Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

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V. Transformation und Re-Kontextualisierung des kirchlichen Dienstes

Die soziologischen Untersuchungen und Reflexionen über die neue Ära, in deren Übergang wir uns befinden, bezeichnen diesen Übergang mit dem Begriff der „Transformation“33. Wenn, wie Papst Franziskus sagt, wir nicht in einer Ära des Wandels leben, sondern den Wandel einer Ära erleben, dann erleben wir Transformationsprozesse in allen Bereichen der Lebenswelten, der Arbeitswelten, der Organisationen, Institutionen und Strukturen, der gesellschaftlichen, politischen und sozialen Entwicklungen. Bezüglich des kirchlichen Dienstes müssen wir daher auch von einer Transformation sprechen. Die Novellierung der Grundordnung von Seiten der deutschen Bischöfe 2015 und damit die Reform des kirchlichen Arbeitsrechts war ein solcher Transformationsprozess.

Weiterhin: Wenn die neue Ära dieser Transformation eine Ära der Digitalisierung, der Schnelllebigkeit, der Flüchtigkeit, der Pluralität, Fluidität, postmoderner Lebensformen und Lebenswelten ist, wie wir es im zweiten Abschnitt skizziert haben, dann stellt sich auch die Frage nach der Begründung und Bedeutung des kirchlichen Dienstes in dieser neuen Ära.

Diese Transformationen, die es in der vergangenen Geschichte schon mehrfach gab (z. B. Renaissance, Humanismus, Reformation, Aufklärung, Industrialisierung, Säkularisierung, Modernisierung) wird für den Bereich der kirchlichen Verkündigung und Religionspädagogik mit dem Begriff „ Re-Kontextualisierung“34 bezeichnet. Re-Kontextualisierung bedeutet „Neuwerdung bei gleichzeitiger Bewahrung des Ursprünglichen“35. Dies bedeutet, dass immer wieder das Ursprüngliche in die neuen, sich wandelnden Kontexte neu verordnet und eingebunden werden muss, um erhalten zu bleiben.

So hat auch die Kirche viele solche Re-Kontextualisierungsprozesse (z. B. das II. Vatikanische Konzil) erlebt und vollzogen. Re-Kontextualisierung beinhaltet zwar eine grundlegende Erneuerung, sie bedeutet aber nicht den Verlust des eigentlichen und zum Beispiel in der Kirche und ihrer Geschichte die Erfindung eines völlig anderen Glaubens. Im Gegenteil: Durch die jeweiligen Re-Kontextualisierungen im Christentum konnte das Wesentliche des christlichen Glaubens gerade durch die Zeiten bewahrt werden.

In Zeiten der Transformation braucht es bei der Wahrnehmung der Zeitdiagnosen (Zeichen der Zeit) eine Rückbesinnung auf das Wesentliche, auf das Ursprüngliche. Siegfried Klostermann erinnert in seinem Buch „Management im kirchlichen Dienst“36 angesichts veränderter Zeiten und Rahmenbedingungen an die Notwendigkeit, sich des Grundes kirchlicher Trägerschaft und des Wesens des kirchlichen Dienstes wieder zu vergewissern.

„Wie jeder Wandel braucht auch der Gestaltwandel kirchlicher Trägerschaft eine Konstante - eine Mitte, die bei aller Veränderung unverändert bleibt. (…) Eine Veränderung, die die eigene Identität verdrängt, eine Veränderung, die auslöscht, was unverwechselbare Eigenart, Existenzgrund und kulturelles Selbstverständnis ist, wäre mehr als Umgestaltung von Strukturen und Arbeitsweisen - eine solche Veränderung würde die offene oder schleichende Auflösung kirchlicher Trägerschaft bedeuten.“37

Klostermann empfiehlt dabei einen Rückblick und eine Rückbesinnung auf die Gründungsgeschichte kirchlicher Trägerschaft38 und bringt es auf die kurze Formel: „Innovation durch Selbsterkundung.“39 In der Auseinandersetzung und Begegnung mit dem eigenen Ursprung, den ersten Anfängen und der Geschichte der eigenen Herkunft und der eigenen Gemeinschaft ereignen sich neue Impulse und Perspektiven. Die Begegnung mit dem Ursprung bedeutet auch, den Zusammenhang zwischen Ursache und Wirkung, der für das Entstehen der Trägerschaft grundlegend war, für das eigene Dasein, das Hier und Jetzt, das Sein in der Transformation neu zu begreifen. Gleiches gilt auch für den kirchlichen Dienst und die Dienstgemeinschaft in den kirchlichen Trägerschaften und Einrichtungen.

Kirchliche Einrichtungen und der kirchliche Dienst könnten dann sogar zu einem Ort der Unterbrechung werden. In der neuen Ära der pluriformen Moderne braucht es solche Unterbrechungen. Es braucht Orte der Dauerhaftigkeit, es braucht Orte der Zuverlässigkeit und Geborgenheit, Orte der Orientierung, Orte der Solidarität und Nächstenliebe, Orte der Hoffnung, Orte der Wahrheit und der Ganzheitlichkeit des Blicks auf den Menschen. Diese Orte der Unterbrechung des kirchlichen Dienstes, Trägerschaften und Dienstgemeinschaften sind Ausdruck einer Transformation und Re-Kontextualisierung. Und ohne Glaube und Vertrauen auf eine Wirklichkeit, die über das Hier und Jetzt hinausgeht, die größer ist als die Sorge um das eigene Leben, ohne persönliche Zuwendung zum Anderen, zum Nächsten - was wir mit dem Wort „Caritas“ bezeichnen - werden kirchliche Einrichtungen und der kirchliche Dienst seine christliche Botschaft nicht mehr überzeugend und glaubwürdig näherbringen können.

Norbert Feldhoff schloss seinen Vortrag beim „Dialogform Theologie“ des Caritasverbandes der Diözese Rottenburg-Stuttgart am 6. Juli 2009 mit folgenden Worten, die auch als Schlussworte dieses Beitrags dienen sollen:

„Noch ein Hinweis auf das, was Papst Johannes Paul II. in seinem apostolischen Schreiben zur Jahrtausendwende über die Bedeutung der Liebe für die kirchliche Gemeinschaft gesagt hat und was den Begriff Dienstgemeinschaft theologisch stärker füllen könnte. ‚Aus der innerkirchlichen Gemeinschaft öffnet sich die Liebe, wie es ihrer Natur entspricht, auf den universalen Dienst hin und stellt uns in den Einsatz einer tätigen, konkreten Liebe zu jedem Menschen. Das ist ein Bereich, der das christliche Leben, den kirchlichen Stil und die pastorale Planung gleichermaßen bestimmt und kennzeichnet.‘ Trotz aller Leistungsanforderungen, denen auch kirchliche Unternehmen unterliegen, trotz aller Unterschiede der Mitarbeiter nach Stellung, Verantwortung und Gehalt sollte der Stil des Umgangs miteinander von der Liebe geprägt sein - besonders dann, wenn wir uns ‚Caritas‘ nennen.“40

In Umsetzung dieses Grundverständnisses ist kirchlicher Dienst in der pluriformen Moderne ein Ort von Kirche.

1 Vgl. Kasper, Katholische Kirche. Wesen, Wirklichkeit und Sendung, 2011.

2 Vgl. Zulehner, Neue Schläuche für jungen Wein. Unterwegs in einer neuen Ära der Kirche, 2017, S. 13.

3 Vgl. Berger, Sehnsucht nach Sinn. Glauben in einer Zeit der Leichtgläubigkeit, 1994, S. 83.

4 Baumann, Flüchtige Moderne, 2003.

5 Rosa, Beschleunigung und Entfremdung, 2013.

6 Vgl. Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 136–143.

7 Vgl. Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997.

8 Vgl. Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 150 f.

9 Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 155.

10 Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 157.

11 Baumann, Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, 1997, S. 161.

12 Handke/Hamm, Es leben die Illusionen. Gespräche in Chaville und anderswo, 2006, S. 33.

13 Vgl. Keupp, Identitätskonstruktionen. Das Patchwork der Identitäten, 2008, S. 207 ff.

14 Vgl. Tönnies, Gemeinschaft und Gesellschaft. Grundbegriffe der reinen Soziologie, 6. Aufl. 1926.

15 Vgl. Herr, Arbeitgeber Kirche – Dienst in der Kirche, 1985, S. 65.

16 Vgl. Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011.

17 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 152.

18 Deutscher Caritasverband, Impulse für den Begriff der Dienstgemeinschaft, in: neue Caritas 01/2011.

19 Deutscher Caritasverband, Impulse für den Begriff der Dienstgemeinschaft, in: neue Caritas 01/2011, S. 35.

20 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 127–133.

21 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 153.

22 Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Erklärung der deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst. Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse vom 22. September 1993, Die deutschen Bischöfe Nr. 51, 11. Aufl. 2008, S. 7 f.

23 Vgl. Lob-Hüdepohl, Dienstgemeinschaft als Führungsmaxime und Achtsamkeitsgebot, in: Reichold, Hermann (Hg.), Führungskultur und Arbeitsrecht in kirchlichen Einrichtungen, 2017, S. 11–32.

24 Feldhoff weist bei dem Thema Outscourcing auf das Problem hin, das dann entsteht, „wenn bestimmte Teile eines kirchlichen Betriebs in vom selben Träger bestimmte Gesellschaften ausgelagert werden, um billigere Löhne zu zahlen.“ Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 99.

25 So schließt z. B. die Caritas aus finanziellen Gründen zum Ende Juni 2019 nach über 40 Jahren ihren Fachdienst Familienpflege (General-Anzeiger vom 26.03.2019, Caritas stellt Familienpflege ein, S. 17).

 

26 Bergold/Nitsche, Kirchlicher Dienst. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 124.

27 Vgl. Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 83–92.

28 Peters/Waterman, Auf der Suche nach Spitzenleistungen, 1984.

29 Peters/Waterman, Auf der Suche nach Spitzenleistungen, 1984, S. 8, 322.

30 Vgl. Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 151.

31 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 151.

32 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 131.

33 Vgl. z. B. Schneidewind, Die große Transformation: Eine Einführung in die Kunst gesellschaftlichen Wandels, 2. Aufl. 2018; Brunnhuber, Die Kunst der Transformation, 2016.

34 Vgl. Bergold, Re-Kontextualisierung. Auftrag und Perspektive einer theologischen Erwachsenenbildung, in: Achilles, Mark; Roth, Markus, (Hg.), Theologische Erwachsenenbildung zwischen Pastoral und Katechese, 2014; Bergold/Boschki, Einführung in die theologische Erwachsenenbildung, 2014.

35 Bergold/Boschki, Einführung in die theologische Erwachsenenbildung, 2014, S. 83.

36 Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997.

37 Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997, S. 60.

38 Vgl. Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997, S. 81–168.

39 Klostermann, Management im kirchlichen Dienst, 1997, S. 83.

40 Bergold/Nitsche, Dienst in der Kirche. Kommentare, Vorträge, Aufsätze… von Norbert Feldhoff, 2011, S. 133.

Norbert Feldhoff als Vorsitzender der Arbeitsrechtlichen Kommission
Norbert Beyer
I. Der Beginn oder: Aller Anfang ist schwer

„So was Beklopptes wie diese Resolution ist mir noch nie untergekommen.“ Mit einem Paukenschlag begann das Wirken von Norbert Feldhoff in der Arbeitsrechtlichen Kommission. Anlass war seine beabsichtigte Wahl zum Vizepräsidenten des Deutschen Caritasverbandes und die damit verbundene Beauftragung als neuer Vorsitzender der Kommission im Oktober 1996. Deshalb stellte sich Norbert Feldhoff im Juni 1996 gastweise in einer Sitzung der Kommission vor. Auslöser seiner Äußerung war eine wenige Wochen zuvor veröffentlichte Resolution der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen, mit der die Bistümer aufgefordert wurden, die entstehenden Lücken bei der Refinanzierung kirchlicher und caritativer Einrichtungen durch Kirchensteuereinnahmen auszugleichen. Zwar entschuldigte sich Norbert Feldhoff auf heftige Gegenrede von Mitarbeitervertretern in der Kommission für seine „lockere Wortwahl“, bestand aber darauf, dass die Bundesarbeitsgemeinschaft der Mitarbeitervertretungen eine völlig falsche Sicht der Dinge hat. Man stehe vor keinem finanziellen Schlagloch, sondern vor einer stetigen Gefällestrecke. Um die Emotion von Norbert Feldhoff zu verstehen, muss man wissen, dass er ein Thema intensiv bearbeitete: die Kirchensteuereinnahmen der Bistümer, ihre Grundlagen und ihre Entwicklung. Ihm war bewusst, dass die deutsche Kirche zu den reichsten nationalen Kirchen weltweit gehörte. Dennoch verwies er darauf, dass das Kirchensteueraufkommen in Zukunft zurückgehen wird. Zugleich sah er voraus, dass bei der Refinanzierung kirchlicher und caritativer Einrichtungen die sich öffnende Schere zwischen den steigenden Ausgaben und stagnierenden oder zurückgehenden Einnahmen dauerhaft auseinandergehen wird.

Norbert Feldhoff war zu diesem Zeitpunkt zwanzig Jahre Generalvikar des Erzbistums Köln und zehn Jahre Vorsitzender des dortigen Diözesan-Caritasverbandes. In letzterer Funktion war er bereits Mitglied in Gremien des Deutschen Caritasverbandes, wie dem damaligen Zentralrat und dem damaligen Zentralvorstand. Norbert Feldhoff war zudem einer der wenigen Generalvikare, die ein echtes Interesse am kirchlichen Arbeitsrecht hatten. So gehörte er zu den Verfassern der Erklärung der Deutschen Bischöfe zum kirchlichen Dienst aus dem Jahre 1995 und war maßgeblich an der Erarbeitung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse beteiligt.

Wenige Wochen später kam es, unter Moderation von Präsident Helmut Puschmann, zu einer Aussprache mit Vertreterinnen und Vertretern der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission. Norbert Feldhoff warb für ein gutes Miteinander, ihm war bewusst, dass er bisher eher aus einer Kölner Perspektive gedacht und gehandelt hatte. Norbert Feldhoff war jedoch nicht bereit, sich und seine Persönlichkeit zu verbiegen. Dennoch endete das Gespräch harmonisch, weil sich alle Beteiligten bemühten, den Blick nach vorne zu richten. Dabei half der Mitarbeiterseite sicherlich seine Position, dass die Kirche als Arbeitgeber auch künftig am Vergütungsniveau des Öffentlichen Dienstes festhalten sollte. Dies sah er als angemessenes Niveau an und lehnte Überlegungen ab, ein kircheneigenes Tarifsystem mit niedrigeren Entgelten zu entwickeln, etwa um mehr Personen beschäftigen zu können. Nach seiner Wahl zum Vizepräsidenten des Deutschen Caritasverbandes übernahm Norbert Feldhoff im Oktober 1996 erstmals die Sitzungsleitung der Kommission. Alle Beteiligten sorgten für einen konfliktfreien Verlauf. „Gut gemacht“ titelte das Info-Blatt der Mitarbeiterseite nach der Sitzung.

II. Norbert Feldhoff als Vermittler oder: Mit Konflikten kennt er sich aus

Die Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission sah bis zum Jahr 2007 kein eigenes Vermittlungsverfahren vor. Vielmehr bestand lediglich ein Ältestenrat, der sich aus dem Vorsitzenden der Arbeitsrechtlichen Kommission und jeweils zwei Sprechern der Dienstgeberseite und der Mitarbeiterseite zusammensetzte. Die Anrufung des Ältestenrates stellte also damals im System des Arbeitsrechts der Caritas eine „Ultima Ratio“ dar. Angerufen werden konnte der Ältestenrat, falls ein Antrag in der Kommission nicht die für den Beschluss erforderliche Mehrheit von ¾ der Stimmen erhalten hatte, jedoch mindestens die Hälfte der Mitglieder dem Beschluss zugestimmt hatte. Seine Aufgabe war es, „auf eine gütliche Einigung hinzuwirken“. Der Ältestenrat hatte also keine Entscheidungskompetenz. Er konnte die fachliche Arbeit der Kommission nicht übernehmen, sondern musste Wege aus einem in der Kommission nicht lösbaren Interessensgegensatz zu suchen. Der Vorsitzende musste dabei die Kraft seines Amtes einsetzen, Argumente hören und abwägen sowie eigene Überlegungen und Vorschläge so darlegen, dass sie überzeugten.

Norbert Feldhoff war als Vorsitzender des Ältestenrates mehrfach gefragt. Schnell erkannte und durchschaute er die unterschiedlichen Positionen der beiden Seiten. Er spürte Kompromisslinien oder die für eine Seite nicht akzeptablen Lösungen auf. In aller Regel hatten seine Vorschläge Gewicht und wurden akzeptiert. Gerade bei der Tarifgestaltung im Zusammenhang mit Vergütungserhöhungen fand er neue Wege, die von den Seiten angenommen werden konnten. Nur einmal musste Norbert Feldhoff den Auftrag der gütlichen Einigung zurückgeben, als die beiden Seiten das Verfahren vor dem Ältestenrat überdehnten, indem sie ständig weitere Vorstellungen und Gegenvorstellungen einbrachten, dass eine unüberschaubare Gemengelage unterschiedlichster Positionen entstand. Die gewünschten Veränderungen der AVR unterblieben.

III. Störungen von außen oder: viel Feind – viel Ehr

In den Jahren seiner Tätigkeit als Vorsitzender der Arbeitsrechtlichen Kommission erwies sich das Vertraut sein mit den Prinzipien des kirchlichen Arbeitsrechts, seine Herkunft als Generalvikar eines bedeutenden Erzbistums und seine gedankliche Klarheit als hilfreich, um vielfältige Versuche, das System des Arbeitsrechts der Caritas in Frage zu stellen, abzuwehren.

So wurde im Jahr 1997 durch einen öffentlichen Aufsatz in einer Zeitschrift für Tarifrecht den Beschlüssen der Arbeitsrechtlichen Kommission eine Gleichstellung mit Tarifverträgen abgesprochen, weil es sich nicht um ein echtes paritätisches Gremium handele. Im Jahr 1998 legte das Erzbistum München und Freising Widerspruch gegen einen Beschluss der Arbeitsrechtlichen Kommission zur Erhöhung der Geburtsbeihilfe ein, zog ihn aber später wieder zurück. Einrichtungen der Caritas suchten aufgrund der zurückgehenden Refinanzierung der Leistungen ihr Heil in einer Tarifflucht und wichen unter Beibehaltung des kirchlichen Arbeitsrechts vor allem bei der Weihnachtszuwendung von den AVR ab. Einzelne Bistümer taten sich schwer, die Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission in Kraft zu setzen, in ihren Amtsblättern zu veröffentlichen und ihnen damit in vollem Umfang Kirchenrechtsqualität zu geben. Im Jahr 1999 kam es zu einer betriebsbedingten Kündigung eines Vertreters der Mitarbeiterseite der Arbeitsrechtlichen Kommission. Die öffentlich-rechtlichen und kirchlichen Zusatzversorgungskassen beschlossen, Dienstzeiten der kirchlichen Beschäftigten in der Region Ost vor dem 3. Oktober 1990 nicht bei der zusätzlichen Altersversorgung anzurechnen; eine von der Vollversammlung des Verbandes der Diözesen Deutschlands geschaffene Ausgleichregelung wurde nur zögerlich umgesetzt.

Norbert Feldhoff setzte sich in verschiedensten Gremien und auf verschiedenen Ebenen für die Arbeitsvertragsrichtlinien des Deutschen Caritasverbandes und Beschlusskompetenz der Arbeitsrechtlichen Kommission ein. Er verwies auf die notwendige Bearbeitung und Gestaltung gerade caritasspezifischer Sachprobleme und auf eine möglichst hohe Einheitlichkeit des kirchlichen Arbeitsrechts.

Er hatte die Fähigkeit, Konflikte und Konfrontationen gelassen aufzunehmen. Geschickt nutzte er seine Moderationsrolle, zur Sache selbst sagte er im Regelfall nichts, harte Äußerungen bezeichnete er als ehrliche Worte und zugleich wirkte er vermittelnd zwischen den Kontrahenten. Dabei scheute er sich nicht, auch Grenzen des Möglichen zu benennen. Wenn aus seiner Sicht keine Bewegung mehr möglich war oder eine absolute Blockade bestand, dann lohnte es sich für ihn nicht, weiter Zeit dafür einzusetzen. Mit diesen Haltungen forderte er die Beteiligten heraus, nicht im Streit zu verharren, sondern Chancen der Bewegung und der Einigung zu suchen.

IV. Neue Wege bei der AK-Struktur – oder: das System durch Veränderungen erhalten

Norbert Feldhoff war als Vorsitzender der Arbeitsrechtlichen Kommission ein Mensch, der neu entstehende Situationen des Arbeitsrechts der Caritas realistisch einschätzte und dabei auftretenden Problemen nicht auswich, sondern optimistisch anpackte.

Caritative Träger standen aufgrund von Änderungen der staatlichen Refinanzierungsbedingungen zunehmend vor besonderen Herausforderungen: die Deckelung bzw. teilweise Kürzung der Leistungsentgelte, Budgets und Zuwendungen, die Entwicklung zum Sozialmarkt mit Wettbewerb gegenüber privaten Anbietern. Das führte zu Diskussionen über die AVR als Flächentarif, die Bundeseinheitlichkeit als Ordnungs- und Schutzfunktion und die Regionalisierung der Tariffestlegungen. Kirchliche und caritative Träger gründeten zunehmend rechtlich verselbstständigte Servicegesellschaften mit weltlichem Arbeitsrecht; dies betraf vor allem Reinigungsdienste, Küchen und technische Dienste. Im März 1999 veranstaltete die Arbeitsrechtliche Kommission, unter Moderation von Norbert Feldhoff, eine öffentliche Tagung, auf der über Themen wie Sozialstaatskrise und Sozialmarkt, flexible Tarifgestaltung, leistungsbezogene Vergütung, Outsourcing in caritativen Einrichtungen, Beteiligung der Mitarbeiterschaft an Entscheidungen der Träger sowie Weiterentwicklung der AVR und Dienstgemeinschaft beraten wurde. Auch die Deutsche Bischofskonferenz beschäftigte sich in einem eigenen Studientag mit dem Phänomen weltlicher Töchter von kirchlichen Rechtsträgern.

Norbert Feldhoff erwies sich bei solchen Diskussionen als verlässlicher Hüter der Grundordnung des kirchlichen Dienstes im Rahmen kirchlicher Arbeitsverhältnisse und als engagierter Vertreter der Arbeitsrechtlichen Kommission. Alle Einrichtungen hatten nach seiner Überzeugung die von den Bischöfen in Kraft gesetzte Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission zu achten. Festlegungen über den Inhalt von Beschäftigungsverhältnissen in caritativen Einrichtungen kamen für ihn nur durch Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission zustande. Wer diese Beschlüsse nicht beachtete, verlor nach seiner festen Überzeugung den Schutz des verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechts und bewegt sich im weltlichen Arbeitsrecht. Ausgründungen wegen des Tarifs verurteilte er, eine teilweise Anwendung kirchlichen Arbeitsrechts lehnte er vehement und öffentlich ab. Da die Bischöfe Streik und Aussperrung und damit den Zweiten Weg ausschlossen, war es für Norbert Feldhoff selbstverständlich, dass es auch für die Rechtsträger der Caritas keinen „Vierten Weg“ gab, in dem die Einrichtungsleitungen einzelne Elemente des kirchlichen Arbeitsrechts anwandten und andere verwarfen. Zugleich setzte er sich in der Kommission für Anpassungen der arbeitsrechtlichen Regelungen an die spezifischen Refinanzierungsbedingungen ein, auch durch Träger bezogene Abweichungen von den AVR. Diese Positionen vertrat Norbert Feldhoff mit dem vollen Gewicht seiner Person und seiner Funktionen. Sein Ziel war es, die AVR als bundesweite Arbeitsvertragsordnung für den gesamten Caritasbereich zu erhalten, spezifische Regelungen für die unterschiedlichen caritativen Einrichtungen und Dienste mit ihren jeweiligen finanziellen Situationen zu schaffen und angemessene Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf dem Niveau des öffentlichen Dienstes zu sichern.

 

Struktur und Arbeitsweise der Arbeitsrechtlichen Kommission entwickelten sich in den Jahren seines Vorsitzes in der Kommission stürmisch. Eine vom Zentralrat im Herbst 1999 eingesetzte Arbeitsgruppe mit dem Ziel einer Überarbeitung der Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission kam im März 2001 noch zu dem Ergebnis, dass die Arbeitsweise, Mitgliederzahl, Wahlverfahren und Beschlussquorum unverändert bestehen bleiben sollen; lediglich ein Vermittlungsverfahren sollte neu aufgenommen werden. Die Veränderungen im Sozialmarkt forderten jedoch von den Beteiligten neue strukturelle Antworten auf die fehlende Refinanzierung vieler Dienste und Einrichtungen und die zunehmenden regionalen Unterschiede. Möglicherweise hat die zeitgleich stattfindende Verbandsentwicklung mit einer Satzungsreform innerhalb des Deutschen Caritasverbandes, die zu neuen Organstrukturen führte, nicht unmaßgeblich auf die Geschehnisse zur Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission abgefärbt. Auch das Bedürfnis der Mitglieder der Arbeitsrechtlichen Kommission, insbesondere auf der Mitarbeiterseite, angesichts zunehmender Anforderungen an ein differenziertes Tarifgeschehen den Umfang der Freistellung zu erhöhen, beschleunigte die Beratungen über Veränderungen. Hinzu kam, dass mit den Instrumenten einer Öffnungsklausel oder Härtefallklausel durch Dienstvereinbarungen tarifliche Regelungen geschaffen bzw. verändert werden, die es so im weltlichen Tarifvertragsbereich mit einem Vorrang von tarifvertraglichen Bestimmungen nicht gab. Nicht unwesentlich zur Veränderungsbereitschaft trugen auch die ersten Schließungen bzw. Insolvenzen caritativer Einrichtungen bei; dies wurde als Abkehr von der jahrzehntelangen Ausweitung der Präsenz caritativer Einrichtungen wahrgenommen.

Im März 2003 beauftragte der Zentralrat des Deutschen Caritasverbandes den Vorstand, das Modell einer neuen Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission mit Spartenausschüssen und regionalen Unterkommissionen zu entwickeln. Dabei sollten die Vorstellungen der Mitarbeiter- und der Dienstgeberseite der Kommission einbezogen sowie die Interessen der Dienste und Einrichtungen mit den Erklärungen entsprechender Fachverbände angemessen berücksichtigt werden. Nach Abstimmung mit einer Arbeitsgruppe der Deutschen Bischofskonferenz soll das Modell innerhalb eines Jahres zur Beratung und Beschlussfassung vorliegen.

Norbert Feldhoff nahm in diesen Entwicklungen die Rollen des Förderers und Vermittlers ein. Aufgrund seiner langjährigen Zugehörigkeit in den Gremien des Deutschen Caritasverbandes und des Verbandes der Diözesen Deutschlands hatte sein Wort Gewicht. So konnte er dort auch die Sichtweisen der beiden Seiten der Arbeitsrechtlichen Kommission einbringen. Zugleich warb er innerhalb der Arbeitsrechtlichen Kommission für ein mutiges und veränderungsbereites Vorgehen.

Im September 2003 legte der Vorstand des Deutschen Caritasverbandes ein umfangreiches Diskussionspapier zur Änderung der Ordnung der Arbeitsrechtlichen Kommission vor. Zwar wurden die Kernelemente des Dritten Weges und die Bundeseinheitlichkeit des Regelungswerkes der Caritas nicht in Frage gestellt, jedoch dazu eingeladen, neben einer Gesamtkommission über Spartenkommissionen oder regionale Unterkommissionen nachzudenken. Gleiches galt für die Zusammensetzung der künftigen Strukturen sowie die Berufung und Wahl der Mitglieder. Das dies zu höheren Kosten des Gesamtsystems führen würde, war den Beteiligten bewusst.

Die Änderungen, die dann 2007 beschlossen wurden und zum ab Januar 2008 in Kraft traten, waren im Ergebnis tiefgreifend: Die Arbeitsrechtlichen Kommission besteht seither aus einer Bundeskommission und sechs Regionalkommissionen. Dabei hat die Bundeskommission eine umfassende Regelungszuständigkeit mit Ausnahme der Bereiche, die ausschließlich den Regionalkommissionen zugewiesen sind. In den ausschließlich den Regionalkommissionen zugewiesenen Bereichen bestehen Bandbreiten. Die Regionalkommissionen, die jeweils einen regional definierten Zuständigkeitsbereich haben, sind ausschließlich zuständig für die Festlegung der Höhe aller Vergütungsbestandteile, des Umfangs der regelmäßigen Arbeitszeit und des Umfangs des Erholungsurlaubs; dabei haben sie die von der Bundeskommission festgelegten Bandbreiten einzuhalten.

Dieses Modell folgt der Wettbewerbssituation und der Refinanzierungsgegebenheiten der Einrichtungen. Vor allem die Vergütungshöhen sollen in einer Art und Weise festgelegt werden, dass auf die jeweiligen Gegebenheiten der Region möglichst gut reagiert werden kann. Gerade bei den Vergütungsregelungen sollen die Markt- und die Refinanzierungsbedingungen, die sich von Region zu Region unterscheiden, aufgenommen werden können. So sind die Höhe der Vergütung, der Umfang der Arbeitszeit sowie der Umfang des Urlaubs in der ausschließlichen Zuständigkeit der Regionalkommission gegeben, drei Bereiche, die stark mit den Wettbewerbsbedingungen vor Ort zusammen hängen. Regionale Differenzierungen sollten so ermöglicht werden. Zugleich sollte die Bundeseinheitlichkeit des Arbeitsrechts der Caritas nicht aufgegeben werden. Tarifliche Regelungen, die im Zweiten Weg üblicherweise in Rahmenarbeitsverträgen enthalten sind, bestimmt weiterhin die Bundeskommission. Sogar auf die Höhe der Vergütungen hat die Bundeskommission Einfluss, in dem sie mittlere Werte festsetzt, und die Regionalkommissionen innerhalb einer Bandbreite zu beachten haben. Dahinter stand die Idee, dass alle Berufe der Caritas einer bundeseinheitlichen Entgeltgruppe zugeordnet sind, die Höhe des Entgelts jedoch regional unterschiedlich sein kann.

In der Folge wurde von dieser Möglichkeit der regionalen Abweichung von den mittleren Werten an verschiedenen Stellen Gebrauch gemacht, insgesamt hat sich aber wohl der insbesondere von der Mitarbeiterseite gefürchtete Verlust der Einheitlichkeit der Tarifentwicklung nicht eingestellt. Größere Ausdifferenzierungen betrafen vor allem die Region Ost.