Für das Herz und die große Liebe: Arztroman Sammelband 5 Romane

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19. Kapitel




„Ich liebe Gewitter“, sagte Dorothee Simonis zur selben Zeit am Fenster stehend zu Oliver Wiechert. Sie befanden sich bei ihm. Dotty hatte ohne Voranmeldung an seiner Tür geschellt und sicherheitshalber eine Flasche Wodka mitgebracht. Draußen konnte es ruhig nass sein, aber drinnen wollte Dotty nicht auf dem Trockenen sitzen. „Das Aufflammen der Blitze, das Krachen der Donner, das Rauschen des Regens“, schwärmte sie. „Da zeigt die Natur dem Menschen ihre gewaltige Kraft, lässt ihn erkennen, wie klein und schwach er, der glaubt sich die Erde nach dem Willen unseres Schöpfers untertan machen zu können, doch eigentlich ist. Diese ungeheure Energie beeindruckt mich immer wieder.“



Oliver trat hinter sie. Er war beschwipst. Sie waren beide beschwipst. „Hast du gewusst, dass die meisten Blitze nach oben gehen?“, sagte er und legte die Arme um sie.



Dotty schmiegte sich sofort an ihn. „Nach oben?“



„Vier von fünf“, sagte Oliver.



„Das wusste ich nicht.“



„Also hast du wieder was dazugelernt“, raunte er ihr ins Ohr.



„Ich lerne gern dazu“, gab sie sanft zurück. „Ich bin sehr wissbegierig.“



Er lachte leise. „Neugierig nennt man das bei euch Frauen.“



„Macho.“ Sie drehte sich in seiner lockeren Umarmung um, und plötzlich waren sich ihre Augen, ihre Nasen und ihre Lippen gefährlich nahe. Dotty seufzte sehnsüchtig. „Ich glaube, ich möchte jetzt von dir geküsst werden, Oliver.“



Sein Mund betupfte ihre warmen, sinnlichen Lippen, sein Herzschlag beschleunigte sich, und ein süßer, wilder Rausch bemächtigte sich seiner.



Manchmal entgleiten einem die Dinge, obwohl man es eigentlich nicht will. Oliver hatte nichts beabsichtigt und nichts geplant. Es passierte einfach. Fast ohne sein Zutun.



Seine Hände strichen über ihren schlanken Rücken, sein Atem klang tief und rasselnd. Blitz, Donner, Regen – er nahm nichts mehr davon wahr.



Ein zufriedenes triumphierendes Lächeln lag auf Dottys schönem Gesicht. Endlich hatte sie Oliver soweit! Die Bastion, die ihren raffinierten Verführungskünsten so lange standgehalten hatte, war gestürmt, überrannt, es gab sie nicht mehr. Kapitulation! Sieg! Dottys Herz jubelte. Wieder einmal hatte sich gezeigt, dass kein noch so starker Mann die Kraft hatte, ihr auf Dauer zu widerstehen.



Oliver war so stürmisch, dass sie ihr Kleid lieber selbst auszog, damit er es ihr nicht vom Leib riss. Sie landeten in seinem Bett.



Auf nichts anderes hatte Dorothee Simonis seit Wochen zielstrebig hingearbeitet. Einmal hätte sie beinahe aufgegeben, weil Oliver Wiechert nicht anbeißen wollte, doch nun war sie froh, dass sie nicht das Handtuch geworfen hatte. Das Ziel war erreicht!



Ein Blitz. Ein Donner. Das Haus dröhnte und bebte. Es schien so, als wollte der Himmel den jungen Mann wachrütteln, und er hatte Erfolg damit, denn plötzlich zerrissen die roten Schleier in Olivers Kopf, er konnte wieder vernünftig denken und klar sehen – und er sah Dorothee Simonis. Nackt! In seinem Bett! Und er dachte:

Mein Gott, was tue ich?



Er sprang entsetzt auf und stürzte aus dem Schlafzimmer. So etwas war Dotty noch nie passiert. Sie starrte fassungslos auf die Tür, die hinter Oliver zugefallen war. Sie hörte ihn draußen schluchzen.

Liebe Güte, was ist denn das für eine Memme?

, dachte sie verächtlich.

Ist die Möglichkeit, mit mir zu schlafen, wirklich so zum Heulen?



Beleidigt, gekränkt, gedemütigt, erbost und enttäuscht zog sie sich an.

Was habe ich falsch gemacht?

, fragte sie sich gereizt.

Bin ich über Nacht so abstoßend hässlich geworden, dass alle Männer die Flucht ergreifen, wenn sie mich sehen?



Als sie aus dem Schlafzimmer trat, zuckte Oliver wie unter einem Peitschenschlag zusammen. Rasch wischte er sich die Tränen ab, dann drehte er sich um.



„Angst vor der eigenen Courage gekriegt, wie?“, fragte Dorothee Simonis spöttisch.



„Entschuldige, Dotty.“



„Du bist ein Waschlappen, Oliver Wiechert“, sagte sie verächtlich.



„Es tut mir leid.“



„Ja, mir auch. Dass ich meine Zeit mit dir vertrödelt habe. Ich hätte wissen müssen, dass du’s nicht wert bist.“



„Dotty, ich wollte dich nicht beleidigen.“



„Ach, vergiss es. Noch mal passiert mir eine solche Pleite nicht, das weiß ich. Du wirst demnächst ziemlich in der Luft hängen und alt aussehen, mein Lieber. Sandra wird mit Karsten ins Bett hüpfen – und du?“ Dorothee Simonis zuckte die Schultern. „Dein Problem, nicht wahr? Mich geht das nichts mehr an. Ich habe dich bereits mit einem ganz dicken Stift von meiner Wunschliste gestrichen. Ciao.“



Sie verließ die Wohnung, und am lauten Knall der zuschlagenden Tür war zu erkennen, wie wütend sie noch immer war.







20. Kapitel




Er rief sie am nächsten Morgen an, um sich noch einmal zu entschuldigen. Das Gewitter war längst abgezogen, es schien wieder sporadisch die Sonne. Dotty wirkte kalt und abweisend, schien über die schmachvollste Niederlage ihres jungen Lebens noch nicht hinweggekommen zu sein. Ihr Selbstwertgefühl hatte zum ersten Mal schwer gelitten, und das konnte sie Oliver Wiechert nicht so schnell verzeihen.



„Tut mir leid, Dotty“, sagte er kleinlaut.



„Du wiederholst dich“, gab sie spröde zurück.



„Was soll ich sonst sagen, als dass ich bedauere …“



„Leg eine andere Platte auf.“



„Ich kann mir vorstellen, wie dir jetzt zumute ist“, sagte Oliver.



„Ach, kannst du das?“ Ihre Stimme klang frostig und höhnisch.



„Ja, und deshalb möchte ich, dass du weißt, dass mein unmögliches Verhalten gestern Abend nichts mit dir zu tun hat. Mit dir persönlich, meine ich. Ich habe absolut nichts gegen dich. Ich mag dich. Ehrlich. Du bist eine wunderschöne, begehrenswerte Frau. Ich rede nicht irgendwelchen Schmus, um dir bloß schönzutun. Ich meine es wirklich so, wie ich es sage. Ich schäme mich für mein idiotisches Benehmen, und – ich würde das gerne irgendwie wiedergutmachen.“



„Wie denn? Indem du noch mal einen Anlauf nimmst? Nicht mit mir, mein Bester. Ich bin von dir kuriert. Ich möchte so eine Pleite nicht noch mal erleben. Weißt du, was dein Problem ist, Oliver Wiechert? Du stehst dir selbst im Weg, kannst nicht über deinen Schatten springen. Damit wirst du dir noch eine Menge Frust einhandeln, aber das berührt mich nicht mehr. Du hattest deine Chance, und du warst so dumm, sie nicht zu nützen. Das war’s dann also.“ Sie legte ohne ein weiteres Wort auf.



Er ließ den Hörer langsam sinken und murmelte deprimiert: „Du hast recht, Dotty, ich bin ein Vollidiot. Wenn Blödheit prämiert würde, bekäme ich den ersten Preis. Garantiert unangefochten würde ich einen solchen Wettbewerb gewinnen.“







21. Kapitel




Als Sandra Falkenbergs Knöchel wieder in Ordnung war, beschloss die Clique fürs kommende verlängerte Wochenende – der Montag war ein Feiertag eine Alpen-Wanderung, ausgehend irgendwo vom Königssee.



„Alle nehmen sich so viel wie möglich zu essen und zu trinken mit, damit der Ausflug nicht zu teuer wird“, sagte Johannes Brauneis, der Pfennigfuchser, „und geschlafen wird im Zelt, okay?“



„Einverstanden“, sagte Eva Schroth, die diesmal auch dabei sein wollte. Sie mampfte Gummibärchen. Einmal hatte sie die Tüte kreisen lassen, doch niemand hatte zugelangt. Das war ihr ganz recht. So blieb wenigstens für sie mehr.



„Ich kenne eine traumhaft schöne Route“, sagte Karsten Rüge.



„Extrem steil?“, erkundigte sich die rundliche Eva.



„Aber nein“, erwiderte Karsten. „Das schafft jeder.“



„Wenn er eine Gämse ist“, grinste Julian Krautmann.



Karsten Rüge, von dem der Tourenvorschlag gekommen war, breitete eine Wanderkarte auf dem Tisch aus, nachdem er die Freunde gebeten hatte, alle Gläser und Flaschen wegzuräumen. Er zeigte ihnen die Strecke, die sie zurücklegen würden. Es gab zwar einige schwierige Passagen zu überwinden, doch wem diese zu beschwerlich waren, konnte sie auch auf einem etwas leichteren, allerdings auch etwas längeren Pfad umgehen.



Was für Sandra natürlich nicht infrage kam. Da, wo Karsten ging, wollte auch sie gehen. Egal, wie steil es den Berg hinauf ging. Selbst wenn Karsten eine Felswand hochklettern sollte, würde sie ihm folgen, denn sie fand, dass sie Oliver noch immer nicht genug bestraft hatte.



Lisa Krautmann erriet Sandra Falkenbergs Gedanken, und sie nahm sich vor, während der Alpenwanderung erneut auf die sture Freundin einzuwirken. Es musste doch möglich sein, Sandra und Oliver wieder zusammenzubringen!



Lisa fiel auch auf, dass Dorothee Simonis und Oliver Wiechert sich tunlichst mieden. Die beiden redeten kein Wort mehr miteinander, und Lisa fragte sich, was wohl zu dieser positiven Entwicklung geführt haben mochte.



Während die Krautmann-Zwillinge am darauffolgenden Tag Vorbereitungen für das bevorstehende Wochenende trafen, hatten Sandra Falkenberg und ihre Großmutter einen Gerichtstermin. Anette Falkenberg war sehr nervös. Die Erinnerung an das Erlebnis mit Bertram Harrers Hund machte ihr ziemlich zu schaffen. Wie Schlamm in einem klaren See wurde ihre Angst wieder aufgewühlt, als sie mit zitternder Stimme erzählte, wie es ihr damals ergangen war.



Das Gericht verurteilte den uneinsichtigen Hundebesitzer nach Paragraf zweihundertdreißig des Strafgesetzbuches wegen fahrlässiger Körperverletzung zu einer Geldstrafe von neunzig Tagessätzen zu je hundert Euro, also neuntausend Euro, und sprach Anette Falkenberg Schadenersatz und Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt siebenundfünfzigtausend Euro zu.

 



Obwohl das ein angemessenes Trostpflaster war, hätte die alte Dame lieber darauf verzichtet und kein so böses Erlebnis mit Harrers Benno gehabt.



Vor dem Gerichtsgebäude sagte Dr. Axel Lieskow nach der Verhandlung zu Anette Falkenberg und ihrer Enkelin: „Wir hatten einen gerechten Richter und können mit dem Urteil sehr zufrieden sein.“



„Dieser Harrer bildet sich nach wie vor ein, sich nichts zuschulden kommen lassen zu haben“, meinte Sandra kopfschüttelnd.



„Es gibt Menschen, die bilden sich ein, immer im Recht zu sein“, bemerkte Dr. Lieskow.



Bertram Harrer kam mit grimmiger Miene aus dem Haus und eilte zornig davon. Anette Falkenberg sah ihm nach und sagte: „Diese Verurteilung sollte ihm eine Lehre sein.“



„Er wird seinen wilden Hund von nun an an der Leine führen, darauf können Sie sich verlassen“, erwiderte Axel Lieskow, „weil er sich nämlich noch so eine kostspielige Verurteilung nicht leisten kann.“



„Glauben Sie, er wird das Urteil anfechten?“, fragte Sandra.



Der Anwalt schüttelte den Kopf. „Davon wird ihm sein Rechtsbeistand mit Sicherheit abraten, weil die nächsthöhere Instanz den Schuldspruch lediglich bestätigen würde. Eine Berufung würde die Angelegenheit für Bertram Harrer nur unnötig verteuern.“



Anette Falkenberg gab ihm die Hand. „Danke für Ihre Hilfe, Dr. Lieskow.“



„War mir ein Vergnügen, Sie zu vertreten“, gab Axel Lieskow freundlich lächelnd zurück. Er wandte sich an Sandra: „Lisa Krautmann hat mir von einer tollen Alpenwanderung erzählt.“



„Ja“, nickte Sandra mit strahlenden Augen, „am Freitag geht es los. Ich freue mich schon sehr darauf.“



„Ich wünsche Ihnen und der gesamten Clique viel Spaß und schönes Wetter.“



„Danke.“



„Und Ihnen speziell keine Verstauchung, keine Verrenkung und keine Prellung“, fügte Dr. Axel Lieskow schmunzelnd hinzu.



Sandra lachte. „Ich habe vor, besser als bisher auf mich achtzugeben.“



„Das kann auf keinen Fall schaden.“ Dr. Lieskow deutete eine Verbeugung an. „Sie müssen mich jetzt leider entschuldigen, meine Damen. Ich muss zurück in die Kanzlei.“



„Der nächste Klient wartet“, sagte Anette Falkenberg.



„So ist es“, bestätigte der vielbeschäftigte Anwalt.



„Ein schwieriger Fall?“, fragte Sandra.



„Sagen wir, er hat seine Tücken“, lächelte der Rechtsanwalt, „aber gerade das macht die Sache für mich reizvoll.“







22. Kapitel




Melanie Krautmann überhäufte die Zwillinge mit vielen gut gemeinten Tipps. Lisa und Julian wechselten immer wieder belustigte Blicke. „Vergesst nicht, warme Sachen einzupacken.“ – „Esst reichlich, um bei Kräften zu bleiben.“ – „Nehmt genug zu trinken mit.“ – „Sonnenschutzmittel nicht vergessen.“ – „Vergewissert euch, dass eure Schlafsäcke in Ordnung sind.“ – „Nehmt Seife und Handtücher mit.“ – „Mit einer Hirschtalcreme vermeidet ihr, dass ihr Blasen an den Füßen bekommt.“



„Mutti“, sagte Julian grinsend.



„Hat auch jeder eine Kopfbedeckung?“, fuhr Melanie Krautmann fort.



„Mutti!“, sagte Julian etwas lauter.



„Zahnbürsten, Reisenähzeug, für den Fall, dass eure Kleidung zerreißt …“



„Mutti, du hast es nicht mit Kim und Christoph zu tun“, erwiderte Julian eindringlich. „Lisa und ich sind erwachsen.“



„Seit wann darf eine Mutter ihren erwachsenen Kindern keinen Rat mehr geben?“, fragte Melanie Krautmann leicht verschnupft.



Lisa legte ihr den Arm um die Schultern. „Bitte sei nicht böse, Mutti, aber wir kommen wirklich auch allein zurecht.“



„Außerdem sind wir doch nur übers Wochenende weg“, sagte Julian.



„Montagabend sind wir wieder zu Hause“, fügte Lisa hinzu.



„Wohlbehalten und in gesunder Frische“, meinte Julian lächelnd.



„Das hoffe ich“, sagte Melanie.



Julian grinste breit. „Du kannst mich beim Wort nehmen.“



„Sollte irgendetwas Unvorhergesehenes passieren oder solltet ihr Hilfe brauchen, ruft ihr an, ja?“, bat Melanie.



„Machen wir“, nickte Julian schmunzelnd.



Melanie gab ihm einen Klaps auf die Hand. „Ja, ja, lacht nur über mich. Ihr werdet mich erst verstehen, wenn ihr selbst Kinder habt.“







23. Kapitel




Das Wetter hätte nicht schöner sein können, als die Clique mit vier Autos München in Richtung Berchtesgaden verließ, und es versprach auch so zu bleiben. Die Stimmung war, abgesehen von den Spannungen zwischen Sandra Falkenberg, Dorothee Simonis und Oliver Wiechert, sehr gut. Lisa und Julian Krautmann hatten Eva Schroth und Johannes Brauneis im Wagen. Sie sangen während der ganzen Fahrt fröhliche Wanderlieder, und jedes Mal, wenn Eva ihre leckeren, mit Haselnusscreme gefüllten Butterkekse anbot, nahm Johannes sich gleich zwei.



Der wird bestimmt mal sehr reich werden

, dachte Julian belustigt.

Aber er wird nichts von seinem vielen Geld haben, weil er auf jedem Pfennig sitzt wie die Glucke auf dem Ei und nicht bereit ist, etwas von seinem mit beispielloser Besessenheit gehorteten Schatz auszugeben. Nichts gegen Sparsamkeit, aber bei Johannes artet sie allmählich in Geiz aus.



Bei Berchtesgaden verließen sie die Autobahn und fuhren dem mächtigen Massiv des Watzmann entgegen. Karsten Rüge führte die Clique zum Ausgangspunkt der Wanderung. Die Fahrzeuge wurden abgestellt, die Rucksäcke geschultert, und dann ging es auf Schusters Rappen weiter. Karsten marschierte voran, und Sandra gab sich Mühe, mit ihm Schritt zu halten.



„Tut gut, sich in Gottes freier Natur mal so richtig auszuarbeiten, nicht wahr?“, sagte Julian Krautmann zu seiner Schwester.



„Karsten legt ein beachtliches Tempo vor“, erwiderte Lisa.



„Kommst du nicht mit?“



„Ich schon, aber Eva ist nicht so sportlich. Wir werden sie verlieren, wenn wir nicht ein bisschen mehr Rücksicht nehmen.“



„Jeder geht sein Tempo“, sagte Julian. „Von Zeit zu Zeit wird gerastet, und wenn alle wieder beisammen sind, geht es weiter.“ Er schaute zurück.



Johannes ging neben Eva. Sie war also nicht allein. Die Wanderung spielte sich so gut ein, dass selbst die unsportliche Eva Schroth nicht überfordert wurde.



Die Bergwelt zeigte sich der Clique von ihrer faszinierendsten Seite, und der Ausflug war für alle von Anfang an ein wunderschönes Erlebnis. Am Abend wurden die Zelte aufgeschlagen, alle setzten sich um eine kleine, aus Steinen gebildete Feuerstelle, und während das trockene Holz knisternd und knackend brannte, spielte Karsten Rüge auf einer Mundharmonika alle Lieder, die man von ihm hören wollte.



Als sie am nächsten Morgen ausgeruht und bester Dinge die Wanderung fortsetzten, wurde der Berg bald felsiger und schroffer. Sie sahen Gämsen, und Julian Krautmann schoss ein paar Fotos von den schönen Tieren.



Nach etwa zwei Stunden sagte Karsten: „Jetzt teilt sich der Weg. Rechts schlängelt er sich in vielen Windungen gut gesichert und völlig risikolos zum Bärenloch hinauf, links geht es über scharfes Geröll, schmale Steige und steile Leitern direkt zum selben Ziel hoch. Das ist beschwerlich und gefährlich, deshalb möchte ich jedem, der so einen Weg noch nie gegangen ist, davon abraten, mitzukommen. Nebenbei bemerkt sollte man auch schwindelfrei sein, wenn man sich für diese selektive Route entscheidet.“



„Ich komme mit!“, sagte Sandra Falkenberg sogleich und warf Oliver Wiechert einen trotzigen Blick zu.



„Ich auch“, sagte Oliver.



„Ich auch“, sagte Julian Krautmann.



„Okay“, nickte Karsten Rüge. „Wir treffen uns in drei Stunden in der Bärenlochhütte.“



„Kann man dort oben auch selbst Mitgebrachtes verzehren?“, erkundigte sich Johannes Brauneis.



„In der Hütte nicht, aber wenn du dich davor hinsetzt, kann es dir der Wirt nicht verbieten“, antwortete Karsten.



„Bist du sicher, dass du dich für die richtige Route entschieden hast?“, fragte Lisa Krautmann ihren Bruder. Sie war ein wenig in Sorge um ihn.



Julian grinste. „In mir schlummert ein kleiner Louis Trenker, weißt du das nicht?“



„Nein, das ist mir neu. Gut, dass Mutti nichts von deinem Hang zum Extremen weiß, sonst hätte sie zu Hause keine ruhige Minute mehr.“



„Hoffentlich verirren wir uns nicht ohne dich, Karsten“, sagte Dotty Simonis.



„Das ist nicht möglich, denn es führt nur dieser eine Weg zur Bärenlochhütte hinauf“, erwiderte Karsten Rüge, und kurz darauf trennte sich die Gruppe.



„Willst du nicht doch lieber mit mir kommen?“, rief Lisa ihrem Zwillingsbruder nach.



Julian schüttelte den Kopf. „Wir sehen uns oben. Bis in drei Stunden, Schwesterherz.“



Karsten Rüge schlug den beschwerlichen Weg ein, Sandra Falkenberg folgte ihm, hinter ihr ging Julian Krautmann, und Oliver Wiechert war das Schlusslicht.



Der Pfad querte eine steile Geröllhalde und stieß gegen