Machtspiel

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Dana Winter kehrt eines Nachts nicht von ihrem Mädelsabend nach Hause zurück. Ihr Mann verständigt sofort ihre Schwester Chloe Kramer und den Polizisten Raul Lunardi, seinen besten Freund. Gemeinsam suchen sie nach der Verschwundenen, dabei erwacht eine heisse Affäre zwischen der Schwester der Entführten und dem Polizisten. Obwohl Chloe sich gegen die Gefühle wehrt, die sie für Raul empfindet, kommt sie nicht gegen die Leidenschaft an, die seine Berührungen in ihr aufwecken. Auch dann nicht, als sie zu wissen glaubt, dass er nicht das Gleiche für sie verspürt. Als sie schliesslich dem Kidnapper auf die Spur kommen und Chloe ebenfalls in dessen Fänge gerät, wird Raul erst bewusst, was er für sie empfindet und befürchtet schon, dass er nicht mehr die Gelegenheit bekommt, ihr seine Liebe zu gestehen...

Widmung

Für all jene, die mich in meinem Tun unterstützt und ermutigt haben weiter zu machen.

1.

Finn Winter schreckte schweissgebadet auf. Er konnte nicht sagen warum, aber irgendetwas muss ihn im Schlaf gestört haben. Nur was war es? Hatte er einen üblen Traum oder hatte er ein seltsames Geräusch gehört? Finn blieb ganz ruhig liegen und horchte angespannt in die Dunkelheit. Der etwas magere, grosse Mann mit seinen kurzen, schwarzen Haaren schaute auf den Wecker. Es war bereits nach zwei Uhr und die Seite neben ihm immer noch leer. Wo blieb nur seine Frau? Vor über fünfzehn Jahren lernten sie sich im Ausgang in Luzern kennen. Sie hatten einige gemeinsame Kollegen und trafen sich immer wieder durch Zufall. Ein Paar wurden sie etwa nach zwei Jahren, nachdem sie sich zum ersten Mal sahen, an einem Frühlingsabend am Vierwaldstättersee. An ihrem fünften Jahrestag gaben sie sich endlich das Jawort.

Wie jeden Freitag war auch heute Frauenabend. Seine Frau Dana, ihre Schwester Chloe und ein paar ihrer Freundinnen assen meistens in einem Restaurant und unterhielten sich angeregt über irgendwelche Frauenthemen. Wenn sie danach noch Lust hatten, verschlug es sie in die Stadt Luzern in einen Tanzclub. Doch auch dann waren die Frauen höchst selten so lange in die Nacht hinein unterwegs. Zwei Uhr wurde es ganz selten.

Da! Finn hörte es abermals. Ein leises Poltern. Finn als hoch angesehener Staatsanwalt, bewohnte seit drei Jahren, mit seiner Dana, dieses prächtige, vierstöckige Haus mit weisser Fassade, an der Seestrasse in Horw.

Obwohl diese Villa ziemlich gross war, war er sich ziemlich sicher, dass das Geräusch von der Haustür her kommen musste.

Dana war es wohl kaum, die an die Tür klopfte. Denn sie fuhr für gewöhnlich direkt in die Garage und musste das Haus nicht durch die Eingangstür betreten. Jedoch fiel Finn ein, dass sie heute gar nicht mit dem Auto wegfuhr. Chloe, ihre zwei Jahre jüngere Schwester, holte sie um acht Uhr ab. Höchstwahrscheinlich war es doch Dana, die durch die Tür ins Haus kam.

Der Kloss in seinem Magen wollte nicht verschwinden und der siebenunddreissig jährige Mann stieg aus dem Bett, um nachzusehen, woher das Geräusch kam. Er öffnete seine Nachttischschublade und nahm seine Pistole, Walther PP 9mm, heraus. Viele seiner Freunde hatten ihn dazu bewegt, einen Schiesskurs zu belegen, den er vor ein paar Jahren absolviert hatte. Auch wenn die Waffe ihm eine gewisse Sicherheit bot, ebbte dieses beklemmende Gefühl, das ihn zu übermannen versuchte, nicht ab.

Finn ging ein paar Schritte als er nochmals das Poltern hörte. Wie angewurzelt blieb er stehen. Er horchte einen kurzen Augenblick und ging dann mit schwerem Schritt in den Flur hinaus und auf die Treppe zu. Die Stufen aus amerikanischem Mahagoni gaben keinen Laut von sich, als Finn ins untere Stockwerk lief. Unten angekommen blieb er stehen und blickte in alle Richtungen ob er etwas sehen oder hören konnte.

Was machte er da nur? Winter kam sich mit einem Mal lächerlich vor. Wahrscheinlich war es doch nur seine Frau und hatte etwas mehr als genug Alkohol getrunken, so dass sie das Schloss der Haustür nicht mehr traf.

Zielstrebig lief Finn zur Tür, um sie aufzumachen. Doch statt seine Frau in der dunklen Nacht zu erblicken, fand er nur ein grosses, weisses Couvert vor sich auf dem Boden. Als er den Umschlag in die Hände nahm, fühlte er sich klebrig an. Finn betrachtete seine Finger und bemerkte augenblicklich, dass es sich mit grösster Wahrscheinlichkeit um Blut handeln musste. Mit geweiteten Augen und Herzrasen kehrte er sich um und verschloss die Tür hinter sich. Nun sah er, dass sich auf dem Couvert rote Fingerabdrücke befanden. In der Eingangshalle schaltete er das Licht an der Decke an. Sofort wurde der Flur durch einen grossen Kristall Kronleuchter ins helle Licht getaucht.

Finn wurde ganz elend, als er mit zittrigen Händen den blutgetränkten Briefumschlag öffnete und ein Blatt mit den wenigen Worten, die auf einem Computer geschrieben wurden, darauf entzifferte:

Was sagst du jetzt?

2.

Raul Lunardi hörte von weit weg sein Handy klingeln. Zuerst wusste er nicht ob er träumte oder ob es in Wirklichkeit geschah. Aus reiner Gewohnheit griff er nach seinem Natel. Auf dem Display erschien die Nummer seines besten Freundes, Finn Winter. Warum rief er ihn nach zwei Uhr nachts an? Das konnte nichts Gutes bedeuten.

Die beiden kannten sich bereits seit ihrer Jungendzeit. Sie gingen in Malters zusammen zur Schule und machten jeden Teenager-Streich mit, die ein Junge machen musste. Beide erlebten in ihren frühen Lebensjahren schwere Schicksalsschläge, wodurch ihre Jugend nicht immer glücklich und unbeschwert blieb. In dieser Zeit waren Raul und Finn unzertrennlich und konnten ihre Gefühle und Gedanke einander anvertrauen. Bis heute sind sie die besten Freunde geblieben und haben ihren Kontakt gut gepflegt.

Als Raul sich aufrichtete kamen die Erinnerungen an den gestrigen Abend wieder. Er wollte sich von seinem strengen Arbeitstag ablenken und sich verwöhnen lassen. Kurz entschlossen schaute er bei Pia vorbei, die immer erfreut war ihn zu sehen.

So kam es, dass Raul die letzte Nacht, wie so viele Nächte, nicht bei sich zu Hause verbrachte, sondern bei der blondhaarigen und kurvenreichen Frau, die nun neben ihm im Bett lag.

Mit schlaftrunkener Stimme nahm er ab.

„Hei Kumpel. Was gibt's?“

„Hallo Raul. Kannst du bitte so schnell wie möglich vorbei kommen?“

Raul erkannte die Stimme seines Freundes kaum wieder. Sie klang verstört und angsterfüllt.

„Was ist passiert?“ fragte Lunardi.

„Ich möchte nicht am Telefon darüber sprechen.“

„Ok. Wo bist du?“

„Zu Hause.“

„In zehn Minuten bin ich bei dir.“ und Raul legte auf.

Gerade als er aus dem Bett steigen wollte, bemerkte er eine kleine Bewegung neben sich.

„Ich werde mich bei dir melden, Honey.“ gab ihr einen Kuss auf die Wange und sprang auf die Füsse. Sein dunkelbraunes T-Shirt, die blauen Jeans, sowie Socken und Boxershorts fand er in der Wohnung verstreut, die er vor kurzer Zeit eiligst von sich streifte. Den Gürtel machte er auf dem Weg zur Haustüre zu.

Knapp vor halb drei traf Raul an der Seestrasse bei seinem Freund ein. Am Gartentor blieb er stehen und drückte auf die Klingel. Gleich darauf ging das Tor auf und er fuhr weiter, den geschwungenen Weg zum Haus hinauf. Als Lunardi vor der prachtvollen Villa, mit ihren vier Steinsäulen und den grossen Fenstern auf der Frontseite, hielt, war die schwere Tür aus Teakholz bereits offen. Er stieg aus seinem sportlichen Audi TT und entdeckte Finn in der Öffnung. Mit schnellen Schritten ging er auf Winter zu.

Finn drückte Raul die Hand und sie gingen ohne ein Wort ins Haus. Im Wohnzimmer setzte sich Raul auf eines der dunkelbraunen Sofas. Finn ging zur Bar um zwei Gläser mit Brandy zu füllen.

„Für mich bitte Wasser, Finn.“

Als er das Wasser Raul gereicht hatte, nahm Finn einen grosszügigen Schluck Brandy, den er für sich eingeschenkt hatte, um seine Nerven ein wenig zu beruhigen.

„Danke, dass du so schnell gekommen bist Raul.“

„Keine Frage Finn. Was ist denn los? Du siehst ziemlich mitgenommen aus.“

„Es geht um Dana. Sie ist bis jetzt nicht nach Hause gekommen. Kurz bevor ich dich angerufen habe, habe ich ein eigenartiges Geräusch gehört. Ich bin nach unten zum Eingang gegangen, um nachzusehen was es ist. Eigentlich dachte ich, dass es Dana sei, die zu weit ins Glas geschaut habe und ich öffnete die Tür. Aber statt Dana entdeckte ich diesen Umschlag.“ er reichte Raul das Couvert.

Bevor Lunardi ihn entgegennahm, zog er aus seiner Hosentasche ein paar Handschuhe um keine Fingerabrücke darauf zu hinterlassen. Als Kriminalpolizist ist er immer auf solche Umstände vorbereitet. Er hatte nach seiner Lehre als Maschinenmechaniker mit der Polizeischule begonnen. Nach fünf Jahren bei der Verkehrspolizei, wollte er einen Einblick erhalten, wie man in anderen Ländern bei der Polizei arbeitet. Aus diesem Grund ging er nach Australien und blieb dort fast vier Jahre lang. Kurz nach Finn und Danas Hochzeit, die er leider verpasste, kam er zurück in die Schweiz und erhielt, mit seinen damals dreissig Jahren, eine Stelle bei der Kriminalpolizei die sich auf Fahndungen spezialisiert. Bei dieser Abteilung ist er nun seit gut acht Jahren. Oft kam er in Situationen, wo er gerne einen anderen Job gehabt hätte. Bilder, die er am liebsten nicht gesehen hätte oder gerne vergessen würde. Zum Glück sind weit über der Hälfte seiner Fälle Erfolgserlebnisse, die ihn ermuntern, seinen Beruf weiterhin auszuführen.

 

Nun sah auch Raul die blutverschmierten Fingerabdrücke. Als er den Umschlag öffnete, zog er ein Blatt Papier heraus auf dem stand:

Was sagst du jetzt?

Raul sah seinen Freund ratlos an.

„Was meinst du, hat das zu bedeuten?“

„Das wüsste ich auch gerne.“

„Hast du irgendwelche Feinde oder zurzeit einen schwierigen Fall abzuklären?“

„Als Anwalt habe ich viele Verbrecher ins Gefängnis gebracht und werde das in Zukunft auch weiterhin machen. Allerdings habe ich derzeit keine gravierende Rechtsangelegenheit zu klären. Aber was das zu bedeuten hat, weiss ich bei Gott nicht.“ und er zeigte dabei auf den besagten Brief.

Raul legte den Umschlag auf den aus Rosenholz geschnitzten Salontisch und streifte sich die Handschuhe ab.

„Ich habe Dana mehrmals probiert zu erreichen, aber sie nimmt ihr Handy nicht ab. Das ist gar nicht typisch für meine Frau. Und normalerweise bleibt sie nicht so lange weg. Chloe, ihre Schwester, habe ich ebenfalls angerufen. Sie kam gleich ans Telefon und meinte, dass sie um etwa ein Uhr zusammen nach Hause fuhren. Jedoch wollte Dana noch einen Augenblick alleine sein, um die frische Luft und die kühle Sommernacht zu geniessen. Chloe müsste jederzeit hier erscheinen.“

„Warum wollte Dana in dieser Dunkelheit noch spazieren gehen?“ hakte Raul nach.

„Wir hatten heute eine kleine Meinungsverschiedenheit.“

„Um was ging es dabei?“

„Wie du weisst, ist Dana nicht gerade glücklich darüber, dass ich gelegentlich bis spät abends arbeiten muss, oder ein verplantes Wochenende absage.“

„Das muss aber ein ziemlicher Streit gewesen sein.“ hakte Raul nach.

„Für Dana anscheinend schon.“ somit war für Finn das Thema beendet.

„Glaubst du die Person, die diesen Umschlag hier vor der Tür hingelegt hat, hat mit dem wegbleiben deiner Frau zu tun?“

„Ich weiss nicht, was ich momentan denken soll. Ich hoffe nur, Dana ist nichts passiert und ich will mir einreden, dass sie diesen Abend noch ein klein bisschen auskosten möchte und in den nächsten Augenblicken zur Tür herein spaziert kommt, als wäre nichts gewesen.“

„Hast du sonst noch jemand von der Polizei informiert?“

„Nein. Ich wollte zuerst mit dir darüber reden. So wie es aussieht, benötigen wir wohl deine Kollegen?“

„Ich rufe kurz meine Partnerin Eileen Banz von der Spurensicherung an. Sie soll hierher kommen. Wir müssen alles inspizieren und den mysteriösen Umschlag nach Fingerabdrücken absuchen. Jede Hilfe zählt und ist wichtig.“

„Natürlich möchte ich so schnell wie möglich meine Liebste wieder in meine Arme schliessen.“ Bitte lass es ihr gut gehen, dachte sich Finn im Stillen.

3.

„Finn? Wo bist du?“ erklang es vom Eingang her.

„Chloe. Endlich.“ Finn erhob sich, ging in den Flur hinaus und auf seine Schwägerin zu, die er sofort fest in seine Arme schloss.

„Hast du irgendetwas von Dana gehört?“ fragte er sie.

„Sie hat sich bis jetzt nicht bei mir gemeldet. Ich habe es noch ein paar Mal auf ihrem Handy probiert. Kein Erfolg. Und du?“

„Ebenfalls nichts. Wo ist sie nur?“ verzweifelt hob Finn seine Arme und liess sie zugleich wieder fallen.

Chloe Kramer liebte ihren Job als Immobilienmaklerin, den sie bereits seit zehn Jahren ausübte. Sie war eine Frau, die mit ihren dreiunddreissig Jahren, fast ihr ganzes Leben hauptsächlich ihrem Beruf widmete. Vor etwas mehr als einem Jahr hatte sie zwar noch ganz andere Pläne, doch die wurden von einem Tag auf den anderen zerstört.

Zwei Jahre nach ihrer Lehre als Detailhandelsangestellte, fand sie eine Stelle bei der Maklerfirma Haydn Immobilien und absolvierte die Weiterbildung zur Immobilienmaklerin mit grosser Bravour. Der Inhaber Haydn Jüngst war von Anfang an liebenswürdig und geduldig mit ihr. Er hatte ziemlich schnell, grosses Vertrauen in sie und war sehr stolz auf seine jüngste Mitarbeiterin, die er behandelte, als wäre sie seine eigene Tochter. Sie konnte sich nicht mehr vorstellen, irgendwo anders ihr Geld zu verdienen. Jetzt noch weniger, da ihr Chef vor zwei Wochen verkündete, dass er sie zur Miteigentümerin haben möchte. Ausser ihrem Boss und ihr, waren vier weitere Personen bei Haydn Immobilien angestellt. Sie konnte sich bis heute noch nicht entscheiden, ob sie bereit dazu war, die Führung von diesen Leuten zu übernehmen und ob sie die Verantwortung über die Geschäfte dieser Firma tragen konnte.

Chloe hörte jemand mit schnellen, langen Schritten aus dem Arbeitszimmer kommen. Verwirrt blickte sie sich nach dem grossen Mann mit kurzen, wirren, blonden Haaren um.

„Chloe, das ist mein bester Freund und Kriminalpolizist Raul Lunardi. Raul, darf ich dir meine Schwägerin Chloe Kramer vorstellen?“

Die beiden gaben sich die Hände um sich zu begrüssen.

„Herr Lunardi.“

„Frau Kramer.“

Raul bemerkte, wie Chloes Hände zitterten und sich kalt anfühlten. Das musste an der ganzen Aufregung um ihre Schwester liegen. Er musterte Chloe von Kopf bis Fuss. Dabei wanderte sein Blick wieder zurück nach oben zu ihren grossen, grünen Augen, die ihn unverwandt ansahen. Ihre langen, braunen Haare hatte sie zu einem lockeren Zopf zusammengebunden. Warum war er nie dieser bezaubernden Frau begegnet?

„Hmhm.“ räusperte sich Chloe und wandte sich an Finn.

„Ich fand es ein bisschen merkwürdig, dass meine Schwester um diese Zeit noch die Beine vertreten wollte. Aber sie bestand darauf und es war ja nicht mehr so weit, bis zu eurem Haus. Ich bin auf dem Weg hierher die Strasse abgefahren, die Dana nach Hause gelaufen sein muss. Aber nirgends ein Zeichen von ihr.“

„Gehen wir ins Wohnzimmer.“ meinte Finn und alle folgten ihm hinein.

„Finn. Dana war den ganzen Abend ziemlich schweigsam. Ist irgendwas vorgefallen? Ist bei der Arbeit etwas passiert? Sie war heute sehr verschlossen und weigerte sich mit mir zu reden.“

„Kurz bevor du sie abgeholt hast, hatten wir eine kleine Auseinandersetzung. Wir hatten sicher schon einen grösseren Streit als letzten Abend. Daher kann ich mir nicht so wirklich vorstellen, dass sie wegen dem noch nicht nach Hause kommen wollte. Wiederum wüsste ich nicht, was sie sonst so bedrückt haben sollte.“

Chloe ging auf Finn zu. Sie nahm seine Hände in ihre und drückte sie leicht. In ihren Augen schimmerten Tränen und Angst um ihre zwei Jahre ältere Schwester.

„Was ist eigentlich mit den Überwachungskameras?“ wollte Raul wissen.

„Zum Glück habe ich dich hier. An die habe ich vor lauter Gedanken an Dana ganz vergessen. Die angeschlossenen Bildschirme befinden sich in meinem Arbeitszimmer.“

„Lass uns nachsehen, ob wir auf den Bändern irgendetwas erkennen können.“ und Raul erhob sich aus der Couch.

Zusammen liefen sie ins Büro und versammelten sich vor den vier Bildschirmen, die an der Wand gegenüber der Tür hingen.

„Wo habt ihr überall Kameras montiert?“ wollte Raul wissen.

„Am Gartentor, bei der Garage, bei der Terrasse und an der Eingangstür.“ äusserte sich Finn und sah auf die Bildschirme. Die Terrasse und Garage konnte man auf den Monitoren gut erkennen. Jedoch flimmerten die bei der Eingangstür und die vom Gartentor schwarz, weiss.

„Als ich ins Bett ging, funktionierten alle noch.“

„Warum ging die Alarmanlage nicht los? Die ist doch mit den Kameras verbunden oder?“

„Das ist eine gute Frage. Ich hätte schwören können, dass ich sie eingeschaltet habe. Es ist reine Gewohnheitssache, dass ich die Anlage einschalte, bevor ich ins Bett gehe. Ich könnte es aber auch vergessen haben. Denn wie ihr sehen könnt, ist sie ausgeschaltet.“ und zeigte auf das Display an der Wand neben sich.

„Kannst du bitte die Bänder zurückspulen?“ bat Raul.

Finn setzte sich an das Pult und spulte alle vier um fünf Stunden retour und drückte auf Schnelllauf Modus. Nichts geschah. Immer die gleichen Bilder. Doch plötzlich sahen sie eine Gestalt über die Mauer beim Gartentor klettern. Sie war ganz in schwarz gekleidet und trug eine Maske über dem Gesicht. Auf dem Rücken erkannte man eine kleine Tasche. Kaum war sie auf dem Rasen in den Gebüschen gelandet, flimmerte die erste Kamera bereits schwarz, weiss auf. Chloe, Raul und Finn starrten auf die noch übrigen Displays. Man sah wie sich die Person dem Haus näherte und schon war auch diese Überwachungskamera bei der Eingangstür ausser Betrieb gesetzt.

Chloe stöhnte leise auf. Aus purem Reflex, trat Raul hinter sie und drückte leicht ihre Schultern. Er konnte es sich nicht erklären warum, aber er hegte das Gefühl, als müsse er diese Frau beschützen. Er spürte, wie ihr Körper sich versteifte und leicht zitterte. Wahrscheinlich vor Angst um ihre Schwester, ging es ihm durch den Kopf. Am liebsten hätte er sie in die Arme genommen, erschien ihm dann doch als falsch, da er ihr erst vor ein paar Minuten zum ersten Mal begegnet war.

Chloe starrte auf die noch laufenden Monitore und konnte sich nicht konzentrieren. Ihre Gedanken schweiften ständig zu ihrer Schwester, die sich weiss Gott wo befand. Wo war sie nur? Fragte sich sie ununterbrochen. Die Hände auf ihren Schultern beruhigten sie auf eine seltsame Art und Weise. Sie musste sich eingestehen, dass sich die Nähe und Wärme von diesem fremden Mann hinter ihr, gut anfühlte.

Ein Klingeln unterbrach die Stille zwischen den Anwesenden.

„Das wird Eileen Banz meine Kollegin sein.“ meinte Raul. „Ich gehe schon.“ und löste sich somit von Chloe, um die Tür zu öffnen.

„Hallo Eileen, danke dass du so schnell gekommen bist.“ erklang Rauls Stimme nach kurzer Zeit vom Eingang her.

Eileen ist seit über sechs Jahren beim kriminaltechnischen Dienst. Da sie mit viel Enthusiasmus und Ehrgeiz an ihre Arbeit geht, wird sie von den meisten Kollegen sehr geschätzt, so wie auch von Raul Lunardi.

„Hast du all deine Instrumente dabei?“

„Hei Raul. Was ist denn los, dass du mich um diese Zeit, aus dem Bett holen lässt?“

„Es geht um die Frau von Finn Winter.“

„Der Anwalt Finn Winter?“

„Ja genau der. Dana Winter ist vor wenigen Stunden spurlos verschwunden. Wir wissen nicht, ob ihr etwas zugestossen ist, oder ob sie sich irgendwo amüsiert. Jedoch tippe ich auf Ersteres.“

„Wie meinst du das?“

„Ich glaube, dass Dana nicht aus freien Stücken von zu Hause fern bleit. Herr Winter hat einen Umschlag vor der Tür gefunden.“

Raul lief vor Eileen in den Wohnbereich um ihr den besagten Brief zu zeigen.

„Kannst du diesen bitte ins Labor bringen, um ihn auf jegliche Fingerabdrücke zu untersuchen? Ausserdem wurden zwei der vier Überwachungskameras funktionsuntüchtig gemacht. Vielleicht finden wir da irgendwelche Spuren.“

In der Zwischenzeit sind Chloe und Finn zu ihnen gestossen und hörten gebannt zu, wie Raul und Eileen sich organisierten. Frau Banz streifte sich Handschuhe über und steckte den Brief in einen Beweissicherungsbeutel, um ihn später im Labor zu inspizieren. Lunardi wollte

sich soeben auf den Weg zur Eingangstür machen, als er bemerkte, wie Chloe bleich und niedergeschlagen im Flur stand.

Chloe stellte mit einem gemischten Gefühl fest, wie der Polizist auf sie zukam und sie eindringlich bemusterte. Sie wusste nicht, was sie zu ihm sagen sollte, als er dicht vor ihr stehen blieb. Glücklicherweise kam er ihr zuvor.

„Geht es ihnen gut Frau Kramer?“ fragte Raul mit berührter Stimme.

„Ich fühle mich ziemlich am Boden zerstört. Ich frage mich ständig, wo meine Schwester sein könnte und ob mit ihr alles in Ordnung ist.“

„Wir werden sie finden, Frau Kramer, das schwöre ich Ihnen.“ er machte noch einen Schritt auf sie zu, dass sie seine Wärme schon fast körperlich spüren konnte. Mit einem Finger den er unter ihr Kinn legte, hob er ihr Gesicht ein wenig an, um sie genau betrachten zu können. Sie konnte dem Mann ihr gegenüber kaum in die Augen schauen, da liefen ihr bereits die Tränen. Im nächsten Atemzug lag sie auch schon in den Armen von diesem starken, gutaussehenden Polizisten. Sie prägte sich jeden Muskel von diesem Typen ein. Nach einigen Augenblicken löste sie sich langsam von ihm und rang um ihre Fassung.

„Ich werde mal nachsehen, wie es meinem Schwager geht.“ sie wollte sich schon in Bewegung setzten, als Raul sie am Arm zurückhielt.

 

„Geht es Ihnen auch wirklich gut?“

„Nein. Aber das spielt momentan keine Rolle.“ und ging davon.

Raul stand im Flur und schaute, verwundert über sich selbst, Danas Schwester nach, die mit hängenden Schultern den Flur entlang lief. Er schüttelte leicht seinen Kopf, um die Gedanken an diese Frau zu zerstreuen und wandte sich von neuem seiner eigentlichen Arbeit zu. Er musste wissen, warum die Kameras vor dem Haupttor und Haustür nicht mehr ordnungsgemäss liefen. Er holte aus seinem Auto eine Stablampe und eine Stufenleiter. Als erstes kontrollierte er das Gerät am Tor. Um an die heran zu kommen, kämpfte er sich an mehreren Dornenranken vorbei. Man musste Acht geben, dass man sich die Haut an den grossen Stacheln nicht verletzte. Es war nicht gerade einfach, um die Kamera im Halbdunkeln zu finden. Aber dafür musste man kein Profi sein, um festzustellen, warum das Gerät nicht mehr funktionierte. Es waren lediglich die Kabel durchgeschnitten. Bei beiden Kameras der gleiche Vorgang. Wenn man das richtige Werkzeug dabei hatte, war es kein Problem diese zu kappen. Gerade als er wieder ins Haus gehen wollte, traf er auf die Spurenexpertin.

„Hast du irgendwas gefunden?“ fragte Raul sie.

„Noch nicht. Ich werde bei Tageslicht nochmals herkommen. Im Moment ist es zu dunkel, um etwas finden zu können. Ich werde den Rasen hier.“ und zeigte von der Haustür bis zum Gartentor hinunter „absperren, damit niemand die Spuren verwischen kann. Danach bringe ich den Umschlag ins Labor.“ und machte sich an die Arbeit.

Zurück im Haus folgte Raul dem Kaffeeduft, der sich im Haus verteilte. Schliesslich traf er in der Küche auf Finn und Chloe, die stillschweigend einander vis-à-vis sassen und jeder eine Kaffeetasse in den Händen hielt.

„Möchten Sie auch eine Tasse?“ fragte Chloe, als sie ihn entdeckte.

„Ja, gerne.“ und nahm ebenfalls am Küchentresen Platz.

„Finn, könntest du eine Liste von den Verurteilten erstellen, die wegen dir im Gefängnis landeten und wieder auf freiem Fuss sind? Sowie die Fälle, die du am Bearbeiten bist? Wir müssen alles in Betracht ziehen. Ausser dem Brief haben wir bis jetzt leider keine einzige Spur. Eileen kommt bei Tagesanbruch wieder, um sich dann nochmals genau umzusehen.“

„Was für ein Brief?“ fragte Chloe.

„Ich habe dir doch erzählt, dass ich wegen einem Poltern aufgewacht bin. Als ich zur Tür ging, lag ein Couvert mit roten Fingerabdrücken da. Wie es sich herausstellte, sind die Abdrücke aus Blut.“

Mit geweiteten Augen stiess Chloe einen erschreckten Seufzer aus. Raul legte behutsam seine Hände auf ihre und blickte ihr tief in die Augen.

„Bitte malen Sie sich nicht zu viele schreckliche Bilder aus. Wir werden Ihre Schwester finden.“

„Ich danke Ihnen von Herzen, Herr Lunardi, dass sie uns helfen werden, Dana zu finden.“ und wandte sich ihrem Schwager zu. „Wo denkst du, könnte Dana sein? Was ist ihr nur widerfahren?“

„Ich habe grosse Angst, dass ihr was Schreckliches zugestossen ist. Dass sie von einem Bastard entführt wurde, nur um mir eins auszuwischen.“

Den Kopf auf die Hände gestützt, fuhr er fort „Nur leider kann ich nicht sagen, wer für diese Bosheit in Frage käme. Ich zerbreche mir schon die ganze Zeit darüber den Kopf, komme aber nicht weiter.“

Chloe ging zu ihrem Schwager und nahm ihn in die Arme. Sie wusste nicht, was sie sagen sollte. Ihr ging es nicht anders als Finn. Schliesslich war es ihre Schwester und zugleich beste Freundin, die vermisst wurde.

Die drei sassen noch eine Zeit lang am Tisch und versuchten herauszufinden, wo sich Dana befand. Immer wieder sahen sie auf die Uhr und gaben die Hoffnung nicht auf, dass die Vermisste plötzlich im Flur auftauchen würde.

Irgendwann erhob sich Chloe von ihrem Stuhl. „Finn ich werde nach Hause fahren und dann eine Runde joggen gehen. Ich muss versuchen mich abzulenken. Meldest du dich bei mir, wenn ihr etwas erfahren habt?“

„Mache ich. Danke, dass du gekommen bist.“

„Herr Lunardi.“ Chloe gab ihm die Hand, um sich von ihm zu verabschieden.

„Hier, ich gebe Ihnen meine Visitenkarte. Sie können mich jederzeit anrufen, wenn Ihnen irgendwas einfällt.“

Raul hätte sie am liebsten an sich gedrückt, so niedergeschlagen, wie sie drein blickte, getraute sich jedoch nicht. Was hätte sie auch von ihm gehalten? Sicherlich hätte sie ihn weit von sich gestossen und ihn als aufdringlich und unverschämt bezeichnet. Sie kannten sich ja kaum.

Finn begleitete Chloe zur Tür und kam gleich darauf zurück in die Küche.

„Warum bin ich dieser bezaubernden Frau noch nie begegnet?“ fragte Raul seinen Freund.

„Ich habe sie dir aus einem bestimmten Grund nie vorgestellt.“

Verdutzt schaute Raul den Mann gegenüber von ihm an „Wie darf ich das denn verstehen?“

„Wann hattest du eine richtige Beziehung? Chloe ist wirklich nett und verdient mehr, als nur eine kurze Affäre.“

„So siehst du mich also?“

„ Wie soll ich es auch anders können. Fast jede Woche begleitest du eine andere Frau nach Hause und wenn du keine Lust hast zu suchen, rufst du einfach deinem Betthäschen Pia an. Chloe war bis vor etwa einem Jahr in einer ernsthaften Beziehung, die aus unglücklichen Gründen in die Brüche ging. Aber dazu möchte ich dir nichts Genaueres erzählen. Das wäre Chloe gegenüber nicht fair.“

„Ich verstehe dich. Du kannst mir vertrauen, wenn ich sage, dass ich deiner Schwägerin nicht wehtun werde. Ich möchte sie nur kennenlernen.“

„Das rate ich dir auch an.“

„Für mich wird es auch Zeit aufzubrechen. Ich gehe kurz nach Hause und muss mich dann bei dem Polizeiposten blicken lassen. Melde dich, wenn du die Liste mit den Straftätern und deinen allfälligen Feinden fertiggestellt hast. Wenn du sonst über Neuigkeiten verfügst, lass es mich wissen.“