Treulos

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TREULOS

ISABELL SOMMER

Impressum

Š Isabell Sommer

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-8442-7390-8

All rights reserved

Nachdruck, auch auszugsweise, Übersetzung und jede Art der Vervielfältigung oder Wiedergabe nur mit Quellenangabe und schriftlicher Genehmigung der Verfasser.

>> Wenn einem die Treue Spaß macht, dann ist es Liebe.<<

Julie Andrews

Mein Name ist Patschke. Genau genommen ist es der Name von uns Dreien. Ina Patschke - so steht es in meinem rosa, leicht angegrauten Führerschein aus der nahen Steinzeit des letzten Jahrtausends, den wahrscheinlich die meisten Leser unter Ihnen gar nicht mehr kennen. Der rosa Lappen ist heutzutage einem schicken Führerschein aus abwaschbarem widerstandsfähigem, ökologisch bestens recyclebarem Hartplastik im EC-Kartenformat gewichen. Ob Schokoladenpudding oder Bolognesesauce, kein Fleck der Welt kann das Antlitz des Dokumentes jemals zerstören. Irgendwie tröstlich! Sicherlich vermuten Sie jetzt, bei mir würde es sich um eine schwer atmende Hochschwangere Ende des 8. Monats handeln, deren praller Bauch sich wie eine überdimensionale Wassermelone über die Hüften spannt und ab und zu etwas verformt wirkt, weil muntere Zwillinge im Fruchtwasser Purzelbäume schlagen. Aber weit gefehlt!

Wenn ich den Aussagen meines Gynäkologen Glauben schenken darf, dann befinde ich mich definitiv nicht in anderen Umständen.

„Frau Patschke, Sie müssen sich Ihre Eizellen in etwa so vorstellen, wie eine Fliege, die auf dem Rücken liegt.“

Aha! Laut surrend und absolut hilflos also! Der Gedanke an insektenartige Eizellen, die in meinem Unterleib munter brummen, missfällt mir abgrundtief. Vielleicht liegt auch hier der Schlüssel zu meinem zumindest phasenweise so gut wie gar nicht vorhandenen Sexualleben. Manchmal habe ich schon das Gefühl, um meinen Unterleib ranken sich prächtige Spinnweben. Der Gedanke ist auch sehr nahe liegend: Fliegen gehen Spinnen schließlich nur allzu oft ins Netz. Aber dazu kommen wir später.

Wir drei heißen also Patschke. Damit meine ich aber nicht meine Familie, ich habe zwei Kinder und einen eher unterdurchschnittlichen Ehemann, sondern vielmehr die zwei Stimmen in meiner Brust: Knubbi und Paula!

Knubbi ist der klassische Mann wie ihn jeder von uns kennt: Meistens übel gelaunt, gereizt, genervt, besserwisserisch und übertrieben sparsam.

Paula hingegen ist die Lebenslustige von beiden. Sie ist mutig, gespannt auf das Leben und setzt sich jede Menge Ziele. Natürlich ist sie auch sehr anspruchsvoll. Sie fordert mich jeden Tag auf, alles aus mir herauszuholen und meinem Leben eine bessere Wendung zu geben.

Mein Pech ist nur, dass sich die beiden auf den Tod nicht ausstehen können. Sie sind grundsätzlich unterschiedlicher Meinung und diskutieren leidenschaftlich gerne über sämtliche Belange, die mein Leben betreffen. Für mich als quasi Unbeteiligte hat deren streitsüchtiges Verhalten oft zur Folge, dass ich nicht weiß, auf wen von beiden ich hören soll.

Das fängt schon bei ganz simplen Alltagssituationen an. Samstagvormittag gehe ich beispielsweise immer in den nahe gelegenen Supermarkt, um dort den Wocheneinkauf für die Familie zu erledigen. Nun ist dieser Supermarkt aber kein Laden im herkömmlichen Sinne, nein, es ist vielmehr ein Supercenter. Es gibt dort alles was das Herz begehrt. Mode, Kosmetik, Elektrogeräte, Spielwaren, Bücher, Schmuck und natürlich auch ganz stinknormale Lebensmittel.

Ich bummele also jeden Samstagvormittag gemütlich durch das Supercenter. Ohne nervende Kinder im Schlepptau, die einen Tobsuchtsanfall vom Allerfeinsten inszenieren, wenn man sie nach einer guten halben Stunde sanftmütig versucht vom Spielwarenregal wegzulocken. Sie werfen sich auf den glänzend polierten Boden und schreien, als gehe es um ihr Leben.

Es dauert in der Regel nicht lange, dann nähert sich schon die erste Kundin, die in mir eine potenzielle Kindesentführerin sieht, und erbost auf mich einschreit:

„Lassen Sie sofort das Kind los oder ich rufe die Polizei!“

Kaum ist es gelungen, die Frau davon zu überzeugen, dass man tatsächlich die leibliche Mutter dieses kreischenden Wutbündels ist, findet man sich plötzlich umringt von einer Menge Erziehungsprofis wieder, die viele unerbetene Ratschläge auf Lager haben.

„Bei uns früher hätte es so etwas nicht gegeben. Dem Fratz gehört doch nur einmal ordentlich der Hosenboden poliert!“

oder

„So kaufen Sie dem Jungen doch wenigstens eine Kleinigkeit!“

Ich beeile mich also, mit hochrotem Kopf das fleischgewordene Rumpelstilzchen unter meinen Arm zu klemmen und das Supercenter so schnell wie möglich zu verlassen. Natürlich brauchte auch ich eine ganze Weile, bis ich begriffen habe, dass die Reizüberflutung durch das ungeheure Spielwarenangebot und das unbändige Temperament (oder der Sturschädel) meiner Kinder nicht zusammenpassen. Zwischenzeitlich habe ich verstanden, dass ein Bummel durch das Supercenter durchaus sehr entspannt sein kann, vorausgesetzt man weiß Mann und Kinder im trauten Zuhause.

Dessen kann ich mir heute absolut sicher sein. Mein abgrundtief durchschnittlicher Normalmann hat sich eben noch grunzend wie ein Wildschwein in den Federn gewälzt, als ich mich leise aus dem Bett geschlichen habe. Selbst die lieben Kleinen haben heute das Fünf-Uhr-Klingeln der nahe gelegenen Kirchturmuhr verschlafen. Normalerweise stehen sie um diese Zeit vor meinem Bett und rütteln so lange an meinen Schultern bis ich mich freiwillig erhebe, um ihnen zu nachtschlafender Zeit ein Frühstück zu servieren. In diesen Momenten verfluche ich mein Mutter-Dasein und hadere mit meinen Eizellen – wäre es manchmal nicht praktischer, sie hätten sich schon vor neun Jahren dazu entschließen können, ihre Beweglichkeit den Fleischfliegen anzupassen?

Schnell versuche ich die Gedanken an meine täglich wiederkehrenden Mutterpflichten beiseite zu schieben. Nichts vermag es, mir meine Samstag vormittägliche Auszeit von Wutanfällen, Hausaufgaben und Kochtöpfen zu vermiesen. Zur Vorbereitung auf meine Shoppingtour schnappe ich mir schnell den Hochglanzprospekt des Markts und studiere die brandneuen Sonderangebote. Aber es ist nichts dabei, was mein Interesse auch nur ansatzweise erwecken könnte.

Keine reduzierte Antifaltencreme, keine Highheels zum Supersonderpreis!

Hackfleisch, Nudeln, Salat, Toilettenpapier,

Definitiv nichts, mit dem man ein Frauenherz an einem kinder-und männerfreien Vormittag beglücken könnte. Der Hochglanzprospekt landet also in hohem Bogen im Müll.

In diesem Moment überkommt mich ein Gefühl der unbandingen Schadenfreude.

Ja, ich werde heute das Haushaltsgeld, das mein Mann mir jeden Monat auf Heller und Cent genau passend auf den Küchentisch zählt, ohne zu vergessen die exakte Summe akkurat ins Haushaltsbuch einzutragen, mit vollen Händen verschleudern!

Warum auch sollte ich einen mittelschweren Bandscheibenvorfall riskieren, nur um die preiswertesten Artikel aus den untersten, bei meiner Größe leider sehr Rücken unfreundlichen Regalen zu fischen?

Knubbi verpasst mir einen Tritt mitten in den Rippenbogen. Er ist empört.

„Du kannst doch nicht einfach das hart verdiente Geld deines Mannes verprassen! Deine Eltern haben dich doch zur Sparsamkeit erzogen! Wie willst du über die Runden kommen, wenn du schon am ersten Samstag des Monats alles ausgibst?“

Paula reagiert auf diesen Kommentar nur mit spöttischem Gelächter.

„Der ist doch selbst schuld! Ina käme doch gar nicht auf die Idee, wenn er sie nicht immer an der kurzen Leine halten würde!“

„Aber

“

Die zwei Streithähne belasten meinen unbeschwerten Einkaufsbummel. Energisch versuche ich die beiden zum Schweigen zu bringen.

„Schluss jetzt!“

Die Dame hinter dem Informationsschalter starrt mich verwundert an und blickt sich suchend um, sodass ich mich beeile, den Eingangsbereich des Supercenters schnell hinter mir zu lassen, um zu vermeiden, dass sie das Sicherheitspersonal auf mich ansetzt.

Während ich im ersten Gang das überwältigende Angebot an Gelkerzen bewundere und dabei in einem unbeobachteten Moment vorsichtig mit meinem Finger in der glibberigen Masse bohre, denke ich über Knubbis Worte nach. Was wäre eigentlich, wenn ich meinem Mann heute Nachmittag strahlend verkünde, dass ich das gesamte Haushaltsgeld in eine Outfit-Modernisierung investiert habe?

Je länger ich darüber nachdenke, desto besser finde ich die Idee und beschließe augenblicklich, mein Vorhaben in die Tat umzusetzen.

Mein letzter ausgedehnter Klamotten-Shopping-Trip ist schließlich beinahe drei Jahre her. Ich war als glückliche Hauptgewinnerin des Preisausschreibens einer Diät-Molke gezogen worden und der Bürgermeister unserer kleinen Stadt hat mir persönlich einen Einkaufsgutschein über 3.000,00 € überreicht.

Die Sache hatte nur einen kleinen Haken:

Der Gutschein war nur einlösbar im XXL-Fashion-Shop, einem Geschäft für Übergrößen ab 44.

Nun will ich meine Figur zwar nicht unbedingt als besonders filigran beschreiben, aber trotz Speckrollen am Unterbauch, Reiterhosen und Schwangerschaftsstreifen komme ich über die 38 nicht hinaus.

Trotzdem: Meinen Gewinn wegen einer Größe hin oder her in den Wind zu schreiben, das ist für mich überhaupt nicht in Frage gekommen, und so habe ich also eines Tages bewaffnet mit meinem Gutschein den XXL-Fashion-Shop betreten.

Die freundliche Verkäuferin hat sich vor Lachen gebogen, als ich sie um eine Farb-und Typberatung gebeten habe.

„Kindchen, ich glaube du bist in die Diätmolke gefallen! Was soll ich denn einem Hungerhaken wie dir verkaufen?“

 

Unbeirrt habe ich darauf bestanden, das sehr feminine, geblümte Kleid aus dem Schaufenster in der kleinsten Größe (44) anzuprobieren.

Leider hat die Verkäuferin Recht behalten!

Ich habe einfach zu wenig Körper für dieses traumhafte Kleid gehabt. Obwohl, wenn ich mich von allen Seiten im Spiegel begutachtet habe, dürfte es eigentlich durchaus machbar sein, sich bis zum nächsten Frühling so weiterzuentwickeln, dass es tragbar war. Zwischen den Jahreszeiten liegt immerhin die Vorweihnachtszeit – der Todesstoß für jede im Sommer unter Verzicht auf viele Eisbecher mit extra Schlagsahne hart antrainierte Bikinifigur. Ich habe kurz über all die Mühen meiner letzten zweiwöchigen Sauerkrautdiät sinniert – vor allem die schlimmen Blähungen, die mich über Wochen gequält haben und ein eheliches Sexualleben schlichtweg unmöglich gemacht haben. Trotzdem war dieses Kleid ein Traum und zur Bikinifigur a lá Baywatch würde es bei mir ohnehin nicht reichen. Leider ist es mir trotz aufopferungsvollem Einsatz von kiloweise Schokoladenlebkuchen und gebrannten Mandeln nicht bis zu den ersten wärmenden Sonnenstrahlen gelungen, meine Figur so geformt zu haben, dass sich das Blumenkleid wie eine zweite Haut um meinen Körper schmiegte. Schade! Jetzt war mir nur noch die Wahl geblieben, das Kleid meiner Träume der Altkleidersammlung zuzuführen oder wenigstens den Stoff zu verarbeiten. Ich habe mich nach reiflicher Überlegung für Platzsets entschieden. Schöne geblümte selbst genähte Platzsets. Für mich, meine Schwester, meine Mutter, Omi und Opi. Und Schuhputztücher aus den Stoffüberresten.

„Damendessous verschiedene Designs je 9,99 €!“

Die aufdringliche Stimme der Informationsdame holt mich zurück in die Gegenwart. Verwundert bemerke ich erst jetzt, dass sich mein Finger zwischenzeitlich erstaunlich tief in die Gelmasse vorgebohrt hat. Unauffällig schiebe ich also das Dekorationsstück ganz weit nach hinten in das Regal.

„Ina, was bitte tust du da??? Du hast die Kerze zerstört und musst den Schaden bezahlen!“

Knubbi ist empört über mein Vertuschungsmanöver. Er kann es einfach nicht fassen. Wo bitte sind nur all die Jahre mühevoller Erziehung deiner Eltern hin?

Paula kichert hämisch. Was soll diese ganze Pseudomoral? Ist es nicht ein typisch menschliches Grundverlangen, in der glibberigen Masse herumzubohren und ist das Supercenter nicht selbst schuld an diesem Reflex, wenn es solche Artikel hier zum Verkauf anbietet?

„Krieg’ dich wieder ein, Knubbi! Der Laden hier ist doch versichert. Und bestimmt nicht schlecht!“

Langsam wende ich mich vom Regal ab und schlendere unentschlossen ein paar Schritte den Gang entlang. In mir brodelt es heftig. Knubbi ist einfach zu gewissenhaft.

„Wenn du dich davon schleichst, wird dich gleich der Ladendetektiv schnappen oder dein gemütlicher Einkaufsbummel wird durch dein schlechtes Gewissen versaut. Glaub mir das einfach, Ina und bezahl’ jetzt den Schaden!“

Ich will eigentlich nichts mehr hören und gehe zurück, greife ins Regal nach ganz hinten und ziehe das verunstaltete Dekorationsstück heraus.

Gerade als ich die Überreste der lädierten Gelkerze in einer Ecke des Einkaufswagens positioniert habe und endlich bereit bin, meinen Einkaufsbummel fortzusetzen, kommt ein Mann in einer dunkelblauen Supercenterschürze auf mich zu. Er starrt mich an. Ich starre zurück und wappne mich für eine Ermahnung größeren Ausmaßes. Oder eine Strafanzeige wegen Sachbeschädigung. Oder sogar - daran mag ich gar nicht denken, das wäre schlichtweg eine Katastrophe – ein Hausverbot.

Die Blauschürze starrt wortlos weiter und grinst plötzlich wie ein Breitmaulfrosch. Ob er nebenberuflich Modell für Zahnpastawerbung ist? Das blendende Weiß seiner Zähne beeindruckt mich so, dass ich beschließe – vorausgesetzt natürlich, ich bekomme kein lebenslanges Hausverbot im Supercenter - gleich noch einen Abstecher in der Mundhygieneabteilung zu machen. Der Supercenter-Mitarbeiter nähert sich meinem Einkaufswagen und greift zielsicher nach der kaputt gestocherten Gelkerze. Jetzt ist die Stunde der Wahrheit gekommen. Meine Knie zittern. Ich starre die Blauschürze an. Die Blauschürze starrt schweigend das Dekorationsstück an. Sein Blick wandert von der Kerze zu mir. Jetzt kommt’s!

„Sehen Sie das nicht, junge Frau? Das Gel ist doch schon ziemlich mitgenommen.“

Er drehte sich zum Regal um. Ehe ich mich versehe, liegt in meinem Einkaufswagen ein nagelneues, unversehrtes Exemplar des Wohnaccessoires. Ich spüre wie das Blut in meine Wangen schießt.

„Nehmen Sie doch diese hier. Die ist doch um einiges hübscher. Oder meinen Sie nicht?“

Verdattert nicke ich. Die Blauschürze blickt mich erwartungsvoll an. Offenbar besteht er auf eine Antwort. Unüberlegt stottere ich los, ohne zu ahnen, dass dieser Satz einem Schuldanerkenntnis ebenbürtig ist.

„Äh ja, natürlich. Aber ich glaube nicht, dass sie lange so schön bleiben wird. Dieses Gel, äh, wie soll ich sagen, übt eine

ungeheure Faszination

auf meine Fingerspitzen aus!“

Der Supercenter-Mitarbeiter mit dem weißen Zahnpastalächeln scheint schnell zu begreifen. Die breiten Schlauchbootlippen geben schlagartig keinen Blick mehr auf die weiß polierten Zahnreihen frei.

In mir zieht sich alles zusammen. Jetzt kommt der Moment, indem ich wie eine Ladendiebin von zwei muskelbepackten Sicherheitskräften aus dem Supercenter geschleift werde und unter den neugierigen Blicken einiger Nachbarn auf dem Parkplatz der Polizei übergeben werde.

Der Supercentermitarbeiter wirft mir einen strengen Blick aus seinen stahlblauen Augen zu, runzelt die Stirn und räuspert sich.

„Dann haben wir jetzt also die Übeltäterin gefunden, die Woche für Woche durch die Zerstörung der Gelkerzen unserem Center einen nicht unerheblichen Schaden zufügt. Ich fürchte, ich muss den Vorfall dem Manager melden. Außer

“

Seine Gesichtszüge werden weicher. Die breiten vollmundigen Lippen umspielt ein sanftes Lächeln. Erwartungsvoll schaue ich ihn an. Aber die Blauschürze lässt sich betont viel Zeit, den Satz zu beenden.

„

Sie versprechen mir hoch und heilig, nie mehr irgendwelche Dekorationsstücke, die im Eigentum unseres Centers stehen, mutwillig zu zerstören und ich Sie einladen darf.“

Ich bin baff. Wozu will mich dieser selbsternannte Kaufhaussheriff eigentlich einladen? Zu einem gemütlichen Kaffeeplausch im Hinterzimmer des Supercenters mit nett uniformierten Schutzmännern?

„Und versprechen Sie mir das?“

So langsam finde ich meine Fassung wieder und meine angeborene Wortgewandtheit prasselt in einem heftigen Schwall auf den jungen Supercentermitarbeiter nieder.

„Ich verwehre mich ganz energisch gegen diese ungerechtfertigten Vorwürfe, auch wenn ich in diesem Einzelfall einräumen muss, Schuld an der Verunstaltung des Dekorationsstücks zu tragen. Aber wie Sie sehen, wollte ich den von mir verursachten Schaden begleichen, hätte mich nicht ein überengagierter Supercentermitarbeiter daran gehindert. Ich sehe mich also definitiv nicht in der Position, irgendwelche Versprechungen abgeben zu müssen oder mich in erpresserischer Art und Weise von Ihnen irgendwohin einladen lassen zu müssen.“

Mit diesen Worten greife ich nach meinem Einkaufswagen und lasse den blaubeschürzten Centermitarbeiter stehen, ohne ihn eines weiteren Blickes zu würdigen. So langsam ist es wirklich an der Zeit, endlich zum gemütlichen Teil des Einkaufsbummels überzugehen.

Zielgerichtet schlendere ich in die Damenabteilung. Um einen Metallständer scharen sich bereits eine Unmenge meiner weiblichen Geschlechtsgenossinnen im harten rücksichtslosen Kampf um eines der Schnäppchen. Selbstverständlich spricht dieser Menschenauflauf auch meinen Jäger-und Sammlertrieb an, sodass ich nicht anders kann, als mich zu den Damen zu gesellen, um herauszufinden, welches Sonderangebot es hier zu ergattern gilt. Als ich mir endlich einen Platz zwischen einer türkischen Frau und einer Gruppe Teenager erkämpft habe, stelle ich zu meinem Enttäuschen fest, dass hier nur die Billigtütenhalter in hässlich blassen Pastelltönen mit dazu passenden unförmigen Spitzenslips zum Sonderpreis angeboten werden.

Nein, aus dem Alter bin ich dann doch wirklich raus. In jungen Jahren habe ich stets die Angewohnheit gepflegt, für jede neue Verabredung ein neues Unterwäscheset zu erwerben.

Zum Discobesuch mit dem Aufschneider Klaus rote Strapse, für die Verabredung mit dem Theologiestudenten Hansjörg unschuldige weiße Rüschchenunterhemdchen. Zwischenzeitlich hat sich das Blatt doch ziemlich gewendet. Meinem Mann ist es ohnehin egal, was ich für Leibeswäsche trage. Ihn kann ich sogar mit beiger Rheumawäsche aus dem Häuschen locken, was für mich einmal mehr der Beweis dafür ist, wie einfach strukturiert das männliche Geschlecht doch ist. Kaum lässt man sie ein bisschen hungern, nehmen sie jeden noch so unappetitlich angerichteten Fraß um ihren Hunger zu stillen. Wobei ich meinen Körper trotz Schwangerschaftsstreifen und einer kleinen Unterbauchfettschürze nicht als unschön bezeichnen möchte. Ich denke dabei eher an seine Ex-Freundin, die ein paar Häuser weiter in der direkten Nachbarschaft wohnt.

Biggi ist der Typ Frau „Pferdeliebhaber“. Ihre Haare hängen wie die Mähne ihres geliebten Huftiers in fettigen Strähnen vom Kopf und ihr trottender Gang wirkt wie der einer lahmenden Stute auf dem Weg zum Pferdemetzger. Ihre Augen werden durch eine doppelglasige Brille mehrfach vergrößert, was in ihrem Fall den Vorteil hat, dass das Glasgestell auf der Nase etwas von ihrem zweifach gebogenen Riechorgan in Pinocchiogröße ablenkt. Kurzum, Biggi ist also der Inbegriff weiblicher Unattraktivität und versteht es auch noch, durch eine besonders geschmacklose Auswahl ihrer Bekleidung dem Ganzen die Krone aufzusetzen.

Nachdem Biggi in unserer unmittelbaren Nachbarschaft lebt, muss ich mich tagtäglich mit der Frage auseinandersetzen, welche Gemeinsamkeiten diese Frau und mich wohl verbinden. Schließlich ist es psychologisch nachgewiesen, dass man bei seiner Partnerwahl zeit seines Lebens nach dem gleichen Muster vorgeht. Der Gedanke daran, dass ich Biggi in irgendeiner Weise auch nur annähernd ähnlich sein könnte, verursacht mir die schlimmsten Magenkrämpfe.

Mein Mann versteht diese Aufregung um seine Ex-Freundin kein bisschen. Für ihn ist sie eine ganz normale Frau. Sieht er denn nicht, wie hässlich sie eigentlich ist und schämt er sich kein bisschen dafür, mit so einem Wesen Körperflüssigkeiten ausgetauscht zu haben? Ich finde, diese Vorstellung alles andere als anregend und je länger ich darüber grübele, umso mehr packt mich der Ekel vor meinem eigenen Mann. Aber egal! Ich bin hier, um mir einen schönen Samstag im Supercenter zu machen und nicht, um mir den Kopf über die Ex meines Mannes zu zerbrechen.

Nur unter dezentem Einsatz meiner Ellenbogen gelingt es mir, mich durch die Unmengen leicht aggressiver Schnäppchenjäger zu kämpfen und an einen etwas ruhigeren Ort des Ladens zu fliehen, um erstmal tief durchzuschnaufen. Ich schaue mich gründlich im Geschäft um. Alle Kunden sind beschäftigt, keiner nimmt mich wahr.

Bedauerlicherweise leide ich nämlich an einer kleinen bis mittelstark ausgeprägten Schweißphobie, die ich seit dem Teenageralter pflege. Der Gedanke daran, eine Schweißwolke hinter mir herzuziehen, lässt mir an manchen Tagen beinahe keine Ruhe.

Jetzt scheint die richtige Gelegenheit gekommen zu sein, um zur Geruchsprobe im Selbstkontrolleverfahren zu schreiten. Möglichst unauffällig strecke ich also meinen rechten Arm in die Luft und vergrabe meine Nase in der Achselhöhle. Puh, mein morgendlicher Frischeduft ist einem äußerst unangenehm riechenden muffigen Gestank gewichen.

Ich beschließe, sofort Abhilfe zu schaffen und schiebe meinen Einkaufswagen direkt weiter in Richtung Parfümerieabteilung.

Schnell finde ich den Weg zu den dringend nötigen Erste-Hilfe-Maßnahmen und stehe ratlos vor einem Glasregal, auf dem viele hübsche Flakons in sämtlichen Farben und Formen in Reih und Glied bereit stehen, um die Welt vor meinem üblen Geruch zu retten.

Mir sticht sofort ein knallig rosa Eau de Toilette mit dem wohlklingenden Namen „Aphrodite“ ins Auge. Der unterste Rand der Parfumflasche ist geziert von aufgeklebtem lila Plüschstoff.

Vorsichtig streiche ich über den weichen Stoff und stelle dabei fest, dass sich die Produktmanager bei der Entwicklung dieses Duftes offensichtlich sehr viele Gedanken darüber gemacht haben, wie man die weiblichen Sinne am besten anspricht. Bei mir ist es ihnen gelungen, dieses Eau de Toilette scheint für mich die einzige Rettung zu sein.

 

Vorsichtig spähe ich den Gang auf und ab, aber es ist weit und breit niemand zu sehen.

Also Arm hoch, Parfumflakon unter die Bluse, dreimal sprühen und schon ist die rechte Seite fertig. Das Ergebnis der Geruchsprobe im Selbstkontrolleverfahren überzeugt mich sofort.

Um in den Genuss eines wirklich perfekten Dufterlebnisses zu gelangen, fehlt jetzt nur noch die andere Seite.

Die Abteilung des Supercenters ist immer noch wie leer gefegt.

Ich hebe also den linken Arm hoch und will gerade damit beginnen, mich einzuparfümieren.

Doch plötzlich klopft mir jemand von hinten auf die Schulter.

Im ersten Augenblick denke ich an nervöse Zuckungen meiner in die Luft gestreckten Hand, aber als das penetrante Klopfen nicht aufhören will, kommen mir meine unkontrollierten Zuckungen dann schon etwas merkwürdig vor.

Ruckartig drehe ich mich um und traue meinen Augen nicht. Mir bleibt auch keine Blamage erspart!

Hinter mir baut sich in seiner ganzen Größe die wandelnde Blauschürze aus der Zahnpastawerbung auf und seine Gesichtszüge lassen wirklich nichts Gutes erahnen.

„Schleichen Sie mir etwa nach?“

Diesmal bin ich ihm zuvor gekommen.

„Es ist meine Aufgabe, auffällige Kunden im Auge zu behalten. Darf ich fragen, was Sie unter Ihrer Bluse versteckt haben?“

Die markante Stirn hat er in tiefe Falten gelegt während mich seine stahlblauen Augen fixieren.

Schlagartig wird mir bewusst, welchen falschen Verdacht er sich gerade zusammen reimt und in welch unangenehme Situation ich mich mit der eingeleiteten aktiven Schweißbekämpfungsmaßnahme bugsiert habe.

Die Frage ist nur, ob es peinlicher ist, als Ladendiebin, die man gar nicht ist, gestellt zu werden oder einem attraktivem Mann die Wahrheit über meine rege Schweißproduktion zu offenbaren.

Ich zögere.

Der Supercentermitarbeiter räuspert sich, ohne dabei seinen durchdringenden Blick von mir abzuwenden.

Mir wird abwechselnd heiß und kalt während ich fieberhaft überlege, wie ich aus dieser unangenehmen Lage einigermaßen ungeschoren heraus komme.

„Nun, ich höre! Was verstecken Sie? Ich kann auch eine weibliche Mitarbeiterin zur Leibesvisitation rufen, wenn Sie nicht mit mir sprechen möchten.“

Spontan kommt mir das Lieblingssprichwort meiner Tante Ursula „Lügen haben kurze Beine“ in den Sinn und veranlasst mich dazu, einen Blick nach unten auf meine giraffenartigen Beine zu werfen. Bei der Überlänge kommt wohl nichts anderes als die Wahrheit in Frage.

Also ziehe ich langsam die Hand unter der Bluse hervor und stottere verlegen darauf los.

„Das Problem

meine Schweißdrüsen

äh,

ich wollte nicht stinken.“

Mein Gegenüber starrt mich mit großen Augen an. Offenbar kann er meinen Erklärungsversuchen nicht ganz folgen. Es scheint wohl so zu sein, dass er meiner Aussage ohne vollkommene Überzeugungsarbeit keinen Glauben schenkt. Beherzt lüfte ich meine Achsel und trete einen Schritt näher auf ihn zu. Er scheint immer noch nicht zu begreifen, was ich ihm mit so viel Körpereinsatz klar machen möchte.

Mir bleibt nichts anderes übrig, als couragiert nach seinem blauen Schürzenkragen zu greifen und ihn in Richtung der Schweißproduktionsstätte zu ziehen.

Prompt verziehen sich seine Gesichtszüge als habe er in eine saure Zitrone gebissen.

Einigermaßen empört über die heftige und meiner Meinung nach deutlich überzogene Reaktion meines Gegenübers, stoße ich den Supercentermitarbeiter zurück.

„Okay, Sie wollten sich frisch machen. Trotzdem könnte man Ihnen mit etwas bösem Willen unterstellen, dass Sie sich – erneut! - am Eigentum des Supercenters vergreifen wollten. Von einer Anzeige möchte ich heute ausnahmsweise noch mal Abstand nehmen. Dennoch bin ich verpflichtet, jetzt Ihre Personalien aufzunehmen und bei einem neuerlichen Vorfall ein Hausverbot gegen Sie zu verhängen.“

Ich bin beleidigt und das nicht zu knapp. Weniger wegen seiner Androhung als viel mehr deswegen, weil er meinen Geruch als derart unangenehm empfunden hat, dass sich seine Gesichtszüge gleich dermaßen verdunkelten.

„Patschke Ina – Bergstraße 16 b.“

Um die unangenehme Unterhaltung nicht weiter als unbedingt nötig in die Länge zu ziehen, konzentriere ich mich auf die von ihm gewünschte Angabe und will mich abwenden. Vom Supercenter und vor allem von ihm.

Schnell greife ich nach meinem, bis auf die Gelkerze leeren Einkaufswagen und steuere in Richtung Kasse.

Leider lässt sich mein Verfolger nicht so ohne weiteres abschütteln. Mit Block und Stift bewaffnet versucht er mit mir Schritt zu halten, was ihm aufgrund meiner Beinlänge nicht gerade leicht fällt, und gleichzeitig meine Angaben zu notieren. Endlich am Kassenbereich angelangt, feuere ich die zerstörte Gelkerze geladen auf das Band. Die Blauschürze ist von der Hetzjagd durch die Gänge des Supercenters vollkommen außer Atem.

„Patschke Ina – habe ich. Wie war noch gleich Ihre Anschrift und die Telefonnummer?“

Die Kassiererin mustert mich geringschätzig während sie das lädierte Dekorationsstück über ihren Scanner zieht. Ihrem Kollegen wirft sie einen viel sagenden Satzbrocken zu.

„Ist das wieder so eine?“

In diesem Moment schwöre ich mir, so wahr ich Ina Patschke heiße, nie mehr auch nur einen Fuß über die Schwelle des Supercenters zu setzen. Vollkommen in Rage und außer mir über die falschen Anschuldigungen des Einzelhandelpersonals in blauen Schürzen kreische ich der Kassiererin hysterisch entgegen.

„PATSCHKE INA – so eine! Jawohl! PATSCHKE!“

Als nächstes nehme ich mir den aus der Zahnpastawerbung entstiegenen Verkäufer vor.

„BERGSTRASSE 16 b! Und für Sie zum Mitschreiben:

B – E – R – G – S – T – R – A – S – S – E 16 B! Haben Sie es endlich verstanden?“

Die beiden Supercenterangestellten wechseln irritierte Blicke. Die Mitarbeiter sind offenbar nicht auf den Umgang mit nervlich etwas angespannten Kunden geschult, die kurz vor einem Kollaps stehen. Mein Verfolger versucht mich zu beruhigen und spricht auf mich mit leiser sanfter Stimme ein.

„Frau Patschke, es ist doch alles in Ordnung. Wir zahlen jetzt gemeinsam die Kerze und dann bringe ich Sie zum Ausgang.“

Er spricht mit mir, als wäre ich nicht nur ziemlich sauer, sondern zudem auch noch geistig unzurechnungsfähig.

Viel Erfahrung mit dem weiblichen Geschlecht scheint die Blauschürze nicht zu haben, sonst wüsste er, dass seine Wortwahl nicht gerade dazu geeignet ist, den Gefühlsausbruch einer rasenden Furie zu unterbinden. Aufgebracht schreie ich ihm entgegen:

„Wir machen überhaupt nichts zusammen! Als ob es nicht schon reichen würde, dass Sie mir wie ein Schatten durch das Supercenter nach schleichen! Ich zahle und verlasse dann den Laden in der Hoffnung, endlich meinen Frieden vor Ihnen zu haben!“

In meiner schwarzen Ledergeldbörse befinden sich nur zwei 50,00 Euro Scheine. Einen der bräunlichen Scheine werfe ich auf das Band und schnappe mir die Kerze.

„Halt, Ihr Rückgeld!“

Die Kassiererin wirft mir einen Blick zu, der mich an die läufige Dackelhündin meines Nachbarn erinnert.

Ich beschließe ein letztes Mal aus der Reihe zu tanzen. Ein sang-und klangloser Abgang würde schließlich nicht zu dem Drama passen, das ich dank dem übermotiviertem Supercentermitarbeiter inszenieren musste.

Keiner vermiest einer Ina Patschke ungestraft den gemütlichen Samstagseinkaufsbummel! Wirklich keiner!

„Das Rückgeld spende ich Ihrem Center für Weiterbildungsmaßnahmen betreffend den Kundenumgang für Ihre unqualifizierten Mitarbeiter!“

Die Kassiererin scheint nicht zu verstehen, was die durchgeknallte Frau, die vor ihrem Fließband steht, sagen möchte.