Extra Krimi Paket Sommer 2021

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»Mich laust der Affe!«

In letzter Sekunde schluckte sie den Einwand herunter, das tue er schon selbst. »Das darf doch nicht ...« Er drückte auf eine Taste der Sprechanlage: »Eva? Bitte sofort die Akte Tepper, Wolfgang ... Nein, in der Treuhänderabteilung ... Danke.«

Als er sich Karin wieder zuwandte, sah er eine Spur ernsthafter aus: »Gedulden Sie sich bitte eine Minute? Ich glaube, ich warte bereits seit sieben Jahren auf Sie.«

»Wie meinen Sie das?«, fragte sie verwirrt.

»Gleich, Eva ist sehr - da ist sie ja schon.« Das junge Mädchen lächelte und reichte ihm hastig eine Akte, die er sofort aufschlug, ein kaum hörbares »Danke« murmelnd. Wer für ihn arbeitete, musste sich seinem Tempo anpassen.

»Tatsächlich - Sie heißen Karin Tepper, nicht wahr?«

»Ja, ja.«

»Können Sie sich irgendwie ausweisen - Pass, Personalausweis, Geburts- oder Heiratsurkunde?«

»Ich habe alles dabei«, stotterte Karin betäubt.

»Umso besser. Dann werden Sie diesen Raum sehr viel reicher verlassen, als Sie ihn betreten haben.«

»Ich verstehe nicht ...«

»Entschuldigung, der Reihe nach - und setzen Sie sich besser fest hin!«

Vor sieben Jahren war Wolfgang Tepper hier erschienen, um eine Vermögensfrage mit dem Notar zu bereden. Seine Ehefrau Karin hatte ihn Knall auf Fall verlassen und war seitdem nicht mehr erreichbar. Ihren Entschluss, ihn nie wieder zu sehen, hatte sie in einem handschriftlichen Brief niedergelegt, den er eines Abends in der leeren Küche gefunden hatte. An die leere Kaffeekanne gelehnt, wie sich das so gehörte.

Sie nickte atemlos.

In diesem Schreiben hieß es wörtlich: »Mach mit dem Haus und den Möbeln, was du willst.«

»Das stimmt«, warf sie eilig ein und Schütz lachte: »Kennen Sie diese Handschrift?«

Dabei hielt er ihr die Akte hin und sie schnappte nach Luft: »Das ist doch mein Brief ...«

»Genau. Ihr Mann wollte das Haus verkaufen - er brauchte Geld, nicht wahr?«

»Ja, er war mit seiner Firma in Schwierigkeiten geraten ...«

»Es bestand der Verdacht eines betrügerischen Konkurses«, berichtigte Schütz, und obwohl er dabei schmunzelte, erreichte die Heiterkeit seine Augen nicht.

Sie seufzte: »Ja. Für einige Zeit hatte der Staatsanwalt sogar mich in Verdacht, da mitgemacht zu haben, aber ich wusste wirklich nichts von den Geschäften meines Mannes.«

»So hat Ihr Mann es auch dargestellt. Jedenfalls eilte es ihm mit dem Verkauf und von mir wollte er wissen, ob diese Passage in dem Brief eine Blanko-Einverständniserklärung sei und wie er es mit Ihrem Anteil halten müsse. Sie waren nämlich im Grundbuch als hälftige Eigentümerin eingetragen.«

»Und?«

»Er hat verkauft und ich habe für Ihren Anteil ein Treuhandkonto eingerichtet.«

»Wie bitte?«

»Für Ihren Anteil, Frau Tepper. Er wollte alles Geld einstreichen, aber da haben ich und das Gericht nicht mitgespielt. So, und wenn Sie mir nun beweisen, dass Sie wirklich Karin Tepper, die Ehefrau des Wolfgang Tepper sind, können Sie bald über eine gute halbe Million Mark verfügen.«

Abends saß sie an der Hotelbar und kniff sich ab und zu in den Arm, um sich zu vergewissern, dass sie nicht träumte. Nicht einmal in ihren größten Fantasien hatte sie sich ausgemalt, sie werde noch Geld für das Haus bekommen, sie hatte es in dem Moment abgeschrieben, vergessen, als sie mit Martin in das Flugzeug gestiegen war. Sie brauchte kein Geld, Martin hatte ihr alles vererbt, was er besaß, und das war nicht wenig. Außerdem hatte die Lebensversicherung nach seinem Absturz gezahlt und sie hatte nicht geahnt, dass die Police auf eine halbe Million Dollar lautete. Dazu jetzt mehr als 500.000 Mark, es war nicht zu glauben. Sie kicherte albern und nippte an ihrem Drink. Unvorstellbar. Ein Märchen. Hinter ihr schmalzte der junge Pianist, sie drehte sich um und warf ihm eine Kusshand zu.

Doch in einem Punkt hatte der Besuch bei diesem Unernsten mit einer Enttäuschung geendet. Schütz hatte keine Ahnung, wo sich Wolfgang zurzeit aufhielt. Während des Verkaufs hatte Wolfgang in Frankfurt gewohnt, in der Odenwaldstraße. Dorthin schickte ihm Schütz auch die Benachrichtigung des Grundbuchamtes, doch dieser Umschlag kam mit dem Vermerk Adressat unbekannt verzogen zurück. Zwei Wochen lang hatte Schütz alles versucht, Einwohnermeldeamt, Post, Bank, Vermieter, aber ohne Erfolg; niemand konnte ihm mitteilen, wohin Wolfgang gezogen war. Zum Schluss hatte es den Notar so geärgert, dass er sogar eine Privatdetektei beauftragte, aber auch die konnte den Aufenthaltsort nicht ausfindig machen. Wolfgang Tepper hatte sich in Luft aufgelöst, nachdem die Überweisung des alten Herrn, der das Haus erworben hatte, auf dem Konto eingegangen war und er über seine Hälfte verfügte. Schon dreißig Monate später gab der neue Eigentümer das Haus auf, weil der alte Herr nach einem schweren Sturz ein Pflegefall geworden war. Über Schütz verkaufte er das Haus an das junge Ehepaar Alberts.

Musste sie Wolfgang eigentlich aufstöbern? Gab es nicht auch eine Möglichkeit, sich ohne ihn scheiden zu lassen?

»Ich nehme noch einen«, sagte sie zu dem Barkeeper, der schon eine ganze Weile überlegte, warum eine so attraktive Frau allein in einer wenig belebten Hotelbar saß.

»Gerne.«

Was wollte sie denn von ihrem Mann hören? Dass er ihr verziehen hatte? Als ob sie darauf überhaupt Wert legte! Wie es ihm ergangen war? Wenn er nun vor der Justiz abgetaucht war, die sich damals so intensiv für seine Geschäfte interessiert hatte? War das überhaupt schon verjährt?

»Ihr Drink.«

»Vielen Dank. Fragen Sie doch bitte den Klavierspieler, ob er auch etwas trinken möchte.«

»Selbstverständlich, gnädige Frau.« Sein geschultes Gesicht verriet kein Erstaunen; sie hatte doch nicht etwa Gefallen an diesem Tasten-Schlaffi gefunden?

Gut, also ohne Wolfgang. Und nun? Diese Drinks schmeckten nach Obst, aber enthielten wohl mehr Alkohol, als man ihnen ansah. Was fing sie jetzt mit ihrem Leben an?

»Hei, Karin, tut mir Leid, dass ich mich verspätet habe, aber die City war wieder einmal dicht.«

Gerd hatte sie fast schon vergessen, sie zuckte schuldbewusst zusammen und hielt still, als er sie umarmte und küsste.

»Du bist es tatsächlich. Und schöner denn je!«

»Du siehst auch nicht schlecht aus«, antwortete sie hastig. Daran hätte sie denken sollen, Gerd Arkenthin war schon immer ein berüchtigter Schürzenjäger gewesen und hatte auch vor der Frau seines angeblich besten Freundes Wolfgang nicht Halt gemacht. Ihn abzuweisen hatte sie viel Mühe gekostet, doch jedes Nein schien ihn nur noch mehr anzufeuern.

»Danke für das Kompliment«, erwiderte er eitel und schnipste nach der Bedienung. »Wo hast du dich bloß all die Jahre über versteckt?«

Es half nichts, sie musste ihre Geschichte wiederholen, aber irgendetwas warnte sie, ihre finanziellen Verhältnisse ehrlich zu schildern oder das Geld aus dem Hausverkauf zu erwähnen. Der Pianist wünschte einen Gin Tonic, was Gerd erbost zur Kenntnis nahm, sie genehmigte sich noch einen dieser wundervollen fruchtigen Drinks und hätte fast gelacht, als sie zum ersten Mal seine Hand von ihren Beinen entfernen musste. Sehr gekränkt gehorchte er und sie erkannte in seiner Schmollmiene plötzlich Wolfgang wieder, der es auch nicht vertragen hatte, zurückgewiesen zu werden, und ein Nein nicht hinnehmen konnte. Es ernüchterte sie wie eine kalte Dusche und deshalb rückte sie mit ihrem Hocker ein Stück zur Seite.

»Gerd, ich muss Wolfgang finden«, erklärte sie so ernsthaft, dass selbst er begriff - an ihm hatte sie kein Interesse.

»Da bist du bei mir an der falschen Adresse«, knurrte er.

»Wieso denn das? Ich denke - ich habe immer gedacht, du bist sein bester Freund?«

»Das war ich vielleicht einmal.«

»Was heißt das im Klartext?«

»Wir haben uns - Moment mal — vor sieben Jahren das letzte Mal getroffen. Richtig, du warst schon abgehauen und er hatte sich eine kleine Wohnung in Frankfurt gemietet.«

»In der Odenwaldstraße.«

»Stimmt! Woher weißt du das?«

»Ich sagte doch, ich suche ihn.« Den Teufel würde sie tun, den Notar Dr. Schütz ins Gespräch zu bringen.

»Ah, richtig, ja, so.« Machte der Alkohol hellsichtig oder bildete sie sich nur ein, dass Gerd jetzt scharf überlegte, wie weit sie sich mit Lügen und Erfindungen abspeisen ließ? »Damals stand Wolfgang ziemlich unter Druck, finanziell, meine ich.«

»Ich weiß, ich bin damals auch vom Staatsanwalt vorgeladen worden.«

»Wirklich? - Also, von seinen Geschäften hat er mir nie viel erzählt.« Woher nahm sie nur die Gewissheit, dass dieser Satz schamlos gelogen war? »Wolfgang brauchte Geld, ganz dringend, und hat Gott und die Welt angebettelt. Ich konnte ihm nur eine Kleinigkeit leihen, so flüssig war ich zu der Zeit auch nicht.«

Das warst du nie, berichtigte Karin bei sich. Wieso war ihr früher nie aufgefallen, dass der schöne Gerd Arkenthin nur ein Blender und Schnorrer war? »Na ja, und eines Tages brauchte ich meine Mäuse zurück, ziemlich dringend sogar, aber da war er aus der Wohnung verschwunden. Ohne Nachsendeadresse«, setzte er giftig hinzu und musterte sie von der Seite,

»Wie hoch waren eigentlich seine Schulden?«, nuschelte sie harmlos und drehte sich nach dem Pianisten um, der gerade den Flügel zuklappte und ihr fröhlich zuwinkte. Was sie genauso freudig zurückgab.

»Was hast du bloß mit dem blöden Kerl?«

»Nichts, er hat nur so schön gespielt. Also: Wie viel?«

»Ich schätze, um die vier Millionen.«

 

»Donnerwetter!«, sagte sie ehrlich beeindruckt.

»Das waren seine privaten Schulden. Ich möchte nicht wissen, wie viel seine Anlegerkunden verloren haben.«

»Um die zwanzig«, versetzte sie heiter. »Das weiß ich vom Staatsanwalt, der Wolfgang anklagen wollte. Wegen betrügerischen Konkurses, Betrug, Unterschlagung und noch so einer Sache, Verstoß gegen das Kreditgesetz oder so ähnlich.«

»Bist du deswegen abgehauen?«

»Nicht nur, lieber Gerd.« Sein Gesicht hellte sich auf, seine Hand bewegte sich schon wieder und sie drohte ihm mit dem Zeigefinger: »Das Berühren der Figüren mit den Pfoten ist verboten. Nein, nicht nur deswegen. Ich hatte ihn satt, bis oben hin, und dann bin ich einem richtigen Mann begegnet.«

»Diesem Carlsson.«

»Ja, Martin. Du darfst mir glauben, wenn ich eine Anschrift von Wolfgang hätte, würde ich alles schriftlich erledigen.«

Daran hatte Arkenthin zu kauen, geistesabwesend bestellte er noch einen Whisky und spielte mit seinem Feuerzeug, während er sichtlich grübelte. Endlich murmelte er: »Der teure Wolfgang hatte eine Menge Leute angepumpt, bevor er das Weite suchte.«

»Das kann ich mir gut vorstellen.«

»Und einige sind immer noch nicht bereit, ihr Geld abzuschreiben.«

»Auch das verstehe ich.«

»Deswegen glaube ich nicht, dass man ihn so leicht aufstöbern kann.«

»Denkbar«, stimmte sie so aufgekratzt zu, dass er sie misstrauisch von der Seite anschielte. »Aber versuchen möchte ich es, das verstehst du doch?«

»Vielleicht«, brummte er vor sich hin. Ach nein, das lief alles nicht so, wie er sich das vorgestellt hatte, und am meisten amüsierte sie, dass man in seinem Gesicht lesen konnte wie in einem aufgeschlagenen Buch. Der gute Gerd hatte geglaubt, sie entweder ins Bett zerren zu können oder sein Geld zurückzubekommen, und wahrscheinlich hatte er auf beides spekuliert. Diesen Zahn würde sie ihm ziehen, und zwar ohne Betäubung, deshalb rutschte sie von ihrem Hocker: »Es war nett, dich einmal wieder zu sehen, aber jetzt muss ich gehen. Gute Nacht, Gerd, und danke für die Einladung.«

Bevor er protestieren konnte, hatte sie schon den Ausgang erreicht.

III.

Das Zimmer war klein und nüchtern möbliert, ein Schreibtisch, zwei Stühle für Besucher, die Wände mit Aktenschränken zugestellt. Auf dem Fensterbrett kümmerten mehrere Kakteen und ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass andere Pflanzen wahrscheinlich längst verdurstet wären. Denn der große Mann mit dem schmalen, scharfen Gesicht und der Adlernase sah nicht so aus, als verschwendete er einen Gedanken an so etwas Überflüssiges wie Blumen.

»Sie erinnern sich nicht mehr an mich?«

»Nein. Müsste ich denn, Frau -« er schaute auf ihre Visitenkarte, die er säuberlich genau auf die Mitte der grünen Schreibunterlage platziert hatte - »Frau Tepper?«

»Es ist lange her, jetzt sieben Jahre, da habe ich auch vor Ihnen gesessen, allerdings in einem anderen Gebäude und in einem anderen Zimmer.«

Oberstaatsanwalt Dr. Driesch lächelte höflich und wünschte sich, sie möge endlich zur Sache kommen. Hübsch war sie ja, sogar attraktiv, aber schöne Frauen beeindruckten ihn schon lange nicht mehr, zumindest nicht, wenn er ihnen im Gebäude der Staatsanwaltschaft begegnete und noch nicht wusste, wen er vor sich hatte, eine Zeugin, eine Geschädigte oder eine Beschuldigte.

»Sie hatten damals ein Ermittlungsverfahren gegen meinen

Ehemann, Wolfgang Tepper, eingeleitet. Verdacht auf Konkursbetrug und noch ein paar andere Delikte.«

»Tepper, Wolfgang«, wiederholte er nachdenklich. In seinem Hinterkopf bimmelte ein winziges Glöckchen.

»Und eine Zeit lang hatten Sie mich verdächtigt, ich sei an den Geschäften meines Mannes beteiligt gewesen.«

»Es dämmert, aber im Moment noch zu schwach.«

»Eines Tages haben Sie mir dann erklärt, es bestünde kein Verdacht mehr gegen mich. Am nächsten Tag habe ich meinen Mann verlassen, übrigens ohne Aussprache, für ihn kam es wie der Blitz aus heiterem Himmel, und bin mit einem anderen Mann nach Amerika gezogen.«

»Ist Ihr Mann denn angeklagt und verurteilt worden?« Verflixt, woran erinnerte ihn dieser Name Tepper bloß?

»Das weiß ich eben nicht. Ich bin aus dem Haus gegangen und habe seitdem mit meinem Mann nie wieder gesprochen oder etwas von ihm gehört.« Sie verzog den Mund, »Ich weiß nicht einmal, ob ich noch mit ihm verheiratet bin.«

»Das kann unter Umständen fatal werden«, stimmte er zu und sie schmunzelte über seinen trockenen Humor.

»So, und nun habe ich alles versucht, Wolfgang - meinen Mann - aufzustöbern. Bank, Einwohnermeldeamt, Rechtsanwalt, Nachbarn, seine Freunde, seine frühere Mitarbeiterin, Nichts, nichts und nochmals nichts.«

»Deshalb sind Sie zu mir gekommen?«

»Ja, Sie sind sozusagen meine letzte Hoffnung.«

Allmählich fand er Gefallen an der verrückten Geschichte. »So weit sollte man es nicht kommen lassen, dass ein Staatsanwalt die letzte Hoffnung darstellt.«

»Ach, enttäuschen Sie mich nicht. Ist mein Mann denn nun angeklagt und verurteilt worden? - Halt, halt, schauen Sie mich nicht so grimmig an. Denn dann muss er doch in einem Gefängnis gewesen sein und bei der Entlassung eine Anschrift angegeben haben.«

»Theoretisch korrekt, Frau Tepper. Aber praktisch kann ich Ihnen keine Auskunft geben.«

»Können Sie nicht oder dürfen Sie nicht?«

»Über das Zweite denke ich nach, wenn das Erste nicht mehr zutrifft.« Er griente und legte den Kopf schräg, weil sie die komplizierte Antwort erst einmal auseinander sortieren musste, und als sie dann entrüstet schnaufte, lachte er unterdrückt: »Frau Tepper, ich muss einfach in die Akten steigen. Tut mir Leid, aber auch Staatsanwälte vergessen.«

»Und sieben Jahre sind eine lange Zeit«, ärgerte sie ihn fröhlich. »Darf ich morgen wiederkommen?«

»Rufen Sie besser vorher an, morgen ist eine lange Verhandlung terminiert.« Aus einer Schublade holte er eine Karte und reichte sie ihr über den Tisch. »Ich will sehen, was ich für Sie tun kann.«

»Vielen Dank, Herr Dr. Driesch. Bis morgen dann.«

Der Duft ihres Parfüms hing noch eine Weile in der Luft. Er schnupperte, mit den Gedanken weit weg. Der Name Tepper hatte etwas wachgerufen, und wenn er sich auf sein Gefühl verließ, war das nicht angenehm gewesen. Eher ärgerlich ... Ach was, es würde ihm ja doch keine Ruhe lassen.

Er steckte den Kopf in das Sekretariatszimmer: »Frau Schilde, tut mir Leid, Sie müssen sofort ins Archiv. Tepper, Wolfgang, ein Ermittlungsverfahren vor etwa sieben Jahren wegen betrügerischen Konkurses oder Betruges. Ach so, und auch seine Frau, Tepper, Karin.«

»Mach ich, aber zuerst müssen diese Briefe raus.«

»Natürlich«, willigte er rasch ein. Mit einer gereizten Hildegard Schilde legte er sich nicht gerne an und objektiv betrachtet wurde sie von ihm und seinem Kollegen überlastet. Es kniff an allen Ecken und Kanten, die Arbeit nahm zu, das Personal wurde abgebaut.

Kurz vor Dienstschluss knallte ihm die Sekretärin zwei Hängemappen auf den Schreibtisch: »Ich gehe jetzt.«

»Danke, und einen schönen Abend noch.«

Tepper, Wolfgang, tatsächlich betrügerischer Konkurs, Betrug, Unterschlagung und Urkundenfälschung in wenigstens zehn Fällen. Eine Investment- und Anlage-Beratungsfirma - verflucht, er hatte doch Recht gehabt. Eine Buchführung nach Art der sumerischen Keilschrifttäfelchen, Ganze Bestände der Korrespondenz vernichtet, als die Staatsanwaltschaft die Geschäftsräume durchsuchte, na klar, der Kerl hatte einen Tipp bekommen oder geahnt, dass mehrere enttäuschte Kunden ihn angezeigt hatten. Gesamtschaden um die 18,6 Millionen, der Betrug sprang einem förmlich entgegen, aber es fehlten die Beweise, die schriftlichen Unterlagen. Und Tepper hatte gestrampelt wie der Frosch, der in den Milchkrug gefallen war. Einer der leider nicht seltenen Fälle, in denen man alles wusste und kaum etwas beweisen konnte. Darüber hatte Driesch sich aufgeregt, das tat er auch heute noch, sieben Jahre klüger und zynischer, aber dass ihm dieser Fall im Gedächtnis ... Da steckte das Blatt. Die Anweisung des leitenden Oberstaatsanwaltes, das Ermittlungsverfahren einzustellen. Er hatte remonstriert, Donnerwetter, damals pflegte er noch einen saugroben Ton, der aber auch nichts genutzt hatte, zweite Anweisung und der beiläufige Hinweis auf eine mögliche Änderung der Geschäftsverteilung. Driesch grunzte. Der Leitende gehörte zur Gattung der arroganten Besserwisser und hatte von oben herab genäselt: »Den kriegen Sie ja doch nicht, verschwenden Sie nicht wertvolle Zeit an eine aussichtslose Sache.« Was sachlich vielleicht nicht einmal falsch war, aber der Ton bestimmte nun mal die Musik und der hässliche Gedanke, dieser Tepper habe irgendwo einen Gönner, der eine schützende Hand über ihn hielt, hatte ihn noch viele Wochen gequält, nachdem er der Anweisung gefolgt war. Tepper, Karin - nein, von ihrer Unschuld hatte er sich selbst überzeugt.

Am nächsten Tag nieselte es, das Zimmerchen war kühl und Karin hauchte auf ihre kalten Finger.

»Das Ermittlungsverfahren gegen Ihren Mann ist eingestellt worden«, erklärte Driesch nüchtern und beobachtete die Frau scharf. Die Auskunft schien sie zu erstaunen, aber vielleicht schauspielerte sie auch nur überzeugend.

»Das ist ja - dann wissen Sie also nicht, wo Wolfgang - mein Mann - jetzt steckt?«

»Nein, Frau Tepper, die Justiz hat kein Interesse mehr an Ihrem Mann.«

»Was soll ich denn jetzt tun?«, fragte sie hilflos und Driesch zuckte die Achseln: »Haben Sie einmal an einen Privatdetektiv gedacht?«

»Da war ich schon, bei Altmann & Müller, aber die haben abgewinkt. Keine Chance, meinen sie.«

»Das spricht für ihre Seriosität«, versetzte er burschikos. »Tja, das wär's dann wohl, Frau Tepper.«

Für Feiern hatte Norbert Driesch nicht viel übrig, erst recht nicht, wenn sie in der deprimierend hässlichen Kantine der Staatsanwaltschaft stattfanden. Aber vor der Verabschiedung seines Kollegen Samtleben konnte er sich nicht drücken und deshalb handelte er mit sich selbst einen Kompromiss aus: Er würde sich erst nach den feierlichen Reden dort blicken lassen; dann war zwar das kalte Buffet bis auf klägliche Reste geplündert, aber darauf verzichtete er ohnehin gern. Vielleicht ergab sich die Gelegenheit, ein paar private Sätze mit Samtleben zu wechseln, den er wegen seiner ruhigen, bedächtigen Art mehr als die meisten anderen Kollegen schätzte. Bei ganz viel Glück traf er auch die Neue ... Er klemmte die Mundwinkel ein.

Die Reihen hatten sich tatsächlich schon gelichtet, aus Erfahrung erkannte Driesch, dass sich bereits die harten Kerne bildeten, die bis kurz vor Mitternacht durchhalten würden, entweder hier oder in einer Kneipe neben dem Landgericht. Es roch durchdringend nach Wein und Bier, unter der Decke schwebte der blaue Baldachin aus Zigaretten- und Pfeifenrauch und aus einer Gruppe erscholl ein Lachen, wie es nur deftige Männerwitze auslösten. In der entferntesten Ecke hielt der leitende Oberstaatsanwalt Hof und Driesch schnitt eine Grimasse. Der Leitende hieß Hommel, der Spitzname Hammel ergab sich also unvermeidlich und wie ein Leithammel benahm er sich gelegentlich auch. Zu Beginn seiner Laufbahn war Hommel schnell befördert worden, alle prophezeiten ihm eine blendende Karriere, aber aus unerfindlichen oder gut geheim gehaltenen Gründen erlitt sie einen Knick. Seitdem kompensierte Hommel seine Frustrationen durch peinliche Anbiederung oder ebenso unverständliche Feindseligkeit. Driesch ging ihm aus dem Weg, zwischen ihnen herrschte eine Art brüchiger Waffenstillstand, den keiner von ihnen testen oder durch mehr als unvermeidliche Kontakte belasten wollte.

»Ich habe Sie schon vermisst«, tadelte Samtleben neben ihm vergnügt und Driesch lachte ihm zu: »Sie kennen doch meine klaustrophobischen Anwandlungen.«

»Es war wirklich unerträglich eng.«

»Wie alles in diesem Hause.«

Den Doppelsinn hatte Samtleben natürlich verstanden und deshalb gestand er verschwörerisch: »Ich bin eine gespaltene Persönlichkeit ...«

»Ah ja?«

»Doch, doch. Einerseits leugne ich nicht, dass ich den Betrieb vermissen werde, aber auf der anderen Seite übt der Gedanke, mit all dem nichts mehr zu tun zu haben, einen gewaltigen Reiz aus.«

»Sie waren klug genug, sich rechtzeitig ein Hobby zuzulegen.«

 

Vor drei Jahren hatte Samtleben seinen ersten Aufsatz über die Entwicklung der niederen Gerichtsbarkeit im Erzbistum Trier veröffentlicht, der von der historischen wie der juristischen Zunft sehr wohlwollend aufgenommen worden war, und Driesch wusste, dass der Kollege jetzt jede freie Stunde in Archiven und Bibliotheken verbrachte.

»Ach, Hobby, Herr Driesch. Das alte Geschäft auf der Basis der Freiwilligkeit.«

»Aber immerhin ohne einen Leithammel im Nacken.«

»Dafür allerdings danke ich aus ganzem Herzen.«

»Ich wünsche Ihnen viel Glück, viel Zeit und viel Gesundheit. Dass ich Sie nicht gern davonziehen sehe, wissen Sie ja.«

Samtleben kniff ihm ein Auge zu; sie gaben sich nicht die Hand, dazu verstanden sie sich zu gut. Außerdem war beiden klar, dass Samtleben noch mehr als einmal hier zu Besuch erscheinen würde, er zählte zu den glücklichen Menschen, die ohne Groll und Kränkung aus ihrem Beruf schieden.

Eine Viertelstunde schlich Driesch durch den Saal, redete ein paar Sätze mit einigen Kolleginnen und Kollegen, hielt sich aber bei keiner Gruppe länger auf, weil er in einer Ecke die neue Kollegin Brigitte Damerow entdeckt hatte. In großen Kurven pirschte er sich an sie heran und zweimal begegneten sich zufällig, aber viel versprechend ihre Blicke.

»Sieh da, Herr Kollege Driesch.«

Als die joviale Stimme hinter ihm ertönte, verfluchte Driesch seine Unaufmerksamkeit. Auch der Leithammel hatte sich in Bewegung gesetzt und kreuzte nun seinen Weg. Nach einem Blick in das leicht gerötete Gesicht stand fest, dass Hommel die Phase der Leutseligkeit erreicht hatte.

»Wir haben Sie schon vermisst.«

Du verdammter Lügner, dachte Driesch erbost. Laut erklärte er möglichst ausdruckslos: »Ich wurde von einer Frau aufgehalten.«

»Das ist doch eine angenehme Belästigung.«

»Nicht unbedingt, Herr Hommel. Eine Frau Tepper, Karin Tepper.«

»Sagt mir nichts, der Name.«

»Vor sieben Jahren habe ich gegen ihren Ehemann Wolfgang ermittelt. Betrügerischer Konkurs, Betrug, Urkundenfälschung.«

Hommel runzelte die Stirn, auch bei ihm schien ein Glöckchen anzuschlagen.

»Der Kerl, der rechtzeitig alle Unterlagen beseitigt hatte.«

Jetzt zog Hommel die Augenbrauen zusammen, aber Driesch strahlte in schönster Harmlosigkeit: »Sie haben mich damals angewiesen, die Ermittlungen einzustellen.«

»Hab ich das?«

Darauf nickte Driesch nur, gespannt, wie sich Hommel aus der Affäre ziehen würde, doch der Leitende verschwendete keinen Gedanken daran, dass ein Untergebener ihm wegen einer Entscheidung grollen könnte, sondern erkundigte sich neugierig: »Und was wollte seine Frau - wie hieß sie noch?«

»Tepper, Karin Tepper.«

»Ah ja! Und was wollte sie von Ihnen?«

»Sie war nach Amerika entschwunden, noch bevor das Verfahren eingestellt wurde. Nun hat sie’s wieder in die Heimat verschlagen und ich soll ihr helfen, den Ehemann zu finden.«

»Nach sieben Jahren?«, meckerte Hommel.

»Die Liebe geht seltsame Wege«, erwiderte Driesch spöttisch und der Leitende klatschte in die Hände: »Sie sagen es, Kollege Driesch, so ist es.«

Damit entfernte er sich, um eine andere Gruppe mit seiner Gegenwart zu belästigen, und Driesch blies viel Luft ab. Je länger er mit Hommel zu tun hatte, desto unsympathischer wurde ihm der Mann, was, so stand zu befürchten, auf Gegenseitigkeit beruhte. Nun ja, alles zu seiner Zeit, er zuckte die Schultern, als müsse er den Leitenden abschütteln, und steuerte energisch die Gruppe um die neue Kollegin an.

Brigitte Damerow betrachtete Driesch offen und ein wenig herausfordernd, wie er fand. Ihre Mundwinkel zuckten.

»Der letzte Mohikaner«, moserte sie ihn an.

»Vorsicht, keine vorwitzigen Urteile. Der Hammel hat mich eben mit Herr Kollege angeredet.«

Die beiden jüngeren Staatsanwälte staunten und vergaßen einen Moment, was sie zusammengeführt hatte; Brigitte Damerow riss dagegen die dunkelbraunen Augen weit auf: »Und was hat das zu bedeuten? Lob, Tadel, Strafversetzung oder vorzeitige Beförderung?«

»Das kommt ganz darauf an. Wenn er schlechte Laune hat, heißt es, er beginnt einen Rückzug. Wenn er gute Laune hat, will er damit ausdrücken: Vergessen Sie nicht, ich bin Ihr Vorgesetzter.«

»Das verstehe ich nicht!«, räumte sie ein und die beiden Kollegen amüsierten sich. »Hier geht’s ja - merkwürdig zu.«

»Streng dienstlich, Frau Kollegin.«

»Frau - das ist ja ätzend - Sagen Sie mal, haben Sie jetzt gute oder schlechte Laune?«

»Tja, eigentlich schlechte, aber bei Ihrem Anblick wird sie von Sekunde zu Sekunde besser.« Driesch wusste, dass er alberte, was so gar nicht zu ihm passte, die beiden anderen Männer warfen sich bereits Blicke zu und zerkauten ein wissendes Lächeln, aber er schaffte es einfach nicht, sich in Brigitte Damerows Gegenwart normal zu geben. Zumal sie gern zu lachen schien und mit ihren feuerroten Löckchen und unzähligen Sommersprossen ganz bestimmt kein Kind von Traurigkeit war. Er hatte sich in ihre dunklen Kulleraugen verguckt, die sie prachtvoll rollen konnte. Was sie jetzt wieder tat, ein schneller Blick streifte seinen Ehering, bevor sie ihm ihr leeres Glas hinstreckte: »Mit trockenem Hals höre ich ausgesprochen schlecht.«