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Teil I
Das Geschenk

»Wie lange willst du noch damit fortfahren, deine Energie schlafen zu lassen? Wie lange noch wirst du die Unermesslichkeit deiner selbst vergessen?«

Bhagwan Shree Rajneesh in »A Cup of Tea«

Erste Schritte

Es gibt nur zwei Arten, sein Leben zu leben: Entweder so, als gäbe es keine Wunder, oder so, als wäre alles ein Wunder.

Albert Einstein

Garys Wunder

Wie ist dieser Mensch nur die Treppenstufen heraufgekommen?, dachte ich und blickte durch das Aussichtsfenster neben meinem Büroeingang. Mein neuer Patient war soeben am Ende des Treppenhauses angelangt. Er bewegte sich mit mehreren Sätzen schrittweise nach vorne; zwischendurch legte er vereinzelte Pausen ein, in denen er auf die Stufen hinunterstarrte, während er sich auf die nächste Anstrengung vorbereitete. Ich fragte mich wieder einmal verwundert, ob die Eröffnung einer Chiropraktik-Praxis in der zweiten Etage eines Gebäudes ohne Fahrstuhl die beste Vorgehensweise gewesen war. War das nicht ungefähr so, als würde man eine Reparaturwerkstatt für Bremsen am Ende eines steilen Berges eröffnen?

Als ich 1981 mit meiner Praxis begann, standen mir nicht viele Möglichkeiten offen, und es sah so aus, als hätte ich heute sogar noch weniger, auch wenn sich die Gründe dafür jetzt geändert hatten. Während meiner 12 Jahre hier in Los Angeles war meine Praxis zu einer der größten in der Stadt herangewachsen. Wie konnte ich da einfach zusammenpacken und umsiedeln?

Ich beschloss, nicht hinauszugehen, um diesem Mann beim Heraufkommen der letzten Stufen zu helfen. Ich wollte das bevorstehende Gefühl seiner erfolgreichen Leistung nicht schmälern. In seinem Gesicht entdeckte ich die eiserne Entschlossenheit eines Bergsteigers, der den letzten Hang des Mount Everest erklimmt. Als er schließlich taumelnd den Treppenabsatz erreichte, wurde ich unweigerlich an den Glöckner von Notre Dame erinnert, wie er unerschrocken den Glockenturm entlanggeklettert war.

Ein flüchtiger Blick auf die Unterlagen des Patienten verriet mir seinen Namen: Gary. Er suchte mich aufgrund seiner Rückenschmerzen auf, an denen er Zeit seines Lebens gelitten hatte. Diese waren nicht verwunderlich. Obwohl er noch jung und gesund war, hatte er eine verzerrte Körperhaltung, die sofort augenscheinlich wurde, wenn man seinen Körper betrachtete. Sein rechtes Bein war um mehrere Zoll kürzer als sein linkes und seine rechte Hüfte war gleichzeitig viel höher angeordnet. Aufgrund dieser Deformation schritt er mit einer bis zum Äußersten reichenden Überbetonung seiner rechten Hüfte voran. Mit jedem Schritt schwang er sie betont nach außen, worauf er anschließend seinen Körper nach vorne schob, um wieder aufzuholen. Sein rechter Fuß zeigte nach innen und wurde oberhalb seines linken Fußes abgestellt, wodurch seine beiden Beine sich wie ein einziges größeres Bein bewegten und dadurch das Gewicht seines Oberkörpers im Gleichgewicht hielten. Um einen Sturz zu verhindern, schob sich sein Rücken in einem Winkel von etwa 30 Grad nach vorne, was den Eindruck vermittelte, dass er sich für einen Sprung in den Pool bereit machte. Seine Haltung und Gangart verursachten infolgedessen heftige Rückenschmerzen, die sich bereits in seiner Kindheit eingestellt hatten und bis zur Gegenwart andauerten.

Kurze Zeit später setzte mich Gary über seine Krankengeschichte in Kenntnis. Es stellte sich heraus, dass er sich in gewisser Weise seit dem Zeitpunkt seiner Geburt fortwährend wie auf einer Treppe vorangekämpft hatte. Der Arzt hatte seine Nabelschnur zu früh durchtrennt und dadurch war die Sauerstoffzufuhr zu seinem Säuglingsgehirn unterbrochen worden. Als seine Lungen die Atmung aufnahmen, war der Schaden bereits angerichtet: Sein Gehirn war in einer solchen Weise davon betroffen, dass sich seine rechte Körperseite nicht symmetrisch entwickeln konnte.

Gary erklärte mir, dass er – in dem Versuch, seinen Zustand zu heilen – im Alter von 14 Jahren bereits mehr als 20 Ärzte aufgesucht hatte. Es wurden chirurgische Eingriffe vorgenommen, wie unter anderem eine Verlängerung der Achillessehne an seiner rechten Ferse, mit denen seine Gangart und Haltung verbessert werden sollten. Doch es funktionierte nicht und brachte keinen Erfolg. Er bekam orthopädische Schuhe und Stützapparate für die Beine. Doch auch hiermit trat keine Besserung ein. Als die Krämpfe, die sein rechtes Bein peinigten, immer heftiger wurden, wurden Gary starke, krampflösende Medikamente verschrieben. Die Krämpfe schienen sich dadurch prächtig zu entwickeln, während Gary durch sie abgestumpft und orientierungslos wurde.

Schließlich landete Gary in der Praxis eines berühmten und hoch angesehenen Arztes. Sollte es noch irgendjemanden geben, der ihm helfen könnte, so war es dieser Mann – davon war Gary überzeugt.

Nach einer eingehenden Untersuchung setzte sich der Arzt hin, sah ihm in die Augen und sagte, es gebe nichts, was er für ihn tun könne. Er sagte, Gary würde Zeit seines Lebens an Rückenproblemen leiden, und er fügte hinzu, dass sich seine Probleme mit zunehmendem Alter noch verschlimmern würden, dass sich sein Knochenbau weiterhin verschlechtern und dass er sein Leben letzten Endes an den Rollstuhl gefesselt verbringen würde. Gary konnte den Arzt nur fassungslos anstarren.

Gary hatte all seine Hoffnungen und Erwartungen auf diesen Facharzt gesetzt, doch als er die Praxis verließ, fühlte er sich niedergeschlagener als je zuvor. An diesem Tag, so sagt Gary, habe er »die Ärzteschaft geistig abgeschrieben«.

Dreizehn Jahre verstrichen. Während des Trainings mit einer Bekannten erwähnte Gary beiläufig, dass er an ungewöhnlich heftigen Rückenschmerzen litt. Zufällig – oder vielleicht seltsamerweise – war sie zwei Jahre zuvor nach einem schweren Motorradunfall eine Patientin von mir gewesen. Sie empfahl Gary meine Praxis.

Und nun war er hier.

Ganz in seine Krankengeschichte vertieft, schaute ich von den Notizen, die ich mir gemacht hatte, auf und fragte: »Wissen Sie, was hier vor sich geht?« Gary sah mich an und schien irgendwie verwirrt durch die Frage, dann sagte er: »Sie sind ein Chiropraktiker, richtig?« Ich nickte mit einem Ja und entschied mich bewusst, nicht näher darauf einzugehen. Es lag ein erwartungsvolles Gefühl in der Luft. War ich der Einzige, der dieses Gefühl spürte?

Ich brachte Gary in ein anderes Zimmer, forderte ihn auf, sich auf eine Massageliege zu legen, und begann seinen Nacken einzurenken. Anschließend wies ich ihn an, in 48 Stunden zur Überprüfung wiederzukommen und sagte ihm, der erste Besuch sei jetzt vorüber.

Zwei Tage später kam Gary zurück.

Wie zuvor forderte ich ihn auf, sich auf die Massageliege zu legen. Das Einrenken dauerte nur ein paar Sekunden. Dieses Mal bat ich ihn, sich zu entspannen und die Augen zu schließen und sie nicht eher wieder zu öffnen, bis ich es ihm sagte. Ich hielt meine Hände mit den Handflächen nach unten in einem Abstand von etwa 30 Zentimeter über seinen Oberkörper, und mir fielen nach und nach verschiedene ungewöhnliche Empfindungen auf, die mich berührten, während ich meine Hände weiter aufwärts, in Richtung seines Kopfes, bewegte. Ich richtete meine Handflächen nach innen und führte sie so weit hoch, bis jede auf eine seiner Schläfen gerichtet war. Während ich die Hände dort ausgerichtet hielt, beobachtete ich, wie Garys Augäpfel hinter den geschlossenen Lidern hin und her flitzten und dies mit einer Schnelligkeit und Stärke von Seite zu Seite, mit einer solch großen Intensität, die darauf hindeutete, dass er ganz und gar nicht eingeschlafen war.

Ich fühlte mich instinktiv dazu hingezogen, meine Hände hinunter in den Bereich von Garys Füßen zu bringen. Ich hielt meine Handflächen sanft darüber, sodass sie zu seinen Fußsohlen zeigten. Meine Hände fühlten sich an, als würden sie durch ein unsichtbares, unterstützendes Gefüge in der Schwebe gehalten. Durch die angeborene Deformität verharrte sein rechter Fuß, selbst wenn Gary auf dem Rücken lag, in seiner nach innen gedrehten Position. Während ich die Unterseite seiner in Strümpfe gekleideten Füße betrachtete, hatte ich noch keine Vorstellung von dem, wovon ich jetzt Zeuge sein würde. Es war so, als würden seine Füße zum Leben erwachen. Nicht so lebendig wie unsere Füße, sondern so, als würden sie sich in zwei lebendige Wesenheiten verwandeln, die sich voneinander unterschieden – und die eindeutig nicht Gary waren. Mit gebannter Faszination beobachtete ich die Bewegungen seiner Füße. In jedem einzelnen Fuß schien ein selbständiges Bewusstsein anwesend zu sein.

Dabei setzte Garys rechter Fuß plötzlich zu einem Bewegungsmuster an, das in etwa so zu beschreiben ist, als würde er sanft auf ein Gaspedal »treten«. Während sich dieses »Treten« fortsetzte, kam eine zweite Bewegung hinzu – eine nach außen gerichtete Drehbewegung, die seinen rechten Fuß aus der ursprünglichen Position, in der er sich auf dem linken Fuß befand, hinaushob in eine Position, in der die Zehen nach oben gerichtet waren und nach oben zur Decke deuteten genauso wie vorher, als sie sich noch auf dem linken Fuß befanden. Ich spürte nicht, ob ich überhaupt noch atmete, ich blickte still vor mich hin, während Garys Augen weiterhin wie ein rasender Taktmesser auf einem großen Piano hin und her flitzten. Dann drehte sich sein Fuß, der noch immer am Treten war, wieder zurück und nahm seine ursprüngliche Position ein. Dieses Muster wiederholte sich. Nach außen, nach innen, nach außen, nach innen. Dann schien es aufzuhören. Ich wartete. Und wartete. Und wartete. Es schien nichts mehr zu folgen.

Ich nahm wahr, wie ich den Tisch entlangging, bis ich an Garys rechter Seite stand. Obwohl es nicht meine Angewohnheit war, bei dieser Tätigkeit den Körper eines Menschen unmittelbar zu berühren, tat ich es in diesem Fall. Ich fühlte mich auf einmal verpflichtet, meine Hände sehr leicht auf seine rechte Hüfte zu legen, wobei sich meine rechte Hand oberhalb meiner linken befand, doch lag sie nicht direkt darüber. Ich blickte hinunter zu Garys Füßen. Wieder begann sich der rechte Fuß zu bewegen, zuerst im Tretmodus und dann begann er wieder mit der Drehbewegung. Nach außen, nach innen, nach außen, nach innen

 

Ich wartete. Und wartete. Danach geschah allem Anschein nach nichts mehr.

Ich nahm meine Hände von Garys Hüfte und berührte Garys Brust sanft mit zwei Fingern. »Gary? Ich denke, wir sind fertig.«

Garys Augen flitzten immer noch hin und her, obwohl ich sehen konnte, dass er versuchte, sie zu öffnen. Etwa 30 Sekunden später, als er sie geöffnet hatte, sah Gary ein wenig benommen aus. »Mein Fuß hat sich bewegt«, erzählte er mir, als ob ich es nicht auch gesehen hätte. »Ich konnte es spüren, aber ich konnte nicht damit aufhören. Überall fühlte es sich heiß an, und ich spürte, wie sich eine Art von Energie in meiner rechten Wade aufbaute. Dann – Sie werden dies für verrückt halten – fühlte es sich so an, als würden unsichtbare Hände meinen Fuß wenden, und doch fühlten sie sich auch wieder gar nicht wie Hände an.«

»Sie können jetzt aufstehen«, sagte ich und bemühte mich, nicht allzu verblüfft auszusehen, obwohl ich selbst gerade versuchte, all dies fassen zu können. Gary stand auf – zum ersten Mal mit seinen 26 Jahren – etwas über 1,80 Meter groß mit zwei selbständigen Beinen.

Ich beobachtete in dankbarem Erstaunen, wie Gary hier aufrecht stand: Seine Wirbelsäule war aufgerichtet und seine Hüften waren auf gleicher Höhe und im Gleichgewicht. Sein Gesichtsausdruck spiegelte ganz langsam das wider, was seiner Auffassung nach gerade geschehen war. Während er vorsichtig ein paar Schritte ging, konnte ich erkennen, dass er noch ein wenig humpelte, aber dies war nicht einmal mehr annähernd ein Vergleich zu dem torkelnden Gang von früher.

Gary verließ meine Praxis mit einem staunend-strahlenden Lächeln im Gesicht, und ich beobachtete ihn dabei, wie er tatsächlich anmutig die Treppe hinunterschritt.

Wegweiser

An diesem Tag hatte die Energie eindeutig eine völlig neue Ebene erreicht. Warum? Ich konnte es nicht sagen. Sie stieg einfach zu neuen Ebenen auf: manchmal jede Woche, manchmal alle paar Tage, manchmal mehrmals an einem bestimmten Tag. Schon damals wusste ich, dass diese Energie, obwohl sie DURCH mich hindurch kam, nicht von mir erschaffen und noch nicht einmal gelenkt wurde. Jemand anderes tat dies, jemand, der mächtiger war als ich. Obwohl ich in letzter Zeit viel gelesen hatte, passte das, was geschah, nicht mit dem zusammen, was ich über »Energie-Heilung« aus Büchern erfahren konnte. Dies hier war mehr als nur »Energie«. Dies war ein Träger von Leben und Intelligenz und ging über die zahlreichen »Techniken« hinaus, welche die Bücherregale und New-Age-Zeitschriften füllen. Dies hier war irgendetwas anderes. Es war etwas sehr Reales.

Was an diesem Nachmittag mit Gary geschehen war, veränderte nicht nur sein Leben, sondern es sollte auch mein Leben verändern. Nicht, dass Gary der einzige Patient gewesen wäre, bei dem ich in der Weise gearbeitet hatte – indem ich meine Hände oberhalb des Körpers der Patienten bewegte. Dies hatte ich schon seit über einem Jahr so gemacht. Auch war er nicht der einzige Patient, der die Erfahrung einer bemerkenswerten Heilung während der Sitzung erlebt hatte. Allerdings stellte er bis jetzt bei weitem den Extremfall dar – der Patient, der zunächst an schlimmstem Gebrechen litt und der meine Praxis mit den verblüffendsten und offenkundigsten Ergebnissen verlassen konnte. Fast zwei Dutzend der besten Ärzte des Landes waren unfähig gewesen, Garys Gang, Körperhaltung, die Drehbewegung in seiner Hüfte und in seinem Bein zu beheben – oder zu verbessern – und dennoch waren seine Abnormität und die damit verbundenen Schmerzen so gut wie verschwunden. Tatsächlich in nur wenigen Minuten. Verschwunden.

Ich wunderte mich wieder einmal, warum diese Energie ihr Erscheinen durch mich kundtun wollte. Ich meine, wenn ich auf einer Wolke sitzen und den Planeten nach genau dem Menschen absuchen würde, dem ich eines der kostbarsten und begehrtesten Geschenke des Universums überreichen könnte, dann weiß ich nicht, ob ich durch den Äther hindurch gereicht hätte und mit meinem Finger durch die riesige Vielzahl von Menschen hindurch auf jemanden gedeutet und gesagt hätte: »Er! Das ist derjenige. Gib ihm dieses Geschenk.«

Nun, vielleicht hat es sich nicht unbedingt genau auf diese Weise zugetragen, doch so hat es sich für mich angefühlt.

Ich habe mein Leben ganz sicher nicht damit verbracht, auf einem Berggipfel in Tibet herumzusitzen, meinen Nabel zu betrachten und aus schmutzigen Schüsseln mit Stäbchen zu essen. Ich war 12 Jahre lang damit beschäftigt, meine Praxis aufzubauen, und ich besaß drei Häuser, einen Mercedes, zwei Hunde und zwei Katzen. Ich war ein Mann, der sich gelegentlich gehen ließ und der mehr fernsah als ein 12-jähriger Dauerglotzer, und ich dachte, dass ich eigentlich bereits alles tat, was ich tun »sollte«. Oh, ich hatte auch ein paar Probleme abbekommen – tatsächlich hatten sie gerade, bevor all diese bizarren Ereignisse begannen, ihren Höhepunkt erreicht – aber im Allgemeinen war mein Leben dabei, sich nach Plan zu entwickeln.

Bloß – nach wessen Plan? Genau das war die Frage, die ich mir jetzt stellen musste. Denn wenn ich zurückschaute, konnte ich sehen, dass es entlang der Straße meines Lebens gewisse Wegweiser gegeben hatte – seltsame Vorkommnisse, Zufälle und Ereignisse – die, obwohl sie im Einzelnen unbedeutend waren, insgesamt gesehen und im Nachhinein betrachtet, doch darauf hindeuteten, dass ich niemals wirklich den Weg beschritten hatte, den ich mir meiner Ansicht nach ausgesucht hatte.

Wo war der erste Wegweiser gewesen? Wie weit gehen die Beweise zurück? Wenn Sie meine Mutter fragen würden, gehen die Beweise den ganzen Weg zurück bis zu dem Tag, an dem ich aus ihrem Leib entbunden wurde. Nach ihren Worten war meine Geburt ausgesprochen »ungewöhnlich« gewesen. Selbstverständlich bleibt die erste Geburt den meisten Müttern als besonderes, als ungewöhnliches und einzigartiges Ereignis in Erinnerung. Doch das ist nicht dasselbe. Manche Frauen gehen durch tagelange zermarternde Geburtswehen hindurch. Andere gebären ihr Kind im Wald oder auf dem Rücksitz eines Taxis. Und meine Mutter? Sie starb auf dem Entbindungsbett, während sie mit mir in den Wehen lag.

Es war jedoch nicht das Sterben, was ihr wirklich etwas ausmachte und was sie als ungewöhnlich beschrieb, das, was eine große Wirkung bei ihr hervorrief, war das Geschehen, dass sie wieder ins Leben zurückkehren musste.

Lehren aus dem Leben nach dem Tod

»Für alles, was sich in dieser Welt und jenseits davon ereignet, gibt es einen logischen Grund – und alles ergibt vollkommenen Sinn. Eines Tages wirst du den göttlichen Sinn vom Plan Gottes verstehen.«

Lois Pearl

Das Krankenhaus

Wann wird dieses Kind zur Welt kommen?, fragte sie sich gequält. Im Kreißsaal hatte Lois Pearl, meine Mutter, ihre Atemübungen gemacht und gepresst und gepresst ..., aber nichts geschah. Kein Baby. Keine Erweiterung. Nur Schmerzen und noch mehr Schmerzen und von Zeit zu Zeit die Ärztin, die zwischen den Entbindungen anderer Babys hereinschaute, um nach ihr zu sehen. Meine Mutter gab sich Mühe, nicht laut aufzuschreien, denn sie war fest entschlossen, keine Szene zu machen. Schließlich war dies hier ein Krankenhaus. Und hier hielten sich in erster Linie kranke Menschen auf.

Doch als die Ärztin das nächste Mal vorbeikam, sah meine Mutter mit flehentlichem Blick und tränenüberströmtem Gesicht zu ihr hoch und fragte: »Wird dies jemals ein Ende haben?«

Besorgt legte die Ärztin ihre Hand fest auf den Unterleib meiner Mutter, um zu sehen, ob ich ausreichend genug nach unten »gerutscht« wäre, um entbunden werden zu können. Das Gesicht der Ärztin ließ erkennen, dass sie nicht ganz davon überzeugt war, dass ich dies bereits ausreichend genug getan hätte. Doch als sie die fürchterlichen Schmerzen meiner Mutter in Betracht zog, wandte sie sich zu der Krankenschwester und sagte zögernd: »Bringen Sie sie herein«.

Meine Mutter wurde auf eine Rollbahre gelegt und in den Entbindungsraum geschoben. Während die Ärztin fortwährend gegen ihren Unterleib drückte, merkte meine Mutter, dass der Raum plötzlich mit der lauten Stimme einer Person erfüllt war, die gellend schrie. Menschenskind, dachte sie, diese Frau macht sich wirklich lächerlich! Dann begriff sie, dass sie und die ärztliche Belegschaft die Einzigen im Entbindungsraum waren – was darauf hinauslief, dass das Schreien wohl von ihr kommen musste. Jetzt machte sie doch noch eine Szene. Das machte ihr wirklich zu schaffen.

»Wann wird dies ein Ende haben?«

Die Ärztin warf ihr einen ermutigenden Blick zu und hüllte sie in einen Hauch von Äther ein, was in etwa den gleichen Effekt hatte, als würde ein abgetrennter Körperteil mit einem Heftpflaster versorgt.

»Wir verlieren sie ...«

Meine Mutter konnte die Stimme kaum durch das Dröhnen der Motoren hindurch hören. Es waren gewaltige Motorengeräusche etwa in der Art, wie man sie sehr wohl in einer Fabrik, nicht aber in einem Krankenhaus vorfinden würde. Am Anfang waren diese Motorengeräusche noch nicht so laut gewesen. Dieses Geräusch, das mit einem Kribbeln einherging, hatte etwa in der Gegend ihrer Fußsohlen begonnen. Dann stieg es langsam ihren Körper empor, so als würden die Motoren sich nach oben bewegen, während sie lauter und immer lauter wurden, und – während sich dies fortsetzte – legten sie die Gefühle in dem einen Bereich lahm, bevor sie sich zum nächsten weiterbewegten. Zurück ließen sie nichts als Benommenheit.

Durch dieses Geräusch der Motoren hindurch setzte sich der Schmerz der Wehen mit vehementer Intensität fort.

Meine Mutter wusste, dass ihr dieser Schmerz für den Rest ihres Lebens in Erinnerung bleiben würde. Ihre Geburtshelferin – eine praktische, jedes Überflüssige als Unfug ablehnende Provinzärztin – glaubte, dass die Frauen den gesamten Ablauf ihrer Geburt durchleben sollten. Das bedeutete, dass sie keine Schmerzmittel bekamen. Nicht einmal während der Entbindung, es sei denn, wir würden den barmherzigen Hauch von Äther auf dem Höhepunkt der Wehen mitzählen.

Seltsamerweise sah keiner der Ärzte besorgt aus. Da war dieses donnernde Dröhnen, das anscheinend niemand sonst im Kreißsaal bemerkte. Meine Mutter fragte sich erstaunt: Wie kann das sein?

Die Motoren und die Benommenheit, die sie auslösten und hinter sich zurückließen, hätten eine Erleichterung sein müssen. Doch als sie am Becken meiner Mutter vorbeirumpelten, hoch zu ihrer Hüfte, kam ihr schlagartig in den Sinn, was vermutlich passieren würde, wenn sie ihr Herz erreichten.

Wir verlieren sie ...

Nein! Sie wurde von einem Gefühl des Widerstands überwältigt. Egal, ob sie nun Schmerzen hatte oder nicht, sie wollte nicht sterben – sie stellte sich die Menschen, die sie liebte, in Trauer vor. Aber ganz gleich, wie sehr sie auch kämpfte, die Motoren kehrten nicht um. Sie bewegten sich weiter nach oben, betäubten sie jedes Mal wieder einen Zollbreit, so als wollten sie ihr Dasein auslöschen. Sie war unfähig sie aufzuhalten. Als meine Mutter zu dieser Erkenntnis gelangte, passierte etwas Eigenartiges. Obwohl sie noch immer nicht sterben wollte, breitete sich plötzlich Frieden in ihr aus.

Verlieren sie ...

Die Motoren erreichten ihr Brustbein. Das Dröhnen erfüllte ihren Kopf.

Und dann erhob sie sich allmählich ...