The Blue Diamond

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»Wie bitte?«, kam es ein wenig ungehalten von Keisuke, wurde aber von Tamanosuke zurückgehalten. Diesem entgegnete er daraufhin ein »Was denn?«.

»Warte doch erst mal ab.«

An Tamanosukes Lächeln erkannte Keisuke, was der Rothaarige bezweckte. Sie wussten um die wahren Werte des Blue Diamond und dass es bei diesem nicht auf die äußere Fassade ankam. Bestimmt würde Kiyoko ihre Meinung ändern, sobald auch sie es verstand.

Dennoch.

»So langsam verstehe ich Sōsuke«, murmelte der Buchhalter kleinlaut und folgte den anderen in den Laden. Dort sahen sie auch gleich das ›Problem‹, weswegen Sōsuke gerufen worden war.

»Es ist eine Unverschämtheit! Noch nie bin ich so behandelt worden! Ich verlange sofort eine Entschuldigung!«

Eine Frau mittleren Alters, stilvoll gekleidet in einem offensichtlich teurem Kostüm, schimpfte laut und deutete dabei auf Yuudai – der wiederum mit verschränkten Armen und etwas Abstand neben ihr stand.

»Beruhigen Sie sich doch bitte.« Sicher wurde ihr das nicht zum ersten Mal gesagt.

»Warum sollte ich mich beruhigen? Ihr Mitarbeiter hat sich mir gegenüber völlig respektlos verhalten! Sie können froh sein, dass ich nur eine Entschuldigung von ihm verlange!«

Von Beruhigen war sie wirklich weit entfernt.

Sōsuke erkannte das Problem und konnte sich auch in etwa denken, wie es dazu gekommen war. In diesem Augenblick bereute er es ein wenig, Yuudai als Berater eingesetzt zu haben. Aber nun war es schon geschehen und nicht mehr rückgängig zu machen. Jetzt musste er dafür gerade stehen. Tief verbeugte sich Sōsuke daher vor der Dame. »Ich bitte Sie vielmals um Verzeihung! Er ist neu im Team und noch nicht mit allen Umgangsformen vertraut.« Er hoffte inständig, dass sie dafür Verständnis aufbringen konnte.

»Sind Sie der Inhaber hier?«, fragte sie, nicht minder verstimmt.

Sōsuke nickte. »Der bin ich. Kitahara Sōsuke mein Name.«

»Dann erwarte ich, dass Sie etwas gegen diesen ... diesen Rüpel unternehmen!« Wieder sah sie Yuudai an.

Dieser schien von dieser Bezeichnung alles andere als erfreut zu sein. »Wie kann sie es wagen, so mit mir zu reden?«, murmelte er vor sich her und schnalzte mit der Zunge.

Sōsuke kannte dieses Verhalten bereits. Er wusste um das große Ego des jungen Mannes. Und obwohl er es kannte, hatte er gehofft, dass sich Yuudai als Berater besser benahm. Es war schon fast traurig, dass es nun so gekommen war.

Kaum hörbar seufzte Sōsuke und sah zu Yuudai, der sich von selbst wohl nicht entschuldigen würde. »Einen Moment bitte«, sagte er an die Frau gewandt; bat anschließend Usagi, sich um sie zu kümmern, und nahm zuletzt Yuudai zur Seite. Diesen sah er verständnislos an. »Was war los?«

Eigentlich mochte Yuudai diesen Umgangston gar nicht. Auch wenn er jünger war, hatte man ihn nicht so zu behandeln. Da er damit bisher aber weder bei seinem Vater noch bei Sōsuke durchgekommen war, hatte er aufgegeben zu widersprechen. »Spielt das eine Rolle? Ich habe ihr nur meine Meinung gesagt.«

Wie zu erwarten war, erkannte er nicht, worin der Fehler lag.

»Und wie immer in deinem Ton?«

»Klar! Anders kapieren es die Leute ja nicht.«

»Du weißt aber schon, dass du das nicht bei jedem machen kannst?« Sōsuke ging davon aus, dass das logisch war. Jedoch ...

»Ich mache da keine Ausnahmen. Und wem das nicht passt, soll halt gehen.«

Unverbesserlich.

»Das geht nicht.«

»Was?«

Streng sah Sōsuke den Jüngeren an. »So geht das nicht. Dir sollte im Klaren sein, dass hier der Kunde der König ist. Sich dem Kunden anzupassen oder unterzuordnen sollte selbstverständlich sein. Ich kann es daher nicht dulden, dass du unsere Kundschaft so behandelst, wie du es in deinem Umfeld gewöhnt bist. Du wirst dich jetzt bei ihr entschuldigen und in Zukunft auf deine Wortwahl achten. Andernfalls kann ich dich nicht mehr als Berater einsetzen. Das verstehst du doch?«

Mit großen, ungläubigen Augen sah Yuudai Sōsuke an. Der Ältere hatte ihm zwar schon immer Paroli geboten, ihn aber noch nie derart in die Schranken verwiesen. So etwas auf solche Weise gesagt zu bekommen, missfiel Yuudai. Und doch fand er genau diese Stärke eindrucksvoll. Es war dieser Zwiespalt, den er am wenigsten mochte.

»Und was wirst du nun tun?«, hakte Sōsuke nach.

Yuudai sah keinen Grund, sich zu entschuldigen. Er hatte doch nichts Falsches gesagt – nur seine Meinung zu den Problemen dieser Frau. Und das war es doch, worum es hier – ober vielmehr beim Beraten – ging! Ein Blick in Sōsukes Gesicht verriet ihm aber auch, dass er kaum eine andere Wahl hatte, wenn er weiter hierbleiben wollte. Hätte Yuudai nicht wirklich Gefallen an diesem Job gefunden, würde er einfach gehen ... Kurz sah er zu der Frau, die von Usagi abgelenkt wurde – und immer noch aufgebracht war. Seufzend wandte er sich wieder an Sōsuke. »Okay, einverstanden. Ich werde mich bei ihr entschuldigen ...« Freude zeigte er keine.

Obwohl Sōsuke es doch irgendwie von ihm erwartet hatte, hatte er nicht damit gerechnet, dass Yuudai so schnell einwilligen würde. Für den Bruchteil einer Sekunde war er verwirrt deswegen, fing sich aber gleich wieder und nickte bestimmt. »Gut.«

Auch wenn er das nicht ganz freiwillig tat, näherte sich Yuudai seiner Kundin, die daraufhin ihr Gespräch mit Usagi unterbrach und den Jüngeren erwartungsvoll ansah.

»Ich höre?« Dass sie ein wenig hochnäsig klang, ließ sich nicht abstreiten.

Yuudai biss sich auf die Unterlippe, damit ihm nicht versehentlich etwas herausrutschte, dass sie Situation noch verschlechterte. Er musste jetzt ruhig bleiben. Tief atmete er durch, ehe er den Kopf leicht senkte. »Verzeihen Sie mein Benehmen. Ich ... sehe ein, dass ich mich ... Falsch ... verhalten habe.«

Man merkte Yuudai an, dass ihm diese Entschuldigung nur schwer über die Lippen kam. Auch der Kundin entging dies nicht. Aber ihr schien zu gefallen, was sie sah. Das bedeutete für sie schließlich, dass sie gewonnen hatte. Mit einem »Gut« wandte sie sich von Yuudai ab und entfernte sich ein paar Schritte von ihm. Dann blieb sie plötzlich stehen und sah ihn wieder an. »Dass das kein zweites Mal vorkommt, klar?«, gab die Frau noch zu verstehen und verließ mit großen Schritten den Laden.

»Aah, diese ...!«, knurrte Yuudai, als die Kundin außer Sichtweite war. »Ich hätte mich nicht entschuldigen sollen.«

Mittlerweile konnte Sōsuke Yuudais Haltung ihr gegenüber nachvollziehen. Trotzdem gehörte es sich nicht. »Ganz gleich, wie sich unsere Kundschaft benimmt. Wir müssen stets ruhig und sachlich bleiben«, erklärte Sōsuke und sah dabei Yuudai als auch Usagi an.

»Verstanden, Chef«, gab Usagi lächelnd wieder. Auch wenn er es nicht offen zugab, war er doch froh, dass diese Frau gegangen war. »Ich geh' dann mal wieder an die Arbeit. Danke, dass Sie gekommen sind, Kitahara-san.«

»Keine Ursache. Und, Yuudai-kun?« Sōsuke wollte es von ihm hören und sichergehen, dass er es auch wirklich verstanden hatte.

Der Jüngere seufzte genervt. »Ja, ja, schon gut. Habs begriffen.« Mit diesen Worten ging Yuudai zurück in ›seinen‹ Beraterraum, vor dem der nächste Kunde bereits auf ihn wartete.

Sōsuke sah ihm noch hinterher, als ihm plötzlich eine Hand auf die Schulter gelegt wurde. Sofort schreckte er zurück und sah denjenigen mit weit aufgerissenen Augen an. »Wa-«

»Respekt. Gut gemacht, mein Junge.« Kiyoko strahlte ihren Sohn regelrecht an. »Das hast du sauber gelöst.«

Da Sōsuke kein Lob von ihr hören wollte, ging er nicht weiter darauf ein. Allerdings ... »Behandle mich nicht wie ein Kind.«

»Aber das tue ich doch gar nicht. Ich habe doch nur gesagt, dass du das gut hinbekommen hast.« Sie verstand nicht, was ihn störte.

Schon wieder, dachte sich Sōsuke, beließ es aber dabei. Es brachte nichts.

»Vertragt euch doch«, versuchte Eiji die Lage zu beruhigen und ging auf seinen Sohn zu. »Gute Arbeit, Sōsuke.«

»Danke. Wir sind aber noch nicht ganz fertig, wie man sieht.« Ein wenig verlegen sah sich Sōsuke in der großen und noch fast leer stehenden Halle um. Hier fehlte noch ein Großteil der Dekoration – und ein paar Sitzgelegenheiten. Die Bestellung war bereits aufgegeben, allerdings verzögerte sich die Lieferung um ein paar Tage. Wenn alles nach Plan lief, würde sie am Montag geliefert.

»Ich find' das trotzdem super, Sōsuke! Das ist schon die dritte Filiale, die du aufmachst.« Mit glänzenden Augen sah Miyako ihren Bruder an.

»Alleine hätte er das aber nicht geschafft«, murmelte Keisuke, der sich etwas außen vor fühlte.

»Das stimmt. Ohne euch wäre ich nie so weit gekommen.« Lächelnd sah er seine Freunde und Familie an. »Danke, dass ihr mir immer beigestanden habt!«

»Du bedankst dich zu oft, Sōsuke-san«, bemerkte Akira leise schmunzelnd.

Daraufhin schüttelte Sōsuke den Kopf. »Ich kann mich nicht oft genug dafür bedanken, Akira.«

»Habe ich richtig gehört? Drei Filialen?« Damit sie nicht überhört wurde, sprach Kiyoko besonders laut und machte auf sich aufmerksam, indem sie sich in die Mitte des entstandenen Kreises stellte. Dass sie eben (fast) ignoriert worden war, ärgerte sie auch ein wenig. »Erklärt mir das mal genauer. Und auch, was das hier ist.«

Man sah Sōsuke an, dass er sich wieder nur über seine Mutter ärgern konnte. Ihm war auch nicht klar, warum sie sich hier so aufspielte. Genauso wie er sich fragte, warum sie offenbar nicht wusste, worum es beim Blue Diamond ging. Hatten die anderen ihr das noch gar nicht erzählt? Aber wie war es dann möglich, dass sie vom Erfolg wusste? Das ergab irgendwie keinen Sinn.

Während Sōsuke noch darüber nachgrübelte, ergriff Miyuki das Wort: »Das Blue Diamond ist für alle da, die einfach ... Reden wollen.«

 

»Reden?«, wiederholte Kiyoko unsicher. »Reden? Was bringt das? Wie kann das zu Erfolg führen?«

»Sōsuke-san ist stets um das Wohl seiner Kunden bemüht. Das spiegelt sich in allem wider«, fuhr Akira fort.

»Ja, aber ...«

»Sie brauchen das gar nicht infrage zu stellen. Es funktioniert und das ist die Hauptsache«, bemerkte Keisuke scharf.

»Kei ...«, zügelte Tamanosuke seinen Freund. »Aber er hat recht.«

»Er hat sich da etwas Tolles einfallen lassen, um den Menschen zu helfen, Mama.«

»So ist es, Schatz«, bekräftigte auch Eiji die Aussagen.

Sōsuke sah sie alle gerührt an. »Danke, Leute.«

Kiyoko konnte es noch nicht wirklich nachvollziehen. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass ein Geschäft mit einem solchen ›Angebot‹ tatsächlich funktionieren konnte. Aber wenn es stimmte, dann konnte sein Konzept gar nicht so schlecht sein – auch wenn es ihr schwerfiel, das zu glauben.

»Mal was anderes«, warf Keisuke ein und sah zu den Beraterräumen. »Was war das mit Washi eben? Sag bloß, der arbeitet hier?«

Sōsuke drehte sich seinem Freund zu und nickte. »Ich wollte es erst auch nicht glauben, als er plötzlich vor der Tür stand. Er meinte, dass er es gern versuchen wollte ... Und so insgesamt klappt das auch ganz gut.« Mit einigen Ausnahmen, wie man feststellen musste.

»Er kam von sich aus an? Ungewöhnlich«, bemerkte Tamanosuke, der den jungen Mann ebenfalls als ›schwierig‹ einstufte.

»Ja. Es wurde mal erwähnt, dass er wohl ein ›Talent‹ fürs Beraten habe, aber dass er es wirklich einmal machen wollen würde ...«

»Menschen ändern sich, Sōsuke-san.« Akira wusste in dieser Hinsicht genau, wovon er sprach. Hatte er doch auch eine Veränderung durchgemacht.

»Stimmt schon. Trotzdem war es eine Überraschung. Aber genug davon. Was macht ihr hier?«

»Deine Mutter wollte das Blue Diamond mal erkunden und da wir die neue Filiale auch noch nicht kannten, sind wir zusammen hergekommen«, erklärte Eiji ruhig.

»Ah. Okay.« Ganz behaglich war Sōsuke das nicht – schließlich war hier noch nicht alles fertiggestellt.

»Es ist noch einiges zu tun. Schaffst du das bis zur Eröffnung?«, fragte Keisuke nach und sah sich um.

»Wird schon gehen. Noch ist es ja nicht offiziell. Zur Not können wir es ein paar Tage nach hinten verlegen.«

»Hast du denn schon etwas im Sinn?«, erkundigte sich Tamanosuke. »Und wolltest du das Restaurant nicht erst fertigstellen?«

Nachdenklich drehte sich Sōsuke um und betrachtete den verschlossenen Durchgang, der zum zukünftigen Restaurant führte. »Natürlich wäre es besser, wenn wir beides gleichzeitig eröffnen könnten. Die Renovierung dauert aber leider noch zehn bis vierzehn Tage.« Er lächelte gequält. Obwohl es ursprünglich nicht anders geplant war, störte es Sōsuke nun, dass es sich in die Länge zog. Bestimmt fühlte es sich nur wegen der Voreröffnung so seltsam an. »Wahrscheinlich warte ich doch ab, bis alles so ist, wie es sein soll«, fügte er schließlich an. »Das dürfte dir doch auch gelegen kommen, oder Tama?«

»Eigentlich spielt das kaum eine Rolle. Ich habe ab nächster Woche frei, weißt du noch?« Seine restlichen Urlaubstage, bevor sein Vertrag auslief.

»Verstehe. Okay. Ich werde mal bei deinem zukünftigen Sous Chef nachfragen, wie es bei ihm aussieht. Aber im Moment bleibt das festgelegte Datum.«

»Sprich, Ende des Monats«, sprach Keisuke es laut aus.

Sōsuke nickte bestätigend.

»Aber das ist doch nicht schlecht. Dann hast du genug Zeit, um dir eine tolle Eröffnungsfeier zu überlegen.« Optimistisch lächelte Miyuki ihren Freund an.

»Hm, stimmt. So gesehen«, stimmte er ihr zu und lächelte. Auf die Weise hatte er das noch gar nicht betrachtet. Dann wäre es vielleicht sogar möglich ... Mit hoffnungsvollem Blick wandte er sich an Keisuke. »Wie viel steht uns diesmal zur Verfügung?«

»Du wieder«, seufzte der Angesprochene und schüttelte den Kopf. »Lass uns das lieber woanders besprechen. Wir stehen hier auch etwas ungünstig ...« Dabei fiel sein Blick auf eine Kundin, die gerade von einem Gespräch kam und zu Usagi an die Rezeption wollte – und sie neugierig beäugte.

Sōsuke reagierte daraufhin sofort und lotste seine Freunde ins hintere Eck der Lobby, die aktuell noch keine Sitzgelegenheiten bot. »Das hättest du auch mal früher erwähnen können«, schimpfte er leise. Aber nur kurz. »Kannst du schon was sagen?«

Die Erwartung stieg.

»So genau kann ich das noch gar nicht. Dadurch, dass Washi seine Meinung geändert hat, sieht es ja ganz anders aus als noch vor einer Woche«, erklärte Keisuke und hob dabei die rechte Hand gestikulierend in die Luft.

»Theoretisch bleibt doch dann mehr oder sehe ich das falsch?«

Wieder schüttelte der Buchhalter den Kopf. »Theoretisch schon. Aber es ist nicht so viel, wie du vielleicht vermuten magst. Und bedenke, dass sowohl die Neuanstellungen als auch die Renovierung einiges ausmachen.«

»Du hattest aber schon was für die Eröffnung eingeplant.« Eigentlich hatte Sōsuke mit einem höheren Budget gerechnet. Der Betrieb lief gut und es war ein bedeutsamer Anlass! Schließlich kam er seinem Traum Stück für Stück näher: das Blue Diamond mit integriertem Restaurant, um Leib und Seele verwöhnen zu können.

»Natürlich habe ich das eingeplant!« Keisuke fühlte sich angegriffen. »Es kommt halt darauf an, was du vorhast!«

»Das weiß ich erst, wenn du mir sagst, was es kosten darf.«

»Jungs. Mäßigt euren Ton ...«, schaltete sich Tamanosuke ein. »Klärt das doch morgen.«

»Hast recht. Schieben wir's auf morgen«, lenkte Sōsuke ein.

»Also ...«, meldete sich Kiyoko zu Wort und trat einen Schritt vor. »Wenn ich das richtig verstanden habe, geht es hier um die Finanzierung einer Eröffnungsfeier?«

Einstimmig nickten Sōsuke, Tamanosuke und Keisuke.

»Da kann ich helfen!« Ihre Augen leuchteten. Endlich konnte sie von Nutzen sein und ihre lange Abwesenheit wiedergutmachen.

»Nein, danke«, antwortete Sōsuke kühl.

»Aber warum denn nicht?«

»Kann dir egal sein.« Er drehte sich von ihr weg.

»Das liegt daran, dass er es aus eigener Kraft schaffen will«, klärte Akira die Mutter auf und lächelte schwach.

»Ah, ah so ...« Das verstand sie zwar, aber gefallen tat ihr das nicht. Endlich hatte sich eine Möglichkeit ergeben und dann so was. Irgendwie wollte sie jetzt aber nicht klein bei geben. Es gab sicher einen Weg, ihm doch zu helfen.

»Lass gut sein. Wir schaffen das auch ohne deine Hilfe.« Sturkopf Sōsuke ließ nicht nach.

Immer noch dachte Kiyoko darüber nach, wie sie ihm behilflich sein konnte. Wenn Sōsuke keine direkte Unterstützung wollte, musste sie sich eine andere Möglichkeit überlegen. Budget; Finanzen; Einkommen ... Kunden? Natürlich! »Dann lass mich dir einen anderen Vorschlag unterbreiten.« Sie lächelte selbstsicher.

Skeptisch sah Sōsuke seine Mutter wieder an. »Kein Interesse.«

»Sōsuke-san! Hör ihr doch wenigstens zu«, tadelte Miyuki und sah ihn ernst an. »Sei nicht so abweisend, wenn sie dir schon helfen will.«

Bevor Sōsuke darauf antworten konnte, sprach Kiyoko weiter: »Danke, Liebes. Also hört zu!« Sie klatschte demonstrativ in die Hände. »Wie wäre es mit einem Live-Auftritt im Fernsehen, um den Umsatz anzukurbeln?« Sie schien von ihrer Idee überzeugt.

Der Rest sah dem eher kritisch entgegen.

»Keine Chance. Die Idee haben wir bereits verworfen.« Sōsuke sah dabei zu Keisuke und Tamanosuke. »Wir haben weder die Ressourcen noch das Geld dafür.«

Keisuke nickte zustimmend. »Ganz recht. So was fällt unter die Kategorie ›unnötige Ausgaben‹.«

»Sagst ... du?«

»Natürlich. Wer sonst?«

»Hast du wirklich das Recht dazu?«, bohrte Kiyoko nach und merkte dabei nicht, dass Keisuke immer unbeherrschter wurde.

»Was?«, kam es daher aufgebracht von diesem.

»Kei.« Wieder war es Tamanosuke, der seinen Freund zurückhielt. Aber auch in seinem Gesicht war Ärgernis zu sehen. »Keisuke ist der Buchhalter des Blue Diamond«, erklärte der Rothaarige mit scharfem Blick. »Wenn einer das Recht dazu hat, dann er.«

Ungläubig wurde Tamanosuke angesehen. Solche Worte bekam man nur selten von ihm zu hören.

Da Kiyoko davon nichts gewusst hatte, kümmerte sie sich nicht weiter darum und fuhr fort: »Na, wenn das so ist. Sag das doch gleich. Jedenfalls könnte ich da was arrangieren.«

Beruhigt hatte sich Keisuke zwar noch nicht, aber dieser Satz machte ihn schon neugierig. »Was reden Sie da?«

»Wie ich vorhin bereits erwähnte, bin ich bei vielen Magazinen unter Vertrag. Ein paar von denen drehen auch regelmäßig Dokumentarfilme, bei denen ich auch schon mitgewirkt habe.«

»Und?«

»Dementsprechend habe ich Beziehungen.« Kiyoko zwinkerte, während sie den Satz wohl wissend betonte. »Ich kenne den ein oder anderen Sendeleiter. Von Kamerateams ganz zu schweigen.«

»Ist das wahr?« Keisuke konnte – oder wollte? – ihr noch nicht glauben. Das klang einfach ... übertrieben.

»Aber ja! Warum sollte ich euch anschwindeln?«

»Ihr könnt ihr glauben. Kiyoko kennt wirklich viele Leute«, meldete sich Eiji nach langer Zeit wieder zu Wort.

»Das könnte durchaus sein. Journalisten kommen viel rum.« Laut dachte Akira nach.

»Ganz genau. Also wie siehts aus?«

»Was soll wie aussehen? Ich habe doch gesagt, dass ich deine Hilfe nicht will«, mischte sich Sōsuke nun wieder ein. Er hatte sich bewusst aus diesem Gespräch zurückgehalten. Jetzt musste er allerdings doch wieder einschreiten.

»Bist du sicher? Das ist vielleicht die Chance, um groß rauszukommen.« Kiyoko konnte nicht anders, als gegen diesen Sturkopf anzukämpfen.

»Sie hat leider nicht ganz Unrecht, Sōsuke. Mit einem Fernsehauftritt lässt sich sicher einiges verdienen. Der Profit käme nicht ungelegen.« Da sprach der Buchhalter aus Keisuke. »Und bevor du was sagst. Ich weiß, warum du nicht willst. Aber denk' mal an das Wohl deiner Kunden. Was passiert, wenn du – Gott bewahre – plötzlich wieder Einnahmebußen hast? So wie vor sieben Jahren schon?«

»Uhn ...« Sōsuke biss sich auf die Unterlippe. Keisuke hatte da wohl leider recht. Wenn es wirklich nur um den Erhalt des Blue Diamond ging, wäre es ein Fehler, das Angebot auszuschlagen. Gerade in der heutigen Zeit, in der die digitalen Medien immer präsenter wurden, war es wichtig, sich richtig zu präsentieren. Mit Fernsehen erreichte man viele Menschen. Menschen mit Sorgen, die vielleicht Interesse am Blue Diamond haben könnten. Menschen, denen Sōsuke weiterhelfen könnte. Die Einnahmen waren in seinen Augen eher trivial. Ob sie mehr oder weniger waren; das ergab sich im Laufe der Zeit von selbst.

Dennoch.

Er wollte es ohne ihre Mithilfe schaffen.

Das Schweigen war erdrückend. Jeder der Anwesenden sah Sōsuke an, wie er mit sich kämpfte. Miyuki drückte sich an ihn, um ihm wenigstens etwas näher zu sein. Sie konnte ihm im Moment nicht weiterhelfen, doch sollte er spüren, dass sie für ihn da war.

Diese Unentschlossenheit nervte Keisuke langsam. Wenn er könnte, würde er die Entscheidung treffen. Und hätte Tamanosuke ihn nicht davon abgehalten, hätte er sich längst wieder bemerkbar gemacht.

Damit die Stille nicht ewig andauerte, wandte sich Miyako an ihre Mutter: »Was hast du denn im Sinn, Mama?«

»Wie meinst du das, Liebes?«

»Na. Willst du einen richtigen Werbespot machen?«

Eine berechtigte Frage, die alle aufsehen ließ.

Kurz dachte Kiyoko über die Frage nach, schüttelte dann aber den Kopf. »Das wird wohl nicht gehen. Ich dachte da eher an ein Interview.«

»Ein Interview?«, wiederholte Akira überfragt. »Für eine TV-Werbung?«

»Das will doch niemand sehen«, brachte Kiyoko ein.

»Ich denke auch, dass das kein Format wäre, bei dem die Zuschauer einschalten würden.« Auch Tamanosuke war skeptisch.

»Sekunde. Ich habe nicht von Werbung gesprochen.« Kiyoko grinste triumphierend, während sie die linke Hand gegen die Hüfte stemmte und mit dem rechten Zeigefinger wackelte. »Werbung wäre viel zu langweilig.«

»Wenn man aber die lange Laufzeit bedenkt ...«, murmelte Keisuke an Tamanosuke gewandt, ehe er sich zu Kiyoko drehte. »Sie wollen uns jetzt aber keine Dokumentation vorschlagen? Das wäre völlig daneben.«

»Warum denn nicht? Man könnte den Laden in all seinen Aspekten beleuchten und den Zuschauern so zeigen, was sie hier erwartet. Wäre das nicht sogar die bessere Form der Werbung?«

 

Gegen dieses Argument wusste Keisuke nichts zu sagen. Trotzdem lag es nicht an ihm, ob dem Angebot zugestimmt würde oder nicht. Daher sah er nun zu Sōsuke, der sich auch nicht so sicher zu sein schien.

»Also? Wie entscheidet ihr euch?«, hakte Kiyoko nach; richtete ihren Blick gezielt auf ihren Sohn.

Eine Dokumentation über das Blue Diamond. Das war etwas, worüber sich Sōsuke bislang keine Gedanken gemacht hatte. Fernsehen beziehungsweise Fernsehwerbung hatte er schon zu Schulzeiten vor Augen gehabt. Dass er bislang noch nichts in die Richtung unternommen hatte, lag zum Großteil an Keisuke – dessen Argumente durchaus berechtigt gewesen waren. Mittlerweile könnten sie wohl das Geld für einen TV-Spot zusammenbringen, doch wäre die Laufzeit etwas kurz und nicht wirklich lohnenswert. Trotzdem. Im Vergleich zu einer einmaligen Ausstrahlung – wie es bei Dokumentationen üblich war –, wäre ein Werbespot immer noch besser. Die Frage, die sich Sōsuke nun stellte, war, warum er ihr zustimmen sollte. Zumal der Betrieb im Moment gut lief und auch noch am Wachsen war. Er hatte ein wenig das Gefühl, dass sich durch diese Dokumentation nicht viel ändern würde. Andererseits hinterließ ein Film meist einen bleibenden Eindruck. Und wie sich schon oft gezeigt hatte, machte Mundpropaganda viel – wenn nicht sogar den Großteil – der Werbung aus.

So gesehen ...

Verunsichert sah Sōsuke zu seinen Freunden, die nur verhalten nickten; dann zu seinem Vater und Miyako, die ihn aufmunternd anlächelten; und schließlich zu Miyuki. Sie drückte seine Hand, lächelte.

»Egal, wofür du dich entscheidest. Wir stehen hinter dir.« Voller Zuversicht war ihr Blick.

Sōsuke konnte in diesem Moment gar nicht anders, als sie sanft in den Arm zu nehmen und ihr ein von Herzen kommendes »Danke« zuzuflüstern. Endlich kehrte auch sein Lächeln wieder zurück, als er sich etwas von ihr löste und seine Mutter direkt ansah.

»Einverstanden.«

Die Zustimmung kam überraschend. Kiyoko brauchte einen Moment, um das zu realisieren. »Mh? Wirklich? Gut. Sehr gut. Ich werde mich gleich morgen darum kümmern.« Sie schien dankbar dafür zu sein, dass sie ihm nun behilflich sein durfte. Kurz hatte sie darüber nachgedacht, es auch ohne sein Einverständnis in die Wege zu leiten. Jetzt war sie froh, das nicht tun zu müssen.

Leise Bedenken blieben Sōsuke. Er wusste nicht, was nun auf ihn zukommen würde und ob das auch funktionierte. Wirklich vertrauen konnte er seiner Mutter nicht. Einzig Miyuki zuliebe gab er ihr die Möglichkeit, sich zu beweisen.

»Sehr schön. Da das nun geklärt wäre, können wir zum nächsten Tagespunkt kommen.« Miyako trat an Sōsuke heran und lächelte stolz. »Wir haben lange überlegt, was wir dir schenken könnten. Leicht hast du es uns nicht gemacht, Bruderherz.«

»Weil das nicht nötig ...«, wollte Sōsuke widersprechen, wurde aber unterbrochen.

»Wir wussten, dass du das sagen würdest. Aber das war uns diesmal egal. Da deine Geburtstage all die Jahre viel zu kurz gekommen sind – woran du oft selbst schuld warst –, haben wir uns was Besonderes einfallen lassen. Und bevor du etwas sagst! Wir lassen kein ›Nein‹ gelten. Gebucht ist nämlich schon«, verkündete Miyako feierlich.

»Gebucht?«, fragte Sōsuke sichtlich irritiert nach.

»Alle hier wissen, dass du viel arbeitest und jede freie Minute in das Blue Diamond steckst. Seit der Gründung hast du kaum einen Tag freigenommen. Wir finden, dass es für dich an der Zeit wird, einfach mal auszuspannen«, gab Akira zu verstehen und zog einen blauen Briefumschlag aus seiner Jackeninnentasche. Auf diesem war Sōsukes Name mittig platziert. »Noch mal alles Gute, Sōsuke-san.«

Sōsuke fehlten die Worte. »Danke«, hauchte er daher nur leise und nahm den Umschlag entgegen. »Danke euch allen.«

»Na los, mach ihn auf«, drängte ihn Miyuki, die ganz aufgeregt schien. Sie war selbst gespannt, was sich in diesem Brief befand.

»Okay.« Langsam öffnete Sōsuke die Lasche, die den Umschlag zusammenhielt. Kaum geöffnet, lugte auch schon eine Postkarte hervor. Das Bild auf dieser zeigte einen alten Tempel inmitten eines dichten Waldes. Darunter stand in westlichen Lettern das Wort ›KYOTO‹ geschrieben. Auf der Rückseite stand in sauberer Handschrift das Kanji für ›EINLADUNG‹ und direkt darunter, dass es sich um eine zehntägige Erholungsreise für zwei Personen in einem Onsen1-Hotel handelte.

Einige Augenblicke lang betrachtete Sōsuke die Karte. »Aber Leute ...«, begann er, brach aber ab, als er seine drei Freunde lächeln sah.

»Du brauchst dir keine Gedanken zu machen. Um das Blue Diamond kümmern wir uns. Gönnt euch diese Auszeit«, gab Tamanosuke zu verstehen.

»Genau. Du arbeitest seit mehr als acht Jahren ununterbrochen. Bevor du wirklich ernsthaft erkrankst, solltest du mal richtig Urlaub machen«, stimmte Keisuke mit ein.

»Das ...« Sōsuke stockte der Atem. Dass er seinen Freunden doch so viele Sorgen bereitete, war ihm nicht bewusst gewesen. Nun, vielleicht doch. Aber er hatte sich da nicht allzu viele Gedanken darum gemacht. »Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll.«

»Das brauchst du nicht. Im Gegenteil. Wir sind dir alle zu Dank verpflichtet. Dieser Urlaub wird dem eigentlich nicht gerecht. Aber wir hoffen, dass du ihn trotzdem genießen wirst«, fuhr Akira weiter fort.

»Yup. Macht es euch gemütlich, ihr beiden.« Nicht ganz ohne Hintergedanken zwinkerte Keisuke seinem Freund zu.

»Kei!« Sichtlich beschämt über diese offensichtliche Anspielung fuhr Sōsuke den Buchhalter an.

»Ist schon okay, Sōsuke-san.« Miyuki lächelte, obwohl es auch ihr peinlich war.

Um daher vom Thema wegzukommen, wandte sich Sōsuke wieder an Akira. »Für wann ist denn die Reise gebucht? Du weißt, dass in nächster Zeit einiges ansteht, oder?«

»Keine Sorge. Reiseantritt ist erst in drei Wochen.«

»Drei Wochen ...«, wiederholte Sōsuke nachdenklich und ging gedanklich bereits alles noch Anstehende durch. Die Renovierung zu Ende bringen; die neuen Berater anlernen und das Küchenpersonal mit Tamanosuke zusammen einweisen; sowie die Planung und Durchführung einer angemessenen Einweihungsfeier. Ob das alles innerhalb dieser zwanzig Tage zu schaffen war? Im Regelfall sollte es kein Problem darstellen. Sofern nichts dazwischen kam.

»Das ist lange genug hin. Du brauchst dir also keinen Stress zu machen.« Keisuke ahnte, was in seinem Kopf vor sich ging.

Ertappt.

»Hah. Okay. Ich werde es versuchen ...«

Damit sich Sōsuke jetzt keine weiteren Gedanken machte, ließ die Gruppe den Abend bei einem gemütlichen Abendessen ausklingen.

Am frühen Vormittag des nächsten Tages – Sonntag – erreichte Sōsuke ein Anruf seiner Mutter. Nicht ganz freiwillig hatte er ihr seine Nummer gegeben. Dass sie sich so früh bei ihm meldete, kam dennoch unerwartet. Sie informierte ihn darüber, dass sie am Montag bei ihren ›Jungs‹ – wie sie sie nannte – anrufen und nachfragen werde. Sōsuke quittierte dies mit einem schon fast Widerwilligen ›Okay‹ und beendete das Gespräch alsbald. Er wollte nicht länger als nötig mit ihr reden.

Es war nicht so, dass er sich gegen diesen Film stellte. Doch der Gedanke, dabei auf seine Mutter angewiesen zu sein, gefiel ihm nicht. Blieb wohl abzuwarten, wie sich das entwickelte.

Am Montagnachmittag rief Kiyoko wieder bei Sōsuke an und teilte ihm mit, dass das Team einverstanden sei und sie Donnerstag und Freitag für den Dreh vorbeikommen würden. Sōsuke war erstaunt darüber, dass sie das in so kurzer Zeit organisiert bekam. So hatte er sie gar nicht eingeschätzt. Das Problem war nur, dass er für den Donnerstag bereits Pläne hatte.

»Geht das nicht an einem anderen Tag?«, fragte er daher unschlüssig nach und blätterte in seinem Terminkalender umher. Es stand fast jeden Tag etwas an, dass sich nur schwer verschieben ließ. Ob es trotz allem möglich war, alles unter einen Hut zu bekommen?

»Moment.« Kiyoko bedeckte das Telefon mit ihrer Handfläche, während sie mit dem Produktionsleiter sprach. Nach einem kurzen Wortwechsel, von dem Sōsuke lediglich die Tonlage vernehmen konnte, meldete sich Kiyoko wieder. »Tut mir leid, Sōsuke. Ab nächster Woche stehen andere Projekte an.«