Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland

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c) Die Dienstaufsichtsbeschwerde

In der Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte wird die Ablehnung von Unterlassungs- und Handlungsansprüchen des Personalrats damit begründet, dass im Personalvertretungsrecht derartige Ansprüche, wie sie in §§ 23 III, 98 V, 101 und 113 BetrVG gegen den Arbeitgeber geregelt sind, fehlten. Dies erkläre sich aus dem unterschiedlichen Regelungsbereich der Gesetze: während bei Pflichtverstößen des Arbeitgebers in der Privatwirtschaft ohne entsprechende Vorschriften keine Mittel gegeben wären, die Durchführung der Beteiligungsrechte und sonstigen Aufgaben der Betriebsvertretungen zu verhindern, sei dies in der öffentlichen Verwaltung nicht erforderlich, weil der Staat oder die öffentlich-rechtlichen Körperschaften oder Anstalten selbst im Wege der Dienstaufsicht und notfalls durch disziplinäre Maßnahmen sicherstellen könnten, dass dem Gesetz Genüge getan werde246.

Damit wird die Dienstaufsichtsbeschwerde hinsichtlich ihrer Effektivität den gemäß § 85 I ArbGG im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren eröffneten Vollstreckungsmöglichkeiten nach der Zivilprozessordnung gleichgestellt.

Diese Auffassung beruht auf einer älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts247, auf die allerdings in jüngster Zeit nicht mehr zurückgegriffen wird248. Dies liegt darin begründet, dass es sich bei der Dienstaufsichtsbeschwerde, die verfassungsrechtlich aus dem Jedermann-Petitionsrecht des Art. 17 GG herzuleiten ist249, lediglich um eine an die Aufsichtsbehörde gerichtete Anregung handelt, nach ihrem Ermessen von ihren Aufsichts- und Weisungsbefugnissen Gebrauch zu machen. Eine auf Vornahme gerichtete Klage wäre unzulässig250. Subjektive Rechte des Personalrats wären danach nur im verwaltungsinternen Verfahren durchzusetzen. Der Rechtsschutz liegt damit in der Hand der Behörde, eine unabhängige gerichtliche Prüfung ist ausgeschlossen251. Diese Konzeption ist mit dem heutigen Verwaltungsrecht nicht mehr vereinbar, weil sich die Erkenntnis durchgesetzt hat, nur eine externe Kontrolle gewährleiste, dass die Kontrolleure nicht befangen oder kollegial verstrickt sind252. Einen effektiven und wirksamen Rechtsschutz, wie ihn die zivilprozessuale Zwangsvollstreckung im arbeitsgerichtlichen Beschlussverfahren weitgehend garantiert, vermag damit die Dienstaufsichtsbeschwerde nicht zu gewährleisten.

III. Die Durchsetzbarkeit kirchengerichtlicher Entscheidungen im Mitarbeitervertretungsrecht

Wie die historische Entwicklung des Rechtsschutzes im Mitarbeitervertretungsrecht gezeigt hat, setzte sich die Erkenntnis durch, dass die Umsetzung kirchengerichtlicher Entscheidungen allein aufgrund einer Befolgungserwartung ohne einen gewissen Vollzugsdruck nicht zu gewährleisten ist253. Aus diesem Grunde wurden Vorschriften in das Gesetz aufgenommen, die als eine „gewisse Form der Vollstreckung“ bezeichnet werden254.

1. Die Rechtsschutzgewährung nach dem MVG.EKD
a) Beschwerderecht und Ersatzvornahme

Das in § 48 MVG. EKD geregelte Beschwerderecht ermöglicht der Mitarbeitervertretung in Verbindung mit dem Rechtsinstrument der Ersatzvornahme, gegen eine Dienststellenleitung, die sich nicht an die ihr in einem verbindlichen kirchengerichtlichen Beschluss auferlegten Maßnahme hält, vorzugehen. Gemäß § 48 I MVG.EKD kann die Mitarbeitervertretung bei den zuständigen Leitungs- und Aufsichtsorganen Beschwerde einlegen, wenn die Dienststellenleitung gegen sich aus dem MVG.EKD ergebende oder sonstige gegenüber den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen bestehende Pflichten verstößt.

Damit berechtigen zwei Kategorien von Rechtsverstößen die Mitarbeitervertretung zur Beschwerde: „Die MAV kann die Beschwerde aus eigenem Recht erheben, wenn die DL gegen unmittelbar aus dem MVG.EKD ergebende Pflichten verstößt […]. Die zweite Kategorie bilden Verstöße der DL gegen über Mitarbeitern. Hier wird die MAV zuvorderst als Sachwalter der Interessen der von ihr vertretenen Mitarbeiter tätig, die selbst über kein derart geregeltes Recht zur Beschwerde verfügen“255.

Im Hinblick auf den Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist hier nur die erste Kategorie von Interesse, da sie u.a. die Verstöße der Dienststellenleitung gegen ihr durch verbindlichen Beschluss auferlegte Verpflichtungen betrifft. Auch auf die Frage, ob nur Rechtsverstöße von gewisser Intensität zur Beschwerde berechtigen, also nur grobe und wiederholte Verstöße256, muss nicht näher eingegangen werden; denn die Nichtbeachtung einer durch verbindlichen Beschluss auferlegten Verpflichtung stellt stets einen groben Verstoß dar257. Auch bedarf es keiner Erörterung, ob die Beschwerde erst erhoben werden kann, nachdem ein Einigungsversuch gescheitert ist, wie allgemein angenommen wird258; denn bei Nichtbeachtung eines verbindlichen kirchengerichtlichen Beschlusses wird stets ein vorsätzliches Unterlassen bzw. Handeln vorliegen, sodass die Forderung nach einem Einigungsversuch auf eine bloße Förmelei hinauslaufen würde259.

Wenn als Adressat der Beschwerde das „zuständige Leistungs- und Aufsichtsorgan“ genannt wird, so bestimmt sich dies nach der Einordnung der Dienststelle in die Strukturen der verfassten Kirche und Diakonie. Im Bereich der verfassten Kirche kommen als Adressaten der Beschwerde insbesondere der Kirchenvorstand, der Gemeindekirchenrat, die Kreiskirchenvorstände, die Landeskirchenämter, die Kirchenleitung und die Kirchenregierung in Betracht, je nach der für die Dienststelle maßgeblichen Verfassung260.

Problematischer kann die Bestimmung eines Adressaten im Bereich der privatrechtlich verfassten Körperschaften, insbesondere der Diakonie sein. So sind bei eingetragenen Vereinen die Organe (Vorstand, Mitgliederversammlung) die Adressaten der Beschwerde, es sei denn, sie nähmen selbst Dienststellenaufgaben wahr261. Wird die Einrichtung als gemeinnützige Gesellschaft mit beschränkter Haftung betrieben, sind Geschäftsführung und Gesellschafterversammlung potentielle Adressaten von Beschwerden262. Stiftungen unterliegen einer besonderen Stiftungsaufsicht, an die sich die Mitarbeitervertretung allerdings nicht wenden kann, weil es sich nicht um ein Organ der Einrichtung handelt263. Ob dies auch für die Dach- und Fachverbände, z. B. das gliedkirchliche Diakonische Werk, gilt, ist streitig264.

Adressat der Beschwerde kann jedenfalls nur ein Organ der Dienststelle sein. Ein Beschwerderecht gegenüber jedermann ist nicht eröffnet265.

Gem. § 48 II MVG.EKD hat das Leitungs- und Aufsichtsorgan im Rahmen seiner Möglichkeiten Abhilfe zu schaffen und auf Abhilfe hinzuwirken. Dabei steht ihm bei der Entscheidung, ob die Beschwerde der Mitarbeitervertretung berechtigt ist, ein Beurteilungsermessen zu266. Dieses Ermessen reduziert sich aber im Falle einer Beschwerde, die sich gegen die Missachtung eines verbindlichen kirchengerichtlichen Beschlusses durch die Dienststellenleitung richtet, auf Null; denn ein derartiges Verhalten stellt einen evident groben Verstoß gegen die sich aus dem MVG.EKD ergebenden Pflichten dar.

Die Formulierung „im Rahmen seiner Möglichkeiten“ deutet bereits daraufhin, dass sich die Maßnahmen der Abhilfe jeweils nach den Strukturen richtet, in die die jeweilige Dienststelle eingeordnet ist.

Im Bereich der verfassten Kirche können nach § 60 VIII 2 MVG.EKD die Gliedkirchen bestimmen, dass ein Aufsichtsorgan einen rechtskräftigen Beschluss auch durch Ersatzvornahme durchsetzen kann, soweit die Dienststellenleitung die Umsetzung verweigert. Eine Vorgabe, in welcher Form diese Bestimmung vorgenommen werden muss, beinhaltet das MVG.EKD nicht267. Von dieser Regelung haben einige Landeskirchen Gebrauch gemacht268. Bedeutung kann diese Regelung nur in Landeskirchen entfalten, deren Verfassung eine Kirchenaufsicht vorsieht269.

Neben der Ersatzvornahme kommt im Bereich der Verfassten Kirche noch die Weisung in Betracht; beide sind allerdings in Gliedkirchen mit „presbyterial-synodaler“ Kirchenverfassung (wie z. B. der Ev. Kirche im Rheinland oder der Ev. Kirche von Westfalen) rechtlich nicht durchführbar270.

Auch können disziplinarische Maßnahmen Anwendung finden, wenn das entsprechende Mitglied der Dienststellenleitung in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis steht oder – sollte es privatrechtlich angestellt sein – arbeitsvertragliche Maßnahmen (Ermahnung, Abmahnung, Kündigung)271.

Für den Bereich der Diakonie scheiden allerdings Weisung und Ersatzvornahme aus, da diese nur innerhalb öffentlich-rechtlicher Strukturen möglich sind272. Hier kommt vielmehr insbesondere in Betracht, „auf Abhilfe hinzuwirken“, etwa durch Sanktionen wie Geldbußen oder Vereinsausschluss, soweit dies in den jeweiligen Satzungen vorgesehen ist273.

Auf die Frage der Justiziabilität der Entscheidung des zuständigen Leitungsund Aufsichtsorgans soll hier nicht näher eingegangen werden274; denn bei Nichtbeachtung eines verbindlichen kirchengerichtlichen Beschlusses wird die Beschwerde der Mitarbeitervertretung stets Erfolg haben. Es ist nämlich kaum vorstellbar, dass das zuständige Leitungs- und Aufsichtsorgan ein derartiges Verhalten, das auch in der Öffentlichkeit Aufsehen erregen würde, toleriert. Deshalb ist es auch in einem derartigen Fall so gut wie ausgeschlossen, dass es zu einer Überprüfung der Entscheidung durch das Kirchengericht kommen wird.

 

b) Der Unterlassungsanspruch der Mitarbeitervertretung

Aus dem Mitarbeitervertretungsgesetz ergibt sich nicht unmittelbar ein mitarbeitervertretungsrechtlicher Anspruch gegen die Dienststellenleitung, beteiligungswidrige Maßnahmen zu unterlassen. Jedoch erkennt die kirchengerichtliche Rechtsprechung einen derartigen Unterlassungsanspruch an. Drohe eine Verletzung des Mitbestimmungsrechts, könne – so das Verwaltungsgericht für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland – die Mitarbeitervertretung die Schlichtungsstelle anrufen und Unterlassung der mitbestimmungswidrigen Maßnahme verlangen275. Der Kirchengerichtshof der Evangelischen Kirche in Deutschland hat diese Rechtsprechung fortgesetzt. Aus dem Verbot, Maßnahmen ohne die Zustimmung der Mitarbeitervertretung zu vollziehen, folge, dass der Mitarbeitervertretung ein Anspruch auf Unterlassung der mitbestimmungspflichtigen Maßnahme zustehe. Die Dienststelle habe alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung des konkreten Mitbestimmungsrechts entgegenstehe276. Der Unterlassungsanspruch wird damit der Vorschrift des § 38 I MVG.EKD entnommen, wonach eine Maßnahme, die der Mitbestimmung unterliegt, erst vollzogen werden darf, wenn die Zustimmung der Mitarbeitervertretung vorliegt oder kirchengerichtlich ersetzt worden ist, oder die Einigungsstelle gem. § 36a MVG. EKD entschieden hat277. Das Betriebsverfassungsgesetz kennt ein derartiges Vollzugsverbot nicht.

Die einschlägige Kommentarliteratur folgt der kirchlichen Rechtsprechung278.

Die Anerkennung eines Unterlassungsanspruchs im Mitarbeitervertretungsrecht erscheint deshalb bemerkenswert, weil die Beschlüsse des Verwaltungsgerichts für mitarbeitervertretungsrechtliche Streitigkeiten der Evangelischen Kirche in Deutschland in einer Zeit vor dem 4. Änderungsgesetz zum MVG. EKD aus dem Jahr 2003 gefasst wurden, also zu einer Zeit, als für das Verfahren nach dem Mitarbeitervertretungsgesetz noch die Vorschriften der VwGO anzuwenden waren. Aus diesem Grunde hätte es näher gelegen, sich an der Rechtsprechung der den Unterlassungsanspruch ablehnenden Verwaltungsgerichtsbarkeit279 zu orientieren. Auch nach § 69 I BPersVG kann eine Maßnahme, die der Mitbestimmung des Personalrats unterliegt, nur mit seiner Zustimmung getroffen werden. Dies entspricht der Rechtslage im Mitarbeitervertretungsrecht. Dies bedeutet zugleich, dass eine Ableitung des Unterlassungsanspruchs aus der Wirksamkeitsvoraussetzung des § 38 I MVG.EKD nicht zwingend ist.

Die Entscheidung, den betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch zu adaptieren, entspricht jedoch durchaus der Intention des kirchlichen Gesetzgebers, ein Mitarbeitervertretungsgesetz zu schaffen, das einheitlich in Verfasster Kirche mit ihren öffentlich-rechtlichen und in den diakonischen Einrichtungen mit ihren privatrechtlichen Strukturen Geltung beansprucht280.

Auch lässt sich die Begründung für den betriebsverfassungsrechtlichen Unterlassungsanspruch auf das Mitarbeitervertretungsrecht übertragen; denn gem. § 33 I MVG.EKD, eine Parallelvorschrift zu § 2 I BetrVG, sind Mitarbeitervertretung und Dienststellenleitung verpflichtet, sich gegenseitig bei der Erfüllung ihrer Aufgaben zu unterstützen und vertrauensvoll und partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Wie im Betriebsverfassungsrecht ergibt sich hieraus ein Betriebsverhältnis, das einem Dauerschuldverhältnis ähnlich ist, mit der Nebenpflicht, alles zu unterlassen, was der Wahrnehmung konkreter Mitbestimmungsrechte entgegensteht281.

Bereitet die dogmatische Begründung eines mitarbeitervertretungsrechtlichen Unterlassungsanspruchs somit keine Probleme, ergeben sich diese allerdings bei der praktischen Umsetzung. Denn das Beschwerderecht gem. § 48 MVG. EKD hilft hier nur bedingt weiter. So stellt die Ersatzvornahme kein geeignetes Mittel dar, um einen Unterlassungsanspruch durchzusetzen282. Weisungen sind nur innerhalb öffentlich-rechtlicher Strukturen möglich, dort jedoch auch nicht in allen Gliedkirchen rechtlich durchführbar283.

Im Bereich der Diakonie sind die Arbeitgeber privatrechtlich organisiert, weshalb die Kirche ihnen gegenüber keine effektiven Zwangsmittel besitzt. Die Zuordnung zur Kirche erfolgt durch Mitgliedschaft im Diakonischen Werk als Dachverband. Diesem stehen nur verbandsrechtliche Instrumente wie Vereins(geld)strafen oder Ausschluss zur Verfügung284. Die Bereitschaft der Diakonischen Werke, Mitglieder auszuschließen, wird allerdings gering eingeschätzt. Denn weder wolle die Kirche Einfluss auf soziale Bereiche nehmen, noch wollten die Verbände zahlende Mitglieder verlieren285.

Schließlich scheidet die Vollstreckung eines Ordnungsgeldbeschlusses nach § 63a MVG.EKD schon wegen § 62 S. 2 MVG.EKD aus. Es erscheint jedoch zweifelhaft, ob eine Dienststelle, die die Entscheidung des Kirchengerichts in der Hauptsache nicht respektiert, der durch ebenfalls nicht vollstreckbaren Beschluss auferlegten Verpflichtung zur Zahlung eines Ordnungsgeldes nachkommen wird286.

Durch den von Rechtsprechung und Literatur anerkannten Unterlassungsanspruch wird damit im Mitarbeitervertretungsrecht eine Rechtsposition gewährt, die in letzter Konsequenz aber nicht durchsetzbar ist287.

c) Die Durchsetzbarkeit kirchengerichtlicher Beschlüsse gegen die Mitarbeitervertretung.

Missachtet die Mitarbeitervertretung ihr durch verbindlichen kirchengerichtlichen Beschluss auferlegte Verpflichtungen, so kann die Dienststelle gem. § 17 MVG.EKD das Ausschluss- bzw. Auflösungsverfahren beim zuständigen Kirchengericht betreiben; denn in der Regel wird in diesem Fall ein grober Missbrauch von Befugnissen bzw. eine grobe Pflichtverletzung vorliegen, weil dadurch in grundsätzlicher und damit erheblicher Weise gegen das Gebot der vertrauensvollen Zusammenarbeit verstoßen wird. Wenn der Arbeitgeber bei Missachtung eines verbindlichen kirchengerichtlichen Beschlusses eine grobe Pflichtverletzung begeht288, so kann für die Mitarbeitervertretung nichts anderes gelten.

Zu berücksichtigen ist jedoch, dass die Auflösung grundsätzlich nur wegen groben Pflichtverstoßes bzw. groben Befugnismissbrauchs in der laufenden Amtsperiode in Betracht kommt289. Die Auflösung tritt erst mit Rechtskraft des Auflösungsbeschlusses ein290, mithin ggf. erst nach einer Beschwerde gem. § 63 I MVG.EKD. Dies bedeutet, dass ein recht erheblicher Zeitraum vergehen kann bis eine derartige Entscheidung ergeht. Das Verfahren ist aber einzustellen, sobald eine Neuwahl stattgefunden hat291. Dabei können sich die pflichtwidrig handelnden Mitarbeitervertretungsmitglieder wieder zur Wahl stellen292.

Dies bedeutet, dass die Missachtung einer verbindlichen kirchengerichtlichen Entscheidung für die Mitarbeitervertretung ohne rechtliche Folgen bleiben kann. Denn neben dem Recht, die Auflösung der Mitarbeitervertretung zu beantragen, stehen der Dienststellenleitung keine weiteren rechtlichen Möglichkeiten gegenüber der Mitarbeitervertretung als Gremium zur Verfügung.

d) Der Ordnungsgeldbeschluss (§ 63a MVG.EKD)

Gem. § 63a I MVG.EKD kann das Kirchengericht angerufen werden, wenn ein Beteiligter zu einer Leistung oder Unterlassung verpflichtet ist, und die auferlegten Verpflichtungen nicht innerhalb eines Monats nach Eintritt der Rechtskraft des Beschlusses erfüllt sind. Stellt das Kirchengericht auf Antrag293 eines Beteiligten fest, dass die Verpflichtungen nach Abs. 1 nicht erfüllt sind, kann es ein Ordnungsgeld von bis zu 5000 Euro verhängen (§ 63a II MVG. EKD). Da in der Vorschrift von „Beteiligten“ die Rede ist, muss davon ausgegangen werden, dass sie Dienststellenleitungen und Mitarbeitervertretungen gleichermaßen betrifft. Wenn dem aber so ist, stellt sich die Frage, ob gegen die vermögenslose Mitarbeitervertretung überhaupt ein Ordnungsgeld verhängt werden kann. Dies gilt zwar nicht in gleicher Hinsicht für die Dienststellenleitung; allerdings wird auch der Ordnungsgeldbeschluss von § 62 S. 2 MVG. EKD erfasst, d. h. er ist nicht vollstreckbar294.

Entscheidungen der Kirchengerichte zu § 63a MVG.EKD fehlen bisher. In der Literatur wird der Wert der Regelung weniger in der Höhe des Ordnungsgeldes als in der Sanktion an sich gesehen. So müsse jede Dienststellenleitung mit dem Vorwurf grob fahrlässigen oder vorsätzlichen Handelns rechnen, wenn sie wegen der Nichteinhaltung einer rechtskräftigen kirchengerichtlichen Entscheidung zu einem Ordnungsgeld verurteilt würde295.

Gegen die Verhängung eines Ordnungsgeldes in erster Instanz ist das Rechtsmittel der Beschwerde statthaft, wobei sich die Beschwerde nur gegen die gerichtliche Feststellung richten kann, dass die auferlegten Verpflichtungen nicht fristgerecht erfüllt worden sind, nicht jedoch gegen die gerichtliche Entscheidung, deren Nichterfüllung von einem Beteiligten gerügt wurde. Verhängt der Kirchengerichtshof der EKD ein Ordnungsgeld, ist die Entscheidung unanfechtbar296.

Es erscheint fraglich, ob die Intention des Gesetzgebers, den Rechtsschutz mit dieser Vorschrift weiter zu stärken, erfolgreich sein wird. Der Rat von Prozessvertretern kirchlicher Dienstgeber, der in verbindlichen Beschlüssen des Kirchengerichtshofs der EKD geäußerten Rechtsauffassung nicht zu folgen297, macht nämlich nur Sinn, wenn die unter Beachtung der Rechtsprechung des Kirchengerichtshofs ergangene verbindliche Entscheidung eines Kirchengerichts gegen die Dienststelle von dieser ignoriert wird, entweder in der Erwartung, die Mitarbeitervertretung werde dieses Verhalten schon hinnehmen, oder mit dem Vorsatz, auch die zu erwartende Verhängung eines Ordnungsgeldes unbeachtet zu lassen.

e) Der einstweiliger Rechtsschutz

Soweit das Mitarbeitervertretungsrecht auch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes vorsieht (vgl. § 62 S. 1 MVG.EKD i. V. m. § 85 II ArbGG, § 61 X MVG.EKD, § 63 MVG.EKD), erscheint seine aktuelle Ausgestaltung allerdings rechtssystematisch nicht eindeutig298. Im Rahmen der vorliegenden Arbeit ist jedoch vorrangig das Problem der Vollziehung von Bedeutung.

aa) Optionen der Dienststellenleitung

Das Auflösungsverfahren nach § 17 MVG.EKD ist nur als Hauptsacheverfahren möglich, weil es sich bei dem Auflösungsbeschluss um einen gestaltenden Beschluss handelt, der nicht durch eine einstweilige Verfügung herbeigeführt werden kann299.

Auch eine einstweilige Verfügung gerichtet auf eine vorläufige Untersagung der Amtsausübung durch die Mitarbeitervertretung scheidet aus. Dies wird im Betriebsverfassungsrecht im Hinblick auf § 23 I BetrVG allgemein damit begründet, dass der betriebsratslose Zustand mit dem Schutzgedanken des Betriebsverfassungsgesetzes nicht vereinbar wäre300. Zu berücksichtigen ist, dass nach § 5 MVG.EKD in Dienststellen Mitarbeitervertretungen gebildet werden müssen („ … sind Mitarbeitervertretungen zu bilden …“, § 5 I MVG. EKD). § 5 MVG.EKD will sicherstellen, dass kein Mitarbeiter ohne Interessenvertretung bleibt301. Durch diese gesetzlich geregelte Verpflichtung zur Bildung von Mitarbeitervertretungen unterscheidet sich das Mitarbeitervertretungsgesetz vom Betriebsverfassungsgesetz und hebt damit die Bedeutung des Schutzgedankens besonders hervor. Was also im Betriebsverfassungsrecht gilt, muss für das Mitarbeitervertretungsrecht erst recht gelten.

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