Chip Chips Jam - 1.

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Chip Chips Jam - 1.
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CHIP CHIPS JAM

ISABELL SOMMER & SWEN REINHARDT

1. Das Team ist komplett

Impressum

Š Isabell Sommer & Swen Reinhardt

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-7385-4

All rights reserved

Nachdruck, auch auszugsweise, Übersetzung und jede Art der Vervielfältigung oder Wiedergabe nur mit Quellenangabe und schriftlicher Genehmigung der Verfasser.

www.chip-chips-jam.com

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Unerbittlich heiß brannte die Sonne an diesem warmen Sommertag im Juni vom azurblauen Himmel über Hamburg. Der Asphalt flirte vor Hitze und die Straßen der Hansestadt waren wie leer gefegt. Die zwei Millionen Einwohner Hamburgs schienen sich wie Ölsardinen am Elbufer zu drängen, um einen erfrischenden Tropfen des kühlen Nass zu erhaschen.

Gelangweilt saß Joe auf der Treppe vor der Gedächtniskirche und kickte sein Skateboard lustlos hin und her. Das Wetter war zwar optimal um alle Treppen der Stadt rauf und runter zu cruisen ohne von Passanten darauf hingewiesen zu werden, dass Boarden in der Fußgängerzone strengstens verboten war. Trotzdem wurde der Spaß durch die Hitze gehörig getrübt. Eine letzte Abschlussrunde wollte er noch drehen, ehe er sich ärgerlicherweise den nervenden Hausaufgaben widmen musste. Seine Mutter war bestimmt schon auf 180 – vorausgesetzt sie hatte ihren prüfenden Blick bereits in die Schultasche geworfen und dabei festgestellt, dass er sich ohne seine Arbeiten auch nur angefangen zu haben, klammheimlich aus dem Haus geschlichen hatte. Nur noch fünf Tage bis zu seinem 11. Geburtstag! Hoffentlich bekam er von seinen Eltern das heiß ersehnte neue Santa Cruz Skateboard mit cooler gelb-oranger Feuerlackierung und optimaler Federung für alle neu gelernten Tricks. Die Räder seines alten Bretts waren abgefahren und die Farbe darauf so ausgeblichen, dass sie fast nicht mehr zu erkennen war. Es war mehr als peinlich sich mit diesem hässlichen Teil auf der Straße sehen zu lassen! Aber es half alles nichts: Jetzt sollte er sich wirklich nach Hause scheren, wenn er nicht großen Ärger mit seinen Eltern riskieren wollte. Stöhnend und schwitzend schwang er sich auf sein Board und brauste vorbei an leer gefegten Geschäften und dicht gefüllten Eiscafés in Richtung Blankenese, wo er mit seinen Eltern seit kurzer Zeit in einer kleinen Wohnung unter dem Dach einer alten Herrenvilla lebte.

Nachdem er einige Minuten in flottem Tempo gefahren war, floss ihm der Schweiß in Strömen von der Stirn und seine dunkel-blonden kinnlangen Haare waren klatschnass. Trotz aller Zeitnot, die ihn plagte, musste er eine kurze Rast auf der Parkbank unter einer dicken Buche einlegen, um sich etwas abzukühlen. Irgendwo in seiner Hose musste sich doch noch eine Kaugummipackung befinden. Hektisch begann Joe seine Hosentaschen zu durchwühlen und fand statt den Kaugummis einen zerknüllten, schmuddeligen Zettel. Verdammt, hier hatte er also die Sechs in der Mathearbeit vor den strengen Augen seiner Mutter versteckt! Die Unterschriftszeile am unteren Ende der Probe war ebenso blank wie gestern, als der Mathelehrer die Arbeit verteilte und Joe beschloss, die Botschaft seinen Eltern erst nach dem Geburtstag zu eröffnen. Während er sich den Kopf darüber zerbrach, ob es schlauer war, mit Mutter oder Vater über den versauten Test zu sprechen, fiel sein Blick auf die gegenüberliegende Parkdeckauffahrt. Ein Junge, vermutlich etwa im gleichen Alter, und einem total bescheuerten Haarschnitt versuchte sich mit seinem Board an der Abfahrt. Zugegeben, das Skateboard war das Neueste, was es derzeit auf dem Markt gab, und ziemlich cool. Trotzdem täuschte es nicht darüber hinweg, dass er einfach nichts von dem Sport verstand. Kaugummi kauend beobachte Joe den Jungen eine ganze Weile, bis der Möchte-Gern-Skateboarder ihm einen bösen Blick zuwarf und quer über den Platz brüllte: „Was schaust du denn so blöd? Habe ich grüne Pickel im Gesicht, oder was? Zieh ab, du Idiot!“ Joe warf sich die Haare aus der Stirn. Das war wohl mehr als eine Einladung gewesen, dem Blödmann zu zeigen, wer hier der Idiot war. Schwungvoll sprang er auf sein Skateboard und fuhr mit einigen lockeren Sprüngen zu dem Angeber hinüber. Mit weit geöffnetem Mund starrte der Junge Joe an, als er mit einer Vollbremsung direkt vor ihm zum Stehen kam. „Mach’ den Mund zu, es zieht! Und bevor du das nächste Mal blöde Sprüche klopfst, überleg dir, wen du vor dir hast. Mir machen in Hamburg nur wenige etwas vor, was das Skateboarden betrifft.“ Dieser Satz hat gesessen. Joe wandte sich mit einer lässigen Drehung bereits zum Gehen um, als der unbekannte Junge endlich seine Fassung wieder gefunden hatte. „Morgen um 3 treffen wir uns an der Halfpipe an der Elbe. Dann werden wir ja sehen, wer von uns beiden mehr drauf hat.“ Eingebildet zog er seine Augenbrauen nach oben und spuckte direkt vor Joe auf den Boden. „Vorausgesetzt dein altes Board hält bis morgen durch, und du bist kein Feigling. Ich warte auf dich!“ Damit packte er sein Skateboard und verschwand Richtung Alsterstraße. Nun gut, wenn dieser Angeber sich unbedingt blamieren wollte, an Joe sollte es nicht liegen.

Eine gute halbe Stunde später schloss Joe die Wohnungstür auf. Er war noch nicht einmal bis zum Garderobenschrank gekommen, als er seine Mutter schon mit scharfer durchdringender Stimme rufen hörte: „Joe! Komm’ sofort zu mir! Aber ein bisschen flott!“ Ihre Tonlage duldete keinen Widerspruch, sodass er zusah, möglichst schnell zu gehorchen. Seine Mutter saß auf der Eckbank in der Küche. Den Inhalt von Joe’s Schultasche hat sie in einem großen Haufen vor sich auf den Küchentisch geleert. „Setz’ dich!“ Sie deutete auf den freien Stuhl neben sich. Eigentlich hatte Joe überhaupt keine Lust darauf, mit seiner Mutter über Schulangelegenheiten zu diskutieren. Angesichts seines Geburtstagswunschs wollte er es sich aber bestimmt nicht mit ihr verscherzen. Seine Mutter war normalerweise ein ziemlich lockerer Typ. Was allerdings die Schule anging, verstand sie so überhaupt keinen Spaß. „Was siehst du hier auf dem Tisch, mein lieber Sohn?“ Joe zog ratlos die Schultern nach oben. „Meine Schulsachen, wieso?“ Mit spitzen Fingern zog seine Mutter ein verschimmeltes Pausenbrot, Skateraufkleber, ein benutztes Taschentuch sowie eine nicht erledigte Strafaufgabe hervor. „Ich würde eher sagen, einen Müllberg mittleren Ausmaßes. Aufräumen, aber sofort!“ Soviel Aufregung über das bisschen Unrat in seiner Schultasche konnte Joe absolut nicht verstehen, aber in einer Diskussion mit seiner Mutter würde er sicherlich den Kürzeren ziehen. Was blieb ihm da anderes übrig als sich murrend ans Werk zu machen? Nachdem er den Berg wieder in seine Schultasche geräumt und den Abfall aussortiert hatte, machte er sich genervt an die üble Deutschhausaufgabe. Joe hasste nichts mehr als irgendwelche langweiligen Texte zu lesen, die ihn kein bisschen interessierten, und dann auch noch zu allem Übel dumme Fragen darüber zu beantworten. Aber es half nichts, da musste er jetzt durch.

Wenn Joe dachte, dass er sich nach getaner Arbeit wieder auf sein Board schwingen und noch ein bisschen die Straßen der Hansestadt unsicher machen konnte, so hatte er die Rechnung ohne seine Mutter gemacht. Nachdem sie die Schultasche genauestens kontrolliert hatte und schließlich mit dem Ergebnis einigermaßen zufrieden war, strich sie ihrem Sohn zufrieden lächelnd über den Kopf. „Heute Vormittag war ich in der Stadt und habe dir etwas Schönes mitgebracht. Du wirst dich sicherlich sehr darüber freuen.“ Erwartungsvoll schaute Joe seiner Mutter nach, wie sie zur Flurgarderobe ging und geheimnisvoll mit einer Plastiktüte raschelte. Ob sie ihm wohl die extrem lässige Cap gekauft hatte, die er neulich im Skatershop um die Ecke bewundert hatte? Mit einem geheimnisvollen Lächeln auf den Lippen betrat seine Mutter die Küche und verbarg eine Hand hinter ihrem Rücken. „Mach’ die Augen zu!“ Joe’s Augen glänzten vor Vorfreude. Er malte sich schon die neidischen Blicke seiner Klassenkameraden aus, wenn er morgen mit dieser lässigen Cap im Unterricht erscheinen würde. Merkwürdig – das Ding in seinen Händen fühlte sich eckig, kalt und irgendwie so gar nicht wie das heiß ersehnte Teil an. Eher wie eines der stinklangweiligen Bücher! Langsam und voll böser Vorahnung öffnete Joe die Augen. „Rechenspaß für die 4. Klasse – Üben und Verstehen mit Spaߓ stand auf dem orange glänzenden Arbeitsheft. Gähn, was für eine Vorstellung hat seine Mutter bloß von etwas „Schönem“? Offenbar verstand sie darunter etwas vollkommen anderes als er. Sah er etwa aus wie ein Streber, den man mit einem Mathematikübungsheft völlig aus dem Häuschen bringen konnte? Seiner Mutter schien seine Enttäuschung völlig zu entgehen. „Ich wusste doch, dass ich dir damit eine Freude machen kann! Komm’ hol dein Federmäppchen und lass uns gleich anfangen!“ Was wollte seine Mutter denn noch alles von ihm? Zuerst musste er seine Schulsachen ordnen und jetzt sollte er sich auch noch am helllichten Nachmittag hinsetzen und Mathe büffeln, obwohl seine Eltern doch noch gar nichts von der Sechs in Mathe wissen konnten. „Mama, normalerweise würde ich nichts lieber tun, als hier zu bleiben und mit dir zu üben. Aber heute geht es wirklich nicht, ich bin noch verabredet!“ „Ist es möglich, dass deine Verabredung vielleicht statt zwei Beinen vier Rollen hat? Also gut, für heute bist du entlassen. Aber morgen entkommst du mir nicht, verstanden?“ Joe nickte artig, flitzte so schnell es ging aus der Wohnung und schnappte sich im Treppenhaus sein Skateboard. Ein Gefühl von Freiheit durchströmte ihn, als der Wind seine Haare streifte und die Rollen unter seinem Bord immer schneller wurden. In knapp fünf Minuten war er endlich an der Halfpipe am Elbufer angekommen. Die Anlage war wie leer gefegt. Nur harte Boarder wie Joe schwangen sich auch bei Temperaturen über 30 Grad im Schatten auf ihr Board. Zugegebenermaßen wäre ihm ein erfrischender Sprung ins kühle Nass bei dieser Hitze auch lieber gewesen, aber blamieren wollte er sich morgen nicht vor diesem Angeber. Joe fuhr sich locker warm. Dann begann er seine Tricks der Reihe nach durchzuüben. Ollie, Nollie, Fakie, Backside, Flip. Sicher hatte der Junge von heute Nachmittag nichts drauf – außer natürlich blöde Sprüche zu klopfen. Die Hitze staute sich in der Pipe und wurde immer unerträglich, sodass Joe sich bereits nach einer halben Stunden wieder auf den Weg nach Hause machte. Das heiße Sommerwetter war wirklich der Feind eines jeden Boarders, auch wenn es natürlich einen entscheidenden Vorteil hatte – nämlich fast jeden Tag hitzefrei.

 

****

Der nächste Schultag begann auch noch ausgerechnet mit einer Doppelstunde Mathematik. So sehr sich Joe auch bemühte, er verstand einfach nichts von all den Zahlen und Buchstaben, die Herr Kramer an die Tafel schrieb. Überhaupt wollte ihm nicht in den Kopf, was Buchstaben mit Mathematik zu tun haben sollten, sodass er sich die Zeit lieber damit vertrieb, die Reihenfolge seiner Skatetricks, die er heute Nachmittag dem Angeber zeigen wollte, auf das Löschblatt seines Hefts zu schreiben. Die laute durchdringende Stimme seines Lehrers holte ihn in die raue Wirklichkeit zurück. „Joe! Komm’ doch vor an die Tafel und löse die nächste Aufgabe für uns!“ Joe merkte deutlich wie ihm das Blut in den Kopf schoss. Er hatte absolut keine Ahnung, wie er die Rechnung lösen sollte. Ratlos stand er vor der Klasse und versuchte irgendwie eine halbwegs logische Rechnung zustande zu bringen. Das Jollen und Lachen der Klasse war allerdings kein sehr gutes Zeichen. „Joe, setz’ dich!“ Herr Kramer wischte wortlos die Rechnung von der Tafel und wandte sich an ihn: „Deine Arbeit von gestern habe ich noch nicht unterschrieben zurück! Woran liegt’s?“ Was sollte er dem Lehrer nur auftischen? Jetzt war eine blitzschnelle Reaktion gefragt. Stotternd antwortete Joe: „Äh, meine Eltern sind ein paar Tage weg und meine Oma, äh, passt auf mich auf. Morgen bringe ich die unterschriebene Probe mit, Herr Kramer.“ Der Lehrer zog verwundert die Augenbrauen hoch, gab sich aber dennoch mit der Antwort zufrieden. „Also gut, dann morgen!“ Oje, die zerknüllte Arbeit in seiner Hosentasche hätte er beinahe vergessen! Was für ein Glück, dass er heute Morgen die gleiche Hose wie tags zuvor angezogen hatte. Sonst wäre die Arbeit womöglich seiner Mutter beim Wäschewaschen in die Hände gefallen. Nicht auszudenken! Eine Lösung für dieses Problem musste ihm unbedingt noch einfallen, aber heute stand erstmal das Duell mit dem kleinen Proleten an. Die Unterschrift unter der 6 musste also bis morgen warten.

Endlich 12.45 Uhr! Joe sprang auf, schnappte seine Schultasche und rannte so schnell es ging Richtung Schultor. Viel Zeit für Mittagessen und Hausaufgaben konnte er heute nicht einplanen, wenn er pünktlich an der Pipe sein wollte. Knapp eine Viertelstunde später stand er vor der Wohnungstüre und kündigte durch das alltägliche Sturmklingeln sein Kommen an. Normalerweise dauerte es keine zehn Sekunden, bis seine Mutter entnervt die Tür aufriss. Doch heute öffnete ihm keiner. Joe blieb daher nichts anderes übrig, als in der seit gestern ordentlich sortierten Schultasche nach seinem Schlüssel zu suchen, und selbst aufzuschließen. „Mama? Papa?“ Keine Antwort. Er ging den schmalen Flur entlang in die Küche. Normalerweise war seine Mutter um diese Uhrzeit hier am brutzeln und braten, aber statt dem gewohnten Anblick lag nur ein Zettel auf der Arbeitsplatte.

„Lieber Joe, ich habe einen Termin und bin erst gegen 5 Uhr wieder daheim. Im Ofen steht eine Lasagne, die du nur noch aufwärmen musst. Mach’ keine Dummheiten. Kuss, Mama.“

Na also, ein bisschen Glück im Leben hatte selbst so ein Unglücksrabe wie Joe! Erfreut rieb er sich die Hände. Wenigstens war ihm seine Mutter nicht im Weg, und konnte sein Treffen an der Pipe nicht mit irgendwelchen öden Schulübungen aus dem geschenkten Arbeitsheft blockieren. Um keine Zeit zu verlieren, schmierte er seine Hausaufgaben flüchtig ins Deutschheft und verschlang nebenher die kalte Lasagne. Eigentlich war es wirklich praktisch das Mittagessen mit den Hausaufgaben zu verbinden. Der einzige Nachteil war, dass Joe nicht daran gedacht hatte, sich seine Hände zu waschen, bevor er die Heftseiten umblätterte. Nun zierte seine Hausaufgabe also ein etwa kirschgroßer, blass orange glänzender Fettfleck. Joe störte sich nicht daran, aber das Drama, das seine Mutter heute Abend aufführen würde, konnte er sich schon bildlich vorstellen. Um sich dieses Theater zu ersparen, überlegte er fieberhaft, wie er den Fleck vertuschen könnte. Vielleicht wäre ein kleiner Fußballaufkleber geeignet? Nein, Frau Böhm-Landgraf gehörte nicht zu den jungen toleranten Lehrern, die Verständnis für künstlerische Gestaltungsfreiheit bei den Hausaufgaben zeigten. Eine andere Lösung musste also her. Ob er um den Fettfleck eine kleine Umrandung mit Stiel und einigen grünen Blättern malen sollte, sodass die Lehrerin dachte, er habe eine hübsche Orange gezeichnet? Ja, das war am einfachsten. In Windeseile kritzelte Joe – na ja, so richtig konnte man es nicht erkennen – so etwas wie eine Orange. 14.30 Uhr – höchste Zeit sich auf den Weg Richtung Pipe zu machen. Womöglich würde der Loser sonst noch denken, er würde kneifen. Blitzschnell packte er also seine Hausaufgaben ein und stellte den Teller in der Spüle ab. Den Zettel seiner Mutter drehte er um und schmierte eilig eine Nachricht auf die Rückseite:

„Liebe Mama, die Hausaufgaben habe ich gemacht. Ich gehe jetzt ein bisschen skaten und komme so gegen 6 wieder heim. Dein JOE!“

Schnell rannte er noch in sein Zimmer und tauschte die Schulklamotten gegen das coole neue Skateroutfit, das er seiner Oma letzte Woche bei einem gemeinsamen Stadtbummel mit viel diplomatischem Geschick abschwätzen konnte. Wenn er schon mit einem extrem uncoolen alten Board fahren musste, so wollte er wenigstens in Punkto Klamotten auftrumpfen. Ein letzter prüfender Blick in den Spiegel und weg war er.

Kurz vor drei sauste Joe den langen Fußgängerweg, der gesäumt von Bäumen durch eine kleine Parkanlage führte, auf die Halfpipe zu. Nirgendwo war jemand zu sehen. Wahrscheinlich hatte der Angeber doch den Schwanz eingezogen. Joe fuhr ein paar Aufwärmrunden im Kreis. Plötzlich hörte er ein geheimnisvolles Rascheln aus dem Gebüsch. Sein Blick wanderte in die Richtung aus der das Geräusch gekommen war und er fragte sich, welches Tier hier wohl Unterschlupf gesucht hatte. Während er den Busch aufmerksam beobachtete, bogen sich die Äste zur Seite und der kleine Angeber kam aus dem Gestrüpp gekrochen. Mit schnellem Schritt lief er auf Joe zu, und blieb in einigen Metern Entfernung vor ihm stehen. Ohne etwas zu sagen, starrten sich die beiden Jungen eine halbe Ewigkeit in die Augen. Joe versuchte aus dem Gesicht des anderen irgendeine Gefühlsregung abzulesen, aber es gelang ihm nicht. „Ich habe nicht erwartet, dass du mit deinem alten Brett den Mumm hast hier aufzutauchen!“ Um seine Meinung zu unterstreichen, spuckte er Joe wie bei ihrem ersten Zusammentreffen knapp vor die Füße. „Statt groß rumzutönen, kannst du mir beweisen, dass du’s drauf hast! Mit deinem tollen Brett sind ein paar Tricks sicherlich gar kein Problem!“ Der Kontere war Joe gelungen. Dem Blödmann fiel die Kinnlade herunter und statt sich auf sein Board zu schwingen und vorzulegen, starrte er Joe mit großen Augen an. Sein Anblick war fast ein bisschen Mitleid erregend. „Gut, dann fange ich eben an!“, rief Joe. Ehe der Angeber sich versah, fuhr Joe mit seinem in die Jahre gekommenen, aber dafür gut eingefahrenen Board einige lockere Aufwärmrunden, ehe er begann an der Oberkante der Halfpipe seine lange geübten Tricks vorzuführen. Der Junge saß auf seinem Skateboard und schaute ihm gebannt zu. Er war sichtlich beeindruckt von Joe’s Können. Nach einem besonders gut gelungenem Bigspin (= komplette Drehung des Bretts) fuhr er lässig zu ihm hinüber. „So, jetzt bist du an der Reihe! Zeig’ mal, was du kannst.“ Zwischenzeitlich war der Angeber ziemlich kleinlaut geworden. Beinahe hatte Joe das Gefühl, dass es sich nicht mehr um den gleichen eingebildeten Jungen wie gerade eben handelte. Unsicher stand er auf, lief in Richtung Pipe und schwang sich zögerlich auf sein Skateboard. Doch auch nach mehreren Minuten brachte er nicht mehr zustande, als wackelig hin-und herzufahren. Plötzlich setzte er an der Oberkante der Halfpipe zu einem riskanten Sprungmanöver an. Das musste doch schief gehen, er sprang viel zu früh ab! Und wie Joe es vorhergesehen hatte, so kam es auch. Das Brett flog mitsamt seinem Fahrer hoch durch die Luft und beide landeten äußerst unsanft und mit einem lauten Klatsch auf dem Boden. Schadenfroh lachte Joe kurz auf, besann sich dann aber doch eines Besseren und rannte zu seinem Herausforderer. Der Junge lag ächzend und mit blutenden Knien auf dem Boden. „Ist alles okay?“, frage Joe vorsichtig nach. „Na ja, ich muss zugeben, mir ging’s schon mal besser“, antwortete der Junge stöhnend. Joe reichte ihm eine Hand und half ihm vorsichtig hoch. „Kannst du alles bewegen? Probier’ mal!“ Ächzend machte er einmal den Hampelmann und wandte sich dann wieder Joe zu: „Gebrochen ist nichts, trotzdem habe ich überall Schmerzen! Aber – danke! Das war echt fair von dir. Wie heißt du überhaupt?“ Der anfängliche Groll gegen den Angeber war plötzlich wie verflogen. Eigentlich fand Joe ihn zwischenzeitlich ganz sympathisch, auch wenn er ein bisschen hochstapelte, was seine Boarderkünste anging. „Joe, und du?“ Ein Grinsen huschte über sein Gesicht, als er antwortete. „Im wahren Leben heiße ich Tom, aber mein Spitzname ist Sketchy. Warum hast du ja gerade gesehen!“ Joe musste laut lachen und konnte sich so schnell gar nicht mehr beruhigen. Dieser Spitzname passte wirklich wie die Faust aufs Auge zu dem Jungen. Mit Sketchy ist nämlich in der Boardersprache eine unsichere Fahrweise gemeint, und genau die hatte Tom ihm gerade vorgeführt. Beide Jungen lachten bis sie Tränen in den Augen hatten. Das Eis zwischen ihnen war gebrochen. „Dein Board ist wirklich ziemlich cool. Genau so eins wünsche ich mir zum Geburtstag. Ich hoffe nur, meine Eltern haben das zwischenzeitlich auch kapiert.“ Sketchy strich liebevoll über sein Brett. „Nur leider ist der kleine Unfall nicht spurlos daran vorbei gegangen. Hier sind ein paar Holzstücke abgesplittert.“ Fachmännisch begutachtete Joe das Skateboard. „Die paar Chip Chips sind nicht so wild!“ Sketchy zog die Augenbrauen hoch und fragte verwundert nach: „Was für Dinger? Ich bin auf dem Brett eben noch genauso unsicher wie in der Skatersprache!“ Joe deutete auf die Holzsplitter und fügte erklärend hinzu: „Die Holzstücke heißen so!“ Sketchy schien Gefallen an dem Wort gefunden zu haben und wiederholte es mehrmals nacheinander.

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