The Blue Diamond

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The Blue Diamond
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The Blue Diamond
Dem Ziel entgegen

Band 2

Roman

Sandra Molnar


Impressum

Texte: © Copyright by Sandra Molnar

Umschlag: Fotos © pixabay.com

Bildbearbeitung: Sandra Molnar

Kontakt: Sandra Molnar – Fellerstr. 3 – 83064 Raubling

Smolnar1988@aol.com

http://the-blue-diamond.de

Druck: epubli - ein Service der neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Jegliche Ähnlichkeit zu Real existierenden Personen oder Gebäuden ist rein zufällig und ist nicht beabsichtigt.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Vorwort

Dies ist tatsächlich der zweite Band.

Eigentlich ist das gar nicht so unwahrscheinlich gewesen. Kurzgeschichten lagen mir noch nie besonders, zugegeben.

Zu Beginn hatte ich noch ein ganz anderes Konzept, was den Inhalt und die Geschichten Rund ums Blue Diamond anging. Ich muss sagen, dass mir die jetzige Form besser gefällt und besser beschreibt, worum es hier wirklich geht.

Ich wünsche an dieser Stelle einmal mehr viel Vergnügen beim lesen und hoffe, dass auch Sie, lieber Leser, jemanden zum Reden haben.

Vielleicht liest man sich irgendwann wieder.

Glossar

Da diese Geschichte in Japan spielt, möchte ich an dieser Stelle noch ein paar öfter auftauchende Begriffe erklären.

Im fernen Osten verwendet man bei der Namensanrede sogenannte Suffixe.

Die wären:

-san = geschlechtsneutrale Anrede. Wie das Herr/Frau bei uns

-chan = verniedlichende Anrede für Kinder und Mädchen oder gute Freunde

-kun = Anrede für Jungen und junge Männer

-senpai = Anrede für ältere Mitschüler oder Kommilitonen (Kann auch Einzeln benutzt werden (Senpai))

-sensei = Anrede für Ärzte, Lehrer, Professoren (Kann auch Einzeln benutzt werden (Sensei))

Nii-chan = vertrauliche Anrede für "Bruder" (auch "Bruderherz")

Nee-san = höfliche Anrede für "Schwester"

Des Weiteren hier eine Hilfestellung zur Aussprache der fremd klingenden Namen:

Allgemein gilt:

ei = ey

ch = tsch

ō = langes o

suke = s'ke

ji = Tschi

Beispiele:

Sōsuke = Soos'ke

Keisuke = Keys'ke (wie beim »Hey«)

Michida = Mitschida

Chihiro = Tschihiro

Funfact:

In Japan benutzt man Schriftzeichen (Kanji). Und für Namen werden auch gerne Kombinationen genutzt, um etwas auszudrücken.

Beispiel »Keisuke«: Kei = Respekt / suke = vermitteln

Fußnoten werden am Ende eines Kapitels gelistet und erklärt.

Was bisher geschah:

Sōsuke Kitahara hat es geschafft und direkt nach seinem Studium sein eigenes Geschäft eröffnet: das Blue Diamond.

In dieses kommt jeder, der das Bedürfnis hat zu reden. In vertrautem Kreise, unter vier Augen über alles, was einem auf der Seele liegt.

Es lief nicht immer Rund, aber das gehörte zum Leben dazu.

Erst kürzlich feierte das Blue Diamond seine dritte Filialeröffnung. Und alles schien halbwegs stabil zu laufen.

Unerwartet trat nach langer Abwesenheit Sōsukes Mutter auf den Plan. Eine Person, mit der er nichts zu tun haben möchte.

Als sie auf seinen Wunsch hin nicht gehen wollte, verließ er eilig die Wohnung.

Wird er sich wieder beruhigen können?

6~2
Versöhnung?

Mit einem dumpfen Knall schlug die Haustür ins Schloss, als Sōsuke das Haus verließ.

»Sōsuke-san!«, rief Miyuki noch, doch erreichte sie ihn nicht mehr.

»Was ist nur mit dem Jungen los?« Kiyoko seufzte leise.

Die Anwesenden konnten sich denken, warum Sōsuke gegangen war. Hätten sie das geahnt, hätten sie ihn gleich aufgehalten. Doch dafür war es nun zu spät.

»Ich ... gehe ihm nach«, meldete sich Miyuki kurze Zeit später und drehte sich der Gruppe zu.

»Ja. Geh du. Auf dich wird er noch am ehesten hören.« Tamanosuke nickte, leicht lächelte er dabei.

»Genau! Hol du meinen Bruder zurück«, bestätigte Miyako und klopfte ihr auf die Schulter. »Ohne unser Geburtstagskind bringt schließlich die ganze Party nichts.«

Miyuki nickte dem zu. »Okay. Bis gleich.« Dann verließ sie das Haus und versuchte Sōsuke zu finden.

»Man. So war das wirklich nicht geplant«, stöhnte Miyako. Sie wollte ihrer Mutter zwar eigentlich nicht die Schuld dafür geben, aber dass sie der Auslöser für diese Situation war, ließ sich nicht abstreiten.

»Sekunde. Sagtest du ›Geburtstagskind‹?« Sichtlich überrascht sah Kiyoko ihren Mann und ihre Tochter an. »War das heute?«

»Eigentlich hatte er ja gestern Geburtstag ...«, erinnerte Keisuke, den nun nichts mehr wunderte. Klar, dass Sōsuke das Weite suchte, wenn die eigene Mutter sich nicht einmal an den Geburtstag ihres Sohnes erinnerte.

»Na so was. Wie alt ist er denn geworden?«

»Dreiunddreißig, Liebling«, antwortete Eiji, der das Ganze auch nicht glauben konnte.

Geschockt sah Kiyoko ihren Mann an. »Dreiunddreißig? Meine Güte. Als ich ihn das letzte Mal gesehen habe, war er ...« Sie überlegte.

»Vierzehn. Er war noch ein Teenager.«

»Und ich war zehn, Mama.«

»Oh ...« Langsam verstand Kiyoko, warum sich Sōsuke so benommen hatte. »Ich bin wohl ... ziemlich lange weg gewesen.« Es war ihr nicht bewusst gewesen, dass sie so lange von zu Hause fern geblieben war. »Eiji, Miyako. Es tut mir leid.« Sie verbeugte sich vor den beiden.

»Du solltest dich lieber bei Sōsuke entschuldigen«, brachte Miyako ein. Eigentlich hätte auch sie nachtragend sein können. Gerade Miyako, war sie damals noch ein Kind gewesen. Jedoch hatte sie sich schon vor Jahren damit abgefunden. Ihr war es egal, ob ihre Mutter da war oder nicht. Viel wichtiger waren ihr ihr Vater und ihr Bruder, die sie aufgezogen hatten und immer in ihrer Nähe waren.

»Da hast du wohl recht«, stimmte Kiyoko zu. »Ich fürchte nur, dass er nicht mit mir reden wollen wird.«

»Das könnte durchaus sein«, gab Keisuke zu verstehen und näherte sich der Frau. »Es ist ihnen sicher nicht bewusst, aber nur wegen Ihres Verhaltens hat er überhaupt das Blue Diamond gegründet. Dafür sind wir im Endeffekt zwar dankbar, aber wenn ich an die Hintergründe denke, weiß ich nicht, was ich davon halten soll.« Keisuke sah zu Tamanosuke und Akira, die ihm bestätigend zunickten.

»Ich glaube, Kei hat damit nicht ganz unrecht. Wer weiß schon, was aus uns geworden wäre, wenn Sōsuke nicht gewesen wäre?«, brachte Tamanosuke ein.

»Er hat uns zusammengeführt und uns immer geholfen, wenn wir jemanden brauchten.« Akira sah Sōsukes Mutter lächelnd an. »Wäre Sōsuke-san nicht gewesen, würde ich wahrscheinlich noch mit meinen Problemen kämpfen.«

»Stimmt. So gesehen war es sogar ganz gut, dass Sie gegangen sind.« Keisuke verschränkte die Arme vor der Brust.

Kiyoko sah in die Gesichter der drei Männer, die offenbar Freunde Sōsukes waren. »Sekunde«, brachte sie dann hervor. »Ich komme nicht mehr mit. Wovon redet ihr da?« Verwirrt sah sie sich um. Dabei erkannte sie, dass Eiji und Miyako scheinbar wussten, worüber sie redeten.

»Meint sie das Blue Diamond?«, fragte Keisuke seine Freunde und sah diese kurz an, ehe er sich Kiyoko wieder zuwandte. »Das Blue Diamond ist der Laden, den Sōsuke eröffnet hat.«

»Er ist Geschäftsführer?« Kiyoko staunte. Das hätte sie nie erwartet. »Das ist ja toll! Läuft es denn gut?« Sie sah die drei Freunde an.

Verhalten nickten diese. Sie wussten nicht, wie sie darauf reagieren sollten. An sich waren diese Fragen keine große Sache, doch da die Situation angespannt war, gestaltete sich alles etwas schwierig.

Das schien Kiyoko allerdings wenig zu kümmern. »Das würde ich mir jetzt gerne ansehen.«

Schweigen.

Es dauerte einige Augenblicke, bis sich Akira erneut zu Wort meldete. »Wäre es nicht besser, sich um Sōsuke-san zu kümmern?«

»Keine Sorge. Ich bin mir sicher, dass Miyuki-san das schon macht«, antwortete ihm Tamanosuke.

»Denk' ich auch. Von uns allen wird sie es am ehesten schaffen«, brachte sich auch Keisuke in das Gespräch ein.

»Ich muss jetzt nachfragen.« Kiyoko sprach laut, damit sie nicht überhört werden konnte. »Klärt mich mal auf. Wer ist hier wer?«

Während sich Keisuke und die anderen nacheinander vorstellten und ihre Beziehung zu ihrem Sohn erläuterten, kümmerte sich Miyuki um Sōsuke. Diesen hatte sie schnell eingeholt, nachdem er das Haus verlassen hatte.

»Warte bitte, Sōsuke-san.«

Stehen blieb der Gerufene nicht, aber er verlangsamte seinen Gang, sodass sie ihn bald erreichte.

»Ist alles in Ordnung?« Besorgt sah sie ihn an und ergriff seine rechte Hand.

Sōsuke blieb daraufhin stehen. »Es tut mir leid, dass du das Mitansehen musstest ...« Betroffen sah er sie an.

Miyuki schüttelte den Kopf. »Schon gut«, sagte sie mit bedacht. »Also ...« Sie wollte nachfragen; wissen, was ihm so zu schaffen machte. Aber sie wusste nicht, wie sie ihn darauf ansprechen sollte, ohne ihm zu nahezutreten.

 

Sōsuke ahnte, was in ihr vorging. »Wollen wir uns setzen?«

Hinter ihnen war ein kleiner Stadtpark. Ein paar der Parkbänke waren noch frei. Auf der nahe liegendsten nahmen die beiden Platz. Einige Augenblicke lang beobachteten sie die Passanten, die an ihnen vorbeigingen, und die Kinder, die gerade vergnügt miteinander spielten.

»Weißt du, es ist so«, begann Sōsuke und sah weiter geradeaus. »Meine Mutter hat damals beschlossen, auf Weltreise zu gehen. Ich war damals erst vierzehn. Für mich kam dieser Entschluss wie aus heiterem Himmel. Mein Vater schien allerdings davon gewusst zu haben. Mir ist bis heute unklar, warum er sie gehen ließ.«

»Sie wird wohl ihre Gründe gehabt haben?«

»Das Problem war, dass mein Vater nicht mit der Situation umgehen konnte. Plötzlich war er allein. Mit zwei Kindern. Es war nicht leicht. Oft hatten wir es schwer, über die Runden zu kommen. Deshalb habe ich schon damals zu jobben angefangen, um etwas mitzuhelfen.«

Miyuki schwieg. Seine Finger, die sie in ihren Händen hielt, begannen erneut zu zittern.

»Das allein wäre noch erträglich gewesen. Aber mein Vater ...« Er machte eine kurze Pause und senkte den Kopf. »Eines Tages, etwa ein Monat nach ihrem Fortgang, habe ich ihn spät abends in der Küche sitzen sehen. Alleine. Und obwohl er sonst nichts trinkt, hatte er damals ein Bier vor sich stehen. Ich habe mich darüber gewundert und ihn deswegen gefragt, was er da tue und ob alles in Ordnung sei. Es hat etwas gedauert, bis er sich zu mir umdrehte. Er sah mich lächelnd an und sagte, dass er nur ein bisschen nachdenke. Ich konnte ihm allerdings ansehen, dass er sich zu dem Lächeln zwingen musste und dass es ihm nicht gut ging. Als ich ihn dann fragte, ob ich ihm nicht helfen könne, meinte er nur, dass alles okay wäre, und bat mich, wieder ins Bett zu gehen.« Betrübt sah Sōsuke Miyuki an. »Ich weiß bis heute nicht, welche Gedanken ihm damals durch den Kopf gegangen sind. Aber ich hatte begriffen, dass er seine Sorgen nicht teilen wollte. Und nachdem ich ihn nicht nur das eine Mal allein dort sitzen gesehen habe, merkte ich, wie schlecht es ihm tatsächlich ging. Mir war schnell klar, dass es dafür nur einen Grund geben konnte ...«

»Deine Mutter?« Leise sprach Miyuki, die langsam verstand, was Sōsuke belastete.

Er nickte. »Es tat weh, meinen Vater so zu sehen. Aber noch schlimmer war, dass ich ihm nicht helfen konnte. Ich war wohl wirklich einfach zu jung. Trotzdem hätte ich gern etwas für ihn getan.«

Dieser Wunsch war mit der Zeit weiter gewachsen; bis Sōsuke die Idee für das Blue Diamond gekommen war.

»Ich bin mir sicher, dass er euch nur nicht belasten wollte.« Sanft lächelte Miyuki ihren Freund an.

»Inzwischen denke ich das auch. Auch wenn ich mir gewünscht hätte, er hätte sich mehr auf mich verlassen.«

»Du hast getan, was du konntest.«

»Ja.«

»Hat es euch als Familie nicht enger zusammen geschweißt?«

»Schon. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass sie unsere Familie im Stich gelassen hat.« Sein Blick wurde wieder ernster.

Miyuki überlegte, was sie dazu sagen sollte, ohne ihn zu verletzen. Das war nicht, was sie wollte. Andererseits wollte sie die Lage auch nicht beschönigen. »Und ... die ... genauen Gründe ihres Weggangs kennst du nicht?«

Mit dieser Frage hatte Sōsuke nicht gerechnet. Ein wenig überrascht sah er sie an. »Nein. Die wollte mir mein Vater nie sagen. Und irgendwann waren sie mir auch egal geworden.« Inzwischen würde er sicher die Wahrheit gesagt bekommen, wenn er denn nachfragen würde.

»Hast du eine Idee, was dahinterstecken könnte?«

Er schüttelte den Kopf.

»Willst du es immer noch nicht wissen?«

Nachdenklich ließ er seinen Blick wandern. »Spielt das noch eine Rolle? Sie hat unsere Familie verlassen. Das ist unverzeihlich.«

»Aber ... Sie ist doch trotzdem deine Mutter ...«

»Gerade deswegen ist das ...!« Sōsuke stockte. Er wollte nicht glauben, was ihm gerade durch den Kopf schoss. »Du ... Du bist auch der Meinung, dass ich ihr Unrecht tue?« Ausgerechnet von Miyuki wollte er das nicht hören. Enttäuscht darüber wandte er den Kopf gen Boden. »Warum versteht mich niemand?«, murmelte Sōsuke leise, kaum verständlich, und schloss die Augen.

»N-nein! So ist das nicht. Ich ...«, brachte Miyuki schnell hervor und festigte den Griff ihrer Hände. »Ich glaube nur, dass du ihr erst noch zuhören solltest. Vielleicht änderst du deine Meinung noch ...«

Nur zögerlich richtete Sōsuke seinen Blick wieder auf Miyuki. Er hörte, was sie sagte, aber nachvollziehen konnte er es nicht. »Was sollte das bringen? Auf ihre Ausreden kann ich gut und gerne verzichten.«

Miyuki tat sich ihrerseits schwer, ihn zu verstehen. Sie war nicht in seiner Lage und konnte deswegen nur schwer nachvollziehen, wie er sich gerade fühlte. Sie wollte ihm helfen, ihn unterstützen. Nur wie? Ihre Vernunft half ihr in diesem Moment nicht weiter. Zumal Sōsuke bei diesen Ratschlägen offenbar abblockte. Sie musste sich etwas überlegen ...

»Es wäre besser gewesen, sie wäre dortgeblieben, wo sie war ...«, flüsterte er vor sich her und legte die Stirn in Falten.

Das waren Worte, die Miyuki nicht hören wollte. Nun sah sie ihn streng an. »Jetzt hör aber auf! Gehst du nicht etwas zu weit? Sie hatte bestimmt ihre Gründe und solange du sie nicht kennst, solltest du nicht so reden!«

Sōsuke zuckte bei diesen harschen Worten zusammen. »Aber ...«

»Benimm dich doch nicht wie ein Kind, Sōsuke-san. Sei vernünftig. Ich sage nicht, dass du ihr verzeihen musst, aber sei wenigstens so fair und gib ihr die Chance, es zu erklären.«

Sōsuke sah in ihre großen, schwarzen Augen, in denen so viel Stärke steckte. Genau diese offene, direkte Art war es, die er so mochte und auch immer wieder faszinierend fand. Bei diesem Blick fiel es ihm schwer, ihr noch zu widersprechen. Er rang mit der Entscheidung, was er nun tun sollte. Sōsuke konnte sich nicht vorstellen, dass sie, seine Mutter, eine plausible Erklärung hatte, die ihn eventuell sogar umstimmen könnte.

Da sich Sōsuke mit seiner Antwort Zeit ließ, meldete sich Miyuki zuerst wieder: »Komm schon«, bat sie und lächelte ihn sanft an.

Wie könnte er bei diesem Anblick noch ›Nein‹ sagen? »Na gut ... Dir zuliebe höre ich mir an, was sie zu sagen hatte.« Er hegte allerdings nur wenig Hoffnung.

Kurz nachdem Sōsuke sich hat überreden lassen, kamen die beiden zurück. Als sie das Haus betraten, hörten sie eine angeregte Unterhaltung – die sich offenbar um das Blue Diamond drehte. So recht glaubte Sōsuke dem nicht. Wieso sollten sie darüber reden? Gab es nicht anderes, Wesentlicheres zu bereden? Skeptisch näherten sich Sōsuke und Miyuki dem Wohnzimmer. Es dauerte einen Moment, bis sie gesehen wurden.

»Sōsuke! Da bist du ja wieder.« Freudig sprang Miyako auf und kam auf ihren Bruder zu.

Er nickte verhalten. »Was ist hier los?« Er wagte es kaum, dies zu fragen. Aber er musste wissen, was während seiner Abwesenheit passiert war.

»Sōsuke!« Kiyoko stand vom Sofa auf und näherte sich ihrem Sohn. Gerne hätte sie ihn in die Arme geschlossen, doch wich er augenblicklich einen Schritt zurück. »Warum hast du denn nichts gesagt? Deine Freunde haben mir verraten, wie erfolgreich du bist!« Man sah ihr an, wie stolz sie war. »Willst du mir deinen Laden nicht zeigen?« Gebannt sah sie ihren Sohn an und hoffte auf eine Zusage.

Sōsuke hingegen konnte und wollte nicht glauben, was hier gerade passierte. Hatte sie vergessen, was zuvor gewesen war? Oder ignorierte sie das nur gekonnt? So oder so konnte er nicht fassen, dass er einfach übergangen wurde und dass sie so tat, als wäre nie etwas geschehen. »Du ...« Sōsuke wollte etwas sagen, doch fehlten ihm einfach die Worte.

»Sōsuke-san ...« Miyuki sah ihm seine Fassungslosigkeit an, weswegen sie sich nun vor ihn stellte und Kiyoko wütend ansah. »Jetzt hören Sie mir mal zu! Ich kann einfach nicht glauben, wie Sie mit Sōsuke-san umgehen! Merken Sie gar nicht, dass Sie ihn mit ihrem Verhalten verletzen? Ich wollte, dass er Ihnen noch eine Chance gibt. Aber so, wie Sie sich hier benehmen, glaube ich nicht, dass er das tun sollte.«

Niemand der Anwesenden hatte damit gerechnet, dass Miyuki sich gegen Kiyoko – die sie ja kaum kannte – stellen würde. Überrascht wurde sie daraufhin angesehen.

Auch Sōsuke sah sie im ersten Moment erstaunt an, lächelte dann aber. »Danke, Miyuki-san. Aber es ist schon okay ...«

»Ist es eben nicht!« Miyuki drehte sich zu ihm um. »Du gibst dir immer so viel Mühe. Du schaust, dass es deiner Familie und deinen Freunden gut geht. Ich finde es nicht fair, dass sie dich so übergeht.« Schon fast den Tränen nah, sah sie Sōsuke an.

Dieser nahm sie daraufhin zärtlich in den Arm. »Danke dir«, flüsterte er ihr zu, löste sich wieder etwas und sah sie direkt an. Er schenkte ihr ein Lächeln, ehe er sich wieder seiner Mutter zuwandte. »Miyuki-san hat recht. So wie du dich hier benimmst, sollte ich dir keine zweite Chance geben. Trotzdem werde ich dir, ihr zuliebe, zuhören.«

»Sōsuke ...« Kiyoko erkannte, dass Miyuki ihm sehr wichtig sein musste. Sie ließ sich ihre Worte noch einmal durch den Kopf gehen und erkannte, dass ihr Verhalten wahrlich nicht das Beste war. Sie verneigte sich vor ihrem Sohn. »Es tut mir leid, wie ich mich benommen habe. Und dass ich damals gegangen bin, ohne euch einzuweihen.« Ernst sah sie Sōsuke und Miyako an. »Es war nicht richtig von mir. Ich hoffe, dass ihr mir verzeihen könnt.«

Die zwei Geschwister sahen einander unschlüssig an.

»Also ...«, begann Miyako und stellte sich neben ihren Vater. »An mir solls nicht liegen. Aber was ist mit dir, Bruderherz?«

Alle Blicke waren nun auf das Geburtstagskind gerichtet.

Sōsuke war sich nicht sicher, was er nun tun sollte. Konnte er ihr verzeihen, nachdem sie so lange abwesend war? Die Erklärung dafür stand schließlich noch aus. Oder sollte er es wie Miyako handhaben und die Sache einfach ›vergessen‹? Gedanklich schüttelte er den Kopf. Nein. Vergessen konnte er das nicht. Diese Wut, die er all die Jahre über in sich getragen hatte, konnte er doch nicht so mir nichts, dir nichts unter den Teppich kehren. Nur weil sie anscheinend langsam anfing, ihren Fehler einzusehen? Irgendwie war ihm das zu wenig. Oder sah er das einfach zu eng?

»Sōsuke-san?«, kam es leise von Miyuki.

Lange sah Sōsuke sie an; rang weiter mit sich und sah dann in die wartenden Gesichter seiner Familie und Freunde. Es lag einzig an ihm, wie es nun weiterging. Dass ihm eine Entscheidung einmal so schwerfallen würde ... Gerne hätte er länger darüber nachgedacht, doch wollte er dieses leidige Thema auch einfach hinter sich bringen. In der Hoffnung, es später nicht zu bereuen, sah er seine Mutter wieder an.

Sie wurde bei seinem durchaus ernsten, durchdringenden Blick etwas nervös.

»Na schön. Ich will es dabei belassen.«

Sogleich hellten sich Kiyokos Gesichtszüge auf. »Sōsuke.«

»Aber«, fuhr Sōsuke fort, »verzeihen kann ich dir nicht.« Dabei wandte er sich von ihr ab und drehte sich erneut zu Miyuki um.

Kiyokos Lächeln war augenblicklich wieder gewichen. Sie hatte für einen Moment geglaubt, dass er ihre Entschuldigung annehmen würde. Betrübt senkte sie den Kopf. »... Ich ... verstehe ... Schade.« Sie wirkte ein wenig hilflos, trotz ihres Alters von einundfünfzig Jahren.

Eiji nahm sie daraufhin kurz in den Arm und flüsterte ihr zu, dass er sicher nur ein wenig Zeit brauche. Sein Lächeln ließ sie aufatmen.

Für einige Augenblicke wurde es still. Niemand wagte es, etwas zu sagen – vor allem, weil keiner wusste, wie es nun weitergehen sollte.

Doch schließlich meldete sich Miyako zu Wort. »Können wir dann endlich den Kuchen anschneiden? Ich habe Hunger ...«

Der plötzliche Themenwechsel ließ alle Anwesenden auflachen. »Miyako ...«, gab Sōsuke erheitert wieder und sah seine Schwester lächelnd an.

»Komm schon! Deswegen sind wir doch hier.«

Sōsuke war ihr dankbar dafür, dass sie die Stimmung so einfach auflockern konnte. Er war sich sicher, dass das in dieser Situation auch nur Miyako gelingen konnte. »Wegen des Kuchens?«, fragte er belustigt nach.

Sie konterte mit einem »Natürlich nicht« und sah Sōsuke schon fast beleidigt an. »Wegen dir. Aber das heißt nicht, dass wir nicht auch gerne Kuchen essen.«

 

»Na, na. Beruhigt euch bitte ihr beiden«, unterbrach Eiji. »Ich setze mal eben frischen Kaffee auf. Dieser hier dürfte inzwischen kalt sein.« Dabei hob er die Glaskaraffe an, mit der er auch gleich in die Küche ging.

»Warte, ich helfe dir.« Kiyoko folgte ihm. Die Tür schloss sie hinter sich; wollte sie doch ein paar Minuten mit ihrem Mann alleine sein.

Keisuke nutzte die Zeit, um seine Gedanken endlich auszusprechen: »Man, Sōsuke! Was war das bitte?« Er sprach nicht viel lauter als üblich, aber er hörte sich aufgebracht an. »Zuerst sagst du das eine, dann das andere ... Seit wann fallen dir Entscheidungen schwer?«

»Mich hat das auch gewundert«, brachte sich auch Tamanosuke ein. »Hast du dir das gut überlegt? Also ... Ich will jetzt nicht sagen, dass du ihr verzeihen musst. Aber sie ist trotz allem deine Mutter.«

Akira nickte. »Denk bitte gut darüber nach. Nicht, dass du es später bereust.«

Und wieder gab er ihnen einen Grund zur Sorge. Sōsuke fühlte sich schuldig deswegen. »Danke, Leute. Ich werde gut darüber nachdenken. Versprochen.«

Kurze Zeit später wurde der frisch aufgebrühte Kaffee serviert. Und endlich – so sah es Miyako – wurde auch der Kuchen angeschnitten. Die Stimmung hatte sich allgemein gebessert, aber man merkte an den oberflächlichen Gesprächsthemen, dass zwischen Sōsuke und seiner Mutter noch Klärungsbedarf bestand. Er antwortete nur mit kurzen Antworten auf ihre Fragen – und stellte ihr im Gegenzug keine. Das übernahm an seiner Stelle Miyako.

So erklärte Kiyoko, dass sie aus beruflichen Gründen dazu gezwungen war, weit zu reisen. Sie war als Journalistin tätig und bei verschiedenen Magazinen unter Vertrag. Im Detail erzählte sie von Hotels, weißen Sandstränden, türkisblauem Meer – aber auch von belebten Städten, alten Ruinen und spannenden Abenteuertouren.

Als die Frage aufkam, wieso sie sich in all den Jahren nicht einmal hatte blicken lassen, wurde es für einen Moment wieder still. Es war Sōsuke, der dies wissen wollte. Er erwartete eine Ausrede, oder dass sie versuchen würde, seiner Frage auszuweichen. Er war sich nicht sicher, was er jetzt von dieser Pause halten sollte.

»Es war ...«, fuhr Kiyoko schließlich fort. Ihr Lächeln war verschwunden. Ein wenig senkte sie auch den Kopf. »Um ehrlich zu sein, war ich viel zu fasziniert von dieser Welt, den Menschen und den Tieren, dass ich es verpasst habe, mich zu melden. Es kamen auch immer neue Aufträge rein, sodass mir keine Zeit für eine Pause blieb.«

Es hatte gut angefangen, doch dann klang es doch nach Ausrede – zumindest wirkte es so auf Sōsuke.

»Ist schon in Ordnung, Schatz. Ich weiß ja, dass du schnell alles um dich herum vergisst.«

Eiji hatte mit der langen Abwesenheit seiner Frau überraschend wenig Probleme. Ob es ihm wirklich nichts ausmachte oder ob er es jetzt nur überspielte, konnte Sōsuke nicht genau sagen. Eigentlich war er davon ausgegangen, dass auch er ihr deswegen Vorwürfe machen würde. Aber nichts dergleichen kam. Wieso nicht? Diese Frage stellte sich Sōsuke. Doch bevor er dem nachgehen konnte, begann sein Handy zu läuten. Leicht erschrak er dabei, da er keine Anrufe erwartete. Bevor er jedoch abhob, sah er auf das Display. Als er ›BD-Shinjuku‹ las, kam in ihm eine ungute Vorahnung auf. »Ja? Kitahara«, fragte er zögerlich, stand auf und entfernte sich von der Gruppe.

»Ah, Chef? Etō hier. Äh ... Ich fürchte, es gibt ein Problem.« Usagi klang aufgebracht und nervös.

»Was ist denn passiert?« Sōsuke versuchte ruhig zu bleiben – zumindest bis er sicher wusste, was los war.

»Es ist wegen Washi-kun. Seine Kundin ... sagen wir, war nicht zufrieden und ... Könnten Sie vorbeikommen? Mir gehen die Ideen aus.« Verzweifelt drang seine Stimme durch das Telefon.

Sōsuke drehte sich kurz zu seiner Familie und seinen Freunden um. Auch wenn es ihm leidtat, musste er die Familienfeier verlassen. Es gehörte einfach zu seinen Pflichten. »Ich komme vorbei. Versucht solange sie zu beruhigen. Ich bin in zehn Minuten da. Bis gleich.«

Das Gespräch wurde beendet. Sōsuke näherte sich der Gruppe wieder und erklärte mit ernstem Blick, dass er gebraucht wurde und er nicht länger bleiben könne.

»Moment! Du kannst doch nicht-«, beschwerte sich Miyako, hielt dann aber inne, als sie Sōsukes eindringlichen Blick sah.

»Ich danke euch für die Mühe, aber ich muss mich um den Laden kümmern.« Sōsuke wandte sich anschließend um. »Ich melde mich. Bis dann.«

Nicht viel später war Sōsuke aus dem Haus und mit der nahe liegenden Bahn auf dem Weg nach Shinjuku.

»Der ändert sich nie«, bemerkte Keisuke belustigt und leerte seine Tasse Kaffee.

Bis auf Kiyoko stimmten der Aussage alle zu.

»Wie? Was?«, fragte die Mutter und sah alle irritiert an.

»Nun. Sōsuke geht das Blue Diamond über alles«, erklärte Eiji, der dann begann, den Tisch abzudecken.

»Ach so?« Sie klang, als könne sie das nicht wirklich glauben.

Akira und Miyako nickten, während Tamanosuke Eiji half.

»Das Blue Diamond ist sein ein und alles«, wiederholte Miyuki etwas verhalten. Sie war sich nicht sicher, wie sie Kiyoko gegenüber stehen sollte.

»Aber das ist doch toll! Nur so wird man erfolgreich.« Stolz war sie auf ihren Sohn, das hatte sich nicht geändert.

»Es geht ihm aber nicht um den Erfolg«, berichtigte Miyuki Kiyoko. »Das treibt ihn nicht an.«

»Da hat sie recht. Wenn es so wäre, wäre mein Job einfacher«, brachte Keisuke ein und lehnte sich zurück.

»Aber genau das ist es, was wir an ihm mögen.« Sanft lächelte Akira Kiyoko an. »Sonst wären wir alle nicht hier.«

»Das stimmt.«

Kiyoko konnte sich, trotz dieser Erzählungen, noch kein Bild von ihrem Sohn machen. Sie sah in all die zufriedenen Gesichter und dachte nach. Wie konnte sie sich ihm wieder annähern? Hinzu kam, dass sie den Laden wahnsinnig gern sehen würde. War es möglich, beides unter einen Hut zu bekommen ...? Kurzentschlossen sah Kiyoko Sōsukes Freunde an. »Könnt ihr mich nicht zum ... wie war der Name?« Ihr Gedächtnis war wirklich nicht das Beste.

Tamanosuke sah sie an; musste aber auch kurz überlegen, was sie meinen könnte. »Meinen Sie das Blue Diamond?«

»Ja, genau! Könnt ihr mich hinbringen?« Erwartungsvoll hoffte sie auf Zustimmung.

Tamanosuke, Akira, Keisuke und auch Miyuki waren sich nicht sicher, ob das eine gute Idee war. Schließlich hatte sich das Verhältnis zwischen ihr und Sōsuke noch nicht gebessert. Es war fraglich, ob er sie sehen wollte – insbesondere dann, wenn es offenbar Probleme gab ... Andererseits. Konnte man es ihr verbieten?

An der Pause und den ratlosen Gesichtern sah Kiyoko, dass sie ihre Zweifel hatten. Sie schienen sich wirklich Gedanken darüber zu machen, ob der Besuch in Sōsukes Sinn wäre. Das war zwar bewundernswert – und es freute sie, dass er so gute Freunde hatte –, aber in diesem Fall war das doch gar nicht angebracht. »Was spricht denn dagegen?«, fragte sie zwar, die Antwort konnte sie sich allerdings schon denken.

»Nun ja ...« Tamanosuke wusste nicht, was er ihr sagen sollte. Kränken wollte er sie nicht und eine Notlüge kam ihm nicht in den Sinn. Zumal es eigentlich keinen Grund gab, sie nicht zum Blue Diamond zu bringen ...

Auch den anderen dreien fiel nicht wirklich etwas ein, daher mischte sich nun Eiji in das Gespräch ein. »Fahren wir doch einfach alle zusammen. Die neue Filiale haben wir uns auch noch nicht angesehen. Da wäre das doch eine gute Gelegenheit.«

»Oh! Gute Idee, Papa. Da will ich auch hin.«

»Na, dann lasst uns fahren.«

Auf Widerworte würde Kiyoko jetzt wohl nicht mehr hören.

Da sich die Familie Kitahara bereits aufmachte, blieb den anderen nichts anderes mehr übrig, als mitzukommen. Das war auch für sie das erste Mal, dass sie die neue Filiale – im jetzigen Zustand – sehen würden.

Auf zwei Wägen aufgeteilt fuhr die Gruppe ins Stadtzentrum. Nachdem die Fahrzeuge geparkt waren, hatten sie ein paar Gehminuten vor sich. Von außen machte die Filiale noch nicht viel her. Das Aushängeschild fehlte noch. Zwar bestimmt nicht mehr lange, dennoch fiel es auf. Insbesondere Kiyoko, die um die genauen Umstände noch nicht Bescheid wusste.

»Und das hier ist es?« Sie klang überrascht und enttäuscht zugleich. Nach all den Erzählungen war sie von einem prächtigen, fluorierenden Geschäft mit viel Kundschaft ausgegangen. Und nun stand sie vor diesem nichtssagenden Gebäude, das weder einladend noch besonders gut besucht aussah. »Ich hatte es mir etwas anders vorgestellt«, fügte Kiyoko an und seufzte.