte. Zu hartnäckig waren seine Bemühungen, zu ausgeklügelt seine Pläne, zu stark seine Überzeugung gewesen, den richtigen Weg gefunden zu haben, als dass er hätte abgewiesen werden können.