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„Was soll denn dieses Gebrüll hier? Ich bin müde. Lass mich schlafen, Mama macht Frühstück!“

Seine Laune ist heute Morgen mal wieder außerordentlich schlecht. Ganz wie immer will er mit dem „Hamsterrad Familie“ nichts zu tun haben, sondern noch gemütlich Augenpflege betreiben, während ich mich im morgendlichen Kampf an der Kinderfront alleine schlagen soll. Aber nicht mit mir! Irgendwann hat selbst eine so gutmütige Person wie ich die Schnauze voll und muss sich gegen so viel männlichen Chauvinismus zur Wehr setzen.

„TIM! Wenn du jetzt nicht aufstehst und dich um die Kinder kümmerst, verspreche ich dir, so wahr ich Ina Patschke heiße, bin ich noch heute bei Dr. Steffens im Krankenhaus. Dann kannst du mal sehen, wie du den Alltag alleine hinkriegst!“

Statt der erhofften prompten Reaktion des Kindsvaters drückt er mir nur einen feuchten Schmatzer auf die Lippen und dreht sich dann grunzend um. Es reicht! Endgültig! Wortlos erhebe ich mich, gehe zum Kleiderschrank und hole meine große Lederreisetasche hervor. Wo ist denn nur mein schickes lila gestreiftes Nachthemd, das ich letztes Jahr von Josephine zu Weihnachten bekommen habe? Sicherlich macht mich das aufdringliche Streifendesign mit der etwas zu Figur umspielenden Schnittführung einige Jahrzehnte älter, aber das Kleidungsstück scheint mir geradezu prädestiniert, um ein paar erholsame Tage im Krankenhaus zu verbringen. Aus der hintersten obersten Ecke des Schrankes ziehe ich es endlich hervor und stopfe es neben meinen bereits fertig gepackten Reisekulturbeutel in die Tasche. Klein-Philipp beobachtet mich währenddessen ziemlich skeptisch aus runden fragenden Kinderaugen. Ich nehme meinen Sohn an der Hand und gehe mit ihm nach unten in sein Kinderzimmer. Gemeinsam setzen wir uns auf sein Bett und ich erkläre ihm vorsichtig und kindgerecht, dass die Mama ein paar Tage weg sein wird, weil ihr Kopf so kaputt ist, dass er unbedingt Ruhe und Schlaf braucht, um wieder zu genesen. Verständig nickt mein Sprössling und streichelt mit seiner kleinen Hand über meinen Kopf.

„Ich puste Aua weg!“

Jetzt muss er nur noch verstehen, dass sich eine mittelschwere Gehirnerschütterung nicht unbedingt mit einer Schramme am Knie vergleichen lässt. Ich gehe in die zweite Erklärungsrunde, als Marie sich zu uns gesellt. Meine Tochter gibt sich erstaunlicherweise sehr erwachsen. Sie nimmt ihren kleinen Bruder in den Arm.

„Mach dir keine Sorgen, Mama. Ich werde Oma erklären, wie das hier bei uns alles geht. Werde du wieder gesund!“ Bei dem Stichwort „Oma“ fällt mir ein, dass ich noch an Josephine vorbei muss. Mit dröhnendem Kopf mache ich mich auf ins Wohnzimmer und finde meine Schwiegermutter mit Staubwedel und Putzeimer bewaffnet vor. Sie ist so vertieft in die Mission, ihren Sohn vor dem jahrelang angefallenen Staub und Schmutz zu befreien, dass sie mein Kommen gar nicht bemerkt und munter weiter Selbstgespräche führt.

„Das ist doch unglaublich! Die macht doch auch gar nichts!“ Ich räuspere mich. Josephine lässt den Putzlappen fallen und fährt erschrocken herum.

„DIE fährt jetzt ins Krankenhaus. Sag’ das deinem Sohn!“ Mit diesen Worten verlasse ich das Haus und schwinge mich in meinen Kleinwagen italienischen Fabrikats. Die Zeit im Krankenhaus wird mir gut tun, um Abstand zu gewinnen. Endlich habe ich die Ruhe, die ich brauche, um meine Gedanken und vor allem Gefühle zu sortieren und mir darüber klar zu werden, warum ich einen derart missratenen Ehemann an meiner Seite dulde.

Eine halbe Stunde später stehe ich vor Dr. Steffen, der ziemlich verwundert auf mein Kommen reagiert.

„Frau Patschke, geht es Ihnen nicht gut? Sie sehen blass aus!“

Ohne eine Antwort abzuwarten, zieht er mich auf die Liege im Untersuchungszimmer und leuchtet mir mit einer kleinen Taschenlampe in die Augen.

„Ihre Augenreflexe gefallen mir nicht. Sie müssen definitiv hier bleiben!“

Ich persönlich kann mir zwar nicht vorstellen, dass damit irgendetwas anders ist als gestern, aber wenn Dr. Steffens mir selbst einen Krankenhausaufenthalt verordnet, so bleiben mir wenigstens lange Erklärungen erspart. Einsichtig nicke ich also dem Arzt zu.

„Schwester Katja wird sich gleich um Sie kümmern und Ihnen ein Zimmer zuweisen. Warten Sie bitte einen Augenblick hier! Aber bitte, bleiben Sie liegen.“

Wenig später kommt eine freundlich lächelnde Krankenschwester herein. Sie drückt mir die Hand.

„Guten Tag, Frau Patschke. Ich bin Schwester Katja. Ich werde mich die nächsten Tage um Sie kümmern. Ich bringe Sie jetzt auf Ihr Zimmer.“

Ich fühle mich spontan wohl in ihrer Gesellschaft und endlich ernst genommen mit meinen körperlichen Leiden. Gemeinsam laufen wir den hell erleuchteten Klinikflur entlang, bis Schwester Katja endlich vor einer breiten Zimmertüre stehen bleibt. Auf dem Türschild steht in großen Buchstaben „Zimmer 159“ und etwas kleiner darunter „Frau Marquardt“. Aha, das wird wohl meine Zimmernachbarin sein. Schwester Katja tritt nach einem kurzen Klopfen ein und lächelt mir aufmunternd zu.

„Kommen Sie, Frau Patschke.“

Die Wände des Zimmers sind in einem hellen Blauton gestrichen und das Farbmuster findet sich in sämtlichen anderen Einrichtungsgegenständen wieder. Überhaupt ist der gesamte Raum sehr geschmackvoll eingerichtet. Sicherlich würde man nicht den Hauptpreis in der „Schöner Wohnen“ damit abräumen, aber trotzdem bin ich angetan von dem hübschen Interieur des Krankenzimmers. In Raum 159 stehen zwei Betten. Schwester Katja deutet auf das freie Bett.

„Machen Sie es sich gemütlich. Das hier ist Ihr Schrank!“ Die Krankenschwester wendet sich an die Mitpatientin.

„So, Frau Marquardt. Das hier ist Frau Patschke, sie teilt von nun an das Zimmer mit Ihnen. Dann haben Sie wenigstens ein wenig Gesellschaft.“

Frau Marquardt ist eine zierliche Frau, die in etwa im gleichen Alter wie ich sein dürfte, und mich gleich freundlich anlächelt. Ihr rechter Arm ist von oben bis unten eingegipst und das Bein ist in eine Schaumstoffschiene gebetet. Wohl erzogen wie ich bin, gehe ich als erstes zu ihr und schüttele ihr die linke Hand.

„Ina Patschke, hallo. Ich hatte gestern einen kleinen Unfall im Fitnesscenter und dachte zuerst, ich könne meine Gehirnerschütterung zuhause auskurieren. Aber mit zwei kleinen Kindern ist das irgendwie nicht möglich.“

Soviel Erklärung bin ich Frau Marquardt schuldig, wenn ich schon einfach so in ihre Privatsphäre eindringe. Schwester Katja unterbricht die vorsichtigen Unterhaltungsversuche. „So, ich gehe jetzt weiter. Frau Patschke, richten Sie sich so weit ein. Dr. Steffens wird in etwa einer halben Stunde noch einmal bei Ihnen reinschauen.“

Mit diesen Worten verlässt die freundliche Schwester unser Zimmer. Peinliches Schweigen liegt über dem Raum und ich beginne damit, den Inhalt meiner spärlich gefüllten Lederreisetasche in den großen Schrank zu räumen. Mit meinem Oma-Nachthemd gehe ich ins Badezimmer und bereue bei einem Blick in den Spiegel gleich, dass ich mich für dieses entsetzliche Kleidungsstück entschieden habe. Die lila Farbgebung meiner Bekleidung beißt sich wirklich so scheußlich mit dem sanften Blau des Krankenzimmers, dass nach meinem Anblick sicherlich eine weitere Anschlussbehandlung in der Augenklinik von Nöten sein dürfte. Damit werde ich spontan sicher einen derart schlechten Eindruck bei Frau Marquardt hinterlassen, dass diese ohnehin allein zum Schutz ihres Augenlichts an keinerlei Unterhaltung mit mir interessiert sein wird. Peinlich berührt verlasse ich das Bad und beeile mich, schnell unter meine Bettdecke zu schlüpfen und sie mir bis zur Nasenspitze nach oben zu ziehen. Vorsichtig spähe ich nach rechts. Meine Bettnachbarin lächelt immer noch freundlich vor sich hin. Offensichtlich habe ich sie doch nicht so sehr mit meinem Anblick erschreckt wie von mir erwartet und ihr kommt ein bisschen Abwechslung im grauen Klinikalltag gerade recht.

„Hier sind alle sehr nett. Sie sind hier wirklich in besten Händen, da müssen Sie sich keine Sorgen machen.“

„Na ja, momentan muss ich ganz ehrlich sagen, fühle ich mich nur abgrundtief unwohl in meinem wüsten Nachthemd. Leider konnte ich auf die Schnelle kein Besseres finden.“ Frau Marquardt lacht herzlich.

„Sicherlich ist es nicht das Highlight der Saison, aber so übel finde ich es eigentlich gar nicht. Ach, übrigens. Ich heiße Alexandra Marquardt. Wie wär’s, wenn wir beim Vornamen und Du bleiben würden?“

Das Angebot nehme ich gerne an. Geteiltes Leid ist schließlich halbes Leid und da wäre es doch reichlich albern, wenn man seine gerade gefundene Leidensgenossin, die noch dazu im gleichen Alter wie man selbst ist, siezen würde.

„Die Idee finde ich gut. Wie gesagt, ich bin Ina! Was ist passiert?“

Ich deute auf ihre eingegipsten Gliedmaßen. Alex zuckt etwas betrübt mit den Schultern, ehe sie zögerlich antwortet. „Eine dumme Geschichte! Ich habe mit meinem Lebensgefährten gezofft – aber vom Allerfeinsten. Irgendwann hat er mich so auf die Palme gebracht, dass ich nur noch weg wollte. Ich renne also aus der Wohnung, die Steintreppen hinunter und auf dem letzten Absatz stolpere ich über meine eigenen Beine – und zack! Da ist es auch schon passiert!“

Ich nicke mitfühlend.

„Und dein Lebensgefährte ist jetzt geplagt von Gewissensbissen und kniet tagtäglich an deinem Krankenbett, um dich um Verzeihung zu bitten?“

Alex lacht gequält auf und obwohl sie ihren Blick zum Fenster wendet, bemerke ich, wie sich ihre Augen mit Tränen füllen. Schnell wird mir klar: Ina Patschke ist mal wieder in das berühmte Fettnäpfchen getreten! Nur am Rande sei bemerkt, dass das übrigens eine Spezialität von mir ist und so sehr ich mich auch bemühe, nicht immer den gleichen Fehler zu machen, es gelingt mir einfach nicht. Vorsichtig erhebe ich mich und setze mich auf Alex’ Bettrand. Sanft streichle ich ihr über den Kopf, da bricht es auch schon aus ihr heraus.

 

„Stell’ dir vor! Dieser verdammte Mistkerl stand auf dem Balkon, als mich die Sanitäter auf der Liege in den Krankenwagen verfrachtet haben. Denkst du, er wäre auf die Idee gekommen, nachzusehen was mit mir ist? Keine Spur! Jetzt liege ich seit genau vier Tagen hier in diesem Zimmer und es ist noch nicht einmal irgendein Zeichen von ihm gekommen. Kein Besuch, kein Anruf, keine Karte, keine Blumen! Einfach absolut gar nichts!!“

Diese Geschichte ist schon wirklich ziemlich heftig - das muss selbst ich als der geborene Unglücksrabe an der Männerfront einräumen. Alex ist vollkommen aufgelöst und die Tränen rinnen ihr flutartig über die schmalen Wangenknochen. Ganz mütterlich drücke ich sie an mich und wiege sie solange sanft hin und her, bis sie sich wieder einigermaßen beruhigt hat.

„Mein Exemplar zuhause ist auch nicht viel besser. Aber weißt du was, vielleicht sollten wir beide die Tage in der Klinik nutzen, um darüber nachzudenken, was uns an diese Scheusale bindet? Und zu zweit geht das sicher um einiges leichter

“

Die gewünschte tröstende Wirkung meiner Worte hat ihr Ziel verfehlt und Alex quittiert meine Bemerkung mit einem neuerlichen Gefühlsausbruch der Extraklasse. Mir ist zwar nicht ganz klar, was ich Falsches gesagt habe, wiege aber meine Mitpatientin weiter in den Armen. Sie wimmert hilflos wie ein Säugling, der von Drei-Monats-Koliken geplagt, alleine in seinem Stubenwagen liegt. Eine gute halbe Stunde schaue ich mir das Spiel verständnisvoll an, doch irgendwann muss doch schließlich auch mal wieder Schluss sein mit der Hysterie. Abrupt breche ich meine Trost spendenden Wiegebewegungen ab und greife stattdessen mit sanftem Druck nach ihren Schultern.

„Jetzt ist es doch wieder gut! Deine Situation wird sich nicht ändern, wenn du hier liegst und stundenlang vor dich hin weinst. Du musst den Stier bei den Hörnern greifen und dir überlegen, was du willst. Meine Schwiegermutter pflegt immer zu sagen: „Jeder ist seines Glückes Schmied“ und so ungern ich das auch zugebe – aber in diesem speziellen Fall hat sie ausnahmsweise einmal recht.“

Ganz langsam findet meine Zimmernachbarin ihre Fassung wieder und wischt sich die Überreste aus Wimperntusche, Tränen und Rotz von ihren zarten Wangenknochen. Sie macht auf mich einen so zarten, zerbrechlichen Eindruck wie der junge Keim einer Pflanze und ich komme mir neben ihr vor, als wäre ich bei den letzten Sumoringer-Weltmeisterschaften mindestens in die Endausscheidung gekommen.

Unsere Unterhaltung wird abrupt unterbrochen, als Dr. Steffens in Begleitung zweier Schwestern ohne ein warnendes Klopfen plötzlich in unser Krankenzimmer rauscht. Die Stimmungslage in dem Raum ist auf das Niveau einer Bahnhofswartehalle zu Zeiten des Lokführerstreiks gekippt. Mit einem Mal erscheint mir die Lage an der heimischen Front um Welten entspannter als mein eigentlich geplanter Wellnessaufenthalt auf Krankenkassenkosten.

„So, die Damen. Dann wollen wir mal sehen, wie es Ihnen geht.“

Unglücklicherweise steht mein Bett an der Tür und die gesamte Weißkittelschaft stürzt sich gleich auf mich. Die eine Schwester misst meinen Blutdruck, die andere steckt mir das Fieberthermometer – nach meiner ausdrücklichen Weigerung unter der Gürtellinie zu messen - unter die Achseln, während Dr. Steffens mir in die Puppillen leuchtet. „Frau Patschke, Ihre Augenreflexe sind nicht gut. Wir werden heute noch Ihre Gehirnströme messen. Blutdruck, Puls, Temperatur und Therapie notieren Sie, Schwester Ilse.“

Schon wendet sich alle Aufmerksamkeit an meine Zimmernachbarin. Sicherlich ich bin Kassenpatient, aber wäre es zuviel verlangt, wenn sich wenigstens ein Mitarbeiter des Krankenhauses nach meinem persönlichen Befinden erkundigen würde? Während ich über das Zusammenspiel von Körper und Geist sinniere, ist die kurze Steppvisite des Mediziners samt Gefolge schon wieder aus unserem Zimmer. Wie lange ist es eigentlich her, dass ich heute Morgen das heimische Krankenlager geräumt habe? Ich habe jegliches Zeitgefühl verloren und mache mich in dem blauen Krankenhausspind auf die Suche nach meinem pinkfarbenen, mit Swarovskisteinen beklebten Mobiltelefon, das glücklicherweise auf dem Display eine große Zeitanzeige hat. 11:23 Uhr! Mit Erstaunen habe ich schnell berechnet, dass ich mich erst grob überschlagen seit zwei Stunden in der Klinik befinde. Ansonsten hat sich nichts getan. Kein Anruf, keine SMS, kein Besuch – Tim scheint mein Gesundheitszustand offensichtlich vollkommen egal zu sein. In mir macht sich Enttäuschung breit. Irgendwie habe ich gehofft, dass er sich wenigstens in dieser Situation als treu sorgender Ehemann entpuppt und mir dieses eine Mal das Gefühl von Liebe und Vertrautheit geben kann. Meine Gedanken schweifen in die Vergangenheit ab

Voller Vorfreude mache ich mich daran, meine Geburtstagsparty zu organisieren. Größer, rauschender, bombastischer als die Jahre zuvor. Wobei es geradezu lächerlich ist, die Dimensionen meiner Geburtstagsfeiern der Vergangenheit in die Superlative steigern zu wollen. Aber egal, trotzdem wird meine diesjährige Party besser als alles andere davor. Bisher war ich immer sehr genügsam und habe es weitestgehend vermieden, um meinen Ehrentag großes Aufheben zu machen. Ein Kaffeekranz mit meiner engsten Familie, das war ausreichend. Aber nachdem man nicht alle Jahre 35 wird und wirkliche Parties immer seltener, beschloss ich enthusiastisch eine Party auf die Beine zu stellen. Mit lauter Musik, lustigen Gästen, Alkohol in rauen Mengen und jeder Menge Spaß. Eben ganz so wie früher. Natürlich war mir sofort klar, dass diese Feier nicht in unserem schmucken Eigenheim stattfinden konnte. Tims Gemüt wird ja schon auf eine harte Probe gestellt, wenn Maries beste Freundin Katinka beim Versuch, den randvoll mit Bananensaft gefüllten Tupper-Strohhalmbecher mit einem Deckel zu verschließen, ein wenig ungeschickt zu Werke geht und sich der süße, klebrige Nektar in die Fronten unserer Echtholzküche frisst. Nein, Tims Launen werden mir diese Party des Jahrzehnts nicht vermiesen und so entscheide ich mich dafür, eine geeignete Räumlichkeit zu suchen. Leider musste ich schnell feststellen, dass es in dem Landstrich Deutschlands, den ich bewohne, geradezu ein unmögliches Unterfangen ist, eine Location aufzutun, die optisch ansprechend und noch dazu bezahlbar ist. Nachdem ich wochenlang damit beschäftigt war, miefige Klubhäuser und verstaubte Ballsäle zu besichtigen, entschloss ich mich auf den Rat meiner besten Freundin Susi hin, zur Eigeninitiative. Das Inserat für den „Kreisboten“ war schnell aufgesetzt und es dauerte nach Erscheinen der Anzeige auch nur drei bis vier Tage bis meine Mailbox überlief und mir die kuriosesten Angebote unterbreitet wurden. Das romantische Candlelight-Dinner im Elefantenhaus des Zoos konnte ich mir sogar noch irgendwie vorstellen, aber bei einem Essen in 100 Metern Höhe, bei dem der Tisch samt Bestuhlung an der Winde eines wackligen Krans aufgehängt wird, hörte meine Phantasie doch schnell auf. Nach langem Hin und Her sowie einigen alkoholintensiven Probeabenden in Begleitung der partyerfahrenen Susi, entschied ich mich schließlich schweren Herzens dafür, meine Geburtstagsfeier in einer kleinen, aber feinen Bar im Herzen unserer Stadt zu veranstalten. Mir fiel ein wirklich großer Stein vom Herzen, als mir der Barbetreiber Werner die konkrete Zusage für den Termin gab und alles in trockenen Tüchern lag. Beschwingt und voller Vorfreude habe ich Tim am selben Abend noch von meinen Fortschritten zum Thema „Partyvorbereitung“ berichtet.

„Im hinteren Teil des Gewölbes stellt uns Werner Tische auf. Da habe ich gedacht, machen wir dann so ein kleines kaltes Buffet. Du weißt doch, wie das ist auf solchen Parties. Man isst und trinkt, tanzt, hat Spaß und dann kommt er wieder – der kleine Hunger. Deswegen glaube ich, ist das ganz praktisch so. Cocktails und Getränke kann dann jeder selbst bei Werner bestellen. Ich freu mich so, mein Schatz, das wird ein rauschendes Fest werden.“

Tim gibt sich Mühe, zumindest ein gequältes Lächeln über die Lippen zu bringen. Dennoch merke ich, dass ihm irgendetwas nicht in den Kram passt. Er ist so seltsam wortkarg und das ist zweifelsohne – das hat mir meine Lebenserfahrung gelehrt! – ein untrügliches Merkmal dafür, dass sich mein Mann auf den Weg in die Schmollecke gemacht hat. Ich tue so, als ob ich nichts davon bemerken würde und schmiege mich an die Brust meines Mannes. Tim quittiert meine Nähe mit einem tiefen Seufzer.

„Lass uns schlafen gehen, Schatz. Ich bin wirklich todmüde!“

Ich rapple mich hoch und drücke ihm einen aufmunternden Schmatz auf den Mund. Seine Mine hat sich zwischenzeitlich deutlich verfinstert. Die Augen haben sich zu Sehschlitzen deformiert, als er endlich reagiert.

„Das wundert mich nicht! Da wäre ich auch todmüde, wenn ich mich nächtelang mit irgendeinem Werner in irgendeiner Bar herumtreiben würde!“

Ah, daher weht der Wind. So langsam wird selbst mir bewusst, welche Laus ihm über die Leber gelaufen ist. Er ist eifersüchtig und weiß noch nicht einmal, wie sein Kontrahent aussieht. Bestimmt ist Werner in seinem Kopf die lebende Mischung zwischen Brad Pitt und George Clooney. Bei diesem Gedanken muss ich unwillkürlich schmunzeln. Wenn Tim nur wüsste, dass Werner ein kleiner, deutlich untersetzter Mittfünfziger ist…

Die eheliche Stimmung ist fortan ziemlich eisig. Trotz meiner Versuche, Tim zu erklären, dass Werner definitiv nicht mein Liebhaber ist und es auch nie sein wird, macht er die Schoten dicht. Sobald die Kinder abends in ihren Betten liegen, verlässt er ohne irgendeine Rechtfertigung das Haus und kommt erst spätnachts wieder. Nicht, dass ich nicht versucht hätte, mich mit ihm auszusöhnen, aber wenn mein Mann spinnt, was zwar selten aber immer öfter vorkommt, ist kein Denken an ein normales Gespräch möglich. Zu Beginn unserer Beziehung habe ich mich sehr über diesen eigentlich eher den Steinböcken zuzurechnenden Charakterzug geärgert. Aber irgendwann verfügt jede Mutter über lang erprobte Erfahrung mit Trotz-und Bockanfällen, um zu wissen, dass man darauf am besten reagiert, indem man den kleinen Wüterich links liegen lässt. Diese Taktik hat sich bisher auch bei meinem Mann bewährt und nach spätestens drei bockigen Tagen hat er wieder reumütig Einzug im ehelichen Schlafzimmer gehalten. Nur dieses Mal hält er durch. Verdammt lange. Seit genau zehn Tagen bemüht er sich vehement darum, auch kein persönliches Wort zuviel an mich zu verschwenden. Heute Abend werde ich einen neuen Versuch starten, um Tim zur Vernunft zu bringen. Wobei der Ausgang des Versuches sehr zweifelhaft scheint. Aber egal, ich bin eine tatkräftige Frau und packe den Stier bei den Hörnern. Probleme tot schweigen liegt mir absolut überhaupt nicht. Kaum habe ich die Kinder in ihre nach Lavendel-Weichspüler duftenden Betten gepackt, ein Gute-Nacht-Lied vorgesungen und die Nachtlichter angesteckt, gehe ich zielsicher zurück ins Wohnzimmer. Tim sitzt mal wieder hochkonzentriert vor seinem Laptop. Einen kleinen Moment der Überwindung kostet es mich, ehe ich neben ihm Platz nehme und los lege.

„Tim, wie lange willst du jetzt noch schweigen?“

Mein Mann runzelt die Stirn, denkt aber gar nicht daran, seinen Blick vom Laptop abzuwenden geschweige denn, mir eine Antwort auf meine Frage zu geben. Ganz vorsichtig lege ich meine Hand auf sein Knie und spreche sanft weiter. „Wir müssen reden, Schatz.“

Er starrt immer noch gebannt auf seinen Monitor. Langsam aber sicher werde ich ungehalten. Hört er mich überhaupt oder tut er nur so, als wäre ich nicht anwesend? Ich räuspere mich merklich und hoffe, dass es mir damit gelingt, ihn wieder in die Gegenwart zurückzuholen. Gespannt warte ich, ob eine Antwort kommt. Aber leider vergebens.

„SCHATZ! HÖRST DU MICH???“

Zwischenzeitlich habe ich die Tonlage eines strengen Feldwebels im Bootcamp der amerikanischen Wüste angenommen, der einen Teenager im pubertären Wahnsinn an der Flucht hindern möchte. Erschrocken zuckt Tim zusammen. Meine Stimmgewalt hat ihn offensichtlich eiskalt erwischt. Er fährt zu mir um und pocht sich mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.

„Sag’ mal, Ina, hast du sie noch alle? Wie redest du eigentlich mit mir? Und jetzt – lass mich einfach in Ruhe!“ Seine eigentlich sehr schönen blauen Augen wirken auf einmal so eiskalt wie ein Gletscherblock im Arktischen Meer. Der Versuch ist gründlich misslungen. Bitte schön, wenn Tim meint. Eines Tages wird er auf allen Vieren mit einer Rose im Mund angekrochen kommen, meine unförmigen Plattfüße küssen und mich winselnd um Verzeihung bitten. Beleidigt trete ich den Rückzug Richtung Badezimmer an und frage mich, womit ich ein solches Ungetüm von Mann eigentlich verdient habe. Gar nicht, versichert mir zumindest Susi mit der ich ein Telefongespräch bezüglich der Partyvorbereitungen führe, während ich im dampfenden Schaumbad liege.

 

„Ach Ina, reg’ dich doch einfach nicht auf. Tim wird sich schon wieder beruhigen und falls nicht, besorgen wir dir eben einen neuen Traumprinzen ganz ohne Makel.“

Ich kichere herzlich. Die Vorstellung, den nörgligen, launischen Ehemann gegen einen gutgelaunten Sunnyboy einzutauschen, amüsiert mich. Theoretisch zumindest. Die Wahrheit ist leider die, dass ich Tim von ganzem Herzen liebe und nicht geheiratet habe, um mich bei der erstbesten Krise zu trennen, sondern um alle Auf und Abs des Lebens mit ihm zu teilen. Leider fällt es mir im Moment ein bisschen schwer, an diesen schönen Lebenstraum zu glauben, wenn Tim jedes kleine Problemchen so dramatisiert, dass es sich zu einer waschechten Krise entwickelt. Das Leben an seiner Seite ist manchmal wirklich viel zu kompliziert.

„Alle Männer machen einem das Leben schwer und sind hochgradig kompliziert. Was glaubst du, wieso ich keinen habe? Das bisschen Spaß, das man mit Männern haben kann, reduziert sich doch ohnehin nur aufs Bett. Und dafür, Ina, findest du an jeder Ecke einen Willigen. Also, wieso soll ich mir den ganzen Stress dazwischen antun?“

„Du bist einfach anders als ich, Susi. Ich will keine Affären, sondern eigentlich nur ein ruhiges und harmonisches Leben mit Tim an meiner Seite führen. Leider ist das gerade ein wenig schwierig mit ihm. Aber vielleicht liegt’s auch an mir und ich mache irgendwas falsch.“

„HALLO??? Bitte tu’ mir den Gefallen und zieh dir nicht diesen Schuh an, bloß weil dein Oller in der Midlife-Crisis steckt oder dicke Eier hat!“

Da ist wieder Susis direkte Art, die ich so an ihr liebe. Sie bringt die Dinge immer direkt auf den Punkt, ohne lange darum herum zu reden. Diesen Wesenszug würde ich zu gerne mein eigen nennen, aber leider neige ich eher zum Gegenteil.

„Ja, okay. Jetzt mal was anderes. Hat sich Werner noch mal bei dir gemeldet? Du weißt doch, er wollte noch die Getränkepreisliste vorbeibringen und darüber nachdenken, ob er mir nicht einen kleinen Sonderrabatt einräumen kann.“ „Ach ja, natürlich hat sich dein Lover bei mir gemeldet.“ Susi lacht aus voller Brust und kann sich gar nicht mehr beruhigen.

„Ha, ha, Werner hat gesagt, er kommt nächste Woche bei dir vorbei. Er hat eine Karte mit einer kleinen, aber durchaus überschaubaren Getränkeauswahl vorbereitet und möchte mit dir besprechen, ob du damit einverstanden bist. Ich hab’ ihm deine Adresse und deine Handynummer gegeben. Allerdings wusste ich da noch nicht, dass du ein Verhältnis mit ihm hast, ha, ha, ha

“

„Auch das noch! Tim wird ausflippen, wenn Werner hier auftaucht und natürlich denken, dass dies der Beweis für meine geheime Affäre ist. Wobei, vielleicht ist es sogar ganz gut, wenn er ihn mal in natura vor sich stehen sieht und es wird ihm klar, dass Werner definitiv so überhaupt nicht in mein Beuteschema passt.“

Wir diskutieren noch kurz über die Intelligenz männlichen Seins, verschieben dann aber unsere ausführliche Plauderei auf den nächsten Tag, da Susi noch einen Termin bei der Kosmetikerin hat. Als ich aus der Badewanne steige, sieht meine Haut so rot und schrumplig aus wie die einer 80-Jährigen mit extremem Übergewicht. Ich muss unbedingt etwas für mich und meinen Köper tun, so kann das nicht weitergehen. Vor der Geburt meiner Kinder war ich ein sehr Körper bewusster Mensch und habe mehrmals pro Woche Gymnastik, Yoga, Massage oder Kosmetik gebucht. Heute fehlen mir die Zeit und die Lust dazu. Zum einen muss ich zugeben, dass ich abends, wenn die Kinder endlich in ihren Bettchen liegen und wie die Engel schlafen, vollkommen schlapp auf das Sofa sinke und keinerlei Muse mehr habe, mich in irgendeiner Form aus dem Haus zu bewegen. Untertags bleibt der Genuss bei der Kosmetikerin auch irgendwie auf der Strecke, wenn man einen kleinen Schreihals im Schlepptau hat, der einen abwechselnd in die große Zehe zwickt und fragt, wann wir endlich nach Hause gehen oder mit den Händen in feinen Masken, Salben und Anti-Falten-Cremes herum gräbt und sich über den schmierigen Fettfilm freut, den die kleinen Fingerchen am Spiegel hinterlassen. Fräulein Elvira, meine langjährige Kosmetikfachberaterin, war am Ende der Sitzung nicht mehr so verzückt über den „kleinen süßen Engel“ und hat mich gebeten, zukünftig meine Kinder einem Babysitter anzuvertrauen, da sie unmöglich zwischen jeder Sitzung Zeit habe, eine Glasreinigung durchzuführen. Also habe ich die logische Schlussfolgerung gezogen, mich meiner Schönheit erst wieder zu widmen, wenn meine Kleinen aus dem Gröbsten raus sind und solange mein Gesicht sozusagen brach liegen zu lassen. Was in der Natur den Feldern gut tut, kann meiner Haut nun wirklich auch nicht schaden. Dieser Entschluss liegt nun einige Jahre zurück und ich weiß nicht, ob ich heute noch mal genauso entscheiden würde. Nicht, dass sich zwischenzeitlich tiefe Falten um meine Augen gebildet hätten oder mein Gesicht von einer pickeligen Kraterlandschaft überzogen wäre, aber man fühlt sich trotzdem bedeutend schöner, wenn man in irgendeiner Form einen Beitrag zu einem attraktiven Antlitz geleistet hat. In diesem Moment fasse ich schnell den Entschluss, dass ich meine Lethargie in Bezug auf Haut, Haare und Fingernägel im kommenden Lebensjahr ablegen werde. So wahr ich Ina Patschke heiße! Vielleicht wacht auch Tim auf, wenn er in mir die attraktive Frau von damals, wieder erkennt und weiß endlich mal zu schätzen, was er an mir hat. Voller guter Vorsätze trete ich den Rückzug ins Wohnzimmer an und lasse mich auf dem Sofa nieder. Die Lage hier ist unverändert. Tim tippt konfus auf seinem Laptop herum und scheint nichts um sich herum wahr zu nehmen. Das muss sich schnellstens ändern. Ich tippe auf die Fernbedienung und zappe auf meinen Lieblingsmusikkanal. Dort flimmern gerade die zehn beliebtesten Clips des Jahres über den Bildschirm. Perfekt! Ich drücke den Lautstärkeregler und sorge dafür, dass die gute Stimmung der superattraktiven Stars und Sternchen direkt bei uns im Wohnzimmer landet. Tim reagiert nicht. Vielleicht sollte ich noch ein bisschen mit trällern. Leider kenne ich den Text zu dem gerade laufenden Song nicht und muss warten, bis das nächste Lied dran kommt. Robbie Williams! Besser könnte es nicht laufen.

„I just wanna feel real love

“ singe ich lauthals vor mich hin.

Tim schnauft genervt durch, aber mehr passiert bisher nicht. „

real love fill the home that I live in

“.

Plötzlich erhebt sich Tim ruckartig und schiebt seinen Stuhl zurück. Ohne große Worte zu verlieren, marschiert er zum Fernseher und schaltet ihn aus.

„Du lebst ganz gut hier, oder?“

Er zieht die Augenbrauen hoch und fühlt sich sehr wichtig dabei. Ich ahne, welcher Vortrag gleich sein Schweigen brechen wird. Und es kommt, wie erwartet.

„Kannst du dir vorstellen, dass ich ein wenig Ruhe brauche, um Geld zu verdienen, dass du ein Dach über dem Kopf hast und sich etwas zu Essen im Kühlschrank findet? Du liegst gemütlich auf dem Sofa, singst wie eine altersschwache Amsel und ich arbeite mich hier schier gar zu Tode. Ich finde doch wirklich, dass ich von dir verlangen kann, dass du mir den Rücken ein bisschen freihältst, wenn du schon nichts zu unserem Familienunterhalt beiträgst.“

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