Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland

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IV. Der Rechtsschutz im „Ursprungs – MVG.EKD“ 1992 – (MVG.EKD 1992)72

Nicht zuletzt dieser ineffektive Rechtsschutz führte zur Entstehung des MVG. EKD 199273, wenn auch das Bedürfnis im Vordergrund gestanden hatte, ein einheitliches Mitarbeitervertretungsrecht in der evangelischen Kirche zu schaffen, und zwar in zweifacher Hinsicht: zum einen sollte eine Vereinheitlichung des in den Landeskirchen jeweils geltenden Mitarbeitervertretungsrechts erreicht werden; zum andern sollte die Diakonie, in der bisher Mitarbeitervertretungsregelungen nur auf der Grundlage von Satzungsrecht beschlossen worden waren74, in den Bereich des staatskirchenrechtlichen Selbstverwaltungsrechts geholt werden75, wozu es erforderlich war, über einen kirchenrechtlichen Anknüpfungspunkt – ein synodales Kirchengesetz – zu verfügen76.

Zur Verbesserung des Rechtsschutzes wurde insbesondere das Erfordernis einer zweiten Instanz im Schlichtungsverfahren bei Zuständigkeit für den gesamten Bereich der Evangelischen Kirche in Deutschland mit dem Wunsch der Diakonie begründet, in deren Bereich Schlichtungsausschüsse auch unterschiedliche Entscheidungen getroffen hätten, die dann nicht mehr anfechtbar seien; denn staatliche Gerichte hätten sich für unzuständig erklärt, aber auch darauf hingewiesen, dass das Fehlen einer zweiten Instanz nicht den üblichen Standards entspräche77.

Das Verfahren vor den Schlichtungsstellen wurde als eigenständiges Verfahren ausgestaltet, d. h. ohne eine Verweisung „im Übrigen“ auf eine staatliche Verfahrensordnung. Allerdings wurde für die Mitarbeitervertretung zur Verbesserung des Rechtsschutzes78 ein Beschwerderecht (§ 48 MVG.EKD 1992) eingeführt; auch wurde die Ersatzvornahme (§ 60 VII MVG.EKD 1992) in das Gesetz mit der Einschränkung aufgenommen, dass es den Gliedkirchen freigestellt wird, hiervon Gebrauch zu machen, während eine Selbstbindung der EKD nicht vorgesehen war.

Staatliche Zwangsmaßnahmen wurden für das erstinstanzliche Schlichtungsverfahren nicht gesetzlich ausgeschlossen, weil man davon ausging, dass sich die Beteiligten eines Schlichtungsverfahrens an die Entscheidungen der Schlichtungsstelle halten werden79.

Im Zeitpunkt des Inkrafttretens des MVG.EKD 1992 war das Gesetz über das Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland (VVG.EKD)80 noch nicht erlassen worden (vgl. die Übergangsvorschrift des § 63 II MVG.EKD 1992). Nach § 63 I MVG.EKD 1992 war in bestimmten Fällen gegen Beschlüsse der Schlichtungsstelle der „kirchliche Verwaltungsrechtsweg“ gegeben, womit offenblieb, ob als Rechtsmittel Beschwerde, Berufung oder Revision in Betracht kam81. Diese Frage beantwortete das VerwG.EKD dahin, dass das Rechtsmittel als „Beschwerde“ bezeichnet wurde, obwohl davon weder im MVG. EKD 1992 noch im VVG.EKD die Rede war82. Gem. § 15 VVG.EKD waren die Entscheidungen des VerwG.EKD endgültig. Auf das Verfahren fanden gem. § 16 VVG.EKD die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung Anwendung. Allerdings wurden die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen (§§ 167 ff. VwGO) für nicht anwendbar erklärt. Dies führte zu der Forderung, eine Vollstreckungsregelung direkt in das MVG.EKD aufzunehmen und eine Zwangsgeldfestsetzung durch die Schlichtungsstelle zu ermöglichen83.

Eine Aufwertung des Rechtsschutzes bedeutete die Einführung von „einstweiligen Anordnungen“ (§ 62 MVG.EKD). Jedoch verzichtete der Gesetzgeber auch hier darauf, auf die staatlichen Gesetze zu verweisen. Stattdessen heißt es dort: „Kann in Eilfällen die Kammer nicht rechtzeitig zusammentreten, trifft der oder die Vorsitzende einstweilige Anordnungen.“ Diese Regelung wurde als „unklar“ kritisiert84.

Die kirchengerichtliche Rechtsprechung versuchte im Wege der Auslegung den Rechtsschutz zu effektuieren. So vertrat das VerwG.EKD die Auffassung, dass gegen eine Entscheidung nach § 62 MVG.EKD 1992 die Beschwerde nach § 63 MVG.EKD 1992 gegeben sei, weil es sich auch bei ihr um einen „Beschluss der Schlichtungsstelle“ handle, auch wenn sie der Vorsitzende allein getroffen habe. Im Übrigen habe durch die Schaffung des Verwaltungsgerichts im Mitarbeitervertretungsrecht eine zweite Instanz eingerichtet werden sollen Dadurch habe man zugleich der Kritik an den bisherigen Rechtsschutzmöglichkeiten Rechnung tragen wollen. Das Gericht hielt daher die Beschwerde für zulässig und unterzog sie einer Überprüfung nach § 123 VwGO. Dabei ging es davon aus, dass für die Entscheidung des Beschwerdegerichts im Verfahren auf Erlass einer einstweiligen Anordnung dieselben Grundsätze gelten wie für die Entscheidung erster Instanz. Damit wurde unterstellt, dass bei Verfahren nach § 62 MVG.EKD 1992 die Prüfung nach §§ 935, 940 ZPO, § 123 VwGO zu erfolgen habe85.

Diese Auslegung des § 62 MVG.EKD erscheint aber schon deshalb zweifelhaft, weil das erstinstanzliche Schlichtungsverfahren (Hauptverfahren) keinen Verweis auf staatliche Verfahrensvorschriften vorsah. Wenn dem Gesetzgeber aber daran lag, das erstinstanzliche Hauptverfahren eigenständig zu regeln, so fragt sich, warum dann im Eilverfahren Rückgriff auf die Vorschriften der VwGO und der ZPO genommen werden sollte. Anscheinend wurde mithin aus der Verwendung des Begriffs „einstweilige Anordnung“ geschlossen, dass es sich um ein einstweiliges Rechtsschutzverfahren i.S.d. § 123 VwGO handeln muss. Demgegenüber wurde zu Recht darauf hingewiesen, dass zu den inhaltlichen Voraussetzungen einer einstweiligen Anordnung keine Angaben gemacht werden. „Aus der Formulierung kann lediglich geschlossen werden, daß es noch ein späteres Hauptsacheverfahren geben kann. Ob hier ein echter vorläufiger Rechtsschutz im Sinne des § 123 VwGO gemeint ist, muß zumindest bezweifelt werden. Der Wortlaut der Bestimmung mutet eher wie ein Übergang zur Einzelrichterentscheidung auf Antrag an, wenn die Kammer verhindert ist. Ein gut geregeltes einstweiliges Anordnungsverfahren könnte u. U. bestehende Rechtsschutzlücken schließen …“86.

Die ersten Jahre praktischer Rechtsanwendung des MVG.EKD 1992 erwiesen sich durchaus als positiv87. Allerdings waren auch die Defizite insbesondere im Bereich des Rechtsschutzes nicht zu übersehen. Es fehlte an klaren Regelungen für das erstinstanzliche Verfahren, insbesondere auch für den einstweiligen Rechtsschutz. Auch das zweitinstanzliche Verfahren war durch den Hinweis in § 63 MVG.EKD 1992 auf den Verwaltungsrechtsweg und durch den Zuständigkeitskatalog nicht zufriedenstellend gelöst.

V. Das erste Änderungsgesetz zum MVG.EKD vom 6.11.1996 – (MVG.EKD 1996)88

Bereits vier Jahre nach Erlass des MVG.EKD 1992 trat mit Wirkung zum 1.1.1997 das erste Änderungsgesetz (MVG.EKD 1996) in Kraft mit zahlreichen Detailänderungen, jedoch mit dem Ausbau des Rechtsschutzes als Schwerpunkt.

In § 56 MVG.EKD wurde das erstinstanzliche Verfahren als „gerichtliches Verfahren“ bezeichnet und damit zum Ausdruck gebracht, dass es sich bei den „Schlichtungsstellen“ um Kirchengerichte handelt89. Bislang entschied die Schlichtungsstelle in nicht-öffentlicher Verhandlung (§ 61 V 2 MVG. EKD 1992). Der kirchengerichtliche Charakter der Schlichtungsstelle wird nunmehr dadurch unterstrichen, dass ihre Kammern öffentlich tagen, es sei denn, besondere Gründe erforderten den Ausschluss der Öffentlichkeit (§ 61 V 3 MVG.EKD 1996)90.

Ferner wurde die Zuständigkeit der Schlichtungsstelle neu geregelt. An die Stelle des Zuständigkeitskatalogs und der „kleinen Generalklausel“ in § 60 I MVG.EKD 1992 trat nunmehr eine umfassende Generalklausel, wodurch Auslegungsschwierigkeiten behoben wurden91.

Eine erhebliche Änderung brachte jedoch die Klarstellung in § 62 MVG.EKD 1996, wonach für das Verfahren vor der Schlichtungsstelle die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung entsprechend anzuwenden sind. Dies bedeutete die Angleichung des Verfahrensrechts in erster und zweiter Instanz. Wie bereits in § 16 VVG.EKD wurde auch in § 62 S. 2 MVG.EKD 1996 die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen für nicht anwendbar erklärt. Den bereits zum MVG. EKD 1992 geäußerten Bedenken, dass eine Vollstreckung der kirchengerichtlichen Entscheidungen, etwa eine Zwangsgeldfestsetzung, möglich sein müsse, weil die bisherigen innerkirchlichen Durchsetzungsmittel nicht ausreichend seien92, wurde nicht entsprochen.

Für den einstweiligen Rechtsschutz bedeutete die Regelung in § 62 MVG.EKD 1996 eine weitere Klarstellung; denn dadurch, dass die frühere Regelung des § 62 MVG.EKD 1992 (nunmehr § 61 X MVG.EKD 1996) zum Bestandteil des Verfahrens nach der Verwaltungsgerichtsordnung wurde93, waren zumindest die Bedenken, ob es sich um einen „echten vorläufigen Rechtsschutz“ handle94, ausgeräumt. Allerdings stellte sich damit aufgrund des Ausschlusses der Zwangsregelungen bereits das Problem der Vollziehung der einstweiligen Anordnungen.

Schließlich wurde klargestellt, dass es sich bei dem Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Schlichtungsstelle um „Beschwerden“ handelt (vgl. § 63 I MVG.EKD 1996). Diese Klarstellung war schon deshalb erforderlich, weil ansonsten wegen § 62 S. 1 MVG.EKD 1996 auf das Beschwerdeverfahren nach §§ 146 ff. VwGO hätte zurückgegriffen werden müssen Die Beschlüsse der Schlichtungsstelle haben jedoch die Qualität von Urteilen im Sinne des § 124 VwGO; denn § 63 I MVG.EKD stellte klar, dass es sich bei der „Beschwerde“ um ein der Berufung i.S.d. § 124 VwGO entsprechendes Rechtsmittel handelt, das den Weg zu einer vollwertigen zweiten Instanz in Mitarbeitervertretungssachen eröffnet95.

 

Der Zuständigkeitskatalog des § 63 MVG.EKD 1992 wurde erweitert: das Verwaltungsgericht ist nunmehr zuständig für alle Streitigkeiten von „grundsätzlicher Bedeutung von Rechtsfragen“ (§ 63 I lit. h) MVG.EKD 1996).

Mit der ergänzenden Heranziehung der VwGO für das Verfahren vor der Schlichtungsstelle ergab sich allerdings die Frage, ob die nunmehr über § 62 MVG.EKD 1996 im Mitarbeitervertretungsverfahren anzuwendende Offizialmaxime (§ 86 VwGO) angemessen ist. Es wurde darauf hingewiesen, dass im Bereich der Verwaltungsgerichtsordnung eine solche Verfahrensgestaltung zwar sinnvoll sei, weil es sich um Verwaltungsvorgänge handele. Bei diesen seien in der Regel staatliche Behörden tätig, aus deren Akten sich dann der vom Verwaltungsgericht zugrunde zulegende Sachverhalt entweder ergebe oder zumindest ergebe, inwieweit rein tatsächlich Streit bestehe; eine solche aktenmäßige Vorbereitung in mitarbeitervertretungsrechtlichen Streitigkeiten sei jedoch weder geboten noch zu erwarten96.

VI. Das Vierte Änderungsgesetz vom 6.11.2003 – (MVG.EKD 2003)97

Das MVG.EKD 2003 ist als Artikel 5 (Änderung des Mitarbeitervertretungsgesetzes) Bestandteil des Kirchengesetzes über die Errichtung, die Organisation und das Verfahren der Kirchengerichte der EKD (KiGOrG.EKD)98. Schwerpunkt der Gesetzesänderung bilden daher auch hier die Fragen des Rechtsschutzes.

Durch die Aufgabe des Begriffs „Schlichtungsstelle“ zugunsten der Bezeichnung „Kirchengericht“ (§ 56 S. 1 MVG.EKD 2003) sollte betont werden, dass es sich bei dem ersten mitarbeitervertretungsrechtlichen Verfahrenszug um eine vollwertige kirchengerichtliche Instanz handelt. Allerdings wird den Gliedkirchen durch § 56 S. 2 MVG.EKD 2003 eine abweichende Bezeichnung für die Kirchengerichte ermöglicht. „Kirchengericht“ bedeutet allerdings mehr als nur eine „Änderung im förmlichen Bereich“99: so wurden die Schlichtungsstellen in verfahrensrechtlicher Hinsicht und auch im Hinblick auf ihre Besetzung immer mehr der staatlichen Gerichtsbarkeit angenähert, was zu einer entsprechenden Akzeptanz ihrer Entscheidungen im staatlichen Bereich führte100. Die Bezeichnung „Kirchengericht“ erscheint daher nur als folgerichtig.

Entscheidender waren allerdings die Änderungen, die den prozessualen Bereich betreffen. Hier wurde der Kritik hinsichtlich der Einbeziehung der Verwaltungsgerichtsordnung in das mitarbeitervertretungsrechtliche Verfahren101 Rechnung getragen: § 62 S. 1 MVG.EKD 2003 erklärt die Vorschriften des Arbeitsgerichtsgesetzes über das Beschlussverfahren (§§ 80 ff. ArbGG) „im Übrigen“ für entsprechend anwendbar. Die Vorschriften über Zwangsmaßnahmen wurden für nicht anwendbar erklärt (§ 62 S. 2 MVG. EKD 2003). Auch § 24 KiGG.EKD schließt staatliche Zwangsmaßnahmen aus. Die nichtamtliche Begründung zu dieser Vorschrift, die hinsichtlich dieses Ausschlusses im Wesentlichen auf verfassungsrechtliche Grundsätze verweist102, kann auch für die Regelung im Mitarbeitervertretungsgesetz herangezogen werden. Die Versuche, hinsichtlich der Vollstreckbarkeit eine Gleichstellung mit den Entscheidungen der Schiedsgerichte zu erreichen, scheiterten103.

Im Hinblick auf den einstweiligen Rechtsschutz verblieb es bei der Vorschrift des § 61 X, in der nunmehr – wegen § 62 S. 1 MVG.EKD 2003 folgerichtig – „einstweilige Anordnungen“ durch „einstweilige Verfügungen“ ersetzt wurde. Über den Regelungszweck und Regelungsbereich besteht jedoch Unklarheit104. Im Übrigen fragt sich, ob und gegebenenfalls wie diese einstweiligen Verfügungen vollzogen werden können.

Eine Änderung ergab sich auch insofern, als nunmehr gegen Entscheidungen, mit denen die Kammer oder der/die Vorsitzende des Kirchengerichts den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ohne mündliche Verhandlung stattgegeben hat, nicht mehr wie noch nach dem MVG.EKD 1996 die Beschwerde zum (damals) VerwG.EKD stattfindet, sondern der Widerspruch zum Kirchengericht. Gegen dessen Beschluss im Widerspruchsverfahren ist die Beschwerde (§ 63 VII MVG.EKD) zum KGH.EKD gegeben105. Dieses gilt auch bei Entscheidungen des Kirchengerichts nach mündlicher Verhandlung106.

§ 63 V MVG.EKD 2003 regelt einen eigenen Zugang im Wege der einstweiligen Verfügung zur zweiten Instanz. Voraussetzung ist allerdings, dass dort das Hauptsacheverfahren aufgrund einer Beschwerde gegen eine Entscheidung des Kirchengerichts anhängig ist. Diese Regelung wird damit begründet, dass sich aus der Verfahrensdauer die Notwendigkeit ergeben könne, lange nach Einleitung des Verfahrens einstweilige Regelungen zu treffen107.

Die Entscheidungen der zweiten Instanz sind endgültig (§ 63 VI MVG.EKD). Ob diese Vorschrift nur deklaratorischen Charakter hat, weil eine weitere Zuständigkeit etwa des Verfassungsgerichtshofs der EKD nicht normiert ist108 oder ob der kirchliche Gesetzgeber damit auch für sich in Anspruch nimmt, dass andere staatliche Stellen nicht mehr zur Entscheidung berufen sind109, ist umstritten. Der kirchliche Gesetzgeber wird aber kaum über die Reichweite des staatlichen Justizgewähranspruchs verfügen und ihn damit ausschließen können und wollen110.

VII. Das Zweite Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in der EKD – MVG.EKD 2013111

Auch durch das MVG.EKD 2003 wurde das Bestreben, einen effektiven Rechtsschutz zu gewähren offenbar noch nicht befriedigt. Bereits kurz nach dem Inkrafttreten gab es Überlegungen, wie die Sanktionsmöglichkeiten für die Rechte der Mitarbeitervertretungen verbessert werden könnten112. Insbesondere wurde auch darauf verwiesen, dass bei groben Pflichtverletzungen zwar die Auflösung der Mitarbeitervertretung und der Ausschluss von Mitgliedern vorgesehen sei (§ 17 MVG.EKD 2003), bei vergleichbaren Verstößen der für den Dienstgeber handelnden Personen aufgrund der bestehenden Rechtslage aber allenfalls die gerichtliche Feststellung erwirkt werden könne, dass ein Handeln oder Unterlassen grob den Grundsatz der vertrauensvollen Zusammenarbeit nach § 33 MVG.EKD verletze. Die fehlenden Sanktionen für Dienstgebervertreter bestätigten damit die Notwendigkeit von Vollstreckungsmöglichkeiten113. Der Rechtsschutz wurde trotz seiner ständigen Fortentwicklung weiterhin als ineffektiv kritisiert. So resümiert Schliemann als Präsident des KGH.EKD noch im Jahre 2012: „Störend ist indessen, dass es in beiden Kirchen keine hinreichenden Mittel der zwangsweisen Durchsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen gibt. Die zur Verfügung stehenden Durchsetzungsmittel sind schlicht nur solche der Rechtsaufsicht, zuweilen angereichert mit einem Zwangsgeld in sehr überschaubarer Höhe“114. Damit nimmt er Bezug auf die mit „Vollstreckungsmaßnahmen“ überschriebene Vorschrift des § 53 III KAGO, nach der bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen eine Geldbuße bis zu 2500,00 Euro verhängt werden kann. Obwohl auch diese Regelung bereits durchaus kritisch gesehen wurde115, entschloss sich der kirchliche Gesetzgeber, den Rechtsschutz im MVG.EKD 2013 nach dem katholischen Vorbild zu „ergänzen“, weil sich diese Regelung nach Bewertung der Katholischen Kirche und der Caritas bewährt habe116. Nach § 63 a I MVG. EKD 2013 kann das Kirchengericht angerufen werden, wenn ein Beteiligter, der zu einer Leistung oder Unterlassung verpflichtet wurde, nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft dieses Beschlusses die Verpflichtungen erfüllt hat. Stellt das Kirchengericht auf Antrag eines Beteiligten fest, dass die Verpflichtungen nach Absatz 1 nicht erfüllt sind, kann es ein Ordnungsgeld bis zu 5000 Euro verhängen (63 a II MVG.EKD 2013).

VIII. Zusammenfassung und Ausblick

In der Weimarer Republik waren die Kirchen trotz der ihnen durch Art. 137 III WRV eingeräumten weitgehenden Autonomie in Angelegenheiten der Selbstverwaltung ohne Einschränkung an das staatliche Betriebsverfassungsrecht gebunden. Damit standen im kirchlichen Bereich für etwaige Streitigkeiten zwischen kirchlichem Arbeitgeber und kirchlichem „Betriebsrat“ dieselben rechtlichen Instrumentarien zur Verfügung wie den Betriebsparteien in den säkularen Betrieben.

Der Nationalsozialismus beseitigte durch Aufhebung der Weimarer Reichsverfassung den Sonderstatus der Kirchen und eliminierte mit dem geltenden Betriebsrätegesetz jegliche Mitbestimmungsrechte. Diese Zeit führte in der Kirche zu der Erkenntnis, dass sie auf dem uneingeschränkten Recht bestehen müsse, den kirchlichen Dienst in freier, ihren Wesensgesetzen entsprechenden Selbstverantwortung zu regeln.

Diese Erkenntnis führte nach Inkrafttreten des Grundgesetzes, das den Kirchen wieder den verfassungsrechtlichen Sonderstatus einräumte (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 WRV), und ihrer Freistellung von der staatlichen Gesetzgebung im Bereich des Betriebsverfassungsrechts (vgl. § 118 BetrVG, § 112 BPersVG), zu einer wegen der föderalen Strukturen der evangelischen Kirche nur allmählichen Ausbildung eines autonomen Mitarbeitervertretungsrechts. Stand zunächst vor allem das Bestreben nach Vereinheitlichung im Vordergrund, so bildete ab Beginn der 90er Jahre des letzten Jahrhunderts der Ausbau des gerichtlichen Rechtsschutzes immer mehr den Schwerpunkt. Der kirchliche Gesetzgeber suchte damit nicht nur einem Anliegen der eigenen Mitarbeiterschaft117, sondern auch Kritik von außen118 zu entsprechen. Es setzte sich die Erkenntnis durch, dass im Mitarbeitervertretungsrecht ein Rechtsschutz gewährleistet sein muss, bei dem die Rechtsdurchsetzung keine „Nebensache“ sein darf119.

Es kann davon ausgegangen werden, dass hierzu die Einbeziehung der Einrichtungen der Diakonie in den Geltungsbereich des MVG.EKD wesentlich beigetragen hat120.

32So Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21; Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1.

33Allgemein zur Historie des Mitarbeitervertretungsrechts und insbesondere zur Entstehung des MVG. EKD: Fey/Rehren, MVG.EKD, Einl. Rn. 22-28.; Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21-23; Rech, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, S. 73-105; Richardi, Atbeitsrecht in der Kirche, § 19 Rn. 1-9; Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1-31.

34RGBl 1920, S. 147.

35Ob das geltende Betriebsverfassungsrecht damals als „Schranke des für alle geltenden Gesetzes“ angesehen wurde, wird in der ausführlichen Untersuchung von Bauersachs offengelassen (Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 13).

36Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 14; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn. 4. Nach Schielke wurde in kirchlichen Einrichtungen niemals ein Betriebsrat errichtet (Das Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 62).

37So Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn.4. Nach § 10 II Nr.2 BRG zählten nicht zu Arbeitnehmern i.S.d. Gesetzes „Personen, deren Beschäftigung nicht in erster Linie ihrem Erwerb dient, sondern mehr durch Rücksichten der körperlichen Heilung, der Wiedereingewöhnung, der sittlichen Besserung und Erziehung oder durch Beweggründe charitativer, religiöser, wissenschaftlicher oder künstlerischer Art bestimmt wird.“

38Nach §1 und § 2 BRG „sind“ Betriebsräte bzw. „ist“ ein Betriebsobmann zu wählen. Deshalb durften nicht nur (so Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung, S. 42), sondern mussten nach dem BRG Betriebsräte gewählt werden, wenn die entsprechenden Voraussetzungen vorlagen.

39Vgl. hierzu Schatz, Arbeitswelt Kirche, S. 34. Nach §§ 66 BRG hat der Betriebsrat die Betriebsleitung durch seinen Rat zu unterstützen, an der Einführung neuer Arbeitsmethoden fördernd mitzuarbeiten, den Betrieb vor Erschütterung zu bewahren, für die Arbeitnehmer gemeinsame Dienstvorschriften im Rahmen der geltenden Tarifverträge zu vereinbaren, das Einvernehmen innerhalb der Arbeitnehmerschaft sowie zwischen ihr und dem Arbeitgeber zu fördern, für die Wahrung der Vereinigungsfreiheit einzutreten, Beschwerden entgegenzunehmen und auf ihre Abstellung hinzuwirken. Nach § 78 BRG hat der Betriebsrat darüber zu wachen, dass die im Betrieb geltenden gesetzlichen und tarifvertraglichen Vorschriften durchgeführt werden.

 

40Zur Gründung eines Bezirkswirtschaftsrates ist es im Geltungszeitraum des BRG nicht gekommen. „Der SchlA. ist ein unter Mitwirkung der sozialen Selbstverwaltungskörper, (vgl. Art. 165 letzter Absatz der Reichsverfassung) gebildetes (§§ 15 der VO über Tarifverträge usw. vom 23. Dezember 1918) Verwaltungsorgan [ …]. Die Entscheidungen des SchlA. sind demnach reine Verwaltungsakte“ (RG, Urteil v. 16.2.1923 – III 182/22, RGZ 106, 242 ff., 243). Das Schlichtungsverfahren wurde in der VO über das Schlichtungswesen v. 30.10.1923 (RGBl 1923 I, 1043, nachfolgend: VO) neu geregelt. Danach wurde zunächst ein paritätisch besetzter Schlichtungsausschuss unter einem unabhängigen Vorsitzenden auf Anrufung hin oder von Amts wegen tätig, um beim Abschluss von Gesamtvereinbarungen (Tarifverträgen, Betriebsvereinbarungen) Hilfe zu leisten (§ 3 VO). Gelang dies nicht, war unter einer mit einem unabhängigen Vorsitzenden und im Übrigen paritätisch mit Beisitzern besetzten Schlichtungskammer zu verhandeln. Wurde auch hier keine Einigung erzielt, unterbreitete die Schlichtungskammer einen Vorschlag (Schiedsspruch), wenn ihn beide Teile annahmen (§ 5 VO). Wurde er nicht angenommen, konnte er für verbindlich erklärt werden, wenn die in ihm getroffene Regelung bei gerechter Abwägung der Interessen beider Teile der Billigkeit entsprach und die Durchführung aus wirtschaftlichen und sozialen Gründen erforderlich war. Für die Verbindlichkeitserklärung war der Schlichter zuständig, in dessen Bezirk der Geltungsbereich der vorgeschlagenen Gesamtvereinbarung lag (vgl. § 6 VO).

Die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses konnten hinsichtlich ihrer Verbindlichkeit gerichtlich überprüft werden, wie das zitierte Reichsgerichtsurteil zeigt.

41So war der Einspruch des Betriebsrats bei Kündigungen an die in § 84 BRG abschließend aufgeführten Gründe gebunden; bei Einstellungen beschränkte sich die Mitwirkung des Betriebsrats auf die Erstellung von Einstellungsrichtlinien und die Überwachung ihrer Einhaltung, §§ 78 Nr. 8, 82 BRG.

42Beyer/Nutzinger, Erwerbsarbeit und Dienstgemeinschaft, S. 80; Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung, S. 42; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn. 4.

43So Beyer/Nutzinger, Erwerbsarbeit und Dienstgemeinschaft, S. 80; zweifelnd hingegen Schatz, Arbeitswelt Kirche, S. 25: „Die Behauptung fehlenden Engagements der kirchlichen Beschäftigten in Fragen betrieblicher oder überbetrieblicher Mitbestimmung ist zumindest fraglich.“

44So wurde das BRG von kirchlichen Arbeitgebern abgelehnt (vgl. hierzu Schatz, Arbeitswelt Kirche, S. 40 f.). Nach Richter war hierfür die mehrheitliche Zugehörigkeit der Mitglieder der Kirchenleitungen zu konservativen Parteien verantwortlich (in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 1).

45§23 BRG regelt die Wahl eines Wahlvorstandes durch den Betriebsrat vor Ablauf seiner Wahlzeit, den der Arbeitgeber nach Maßgabe der Absätze 2 und 3 bestellen muss, wenn der Betriebsrat seiner Verpflichtung nicht nachkommt. Kommt der Arbeitgeber seinerseits der ihm obliegenden Verpflichtung nicht nach, drohen 2000 Mark Geldstrafe oder Haft (§ 99 II BRG).

46RGBl. I, 1934, S. 45.

47Die Verwaltungen der Religionsgemeinschaften privatrechtlicher Art fielen unter das AOG, für die kirchlichen Körperschaften des öffentlichen Rechts galt das Gesetz zur Ordnung der Arbeit in öffentlichen Verwaltungen und Betrieben vom 23.3.1934 (RGBl. I, 1934, S. 220), dessen Regelungen weitgehend denen des AOG entsprachen und nur auf den öffentlichen Dienst abgestimmt waren.

48Vgl. hierzu Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Arbeitnehmer, S. 16; Beyer/Nutzinger, Erwerbsarbeit und Dienstgemeinschaft, S. 81.

49So erklärte der Vorsitzende des Rates der EKD Otto Dibelius in seinem Schreiben an den Bundeskanzler und den Bundesarbeitsminister v. 12.6.1951, dass die Kirche auf dem uneingeschränkten Recht, den kirchlichen Dienst in freier, ihren Wesensgesetzen entsprechender Selbstverantwortung regeln zu können, unbedingt bestehen müsse, und begründete dies u.a. mit den Erfahrungen der Kirche in der Zeit des Nationalsozialismus und den Gefahren, die den Religionsgemeinschaften von totalitären Staaten drohen können (dokumentiert bei Hammer, Kirchliches Arbeitsrecht, S. 529 f.); vgl. hierzu Jähnichen, „ Dass die Kirche …“, S. 65.

50Schielke, Das Mitarbeitervertretungsgesetz, S. 90.

51In der Dritten These der Barmer Theologischen Erklärung lautet: „Lasset uns aber rechtschaffen sein in der Liebe und wachsen in allen Stücken an dem, der das Haupt ist, Christus, von welchem aus der ganze Leib zusammengefügt ist“ (Eph. 4, 15. 16).

Die christliche Kirche ist die Gemeinde von Brüdern, in der Jesus Christus in Wort und Sakrament durch den Heiligen Geist als der Herr gegenwärtig handelt. Sie hat mit ihrem Glauben wie mit ihrem Gehorsam, mit ihrer Botschaft wie mit ihrer Ordnung mitten in der Welt der Sünde als Kirche der begnadigten Sünder zu bezeugen, daß sie allein sein Eigentum ist, allein von seinem Trost und von seiner Weisung in Erwartung seiner Erscheinung lebt und leben möchte.

Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden, weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen“ (Text abgedruckt in: Niemöller, Die erste Bekenntnissynode, S. 159-202, These 3).

52Vgl. hierzu auch Richter, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, Einl. Rn. 2.

53Vgl. hierzu Rech, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, S. 135 f.

54Vgl. hierzu unten Teil IV A.

55Vgl. hierzu ausführlich Rech, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, S. 136 ff.Zur „Dienstgemeinschaft“ vgl. unten Teil III B.

56Eurich, epd-Dokumentation 22/15, 4, 7. In These 4 heißt es u.a.: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und empfohlenen Dienstes. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben oder geben lassen“ (Text bei Niemöller, Die erste Bekenntnissynode, S. 196-202, These 4). Hieraus wird hinsichtlich der „Dienstgemeinschaft“ etwa der Gedanke der gleichberechtigten Partnerschaft von Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung abgeleitet (Scheer, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, § 33 Rn. 8). Demgegenüber wird darauf hingewiesen, dass sich der Begriff der Dienstgemeinschaft in der Barmer Theologischen Erklärung nicht finde und sich Rückschlüsse auf die Ausgestaltung der Mitbestimmung im betrieblichen Bereich nicht ziehen ließen (vgl. etwa Kreß, Die Sonderstellung der Kirchen im Arbeitsrecht, S. 52; auch Schielke, Das Mitarbeitervertretungsrecht, S. 86).

57Vgl. hierzu Jähnichen, „Dass die Kirche …,“ S. 58 f.

58Vgl. Regierungsentwurf von 1950, abgedruckt in RdA 1950, 343, 349.

59Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung, S. 42.

60„Vom neuen Betriebsverfassungsgesetz befürchteten die Kirchen erhebliche Einwirkungen auf das Leben in den privat-rechtlich organisierten Einrichtungen und Betrieben, deren Zahl nach Beendigung des 2. Weltkrieges vor allem in karitativen und diakonischen Bereich rasch zunahm. Mit dem Anwachsen karitativer Einrichtungen stieg die Zahl der Arbeitnehmer“ (Bietmann, Betriebliche Mitbestimmung, S. 42). Vgl. hierzu auch Jähnichen, „Dass die Kirche …“, S. 60 ff.

61Vgl. z. B. hierzu: Joussen, ZMV-Sonderheft 2011, 20, 21 f.; Rech, Die Arbeitsgerichtsbarkeit der evangelischen Kirche, S. 73-76; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche, § 16 Rn. 6-11.

62Vgl. etwa unter V Nr. 4 der Verwaltungsordnung über die Bildung einer Mitarbeitervertretung im Landeskirchenrat der Vereinigten Protestantisch-Evangelischen-Christlichen Kirche der Pfalz v. 16.6.1964: „ … In den Fällen, in denen eine Maßnahme der Mitbestimmung der Mitarbeitervertretung bedarf, kann sie nur mit ihrer Zustimmung getroffen werden“ (abgedruckt bei Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 182); vgl. auch § 20 III des Kirchengesetzes über die Mitarbeitervertretung in kirchlichen Dienststellen der evangelischen Landeskirche von Kurhessen – Waldeck v. 2.12.1965: „Maßnahmen der Dienststellenleitung, für die die Mitentscheidung der Mitarbeitervertretung vorgesehen ist, können nur mit ihrer Zustimmung getroffen werden …“ (abgedruckt bei Bauersachs, Die Beteiligung der kirchlichen Mitarbeiter, S. 175).