Keine halben Sachen

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24 | An welchen Senf glaubst du?

Eine Stimme sprach vom Himmel: „Du bist mein geliebter Sohn, der meine ganze Freude ist.“

LUKAS 3,22B (HOFFNUNG FÜR ALLE)

„Kannst du noch Senf mitbringen?“ Ich höre Inas Ruf, kurz bevor ich die Haustür hinter mir zuziehe. Wenig später sprinte ich in den Supermarkt. Wo ist der Senf? Intuitiv biege ich links ab, stocke und reiße meine Arme hoch. Geblendet von einer gelb strahlenden Wand taumle ich wankend zurück, reiße eine Ladung hellgrüner Dosenerbsen scheppernd mit in den Abgrund und lande unsanft.

Vorsichtig öffne ich – Minuten später – meine Augenlider und spähe durch den kleinen Spalt zwischen meinen Fingern. Völlig geblendet versuche ich das Senfregal zu fixieren. Ruckartig jagen meine Augen daran entlang. Da stehen „Bärlauchsenf“ und „Bayrischer Hausmachersenf“, „Düsseldorfer Senf extra scharf“, bedrängt von einem Glas „Maille Dijon Senf 500 ml“. Der „Thomy-Delikatess-Senf Mittelscharf“ schließt sich nahtlos an. „Händelmaiers Weißwurst-Senf“, „Grobkörniger Bordeaux-Senf“ und „Englischer Senf aus der Tube“ stehen Spalier. Stöhnend beende ich meinen Ausflug durch die erste Reihe, noch bevor mein Blick an ihrem unerreichbaren Ende angelangt ist. Möchte noch jemand seinen Senf dazugeben?

Da blitzt ein Gedanke durch meine grauen Zellen: Wir leben in einer Multioptionsgesellschaft. Wie bitte? Ganz easy! Vor 100 Jahren starb man noch dort, wo man geboren wurde. Man übernahm den Beruf der Eltern und auch deren Glauben. Anders heute. Ich entscheide, wo ich lebe. Ich entscheide, welchen Beruf ich ausübe. Soll ich heiraten? Wenn ja, wie oft? Bin ich ein Mann oder eine Frau? Ich habe die Wahl! Jesus, Buddha oder Sido? Und mich beschleicht die Ahnung, dass sich auch hier ein Senfregal auftut. Multioptional eben!

Ich treffe täglich wichtige Entscheidungen. Eine Sache gibt mir dabei Halt (und ich meine nicht das Konservenregal in meinem Rücken): dass Gott sich für mich entschieden hat (und für dich übrigens auch). Er sagt: „Du bist ein von mir geliebter Mensch.“ Und darin ist er eindeutig. Was immer ich tue, ich weiß, wer ich bin.

„Wo warst du so lange?“, fragt Ina, als ich die Haustür hineinkrieche. Ich raffe mich auf und strecke ihr triumphierend ein gelbes Glas entgegen. Verunsichert schaut sie mich an, mustert das Glas, verdreht die Augen und fragt: „Was in aller Welt sollen wir mit, Finkenmeisels Bärlauch-Lebkuchen-Honig-Senf’ anfangen?“

„Regal … tschuldige! Ich meine: egal“, nuschle ich. „Ist doch alles gut. Gott liebt mich.“

Jan Hanser


Schöpfung
25 | Zeit, an Gott zu denken – Zeit, Gott zu danken

2. MOSE 3

Meine Frau Claudia wollte mit mir spazieren gehen, „eine kleine Runde um den See drehen“ – um einen der Seen an der Duisburger „Sechs-Seen-Platte“, genauer gesagt, dem schönen Waldgebiet, in dessen Nähe wir leben. Nach einem anstrengenden Tag in der Schule – sie ist Lehrerin – wollte sie frische Luft schnappen und auf andere Gedanken kommen. Eigentlich mache ich das gerne, aber in dem Moment passte es mir eigentlich gar nicht, hatte ich doch die Erledigung einiger wichtiger Punkte auf meiner To-Do-Liste im Auge. Schließlich ließ ich mich dann aber doch überreden.

Es war einer der ersten Frühlingstage. Nicht kalt, nicht warm – eher angenehm frisch. Mit einem schönen Sonne-Wolken-Wechselspiel am Himmel. Wir hatten interessante Gesprächsthemen, und weil es so ein schönes Farbenspiel am Himmel gab, das zudem noch mit dem frischen Grün der Bäume korrespondierte, setzten wir uns – eigentlich gegen unserer Gewohnheit – auf einen Anglersteg und genossen den Augenblick. Auf einmal landete nicht weit von uns ein Reiher im flachen Uferwasser und verschwand im Dickicht der Uferböschung. Und wenige Minuten später sahen wir einen Entenerpel, wie er sein „Fahrgestell“ ausfuhr, die Schwingen aufstellte und genau vor unseren Augen eine perfekte Wasserlandung hinlegte.

Innerhalb von nur zehn Minuten bekamen wir einen wunderschönen Einblick in eine faszinierende Schöpfung, den ich verpasst hätte, wenn ich das Abarbeiten meiner To-Do-Liste nicht einfach mal unterbrochen hätte.

In einem Artikel habe ich von der Auslegung des jüdischen Theologen Rabbi Kuschner gelesen, der sich mit der Geschichte von Moses und dem brennenden Dornbusch beschäftigt hat. Wer will, kann sie im 3. Kapitel im 2.Buch Mose nachlesen. Rabbi Kuschner sagt, dass den meisten Leuten beigebracht wurde, dass Gott mit diesem Wunder die Aufmerksamkeit Moses’ erwecken wollte: Ein brennender Busch, der nicht verbrennt. Er behauptet nun, dass Gott mit dem Busch in erster Linie gar nicht Moses’ Aufmerksamkeit erregen wollte, sondern dass es vielmehr ein Test gewesen sei. Gott wollte wissen, ob Moses dieses besondere Naturschauspiel bemerken würde. Ob er aufmerksam darauf würde, dass der Busch, obwohl Flammen aus ihm schlagen, gar nicht verbrennt.

Schöpfung fängt damit an, die Augen zu öffnen und die Dinge um sich herum wahrzunehmen. Ein Gefühl dafür zu bekommen, dass um uns herum mehr passiert, als wir ahnen. Gott hat diese Welt genial geschaffen. Mit allem, was dazugehört. Wir täten gut daran, dem öfter unsere dankbare Aufmerksamkeit zu schenken. In vielen Regionen der Welt wird einmal im Jahr zu unterschiedlichen Zeiten das Erntedankfest gefeiert. Dankbarkeit für die Versorgung im vergangenen Jahr wird zum Ausdruck gebracht. Es gibt z. B. in unserer Gesellschaft immer wieder genug zum Essen und Leben. Ein Grund zum Danken, zum Staunen.

Danken hat auch viel mit Staunen zu tun. Staunen etwa über Gottes Schöpfung.

Ich habe in meinem Leben das Vorrecht gehabt, an tollen Plätzen dieser Erde die Genialität von Gottes Schöpfung erleben zu dürfen: Am Grand Canyon in Arizona, im Big Basin Redwood State Park oder in den Pinnacles in Kalifornien, in einem Haus von Freunden in Kanada an der Sunshine Coast direkt am Pazifischen Ozean, in den Bergen der Balagne, in der Bucht von Calvi auf Korsika oder in den Tiroler Alpen, um nur einige zu nennen. Wie oft habe ich dann gedacht: Danke, Gott, dass du dies alles in Gang gesetzt hast und ich es erleben darf. Aber Ferne ist gar nicht so wichtig, wie mein Erlebnis zu Beginn zeigt. Über Gottes Größe und Kreativität ins Staunen kommen – mitten im Alltag, mitten im Ruhrgebiet, mitten in Duisburg. Wie viele Menschen haben das verlernt!

Wo sind die Augenblicke, in denen du innehältst und dankbar staunst? In denen du Gottes Spuren entdeckst, in den großen und kleinen Dingen dieser Welt, deiner Welt? Staunen lernst? Danken lernst?

Im neutestamentlichen Brief an die Römer schreibt Paulus: „Wie groß ist doch Gott. Wie unendlich sein Reichtum, seine Weisheit, wie tief seine Gedanken! […] Denn alles, aber auch wirklich alles ist von ihm, dem Schöpfer, ausgegangen, besteht durch ihn, und er wird alles vollenden. Ihm gehören Lob und Ehre in alle Ewigkeit.“ (Römer 11,33 - 36, Hoffnung für alle)

Ich wünsche dir: Zeit, an Gott zu denken – Zeit, Gott zu danken!

Thomas Klappstein

26 | Kuscheltiere Gottes

Preise den Herrn, meine Seele! Herr, mein Gott, du bist sehr groß, mit Majestät und Pracht bist du bekleidet. […] Da ist das Meer, das so groß und weit ist […], da sind große Fische, die du gemacht hast, damit zu spielen.

PSALM 104,1, 25 UND 26 (LUTHER 1984)

Gelegentlich über die Größe Gottes nachzudenken ist kein Fehler. Die meiste Zeit des Tages denke ich an mich. An das, was ich erledigen muss, was ich einkaufen, kochen, essen könnte. Mit wem ich dies oder das klären muss. Was ich am Wochenende Schönes unternehmen könnte. Ich.

Doch Gott spielt bei mir eine wichtige Rolle. Ein Leben ohne ihn wäre undenkbar. Schließlich hilft er mir, hört mir zu, ist mir nah. Mir. Aber wann habe ich zum letzten Mal über seine Größe nachgedacht? Über ihn? Eine Reise ist eine gute Gelegenheit dazu. Sie bringt einen Perspektivwechsel – so wie meine Reise nach Südafrika.

Ich stand morgens früh auf, um die schönsten Bilder der aufsteigenden Sonne zu bekommen. Ich schnappte mir meine Ausrüstung und ging zur Felsenküste hinunter. Die Temperaturen waren noch angenehm, das Licht, die Stimmung einzigartig, taufrisch. Vorsichtig kletterte ich über die kantigen Felsen, um mir einen geeigneten Platz zu suchen.

Plötzlich tauchte ein Jogger aus dem Nichts auf und wies mit der Hand zum Horizont: „Glauben Sie auch, dass das Wale sind?“, fragte er mich. Ich sah genau hin – na klar, das mussten welche sein! Bei genauem Hinsehen waren die Fontänen zu beobachten. Einheimische können an dem v-förmigen Wasserdampf die jeweilige Walart identifizieren. Der Sound, der dabei entsteht, ist bis zu zwei Kilometer weit zu hören. In der nächsten halben Stunde galt ihnen meine ganze Aufmerksamkeit. Die, wie sie im Englischen genannt werden, „Right Wales“, oder auch Südkaper, waren vom Südpol an die Küste Südafrikas zum Kinderkriegen und Fressen gekommen. Ihnen schmeckt der Krill, der hier massenweise vor der Küste wächst. Sie fressen jeden Tag über 1000 Kilo. Da, plötzlich tauchte ein dunkelblau gefleckter Koloss ziemlich nahe vor der Küste aus dem Wasser auf. Ehe ich den Fotoapparat in Position gebracht hatte, war er wieder abgetaucht.

Zu Hause lese ich, dass er bis zu 17 Meter lang und 100 Jahre alt werden kann. Seine Jungen kommen mit dem Schwanz zuerst auf die Welt und sind dabei schon fünf, sechs Meter groß! Wow! Ich werde neugierig, aber wirklich viel finde ich nicht heraus über diese Tiere. Doch Psalm 104 versichert mir, dass Gott die großen Fische geschaffen hat, um mit ihnen zu spielen. Was ist das für ein Gott, der sich solche Kuscheltiere gemacht hat?

 

Christiane Ratz

27 | In Gottes Hier und Jetzt

In seiner Hand sind die Tiefen der Erde, sein sind die Gipfel der Berge. Sein ist das Meer, das er gemacht hat, das trockene Land, das seine Hände gebildet. Kommt, lasst uns niederfallen, uns vor ihm verneigen, lasst uns niederknien vor dem Herrn, unserm Schöpfer!

PSALM 95,4 - 6 (EINHEITSÜBERSETZUNG)

Gottes Herrlichkeit wird in den Psalmen oft in Beschreibungen der Erschaffung der Welt ausgedrückt. Manche Dichter der biblischen Weisheitsliteratur waren davon so beeindruckt, dass sie vor Begeisterung geradezu überschäumten. Etwas verhaltener hallt diese Begeisterung bis ins Neue Testament, wo es im Römerbrief heißt, dass man Gottes Wesen in der Schöpfung erkennen kann. In den Schriften der Kirchenväter werden seitenweise die Schönheit und die Rätsel der Natur beschrieben.

Mit den Rätseln beschäftigen sich heute die Naturwissenschaften, für die Schönheit sind Künstler zuständig. Der technologische Fortschritt vertreibt Schritt für Schritt das Staunen aus der Natur. Wer kann schon den Zufall der Evolution anbeten? So geschieht in den modernen Gesellschaften zweierlei: Mit der Forschung nach dem Ursprung entfernen wir uns von einem Gott, der die Welt erschaffen hat und sie erhält. Das ist erst einmal eine intellektuelle Angelegenheit, die wenige Menschen ins Herz treffen wird. Schlimmer ist das zweite: Indem die Natur gezähmt und in kleinen, ungefährlichen Dosen in die Stadtparks oder Zoos verbannt wird, verliert sie das Majestätische. Hier geht es um das Empfinden.

Wir werden auf beiden Ebenen beraubt. Manche empfinden noch die eigene Niedrigkeit, wenn sie zu den Sternen hinaufsehen, aber unsere wissenschaftliche Prägung verstellt uns den Blick auf Gott. Je ungefährlicher, berechenbarer die Natur wird, umso mehr gleitet uns auch jedes Gefühl für Gott durch die Finger. Früher war es einfacher, ihn auf der Frequenz der Schöpfung zu empfangen.

Noch Martin Luther weihte in einem Sturm sein Leben der heiligen Anna. Wer würde das heute noch tun? Wenn uns Blitze umzucken, suchen wir eher nach einem Faradey’schen Käfig, als unser Leben in Gottes Hand zu geben. Betrachten wir die Anomalie des Wassers oder die Natur des Lichtes, fragen wir uns: „Wie funktioniert das?“, und nicht: „Wer hat das gemacht?“ In manchen Aspekten war die antike Welt reicher als die moderne.

Storch

28 | Unbeschreiblich unbegreiflich

Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.

PSALM 121,1 UND 2 (LUTHER 1984)

Hundert Kilometer südwestlich von Johannesburg. Ich stehe am Vaal, einem Fluss, der sich durch halb Südafrika mäandert. Ein paar Angler lassen sich auf einem Floß treiben. Gegenseitig rufen sie sich Scherze zu. Gelegentlich fliegen Flussenten auf. Alles strömt eine majestätische Gelassenheit aus. Ich lasse meine Blicke über das Naturschauspiel gleiten. Komme zur Ruhe. Dieser Ort vermittelt die magische Souveränität einer Hand, die wild, zärtlich, kreativ ist. Um mich herum erhebt sich eine schroffe, von der untergehenden Sonne rot leuchtende Hügelkette. Die Felsenformationen des Vredefort-Domes.

Sattelitenfotos zeigen, dass ich mich inmitten von einem der größten identifizierten Einschlagkrater der Erde befinde. Verschiedene Gesteinsfunde beweisen, dass hier vor zwei Milliarden Jahren ein Asteroid die Erde getroffen hat. Der 10 Kilometer große Gesteinsbrocken hat damals ein 40 Kilometer tiefes Loch mit einem Durchmesser von 100 Kilometern in die Erde gerissen. Ich stelle mir das Ausmaß vor, und meine Augen wandern nachdenklich an den dunkel werdenden Konturen der Bergzüge entlang. Ich fühle mich klein wie ein Kind.

Ich lasse meinen Kopf in den Nacken fallen und sehe dorthin, wo der Asteroid, der dieses zauberhafte Fleckchen Erde einst verursacht hat, herkam. Über mir spannt sich ein Sternenmeer. Einige Sterne sind wie Staub, andere blinken, und wieder andere fügen sich zu einem bekannten Sternbild zusammen. Das Gefühl des Friedens verstärkt sich.

Ich stehe hier an einem Platz, der von dem Einschlag eines Sternes verursacht wurde. Zufällig? Von den Sternen, die da über mir leuchten, weiß ich, dass sie alle in einer geordneten Bahn fliegen. Was von hier unten chaotisch und zufällig aussieht, ist kein bisschen zufällig geraten.

Obwohl wir Menschen vieles können: Auf die Sterne haben wir keinerlei Einfluss. Wir können auch nicht verhindern, dass ein Asteroid auf unsere Erde donnert. Selbstverständlich mache ich Pläne, setze sie in die Tat um. Aber die Bibel sagt, dass, angefangen bei diesem ungeheuren Kosmos, den ich in dieser südafrikanischen Nacht da draußen erahne, über diese Bergwelt des Vredefort-Kraters bis hin zu den kleinsten Vorgängen meines Körpers Er, mein Schöpfer, alles geplant und durchdacht hat und in seinen ewigen, liebevollen Händen hält.

Christiane Ratz


Gemeinsam
29 | Rudeltier statt Stachelschwein

Hast du schon mal von jemandem gehört, der ein Stachelschwein als Haustier hat? Wahrscheinlich nicht, oder? Stachelschweine sind nicht süß, machen Dreck und grunzen laut. Sie sind kräftig und ihre Stacheln gefährlich. Man kann nicht mit ihnen kuscheln wie mit einer Katze und auch nicht spielen wie mit einem Hund.

Stachelschweine kennen in der Regel nur zwei Reaktionen auf Außenstehende: Angriff oder Rückzug! Selbst Hausschweine sind geselliger. Kurz gesagt: Stachelschweine sind nicht gerade das, was man durchs Haus laufen sehen will (stell dir das mal vor!). Dazu kommt noch, dass diese Tiere sogar Probleme haben, mit ihren Artgenossen in Kontakt zu treten. Ihre Stacheln machen sie zu Einzelgängern.

Doch man glaubt es kaum: Auch Stachelschweine haben das Bedürfnis nach Nähe! „Das ist also das Dilemma des Stachelschweins“, hat John Ortberg mal dazu geschrieben: „Wie kann man einander nahe kommen, ohne verletzt zu werden?“

Wenn es nach dieser Frage geht, sind wir Menschen auch Stachelschweine! Ihr Dilemma ist auch unser Dilemma. Auch wir tun uns schwer damit, tiefe Beziehungen und Freundschaften zu knüpfen. Dabei sehnen wir uns doch so sehr danach! Wer träumt denn nicht von Freunden, die einen verstehen und für einen da sind, wenn man sie braucht?! In der Realität findet man so etwas eher selten.

Denn wenn wir Menschen uns mal näher kommen, stechen wir uns mit den Stacheln unserer Persönlichkeiten. Und dann? Dann ziehen wir uns zurück, weil wir nicht mehr verletzt werden möchten. Oder wir schützen uns, indem wir Eindringlinge vertreiben: Angriff und Rückzug – ein echtes Dilemma!

Gibt es keinen Ausweg? Was hat sich Gott eigentlich dabei gedacht, als er uns Menschen das Bedürfnis nach Beziehungen ins Herz gelegt hat? Hat er nicht gewusst, was für ein unmögliches Unterfangen das ist? Vielleicht … vielleicht will er uns damit aber auch herausfordern, an uns zu arbeiten und selbst zu den Freunden zu werden, die wir uns selbst wünschen. Und vielleicht hat er uns genau dafür ein Beispiel gegeben, als er seinen Jüngern sein Innerstes offenbarte (Johannes 15,15).

Serge Enns

30 | Spezies Mitmensch

Handelt nach dem wahrhaft königlichen Gesetz, wie es in den Heiligen Schriften steht: „Liebe deinen Mitmenschen wie dich selbst!“ Dann tut ihr recht.

JAKOBUS 2,7 (GUTE NACHRICHT)

Sie sind keine Seltenheit. Ich finde sie überall dort, wo Menschen sind. Meine potenziellen Mitmenschen. Die potenziellen Herausforderer meiner Nächstenliebe … Sie können mir nahestehen, aber auch Unbekannte sein. Meinen Weg zur Arbeit kreuzen, mir beim Einkauf begegnen oder jeden Tag mit mir zusammen essen.

Meinen Mitmenschen suche ich mir in den meisten Fällen nicht aus. Das macht es umso schwieriger. Denn mein Nächster kann ganz schön unbequem, kompliziert, launisch, überheblich und nervtötend sein. Er kann mir meinen Parkplatz klauen, mich auf der Straße anrempeln, im Wartezimmer laut telefonieren, mich an der Supermarktkasse ankeifen … Kein Problem – ich liebe ja. Und zwar jeden! Die Nächstenliebe ist mein Schutzpanzer. Pustekuchen!

In Wirklichkeit muss ich mich zusammenreißen. War irgendwie klar, dass das mal wieder so ein Gebot ist, das mein Ego herausfordert. Und obwohl das Gebot keine Bestandsaufnahme ist, sondern eine Aufforderung, ziehe ich Bilanz. Ernüchternd. Eine klaffende Lücke zwischen Möchtegern und Realität.

Das Gebot ist radikal. Es heißt nicht: Reg dich nicht über andere auf, schlucke einfach, geh Tunichtguten aus dem Weg, poche nicht auf dein Recht, bleib trotzdem freundlich und steh drüber. Das wäre schon herausfordernd genug. Auf dem Status quo zu verbleiben. Aber meinen Nächsten zu lieben geht weit darüber hinaus. Typisch Jesus. Es heißt, tatsächlich zu lieben.

Muss ich dafür kämpfen, andere lieben zu können? Kann man Nächstenliebe herbeizwingen? Echte Nächstenliebe kann man jedenfalls nicht einfach aufsetzen, nach dem Motto: Gott verlangt von mir, den Blödmann da zu lieben, also strenge ich mich jetzt mal an! Und sicher heißt es auch nicht, leidgeplagt (aber dabei in voller Überzeugung, demütig zu sein) ständig das Nachsehen haben zu müssen.

Mitmenschen lieben ist nichts für Opfertypen, die ihren eigenen Vorteilen nachtrauern. So was hat nichts mit echter Nächstenliebe zu tun. Ich glaube nämlich, dass echte Nächstenliebe nicht bedeutet, dass man sich eingeschränkt fühlt. Es ist vielmehr eine Befreiung aus dem Ego-Käfig.

Was muss passieren, damit ich wenigstens annähernd nach diesem Gebot leben kann? Etwas auf meiner Verhaltensebene zu ändern bringt da wohl rein gar nichts. Ich schätze, das kommt aus einer veränderten inneren Haltung heraus – und die kann ich nicht von jetzt auf gleich bekommen. Da bin ich auf Gott angewiesen. Er macht, dass mein Herz mitgeht, wenn mein Blick von mir selbst weg auf andere Menschen geht. Und dann macht es hoffentlich „klick“.

Natalie Enns

31 | Der Junge, der alle gehasst hat!

„Ich gebe euch ein neues Gebot: Liebt einander! Ihr sollt einander lieben, wie ich euch geliebt habe. An eurer Liebe zueinander werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid.“

JESUS IN JOHANNES 13,34 UND 35 (NEUE GENFER ÜBERSETZUNG)

Ein kleiner Junge war sauer auf seine Mutter, die gerade ein Verbot ausgesprochen hatte. Er brüllte sie an: „Ich hasse dich, ich hasse dich!“ Weil er Angst hatte, er würde dafür von der Mutter Ärger bekommen, schlug er die Tür hinter sich zu und lief wütend durch das Dorf. Irgendwann kam er in ein Tal und brüllte noch immer: „Ich hasse dich!“ Plötzlich kam ein Echo zurück, und was er da hörte, ließ ihn erstarren: „Ich hasse dich!“

Der kleine Kerl hatte noch nie ein Echo gehört, war total schockiert und lief weinend nach Hause, direkt in die Arme seiner Mutter. „Unten im Tal ist ein böser Junge, der mich hasst!“

Die Mutter ahnte sofort, was passiert sein musste, nahm ihren Sohn an die Hand, ging mit ihm ins Tal und brüllte: „Ich liebe dich!“

Zurück kam das Echo: „Ich liebe dich!“

In dem Dorf geht seitdem das Gerücht um, dass der kleine David danach nie wieder „Ich hasse dich!“ gebrüllt haben soll, weil er gelernt hat, dass das Leben wie das Echo ist: Wenn ich schlecht zu anderen bin, bin ich schlecht zu mir selbst. Und wenn ich andere liebe, tue ich mir selbst einen Gefallen!

Frank Bonkowski