Substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht der Evangelischen Kirche in Deutschland

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

B. Gang der Untersuchung

Die Beantwortung dieser Fragen entscheidet darüber, ob ein substantieller Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht möglich ist. Dabei soll zunächst die historische Entwicklung des Rechtsschutzes dargestellt werden. Besonderes Interesse gilt der Frage, inwieweit politische, kirchenpolitische und gesellschaftliche Verhältnisse diese Entwicklung beeinflusst haben, weil sich auf diese Weise Folgerungen für einen künftigen Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsrecht ergeben können (Teil II).

Sodann soll der Rechtsschutz in den staatlichen Arbeitnehmervertretungsgesetzen mit dem kirchlichen Rechtsschutz im Mitarbeitervertretungsgesetz verglichen werden, wobei die Frage nach der Durchsetzbarkeit gerichtlich zugesprochener Rechtspositionen (Vollstreckung/Vollziehung) im Vordergrund steht. Nur so kann zu der Kritik insbesondere von Seiten der Mitarbeitenden, bei dem kirchlichen Rechtsschutz handele es sich um einen Rechtsschutz „zweiter Klasse“, Stellung bezogen werden26. Dabei sind auch die unterschiedlichen Ausgangslagen im Betriebsverfassungsrecht, Personalvertretungsrecht und Mitarbeitervertretungsrecht zu erörtern; denn es stellt sich die Frage, ob aus einer besonderen Ausgangslage im Mitarbeitervertretungsrecht der Ausschluss von zwangsweiser Rechtsdurchsetzung notwendig folgt. Hierbei geht es um die das Kirchenrecht betreffende Grundsatzfrage27 nach der Vereinbarkeit von mit dem substantiellen Rechtsschutz in letzter Konsequenz verbundenem physischen Zwang und christlichem Selbstverständnis. Deshalb bedarf es einer Auseinandersetzung mit der These von der Unvereinbarkeit physischen Zwanges und dem das kirchliche Arbeitsrecht bestimmenden Dienstgemeinschaftsgedanken28 einerseits29 und der Auffassung, dass Kirchenrecht kenne keinen Zwang, andererseits30; denn träfe dies zu, würde auch ein substantieller Rechtsschutz, bei dem im Mitarbeitervertretungsrecht als ultima ratio zwar nicht unmittelbar, jedoch mittelbar Zwang von kirchlichen Stellen ausgeübt werden könnte, zu einem unauflösbaren Widerspruch führen (Teil III).

Anschließend wird die Frage behandelt, ob ein Mitarbeitervertretungsrecht ohne substantiellen Rechtsschutz rechtsstaatlichen und europarechtlichen Anforderungen genügt (Teil IV).

Es folgt eine Darstellung und kritische Betrachtung der Versuche in der Literatur, für die als unbefriedigend empfundene Rechtslage31, eine Lösung zu finden; ferner wird untersucht, wie die kirchengerichtliche Rechtsprechung die Frage der Vollstreckung im einstweiligen Rechtsschutz (Vollziehung) behandelt (Teil V).

Da eine zwangsweise Durchsetzung im innerkirchlichen Bereich verfassungsrechtlich – wenn überhaupt – nur unter Einbeziehung des Staates möglich ist (Art. 20 GG), stellt sich die Frage, wie weit die von der Verfassung garantierte staatliche Justizgewähr (Art. 19 IV GG und Art. 2 I GG i. V. m. Art. 20 GG, Art. 92 GG) soweit reichen kann und darf, ohne dabei das ebenfalls von der Verfassung garantierte Selbstbestimmungsrecht der Kirche (Art. 140 GG i. V. m. Art. 137 III WRV) in unzulässiger Weise einzuschränken (Teil VI).

In Teil VII werden die wesentlichen Ergebnisse der Arbeit noch einmal zusammengefasst. Ein Ausblick aufgrund der gewonnenen Ergebnisse schließt die Arbeit ab.

26So beklagte die Bundeskonferenz der Mitarbeitervertretungen und der Gesamtausschüsse der Diakonie in einem Brief an die Bundestagsfraktionen noch im Jahr 1995, dass von der Partei, die im Verfahren obsiege, die getroffenen Schlichtungsbeschlüsse nicht durchgesetzt werden könnten, da es keine Sanktionsmöglichkeit gebe. Ignoriere ein kirchlicher oder diakonischer Arbeitgeber die Entscheidungen des Schlichtungsausschusses, so passiere nichts. Das Schlichtungsverfahren laufe ins Leere (ZMV 1995, 124/125).

27Germann bezeichnet den Zwang als „notorisches Problem kirchlicher Ordnung“ (Kirchliche Gerichtsbarkeit, S. 432).

28„Auf dem Gebiet des Arbeitsrechts ist Ausgangspunkt der Überlegungen der Gedanke der Dienstgemeinschaft“ (Schilberg, Rechtsschutz und Arbeitsrecht, S. 70). Schon hier sei allerdings darauf hingewiesen, dass der Dienstgemeinschaftsgedanke sehr kontrovers diskutiert wird. Den ehemaligen Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland Nikolaus Schneider veranlasste sie zu dem persönlichen Bekenntnis: „Ich halte die Wahrung der Dienstgemeinschaft für unverzichtbar bei der Erfüllung unseres kirchlichen Auftrags“ (ZMV-Sonderheft 2012, 8 ff., 8). Nach völlig entgegengesetzter Auffassung sollte an der Dienstgemeinschaft als dominierendem Leitbegriff der konfessionellen Arbeitsbeziehungen nicht festgehalten werden, weil sie einen deutlichen Relevanzverlust unter den kirchlichen Mitarbeitern zu verzeichnen habe (Dürr, „Dienstgemeinschaft sagt mir nichts“, S. 240). Im Mitarbeitervertretungsrecht nimmt sie durch die Aufnahme in die Präambel des MVG.EKD jedenfalls eine zentrale Stellung ein (Joussen, in: Anke/de Wall/Heinig, HevKR, § 7 Rn.23).

29Frank, ZMV-Sonderheft 2005, 13, 18; Eichstätter Kommentar/Hartmeyer, § 53 KAGO Rn. 1; Kienitz, NZA 1996, 963, 969; Schielke, Mitarbeitervertretungsrecht, S. 270.

30So hat nach A.Stein das Kirchenrecht gemäß biblischer Weisung ohne Rechtszwang, „sine vi, sed verbo“ zu wirken (Evangelisches Kirchenrecht. S. 186). Nach Traulsen kann die Kirche schon wegen des staatlichen Gewaltmonopols, erst recht aber nach ihrem eigenen Selbstverständnis keine physische Gewalt gegen ihre Mitglieder üben; es sei aber nicht ausgeschlossen, dass sie sich diesbezüglich des weltlichen Schwertes bediene (Rechtsstaatlichkeit und Kirchenordnung, S. 221). Robbers vertritt die Ansicht, dass Kirchenrecht seine Legitimität allein in der Übereinstimmung mit den Glaubenssätzen seiner Kirche finde. In seiner Durchsetzbarkeit sei es angewiesen auf die eigenen Mittel der Implementation, insbesondere auf die eigene Überzeugungskraft, in der die Akzeptanz des Kirchenrechts durch die Kirchenmitglieder ihren Grund finde „Mit dem Rückgriff auf außerhalb seiner selbst liegende Machtmittel zur Durchsetzung seines Geltungsanspruchs würde es den Kern seiner Geltung verfehlen (ZevKR 49 (2004), 215, 216). In diesen Zusammenhang gehört auch die Feststellung Grundmanns: „Vor allem kann die Erkenntnis, daß das Kirchenrecht in der Liebe Gottes zu den Menschen und dem daraus fließenden Gebot der Nächstenliebe seinen Lebensnerv hat, als gesichert angesehen werden: Kirchenrecht ist Liebesrecht. Daran wird sich nichts mehr ändern“ (Das evangelische Kirchenrecht von Rudolf Sohm bis zur Gegenwart, S. 50).

31Baumann-Czichon/Gathmann, Kirchliche Mitbestimmung im Vergleich, S. 51; Bohnenkamp, in: Berliner Kommentar zum MVG.EKD, § 62 Rn. 4; Duhnenkamp, Mitarbeitervertretungsrecht, S. 904; Schliemann, ZMV-Sonderheft, 2012, 36, 42.

Teil II
Die historische Entwicklung der Rechtsschutzgewährung im Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche und der mitarbeitervertretungsrechtliche Rechtsschutz im System des Arbeitnehmervertretungsrechts
A. Die historische Entwicklung der Rechtsschutzgewährung im Mitarbeitervertretungsrecht der evangelischen Kirche

Die Geschichte eines eigenständigen Mitarbeitervertretungsrechts in der evangelischen Kirche beginnt mit der Beendigung des Zweiten Weltkrieges, dem Bestreben der Landeskirchen, ein eigenständiges, d. h. vom staatlichen Recht getrenntes Recht für die Vertretungen der im kirchlichen Dienst Beschäftigten zu schaffen und schließlich der Freistellung der Religionsgemeinschaften vom Geltungsbereich der staatlichen Gesetze, also des Betriebsverfassungsgesetzes und des Personalvertretungsgesetzes. Vor dieser Zeit, d. h. seit Ende des Ersten Weltkrieges, wurden die Kirchen wie selbstverständlich in die staatliche Gesetzgebung miteinbezogen32, obwohl aufgrund der Weimarer Reichsverfassung eine andere Entwicklung zu erwarten gewesen wäre. Der thematischen Ausrichtung der vorliegenden Arbeit entsprechend soll in der nachfolgenden Darstellung der Schwerpunkt auf die Entwicklung des Rechtsschutzes im Mitarbeitervertretungsrecht, insbesondere der Rechtsdurchsetzung, gelegt werden33.

I. Das Betriebsrätegesetz vom 4.2.1920 (BRG)34

Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges partizipierte die Kirche trotz Art. 137 III WRV, wonach die Religionsgemeinschaften „ihre eigenen Angelegenheiten selbständig innerhalb der Schranken des für alle geltenden Gesetzes“ ordnen und verwalten durften, an der Institutionalisierung der Mitbestimmung im Betriebsrätegesetz v. 4.2.1920 (BRG)35; denn gem. § 9 BRG wurden alle Betriebe, Geschäfte und Verwaltungen des öffentlichen und privaten Rechts erfasst, also auch die Religionsgemeinschaften, die als „konfessionelle Betriebe“ in § 67 BRG den Status von Tendenzbetrieben erhielten, auf die die Vorschriften über die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrats in wirtschaftlichen Angelegenheiten (§ 66 Nr. 1 und 2 BRG) keine Anwendung fanden. Das Verhältnis zwischen der gesetzlichen Betriebsverfassung und der Kirchenautonomie wurde damals nicht aktuell, weil das BRG im kirchlichen Bereich keine Beachtung fand36. Ob dies darauf zurückzuführen war, dass das Gesetz nur eine Repräsentation für Arbeitnehmer vorsah, deren Beschäftigung im kirchlichen Bereich damals eine untergeordnete Rolle spielte, weil die maßgeblichen Funktionen in der kirchlichen Verwaltung den Priestern, Geistlichen oder Kirchenbeamten anvertraut waren37, erscheint allerdings fraglich; denn nach §§1, 2 BRG bestand – anders als im heutigen Betriebsverfassungsrecht – eine gesetzliche Verpflichtung, Betriebsräte zu errichten und Betriebsobmänner zu wählen, falls die Mindestanzahl von 20 Arbeitnehmern nicht erreicht wurde38. Wenn dies dennoch in den kirchlichen Verwaltungen unterblieb, kann hierfür die Furcht vor den potentiellen Arbeitnehmervertretungen nicht Grund gewesen sein; denn dem Betriebsrat oblagen nach dem BRG im Wesentlichen befriedende, den Unternehmer unterstützende und weniger an der Führung des Betriebes partizipierende Funktionen39. Während einerseits der Unternehmer die Auflösung des Betriebsrats bei „gröblicher Verletzung“ der gesetzlichen Pflichten beim Bezirkswirtschaftsrat bzw. beim Schlichtungsausschuss40 beantragen konnte (§41 BRG), waren andererseits Eingriffe in die Betriebsleitung nicht erlaubt (§ 69 BRG), d. h. die Ausführungskompetenz lag allein beim Arbeitgeber, sodass deshalb auch der Betriebsrat von ihm nicht die Vornahme, Duldung oder Unterlassung von Maßnahmen im Hinblick auf bestehende Mitbestimmungsrechte verlangen konnte. In personellen Angelegenheiten blieb dem privaten oder öffentlichen Arbeitgeber das Letztentscheidungsrecht erhalten41.

 

Das eigentliche Problem bestand darin, dass das Gesetz die Kirchen nicht in ihrer Besonderheit als Kirche, sondern wie ein weltliches Unternehmen mit geistig-ideeller Bestimmung bewertete42. Damit aber waren auch die kirchlichen Arbeitgeber einem Regime von Sanktionen unterworfen, das die weltlichen Arbeitgeber anhalten sollte, ihren Verpflichtungen aus dem Gesetz nachzukommen (vgl. §§ 95 ff.BRG). Auch das heutige Betriebsverfassungsgesetz enthält Straf- und Ordnungswidrigkeitsvorschriften (vgl. §§ 119 ff. BetrVG), von denen aber die kirchlichen Arbeitgeber aufgrund der Exemtion nicht betroffen sind. Für die Nichtanwendung des BRG in den kirchlichen Verwaltungen war neben der geringen Anzahl der dort beschäftigten Arbeitnehmer im Sinne des Gesetzes oder deren Passivität hinsichtlich einer Betriebsratswahl43, auch das mangelnde Interesse der kirchlichen Arbeitgeber an der Errichtung von Arbeitnehmervertretungen verantwortlich44. Dies wurde vom Staat trotz der Vorschriften der §§ 23 II und III, 99 BRG45 toleriert.

Im Ergebnis lässt sich demnach feststellen, dass durch das BRG die verfahrensrechtlichen und prozessualen Durchsetzungsmittel der Mitbestimmungsrechte zwar nur schwach ausgebildet waren, jedoch auch im Bereich kirchlicher Einrichtungen Geltung beanspruchen konnten.

II. Die Zeit des Nationalsozialismus

Das durch das BRG auch den Arbeitnehmern in den kirchlichen Verwaltungen eingeräumte, aber von diesen kaum wahrgenommene Recht der Mitbestimmung wurde unter dem Nationalsozialismus aufgehoben (vgl. § 65 Nr. 1 des Gesetzes zur Ordnung der nationalen Arbeit (AOG)46). Der Arbeitgeber, nunmehr „Führer des Betriebes“ (§ 2 AOG), entschied in allen betrieblichen Angelegenheiten, die Belegschaft wurde zur „Gefolgschaft“ (§ 2 AOG). Statt eines Betriebsrats wurde ein „Vertrauensrat“ berufen (nicht gewählt), vom Arbeitgeber geleitet (§ 5 AOG), mit marginalen Beratungsfunktionen versehen (§ 6 II AOG) und vom „Treuhänder der Arbeit“, einem Staatsbeamten, kontrolliert (§ 19 Nr. 1 AOG). Diese jegliche Mitbestimmung eliminierende Gesetzgebung galt auch für die kirchlichen Verwaltungen47, musste dort aber deshalb nicht angewandt werden, weil erst die dort in der Regel nicht erreichte Mindestzahl von 20 Arbeitnehmern zur Berufung eines Vertrauensrates verpflichtete48 und die Berufung eines „Vertrauensobmanns“ in zahlenmäßig darunter liegenden „Gefolgschaften“ gesetzlich nicht vorgesehen war. Verstöße gegen betriebliche Pflichten durch den Führer des Betriebes oder den Vertrauensrat konnten vor das „Soziale Ehrengericht“ (§§ 35 ff.AOG) gebracht werden.

Die Zeit des Nationalsozialismus blieb aber nicht ohne Bedeutung für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges. Denn die theologische Reaktion auf die Herrschaftsideologie des Staates wirkte fort49.

Die Barmer Theologische Erklärung stellt ein situatives Bekenntnis gegen die Fremdbestimmung der Kirche dar. Sie ist eine Reaktion auf die Pläne Hitlers, der die Evangelische Kirche als Deutsche Evangelische Reichskirche unter die Führung des ihm treu ergebenden Reichsbischofs (Ludwig Müller) gestellt hatte50. Sie bringt zum Ausdruck, dass die nationalsozialistische Herrschaftsbzw. Führerideologie mit dem Selbstverständnis der Kirche unvereinbar ist51. Was aber mit dem kirchlichen Selbstverständnis nicht vereinbar ist, dem kann in der Kirche kein Raum gewährt werden, d. h. eine Betriebsverfassung, die von nationalsozialistischer Herrschaftsideologie geprägt ist, kann und darf in der Kirche keine Anwendung finden. Für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts ist diese situative historische Erfahrung von grundsätzlicher Bedeutung. Sie besteht nicht nur in der kirchenpolitischen, sondern vor allem auch theologischen Erkenntnis, dass dieser Bereich eine innere Angelegenheit der Kirche darstellt, der zwar den Einflüssen staatlichen Rechts gegenüber durchaus offen sein, ihnen aber nicht ausgeliefert werden darf52.

Der Staat hat sich dieser Erkenntnis nicht verschlossen53 und der Kirche unter Rückbesinnung auf die Kirchenartikel der Weimarer Reichsverfassung durch Herausnahme aus dem Betriebsverfassungs- und Personalvertretungsrecht die Möglichkeit eröffnet, ein eigenes Mitarbeitervertretungsgesetz zu schaffen54. Dass von der Kirche für diese Herausnahme angeführte Argument der Andersartigkeit der kirchlichen Dienstleistungen gegenüber den Dienstleistungen eines wirtschaftlichen Betriebes manifestierte sich in der „Dienstgemeinschaft“55.

Als in theologischer Perspektive hierfür grundlegend wird bis heute These 4 der Barmer Theologischen Erklärung angesehen56.

III. Vom Ende des Zweiten Weltkrieges bis zum MVG.EKD

Nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges wurde die nationalsozialistische Gesetzgebung durch das Kontrollratsgesetz (KRG) aufgehoben. Dies ermöglichte den Ländern, eigene Betriebsrätegesetze zu erlassen, die sich inhaltlich z.T. an das BRG von 1920 anlehnten, daneben aber dem Betriebsrat durchaus mehr Partizipation an der Betriebsführung gewährten57. Auch der aus dem Jahr 1950 stammende Regierungsentwurf zum neuen Betriebsverfassungsrecht der Bundesrepublik Deutschland stufte – wie das BRG – die privatrechtlichen Betriebe der Religionsgesellschaften als Tendenzunternehmen ein58. Zu einer völligen Freistellung der Kirchen vom staatlichen Betriebsverfassungsrecht sah man sich zunächst nicht veranlasst, weil die Kirche auch in der Weimarer Zeit trotz Art. 137 WRV widerspruchslos hingenommen hatte, als Arbeitgeber mit geistig-ideeller Ausrichtung und nicht in ihrer Besonderheit als Kirche in das staatliche Mitbestimmungsrecht einbezogen zu werden59.

Für die Entwicklung des Mitarbeitervertretungsrechts ist erheblich, dass die Landeskirchen nunmehr begannen, Mitarbeitervertretungsgesetze zu erlassen, um damit auch der Entwicklung, dass immer mehr Arbeitsverhältnisse im kirchlichen Bereich begründet wurden60, Rechnung zu tragen. Geschah dies zunächst noch vereinzelt in Anlehnung an die Betriebsrätegesetze der Länder, so wurden in der Zeit nach der Freistellung der Religionsgesellschaften von den staatlichen Mitbestimmungsgesetzen61 eigenständige Regelwerke erlassen, die den Mitarbeitervertretungen bereits durchaus auch Mitbestimmungsrechte einräumten, von deren Beachtung die Durchführbarkeit der von der Dienststelle beabsichtigten Maßnahme abhing62.

Diese landeskirchlichen Mitarbeitervertretungsgesetze waren hinsichtlich des Rechtsschutzes unterschiedlich ausgestaltet, stimmten aber darin überein, dass bei Meinungsverschiedenheiten aus dem Gesetz eine Schlichtungsstelle oder ein Schlichtungsausschuss zum Zwecke der Schlichtung angerufen werden konnte. Dabei wurden Zusammensetzung, Zuständigkeit und Befugnisse dieser Einrichtungen allerdings wieder unterschiedlich geregelt63. Nach einigen Mitarbeitervertretungsordnungen ist es ihre Aufgabe, die Streitigkeiten zwischen Dienststellenleitung und Mitarbeitervertretung zu schlichten und endgültig zu entscheiden64, nach anderen hat der Schlichtungsausschuss nicht in der Sache selbst zu entscheiden, sondern nur zu prüfen und abschließend festzustellen, ob und in welchem Umfang die angefochtene Maßnahme gegen die zum Schutz und zur Förderung der Mitarbeiter erlassenen Gesetze, Verordnungen, sonstigen zwingenden Vorschriften, Verträge oder Dienstvereinbarungen verstößt oder ob bei Ermessensentscheidungen die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder das Ermessen in einer der Ermächtigung widersprechenden Weise offenbar missbraucht worden ist65.

Der Rat der EKD empfahl durch Bekanntmachung v. 26.5.1972 den Gliedkirchen aufgrund von Art. 9 b der Grundordnung der EKD, das Mitarbeitervertretungsrecht nach dem „Muster für ein Kirchengesetz über Mitarbeitervertretungen in kirchlichen und diakonischen Dienststellen und Einrichtungen“66 zu regeln. In § 39 dieser Musterordnung (MO) wird das Verfahren vor dem Schlichtungsausschuss behandelt. § 39 I MO enthält einen Zuständigkeitskatalog. Nach § 39 IV 2 MO ist der Beschluss des Schlichtungsausschusses im Verhältnis zwischen Mitarbeitervertretung und Dienststellenleitung verbindlich. Weder ein einstweiliger Rechtsschutz noch ein Rechtsmittelverfahren sind vorgesehen.

Insbesondere die den Rechtsschutz betreffenden Regelungen lassen erkennen, wie sehr der kirchliche Gesetzgeber darauf bedacht war, Streitigkeiten als „Meinungsverschiedenheiten“ oder „Unstimmigkeiten“ aufzufassen, die in erster Linie durch eine Schlichtung und nicht durch eine streitige Entscheidung beizulegen sind67. Eine – wie auch immer geartete – Durchsetzung von Entscheidungen der Schlichtungsausschüsse war anscheinend vom kirchlichen Gesetzgeber nicht vorgesehen68. Dieses insbesondere die Mitarbeitervertretung betreffende Problem wurde in der Literatur durchaus gesehen69. Ein einstweiliger Rechtsschutz zur Sicherung und Regelung von sich aufgrund der Gesetze ergebenden Ansprüche fehlt70. Eine zweite Instanz, die gegen die Entscheidungen hätte angerufen werden können, ist nur in wenigen Landeskirchen vorgesehen71. Insofern kann von einem effektiven Rechtsschutz in den Mitarbeitervertretungsgesetzen der Landeskirchen bis weit nach dem Zweiten Weltkrieg keine Rede sein.