Tatort Bodensee

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Energisch richtete sich Horst, der gerade noch zusammengesunken im Beifahrersitz vor sich hingebrütet hatte, auf. »Nichts da! Von wegen! Okay, ich ruf an und melde das mit dem Unfall – aber aufnehmen können die ihn alleine.« Er deutete mit dem Zeigefinger auf seine Armbanduhr. »Wir müssen weiter! Denk an den Termin mit Winter! Nicht dass der glaubt, wir würden unsere Abmachung nicht einhalten …!«

»Aber …«, warf Protnik protestierend dazwischen. »Wir können uns doch nicht so einfach aus dem Staub machen. Wir sind doch Zeugen und …«

»Ist mir jetzt auch egal«, unterbrach Horst die Einwände seines Kollegen. »Der LKW-Fahrer hat sich ja unsere Nummer notiert und ich sag den Kollegen am Telefon gleich auch noch ein paar Sätze dazu. Ich muss jetzt unbedingt mit Winter sprechen!« Er donnerte seine Faust gegen die Verkleidung der Beifahrertür. »Ich muss langsam wissen, was hier für ein Spiel gespielt wird. Und irgendwie glaube ich, dass Winter der Einzige ist, der uns mehr dazu sagen kann!«

Einerseits hatte Horst Meyer damit recht, andererseits wartete aber bereits die nächste unangenehme Überraschung auf die beiden Kommissare.

19

Schon von Weitem konnten sie erkennen, dass etwas nicht stimmte. An dem normalerweise an einem Freitag um diese Uhrzeit völlig menschenleeren Aussichtsturm, wo sie sich zu ihrem Treffen mit dem Journalisten Alex Winter verabredet hatten, war die Hölle los. Der Weg zum Turm war regelrecht gepflastert mit Fahrzeugen, von deren Dächern unaufhörlich blaue Blinklichter zuckten. Ein Notarztwagen, ein Rettungswagen, zwei Polizeifahrzeuge und zwei zivile Einsatzwagen, einer davon mit FR-Kennzeichen, mehrere Männer mit Notizblöcken, die von einem aufgeregt gestikulierenden älteren Mann mit Cordhut, Latzhose und derben Schaftstiefeln in Beschlag genommen wurden, ein gelbes Absperrband aus Plastik, das zwei uniformierte Polizeibeamte gerade ausrollten.

»Du meine Güte, bitte lass es nicht wahr sein!« Horst sah verzweifelt zu seinem Kollegen hinüber, der ihren Wagen gerade hinter dem letzten Polizeifahrzeug auf der Wiese abstellte.

Auch Protnik war blass geworden. Ernst blickte er zu Horst Meyer. »Wenn das stimmt, was ich vermute, dann gute Nacht!«

Sie öffneten die Türen, was Protnik bedingt durch den Zusammenprall von vorhin nur mühsam gelang, und stiegen aus. Keine zehn Schritte waren sie auf den Turm zugelaufen, als eine energische Stimme sie zum Anhalten zwang.

»Halt, hier geht’s nicht weiter! Hier werden polizeiliche Ermittlungen angestellt. Bitte kehren Sie um!« Der Mann kam hinter einem der Zivilfahrzeuge hervor und musterte sie streng. Dann schlug er sich mit der flachen Hand an die Stirn. »Nein, so was! Sie sind mir doch gleich irgendwie bekannt vorgekommen! Was machen Sie denn da?« Kopfschüttelnd blieb der Kriminalkommissar aus Konstanz, der Horst gestern Mittag im Überlinger Krankenhaus vernommen hatte, vor den beiden stehen. »Ich denke, es war klar, dass Sie sich aus den Ermittlungen heraushalten!« Er machte eine leichte Kopfbewegung zur Seite. »Herr Schlotterbeck, kommen Sie bitte mal! Wir haben Besuch bekommen, interessanten Besuch«, fügte er böse lächelnd noch hinzu.

In diesem Augenblick tauchte der Kommissar vom Landeskriminalamt auch schon zwischen den Einsatzfahrzeugen auf. Verblüffung spiegelte sich in seiner Miene, als er erkannte, wen er da vor sich hatte. »Was um alles in der Welt machen Sie denn da?«

»Das würde ich genauso gerne von Ihnen wissen«, murmelte Horst, der sich für die Strategie der Vorwärtsverteidigung entschieden hatte, leise. Eine kalte Faust schien ihn im Nacken gepackt zu haben und bohrte sich unaufhaltsam in sein Rückenmark. Was war da bloß geschehen? Er wagte gar nicht erst, daran zu denken!

»Moment einmal, die Herren, ja?«, zischte der LKA– Beamte. »Ich finde es allmählich gar nicht mehr so witzig, dass Sie hier am See anscheinend überall dort auftauchen, wo grade ein Toter gefunden wird! So langsam reicht es mir!«

Beim Stichwort »Toter« wurde Horst kreidebleich. Er hatte es ja geahnt! Fast wären ihm die Beine weggesackt. Allmählich war das alles wirklich zu viel für ihn! Protnik, dem Horsts Schwächeanfall nicht verborgen geblieben war, packte ihn fest am Oberarm: »Aber sagen können Sie uns schon, was passiert ist, oder? Schließlich waren wir hier mit jemandem verabredet!«

»Soso, hier verabredet, ausgerechnet hier, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen! Weil es am ganzen Bodensee ja keinen Flecken gibt, an dem man sich unterhalten kann. Und dann auch noch ausgerechnet heute!« Hofer von der Konstanzer Kripo tropfte das Gift förmlich aus den Mundwinkeln. Forschend fixierte er Protnik mit zorniger Miene: »Und mit wem bitte haben Sie sich hier verabredet?«

Protnik wand sich wie der Fuchs in der Falle. »Na ja, mit einem Bekannten eben. Wir wollten uns von da oben die Gegend anschauen«, er deutete mit dem ausgestreckten Arm auf den Aussichtsturm hinauf. »Er kennt sich nämlich ganz gut hier aus, wissen Sie«, fügte er rasch noch hinzu, in der Hoffnung, arglos genug gewirkt zu haben. Aber insgeheim war ihm natürlich längst klar geworden, dass sie ihn durchschaut hatten.

»Kommen Sie, lassen Sie die Spielchen«, entgegne-

te Hofer denn auch säuerlich. »Sagen Sie mir bitte jetzt gleich, wie der Bekannte heißt, den Sie hier treffen wollten!«

Hilfesuchend blickte Protnik seinen Kollegen an. Aber Horst zuckte nur resigniert mit den Schultern. »Wir haben hier ein Treffen mit Alex Winter ausgemacht, mit dem Redakteur vom ›Seekurier‹. Der wollte uns von da oben mal die Gegend zeigen!«

Hofer schüttelte energisch den Kopf. »Der wird Ihnen gar nichts mehr zeigen! Der ist nämlich mittlerweile am Hanf erstickt!«

Verständnislos stierten sich die beiden an. »Was soll das denn heißen?«, stieß Protnik schließlich hervor.

Schlotterbeck übernahm die Erklärung: »Dass der Journalist Alex Winter da oben noch vor fünf Minuten an einem Seil gebaumelt ist! Und der Mann da drüben«, damit deutete er auf den immer noch gestikulierenden Mann mit dem Cordhut, der ihnen vorhin schon aufgefallen war, »der hat ihn zufällig entdeckt und die Polizei alarmiert!«

Also doch! Nur ein weiterer rasch zupackender Griff von Protnik bewahrte Horst davor, auf den Boden zu sinken. Das war zu viel! Das war einfach zu viel für ihn! Noch ein Toter! Nein, das hielten seine Nerven allmählich nicht mehr aus. »Protnik, komm, lass uns gehen, ich kann nicht mehr!«

Doch Protnik hielt ihn nach wie vor eisern fest. Der hatte heute Nerven wie Drahtseile! »Nur eine Frage noch, Kollege! Haben Sie schon irgendeine Erkenntnis, wer ihn umgebracht haben könnte?« Das war anscheinend genau die falsche Frage zum falschen Zeitpunkt gewesen.

»Umgebracht! Dass ich nicht lache!«, schnaubte Hofer wütend. »Sie beide schon wieder und ihre ewigen Mordtheorien. Das war, das kann ich Ihnen gerne auch schriftlich geben, Selbstmord. Ganz einfacher stinknormaler Selbstmord ohne irgendwelche Fremdeinwirkung! Und wenn Sie es nicht glauben, dann fragen Sie den Doktor. Der hat keinerlei Spuren von Gewaltanwendung bei der Leiche gefunden! Aber das passt Ihnen ja wohl nicht ins Konzept, oder?«

Doch Protnik ließ sich nicht so schnell abwimmeln: »Von äußerer Gewaltanwendung, meinen Sie. Abwarten, was die Obduktion bringen wird!«

Jetzt lief der andere knallrot an. »Da gibt es keine Obduktion! Das war Selbstmord, basta, fertig! Wir sind ja schließlich auch keine Idioten, oder! Aber wir rennen doch nicht jedem Selbstmörder so lange hinterher, bis wir irgendeine blödsinnige Mordtheorie aufstellen können. Da wird nichts mehr untersucht: Das war Selbstmord! Ende der Fahnenstange! Kapiert?« Böse glotzte er Protnik ins Gesicht.

Auch Schlotterbeck trat nun ganz nahe auf die anderen zu. »Der Arzt stellt gerade den Totenschein aus. Und auf dem steht: Selbstmord! Kapiert?«, presste er mit gefährlich leiser Stimme hervor. »Sie gehen jetzt wohl besser nach Hause!«

Protnik nickte, allem Anschein nach mittlerweile gewaltig zerknirscht. »Machen wir. Einverstanden! Aber eine winzige Frage habe ich dann zum Schluss doch noch!« Ziemlich kleinlaut stand er da und blickte die beiden anderen bittend an. Horst war gespannt, was jetzt gleich kommen würde.

Schlotterbeck verdrehte die Augen. »Also, eine Frage noch und dann aber Feierabend!«

Protnik nickte zum zweiten Mal. »Danke! Was ich nicht verstehe, ist Folgendes: Wir stehen hier auf dem Gebiet des Bodenseekreises, das ist doch gar nicht Ihr Gebiet. Dafür ist doch Friedrichshafen zuständig, oder?« Damit deutete er auf die Kennzeichen der Einsatzfahrzeuge mit den Abkürzungen der zuständigen Landespolizeidirektion Tübingen. »Wie also kommen Sie hierher?« Forschend blickte er von einem zum anderen.

Nun war es an Schlotterbeck zu explodieren. »Weil ich vom LKA bin. Und das Landeskriminalamt betreut das ganze Land!« Er schrie so laut, dass die anderen sich erstaunt umdrehten und sogar der Mann mit dem Cordhut aufhörte, mit den Armen in der Gegend herumzufuchteln. »Und weil ich mitbekommen habe, dass da ein Journalist tot am Seil hängt! Per Polizeifunk übrigens! So was soll’s geben! Und weil mein Kollege weiß, dass der da ab und zu mit dem toten Taucher gemauschelt hat! Und weil wir wissen wollten, ob da was dran ist und …«

Weiter kam er nicht. Hofer hatte ihm energisch die Hand auf die Schulter gelegt und damit den Redefluss gestoppt. Ihm waren die Erklärungen schon viel zu weit gegangen! »Basta! Schluss jetzt! Also: Sie machen jetzt, dass Sie Land gewinnen! Ansonsten halten Sie sich per Handy zu unserer Verfügung. Sie wissen ja …«, setzte er zynisch lächelnd hinzu. Dann drehte er sich um, gefolgt von Schlot­ter­beck, der nach seinem Wutausbruch von gerade eben immer noch heftig schnaufte.

 

Protnik stützte Horst weiter am Oberarm. »Und wenn das Selbstmord war, dann fresse ich einen Besen samt Hexe! Diese Zudecker, diese verdammten Vertuscher und Nicht-Aufklärer!«, murmelte er bitter.

»Ich möchte nur wissen, ob das Absicht oder Faulheit ist«, setzte Horst nachdenklich hinzu.

Protnik sah ihn an – ein beinahe flehender Ausdruck trat in seine Augen. »Bitte, lass es Faulheit sein! Nicht auszudenken, wenn es anders wäre – dann gute Nacht, Marie!«

Wie ein Blitzschlag durchzuckte Horst in diesem Moment ein Gedanke. »Claudia! Verdammt, wir haben Claudia vergessen!« Verflixt und zugenäht – wenn sie sich wenigstens endlich ein Handy zugelegt hätte. Verzweifelt sah er auf seine Uhr: 14.30 Uhr. Jetzt sollte er eigentlich Claudia vom Überlinger Bahnhof abholen. Oje – auch das noch! »Komm, Protnik, wir müssen schnellstens zum Bahnhof«, rief er seinem verdutzten Kollegen zu. »Komm schon, gib Vollgas!«

Es gab Tage, an denen sollte man lieber im Bett bleiben – und der Tag war schließlich noch lange nicht zu Ende!

20

Am Überlinger Bahnhof war – natürlich – von Claudia weit und breit nichts zu sehen. Horst sah auf seine Armbanduhr: fünf Minuten nach 15 Uhr – über eine halbe Stunde zu spät! Er war der Verzweiflung nahe: »Auch das noch! Wo um alles in der Welt soll ich denn jetzt suchen? Also wenn das so weitergeht, dann kannst du mich bald in der Klappsmühle abliefern!«

»Und mich gleich mit dazu!« Auch Protnik hatten sich die letzten Stunden gewaltig aufs Gemüt gelegt. »Das hält ja der stärkste Bär nicht aus: Mordversuch, ein toter Gesprächspartner, pampige Kollegen, drohendes Disziplinarverfahren, kaputtes Auto und jetzt auch noch eine verschwundene Ehefrau! Nein«, er hieb sich mit der geballten Faust auf sein Knie, »mir wird das alles so langsam zu viel!«

Horst gab sich einen Ruck: »Komm, es hilft alles nichts, wir müssen sie suchen! Vielleicht war Claudia so schlau und hat sich mit dem Taxi nach Nußdorf bringen lassen. Also, Michael, fahr los! Wir schauen erst mal auf dem Stellplatz in Nußdorf nach!«

Wenige Minuten später lenkte Protnik seinen verbeulten Astra auf die Hofeinfahrt des Anwesens, wo Horsts Freund aus Albstadt seinen Wohnwagen aufgestellt hatte. Ein roter Rangerover mit BL-Kennzeichen parkte neben der Buchenhecke. Horst schwante Übles! »Oh Gott, auch das noch!« Er straffte sich und atmete tief durch. »Der Frieder aus Albstadt ist also auch da …«

Und nicht nur der war anwesend. Kopfschüttelnd stand Claudia vor dem Wohnwagen, aus dessen Tür gerade ihr gemeinsamer Freund Frieder trat, der ihr gestikulierend einen ganz offensichtlich ärgerlichen Tatbestand schilderte.

Die ersten Wortfetzen drangen an Horsts Ohr: »… und dann hat er auch nicht mal die Tür abgeschlossen, als er abgehauen ist! Da hätte ja jeder … Aha, da ist er ja!« Frieder hatte die beiden Kollegen bemerkt und musterte Horst mit bitterbösem Blick. Auch Claudia drehte sich um: der Vorwurf in Person! Das konnte ja ein lustiger Nachmittag werden! An seiner Seite spürte er eine Bewegung: Protnik hatte die Situation offenbar erfasst und sich vorsichtig umgedreht, um dem zu erwartenden Donnerwetter, mit dem er schließlich nicht das Geringste zu tun hatte, zu entkommen. Der Feigling! »Sputnik, bitte!«, zischte Horst seinem Kollegen zu und hielt ihn am Hemdsärmel fest. »Bitte mach jetzt nicht die Fliege, sondern bleib einfach neben mir stehen! Bitte!«

Protnik hob mit einer resignierten Geste die Hände. »Also gut, von mir aus! Auch vollends egal! Also dann: Augen zu und durch!«

Im selben Moment brach auch schon das Donnerwetter los: »Sag mal, was hast du dir eigentlich dabei gedacht!« Claudia stemmte die Hände in die Hüften und baute sich vorwurfsvoll vor ihrem Ehemann auf. »Wie kann ein einzelner Mensch denn in so kurzer Zeit so viel Mist bauen, kannst du mir das einmal sagen?«

Horst zog es vor, zunächst einmal gar nichts zu sagen und stumm den weiteren Verlauf des Gewitters abzuwarten. Da stellte sich Frieder neben Claudia und deutete mit dem ausgestreckten Arm auf die Öffnung in der Seitenwand seines Wohnwagens, wo es vor drei Tagen die Abdeckklappe fortgeweht hatte. Ach, du meine Güte! Daran hatte er im Strudel der Ereignisse wahrlich nicht mehr gedacht!

»Kannst du mir sagen, wieso du meinen Wohnwagen offensichtlich gerade in seine Einzelteile zerlegst?«, polterte Frieder mit hochrotem Kopf nunmehr los. »Und weshalb du gleichzeitig in drei Teufels Namen die Inneneinrichtung flutest? Da!« Er machte mit dem ausgestreckten Arm eine ausholende Bewegung. »Schau dir die Sauerei an: alles nass, tropfnass und stinkend! Wie soll man da noch übernachten!« Wütend machte Frieder kehrt und stürmte in sein lädiertes Feriendomizil, bevor Horst auch nur ansatzweise Gelegenheit gefunden hätte, eine wie auch immer formulierte Entschuldigung zu stammeln. Er machte Anstalten, Frieder zu folgen, doch Protnik umklammerte fest seinen Unterarm. »Lass das, das hat jetzt noch keinen Wert! Lass erst mal den Zorn verrauchen und komm morgen wieder, wenn sich die Wogen einigermaßen geglättet haben!« Damit drückte er mit seiner Hand noch einmal fester zu, wie um Horst an etwas zu erinnern. »Da, kümmere du dich jetzt lieber um die Scherben deiner Ehe!« Mit einer Bewegung seines Kinns deutete er in Claudias Richtung.

Er hatte recht. Aber wie sollte Horst das Porzellan wieder kitten? Da half nur eins: das Büßergewand. Mit einer hoffnungslosen Geste breitete er die Arme aus und machte einen Schritt auf Claudia zu. »Entschuldigung, Schatz! Ich weiß, es sieht alles ganz und gar bescheuert aus, aber glaub mir: Ich kann dir alles erklären!« Eine Armlänge vor Claudia blieb er stehen.

»Das hoffe ich auch schwer für dich!« Claudia schüttelte – immer noch außer sich vor Empörung – den Kopf. »Meine Güte, und ich habe mich so auf dieses Wochen­ende am See gefreut!« Vorwurfsvoll blickte sie von Horst auf Protnik und danach wieder zurück. »Aber wenn man euch beide einmal alleine lässt – es ist doch immer wieder dasselbe!«

Protnik trat vorsichtshalber einen Schritt zurück. Man konnte ja nie wissen! Ein missbilligender Blick seines Kollegen war die Folge.

Horst senkte den Kopf. »Also, da sind Sachen passiert …« Bewusst ließ er den zweiten Teil seines Satzes offen. Nun war es an der Zeit, die Initiative zu ergreifen. Energisch machte er einen weiteren Schritt auf Claudia zu und legte seine Arme auf ihre Schultern: »Aber das alles erzähle ich dir nachher! Wie wäre es, wenn wir jetzt erst mal unser Zimmer im Parkhotel beziehen würden? Was meinst du?«

Überraschung spiegelte sich in Claudias Augen. Der Frust von gerade eben schien mit einem Schlag wie weggeblasen. »Wie? Du hast ein Zimmer für uns im Parkhotel reserviert?!«

Horst nickte demütig. Bitte, bitte lieber Gott, lass sie im Parkhotel noch ein Zimmer frei haben! Nur ein einziges!

Claudia stieß einen vergnügten Laut aus und legte nun ihrerseits die Hände auf Horsts Schultern: »Aber das ist ja fantastisch! Da könnte ich dir doch glatt einen Kuss geben!«

»Dann tu’s doch einfach!«

»Immer langsam mit den jungen Pferden. Dafür hab ich vorhin am Bahnhof noch eine viel zu große Wut auf dich gehabt, als ich da mutterseelenallein wie bestellt und nicht abgeholt herumgestanden bin! Erst mal möchte ich nachher haarklein erzählt bekommen, was ihr beide wieder angestellt habt!« Energisch nahm sie seine Hände von ihren Schultern: »Also los, gehen wir endlich!«

In diesem Moment klingelte Horsts Handy. Immer im richtigen Augenblick! Nervös zerrte er es aus seiner Gür­tel­tasche und reichte es Protnik. »Geh du bitte ran! Ich hab jetzt keine Nerven dafür!«

Mit einem gequälten Augenaufschlag übernahm Prot­nik das Telefon und meldete sich mit einem neutralen: »Ja, bitte?«

Horst ignorierte das Telefonat geflissentlich und bückte sich nach Claudias Reisetasche. »Komm, lass uns schon zum Auto vorgehen! Schließlich haben wir Urlaub!« Energisch packte er die Tasche und marschierte auf Protniks Wagen zu.

Verblüfft blieb Claudia vor dem verbeulten Astra stehen und betrachtete kopfschüttelnd die Spuren des Zusammenpralls vom heutigen Morgen. »Sag mal, fährt der Protnik neuerdings Querfeldein-Rallye? Das ist ja unglaublich! Und außerdem«, prüfend heftete sie den Blick auf den abgesplitterten Lack, »da ist ja noch gar kein Rost dran! Das muss erst neulich passiert sein!« Verwundert wandte sie den Kopf und betrachtete skeptisch ihren Ehegatten: »Sag mal, hast du damit etwa auch was zu tun?«

Der legte jedoch lediglich die Stirn in Falten. »Ich hab dir doch gesagt, du erfährst nachher alles! Aber lass uns doch jetzt erst mal ins Hotel fahren!«

Claudia runzelte die Stirn. »Ob die uns überhaupt ins Zimmer lassen, wenn wir mit der verbeulten Schüssel da vorfahren?«

»Da mach dir mal keine Sorgen, das ist schon alles geregelt.« Hoffentlich! Horst sandte einen Stoßseufzer zum Himmel. »Und heute Abend gehen wir dann ganz gemütlich zum Essen!« Er wäre zwar lieber nach dem heutigen Tag, todmüde wie er war, einfach so ins Bett gefallen, aber das konnte er Claudia nach dem völlig missglückten Empfang am Bodensee einfach nicht antun!

»Ja – ich kenne da ein wunderschönes Lokal in Kon­stanz«, ließ sich in diesem Moment von hinten eine Stimme vernehmen. Überrascht drehten sie sich um: Protnik! Wieso wollte der denn auch mit? Der musste doch wieder hoch in sein Zimmer auf den Wildenstein! Und wieso ausgerechnet Konstanz?!

Bei Claudia hatte sich das Erstaunen schnell wieder gelegt: »Ja, warum denn eigentlich nicht? Es ist mindestens schon zwei Jahre her, dass ich zum letzten Mal in Konstanz war! Gute Idee, Michael!« Damit öffnete sie die Beifahrertür des Astra und kletterte sichtlich gut gelaunt auf den Rücksitz.

Horst brauchte gar nicht erst zu fragen, was der Vorschlag mit Konstanz zu bedeuten hatte, Protnik überreichte ihm nämlich schon im selben Moment wieder das Handy und deutete mit dem Zeigefinger darauf, während er ihm leise zuraunte: »Da, das Telefonat eben! Das war sowieso für uns beide bestimmt! Die haben uns für heute Abend in die Polizeidirektion nach Konstanz zitiert: 19 Uhr und keine Minute später! Ich sag’s dir: Da wartet ein furchtbares Donnerwetter auf uns!« Gequält verzog er das Gesicht. »Wenn du den Tonfall von dem grade gehört hättest!« Er schüttelte sich angewidert. »Wir müssen beim Oberboss persönlich antanzen – unsere Chefs haben dem Schlachtfest im Übrigen schon zugestimmt, da lässt sich nichts mehr daran drehen!« Er zog heftig an der verbeulten Fahrertür seines Wagens, die sich nur mit Mühe öffnen ließ: »Was für ein Tag!!!«

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