Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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Maziroc persönlich hatte noch nie Probleme damit gehabt, gleichberechtigt mit einer Hexe zusammenzuarbeiten, und er wusste, dass es auch den meisten anderen Magiern so ging. Sie alle waren bereit, den Hexen die Voraussetzungen zu bieten, alle ihre Stärken zu entfalten. Durch ihren Übereifer in letzter Zeit, der sich weit mehr auf Worte als auf Taten beschränkte, hatten sich die Vingala jedoch die Sympathien vieler verscherzt und den bestehenden Konflikt immer mehr verschärft.

Für den Elbenkönig, der diese Hintergründe nicht kannte, musste Shalanas Verhalten jedenfalls völlig unerklärlich sein. Möglicherweise betrachtete er es sogar als einen gegen ihn persönlich gerichteten Angriff

"Dies ist kaum der geeignete Moment, unsere Meinungsverschiedenheiten und Machtgeplänkel auszutragen, schon gar nicht in Gegenwart unserer Gäste", ergriff Charalon scharf das Wort. Ihn umgab eine so starke unsichtbare Aura von Autorität, wie Maziroc sie sonst bislang nur bei Eibon selbst erlebt hatte. Schon allein durch einen Blick oder eine winzige Nuance im Tonfall vermochte er beinahe jeden Widerstand im Keim zu ersticken, und diese Autorität setzte er jetzt mit aller Macht ein. "Durch solche Kindereien setzen wir nur den Ruf und die Integrität des gesamten Ordens aufs Spiel, weshalb ich mit allem Nachdruck darum bitte, sie vorerst zurückzustellen." Dabei blickte er Shalana an, die einen Moment lang mit sich rang. Dann schien sie einzusehen, dass jedes weitere Wort den Bogen überspannen würde. Sie ließ sich auf ihren Stuhl zurücksinken. Charalon wandte sich wieder an den Elbenkönig und nickte ihm zu. "Bitte, sprecht weiter Eibon Bel Churio", sagte er, angesichts der formellen Versammlung auch wieder die ehrenvolle Anrede wählend.

Der Elb zögerte noch einen kurzen Moment, dann nickte er ebenfalls. "Wie gesagt, anfangs glaubten wir, es handele sich um einen Raubzug der Hornmänner", fuhr er fort. "Wir haben Späher in das betroffene Gebiet gesandt, doch nur zwei von ihnen sind zurückgekehrt. Der eine von ihnen hat lediglich die Gerüchte über niedergebrannte Dörfer und Gehöfte bestätigen können und er hat zudem berichtet, er hätte mehrere Trupps erschlagener Barbarenkrieger weit nördlich der Grenze in der Nordermark entdeckt."

"Barbaren?", wiederholte Charalon stirnrunzelnd. "Schon seit mehr als einem Jahrhundert hat es keine nennenswerten Zwischenfälle mit ihnen mehr gegeben. Ihr glaubt, nun könnten sie einen Kriegszug gegen die Nordermark begonnen haben?"

"Das war unser erster Gedanke, als wir diesen Bericht hörten", bestätigte Eibon. "Aber es gibt mehrere Umstände, die nicht in dieses Bild passen und uns an dieser Version zweifeln lassen. Zunächst einmal haben die Barbaren bei all ihrer Wildheit und Grausamkeit stets hohe Ehrfurcht vor dem Leben von Kindern und Greisen gehabt. Sie würden sie niemals so gnadenlos niedermetzeln. Und sie würden auch niemals ihre eigenen Toten einfach so liegen lassen. Aufgrund ihres Ehrenkodex' würde jeder Barbar sein eigenes Leben riskieren, um den Leichnam eines gefallenen Kameraden zu bergen und ehrenvoll zu bestatten." Er machte eine kurze bedeutungsschwangere Pause. "Zudem handelte es sich um relativ kleine Gruppen", fügte er dann hinzu. "Deshalb glauben wir eher, dass es sich lediglich um Botentrupps handelte, die versucht haben, eine Nachricht an irgendwen zu überbringen. Möglicherweise handelte es sich bei diesem Ziel sogar um Cavillon oder die Hohe Festung, und möglicherweise bestand ihre Nachricht aus einer Bitte um Hilfe."

Aufgeregtes Getuschel klang im Gefolge seiner Worte auf. Auch Maziroc runzelte die Stirn und warf Charalon einen raschen, fragenden Blick zu, den dieser jedoch ebenso ratlos erwiderte. Zu überraschend waren die Worte des Elbenkönigs gekommen, zu unglaublich war seine Vermutung.

"Ich weiß zwar, dass vor allem durch Eure Bemühungen vor mehr als einem Jahrhundert ein Friedensvertrag zwischen den Elben und allen wichtigen Barbarenfürsten unterzeichnet wurde", ergriff Charalon wieder das Wort. Während der ersten Sekunden musste er fast brüllen, um das Gemurmel und Getuschel zu übertönen, doch sehr rasch breitete sich wieder Stille aus. "Aber es ist auch ein offenes Geheimnis, dass es sich um einen Frieden handelt, der fast nur auf dem Papier besteht, obwohl er - von einzelnen, unbedeutenden Zwischenfällen abgesehen - nie gebrochen wurde. Zwischen den Elben und den Barbaren bestehen keinerlei freundschaftliche Beziehungen; unseres Wissens nach gibt es sogar schon seit langer Zeit so gut wie gar keine Kontakte. Was lässt Euch da glauben, dass die Barbaren in friedlicher Absicht zu Euch unterwegs waren, Euch möglicherweise gar um Hilfe bitten wollten?"

"Eine sehr berechtigte Frage", warf Shalana ein.

"Auf die es eine einfache Antwort gibt", erwiderte der Elbenkönig. "Der Grund könnte eine unverhofft aufgetauchte Bedrohung sein, mit der die Barbaren allein nicht fertigwerden."

Erneut brach leichter Tumult als Antwort auf seine Worte aus, diesmal noch lauter und aufgeregter als zuvor.

"Was sollte das für eine Bedrohung sein, mit der nicht einmal die berüchtigten Barbarenkrieger fertig werden?", rief einer der Magier, und ein anderer ergänzte: "Abgesehen von Raubtieren und höchstens noch den Hornmännern, die sich aber hüten werden, die Grenze zu überschreiten, haben sie in den Südländern keinerlei Feinde!"

"Das ist nicht sicher. Immerhin weiß niemand von uns, wie es tiefer im Süden wirklich aussieht, da noch nie Späher von dort zurückgekehrt sind", ergriff auch Maziroc erstmals das Wort. "Aber ich schlage vor, wir lassen Eibon zunächst in Ruhe zu Ende erzählen. Vielleicht erledigen sich einige Fragen dadurch von selbst, und auf jeden Fall dürften wir auf diese Weise wesentlich schneller alles Wichtige erfahren, als wenn wir ihn nach jedem Satz unterbrechen. Schließlich sind wir keine kleinen Kinder mehr."

Die letzten Worte hatte er so scharf hervorgestoßen, dass mehrere der Anwesenden erschrocken zusammenzuckten und andere reichlich betroffene Gesichter machten. Maziroc wusste, dass er innerhalb des Ordens beinahe ebenso geachtet und geschätzt wurde wie Charalon, von manchen sogar jetzt schon mehr. Wenn Charalon irgendwann sterben oder aus Altersgründen von seinem Amt zurücktreten würde, gab es bereits jetzt keinen Zweifel daran, wer sein Nachfolger werden würde.

Eibon nickte ihm dankbar zu.

"Natürlich habe ich diese Vermutung nicht einfach so geäußert", sprach er weiter. "Wie ich anfangs schon erwähnte, haben wir noch von einem zweiten unserer Späher Nachricht bekommen, leider jedoch unter weit tragischeren Umständen. Der Mann hieß Selon. Schwer verletzt erreichte er vor fast zwei Wochen die Stadt Brelonia. Seine Verletzungen waren so schlimm, dass alle Heilkunst ihm nicht mehr helfen konnte. Er muss sich mit letzter Kraft bis nach Brelonia geschleppt haben und starb wenige Stunden später. Wie man uns berichtete, erzählte er vorher jedoch noch von furchtbaren, fremdartigen Ungeheuern, wie sie ihm noch nie zuvor begegnet wären. Sie hätten ein Dorf überfallen und ihm aufgelauert. Er befand sich im Fieberwahn und redete vermutlich eine Menge wirres Zeug. Andere Teile seines Berichts hingegen wirkten völlig klar, sodass sich als unmöglich erwies zu trennen, was die Wahrheit war und was nur seinem Delirium entsprang. Wenn uns seine Worte richtig übermittelt wurden, so muss er auf entsetzliche Dämonen gestoßen sein, die geradewegs aus der Hölle entsprungen zu sein schienen; Ungeheuer, wie noch niemand sie je gesehen hätte." Eibon räusperte sich und machte eine kurze Pause. "Wie gesagt, niemand kann sagen, wie viel von seinem Bericht der Wahrheit entspricht, und Selon selbst ist tot. Wir werden selber herausfinden müssen, was es mit diesen angeblichen Dämonen auf sich hat."

"Dämonen aus der Hölle, Ungeheuer, Sagengestalten ..." warf Shalana ein. "Bei allem Respekt, aber das klingt nicht gerade besonders glaubhaft, Eibon Bel Churio. Habt Ihr keinerlei konkreteren Hinweise als die Fieberphantastereien eines sterbenden Mannes?"

"Wenn ich sie hätte, so würde ich sie gerne vorlegen", erwiderte Eibon. "Es sind nur Indizien, aber in einer so geballten Menge, dass wir sie nicht auf die leichte Schulter nehmen sollten. Die Überfälle auf Dörfer, Gehöfte, Karawanen und sonstige Reisende sind verbürgt. Außerdem ist einer unserer Späher tot, und fast ein Dutzend weitere sind in diesem Gebiet spurlos verschwunden. Bitte denkt daran, dass wir hier nicht von ein paar Bauern sprechen, die sich auf ein Pferd setzen und einen Ausritt unternehmen, dabei aber kaum ihren eigenen Spuren folgen können." Eibons Stimme war schärfer geworden, doch als er weitersprach, klang auch deutlicher Stolz darin mit. "Nein, wir sprechen von Elbenspähern, den besten und umsichtigsten der Welt, was wohl niemand hier ernsthaft bezweifeln wird. In den letzten fünf Jahren vor den jetzigen Ereignissen ist nicht ein einziger unserer Späher während eines Auftrags getötet worden oder gilt als verschollen. Wenn nun auf einen Schlag so viele auf einmal in einem bestimmten Gebiet verschwinden, dann ist schon das allein für mich bereits Grund für höchste Besorgnis."

"Da stimme ich Euch völlig zu", sagte Charalon rasch, bevor Shalana Gelegenheit bekam, erneut das Wort zu ergreifen. "Und ich danke Euch, dass Ihr die Mühe auf Euch genommen habt, uns persönlich über die drohende Gefahr zu informieren. Da ich Euch kenne, bin ich sicher, dass Ihr auch schon konkrete Vorschläge habt, wie wir der Bedrohung entgegentreten können."

"Konkrete Vorschläge kann ich leider noch nicht bieten", antwortete der Elbenkönig. "Denn noch wissen wir einfach zu wenig über diese Gefahr, und gerade Informationen sind zur Zeit besonders wichtig. Das ist einer der Gründe, weshalb ich persönlich gekommen bin. Zunächst haben wir überlegt, weitere Späher in den Süden zu schicken. Stattdessen haben wir jedoch beschlossen, eine größere, von Kriegern eskortierte Expedition zu entsenden. Diese hätte wesentlich größere Aussichten auf Erfolg, wenn sie in Begleitung und unter dem Schutz eines oder mehrerer Magier stattfände, und deshalb bin ich hier, um Euch offiziell um Eure Unterstützung bei diesem Unternehmen zu bitten."

 

Charalon nickte.

"Wir werden darüber beraten", erklärte er. "Doch ich kann Euch schon jetzt versichern, dass Eure Bitte auf offene Ohren treffen wird."

"Sollten sich die Magier zur Teilnahme an dieser Expedition entschließen, so wird auch der Bund der Vingala Begleiterinnen entsenden", verkündete Shalana.

Damit war die Entscheidung über den Ausgang der Beratungen bereits im Vorfeld gefallen.




Rückkehr der Finsternis


Maziroc verstummte und ließ seine Gedanken von der Beratung mit den Elben in Cavillon über die Kluft von eintausend Jahren hinweg in die Gegenwart zurückkehren, als er merkte, dass niemand seiner Erzählung mehr zuhörte. Die regelmäßigen, flachen Atemzüge Miranyas verrieten ihm, dass auch die junge Vingala neben ihm eingeschlafen war.

So vieles hatte sich verändert in diesem Jahrtausend, und doch war so vieles auch gleich geblieben. Sah man von Charalon und vielleicht noch Kenran'Del ab, so war er der einzige noch lebende Mensch, der Zeuge der damaligen Ereignisse gewesen war. Seine Haare waren mittlerweile schlohweiß geworden, und den Kampf gegen seine damals erst beginnende Dickleibigkeit hatte er längst verloren. Zudem war er weiser und auch etwas ruhiger geworden, weniger impulsiv und sprunghaft als damals, doch ansonsten hatte sich an seiner eigenen Situation nicht viel geändert. Anders als er damals noch geglaubt hatte, war er niemals Oberhaupt des Magierordens geworden, schon deshalb, weil es diesen in seiner ursprünglichen Form seit den damaligen Ereignissen nicht mehr gab. Er war zerfallen, nachdem die Hexen sich abgespalten hatten. Seither gab es den Magierorden der Ishar und den Hexenorden der Vingala, und von gelegentlichen Meinungsverschiedenheiten einmal abgesehen, kamen sie seither eigentlich besser miteinander aus, als es früher oft der Fall gewesen war.

Mit einem väterlichen Lächeln betrachtete Maziroc die zusammengerollte Gestalt Miranyas. Er nahm es ihr nicht übel, dass sie eingeschlafen war; im Gegenteil, durch eine sanfte suggestive Beeinflussung im Sprechrhythmus seiner Erzählung hatte er ihre Müdigkeit zusätzlich gefördert. Zu schlafen, so wie die anderen, war das Beste, was sie momentan tun konnte. Auch Maziroc selbst hätte sich gewünscht, der unerbittlichen Realität auf diesem Weg für ein paar Stunden entfliehen zu können, doch er wusste, dass er keine Ruhe finden würde.

So sicher, wie er wusste, dass sie verloren waren.

Er blinzelte ein paarmal und ließ seinen Blick niedergeschlagen über das halbe Dutzend Männer und Frauen schweifen, das mit ihm in der kleinen Felshöhle trügerische Zuflucht gesucht hatte, der traurige Rest einer ursprünglich mehr als dreimal so großen Gruppe. Menschen, die an ihn geglaubt und ihm vertraut hatten, doch er hatte sie geradewegs in den Untergang geführt. Wenn überhaupt, dann blieb ihnen höchstens noch die Wahl zu entscheiden, wie sie sterben wollten, ob durch die Schwerter ihrer Feinde oder durch die unbarmherzige Kälte, die zum Höhleneingang hereindrang, sich durch ihre Kleidung fraß und ihre Glieder zu lähmen begann.

In nicht einmal vierundzwanzig Stunden würde das letzte Jahr des ersten Jahrtausends neuer Zeitrechnung beginnen. Falls nicht wider Erwarten doch noch ein Wunder geschah - und Maziroc hatte schon vor langer Zeit aufgehört, an Wunder zu glauben -, würde es der letzte Jahreswechsel für sie sein, denn keiner von ihnen würde den Beginn des neues Millenniums wohl noch erleben.

Schon seit mehreren Jahren, seit der Sprung ins nächste Jahrtausend in greifbare Nähe gerückt war, begannen die Menschen mehr und mehr verrückt zu spielen. Diffuse Ängste, geschürt durch selbsternannte Propheten und verfälschte Auslegungen alter Prophezeiungen, breiteten sich aus, vergifteten das Denken der allzu Ängstlichen oder Leichtgläubigen und fanden mehr und mehr Anhänger, je näher das neue Millennium rückte. Prediger, die aufgrund völlig an den Haaren herbeigezogener Omen den baldigen Weltuntergang voraussagten, erhielten ebenso rasenden Zuwachs wie die obskursten Sekten.

Eine der dubiosen Säulen ihrer Macht war die mysteriöse Prophezeiung über das Kind zweier Welten, das zu einer Jahrtausendwende geboren werden und Unheil und Verderben über Arcana bringen sollte. Die Prophezeiung war Jahrhunderte alt, und niemand wusste mehr, von wem sie stammte, doch wie so vieles andere ebenfalls war auch sie von den Predigern aus dem Dunkel der Vergangenheit und des Vergessens wieder hervorgezerrt und für ihre eigennützigen Zwecke missbraucht worden.

Vielleicht, dachte Maziroc nicht zum ersten Mal, war es ein Fehler gewesen, den Sieg über die schrecklichste Bedrohung, die Arcana je erlebt hatte, zum Beginn einer neuen Zeitrechnung zu machen. Es hatte ein optimistisches Zeichen für einen Neuanfang sein sollen, doch der ursprünglich freudige Anlass war immer stärker in den Hintergrund gerückt, und geblieben war in erster Linie die Erinnerung an die vorangegangene Gefahr, die Schrecken und Gräuel.

Und wie es aussah, sollten all die selbsternannten Propheten erneut bevorstehenden Unheils, die hauptsächlich auf diesen Zug gesprungen waren, um ihren leichtgläubigen Mitmenschen das Geld aus der Tasche zu ziehen, mit ihren Mahnungen nun auch noch Recht bekommen, wenn auch in einer Form, wie sie selbst sie mit Sicherheit nicht erwartet hatten.

Nach fast genau einem Jahrtausend war die Finsternis zurückgekehrt, die größte Bedrohung, die es für Arcana je gegeben hatte.

Dies war der Grund für ihn gewesen, diese Expedition allen Risiken zum Trotz zu unternehmen, doch die Gefahr, an der sie nun wohl alle sterben würden, war eine andere. Nicht annähernd so schlimm und sogar noch älter, aber ebenso tödlich. Nicht einmal das gesamte Jahrtausend hatte ausgereicht, die Bedrohung durch die Hornmänner zu beseitigen. Mehr als einmal hatte es Bündnisse und mächtige Kriegszüge gegen sie gegeben, und nicht alle waren erfolglos geblieben. Mehrfach waren ihre Clansburgen erobert, geschleift und bis auf die Grundmauern niedergebrannt worden, aber gleichgültig, mit welcher Unbarmherzigkeit und Gründlichkeit diese Vernichtungsfeldzüge geführt worden waren, nie war es gelungen, dieses Krebsgeschwür auf Dauer vom Angesicht Arcanas zu tilgen. Wie viele Clans auch zerschlagen worden waren, stets hatte es zumindest einige Überlebende gegeben. Das raue Hügelland von Skant mit seinen tausenden von Verstecken im Herzen der Nordermark hatte es ihnen ermöglicht, aus dem Verborgenen heraus neu aufzurüsten und immer wieder hatten schon bald neue, noch mächtigere Clansburgen irgendwo ihr hässliches Haupt erhoben. Die politische Zerrissenheit der Nordermark, das ständige Misstrauen und die kleingeistigen Kriege der einzelnen Stadtstaaten untereinander hatten einen idealen Nährboden für sie gebildet.

Verbittert schüttelte Maziroc den Kopf. Damals, vor rund tausend Jahren, hatte sich die Kunde vom Erscheinen der Damonen erst verbreitet, als es fast zu spät gewesen war, und selbst dann, als sich das wahre Ausmaß der Bedrohung enthüllt hatte, war es fast unmöglich gewesen, all die einzelnen Städte, Länder und Mächte zu einem Bündnis zu bewegen.

Diesmal war die Warnung - Charalon sei Dank - frühzeitiger erfolgt, doch mit dem Ende dieser Expedition war schon der erste Schritt zum Aufbau einer wirkungsvollen Verteidigung so gut wie gescheitert.

Maziroc verfluchte die Clanskrieger aus tiefstem Herzen. Er hatte die Gefahr eines Ritts direkt durch das Hügelland von Skant gekannt, aber er war dieses Risiko dennoch eingegangen. Die Route durch den Süden, südlich am großen Binnenmeer und anschließend an den Todessümpfen von Miirn vorbei, hätte einen Umweg von mehreren Wochen bedeutet, und jeder Tag war kostbar. Zudem stand nicht einmal fest, ob diese Route wirklich sicherer gewesen wäre. Die Berichte der Späher über die Stärke der Damonenheere und die Geschwindigkeit, mit der sie vordrangen, waren äußerst spärlich und ungenau. Nein, ihm war nichts anderes übrig geblieben, als direkt durch Skant zu reiten, und dieser Plan war gescheitert.

Vor drei Tagen waren sie von einem schwer bewaffneten Trupp Hornmänner entdeckt worden. Dank des selbstlosen Opfers mehrerer seiner Begleiter, die zurückgeblieben waren, um die Clanskrieger aufzuhalten, schien ihnen zunächst die Flucht zu gelingen, doch kaum eine Stunde später hatte sich der Himmel plötzlich rasend schnell verdunkelt, und binnen weniger Minuten war so überraschend und warnungslos, wie es hier in der Nordermark manchmal geschah, das Unwetter hereingebrochen. Zunächst mit Blitz und Donner und Regen, in den sich jedoch schon bald Hagelkörner gemischt hatten, bis er schließlich in einen ausgewachsenen Schneesturm übergegangen war, der bis zur Stunde andauerte. Stundenlang waren sie nahezu blindlings umhergeirrt, ehe sie diese Höhle entdeckt hatten, doch auch sie bot nur schwachen Schutz. Sie besaßen nicht einmal Holz oder sonst etwas Brennbares, um ein wärmendes Feuer zu entfachen, und längst schon hatte die Kälte auch die Höhle erobert.

Und sie war eine Falle, in der sie festsaßen. Zwar hatte die dichte weiße Decke ihre Spuren so schnell wieder verdeckt, wie sie sie hinterlassen hatten, doch noch immer hatten die mit der rauen Witterung hier wesentlich besser vertrauten Clanskrieger die Jagd auf sie nicht abgebrochen, sondern streiften auf der Suche nach ihnen mit der Unbeirrbarkeit von Bluthunden in der Umgebung herum. Es war nur eine Frage der Zeit, bis sie dieses Versteck entdecken würden, und dann gab es keine Rettung mehr. Und selbst wenn die Hornmänner sie wie durch ein Wunder nicht entdecken und sich zurückziehen sollten, so besaßen sie doch keine Pferde mehr, und zu Fuß würden sie dieser Hölle aus Schnee und Eis und Kälte niemals entrinnen können.

Drei Tage lang war es nun schon nicht mehr richtig hell geworden; Tag und Nacht ließen sich nur dadurch auseinanderhalten, dass es vor dem Höhlenausgang manchmal völlig und dann wiederum für einige Stunden etwas weniger dunkel wurde. Während der ganzen Zeit hatte der Schneesturm nicht für eine einzige Minute aufgehört. Manchmal ließ er lediglich in seinem Wüten vorübergehend ein wenig nach, aber immer nur, um anschließend mit noch größerer Heftigkeit weiterzutoben.

Im Licht des kleinen, leuchtenden Kristalls auf dem Boden vor ihm, der einzigen Lichtquelle, die die Höhle erhellte, ließ Maziroc seinen Blick noch einmal über die Gesichter seiner Gefährten wandern. Der grünliche Schein des Skiils ließ sie noch schlechter und kränklicher aussehen, als es ohnehin der Fall war, gerade so, als wären sie bereits tot und würden nur durch eine finstere Magie noch mit einem Hauch unheiligen Lebens erfüllt.

Sein Blick verharrte auf einem dunkelhaarigen Mann mittleren Alters, der ihm gegenüber aufrecht gegen die Felswand gelehnt saß. Außer ihm selbst war Scruul der einzige noch lebende der vier Magier, die ursprünglich an dieser Expedition teilgenommen hatten. Auch Scruul schlief nicht, obwohl es bei flüchtiger Betrachtung so aussehen mochte. In Wahrheit jedoch war er in eine tiefe Trance versunken, die es ihm ermöglichte, seiner unvergleichlichen magischen Fähigkeit nachzugehen. Auf eine Art, die nicht einmal Maziroc zu begreifen imstande war, vermochte Scruul mit der puren Kraft seines Geistes ein schattenhaftes Abbild seiner selbst zu erschaffen, eine Art körperloses Gespenst, in dessen Gestalt er unbemerkt von anderen umherwandern und beobachten konnte. Hätte er sie aufgrund dieser Begabung nicht schon bei ihrem Ritt hierher einige Male rechtzeitig gewarnt, dann wären sie erst gar nicht unbemerkt bis so tief ins Herz von Skant gelangt.

 

Im Augenblick nutzte Scruul seine Fähigkeit, um die nähere Umgebung auszukundschaften und ihnen von Zeit zu Zeit die Position und die Pläne der Hornmänner mitzuteilen. Dadurch bildete er ihr Auge und Ohr für alles, was außerhalb der Höhle geschah, und auf ihm beruhte die letzte geringe Hoffnung, die Maziroc noch hatte.

All das, sowie die Tatsache, dass er sich bislang als treu und loyal und äußerst wertvoll erwiesen hatte, änderte jedoch nichts daran, dass Maziroc ihn nicht sonderlich mochte. Anfangs hatte er ihm sogar so stark misstraut, dass er gezögert hatte, ihn überhaupt mitzunehmen. In erster Linie mochte es daran liegen, dass er kein Ishar war, niemals die Weihe des Magierordens erhalten und einen Eid auf dessen Regeln und Ideale abgelegt hatte. Niemand wusste, woher er stammte, und auch Scruul selbst hatte sich diesbezüglich bislang in Schweigen gehüllt. Er war im Laufe der letzten Jahre bereits mehrfach Gast in Cavillon gewesen, und als es um die Zusammenstellung dieser Expedition ging, hatte er seine Hilfe angeboten, die Maziroc seinen Bedenken zum Trotz schließlich akzeptiert hatte.

Ebenso hatte sich auch Miranya zu dieser Zeit zufällig in Cavillon aufgehalten, sie allerdings zum ersten Mal. Zwar hatten sich die Hexen einst vom Orden gelöst und diesen dadurch in Ishar und Vingala gespalten, doch sie waren einander stets freundschaftlich verbunden geblieben und arbeiteten häufig gemeinsam an der Lösung irgendwelcher Probleme. Aus diesem Grund hatte auch Miranya nicht gezögert, ihre Hilfe anzubieten, und Maziroc hatte sie angenommen. Er mochte die blonde, hübsche und meist fröhliche Vingala auf eine väterliche Art. Vor allem für sie tat es ihm leid, dass diese Reise so verhängnisvoll enden würde.

Die anderen beiden Magier sowie ihre schwer bewaffnete Begleiteskorte hatte Maziroc unter den übrigen Freiwilligen ausgewählt. Jeder, der sich ihm angeschlossen hatte, hatte die Gefahren gekannt, aber dennoch fühlte er sich auf eine bedrückende Weise persönlich schuldig am Tod der Männer und Frauen. Sie hatten seiner Führung ihr Leben anvertraut, doch das einzige Ziel, an das er sie geführt hatte, waren die Pforten des Totenreichs.

Ohne dass Maziroc es bewusst wahrnahm, glitten seine Gedanken immer mehr ab, verwirrten sich und taumelten den ins Reich der Träume führenden Weg entlang. Wenige Sekunden, bevor der Schlaf ihn vollends mit seinen Schattenarmen umfangen und an seine schwarze Brust drücken konnte, ließ eine Bewegung ihn jedoch wieder hochschrecken. Scruul war aus seiner Trance erwacht, rieb sich mit der Hand über die Augen und massierte seine Schläfen. Er biss die Zähne so fest zusammen, dass seine Wangenknochen hervorstanden. Sein Gesicht war von Erschöpfung und dem Schmerz, der die Rückkehr von einer Geisteswanderung stets begleitete, gezeichnet.

"Sie kommen", presste er matt hervor und blickte Maziroc aus blutunterlaufenen Augen an. "Sie sind bereits ganz nah. Eine Zeit lang haben sie beratschlagt, ob sie die Verfolgung abbrechen sollen, aber dann haben sie anders entschieden, weil sie fürchten, dass man es ihnen als Schwäche auslegen würde. Sie werden uns entdecken, daran gibt es keinen Zweifel mehr."

Maziroc nickte nur knapp. Ohne weitere Fragen begann er damit, die anderen aufzuwecken.

*


Die vordersten Hornmänner waren noch knapp ein Dutzend Schritte vom Eingang der Höhle entfernt, als Maziroc das Zeichen zum Angriff gab. Die Pfeile der drei Soldaten, die von ihrer Eskorte noch am Leben waren, zischten den Clanskriegern entgegen und töteten drei von ihnen, bevor diese die Gefahr auch nur erkannten. Ein weiterer Pfeil, den Miranya abgefeuert hatte, war nicht ganz so präzise gezielt oder besaß nicht genügend Durchschlagkraft; er glitt von den Hornschuppen ab, mit denen die Angreifer von Kopf bis Fuß gepanzert waren, und schleuderte den Mann lediglich durch die Wucht des Aufschlags einen Schritt zurück.

Gleichzeitig schlug Maziroc mit geballter geistiger Kraft zu. Drei weitere Hornmänner gerieten ins Taumeln, als er mit unsichtbaren Fühlern nach ihrem Bewusstsein griff, pressten sich die Hände gegen den Kopf und brachen gleich darauf ohnmächtig zusammen.

Erschrockene Rufe klangen auf. Durch den Überraschungsangriff aus dem Hinterhalt war es ihnen gelungen, gleich sechs der Clanskrieger auszuschalten. Allerdings standen sie immer noch einer mehr als sechsfachen Übermacht gegenüber, und ein weiterer solcher Erfolg würde ihnen nicht noch einmal gelingen. Ihre Gegner waren nun gewarnt und wussten, wo sie sich befanden, und nach Überwindung einer kurzen Schrecksekunde waren sie blitzartig in Deckung gegangen. Die hohen Schneewehen und der unvermindert tobende Sturm boten ihnen ausreichend Sichtschutz.

Maziroc gab sich keinen falschen Hoffnungen hin. Man brauchte bei Weitem kein strategisches Genie sein, um zu ahnen, was die Hornmänner als Nächstes unternehmen würden. Es gab nur eine einzige offensichtliche Taktik, und jeder Narr würde darauf kommen. Die Clanskrieger brauchten nur das Sichtfeld vor der Höhle zu umgehen, dann konnten sie sich völlig gefahrlos von hinten nähern. Sie würden sich direkt neben oder über dem Eingang sammeln, um die Höhle im Direktangriff zu stürmen und die wenigen Verteidiger im Nahkampf durch ihre pure Übermacht niedermachen. Mit Sicherheit waren sie bereits dabei, sich anzuschleichen. Die Rüstungen aus Hornschuppen dienten nicht nur ihrem Schutz, sondern schirmten auch ihre mentale Ausstrahlung ab, sodass es Maziroc selbst auf die kurze Distanz nicht möglich war, ihre genaue Position festzustellen. Scruul wiederum war zu erschöpft für eine weitere Geisteswanderung, doch im Grunde spielte es auch keine Rolle, wo die Angreifer sich momentan befanden.

Maziroc bewegte seine von der eisigen Kälte klamm gewordenen Finger, um sie zumindest ein wenig zu lockern, dann zog er sein Schwert. Er hasste Waffen, und obwohl er im Laufe der Zeit notgedrungen gelernt hatte, damit umzugehen, beherrschte er die Klinge nicht übermäßig gut. Nicht annähernd gut genug jedenfalls, um es im offenen Kampf mit auch nur einem einzigen Hornmann aufnehmen zu können. Dennoch war er entschlossen, sein Leben so teuer wie möglich zu verkaufen. In der Enge des Höhleneinganges würde es ohnehin keinen normalen, von Finten, Paraden und Raffinessen beherrschten Kampf geben, sondern nur ein weitgehend blindwütiges aufeinander Einschlagen und -stechen. Auch wenn an dessen letztendlichem Ausgang kein Zweifel bestehen konnte, würde es ihm vielleicht zumindest gelingen, den einen oder anderen Clansmörder mit in den Tod zu reißen.

"Gibt es denn wirklich keine Hoffnung mehr?", murmelte Miranya. "Kannst du gar nichts tun?"

"Auch ein Magier kann nicht zaubern, mein Kind", antwortete Maziroc, wandte sich noch einmal zu seinen Gefährten um und schenkte ihnen ein letztes aufmunterndes Lächeln. Es gab nichts mehr zu sagen, jeder von ihnen wusste um die Unabwendbarkeit ihres Schicksals. Scruul war von seiner letzten Geisteswanderung noch zu erschöpft, um an dem Kampf teilnehmen zu können. Ebenso wie er hielt sich auch Miranya im Hintergrund. Obwohl sie in ihrem Kettenhemd, das sie anstelle des normalen, schlichten Gewandes einer Vingala trug, fast wie eine Amazonenkriegerin aussah, war sie ihrer eigenen Aussage zufolge im Umgang mit einem Schwert so ungeschickt, dass sie für ihre Freunde wahrscheinlich eine größere Bedrohung als für ihre Feinde gewesen wäre. Nur Maziroc stand zusammen mit den drei Gardesoldaten mit gezogenem Schwert am Höhleneingang und erwartete die Hornmänner, wobei er durch seinen enormen Leibesumfang schon allein den Platz von zwei normal gewachsenen Männern einnahm.

Ihre Geduld wurde auf keine harte Probe gestellt.