Die Elfen der Dämmerung: 3 dicke Fantasy Sagas auf 1500 Seiten

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"Merkwürdig", murmelte Charalon und runzelte die Stirn. Fragend blickten Maziroc und Bayron ihn an. "Bei der Schlacht um Ai'Lith haben uns immer gleich Tausende dieser Ungeheuer aus der Luft angegriffen. Warum hier so wenige? Ob sich nur noch so wenige dieser Flugbestien bei dem Heer befinden?"

Bayron schüttelte den Kopf. "Ich wünschte, es wäre so, doch ich fürchte, der Grund ist ein anderer", antwortete er. "Das war gar kein richtig Angriff, sondern in erster Linie ein Spähunternehmen. Die Ungeheuer sollten nur unsere Verteidigung auskundschaften. Da es eine geistige Verbindung der Damonen untereinander und zu der geheimnisvollen Macht hinter ihnen gibt, wie Ihr erklärt habt, brauchte nicht einmal einer von ihnen zurückzukehren, um Bericht zu erstatten. Wahrscheinlich konnten die Herrscher der Damonen durch die Augen dieser Ungeheuer alles so deutlich sehen, als wären sie selber hier gewesen. Ich bin überzeugt, dass sie diese Informationen bereits auswerten und neue Pläne schmieden. Beim nächsten Mal werden sie uns gezielt an unseren Schwachpunkten angreifen."

Maziroc nickte bedächtig. Wenn man die besonderen Fähigkeiten der Damonen bedachte, klang Bayrons Erklärung durchaus einleuchtend.

"Dennoch könnte es sein, dass beide Vermutungen zutreffen", warf er ein. "Es gibt zahlreiche verschiedene Damonenrassen, und wir wissen nicht, wie stark jede von ihnen vertreten ist. Schon beim Kampf um die Hohe Festung bereiteten gerade die geflügelten Ungeheuer die ersten Angriffe vor und dezimierten die Zahl der Elbenkrieger. Unzählige dieser Ungeheuer müssen bei diesen Angriffen getötet worden sein. Möglicherweise befinden sich wirklich nicht mehr allzu viele von ihnen bei dem Heer."

"Möglicherweise", bestätigte Bayron. "Ich wünsche es mir. Die Antwort werden wir wohl bald erfahren."

*


Der mit Petroleum getränkte Boden der Ebene brannte bis weit nach Mitternacht, erst dann wurden die Flammen allmählich kleiner und verloschen schließlich an immer mehr Stellen. Bislang hatten sie mehr als genug Helligkeit verbreitet, doch nun senkte sich allmählich Dunkelheit über das Land. Zum Ausgleich wurden überall in Cavillon, vor allem auf den Wehrgängen, Fackeln entzündet.

Es hatte keinen weiteren Angriff der Damonen gegeben, und sie hatten auch nicht versucht, die Feuersbrunst zu umgehen. So sehr die Verteidiger die bevorstehende Schlacht auch fürchteten, so sehr hatte das untätige Abwarten an ihren Nerven gezehrt. Damit jedoch war es nun vorbei.

Über den noch rauchenden Boden krochen die ersten Damonen heran, suchten sich ihren Weg zwischen den noch brennenden Stellen hindurch. Zunächst waren es nur wenige Dutzend, die von den Pfeilen der Bogenschützen durchbohrt wurden, sobald sie sich weit genug genähert hatten, doch im gleichen Maße, in dem die Feuer in sich zusammensanken, wurden es mehr. Einigen gelang es schon, bis zu dem ersten der drei ausgehobenen und ebenfalls mit Petroleum gefüllten Gräben vorzudringen, ehe sie getötet werden konnten, doch mehr und mehr der Ungeheuer drängten heran.

Auch die Katapulte wurden nun wieder abgefeuert. Zunächst verschossen sie nur Steinbrocken, doch schließlich, als die Feuer fast verloschen waren und die Damonen nicht mehr nur in kleinen Grüppchen, sondern zu Tausenden vorrückten, wurden auch wieder die Brandgeschosse eingesetzt.

Mehr und mehr Damonen erreichten die Gräben, stürzten sich hinein und durchquerten sie, um an den daran anschließenden Erdwällen hinaufzukrabbeln. Die Bogenschützen verschossen Pfeil auf Pfeil, doch für jedes Ungeheuer, das sie töteten, füllten sofort drei, vier weitere die Lücke.

Schließlich gab Bayron den Befehl, das Petroleum im äußersten der Gräben anzuzünden. Einer der Elbenkrieger schoss einen Brandpfeil ab, und erneut erhob sich eine grelle Flammenwand, die sich um ganz Cavillon herum erstreckte. Einen Moment lang wichen die Damonen, die nicht von dem Feuer erfasst worden waren, zurück, doch dann geschah das, was Maziroc befürchtet hatte. Mit Todesverachtung stürzten sie sich zu Hunderten direkt in das Feuer hinein, getrieben von den Befehlen ihrer Beherrscher, denen ihr Leben nichts bedeutete, da sie sie nur als Werkzeuge betrachteten und über genügend Nachschub verfügten.

Mit jeder Minute starben Tausende der Damonen in den Flammen, doch bevor ihre Kadaver von diesen aufgezehrt wurden, stürmten andere über sie hinweg und den Wall hinauf - direkt in den Pfeilhagel der Soldaten und Elbenkrieger hinein.

Durch den brennenden Graben erhielten die Verteidiger einen weiteren zeitlichen Aufschub und töteten eine große Zahl der Ungeheuer. Beim Entwurf der Anlagen hatte Bayron auch an eine Rinne gedacht, durch die die Soldaten immer wieder neues Petroleum aus Fässern in den Graben schütten konnten.

Mehrfach erfolgten noch Angriffe durch die geflügelten Damonen aus der Luft, die das Feuer nicht abhalten konnte. Es waren mehr von ihnen, als bei dem Spähunternehmen zu Beginn der Schlacht, doch auch jetzt stets nur wenige hundert. Nach Charalons Aussage keinerlei Vergleich zu den geballten Angriffen beim Kampf um Ai'Lith. Anscheinend waren ihre Verlust dort so groß gewesen, dass sich tatsächlich nur noch wenige der geflügelten Ungeheuer bei dem Heer befanden.

Schließlich war der äußerste Graben so mit den Kadavern der Damonen gefüllt, dass regelrechte breite Brücken darin entstanden waren, über die weitere Ungeheuer ihn fast ungehindert überqueren konnten. Daraufhin ließ Bayron auch den zweiten Graben in Brand schießen. Beide Hindernisse zu überwinden, kostete die Angreifer weitere zehntausende Tote, und allmählich zeigten sich am Horizont die ersten grauen Streifen der Morgendämmerung, die mit frenetischem Jubel begrüßt wurde.

Cavillon hatte die erste Nacht der Belagerung überstanden, und das mit nur geringen eigenen Verlusten, während das Heer der Damonen um Hunderttausende geschrumpft war. Im Licht des heraufdämmernden Tages war zwar das ungeheure Heer der schwarzen Ungeheuer, das die Ebene und die Hügel vor der Ordensburg überschwemmt hatte, deutlich zu sehen, und mancher der Verteidiger mochte beim Anblick der gigantischen Übermacht der Ungeheuer ein mehr als nur klammes Gefühl empfinden. Dennoch aber war es für alle wesentlich angenehmer, bei Tageslicht zu kämpfen. Mochte der Feind auch einen noch so schrecklichen Anblick bieten, so sah man ihn doch wenigstens, während die Nacht ihren dunklen Mantel über alles gebreitet hatte, und das flackernde Licht der Feuer den Blick auf alle sich in der Finsternis dahinter zusammenballenden Gefahren verborgen hatte. Niemand kämpfte gerne in der Nacht, die der Geburt von Furcht und Schrecken noch Vorschub leistete und mehr das Reich der Ungeheuer als das der Menschen und Elben war.

Aber trotz der bisherigen Erfolge sah es nicht gut für die Verteidiger aus. Dank des Feuers hatten sie den Damonen schwere Verluste zugefügt, doch ihre Zahl schien schier unerschöpflich zu sein, und der Vorrat an Tricks, mit denen Bayron ihren Vormarsch aufhalten konnte, war nun beinahe erschöpft. Bald nach Sonnenaufgang musste er auch den dritten und letzten Graben in Brand schießen lassen, und wenn die Damonen auch ihn überwanden, würde der erbarmungslose Nahkampf Mann gegen Damon beginnen.

Als ein besonders großes Problem würde sich schon bald der Mangel an Nachschub erweisen. So ging das gelagerte Petroleum, mit dem der dreifach gestaffelte Feuerring am Brennen gehalten wurde, allmählich zur Neige, ebenso wie die Brandgeschosse, die von den Katapulten immer noch in unablässiger Folge geschleudert wurden und Tod und Vernichtung ins Heer der Damonen trugen. Viele der Magier waren die ganze Zeit über damit beschäftigt, neue herzustellen, doch schon bald würde es an den dazu benötigten Materialien mangeln.

Selbst der Vorrat an Pfeilen würde irgendwann aufgezehrt sein, so viele sie in den vergangenen Wochen auch angefertigt hatten. Normalerweise wurden beim Sturm auf eine Festung auch von den Angreifern Pfeile auf die Wehrmauern abgeschossen, doch da die Damonen keine Waffen im herkömmlichen Sinne verwendeten, war jeder einmal abgefeuerte Pfeil unwiederbringlich verloren.

Wie Maziroc bald darauf feststellte, stimmte dies jedoch nicht ganz. In den späten Morgenstunden befahl Bayron einen Ausfall der schweren Kavallerie. Die Reiter preschten auf die freien Landstriche zwischen den Gräben und Wällen hinaus und mähten die Damonen dort mit ihren Schwertern und Äxten nieder. Wie eine Woge aus Stahl fuhren sie unter die Ungeheuer. Da nicht nur sie sondern auch ihre Streitrösser gepanzert waren, konnten die Damonen ihnen kaum etwas anhaben. Nur wenn es mehreren der Bestien gelang, einen der Reiter gleichzeitig anzugreifen, konnten sie einige von ihnen töten.

Der Reiterei folgten zahlreiche Fußsoldaten, deren Aufgabe in erster Linie darin bestand, die verschossenen Pfeile wieder einzusammeln. Sie rissen sie aus den Kadavern der Ungeheuer heraus und schleppten sie gleich bündelweise zurück in die Ordensburg.

Als sie merkten, was geschah, griffen die Damonen noch verbissener an, sodass sich Cromans Reiter und auch die Fußsoldaten schließlich zurückziehen mussten, um keine größeren Verluste in Kauf zu nehmen. Auch so waren gut drei Dutzend Reiter und noch einmal fast die gleiche Zahl an Fußsoldaten getötet worden. Eine geringe Zahl im Vergleich zu den Verlusten der Damonen, aber dennoch ein schrecklich hoher Preis.

Das Ziel des Ausfalls war jedoch erreicht worden. Erneut waren nicht nur zahllose Ungeheuer getötet, sondern auch tausende von Pfeilen zurückgeholt worden, mit denen die schwindenden Reserven aufgestockt werden konnten.

 

"Bislang sieht es ganz gut aus", murmelte Charalon, der zusammen mit Maziroc von einem Fenster des großen Zimmers im Hauptturm aus den Verlauf der Schlacht beobachtete. "Besser jedenfalls als beim Kampf um die Hohe Festung. Damit hat wohl niemand gerechnet. Ich glaube, die Damonen haben hier jetzt schon insgesamt größere Verluste erlitten als dort. Dabei ist Cavillon noch nicht einmal eine richtige Festung, während Ai'Lith als die stärkste und bestbefestigte ihrer Art galt."

"Gerade deshalb haben die Elben sich womöglich ein wenig zu sicher gefühlt", entgegnete Maziroc. "Sie haben die Damonen unterschätzt, außerdem wussten sie auch nur wenig über sie und ihre Fähigkeiten. Wir hingegen konnten unsere Lehren aus dem Fall der Hohen Festung ziehen, sodass wir vorbereitet waren und die Art unserer Verteidigung entsprechend ausrichten konnten. Anderenfalls wäre Cavillon zweifellos in noch viel kürzerer Zeit als Ai'Lith von diesen Ungeheuern überrannt worden."

"Du hörst dich nicht gerade sehr zuversichtlich an. Wieder der ewige Schwarzseher?"

"Nur Realist", erwiderte Maziroc und musste schmunzeln, als er daran dachte, dass er und Charalon einen fast gleichlautenden Wortwechsel auch schon vor Wochen geführt hatten, als Eibon in Cavillon eingetroffen war und sie erstmals von der damals noch unbekannten Bedrohung aus dem Süden erfahren hatten. Damals hatten sich seine Befürchtungen in weitaus schrecklicherer Form bewahrheitet, als er es selbst für möglich gehalten hatte, und er wurde rasch wieder ernst. "Vergiss nicht, dass der eigentliche Kampf noch nicht einmal begonnen hat", erinnerte er und machte eine Geste zum Fenster hinaus. "Sieh es dir doch an. Wir haben bereits Hunderttausende dieser Bestien getötet, und dennoch hat sich ihre Zahl nicht einmal sichtbar verringert. Für jeden getöteten Damonen ist sofort ein neuer da, der die Lücke wieder füllt. Es ist, als ob sie geradewegs aus dem Boden wachsen würden, und wenn sie erst einmal bis auf die Mauern vorgedrungen sind, werden sie unter unseren Leuten ein ebenso entsetzliches Gemetzel veranstalten, wie es bei den Elben der Fall war."

"Du denkst, wir sollten den Seelenstein benutzen?"

"Nein." Zur Bekräftigung schüttelte Maziroc energisch den Kopf. "Jedenfalls jetzt noch nicht. Aber ich fürchte, spätestens in der nächsten Nacht wird uns keine andere Wahl mehr bleiben, doch vielleicht täusche ich mich auch. Auch wenn du mich für einen unverbesserlichen Pessimisten hältst, habe ich doch noch Hoffnung, obwohl sie nur gering ist. Solange der Untergang Cavillons noch nicht besiegelt ist, sollten wir die Gefahr nicht eingehen, weitere unbekannte Mächte heraufzubeschwören."

Charalon stützte sich mit den Händen auf die Fensterbank. "Wenn Eibon uns doch bloß mehr über diese unbekannten Mächte und die Dämmerschmiede hätte sagen können", sinnierte er. "Womöglich stellen sie wirklich unsere Rettung dar, ohne dass dadurch weitere Gefahren entstehen. Dann würde jeder weitere Mann, der in dieser Schlacht fällt, einen unnötigen Tod erleiden. Diese Verantwortung lastet fast unerträglich schwer auf meinen Schultern."

"Ich verstehe gut, was du meinst, denn genau darüber habe ich auch schon mehrfach nachdenken müssen", erklärte Maziroc. "Vielleicht sterben die Männer tatsächlich völlig unnötig. Aber vielleicht gelingt es uns auch wirklich, Cavillon aus eigener Kraft zu verteidigen, auch wenn ich es kaum glaube, während wir durch das Öffnen des Tores den Tod für uns alle heraufbeschwören würden. Wir wissen einfach nicht, was der richtige Weg ist, deshalb können wir nur versuchen, unsere Entscheidung nach bestem Wissen und Gewissen zu fällen."

Er starrte wieder hinaus auf das heranwogende Heer der Ungeheuer. Ohne direkt erkennbare Vorteile für eine Seite wogte die Schlacht hin und her. Mehrfach noch befahl Bayron einen Ausfall der Reiterei, und jedes Mal wieder konnte eine große Menge verschossener Pfeile zurückerbeutet werden, doch am späten Vormittag geschah schließlich das Unvermeidliche. Die Vorräte an Petroleum waren bis auf einige Fässer, die Bayron noch für einen bestimmten Zweck in Reserve hielt, aufgebraucht. Die Flammen in den Gräben sanken allmählich in sich zusammen, und immer mehr Damonen drangen bis zu den Mauern vor. Mit Schrecken sah Maziroc, dass sie wirklich eine geradezu spinnenartige Geschicklichkeit besaßen. So schnell und mühelos, als würden sie sich über ebenes Gelände bewegen, krabbelten sie an den Mauern in die Höhe.

Einige von ihnen warfen sich auch gegen das große Hauptportal, doch offenbar sahen sie die Sinnlosigkeit ihrer Bemühungen bald ein. Das Tor aus im Laufe der Jahrtausende ohnehin fast eisenhart gewordenem Holz war noch vor wenigen Tagen zum Schutz mit dicken Stahlplatten beschlagen worden. So furchtbare Waffen die Krallen, Zangen, Zähne, Scheren und anderen Extremitäten der Damonen auch darstellten, dem zollstarken Stahl konnten sie nichts anhaben. Auch verfügten sie nicht über Rammböcke oder dergleichen, sondern konnten nur ihre Körperkraft und Wildheit einsetzen, und der hielt das Portal mühelos stand. Nach nur wenigen erfolglosen Versuchen, es aufzubrechen oder wenigstens zu beschädigen, ließen auch diese Damonen von dem Tor ab und erklommen ebenfalls die Mauern.

Die Bogenschützen zogen sich einige Schritte zurück und schossen von dort aus weiter ihre Pfeile auf die erst nachdrängenden Teile des Heers, denn um die an den Mauern heraufkriechenden Ungeheuer noch zu treffen, hätten sie sich zu weit über die Zinnen vorbeugen müssen. Einige Männer kippten siedendes Wasser und Pech in die Tiefe, und als es aufgebraucht war, nahmen mit Schwertern bewaffnete Soldaten ihren Platz ein, hackten und stachen nach den Damonen, die die Mauerkronen erreichten und zu überklettern versuchten. Immer wenn eines der Ungeheuer tot in die Tiefe stürzte, riss es bei seinem Fall mehrere andere mit sich.

Schaudernd erinnerte sich Maziroc des Berichts über den Untergang der Hohen Festung, dass sich die Kadaver der Bestien schließlich bis zu den Wehrgängen auf den Mauern aufgetürmt hätten, sodass die Nachfolgenden wie über eine Rampe über sie hätten hinwegstürmen können. Hier war es noch lange nicht so weit, doch wenn die Schlacht einen ähnlichen Verlauf nahm, würde es auch hier dazu kommen.

"Luftangriff!", rief einer der Männer, die an einem der nach Osten gelegenen Fenster wachte. Maziroc, Charalon, Bayron und einige andere eilten zu ihm. Tatsächlich waren eine Reihe dunkle Punkte am Horizont zu entdecken, doch wenn es sich um Damonen handelte, dann mussten sie entgegen ihrer bisherigen Taktik einen Umweg geflogen sein, um aus dieser Richtung anzugreifen. Außerdem waren es auch nur wenige, kaum mehr als zwei Dutzend.

Maziroc griff nach seinem Ring, hob das Skiil an sein rechtes Auge und blickte hindurch.

"Das sind keine Damonen!", stieß er überrascht hervor. Das sind ... Drachen! Das Volk der Zwerge hat sich doch noch entschlossen, uns zu Hilfe zu kommen!"

*


Es handelte sich wirklich um gut ein Dutzend Drachen, deren Transportkörbe voller Zwerge waren, wie Maziroc deutlich erkennen konnte, als sie näher heran waren, doch noch etwas anderes fiel ihm auf. Mehrere der Drachen waren verletzt, zwei der riesigen Tiere schienen sich sogar nur noch mit Mühe in der Luft halten zu können. Ein unangenehme Ahnung beschlich ihn, obwohl dies noch nicht viel zu bedeuten haben musste. Vielleicht waren die Tiere schon beim Kampf um Ravenhorst verletzt worden, vielleicht waren sie auch erst unterwegs von Damonen angegriffen worden.

Es musste sich um mindestens fünfhundert bis sechshundert Krieger handeln, die sich in den Körben drängten. Nicht gerade überwältigend viele gegen die Übermacht der Damonen, aber immerhin eine willkommene Unterstützung.

Schon die bloße Tatsache, dass die Zwerge überhaupt Truppen nach Cavillon entsandten, war auf jeden Fall ein äußerst positives Zeichen. Die einzige Erklärung dafür war, dass es ihnen gelungen war, den Angriff der Damonen auf Ravenhorst abzuwehren und das feindliche Heer zu vernichten. Das bewies, dass ein Sieg über die Ungeheuer möglich war, woran viele nach dem Fall Ai'Liths bereits insgeheim zu zweifeln begonnen hatten. Ein solches Signal, das den Männern neuen Mut und neue Hoffnung verlieh, war vermutlich noch wesentlich bedeutsamer als die militärische Hilfe der Zwerge.

Ihre Ankunft warf jedoch auch Probleme auf, vor allem die Unterbringung der riesigen Drachen, da Cavillon schon jetzt fast überfüllt war. In aller Eile ließ Bayron im Nordflügel den größten Innenhof der Ordensburg räumen. Er ließ sogar einige alte Baracken, die zuletzt als Ställe gedient hatten, hastig abreißen, und abgesehen von den Pferden, die die kaiserliche Reiterei für ihre Ausfälle benötigte, wurde ein Teil der Tiere sogar durch ein Seitenportal aus Cavillon hinausgescheucht.

Schon vor der Ankunft der Zwerge hatte sich die Nachricht von ihrem Kommen wie ein Lauffeuer verbreitet. Wie Maziroc gehofft hatte, wirkte sie sich extrem positiv auf die Moral der Soldaten aus. Mit frischem Kampfeswillen warfen sie sich den Angriffen der Damonen entgegen.

Der Erste der Drachen senkte sich in spiralförmigen Windungen auf den Innenhof herab. Als das Tier sicher gelandet war und die Zwerge aus dem Transportkorb kletterten, entdeckte Maziroc jedoch etwas, was seinen finstersten Befürchtungen, die er bislang nicht einmal in Gedanken zu formulieren gewagt hatte, neue Nahrung verschaffte. Zwar war der Korb wirklich bis auf den letzten Platz mit Zwergenkriegern gefüllt, doch befand sich kaum einer unter ihnen, der nicht verletzt war oder zumindest mehr oder weniger schwere Blessuren davongetragen hatte.

Als eine der ersten stieg Farin, die Königin der Künste, aus dem Korb, wie Maziroc zu seiner Überraschung entdeckte. Sie kam auf ihn, Charalon und Bayron zu. Ein Ausdruck tiefen Entsetzens stand in ihrem von Erschöpfung gezeichneten Gesicht geschrieben.

"Seid gegrüßt, Königin Farin", sagte Charalon. "Wir freuen uns, dass sich das Volk der Zwerge entschlossen hat, uns Hilfe zu schicken, die wir in diesem Moment der Not ..."

"Gruß auch Euch", fiel Farin ihm ins Wort, ein grober Verstoß gegen die Etikette bei diesem ansonsten so auf Formalitäten bedachten Volk. "Natürlich werden wir helfen, wo wir können, doch wir wurden nicht zu Eurer Unterstützung hergesandt, sondern kommen als Flüchtlinge. Ich bringe schlimme Nachrichten. Ravenhorst ist gefallen. Unsere Heimat wurde von den Damonen erobert. Unter der Führung von Königin Shira konnten die meisten Frauen und Kinder rechtzeitig entkommen. Sie flohen tiefer in die unwegsamen Gebiete der Todessümpfe hinein, an einen geheimen, durch starken Zauber geschützten Ort, wo sie selbst vor den Damonen in Sicherheit sind. Die anderen Könige und die meisten unserer Krieger jedoch sind tot. Ebenso wie unsere Drachen, bis auf die wenigen Tiere, mit denen wir herkamen."

Man sah, dass sie nur noch mit Mühe Haltung bewahren konnte. Tränen glitzerten in ihren Augen.

"Das sind wahrlich schlimme Nachrichten", antwortete Charalon. Auch er war entsetzt. Nach der Hoffnung, die die Ankunft der Drachen verbreitet hatte, traf ihn diese Hiobsbotschaft nun besonders schwer. Nicht anders erging es Maziroc. "Unser Lazarett steht sofort für die Verletzten unter Euren Begleitern bereit, für die anderen werden bereits Quartiere hergerichtet. Bitte begleitet uns in unsere Kommandozentrale, dort könnt Ihr uns berichten, was genau passiert ist."

Maziroc begriff sofort, was Charalon bezweckte. Wie es auch bei ihm selbst der Fall war, würde sich die Nachricht vom Fall Ravenhorsts auch auf den gerade erst gestärkten Kampfgeist der Soldaten verheerend auswirken. Es ließ sich nicht verhindern, dass diese Neuigkeiten sich verbreiteten, aber die Männer sollten nicht auch noch die schrecklichen Einzelheiten mitanhören und dadurch unter Umständen noch zusätzlich demoralisiert werden.

Ein weiterer Drachen landete hinter ihnen auf dem Hof, während sie auf das Hauptgebäude zugingen. Durch zahlreiche Korridore, Hallen und Treppen erreichten sie schließlich wieder das Turmzimmer. Charalon bot Farin einen Platz an und ließ ihr auf ihren Wunsch hin einen Becher Wein bringen.

"Unsere Männer haben mutig gekämpft, und sie sind einen Heldentod gestorben, wie er eines wahren Kriegers würdig ist", berichtete sie, nachdem sie einen Schluck getrunken hatte. "Fast hätten wir sogar den Sieg davongetragen. Schon in den Sümpfen haben wir einen beträchtlichen Teil des angreifenden Damonenheeres vernichtet, aber es waren einfach zu viele. Dank Marrin wussten wir, was in der Hohen Festung der Elben geschah und welche Fähigkeiten diese Damonen besitzen, aber uns blieb viel zu wenig Zeit, unsere Verteidigung entsprechend auszurichten. Kein anderer Feind hätte die engen Serpentinenpfade den Ashran hinauf überwinden können, doch die Damonen brauchten die Pfade erst gar nicht. Sie kletterten mühelos an den steilen Felsen selbst in die Höhe, aber auch dabei haben sie einen hohen Blutzoll zahlen müssen. Es gelang uns, fast ihr gesamtes Heer aufzureiben. So stellt es wenigstens für die anderen Städte in Miirn und weiter im Osten keine große Bedrohung mehr da."

 

"Dann kann man also sagen, dass Ihr sie besiegt habt?", warf Charalon hoffnungsvoll ein.

"Besiegt?" Die Zwergenkönigin zuckte mit den Schultern und trank einen weiteren Schluck Wein. "Mit ein wenig gutem Willen könnte man es so hinstellen. Es war mit Sicherheit die glorreichste Schlacht, die das Volk der Zwerge jemals bestritten hat, aber Sieger sind wir deshalb trotzdem nicht. Dafür war der Preis viel zu hoch. Fast alle unsere Drachen wurden getötet, und wir haben unsere Heimat verloren. Nur noch wenige Tausend von den Ungeheuern waren übrig, als es ihnen schließlich gelang, in Ravenhorst einzufallen. Ihr habt gesehen, in welchem Zustand die Letzten unserer Krieger sind. Sie hatten den Ungeheuern nichts mehr entgegenzusetzen, nachdem diese erst einmal in die Stadt selbst vordrangen. Hätten wir nur zweihundert ausgeruhte, kampffähige Krieger mehr gehabt, hätten wir die Damonen vernichtend geschlagen, aber so ..."

Sie schüttelte verzweifelt den Kopf.

"Dennoch gaben wir nicht auf", fuhr sie nach kurzer Pause fort. "Die wenigen Drachen, die wir hatten, hätten ohnehin nicht alle von uns forttragen können, also kämpften wir weiter. Aber im Gefolge der Damonen kamen weitere Wesen. Gestalten von fast menschlicher Statur, nur noch größer. Sie verbargen sich unter langen, schwarzen Kutten, sodass nichts von ihnen zu erkennen war. Sie waren nur wenige Dutzend, doch alles, was sie berührten, ging in Flammen auf. Ravenhorst und selbst die Kohleminen tief im Inneren des Ashran brannten, als ich schließlich den Befehl zur Flucht gab. Es war nichts mehr übrig, was wir noch hätten verteidigen können. Wir konnten nur noch unser nacktes Leben retten um zu versuchen, Cavillon nach Möglichkeit ein gleiches Schicksal zu ersparen. Die Hoffnungen von ganz Arcana ruhen jetzt nur noch auf diesem Ort. Ihr dürft unter keinen Umständen wankelmütig werden und niemals weichen, so furchtbar der Feind und so groß seine Übermacht auch sein mögen. Was wir Zwerge allein in den Todessümpfen fast geschafft hätten, das müssen wir alle gemeinsam hier in Cavillon vollenden. Wenn nach Ravenhorst und der Hohen Festung der Elben auch noch die Ordensburg der Magier fällt, dann fällt mit ihr auch die letzte Hoffnung auf Rettung."

Einige Sekunden lang herrschte betretene Stille.

"Wir sind uns dieser Bürde wohl bewusst", versicherte Charalon dann. Der zuletzt äußerst leidenschaftliche, fast pathetische Appell der Zwergenkönigin hatte seinen Eindruck auch auf ihn nicht verfehlt. "Und ich kann Euch versichern, dass keiner von uns daran denkt, auch nur einen Fußbreit Boden aufzugeben, ohne dass die Damonen ihn teuer bezahlen müssen. Allerdings sieht es ..."

Er brach ab, weil in diesem Moment ein Offizier der Garde ins Zimmer kam. "Entschuldigt die Störung", sagte er und verbeugte sich. "Aber gerade ist etwas äußerst Merkwürdiges geschehen. Ein einzelner fremder Mann hat gerade mit seinem Schwert gegen das von den Damonen noch nicht belagerte Nordportal gehämmert und Einlass verlangt. Trotz des hellen Tageslichts hat niemand ihn kommen sehen, doch ich habe die verantwortlichen Posten bereits zur Rechenschaft gezogen."

"Schon gut", unterbrach Bayron ihn. "Was ist nun mit diesem Mann?"

"Wir haben ihn eingelassen, doch er weigert sich, auf eine unserer Fragen zu antworten. Stattdessen hat er um eine Audienz bei Großmeister Charalon und Eibon Bel Churio gebeten, da er wichtige Nachrichten bringen würde. Wir haben ihm noch nicht gesagt, dass der Elbenkönig tot ist."

Bayron überlegte kurz, dann seufzte er. "Also gut, bringt den Kerl herein. Vielleicht ist er wirklich ein Bote aus einer der noch freien Städte, der sich nur etwas aufspielt und uns etwas Bedeutsames mitzuteilen hat."

Bewacht von mehreren Soldaten wurde auf einen Wink des Offiziers hin ein Mann ins Zimmer geführt. Sein Gesicht zeigte einen unbefangenen, jungenhaften Ausdruck, als er die Anwesenden musterte, und um seine Lippen spielte sogar ein spöttisches Lächeln.

"Kenran'Del!", stieß Maziroc überrascht hervor.

"Ganz zu Euren Diensten", antwortete dieser und verneigte sich in weit übertriebener höfischer Manier. "Wie ich sehe, komme ich gerade recht. Mir scheint, ihr steckt schon wieder mal bis zum Hals im Schlamassel."

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