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Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 9 Das gemeinschaftliche Testament

§ 9 Das gemeinschaftliche Testament

Inhaltsverzeichnis

I. Begriff, praktische Relevanz und Rechtsnatur

II. Arten

III. Errichtung

IV. Gegenseitige Erbeinsetzung (sog. Berliner Testament)

V. Wechselbezügliche Verfügungen

211

Fall 13:

Die Ehegatten A und B haben ein gemeinschaftliches Testament aufgesetzt, in dem sie sich gegenseitig zu Erben einsetzen und bestimmen, dass nach dem Tod des Überlebenden die Kinder C und D den Nachlass bekommen sollen. Nach dem Tod des A und vor dem Tod der B stirbt das Kind C. Was erben dessen Ehefrau E und seine zwei Kinder K und L und wovon hängt das ab? Lösung: → Rn. 257

Fall 14:

Die Ehegatten S und T haben in einem gemeinschaftlichen Testament bestimmt, dass, wenn eines der Kinder nach dem Tod des erstverstorbenen Ehegatten seinen Pflichtteil verlangt, es auch nach dem Tod des Überlebenden nur den Pflichtteil verlangen kann. Warum? Lösung: → Rn. 258

Fall 15:

Die kinderlosen Ehegatten X und Y haben sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben eingesetzt. Später setzt die Ehefrau Y in einem privatschriftlichen Testament ihre Nichte N zur Alleinerbin ein. Bei einem Autounfall kommen beide Eheleute ums Leben, wobei nicht feststellbar ist, ob einer den anderen kurz überlebte. Ist die Nichte der Y Alleinerbin geworden? Lösung: → Rn. 259

Fall 16:

F und M heirateten 1981. Am 21.5.1991 errichteten sie ein gemeinschaftliches Testament, indem sie sich gegenseitig zu Alleinerben und ihre beiden gemeinsamen Kinder U und V sowie Tochter W der F aus erster Ehe zu Schlusserben einsetzten. 2003 wurde die Ehe geschieden. Ab 2011 lebten die Eheleute jedoch wieder zusammen, 2015 heirateten sie erneut. 2016 adoptierte M die W im Wege der Erwachsenenadoption. 2018 verstarb M. Nun fragen sich U, V und W, ob das Testament aus dem Jahr 1978 wirksam ist. Lösung: → Rn. 260

Literatur:

Baumann, Zur Bindungswirkung wechselbezüglicher Verfügungen bei gem.§ 2069 ermittelten Ersatzerben, ZEV 1994, 351; Coester, Die rechtliche Stellung des überlebenden Ehegatten, JURA 2010, 105; Czubayko, Der Tod im Scheidungsverfahren, ZEV 2009, 551; Giesen, Der „doppelte“ Pflichtteil beim Berliner Testament, ErbR 2018, 13; Gockel, Das gemeinschaftliche Testament und die Grenzen der Bindung, ZErb 2012, 72; Grunsky, Kein Widerruf wechselbezüglicher letztwilliger Verfügungen bei Testierunfähigkeit des anderen Ehegatten, ErbR 2013, 98; Jünemann, Rechtsstellung und Bindung des überlebenden Ehegatten bei vereinbarter Wiederverheiratungsklausel im gemeinschaftlichen Testament, ZEV 2000, 81; Kellermann, Die Auswirkung einer Scheidung auf das Ehegattenerbrecht, JuS 2004, 1071; Kollmeyer, Umdeutung unwirksamer Verfügungen in gemeinschaftlichen Testamenten, NJW 2018, 662; Köster, Das Schicksal des gemeinschaftlichen Testaments nach Auflösung der Ehe: Probleme des § 2268 BGB, JuS 2005, 407; Langenfeld, Das Ehegattentestament, FamRZ 1993, 1266; Olzen, Letztwillige Verfügungen unter Ehegatten, JuS 2005, 673; Röthel, Nachweis des Erbrechts auch durch eigenhändiges gemeinschaftliches Testament, JURA 2016, 1335; Rudy, Zur nachträglichen Ergänzung in einem Ehegattentestament, ErbR 2010, 58; Schneider, Wie ist der Rücktritt vom Erbvertrag, wie der Widerruf eines gemeinschaftlichen Testaments zu erklären? ZEV 1996, 220; Schuhmann, Ist das sog. Berliner Testament wirklich „out“? ErbR 2010, 4; Seitz/Wobst, Die Grenzen der Bindungswirkung gemeinschaftlicher Testamente, JuS 2015, 494; Tanck, Zur Sittenwidrigkeit von Wiederverheiratungsklausel in gemeinschaftlichen Verfügungen von Todes wegen (Berliner Testament), ZErb 2015, 297; Tiedtke, Zur Bindung des überlebenden Ehegatten an das gemeinschaftliche Testament bei Ausschlagung der Erbschaft als eingesetzter, aber Annahme als gesetzlicher Erbe, FamRZ 1991, 1259; Vollmer, Gemeinschaftliches Testament und Erbvertrag bei nachträglicher Geschäftsunfähigkeit – Lösungswege bei bindenden Verfügungen, ZErb 2007, 235; Wellenhofer, Gemeinschaftliches Ehegattentestament, JuS 2012, 649; Zacher-Röder, Wirksamkeit eines Nachtrags bei einem gemeinschaftlichen Testament nach § 2267 BGB; Zimmer, Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen bei Geschäftsunfähigkeit des Widerrufsgegners, ZEV 2007, 159; ders., Erbrecht – Wechselbezügliche Verfügungen beim gemeinschaftlichen Testament, NJW 2009, 2364.

Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 9 Das gemeinschaftliche Testament › I. Begriff, praktische Relevanz und Rechtsnatur

I. Begriff, praktische Relevanz und Rechtsnatur

212

Ehegatten (§ 2265) und Lebenspartner (§ 10 Abs. 4 S. 1 LPartG) sind erbrechtlich insofern privilegiert, als sie miteinander ein gemeinschaftliches Testament errichten können. In der Praxis wird hiervon sehr häufig Gebrauch gemacht, denn es ermöglicht den Ehegatten/Lebenspartnern eine gemeinsame Nachlassplanung, ist hinsichtlich der Form privilegiert (→ Rn. 217 ff.) und hat zudem – bei sog. wechselbezüglichen Verfügungen – eine beschränkte Bindungswirkung (→ Rn. 246 ff.).[1] Am beliebtesten ist die Sonderform des sog. Berliner Testaments (→ Rn. 224).[2]

213

Der Begriff und die Rechtsnatur des gemeinschaftlichen Testaments sind seit jeher umstritten.[3] Einigkeit besteht aber jedenfalls insoweit, dass es sich nicht um einen Vertrag, sondern um eine spezielle Form des Testaments handelt.[4] Allgemeiner Konsens ist ferner, dass beide Ehegatten/Lebenspartner jeweils mindestens eine letztwillige Verfügung treffen müssen (diese müssen aber nicht notwendig wechselbezüglich sein).[5] Umstritten ist jedoch, welche Anforderungen an die „Gemeinschaftlichkeit“ zu stellen sind. Nach der früher herrschenden objektiven Theorie bestand das Wesen des gemeinschaftlichen Testaments darin, dass die letztwilligen Verfügungen mehrerer Personen in einer einzigen Urkunde errichtet werden.[6] Diese Auffassung wird jedoch heute allgemein als zu formalistisch abgelehnt. Nach der heute ganz herrschenden subjektiven Theorie ist maßgebliches Kriterium vielmehr der Wille der Ehegatten/Lebenspartner, gemeinsam zu testieren. Streitig ist jedoch, ob dieser gemeinsame Wille in den Verfügungen irgendwie zum Ausdruck gekommen sein muss. Die streng subjektive Ansicht verneint dies und erachtet es stattdessen für ausreichend, dass die „Gemeinschaftlichkeit“ sich aus außertestamentarischen Umständen herleiten lässt.[7] Die herrschende vermittelnde Ansicht fordert hingegen auf der Basis der Andeutungstheorie (→ Rn. 327 f.), dass der Wille der Ehegatten, gemeinsam zu testieren, sich zumindest andeutungsweise in der Testamentsurkunde manifestiert hat (sog. Errichtungszusammenhang).[8]

Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 9 Das gemeinschaftliche Testament › II. Arten

II. Arten

214

In Bezug auf Inhalt und Verhältnis der getroffenen letztwilligen Verfügungen zueinander ist zwischen drei Arten gemeinschaftlicher Testamente zu differenzieren:[9]


Das gegenseitige gemeinschaftliche Testament (testamentum reciprocum) ist dadurch charakterisiert, dass ein inhaltlicher Zusammenhang zwischen den letztwilligen Verfügungen der Ehegatten/Lebenspartner besteht, z.B. indem diese sich gegenseitig zu Erben einsetzen oder sonst bedenken. Beispiel: Der reiche ältere Ehemann und die kaum Vermögen besitzende junge Ehefrau setzen sich gegenseitig als Alleinerben ein. Der Ehemann hätte die Ehefrau aber auch dann als Erbin eingesetzt, wenn sie ihn nicht bedacht hätte.
Ein wechselbezügliches gemeinschaftliches Testament (testamentum correspectivum) ist dadurch gekennzeichnet, dass es mindestens eine sog. wechselseitige Verfügung (→ Rn. 239 ff.) enthält, d.h. eine Verfügung, von der anzunehmen ist, dass sie nicht ohne eine bestimmte Verfügung des anderen getroffen worden wäre (vgl. § 2270 Abs. 1). Beispiel: Die Ehegatten setzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein und bestimmen, dass Erben des Längerlebenden die gemeinsamen Kinder sein sollen (vgl. die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 2 → Rn. 243 ff.).

Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 9 Das gemeinschaftliche Testament › III. Errichtung

 
III. Errichtung

1. Errichtungsberechtigte: Ehegatten und Lebenspartner

215

Ein gemeinschaftliches Testament kann nur durch Ehegatten (§ 2265) und Lebenspartnern (§ 10 Abs. 4 S. 1 LPartG) errichtet werden. Voraussetzung ist also, dass zum Zeitpunkt der Errichtung eine Ehe oder Lebenspartnerschaft bestand, die nicht rechtskräftig für nichtig erklärt, geschieden oder aufgehoben worden ist.[10] Ein von nicht miteinander verheirateten bzw. verpartnerten Personen errichtetes gemeinschaftliches Testament bleibt selbst dann nichtig, wenn sie später heiraten[11].[12]

216

Für den Fall, dass die zum Zeitpunkt der Errichtung des gemeinschaftlichen Testaments bestehende Ehe bzw. Lebenspartnerschaft später wegfällt, gilt die Sonderregelung des § 2268. Nach dessen Abs. 1 ist ein gemeinschaftliches Testament in den Fällen des § 2077 (→ Rn. 373) – also insb. bei späterer Scheidung der Ehe bzw. Aufhebung der Lebenspartnerschaft – seinem ganzen Inhalt nach unwirksam. Nach Abs. 2 bleibt das gemeinschaftliche Testament allerdings ausnahmsweise insoweit wirksam, als anzunehmen ist, dass die Verfügungen auch für diesen Fall getroffen worden wären.[13]

2. Form der Errichtung

a) Allgemeines

217

Ein gemeinschaftliches Testament kann grundsätzlich in jeder zulässigen Testamentsform (→ Rn. 158 ff.) errichtet werden; dabei können die Ehegatten/Lebenspartner auch jeweils eine unterschiedliche Testamentsform verwenden.[14] Für gemeinschaftliche eigenhändige Testamente (→ Rn. 220 ff.) und gemeinschaftliche Nottestamente (→ Rn. 219) sieht das Gesetz aber besondere Privilegierungen vor.

b) Gemeinschaftliches öffentliches Testament

218

Für das gemeinschaftliche öffentliche Testament gelten die allgemeinen Vorschriften der §§ 2231 Nr. 1, 2232, 2233 Abs. 2 (→ Rn. 169 ff.).[15] Dabei ist es auch zulässig, dass jeder Ehegatte/Lebenspartner eine andere Variante wählt (z.B. einer eine Erklärung gegenüber dem Notar abgibt und der andere eine Schrift übergibt); Voraussetzung ist allerdings, dass jeder der beiden die Verfügungen des anderen kennt.[16]

c) Gemeinschaftliches Nottestament

219

Für gemeinschaftliche Nottestamente (§§ 2249-2251) enthält § 2266 insofern eine Erleichterung, als sie schon dann errichtet werden können, wenn die Voraussetzungen der §§ 2249, 2250 (→ Rn. 178 ff.) nur bei einem Ehegatten vorliegen (d.h. es genügt z.B., wenn nur bei einem Ehegatten die Gefahr vorzeitigen Ablebens besteht).

d) Gemeinschaftliches eigenhändiges Testament

220

Für gemeinschaftliche eigenhändige Testamente sieht § 2267 eine spezielle Formprivilegierung vor (→ Rn. 221); alternativ kann es aber auch in der allgemeinen Form des § 2247 errichtet werden (→ Rn. 222).[17]

221

Nach § 2267 S. 1 genügt es, wenn einer der Ehegatten/Lebenspartner das Testament in der vorgeschriebenen Form errichtet und der andere die gemeinschaftliche Erklärung mitunterzeichnet. Der Mitunterzeichnende soll dabei Zeit und Ort seiner Unterschrift angeben (S. 2); das Fehlen dieser Angaben führt aber nicht zur Unwirksamkeit (§ 2247 Abs. 5 analog).[18] Zulässig ist auch die abwechselnde Niederschrift und deren gemeinsame Unterzeichnung, sofern sämtliche Verfügungen von den Unterschriften beider Ehegatten gedeckt sind.[19] Nicht zulässig ist es hingegen, dass ein Ehegatte vorab „blanko“ unterzeichnet.[20]

222

In der Form des § 2247 (→ Rn. 161 ff.) ist ein gemeinschaftliches Testament in drei Varianten denkbar[21]: (1) zwei eigenhändig geschriebene und unterschriebene textidentische Testamente, (2) zwei eigenhändig geschriebene und unterschriebene letztwillige Verfügungen auf einem Blatt[22], oder (3) zwei eigenhändig geschriebene und unterschriebene separate, aber aufeinander bezogene Testamente[23].

3. Umdeutung

223

Eine als gemeinschaftliches Testament unwirksame letztwillige Verfügung kann u.U. im Wege der Umdeutung (§ 140) als Einzeltestament oder Erbvertrag aufrechterhalten werden.[24] Voraussetzung dafür ist, dass die betreffende Verfügung den Formerfordernissen eines Einzeltestaments bzw. Erbvertrags entspricht und anzunehmen ist, dass der Erblasser in Kenntnis der Nichtigkeit als gemeinschaftliches Testament einen Erbvertrag bzw. ein Einzeltestament errichtet hätte. Entgegen einer teilweise vertretenen Ansicht[25] kommt eine Umdeutung grundsätzlich auch bei wechselbezüglichen Verfügungen in Betracht; die Auslegungsregel des § 2270 Abs. 1 steht dem nicht entgegen, da sie nur dispositiver Natur ist.[26]

Teil III Die gewillkürte Erbfolge › § 9 Das gemeinschaftliche Testament › IV. Gegenseitige Erbeinsetzung (sog. Berliner Testament)

IV. Gegenseitige Erbeinsetzung (sog. Berliner Testament)

1. Gestaltungsoptionen

224

Wenn Ehegatten[27] ein gemeinschaftliches Testament errichten, wollen sie häufig, dass zunächst der Längerlebende den zuerst Versterbenden beerbt und das Vermögen anschließend den gemeinsamen Kindern oder einem anderen nahestehenden Dritten zufällt. Um dieses Ergebnis zu erreichen, sind grundsätzlich zwei Konstruktionen denkbar:[28]


Bei der Trennungslösung setzt jeder Ehegatte den anderen als Vorerben und den Dritten als Nacherben (§ 2100) sowie für den Fall, dass der andere Ehegatte zuerst sterben sollte, als Ersatzerben (§§ 2096, 2102 Abs. 2) ein. Wenn der eine Ehegatte stirbt, wird der andere Vorerbe und der Dritte Nacherbe. Mit dem Tod des längerlebenden Ehegatten tritt der Nacherbfall ein; der Dritte erhält dann den Nachlass des zuerst versterbenden Ehegatten als Vorerbe und den Nachlass des letztversterbenden Ehegatten als Vollerbe. Die Vermögensmassen bleiben also getrennt. (Zu Vor- und Nacherbschaft ausf. → Rn. 746 ff.; zum Ersatzerben → Rn. 739 ff.) [Bild vergrößern]

225

Daneben kommt noch ein sog. Nießbrauchsvermächtnis in Betracht: Hier setzt jeder Ehegatte den Dritten als Vollerben ein und belastet diese Erbschaft mit einem Nießbrauchsvermächtnis (§ 1089 i.V.m. §§ 1085 ff., §§ 2147 ff., → Rn. 912) zugunsten des anderen Ehegatten.[30]

2. Vor- und Nachteile von Trennungs- und Einheitslösung

a) Rechtsstellung des überlebenden Ehegatten

226

Bei der Trennungslösung wird der überlebende Ehegatte nur Vorerbe des Erstversterbenden und unterliegt somit – je nach Ausgestaltung der Vorerbschaft (→ Rn. 758 ff.) – mehr oder weniger starken Verfügungsbeschränkungen. Bei der Einheitslösung hingegen wird der überlebende Ehegatte Vollerbe des Erstversterben und kann somit grundsätzlich völlig frei über das zur Einheit verschmolzene Vermögen verfügen; sofern die Schlusserbeneinsetzung wechselbezüglich ist, sind allerdings die erbrechtlichen Restriktionen im Falle solcher wechselbezüglicher Verfügungen (→ Rn. 246) zu beachten.

 

b) Rechtsstellung des Dritten

227

Bei der Trennungslösung wird der Dritte mit dem Tod des Erstversterbenden (= Vorerbfall) dessen Nacherbe; als solchem steht ihm ein Anwartschaftsrecht zu (→ Rn. 796 ff.). Bei der Einheitslösung hat er hingegen bis zum Tod des Letztversterbenden keine gesicherte Rechtsposition.

c) Pflichtteil
aa) Pflichtteil bei der Trennungslösung

228

Wenn der Dritte (wie z.B. ein gemeinsames Kind) gem. § 2303 pflichtteilsberechtigt ist (→ Rn. 621 ff.), so kann er bei der Trennungslösung nach dem Tod des Erstversterbenden nur dann den Pflichtteil verlangen, wenn er die Nacherbschaft ausschlägt (vgl. § 2306, → Rn. 652 ff.).

bb) Pflichtteil bei der Einheitslösung

229

Anders bei der Einheitslösung: Hier ist der pflichtteilsberechtigte Dritte durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge nach dem Erstversterbenden ausgeschlossen und kann deshalb den Pflichtteil verlangen, ohne ausschlagen zu müssen. Nach dem Schlusserbfall wird er dann aber gleichwohl Vollerbe des Letztversterbenden und könnte somit letztlich doppelt vom Nachlass des Erstversterbenden profitieren.

230

Um dieses typischerweise als unfair empfundene Ergebnis zu korrigieren, wird in der Praxis häufig eine sog. Pflichtteilsstrafklausel (Verwirkungsklausel)[31] aufgenommen. Darunter versteht man eine Klausel, nach welcher der Dritte sein Erbrecht verlieren soll, wenn er nach dem ersten Erbfall den Pflichtteil verlangt.[32] Letztlich wird die Schlusserbschaft damit unter eine auflösende Bedingung i.S.v. § 2075 gestellt.[33] Wegen des Strafcharakters einer solchen Klausel verlangt die h.M. als Voraussetzung für ihr Eingreifen jedoch ein subjektives Element; hierfür reicht allerdings schon ein bewusster Ungehorsam, d.h. dass der Pflichtteilsberechtigte den Pflichtteil ernsthaft und in Kenntnis der Klausel fordert.[34]

231

Durch eine solche Klausel lässt sich allerdings nicht verhindern, dass der Dritte wirtschaftlich einen „doppelten Pflichtteil“ – einmal nach dem Tod des Erstversterbenden und einmal nach dem Letztversterbenden (zu dessen Vermögen der Nachlass des Erstversterbenden gehört) erhält.[35] Eine wirtschaftliche Gleichstellung der Abkömmling, die ihren Pflichtteil verlangen, mit den anderen lässt sich nur durch eine sog. Jastrow’sche Klausel erreichen: Für den Fall, dass einer von mehreren Pflichtteilsberechtigten seinen Pflichtteil verlangt, werden den anderen entsprechende Geldvermächtnisse (in Höhe des Pflicht- oder Erbteils) als Vorausvermächtnisse (→ Rn. 911) aus dem Vermögen des erstversterbenden Ehegatten ausgesetzt, die aber erst mit dem Tod des Längerlebenden fällig werden.[36]

232

Gänzlich verhindern lässt sich die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüche allerdings nur durch den Abschluss eines Erbvertrags, in dem die Abkömmlinge auf ihren Pflichtteil verzichten.[37]