Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft

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V. Differenzierungen in den AVR – oder: Stillstand ist Rückschritt

Norbert Feldhoff beschränkte sich in seiner Funktion als Vorsitzender der Kommission auf seine Rollen als Moderator der Sitzungen und als Vermittler zwischen den Seiten. Und doch förderte er über das Leiten der Sitzungen hinaus das Handeln der Kommission bei der Weiterentwicklung der Regelungen der AVR in vielfältiger Weise. Gerade in konflikthaften Situationen innerhalb der Kommission suchte er zusammen mit den beiden Seiten nach Auswegen.

Im Juli 1996 nahm ein AVR-Reformausschuss der Kommission seine Arbeit auf, in dem Vertreterinnen und Vertreter beider Seiten Regelungen suchten, caritative Rechtsträger in wirtschaftlichen schwierigeren Zeiten zu entlasten. Ein Eingriff in die Entgelte lehnte die Mitarbeiterseite ab, war jedoch bereit, Arbeitszeitbestimmungen zu flexibilisieren und in Einzelfällen Abweichungen von den AVR zuzulassen. Mit der Einführung von Arbeitszeitkonten durch Anlage 5b AVR im Jahr 1998 sollte die Arbeitszeitökonomie in den Einrichtungen gestärkt, die Arbeitszeitsouveränität der Mitarbeitenden erhöht und der Erhalt von Arbeitsplätzen gesichert werden. Für wirtschaftlich schwierige Lagen caritativer Einrichtungen wurde zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen im gleichen Jahr eine sogenannte Öffnungsklausel geschaffen, mit der Träger durch Dienstvereinbarungen bestimmte Vergütungsbestandteile befristet gestundet oder die Arbeitszeit herabgesetzt und die Vergütung entsprechend gekürzt werden kann. Im Jahr 1999 schuf die Kommission die Möglichkeit, durch Modellprojekte von den Bestimmungen der AVR abzuweichen, sowie einen sogenannte Härtefallklausel, die ebenfalls unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen von den AVR zuließ.

Problematisch erwies sich jedoch, dass solche Abweichungen zwischen dem Dienstgeber und den strukturell unterlegenen Mitarbeitervertretungen abgeschlossen wurden, auch wenn die Mitarbeitervertretungen einen eigenen Wirtschaftsprüfer beanspruchen konnten.

So kam es – auch aufgrund eines strukturellen Vergleichs mit dem weltlichen Tarifrecht – im Juli 2004 zur Bildung von Unterkommissionen, die über Abweichungen von den AVR beschließen. Als es Probleme mit der Arbeit der Unterkommissionen gab, setzte sich Norbert Feldhoff dafür ein, dass zu deren Beseitigung ein sogenannter Störfallausschuss gebildet wurde.

Norbert Feldhoff unterstützte auch maßgeblich das Abhalten von Fachtagungen, um Tarifdifferenzen zu bearbeiten. Dazu gehörten eine Tagung zur Weiterentwicklung der AVR im Dezember 1997, eine Tagung zur Schaffung von Langzeit- und Lebensarbeitskonten im Juni 1998, eine Tagung zur Weiterentwicklung der AVR im März 1999 und eine Tagung zur Altersversorgung im Juni 2001.

Im September 2005 geriet die Arbeitsrechtliche Kommission im September 2005 in eine grundlegende Blockadesituation, die sich auf alle Sachthemen erstreckte und die sich in den folgenden Sitzungen fortsetzte. Anlass war die fehlende Einigung der beiden Seiten, den damals neuen Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst, der im Oktober 2005 den früheren Bundesangestelltentarifvertrag ablöste, zu übernehmen. Norbert Feldhoff setzte sich vehement dafür ein, dass die Kommission weiter verhandelt, er brachte die Idee zu einem Dialogprozess unter Leitung externer Moderatoren ein und suchte dafür ein geeignetes Institut. Dieser Dialogprozess führte in drei Sitzungen in der ersten Jahreshälfte 2006 zu einem AVR-neu-Prozess. Zu dessen Koordinierung wurde eine Steuerungsgruppe eingesetzt, der Prälat Norbert Dr. Feldhoff als moderierender Vorsitzender angehörte. Im Dezember 2007 musste die Kommission jedoch feststellen, dass das Vorhaben, eigene Eingruppierungsbestimmungen zu schaffen und das Entgeltniveau für zumindest neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern selbst zu definieren, zu ambitioniert war. Die Mitglieder der Kommission waren zu wenig bereit, wirklich eigenständige Wege zu gehen. Man hatte ja die bekannte Struktur des Bundesangestelltentarifvertrages und Aussicht auf die neue Struktur des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst.

VI. Fazit

Im Juni 2010 leitete Norbert Feldhoff letztmals eine Sitzung der Arbeitsrechtlichen Kommission, weil er sein Amt als Vizepräsident des Deutschen Caritasverbandes im Oktober 2010 aufgab. 14 Jahre hatte er das Geschehen im Arbeitsrecht der Caritas maßgebend mitgeprägt. Die Arbeitsrechtliche Kommission war in den Jahren seiner Tätigkeit größer und komplexer geworden; aber sie funktionierte und blieb auch in den folgenden Jahren stabil. Die strukturellen und inhaltlichen Neuerungen sind heute wenig umstritten. Dabei interessierte sich Norbert Feldhoff für die Inhalte der Beratungen und Beschlüsse der Arbeitsrechtlichen Kommission nur am Rande, dafür hatte er den Geschäftsführer der Kommission. Seine Stärken war das Moderieren, Vermitteln, Bestärken, Benennen, Suchen, Ausgleichen, Schlichten.

Kirchlicher Dienst in säkularer Gesellschaft
Eine Collage
Martin Börschel

Norbert Feldhoff wird 80 Jahre. In der Tat, der richtige Zeitpunkt, einen verdienten Mann der Kirche und einen verdienten Mann Kölns zu ehren. Er ist beides, denn er hat sein Leben dem kirchlichen Dienst in einer doch mehr und mehr säkularen Gesellschaft gewidmet. Und dieser kirchliche Dienst ist notwendig, unverzichtbar – für die Kirche wie für die Gesellschaft. Die nachfolgenden Gedankenfragmente, als Collage zusammengetragen, mögen das illustrieren.

I. Gott ist Nächstenliebe

Dieser Dienst ist nicht nettes Add on des Glaubens, eine Arabeske, die verzichtbar wäre, wenn es denn sein müsste, sondern er ist Wesensvollzug der Kirche, unmittelbar Auftrag Christi an die Seinen. Papst Benedikt XVI. bringt es in seiner Enzyklika Deus caritas est auf den Punkt:

„Die in der Gottesliebe verankerte Nächstenliebe ist zunächst ein Auftrag an jeden einzelnen Gläubigen, aber sie ist ebenfalls ein Auftrag an die gesamte kirchliche Gemeinschaft, und dies auf all ihren Ebenen: von der Ortsgemeinde über die Teilkirche bis zur Universalkirche als ganzer. Auch die Kirche als Gemeinschaft muß Liebe üben. Das wiederum bedingt es, daß Liebe auch der Organisation als Voraussetzung für geordnetes gemeinschaftliches Dienen bedarf. Das Bewußtsein dieses Auftrags war in der Kirche von Anfang an konstitutiv: ‚Alle, die gläubig geworden waren, bildeten eine Gemeinschaft und hatten alles gemeinsam. Sie verkauften Hab und Gut und gaben davon allen, jedem so viel, wie er nötig hatte’ (Apg 2,44–45). Lukas erzählt uns das im Zusammenhang einer Art Definition der Kirche, zu deren Wesenselementen er das Festhalten an der ‚Lehre der Apostel’ und an der ‚Gemeinschaft’ (koinonia), am ‚Brotbrechen’ und an den ‚Gebeten’ rechnet (vgl. Apg 2,42).1

[…]

Das Zunehmen vielfältiger Organisationen, die sich um den Menschen in seinen verschiedenen Nöten mühen, erklärt sich letztlich daraus, daß der Imperativ der Nächstenliebe vom Schöpfer in die Natur des Menschen selbst eingeschrieben ist. Es ist aber auch ein Ergebnis der Gegenwart des Christentums in der Welt, die diesen in der Geschichte oft tief verdunkelten Imperativ immer wieder weckt und zur Wirkung bringt: … Um so wichtiger ist es, daß das kirchliche Liebeshandeln seine volle Leuchtkraft behält und nicht einfach als eine Variante im allgemeinen Wohlfahrtswesen aufgeht.[…]Nach dem Vorbild, das das Gleichnis vom barmherzigen Samariter uns vor Augen stellt, ist christliche Liebestätigkeit zunächst einfach die Antwort auf das, was in einer konkreten Situation unmittelbar not tut: Die Hungrigen müssen gespeist, die Nackten gekleidet, die Kranken auf Heilung hin behandelt, die Gefangenen besucht werden usw. Die karitativen Organisationen der Kirche – angefangen bei denen der (diözesanen, nationalen und internationalen) ‚Caritas’ – müssen das ihnen Mögliche tun, damit die Mittel dafür und vor allem die Menschen bereitstehen, die solche Aufgaben übernehmen.“2

II. Die Gesellschaft schätzt diesen Dienst

Dieser Dienst wird von der Gesellschaft dankbar entgegengenommen – oder doch zumindest von vielen Gliedern dieser Gesellschaft. Im April 2013 hatte die CDU-Fraktion im NRW-Landtag mit einem Antrag „Die Kirchen als Diener am Gemeinwohl: gesellschaftliches Engagement von Caritas und Diakonie anerkennen und unterstützen“ die Debatte über Rolle und Präsenz der Kirchen in der Gesellschaft vorangetrieben. Hierüber haben wir intensiv debattiert:

„‚Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann.‘ (Ernst-Wolfgang Böckenförde, Staat, Gesellschaft, Freiheit. 1976, S. 60). Jeder freiheitliche Staat ist auf einen Gemeinsinn seiner Bürger angewiesen, den er selbst nicht erzwingen kann, sondern der sich aus anderen Quellen speist. Hierzu tragen die Kirchen in Verkündung der christlichen Botschaft bei. Dabei beschränkt sich die Aufgabe der Kirchen schon nach deren Selbstverständnis nicht nur darauf, die christliche Botschaft im Wort zu verbreiten, sondern erstreckt sich gerade auch auf den Aspekt, der eigenen Botschaft gemäß in der Gesellschaft zu handeln und zu wirken: ‚Die Kirchen sehen ihren Auftrag und ihre Kompetenz vor allem darin, für das einzutreten, was dem solidarischen Ausgleich und zugleich dem Gemeinwohl dient‘ (Gemeinsames Sozialwort, 1997 „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit“).

Neben dem bedeutenden Beitrag, den die beiden großen Kirchen für das kulturelle Leben in Deutschland leisten (vgl. Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ des Deutschen Bundestages, Drucksache 16/7000, S. 143 ff.), sind es dabei vor allem die Diakonie auf evangelischer und die Caritas auf katholischer Seite, die die gelebte Nächstenliebe verkörpern und sich mit einer Vielzahl von Angeboten und Projekten bei der Unterstützung der Schwachen in der Gesellschaft engagieren. Damit wirken die kirchlichen Organisationen in der Gesellschaft. Dabei nehmen sie sich auch einiger Aufgaben an, die ohne das kirchliche Engagement vom Staat, der ebenfalls dem Gemeinwohl seiner Bürger verpflichtet ist, wahrgenommen werden müssten.“3

 

Dieser Impuls führte nach einer Sachverständigenanhörung im Hauptausschuss4 schließlich zu folgenden Feststellungen des Landtags Nordrhein-Westfalen, in deren Rahmen die Kirchen und ihre Wohlfahrtsverbände ausdrücklich als Träger der sozialen Daseinsvorsorge und als Bestandteil des verfassungsrechtlichen Sozialstaatsgebots gewürdigt werden:

„Die Entwicklung des Sozialstaates bundesdeutscher Prägung ist neben den Kämpfen der Arbeiterbewegung und der aus ihnen hervorgegangenen Gewerkschaften untrennbar mit der aktiven Rolle der Kirchen und freien Wohlfahrtsverbände verbunden. Ausgehend von Johann Heinrich Wichern im Bereich der evangelischen Kirche und Adolph Kolping im Bereich der katholischen Kirche gab es schon im 19. Jahrhundert jenseits der Amtskirche auch in den großen Kirchen Bestrebungen, sich der aufkommenden sozialen Frage zuzuwenden. Mit der festen Verankerung der christlichen Soziallehre in beiden Kirchen und der Institutionalisierung vor allem in den Diakonischen Werken sowie dem Caritasverband in der 1. Hälfte des 20. Jahrhunderts erlangte diese Orientierung eine konsistente theologische Basis und eine feste Struktur. Mit dem Deutschen Roten Kreuz, der Arbeiterwohlfahrt, dem Paritätischen Gesamtverband und der Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland sind die beiden großen Sozialwerke der Kirchen seit Gründung der Deutschen Liga der freien Wohlfahrtsverbände 1925 und mit der Wiederbegründung nach dem 2. Weltkrieg integraler Bestandteil der freien Wohlfahrtspflege in Deutschland. Sie sind mit Ihren Tätigkeiten und Einrichtungen prägend für den subsidiär und plural verfassten Sozialstaat. Sie stehen im Wandel ihres Wirkens gleichermaßen für die Fortentwicklung von der Armenhilfe zur gesetzlich geregelten Fürsorge, bei der nicht mehr soziale Wohltaten, sondern individuelle Rechtsansprüche die Grundlage des modernen Sozialstaats bilden.

In diesem Rahmen engagieren sich die Kirchen und ihre Sozialwerke als Institutionen sowie die zahlreichen hauptamtlichen und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter heute durch ihre Arbeit und ihr Handeln für unsere Gesellschaft. Als Träger des Sozialstaatsgedankens sind sie ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Rechtsstaates (Art. 20 GG). Mit ihrem Einsatz, ihrer Überzeugung und ihrem Engagement tragen sie zum solidarischen Gedanken, der eine wichtige Stütze unserer Gesellschaft ist, in wesentlichem Maße bei. Das Wirken der Kirchen und ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist damit ein integraler Teil unserer Vorstellung einer intakten sozialen, sich kümmernden Gesellschaft. Im Kontext des Handelns der christlichen Kirchen wird diese säkulare Beschreibung mit dem christlichen Begriff der „Nächstenliebe“ übersetzt.“5

III. Die Kirchen folgen diesem Auftrag

In der Tat, wie fruchtbar und vielfältig das soziale Engagement der Kirchen ist, zeigt sich schon im Blick auf den Haushalt des Erzbistums Köln. Jeder, der will, kann hier zum geplanten Einsatz der Mittel 2019 nachlesen:

„Bildung: 78 Millionen Euro: Das Erzbistum ist Träger von 32 Schulen mit rund 23.000 Schülerinnen und Schülern. Einen Großteil der Betriebskosten übernimmt das Land Nordrhein-Westfalen. Den übrigen Aufwand sowie die Bereitstellung der Gebäude trägt das Erzbistum.

Kindertagesstätten: 56 Millionen Euro: In rund 550 katholischen Kindertagesstätten werden täglich rund 40.000 Kinder betreut. Das Erzbistum finanziert Teile der Betriebs- und Sachkosten und fördert Bau- und Instandhaltungsmaßnahmen. Caritas: 57 Millionen Euro: Neben mehr als 100 Beratungsstellen betreibt die Caritas Pflegeeinrichtungen sowie Zentren für Integration und Migration. Das Erzbistum übernimmt in den Einrichtungen der Caritas zwischen 25 und 75 Prozent der Personal- und Betriebskosten.“6

Dies ist nicht hoch genug zu schätzen in Zeiten knapper werdender Mittel. Mehr als 1.200 Euro für jedes Kind in einem kirchlichen Kindergarten – ob es katholisch ist oder nicht. Noch höher die Summe für jede Schülerin und jeden Schüler. Welche andere Organisation als die Kirchen stellt das auf die Beine?

IV. Mehr noch: Christen prägen diesen Auftrag

Die Kirche übernimmt mit ihrer institutionalisierten Caritas gesellschaftliche Aufgaben. Und das gilt gleichermaßen für die Diakonie wie für die Caritas und ihre Sozialverbände (z. B. SkF, SKM oder IN VIA). Aber mehr noch: Christen zeigen überdurchschnittlich viel ehrenamtliches Engagement – nicht nur innerhalb der Kirche, sondern auch darüber hinaus.7 Die Kirche bietet in diesem Zusammenhang eine wichtige institutionelle Plattform für dieses gesellschaftliche Engagement – bzw. eine Möglichkeit zum Andocken dieses Engagements. Ein Beispiel: Im Rahmen der großen Flüchtlingsbewegungen 2015/2016 entstanden gerade im Umfeld vieler Pfarreien Flüchtlingsinitiativen, in denen sich auch Menschen engagierten, die nicht zur Kerngemeinde gehörten oder regelmäßig am Gottesdienst teilnehmen.

Wenn im Sinne des oben zitierten Böckenförde-Theorems8 Ökonomie und Staat von Voraussetzungen leben, die sie selbst nicht garantieren können, bedarf es neben schulischer auch außerschulischer Lernorte, an denen nicht-eigennütziges Tun oder gesellschaftliches Engagement gelernt werden können und ohne die unser Gemeinwesen nicht funktioniert. Hierin liegt der große gesellschaftliche Beitrag von Vereinen und Verbänden (so ein Ergebnis des DJI-Jugendsurveys 2003) – und damit auch von kirchlichen Jugendgruppen wie -verbänden: Indem sie Frei- und Spielräume bereitstellen, fördern sie die Subjektwerdung des Menschen und werden zu Übungsfeldern sozialen und demokratischen Handels. In diesem Sinne verweisen z. B. kirchliche Jugendverbände auf die Bedeutung nichtformeller bzw. informeller Bildung wie von außerschulischen Lernorten in ihrer Unterschiedenheit und als Komplement zu den Bildungsinstitutionen, insofern sie Kompetenzen und Tugenden (Respekt, Fairness, Teamwork, Einfühlungsvermögen, Hilfsbereitschaft, Zivilcourage, Disziplin …) vermitteln, welche Schule nicht (bzw. nicht alleine) zu vermitteln vermag, auf die sie aber zugleich angewiesen ist.9

Bildung kann nur angemessen erfasst werden, wenn die Vielfalt der Bildungsorte und Lernwelten in ihrer Eigentümlichkeit und in ihrer wechselseitigen Ergänzung wahrgenommen werden. Zwei Formen der Aktivitäten von Kindern und Jugendlichen lassen sich unterscheiden: auf der einen Seite die selbst organisierten Aktivitäten – auf der anderen Seite Aktivitäten in einer pädagogisch betreuten bzw. in einer von Vereinen (Pfarrgemeinden, kirchliche Jugendgruppen etc.) institutionalisierten Jugendfreizeit.

Das heißt: Im Bildungsengagement der Kirche ist die außerschulische Bildung und Erziehung ein ebenso wichtiger Bereich wie die institutionelle Bildung (Kindertageseinrichtungen, Schulen, Religionsunterricht). Mit ihren Bildungsinstitutionen tragen die Kirchen dabei nicht unwesentlich zu einer sinnstiftenden und werteorientierten Erziehung bei.10 Durch die Präsenz der Kirche vor Ort ist eine große Reichweite in den unterschiedlichen sozialräumlichen Strukturen und Milieus gegeben.

Darüber hinaus engagieren sich aber auch außerhalb des Bildungssektors kirchliche Verbände, wirken in ihren Sozialraum hinein, leisten einen Beitrag zur Kinder- oder Seniorenbetreuung etc. D.h. auch hier leisten kirchliche Verbände einen Beitrag zu gesellschaftlichem Zusammenhalt.

Noch ein weiterer Befund ist interessant: Sowohl bei Kindern wie bei Erwachsenen lässt sich ein indirekter Zusammenhang zwischen der Anerkennung christlich-religiöser Werte und der Akzeptanz von Rechtsnormen nachweisen. Das heißt: Je wichtiger einer Person diese christlichen Werte sind, umso höher ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie die gesellschaftlichen Rechtsnormen akzeptiert und damit auch gesellschaftlich integriert ist. In diesem Sinne leistet die christliche Religion einen Beitrag zur normativen Integration und damit zum Zusammenhalt in der Gesellschaft.

V. Ein Kölner spricht es aus

Schon diese macht deutlich: Wir wollen die Kirchen - und vielleicht sogar: wir brauchen die Kirchen - als Partner. Und so hat ein berühmter Kölner schon vor mehr als 60 Jahren ausgesprochen, dass nicht nur das soziale Engagement, das die Institutionen leisten, wichtig für unsere Gesellschaft ist, sondern mehr noch, Ihr Bemühen, die Notwendigkeit der Nächstenliebe im Bewusstsein eines jeden einzelnen zu verankern. Heinrich Böll, unbequemer Katholik und doch so ernsthafter Christ, schrieb:

„Ich überlasse es jedem einzelnen sich den Alptraum einer heidnischen Welt vorzustellen oder eine Welt, in der Gottlosigkeit konsequent praktiziert würde: den Menschen in die Hände des Menschen fallen zu lassen … Unter Christen ist Barmherzigkeit wenigstens möglich, hin und wieder gibt es sie: Christen, und wo einer auftritt, gerät die Welt in Staunen. 800 Millionen Menschen auf dieser Welt haben die Möglichkeit, die Welt in Erstaunen zu setzen. Vielleicht machen einige von dieser Möglichkeit Gebrauch. Selbst die allerschlechteste christliche Welt würde ich der besten heidnischen vorziehen, weil es in einer christlichen Welt Raum gibt für die, denen keine heidnische Welt je Raum gab: für Krüppel und Kranke, Alte und Schwache, und mehr noch als Raum gab es für sie: Liebe für die die der heidnischen wie der gottlosen Welt nutzlos erschienen und erscheinen…“11

In welcher besonderen Beziehung Heinrich Böll und Norbert Feldhoff zueinander standen, sei nur colorandi causa erwähnt. Aber dass es ausgerechnet der Jubilar war, der dem aus der Kirche ausgetretenen Böll eine kirchliche Beerdigung ermöglichte, weil es dessen ausdrücklicher Wunsch gewesen war und dieser „doch in der Wurzel katholisch geblieben“12 sei, leuchtet typische Facetten beider Charaktere aus. Allerdings – so führt Feldhoff augenzwinkernd aus – : „Wie Dichter halt sind, war das eine eigens zugeschnittene Katholizität.“13