Für das Herz und die große Liebe: Arztroman Sammelband 5 Romane

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10. Kapitel

Tags darauf rief Sandra Dr. Axel Lieskow an. „Mein Name ist Sandra Falkenberg“, sagte sie. „Herr Dr. Krautmann hat Sie mir empfohlen …“

„Ich weiß Bescheid“, fiel der Rechtsanwalt ihr ins Wort. „Mein Schwager hat mich gestern Abend angerufen. Üble Sache, die da passiert ist, aber seien Sie unbesorgt, ich werde Ihrer Großmutter zu ihrem Recht verhelfen. Ich schlage vor, Sie kommen heute um vierzehn Uhr in meine Kanzlei, und wir besprechen alles Weitere.“

Sandra war pünktlich. Der fünfzigjährige Anwalt begrüßte sie freundlich, ließ sie die Geschichte, die er bereits größtenteils kannte, erzählen und sagte dann:

„Wir werden die von Herrn Harrer verrückten Dinge vor Gericht etwas zurechtrücken. Wenn der Hundebesitzer meint, unschuldig zu sein, befindet er sich gehörig im Irrtum. Nach Paragraf zweihundertdreißig des Strafgesetzbuches ist nämlich jeder wegen fahrlässiger Körperverletzung zu bestrafen, der den körperlichen Schaden eines ändern dadurch verursacht, dass er den vermeidbaren und vorhersehbaren Schaden durch Sorglosigkeit nicht verhindert. Im Klartext heißt das, dass Ihre Großmutter nicht verletzt worden wäre, wenn Herr Bertram Harrer seinen Benno angeleint hätte. Staatsanwalt und Richter werden ihm das sehr unmissverständlich klar machen.“

„Wie kann er nur so unvernünftig sein?“

„Es gibt Menschen, die meinen, immer im Recht zu sein.“ Dr. Lieskow hob die Schultern. „Die muss eben dann das Gericht zur Einsicht zwingen.“

„Bitte legen Sie es mir nicht als Geldgier aus, wenn ich frage, wie viel Schmerzensgeld meine Großmutter zu erwarten hat.“

„Ihre Frage ist durchaus berechtigt, Frau Falkenberg“, erwiderte Axel Lieskow. „Wir werden sechzigtausend Euro verlangen und fünfzigtausend bekommen.“

„Fünfzigtausend …“ Das klang höchst beeindruckt.

„Unter diese Marke gehen wir nicht“, erklärte der Rechtsanwalt entschieden.

11. Kapitel

Nach fünf Tagen durfte Anette Falkenberg das Bett verlassen. Sie war zwar noch ein bisschen wackelig auf den Beinen, aber sie sprach bereits davon, bald wieder im Geschäft zu stehen.

Vorläufig schmiss aber Sandra den Laden noch allein. Während einer Flaute in den Abendstunden schneite Dorothee Simonis zur Tür herein.

Sie kleidete sich zumeist so übertrieben sexy, dass es schon vulgär wirkte. Der Rock war zu kurz, der Pulli zu eng, sein Ausschnitt zu tief.

Von gutem Geschmack schien Dotty Simonis nichts zu halten. Sie wollte, dass die Leute sich nach ihr umdrehten, und das taten sie, um hinterher verständnislos den Kopf zu schütteln.

„Hi“, sagte Dotty und biss auf ihrem Kaugummi herum. „Nicht viel zu tun hier.“ Sie sah sich im leeren Geschäft um.

„Gerade mal eben“, erwiderte Sandra. „Dafür war heute Vormittag mehr los.“

Dotty zog die Mundwinkel zweifelnd nach unten. Sandra hätte sie am liebsten hinausgeworfen. Was will sie hier?, fragte sie sich. Aus purer Freundschaft besucht sie mich bestimmt nicht. Wir sind keine Freundinnen, werden es nie werden. Und kaufen wird sie hier wohl auch nichts, dafür sind ihr unsere Waren nämlich mit Sicherheit zu spießig. Also – weswegen ist sie hier?

Sandra musterte Dorothee Simonis kühl. „Hast du irgendeinen Wunsch?“

„Wer ist schon wunschlos?“

„Kann ich irgendetwas für dich tun?“

„Jeder kann für jeden irgendetwas tun.“

Was soll das blöde Gerede?, dachte Sandra verdrossen. Lass die Katze endlich aus dem Sack!

„Du bist nicht zufällig vorbeigekommen, richtig?“, fragte Sandra.

Dotty sah sich eine Handtasche an, öffnete alle Reißverschlüsse, fingerte in alle Fächer. „Na ja, ich hatte in der Nähe zu tun, und da dachte ich, ich schau’ mal bei dir rein. Besonders scheinst du dich über meinen Besuch ja nicht zu freuen.“ Sie legte die Handtasche zurück und sah Sandra in die Augen. „Du magst mich nicht, hm?“

Sandra war diese direkte Feststellung unangenehm. „Wie kommst du denn darauf?“

„Ich hab’ das so im Gefühl.“ Dotty zuckte mit den Schultern. „Man kann eben nicht jedem sympathisch sein. Ich jedenfalls habe nichts gegen dich.“

„Ich habe auch nichts gegen dich. Wir haben nur leider irgendwie nicht dieselbe Wellenlänge.“

„Finde ich schade.“ Dotty griff nach der nächsten Handtasche, unterzog auch sie einer genauen Inspektion. „Wie geht es deiner Großmutter?“

„Schon besser.“

„Muss ein schlimmer Schock für die alte Dame gewesen sein, von so einer reißenden Bestie angefallen zu werden.“ Dotty hängte sich den Tragriemen der Tasche über die Schulter. „Ich habe Hunde an und für sich gern, aber wenn sie Menschen angreifen, sollte man sie …“ Sie schüttelte den Riemen mit einem Schulterzucken ab. „Ich meine, es geht doch nicht an, dass man auf der Straße seines Lebens nicht mehr sicher ist.“ Sie legte die Handtasche achtlos beiseite. „Deine Großmutter liegt auch in der Wiesenhain-Klinik, nicht wahr?“

„Ja.“

Dotty trat näher und betrachtete Sandra genau. „Hat dein Gesicht wunderbar hingekriegt, dieser Dr. Krautmann. Scheint ein tüchtiger Arzt zu sein. Werden in der Wiesenhain-Klinik auch Schönheitsoperationen durchgeführt?“

„Ich finde nicht, dass du eine Schönheitsoperation nötig hast.“

„Ich frage nicht meinetwegen“, erwiderte Dorothee Simonis. „Meine Cousine leidet sehr darunter, dass sie so eine große Nase hat. Ein richtiger Geierschnabel ist das – lang, gebogen, schmal und spitz. Vielleicht können Dr. Krautmann und seine Kollegen ihr helfen. Ich kann ihr ja mal einen Tipp geben, wenn ich sie wiedersehe.“

Ich wette, sie hat gar keine Cousine, dachte Sandra. Sie redet einfach nur drauflos. Wann wird sie endlich sagen, was sie wirklich loswerden möchte?

„Du hättest Oliver erlauben sollen, dich zu besuchen, als du zur Schälkur in der Wiesenhain-Klinik warst“, sagte Dotty.

Kommt sie jetzt zur Sache?, überlegte Sandra. „Warum?“, fragte sie.

„Er hatte Langeweile.“

„Ich war kein schöner Anblick.“

„Er sehnte sich nach dir“, sagte Dotty Simonis.

„Ich wollte nicht, dass er mich so sieht.“

Dotty schüttelte nachsichtig lächelnd den Kopf. „Ich habe ihn abgelenkt, während du weg warst.“

Sandra überlief es kalt. Sie starrte Dorothee Simonis mit zusammengekniffenen Augen an. „Was heißt abgelenkt?“

„Na ja, ich hab’ so einiges mit ihm unternommen, um zu verhindern, dass er trübsinnig wird.“

Sandra hörte das Blut in ihren Ohren brausen. Sie hat versucht, mir Oliver auszuspannen, während ich im Krankenhaus war!, dachte sie wütend. „Was unternommen?“, hörte sie sich heiser fragen.

„Kino. Disco. Fahrten ins Grüne …“

Sandra sah vor ihrem inneren Auge, wie Oliver mit Dotty ins Grüne hinausfuhr, dorthin, wo er mit ihr schon gewesen war. Er breitete in unserem Wald, auf unserer Lichtung unsere Decke aus, dachte sie aufgewühlt, legte sich mit ihr drauf. Ein bisschen reden, ein bisschen streicheln, ein bisschen schmusen und dann … O Gott, Oliver, wenn du mir untreu geworden bist, wenn du mich mit diesem Flittchen betrogen hast, während ich diese Prozedur in der Wiesenhain-Klinik über mich ergehen ließ, dann – dann …

„Fahrten ins Grüne“, echote Sandra, nahe daran, einen Tobsuchtsanfall zu bekommen.

Dotty nickte mit einem triumphierenden Glitzern im Blick.

„Und was noch?“, krächzte Sandra.

„Du kannst sicher sein, dass es mir gelungen ist, ihn auf andere Gedanken zu bringen.“ Dorothee Simonis stemmte eitel die Hände in die Taille. „Ich weiß, wie man das macht.“

„Hast du ihn verführt?“ Es ging fast über Sandras Kräfte, das zu fragen.

„Oliver ist ein hübscher Junge.“

„Habt ihr miteinander geschlafen?“, wollte Sandra mit vibrierender Stimme wissen.

„Ich bin eigentlich nur hier, um dir zu sagen, dass ich dir Oliver jederzeit gern abnehme, wenn du keine Verwendung mehr für ihn hast.“

„Würdest du jetzt bitte gehen“, sagte Sandra ganz leise, und sie fügte in Gedanken aggressiv hinzu: Ehe ich einen Lustmord begehe!

12. Kapitel

Sandra hätte am liebsten alles kurz und klein geschlagen, sobald sie allein war. Aber was konnte die Geschäftseinrichtung dafür, dass Dotty Simonis so ein Biest war? Dotty und Oliver … Dotty und Oliver … Dotty und Oliver …, hämmerte es pausenlos in ihrem Kopf. Es war kaum noch auszuhalten. Wenn es geholfen hätte, hätte Sandra so lange geschrien, bis sie die Stimme verlorenn hätte, aber sie wusste ganz genau, dass sie sich hinterher um nichts besser gefühlt hätte.

Dotty und Oliver… Was für eine entsetzliche Vorstellung!

Sosehr sich Sandra auch bemühte, dieser schreckliche Gedanke ließ sich nicht mehr verscheuchen. Glühenden Nadelstichen gleich bohrte er sich bedrohlich in ihr Herz und in ihre Seele und fing an, ihre Liebe zu vergiften.

Als sie das Geschäft schloss und Oliver kam, um sie abzuholen, hatte sie kaum noch die Kraft, ihm in die Augen zu sehen. Dotty und Oliver … Er saß auf seinem Motorroller. Sie hätte sich hinter ihn setzen sollen, aber dazu konnte sie sich nicht überwinden, seit sie wusste, dass das auch Dottys Platz gewesen war. Dotty und Oliver …

„Warum steigst du nicht auf?“, fragte er.

„Ich möchte zu Fuß gehen“, gab sie dumpf zurück.

Oliver grinste. „Soll ich neben dir herfahren?“

 

„Das brauchst du nicht.“

Oliver musterte sie irritiert. „Hast du was?“

„Ich? Wieso?“

„Geht es deiner Großmutter nicht gut?“

„Sie wird bald entlassen“, antwortete Sandra.

„Irgendetwas ist mit dir.“ Oliver betrachtete sie eingehend. „Bist du etwa sauer auf mich?“ Er schien sich das nicht vorstellen zu können, stieg von seinem Motorroller und trat auf sie zu.

„Kann schon sein.“ Sie wich zurück.

„Darf ich den Grund erfahren?“

„Mach es dir nicht so einfach. Denk nach.“

Er hob die Schultern. „Ich bin mir keiner Schuld bewusst.“

„Wirklich nicht?“ Sie erdolchte ihn beinahe mit ihrem Blick.

„Wirklich nicht.“

„Dein Gewissen ist rein?“, fragte sie spröde.

„Reiner geht es gar nicht.“

„Verlogener Mistkerl!“, zischte sie. Sie konnte sich einfach nicht mehr länger beherrschen.

„He, Moment mal, würdest du mir bitte erklären …“

„Du dachtest wohl, du könntest mich für dumm verkaufen.“

„Würdest du die Güte haben, mir zu verraten, was los ist?“, fragte Oliver Wiechert nun etwas ärgerlich. „Ich weiß überhaupt nicht, worum es hier geht.“

„Es geht um Liebe. Es geht um Treue. Es geht um Vertrauen.“

„Ja? Und? Weiter. Ich höre.“

„Dotty war bei mir“, sagte Sandra bebend.

Oliver zog die Augenbrauen zusammen und nickte finster. „Langsam fange ich an zu verstehen.“

„Wir hatten ein höchst unerfreuliches Gespräch.“

„Das kann ich mir vorstellen. Was hat Dotty gesagt? Was für Lügen hat diese Hexe dir erzählt?“ Zorn ließ Olivers Wangen zucken.

„Lügen?“ Das klang skeptisch und ironisch zugleich.

„Ja, Lügen.“

„Stimmt es etwa nicht, dass du dich mit ihr getroffen hast, während ich in der Wiesenhain-Klinik war?“

„Schon, aber …“

„Ohne mein Wissen.“ Sandras Stimme klang anklagend, böse, gekränkt.

Er wand sich wie ein getretener Wurm, schien nach einer überzeugenden Erklärung zu suchen. „Sandra, ich …“

„Hinter meinem Rücken“, fiel sie ihm streng ins Wort.

„Hinter deinem Rücken.“ Er ächzte und verdrehte die Augen. „Wie das klingt.“

„Kino. Disco. Fahrten ins Grüne …“

„Naja …“

„Sieh mir in die Augen und sag mir, dass das Lügen sind, Oliver!“, verlangte Sandra hart. Er sah ihr in die Augen, sagte aber nichts. Sie nickte aufgewühlt. „Danke, diese Antwort reicht mir.“ Sie drehte sich um und wollte gehen.

Er griff blitzschnell nach ihrem Handgelenk und hielt sie zurück. „Merkst du nicht, was Dotty beabsichtigt? Sie will uns entzweien. Wir dürfen das nicht zulassen.“

„Sie ist scharf auf dich. Sie kann dich haben.“

„Sandra!“

Sie wollte sich aus seinem Griff befreien, doch es gelang ihr nicht. „Lass mich los.“

„Nein, Sandra.“

Ihr hübsches Gesicht verzerrte sich schmerzlich. Sie hätte ihm am liebsten einen Tritt vors Schienbein gegeben. „Du tust mir weh.“

„Du tust mir auch weh, weil du so wenig Vertrauen zu mir hast.“

„Ich habe dir vertraut, und was hast du getan? Du hast dich mit Dorothee Simonis vergnügt.“

„Ich habe mich nicht mit ihr vergnügt.“ Er atmete schwer aus. „Na schön, ich habe mich ein paarmal mit ihr getroffen, aber es war immer ganz harmlos.“

„Harmlos! Mit Dotty! Für wie blöd hältst du mich eigentlich?“

„Ich schwöre es.“

„Du begehst also auch noch einen Meineid.“

„Herrgott noch mal, kann man denn kein vernünftiges Wort mehr mit dir reden?“ Er ließ endlich ihr Handgelenk los.

Sandra stürmte aber nicht davon. „Wenn die Sache wirklich so harmlos war, wie du mir weismachen möchtest – warum hast du mir dann nichts davon erzählt?“, fragte sie.

„Ich wollte nicht, dass du irgendwelche falschen Schlüsse daraus ziehst.“

„Da hast du es mir lieber verschwiegen.“ Sie rieb sich ihr gerötetes Handgelenk.

„Ich weiß doch, was du von Dotty hältst.“

„Warum hast du dich ausgerechnet mit ihr getroffen?“

Oliver zuckte die Schultern. „Es hat sich so ergeben.“

„Hast du im Ernst geglaubt, ich würde nie davon erfahren?“

„Na schön, ich habe einen Fehler gemacht …“

„Sie gefällt dir, gib’s zu!“, verlangte Sandra.

„Sie ist nicht hässlich, aber …“

„Sie ist stolz darauf, dass sie jeden Mann herumkriegt.“

„Sandra, ich versichere dir, es war nichts zwischen Dotty und mir. Das musst du mir glauben.“

Ihre Lippen wurden so schmal wie zwei aufeinandergelegte Messerklingen. „Sie sagte: ‚Du kannst sicher sein, dass es mir gelungen ist, ihn auf andere Gedanken zu bringen.‘ Wie würdest du das an meiner Stelle auslegen?“

„Wahrscheinlich genauso falsch wie du“, gab Oliver Wiechert zerknirscht zu.

Sie senkte den Blick, und ihre Augen glänzten feucht, als sie sagte: „Ich kann dir nicht mehr vertrauen, Oliver. Es tut mir leid.“

Er wurde blass und musterte sie nervös. „Und was nun?“

Sie schüttelte verzweifelt den Kopf. „Ich weiß es nicht.“

„Willst du nichts mehr von mir wissen? Lässt du mich stehen? Ist unsere Beziehung zu Ende?“

Ihr tat das Herz entsetzlich weh. „Ich weiß es nicht“, wiederholte sie.

„Wer soll es sonst wissen, wenn nicht du?“

„Ich – ich bin so schrecklich durcheinander, Oliver. Ich bin so wahnsinnig enttäuscht von dir.“

„Ich kann dir nur noch einmal versichern: Ich habe nichts getan.“

„Du warst nicht ehrlich zu mir, hast mir etwas verschwiegen“, sagte Sandra tonlos. „Ich komm’ da nicht drüber hinweg.“

„Liebst du mich denn nicht mehr?“

Sie sah ihn an. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. „Ich würde nicht so leiden, wenn ich dich nicht liebte.“

Er machte einen Schritt auf sie zu. „Dann lass uns doch …“

Sie hob abwehrend die Hände und schüttelte heftig den Kopf. „Nein. Nein, Oliver. Bitte tu das jetzt nicht. Damit machst du alles nur noch schlimmer.“

„Was schlägst du also vor? Eine Beziehungspause? Ist es das, was du willst?“

„Ich glaube ja.“

„Darüber wird sich Dotty mächtig freuen“, knurrte Oliver grimmig.

13. Kapitel

Sandra verbrachte eine grauenvolle Nacht mit vielen Albträumen. Immer wieder sah sie Dotty mit Oliver, und die beiden machten sich lustig über sie, verspotteten sie und lachten sie aus. Es war ihr unmöglich, zu glauben, dass zwischen Dorothee Simonis und Oliver Wiechert nichts vorgefallen war. Sie kannte schließlich Dotty – und Oliver war ein Mann, dem weibliche Reize noch nie gleichgültig gewesen waren.

Je intensiver sie darüber nachdachte, desto überzeugter war sie davon, dass hinter dem Ganzen mehr steckte, als Oliver zugeben wollte. Und das schrie nach Rache. Ich kann Oliver – wenn überhaupt – erst vergeben, wenn ich es ihm heimgezahlt habe, sagte sie sich.

Am schmerzlichsten würde es ihn mit Sicherheit treffen, wenn sie sich auf einen heißen Flirt mit Karsten Rüge einließ. Bisher war sie für Karsten tabu gewesen, doch wie würde er sich verhalten, wenn er merkte, dass sie mit Oliver Wiechert nicht mehr zusammen war?

Damit Karsten sich für sie interessierte, wollte sie ihm mit sportlichen Leistungen imponieren. Er mochte sportive Mädchen ganz besonders gern. Da war doch dieser Ausritt, den Karsten organisieren wollte. Bei dieser Gelegenheit würde sie beginnen, ihn zu umgarnen. Oliver muss leiden, dachte Sandra, erfüllt von glühenden Revanchegelüsten. Er muss genauso leiden wie ich.

Die Clique merkte sofort, dass es zwischen Sandra Falkenberg und Oliver Wiechert nicht mehr stimmte. Auch Lisa und Julian Krautmann blieb es nicht verborgen, und Lisa sagte zu ihrem Zwillingsbruder: „Sandra scheint erfahren zu haben, dass Oliver sich die Zeit mit Dotty vertrieben hat, während sie zur Schälkur war.“

„Von wem?“, fragte Julian.

„Ich kann dir nur sagen, von wem nicht: Von mir.“

„Von mir hat sie’s auch nicht“, sagte Julian.

„Dotty ist natürlich höchst zufrieden mit dieser Entwicklung.“

Julian nickte. „Das ist klar.“

„Ich begreife sie nicht. Warum ist sie bloß so?“

Julian zuckte die Schultern. „Niemand kann raus aus seiner Haut. Jeder ist, wie er ist.“

Natürlich fiel auch Karsten Rüge auf, dass Sandra und Oliver mehr oder weniger getrennte Wege gingen und nur noch in der Clique mit allen andern zusammen waren.

Ohne irgendeinen Hintergedanken fragte er: „Hör mal, Oliver, ist es zwischen dir und Sandra aus?“

Olivers Miene wurde sofort hart und verschlossen. „Warum willst du das wissen?“

„Nur so.“ Karsten Rüge grinste. „Ich bin ein neugieriger Mensch.“

Oliver zog die Augenbrauen zusammen. „Interessierst du dich für Sandra?“

„Würde dich das stören?“

„Sehr sogar.“

„Was ist passiert?“, erkundigte sich Karsten.

„Ich möchte nicht darüber reden.“

Karsten hob die Hände. „Okay. Es ist eure Sache.“

„Ich wäre dir dankbar, wenn du deine Finger von Sandra ließest.“

Karsten nickte lächelnd. „Ich hab’s zur Kenntnis genommen.“

14. Kapitel

Sandra Falkenberg bemühte sich um das Gegenteil. Sie ließ nichts aus, um Karsten Rüge für sich einzunehmen, und je mehr sie in dieser Hinsicht unternahm, desto aktiver wurde Dorothee Simonis, um Oliver Wiechert einmal mehr zu „trösten“, was wiederum dazu führte, dass Sandra sich noch mehr in Szene setzte, wenn Karsten Rüge in der Nähe war. Die Spirale drehte und drehte sich. Ein Ende war nicht abzusehen.

Mittlerweile rückte der Tag von Anette Falkenbergs Entlassung immer näher, und schließlich sagte Dr. Florian Krautmann zu ihr: „Morgen dürfen Sie nach Hause gehen, aber ich hoffe, Sie sind so vernünftig, sich noch eine Weile zu schonen.“

„Keine Sorge, Herr Doktor“, erwiderte die Patientin, „ich werde mich schon nicht überfordern. Ich weiß, was ich mir zumuten darf. Ein paar Stunden im Geschäft werden mir bestimmt nicht schaden. Ich brauche das. Nur wenn ich arbeiten kann, bin ich glücklich und bald wieder ganz gesund.“

„Ich gehe davon aus, dass Sie’s nicht übertreiben werden.“

„Darauf wird schon Sandra achten.“

Als der Klinikchef sich tags darauf von der alten Dame verabschiedete, sagte er lächelnd: „Alles Gute, Frau Falkenberg, und nehmen Sie sich vor großen Hunden in acht.“

„Beim nächsten Mal werde ich versuchen, stehenzubleiben, aber ich weiß nicht, ob es mir auch gelingen wird.“ Anette Falkenberg senkte verlegen den Blick. „Meine Angst vor Hunden ist einfach zu groß. Sie hat mich mein Leben lang begleitet. Ich werde sie wohl nie mehr los.“

„Sie könnten sich von einem guten Psychoanalytiker helfen lassen.“

„Offengestanden, ich halte von Ärzten, die den Anblick von Blut nicht ertragen, nicht viel.“ Frau Falkenberg schmunzelte. „Man sagt doch scherzhaft, Psychoanalytiker seien Ärzte, die kein Blut sehen können.“

„Die meisten von ihnen sind besser als ihr Ruf.“

„In meinen Augen ist es eine amerikanische Unsitte, andauernd zum Psychiater zu rennen“, sagte Anette Falkenberg. „Das haben wir Europäer nicht nötig.“

Auf dem Weg zum Fahrstuhl sah die alte Dame Schwester Annegret und verabschiedete sich auch von ihr.

„Alles wieder soweit in Ordnung?“, fragte die Pflegerin freundlich.

„So weit ja.“

„Sie sollten Hunden von nun an großräumig ausweichen“, bemerkte Schwester Annegret lächelnd.

„So etwas Ähnliches hat mir auch Dr. Krautmann geraten“, nickte Anette Falkenberg und gab das Lächeln zurück.