Für das Herz und die große Liebe: Arztroman Sammelband 5 Romane

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15. Kapitel

Lisa und Julian Krautmann bekamen relativ lahme Tiere. Sandra wollte unbedingt ein feuriges, temperamentvolles Pferd haben. Die kleine Gruppe wurde von Karsten Rüge angeführt.

Dorothee Simonis, die rundliche, ziemlich unsportliche Eva Schroth und der Pfennigfuchser Johannes Brauneis waren nicht dabei. Karsten war ein exzellenter Reiter, mit dem sich niemand messen konnte. Sandra Falkenberg wollte es dennoch versuchen. Sie war fest entschlossen, mit Karsten Rüge um die Wette zu reiten. Klar, dass er gewinnen würde, aber ihre Herausforderung würde ihm imponieren, und nur darauf kam es ihr an.

Es war ein wunderschöner sonniger Tag. Ein Tag zum Götterzeugen, wie Karsten soeben grinsend von sich gegeben hatte. Die Gruppe bestand aus zehn Personen, hoch zu Ross. Alle waren aufgekratzt, übermütig und bester Laune.

Julian Krautmann wandte sich an seine Schwester: „Du musst deiner klapperigen Krücke hin und wieder die Sporen geben, sonst verlieren wir dich.“

„Sieh lieber zu, dass dich dein altersschwacher Ackergaul nicht abwirft“, konterte Lisa. „Du sitzt ja jetzt schon ganz schief drauf.“

Julian reckte sich im Sattel hoch. „Ich finde, ich mache eine recht gute Figur auf diesem edlen Tier.“

Lisa betrachtete ihn belustigt. „Eigentlich hast du recht. Wie ein Ritter siehst du aus.“

„Bin ganz deiner Meinung.“

„Ein ziemlich bekannter Ritter“, sagte Lisa. „Wart mal, wie ist doch gleich sein Name? Ach ja: Don Quichote, der Ritter von der traurigen Gestalt.“

„Warum musste ich bloß als Zwilling auf die Welt kommen?“, stöhnte Julian Krautmann, konnte sich das Lachen aber nicht verbeißen.

Die Gruppe entfernte sich vom Gestüt. Karsten Rüge führte sie über große Felder, vorbei an einem stillen, idyllischen Weiher, in dessen Wasser sich die Reiter spiegelten, durch einen kleinen Wald zu weiten, sanft gewellten grünen Wiesen.

In einer Entfernung von etwa einem Kilometer stand ein großer alter Baum. „Dort machen wir Rast!“, informierte Karsten Rüge die Freunde.

Sandra Falkenberg, die die ganze Zeit neben ihm geritten war, warf ihm einen herausfordernden Blick zu. „Wer zuerst da ist.“

Karsten lachte. „Du denkst doch nicht im Ernst, du könntest mich schlagen.“

Sandra reckte keck, ihr Kinn vor. „Warum nicht?“

„Ich sitze seit meinem vierten Lebensjahr im Sattel.“

„Das wird dir heute nichts nützen, denn ich habe das schnellere Pferd“, behauptete Sandra.

„Hast du nicht.“

„Wollen wir wetten?“

„Um was?“, fragte Karsten Rüge.

„Ist mir egal. Darüber können wir nachher reden. Was ist? Nimmst du die Wette an?“

„Aber immer.“ Karsten nahm die Zügel fester in die Hand. „Ich schenke dir sogar noch einen Vorsprung von zweihundert Metern.“

„Das wird dir noch leidtun!“, rief Sandra übermütig und jagte los.

Oliver Wiechert schaute ihr mit besorgter Miene nach. In ihrem Eifer, Karsten zu gefallen, riskierte sie viel zu viel. Oliver wusste, dass sie keine besonders erfahrene Reiterin war, und er sah, dass sie weit über ihre Verhältnisse hinausging. Das ist sträflich leichtsinnig, dachte er nervös. Wenn das bloß gutgeht. Sein Herz krampfte sich zusammen. Das Mädchen ist verrückt, völlig verrückt, hallte es in ihm.

Wie eine Fahne wehte ihr aschblondes Haar hinter ihrem Kopf. Als sie sich zweihundert Meter von der Gruppe entfernt hatte, trieb Karsten Rüge seinen schönen schlanken Fuchs an. Wie ein von der Sehne geschnellter Pfeil schoss das starke, prächtige Tier los. Karsten hob sich aus dem Sattel, beugte sich über den Hals des edlen Hengstes und verfolgte Sandra. Ihr Vorsprung schrumpfte.

Die Gruppe folgte den beiden in gemächlichem Trab. „Karsten reitet wie der Teufel“, sagte Julian Krautmann mit unverhohlener Bewunderung. „Er hätte Sandra selbst bei einem Dreihundert-Meter-Vorsprung noch geschlagen.“

Soeben holte Karsten Sandra ein. Sie ritten wenige Augenblicke nebeneinander, dann zog Karsten vor und jagte seinem unangefochtenen Sieg entgegen. Sandra wollte, dass dieser Sieg so dünn wie möglich ausfiel, und hetzte keuchend hinter Karsten her. Wild trieb sie ihr Pferd an, obwohl sie sich kaum noch im Sattel halten konnte.

Sie verließ sich auf ihr Glück. Es wird schon nichts passieren, dachte sie, während sie das Allerletzte aus sich und dem Tier herausholte – und dann passierte doch etwas.

Ehe sie begriff, was mit ihr geschah, flog sie im hohen Bogen durch die Luft und landete mit ungeheurer Wucht im glücklicherweise weichen Gras.

Lisa Krautmann schrie erschrocken auf. Karsten Rüge wusste nichts von Sandra Falkenbergs spektakulärem Sturz. Er erreichte soeben den Baum, das angegebene Ziel, zügelte seinen Hengst und warf triumphierend die Arme hoch.

Zu siegen machte ihm immer wieder ungeheuren Spaß, egal gegen wen. Sandra Falkenberg hatte sich mehrmals überschlagen. Sie hatte den Kopf eingezogen, und nun trübten dunkelgraue Schleier ihren Blick.

Karsten drehte sich um und sah, was passiert war. Er ritt sofort zurück. Sandra war ziemlich benommen, aber sie zwang sich, aufzustehen.

Sie wollte nicht, dass irgendjemand ihr Vorwürfe machen oder sie gar auslachen konnte. Vielleicht hätte Oliver das getan. Wenn sie aufrecht stand und behauptete, es wäre alles in Ordnung, konnte er nichts sagen, und mit ihrer Zähigkeit würde sie Karsten Rüge bestimmt Bewunderung abringen. Hufgetrappel. Rufe. „Sandra! Bist du verletzt?“

Sandra streckte die Arme hoch. „Alles okay. Es ist alles okay.“

„Der Sturz hat böse ausgesehen!“, rief Julian Krautmann.

„Ich bin in Ordnung“, behauptete das Mädchen.

„Geht es dir wirklich gut, Sandra?“, fragte Karsten Rüge. Seine Besorgnis schmeichelte ihr.

„Klar. Und ich möchte vor Zeugen festhalten, dass ich nur ganz knapp gegen dich verlorenn habe.“

Da war ein bewundernder Ausdruck in seinen Augen. Ihre zur Schau gestellte Zähigkeit imponierte ihm offensichtlich wirklich. Mädchen, du bist auf dem richtigen Weg, sagte sich Sandra.

Karsten holte ihr Pferd. Sie hatte Schmerzen beim Aufsteigen, aber das ließ sie niemanden sehen.

Oliver tauchte neben ihr auf, sah sie besorgt an und sagte vorwurfsvoll: „Du bist nicht ganz bei Trost, so wild zu reiten. Du hättest dir den Hals brechen können.“

16. Kapitel

Als die Schmerzen nach drei Tagen noch immer nicht vergangen waren, suchte Sandra Falkenberg die Wiesenhain-Klinik auf, um sich von Dr. Krautmann untersuchen zu lassen.

Er wusste von ihrem Sturz, Lisa und Julian hatten davon berichtet, und die Untersuchung ergab nun, dass Sandra sich eine Beckenprellung zugezogen hatte.

Sie lächelte schief. „Wir Falkenbergs sorgen immer wieder dafür, dass Sie was zu tun haben.“

„Sie sind ziemlich über Ihre Verhältnisse geritten“, sagte der Chefarzt sachlich. „War das wirklich nötig?“

Sandra wiegte verlegen den Kopf. „Ich war wohl ein bisschen zu übermütig.“

„Übermut tut selten gut.“

Sandra atmete erleichtert auf. „Ich hab’ mir zum Glück nichts gebrochen.“

„Lassen Sie sich beim nächsten Ausritt ein weniger feuriges Pferd geben. Eines, wie Lisa und Julian es hatten. Und versuchen Sie bitte nicht mehr, besser zu sein als euer sportlicher Supermann Karsten Rüge.“

„Ich werde es mir hinter die Ohren schreiben“, versprach Sandra, und sie lächelte dabei so, dass niemand ihr böse sein konnte. Sie hatte nicht vor, in absehbarer Zeit wieder auf ein Pferd zu steigen.

Karsten Rüge hatte zum ersten Mal so Notiz von ihr genommen, wie sie es wollte, und das genügte ihr fürs Erste. Gestern Abend, im Café, hatte er vom Fallschirmspringen geschwärmt, und sie hatte sogleich gesagt: „Das würde ich auch gern mal probieren.“

Er hatte sie überrascht gemustert. „Hast du keine Angst, aus drei-, viertausend Metern Höhe aus dem Flugzeug zu springen?“

„Hast du denn Angst?“

„Willst du dich schon wieder mit mir vergleichen?“

„Es muss ein irres Gefühl sein, so zwischen Himmel und Erde zu schweben.“

„Es ist unbeschreiblich schön.“

„Nimmst du mich mal mit?“

Er hatte kurz überlegt und dann gemeint: „Wir könnten einen Tandem Sprung machen: ein Fallschirm, zwei Personen.“

„Hört sich gut an.“

„Du müsstest mir völlig vertrauen.“

„Du wirst schon gut auf mich auf passen und mich sicher runterbringen.“

„Ich gebe dir Bescheid, wann der nächste Sprungtermin ist.“

„Okay“, hatte sie gesagt, und nun hoffte sie, dass bis dahin ihre Beckenprellung ausgeheilt war.

17. Kapitel

Auch der Tandem-Sprung blieb für Sandra Falkenberg nicht ohne Folgen sie verstauchte sich den rechten Knöchel und landete wieder in der Wiesenhain-Klinik.

Dr. Jan Balzer verpasste ihr einen Zinkleimverband, und als sie das Behandlungszimmer verließ, humpelte sie geradewegs Dr. Krautmann in die Arme.

„Sie schon wieder?“, sagte der Chefarzt überrascht. „Was haben Sie denn diesmal angestellt?“

„Den Knöchel habe ich mir verstaucht.“

„Wobei?“

„Beim Fallschirmspringen.“

Florian Krautmann schüttelte den Kopf. „Mädchen, Mädchen.“

Sandra machte ein bedrücktes Gesicht. „Ich scheine zurzeit nicht besonders gut bestrahlt zu sein.“

„Warum treten Sie nicht etwas kürzer, wenn das so ist?“

 

„Ich wusste es bis heute ja nicht so genau“, erwiderte Sandra.

„Sind Sie schon öfter gesprungen?“

„Heute war’s das erste Mal.“

„Und das ging gleich schief.“

„Zuerst war’s wahnsinnig aufregend und wunderschön.“ Sandras Augen leuchteten. Sie war sehr stolz darauf, dass sie sich hatte überwinden können, mit Karsten aus dem Flugzeug zu springen. Mehrere hundert Meter freier Fall. Nervenkitzel. Und die bange Frage: Wird der Fallschirm sich öffnen?

„Die Landung war dann ein bisschen hart“, sagte sie. „Vielleicht waren Karsten und ich ein bisschen zu schwer.“

„Ach, Sie sind nicht allein gesprungen?“

„Nein, es war ein Tandem-Sprung.“

„Und Oliver Wiechert?“, fragte Florian Krautmann. „Sprang der auch?“

Sandra schlug die Augen nieder. „Nein, der war nicht dabei.“

Dr. Krautmann war froh, dass Julian und Lisa nicht mitgemacht hatten. Sie mussten ja nicht überall dabei sein. Es war ihm lieber, sie stürzten sich nicht allein oder mit irgendjemandem aus so einem Flugzeug, und ihre Glieder blieben heil.

Als der Chefarzt nach Hause kam und den Zwillingen von Sandras neuerlichem Besuch erzählte, sagte Lisa ernst: „Langsam mache ich mir Sorgen um sie. Es gibt Menschen, die ziehen das Unglück regelrecht an.“

„Das glaube ich nicht“, widersprach Julian. „Jeder Mensch hat mal Glück, mal Pech.“

„Aber bei Sandra fängt das Unglück an, sich zu häufen.“

„Karsten ist nicht gut für sie“, behauptete Julian. „Ihm nacheifern, ihm imponieren zu wollen, ist nicht gut für sie“, fügte er hinzu. „Und für Oliver ist es auch nicht gut. Er tut mir leid.“

„Sie bestraft ihn für das, was er getan hat“, erklärte Lisa.

„Was hat er denn getan?“, fragte Julian.

„Er war mit Dotty zusammen, während sie bei Vati in der Klinik war“, sagte Lisa. „Wir haben die beiden selbst gesehen.“

„Ich glaube nicht, dass zwischen ihnen irgendetwas vorgefallen ist, das eine so harte Strafe rechtfertigt.“

Lisa nickte finster. „Du hältst natürlich zu Oliver.“

„Und du zu Sandra.“

„Es war nicht richtig, was Oliver getan hat“, befand Lisa.

„Er hat doch nichts getan.“

„Er hat Sandra verschwiegen, dass er sich mehrmals mit Dotty getroffen hat“, sagte Lisa, „deshalb nimmt sie an, dass mehr dahintersteckt, als er zugibt.“

„Oliver ist ein anständiger Kerl, das sollte Sandra wissen.“

„Wie lange kann ein Mann anständig bleiben, wenn Dotty es auf ihn abgesehen hat?“ Lisa wirkte sehr skeptisch.

„Diese Dotty muss ja eine ganz besonders ausgekochte Person sein“, warf Melanie Krautmann ein.

„Ausgekochter als Kim?“, meldete sich Christoph zu Wort, um seine kleine Schwester ein wenig zu ärgern.

Das Nesthäkchen der Familie Krautmann warf ihm einen vernichtenden Blick zu. „Weißt du, was passiert, wenn du dich gegen eine Betonmauer lehnst? Die Mauer fällt um, denn der Klügere gibt nach.“

Florian Krautmann wandte sich an die Zwillinge. „Könnt ihr Sandra Falkenberg nicht dazu bringen, Karsten Rüge auf eine etwas weniger riskante Weise zu beeindrucken?“

„Wir können es ja versuchen“, meinte Julian ohne große Hoffnung, „aber ich glaube nicht, dass es viel Sinn haben wird. Sie ist irgendwie – durchgedreht. Seit sie diese Beziehungspause eingelegt hat, ist sie nicht mehr dieselbe. Die Trennung von Oliver tut ihr nicht gut. Sie fühlt sich bestimmt sehr mies, und um dieses unangenehme Gefühl zu unterdrücken, stellt sie die verrücktesten Dinge an. Manchmal kommt es mir so vor, als wäre sie high.“

Florian Krautmann wandte sich an Lisa. „Vielleicht nimmt sie eher einen Rat von dir an.“

Lisa nickte. „Ich werde mal mit ihr reden.“

Das tat sie tags darauf, zur Mittagszeit. Sie saßen in jenem kleinen Park, aus dem Bertram Harrers Benno geschossen war und Sandras Großmutter niedergestoßen hatte, auf einer Bank. Der Himmel über München war bleigrau.

„Sieht nach Regen aus“, stellte Sandra mit einem Blick nach oben fest.

„Wie geht es deinem Knöchel?“, erkundigte sich Lisa.

Sandra hob den Fuß und sah auf die Bandage. „Er hat mich letzte Nacht nicht schlafen lassen.“

„Jeder Extremismus hat seinen Preis.“

Sandra erwiderte mit strahlenden Augen: „Der Sprung mit Karsten war trotzdem ein Erlebnis. Den Knöchel kann man sich auch verstauchen, wenn man von einem Randstein runtersteigt. Du kannst dir nicht vorstellen, wie es ist, wenn man sich aus dem Flugzeug stürzt, Lisa. Es ist so – als würde man sich Gott in die Arme werfen. Im vollen Vertrauen darauf, dass er dich beschützt und sanft auf die Erde niederschweben lässt. Karsten und ich waren uns dort oben so wunderbar nahe. Er hielt mich fest. Natürlich war ich auch mit Gurten gesichert. Das waren die schönsten, erhebendsten und erfüllendsten Augenblicke meines Lebens.“

Sie übertreibt, dachte Lisa. Ihr Leben wäre bisher sehr armselig gewesen, wenn das schon das Schönste und Größte für sie gewesen wäre. Sicher, ein Fallschirmsprung wird schon etwas Besonderes sein, aber zu lieben und geliebt zu werden rangiert auf der Skala der schönen Gefühle auf jeden Fall weit darüber.

„Ich dachte zuerst, ich bring’s nicht“, erzählte Sandra. „Ehrlich, mich hätte beinahe der Mut verlassen. Aber wie hätte ich vor Karsten dagestanden, wenn ich nicht gesprungen wäre? Ich musste es tun. Ich konnte nicht mehr zurück, wollte mir Karstens Spott ersparen. Erst den Mund und dann die Hose voll. Irgendetwas in der Art hätte ich sicher von ihm zu hören bekommen.“ Sie lachte. „Im Vertrauen, mir haben ganz schön die Knie geschlottert. Aber ich habe es durchgestanden, und darauf bin ich sehr, sehr stolz.“ Sie breitete die Arme aus. „Wenn du die Angst überwunden hast, wenn du gesprungen bist, wenn du dich hineinfallen lassen hast in diese große, unendliche Freiheit, ist es nur noch schön.“

Lisa schwieg eine Weile, bevor sie fragte: „Du hast dir beim Reiten das Becken geprellt, hast dir beim Fallschirmspringen den Knöchel verstaucht – was steht als Nächstes auf dem Programm?“

Sandra hob die Schultern. „Weiß ich noch nicht.“

„Es ist schwierig – um nicht zu sagen unmöglich, mit Karsten mitzuhalten.“

„Ach was, Karsten kocht auch bloß mit Wasser.“

„Warum hörst du nicht auf damit, ihm imponieren zu wollen?“, fragte Lisa.

Sandra lachte übertrieben fröhlich. „Ich habe noch gar nicht richtig damit angefangen.“

„Du bringst dich immer wieder in Gefahr.“

„Ich finde langsam Gefallen daran, die Grenzen meiner Leistungsfähigkeit zu suchen.“

„Das kann auch mal ins Auge gehen“, warnte Lisa. „Das muss nicht immer nur mit einer Beckenprellung oder einem verstauchten Knöchel abgehen.“

„Du ahnst nicht, welch irre Gefühle solche Nervenkitzel auslösen“, sagte Sandra unbeeindruckt. „Da jagt so viel Adrenalin durch deine Adern, dass du davon völlig berauscht bist.“

Lisa schaute auf Sandras bandagierten Knöchel. „Wäre schön, wenn du in Zukunft etwas besser auf dich aufpassen würdest. Mein Vater und seine Kollegen haben auch ohne dich genug zu tun.“

„Ich werde Gymnastik machen, um besser in Form zu kommen. Meine Gelenke sind etwas eingerostet. Das erhöht die Unfallgefahr. Einem durchtrainierten Menschen passiert viel weniger. Solange ich mit – mit Oliver …“ Sie schien Probleme damit zu haben, diesen Namen in den Mund zu nehmen. „… zusammen war, habe ich in der Richtung nicht allzu viel getan, das muss ich nun nachholen.“

„Wie lange willst du Oliver noch leiden lassen?“

„Mal sehen.“

„Er liebt dich.“

Sandra lächelte ironisch. „Er liebt mich. Er liebt Dotty Simonis. Er liebt jedes hübsche Mädchen.“

„Und was empfindest du im Augenblick für ihn?“, fragte Lisa. „Ich bin dabei, mich der Umklammerung meiner übertriebenen Liebe zu entledigen. Ich war davon ja geradezu überwuchert, war von ihr regelrecht zugedeckt, konnte nichts mehr sehen, nicht mehr richtig atmen, nicht mehr klar denken. Ich möchte mich von diesem üppigen Schlinggewächs befreien und mein Auge endlich wieder für die Realität schärfen.“

„Ist Karsten Rüge denn die Realität für dich?“, erkundigte sich Lisa.

Sandra warf einen Blick auf ihre Armbanduhr und stand auf. „Ich muss gehen.“

„Lass Oliver nicht länger leiden, Sandra.“ Lisa erhob sich ebenfalls.

Sandra lächelte kühl. „Hat er dich zu seiner Fürsprecherin auserkoren?“

„Nein. Ich bin zu dir gekommen, weil ich mir Sorgen um dich mache.“

„Das brauchst du nicht. Ich bin wie eine Katze: Ich habe sieben Leben und falle immer auf die Pfoten.“

„Und manchmal verstauchst du dir eine Pfote“, sagte Lisa sarkastisch.

„Ich werde bald so fit sein, dass so etwas nicht mehr vorkommen kann“, behauptete Sandra, verließ humpelnd mit Lisa den kleinen Park – und die ersten Regentropfen fielen vom dunklen Himmel.

18. Kapitel

„Ich habe Sandra ins Gewissen geredet“, berichtete Lisa, als ihr Vater am Abend heimkam. Es regnete noch immer, und zwischendurch flammten grelle Blitze auf und ließen schmetternde Donner die Krautmannsche Villa erbeben.

„Und?“, fragte Florian Krautmann neugierig. „Hat es genützt?“

„Nicht sofort“, antwortete Lisa. „Das muss sich jetzt erst mal langsam setzen, muss in Ruhe durch ihren eingebauten Filter sickern. Wir werden sehen, wie viel sie von dem, was ich gesagt habe, durchlässt. Wenn es nicht genug ist, werde ich sie mir in ein paar Tagen noch mal vornehmen.“

Ein gleißender Blitz. Ein brüllender Donner. In der Küche gab es Scherben. Und nach dem Klirren machte sich Cäcilie wütend Luft: „Himmelsakraherrschaftszeitennochmal!“ Florian Krautmann schmunzelte. „Dicke Luft in der Küche. Da geht jetzt besser keiner von uns rein.“

„Verrecktes Gewitter, verrecktes!“, schimpfte Cäcilie, ohne wohl zu ahnen, dass sie im ganzen Haus zu hören war.

„Sie hat Angst vor Gewittern“, grinste Christoph.

„Aber das würde sie niemals zugeben“, bemerkte Julian.

„Ich hoffe, ihr seid alle so taktvoll und zieht sie nicht auf“, wandte sich Melanie Krautmann an ihre Kinder.

„Ich finde, es ist keine Schande, sich vor Gewittern zu fürchten“, sagte Kim bedrückt.

„Du würdest ja selbst am liebsten unter den Tisch kriechen“, stänkerte Christoph, doch sie machte ihm nicht die Freude, etwas zu erwidern.

„Im Haus fürchte ich mich nicht“, sagte Lisa. „Aber ganz allein auf einem Feld, in Gottes freier Natur, möchte ich jetzt nicht sein.“

„Pst, sie kommt“, zischte Kim, als die Wirtschafterin die Küche verließ.

„Hat es vorhin in der Küche geklirrt, Cäcilie?“, fragte der vierzehnjährige Christoph scheinheilig.

„Christoph!“ Melanie Krautmann sah ihn streng an und schüttelte den Kopf.

Die Haushälterin wandte sich an sie. „Diese alte Suppenterrine – die mit dem Sprung … Jetzt ist sie ganz hin.“

Melanie winkte ab. „Ist nicht so schlimm, Cäcilie. Wir wollten sie ohnedies bereits ausmustern.“

„Jetzt fiel sie der natürlichen Auslese zum Opfer“, bemerkte Julian, und seine Zwillingsschwester hatte Mühe, ernst zu bleiben.