Kommissar "Anders" & das Haus der weißen Katze

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Kommissar "Anders" & das Haus der weißen Katze
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R. S. Volant

Kommissar "Anders" & das Haus der weißen Katze

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Schatten der Vergangenheit

Die Jagd beginnt

Eine heiße Spur

Die Romy

Lissy

Malik

Ein Schutzengel auf vier Pfoten

Bitterer Abschied

Weihnachten und andere Katastrophen

Rendezvous mit einer Toten

Bittersüße Erkenntnisse

Jerry

Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Romy verbeugte sich nochmals tief und dabei fiel ihre lange, wallendrote Lockenmähne wie ein dichter Vorhang vor ihr Gesicht. Als sie sich wiederaufrichtete, schleuderte sie ihr Haar mit einer gekonnt schwungvollen Kopfbewegung zurück und warf dem Publikum mit beiden Händen Küsse zu, was dazu führte, dass der Beifall erneut aufbrandete. Wieder wurden die Zugabe Ausrufe laut und sie quittierte es mit einem glücklichen Lachen. Sie war der heimliche Star des kleinen Varietés und sie liebte es, hier zu stehen und Abend für Abend zu singen. Nichts anderes, hatte sie je gewollt, nur auf einer Bühne zu stehen und zu singen, so wie Milva, diese italienische Sängerin aus den Siebzigern, die ihre Großmutter so verehrt hatte und schon ihr großes Vorbild gewesen war, als sie noch ganz klein war und sie oft stundenlang mit Oma die alten Platten angehört hatte. Genau so wollte sie aussehen und singen, doch es war ein sehr harter und steiniger Weg gewesen, bis hier hin, denn sie war einmal jemand ganz anderer. Sie wusste noch zu gut, wie ihre Eltern darauf reagiert hatten und es zunächst als pubertäre `Spinnerei´ abgetan hatten, als sie sich plötzlich mit vierzehn Jahren die Haare hatte wachsen und schließlich sogar noch kupferrot hatte färben lassen.

Nun war sie gerademal neunzehn und ihr Traum schien tatsächlich wahrgeworden zu sein. „Ich liebe euch, ihr seid die besten“, hauchte Romy mit ihrer samtig-rauchigen Stimme ins Mikrofon, „aber leider muss ich euch enttäuschen, meine lieben Kolleginnen fressen mich sonst!“

Gelächter machte sich im Publikum breit, auch einige empörte Pfiffe waren zu hören und gerade als sie winkend die Bühne verlassen wollte, gab ihr Paul, der Direktor des Theaters, ein Zeichen und gab ihr damit zu verstehen, doch noch eine Nummer zu bringen. „Ok, ok, ihr habt gewonnen!“, rief sie in die johlende Menge hinab und trat erneut vor das Mikrofon.

Wie erwartet, hatte sie danach die ärgerlichen und auch eifersüchtigen Blicke ihrer `lieben Kolleginnen´ zu spüren bekommen und auch den einen oder anderen hämischen Kommentar, natürlich hinter ihrem Rücken, hatte sie vernommen. Nun saß sie in der Künstlergarderobe und begann gerade damit, sich abzuschminken, als Valerie auf sie zugestürmt kam. „Oooooh Süße! Das war wieder mal hammergeil, was du da abgeliefert hast!“, kreischte sie überdreht und hing auch schon um ihren Hals. Mit einem leisen Lachen befreite sich Romy aus der Umklammerung ihrer einzigen und besten Freundin, die sie hier hatte und schob sie sanft, aber bestimmt, von sich.

„Sind wohl nicht alle, deiner Meinung“, gab sie zur Antwort und Valerie ließ sich mit einem lässigen Abwinken auf den Nebenstuhl fallen.

„Ach, lass diese Zicken doch reden! Hör einfach nicht hin, die sind doch nur neidisch, weil keine von den Tussen an dich rankommt! Paul hatte vollkommen recht, als er dich zurück auf die Bühne geschickt hat. Du bist hier nun mal der neue Star, Schätzchen.

„Ach Blödsinn“, erwiderte Romy leicht verlegen und wandte sich erneut ihrem Spiegelbild zu, um sich die falschen Wimpern zu entfernen.

„Du bist so wunderschön“, hörte sie mit geschlossenen Augen Valerie leise und beinahe verklärt murmeln, während sie sich den üppigen Lidschatten mit einem Pad abwischte.

„Jetzt hör aber auf, sonst werde ich doch noch Größenwahnsinnig“, sagte Romy flapsig dazu und zwinkerte ihrer Freundin zu.

„Doch, das bist du! Wunderschön und erst dein Haar! Ich kann kaum glauben, dass die wirklich deine eigenen sind“, antwortete Valerie beeindruckt und berührte fast ehrfürchtig die weichen Locken.

„Sind sie aber, immerhin habe ich sie auch über Jahre hinweg rangezüchtet“, meinte Romy nur und verteilte die Abschminkcreme großzügig auf ihrem Gesicht.

„Du weißt, dass Paul in dich verliebt ist, oder?“

Romys Kopf ruckte herum und sie starrte Valerie überrascht an. „Blödsinn, totaler Quatsch!“

„Ach Süße, jeder, der zwei Augen im Kopf hat, sieht das! Alle, wissen darüber Bescheid, glaube mir! Paulchen ist total verknallt in dich und mich würde es nicht wundern, wenn du schon bald ein paar mehr Auftritte bekommst. Ich habe da sowas gehört, also, es ist nur ein Gerücht, aber anscheinend plant er sogar schon einen ganzen Abend, mit dir“, erzählte Valerie weiter und Romys Gesicht nahm nun einen völlig verblüfften Ausdruck an. „Warum, denkst du, sind die anderen Mädels wohl so stinksauer auf dich, hm? Weil der süße Paul nur noch für dich Augen hat und vorhat, dich ganz groß rauszubringen!“, fuhr Valerie ein wenig zynisch fort, zog ihre Perücke vom Kopf und warf sie vor sich auf den Tisch. „Ich gönne es dir, echt“, meinte sie achselzuckend, „aber von den anderen, wirst du sicher noch was zu hören bekommen und das werden keine Liebesbekundungen sein, glaube mir, Schätzchen!“

„Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich jetzt darauf sagen soll“, kam es stammelnd aus Romys Mund, „aber wenn du wirklich recht hast und Paul mir tatsächlich dieses Angebot machen sollte, dann werde ich es annehmen.“

„Und da hast du, vollkommen recht! Scheiß auf die anderen!“, antwortete Valerie spöttisch grinsend und griff nach Romys Hand. „Scheiß drauf, scheiß, auf sie alle!“

„Scheiß drauf!“, wiederholte Romy ernst nickend und beide fielen sich lachend in die Arme. „Und jetzt, meine Süße, machen wir einen drauf!“, rief Valerie vergnügt und machte sich ebenfalls daran, ihr übertriebenes Makeup zu entfernen.

*

Völlig verkatert erschien Romy am späten Nachmittag im Theater, weil Paul ihr eine Nachricht gesendet hatte. `Komm bitte so schnell du kannst, her´, war alles gewesen und Romy war sich sicher, dass es mit dem heutigen Abend zu tun hatte. Was sonst? Dachte sie unbekümmert und blieb überrascht stehen, als sie die beiden Polizisten vor Pauls Büro stehen sah.

Nach einem kurzen Zaudern ging sie einfach weiter, lächelte den zwei Beamten spitzbübisch zu und trat ein. Paul saß auf seinem Bürostuhl und sprang sofort auf, als er sie hereinkommen sah. „Romy! Endlich!“, rief er erleichtert, doch irgendetwas in seinem Gesicht stimmte nicht.

„Was, was ist hier los?“, fragte Romy verwirrt und ihr Blick fiel auf die zwei fremden Männer, die vor dem Schreibtisch saßen.

„Romy, etwas Schreckliches, ist passiert“, antwortete Paul leise und erschüttert, „Valerie…ist, tot, ermordet“, stammelte er dann nur noch und schluckte unwillkürlich.

Romys Hände wanderten wie von selbst nach oben und legten sich auf ihre Wangen. „Wie, was? Nein, das kann nicht sein, wir waren doch heute Morgen noch zusammen“, begann sie fassungslos zu murmeln, während einer von den Männern aufstand.

„Sind Sie, Romy Anders?“, fragte er und streckte ihr seine Hand entgegen. „Man sagte uns bereits, dass Sie und Herr Valerian Koschnik befreundet waren und Sie wohl die letzte waren, mit denen er zusammen war. Stimmt das? Und wann, haben Sie sich getrennt, also wann, haben Sie Herrn Koschnik zuletzt gesehen?“, prasselte es sofort auf Romy nieder und sie begann verstört zu blinzeln.

„Wie? Ja“, antwortete Romy, „ich weiß nicht, wir waren noch im Club, tanzen, bis so um fünf Uhr.“

„Komm, Kleines, setz dich erstmal“, mischte sich Paul ein, kam zu ihr, legte den Arm um sie und führte sie nun zu dem freien Stuhl. Sanft drückte er sie nieder und Romy ließ sich einfach darauf fallen.

„Das kann nicht sein“, kam es leise über ihre zittrigen Lippen, bevor sie schluchzend die Hände vor ihr hübsches Gesicht schlug. „Warum? Wer, macht sowas?“

„Genau deshalb, sind wir da“, sagte der andere Kriminalpolizist.

Alles andere, bekam Romy kaum noch mit und nur noch Wortfetzen drangen zu ihr vor, wie durch Watte. Zusammengeschlagen, erschlagen, mit Benzin übergossen und angezündet, damit hätte der Täter auch alle Beweise vernichtet, hörte sie wie von Fern her. Irgendwer legte ihr eine Hand auf die Schulter, drückte sachte zu, ließ wieder los.

 

„Wir melden uns dann noch mal, bei Ihnen“, hörte sie noch.

*

Wochen vergingen, ohne dass Romy auf der Bühne stand. Sie konnte es einfach nicht mehr, seit Valeries grausamen Tod. Sie konnte nicht mehr mit dem Publikum flirten und lachen und singen. Schon gar nicht mehr singen, sie hatte einfach ihre Stimme verloren, die nun nur noch rau und kratzig klang.

„Nimm dir Zeit“, hatte Paul gesagt, bis seine Geduld mit dem Satz „So geht das nicht weiter, mit dir“, endete.

Ja, er hatte recht, so ging es nicht weiter. Nicht mit diesem Leben und Romy spürte, dass ihr bisheriges Leben nun endete. Enden musste, für Valerie.

Irgendwann hatte man ihr mitgeteilt, dass die Ermittlungen wohl eingestellt werden würden, wegen Mangel an Beweisen.

Romy stand einfach auf, lächelte Paul an und kündigte. Dann fuhr sie nach Hause, nahm eine Schere und ging ins Badezimmer. Als die ersten Strähnen ihres wundervollen Haares auf den Boden und ins Waschbecken fielen, begann sie zu weinen.

Schatten der Vergangenheit

Jerry lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück, verschränkte die Hände hinter seinem Kopf und sah sich frustriert den Stapel Papiere und Akten an, die auf seinem Schreibtisch verteilt herumlagen. Er wusste, dass es eine lange Nacht werden würde, eine sehr langweilige, lange Nacht! Nichts hasste er so, wie Schreibkram, aber irgendwann musste auch das erledigt werden und so machte er sich schließlich tief seufzend über seinen ersten Bericht her.

Zwei Stunden später holte er sich einen Kaffee, setzte sich erneut hinter den Schreibtisch und nippte gedankenverloren an der heißen Brühe. Dabei schweifte sein Blick hinüber zum Fenster und eine ganze Zeitlang beobachtete er nur die Regentropfen, die unaufhörlich gegen die Scheibe fielen und kleine Rinnsale hinterlassend, daran heruntertropften. Wie eine Spur aus Tränen, dachte er ein Wenig wehmütig und wandte sich seufzend der nächsten Akte zu.

Es war bereits nach Mitternacht, als er endlich den PC herunterfuhr und sich erschöpft mit beiden Fäusten die müden Augen rieb. Sollte er heute noch nach Hause fahren? Oder einfach mal wieder die Nacht hier verbringen, auf der alten Couch, die ihm schon so oft als Schlaflager gedient hatte.

Scheiß an, zu Hause wartet eh keiner auf dich, ging es ihm durch den Kopf und so schlurfte er hinüber in den kleinen Aufenthaltsraum und ließ sich einfach auf das abgewetzte Sofa fallen.

*

„Des ist jetzt nicht dein Ernst, oder? Jerry? Jerome! Wach auf! Hast du schon wieder hier gepennt?! Oh Mann“, erklang es über ihm und Jerry blinzelte verschlafen zu seinem Partner hoch. „Guten Morgen!“, rief der auch schon übertrieben freundlich und laut. Viel zu laut, für Jerrys morgendlichem Empfinden und er quittierte es mit einem Stinkefinger und einem sehr zynischen Grinsen.

„Du mich auch“, zischte er dabei abfällig und Malik lachte auf.

„Hey, echt Mann, was kann ich dafür, dass du lieber hier schläfst, als bei dir zu Haus? Und dann jedes Mal scheiße drauf bist! Du bist echt der seltsamste Kerl, der mir je über den Weg gelaufen ist!“, erwiderte er, noch immer zu laut und Jerry setzte sich langsam auf. „Und, der ungepflegteste! Hey, Mann, Alter, du stinkst!“, setzte er noch nach, während er die Kaffeemaschine in Gang setzte.

„Scheiß Türke“, murmelte Jerry nur und rieb sich über das verschlafene Gesicht.

„Scheiß Deutscher“, konterte Malik und grinste frech. „Außerdem bin ich kein Türke, sondern Perser, wie oft denn noch!“

„Ok, dann halt, scheiß Perser“, zischte Jerry in dessen Richtung, bevor er aufstand und neben ihn trat. „Danke auch“, schnurrte er honigsüß, nahm Malik die Kaffeetasse ab und nippte vorsichtig daran.

„Bitte schön“, antwortete der sarkastisch und schenkte sich eine neue Tasse ein.

„Und?“

„Was, und? Hey, Mann, wir sind hier bei der Polizei und haben einen neuen Fall! Sollten eigentlich schon weg sein! Eine Joggerin ist überfallen worden, wir sollen sie dazu befragen, im Krankenhaus“, gab Malik zurück und Jerry nickte.

„Könnten wir kurz noch bei mir zuhause vorbeifahren, würd` mich gern duschen“, murmelte Jerry ohne aufzusehen und sein Partner nickte, die Nase rümpfend.

„Unbedingt! Aber echt, du hast ein Zuhause?“

„Arsch! Stell dir vor“, fauchte Jerry ihn an, was seinen Partner erneut auflachen ließ.

„Ok! Dann los, bin echt gespannt, auf deine Räuberhöhle“, meinte der noch und beide machten sich auf den Weg.

Malik verzog unwohl sein Gesicht, als sie vor dem heruntergekommenen Wohnhaus parkten. „Hier, wohnst du?“, fragte er ungläubig und Jerry grinste ihn an.

„Kannst ja im Auto warten“, antwortete er achselzuckend, schnallte sich ab und stieg aus, ohne auf eine Antwort zu warten.

„Naa, echt nicht! Was is`n das, für ein Gruselhaus! Mann, Alter!“, murmelte Malik und sprang regelrecht aus dem Wagen. „Hast du `n Vogel? Hier bleib ich nicht alleine!“, rief er und eilte Jerry hinterher, der bereits zielstrebig den verwahrlosten Hauseingang ansteuerte. Überall lag Müll herum, alte Klamotten quollen aus zerrissenen Plastiksäcken und die Wände waren mit irgendwelchen Sprüchen und schlechten Graffitis besprüht.

Hastig lief er Jerry nach, die dreckige Treppe hinauf, bis der endlich im dritten Stock vor einer Tür haltmachte und diese aufsperrte. „Wie kannst du nur hier leben, Fuck! Was für eine Bruchbude“, sagte Malik angewidert und folgte Jerry in die düstere Wohnung. „Machst du irgendwann auch mal das Fenster auf? Boah, hier stinkts vielleicht“, meckerte er weiter, ging auch schon schnurstracks auf die Balkontüre zu, zog den Rollladen hoch und öffnete die Türe sperrangelweit.

„Muss alles verrammeln, sonst sehen es meine lieben Nachbarn als Einladung“, antwortete Jerry trocken, die Achseln zuckend und ein zynisches Schmunzeln überflog kurz sein recht ansehnliches Gesicht.

„Echt, Mann, wieso wohnst du dann noch hier?“, meinte Malik und sah sich beinahe fassungslos in dem nur spärlich möblierten Raum um. Neben einer verschlissenen Dreiercouch, gab es nur noch einen alten, gefliesten Wohnzimmertisch und einen riesigen, uralten Ohrensessel, dessen Bezug dermaßen verblichen und fleckig war, dass es Malik unmöglich war, die ursprüngliche Farbe zu erkennen. In einer Ecke gammelte ein dürrer Gummibaum vor sich hin und er war augenblicklich versucht, der armen Pflanze Wasser zu geben. Kopfschüttelnd drehte er sich um und sein Blick fiel auf ein Bücherregal, in dem ein gerahmtes Foto stand. Es zeigte eine junge, sehr schöne Frau, mit langem, rotem Haar und ein glückliches Lächeln umspielte ihren sinnlichen Mund. Dieses Bild, war das einzig Schöne in dieser Drecksbude und wirkte so deplatziert, wie eine Rose auf einer Müllkippe.

„Kannst dir was zu trinken nehmen, in der Küche, Kühlschrank, müsste noch Wasser sein, hab` grad nichts anderes“, raunte Jerry noch, bevor er im engen Flur verschwand.

Malik trat an das Regal heran, nahm das Foto in die Hand und betrachtete es fasziniert. Unwillkürlich stahl sich ein kleines Lächeln auf seine Lippen und er strich beinahe liebevoll mit dem Finger die Umrisse dieses schönen Gesichtes nach. „Wow“, murmelte er leise und stellte es zurück.

Seufzend ließ er erneut seinen Blick durch das sogenannte Wohnzimmer schweifen, ging zurück zur Balkontüre, verschloss diese wieder und schlenderte in die kleine Küche, die unerwartet sauber und sogar einigermaßen aufgeräumt erschien. „Wenigstens was“, meinte er zu sich selbst, öffnete die Kühlschranktüre und holte sich eine kleine Flasche Mineralwasser heraus. Mit der geöffneten Flasche schlurfte er zurück in den Wohnraum und lehnte sich gelangweilt mit dem Rücken an eine der kahlen Wände. Wieder zog ihn das Foto der fremden Frau in den Bann und er ertappte sich dabei, wie er mit dem Gedanken spielte, wie es wohl mit ihr wäre… Wow, so feuerrotes Haar! Er hatte noch nie etwas mit einer Rothaarigen gehabt, die sollen ja bekanntlich besonders temperamentvoll sein, sinnierte er weiter, als Jerry endlich wieder zurückkam.

„Wieso hast`n dich nicht hingesetzt?“, fragte er und Maliks Kopf fuhr zu ihm herum.

„Hm? Ach so, naa, lieber nicht, wollte meine Hose nicht ruinieren“, antwortete er und Jerry zog ihm eine schnippische Grimasse.

„Vollidiot!“

Malik warf ihm eine Kusshand zu und Jerry quittierte es, indem er so tat, als würde er sich den Finger in den Hals stecken, was seinen Partner laut auflachen ließ. „Echt Mann, du bist echt der liebevollste Partner, den man sich vorstellen kann!“, meinte er und Jerry stieß einen tiefen Grunzer aus.

„Du mich auch“, brummte er und wieder brachte er damit Malik zum Lachen.

Mit einem Kopfschütteln stieß der sich von der Wand ab und spazierte mit einem Fingerzeig auf das gegenüberliegende Bücherregal zu. „Echt heiße Schnitten, die Kleine, wer is`n die?“, fragte er, nahm erneut das Bild an sich und hielt es hoch.

„Was?“ Jerry drehte sich verwirrt um und erstarrte für einen Augenblick. „Niemand!“, antwortete er beinahe feindselig. Ja, Niemand, nur ein Teil deines verkorksten Lebens, dein ein und alles, dein ganzes Glück… „Stell es bitte wieder zurück“, versuchte er seiner Stimme einen etwas freundlicheren Klang zu verleihen, doch Malik war die kurze, heftige Reaktion nicht entgangen.

„Was is`n los, mit dir? Ist die Kleine deine Freundin? Oder `ne Verflossene?“, wollte er grinsend wissen.

„Nein! Ich sagte doch, sie ist Niemand!“, raunte Jerry und drehte sich halb weg.

„Wieso hast dann a Foto, von ihr?“

„Keine Ahnung, so halt“, knurrte Jerry zurück, „stell es einfach wieder hin, ja?“

„Du bist echt ein komischer Kauz“, hörte er Malik murmeln und wandte sich wieder zu ihm um.

„Ich kannte sie, von früher, ok? Aber sie gibt es nicht mehr!“

Malik hob erstaunt seine Augenbrauen, warf ihm einen nachdenklichen Blick zu und musterte erneut das Portrait. „Irgendwie, seht ihr euch ähnlich… Ihr habt die gleichen Augen, die Gesichtszüge… bis auf die roten Haare“, meinte er plötzlich. „Könnte deine Schwester sein! Ich dachte, du wärst ein Einzelkind?“

Jerry schüttelte den Kopf. „Eher sowas, wie `ne entfernte Verwandte, `ne Cousine halt, bist du jetzt zufrieden?“

„Oh! Okay“, erwiderte Malik gedehnt und stellte das Foto zurück. „Na dann, kannst du sie mir mal vorstellen? Wäre genau meine Kragenweite! Die ist echt `ne Bombe! Sind die Haare echt? Sie ist aber viel jünger, als du, oder?“

Jerry sah kurz zu Boden. „Das Bild ist schon älter, da war sie gerademal neunzehn, glaub ich“, antwortete er achselzuckend. „Das ist schon einige Jahre her!“ Genau sieben, nein, fast acht Jahre! rechnete er in Gedanken nach. „Und glaube mir, sie wäre ganz sicher, nichts für dich!“, schnaubte er recht zynisch.

„Wieso nicht?“, fragte Malik überrascht. „Das kannst du doch nicht wissen! Ich finde sie echt süß und ehrlich Mann, die ist wunderschön! Ich würde sie echt gerne kennenlernen“, sagte er fast bittend und erntete daraufhin wieder einmal einen von Jerrys sarkastischen Blicken.

„Naa, lass mal, die wäre nichts für dich!“, meinte er grinsend, „und außerdem sagte ich doch schon, sie gibt’s nicht mehr!“

„Wie jetzt? Ist sie etwa… tot?“, fragte sein Partner betroffen.

„Nein!“, wieder schüttelte Jerry kurz den Kopf und fuhr sich nervös mit den Fingern durch sein kurzes, dunkelblondes Haar. „Sie ist einfach weg, verschwunden, mehr nicht! Ich weiß nicht, was mit ihr ist! Ok?“, knurrte er genervt. „Können wir jetzt gehen?“

„Ja, klar, wow! Gilt sie als vermisst?“, nervte Malik ihn weiter und Jerry verdrehte die Augen. Wie konnte er da nur wieder rauskommen?

„Hör zu! Sie ist damals einfach abgehauen und hat alles hinter sich gelassen! Hat einfach den Kontakt abgebrochen, ok?! Ende, aus!“, antwortete er angekratzt, packte Maliks Arm und stieß ihn grob Richtung Ausgang.

Eine Weile schwiegen sie beide, als sie im Auto saßen, dann sah Malik ihn wieder interessiert an. „Jetzt erzähl mir halt a bisserl was, über sie“, forderte er neugierig.

„Über wen?“, fragte Jerry, ohne ihn anzusehen.

„Na, über die Rothaarige!“

„Da gibt’s nix, zu erzählen!“

„Mei, bist du wieder gut drauf! Des hab ich schon immer am meisten an dir gemocht, deine immer währende gute Laune und deine Redseligkeit“, brummte Malik sarkastisch.

„Haha! Kannst jetzt bitte ruhegeben, ich muss mich konzentrieren“, raunte Jerry zurück.

 

„Konzentrieren? Worauf?“, fragte Malik überrascht.

„Auf den Verkehr!“

„Aha! Dann lass mich halt fahren“, meinte Malik.

„Naa, meinen Mustang, fahr nur ich!“, antwortete Jerry schnippisch.

„Als ob ich den nicht fahren könnt! Dann nehmen wir das nächste Mal eben wieder den Dienstwagen“, murrte Malik und Jerry warf ihm einen kurzen Blick zu.

„Bist jetzt wieder beleidigt?“, fragte er belustigt und sein Partner sah zum Seitenfenster hinaus. „Mei, Malik, freilich kannst du den fahren, aber ich mag des halt nicht!“

„Und warum?“

„Darum!“

„Mei, bist du ein Depp!“, antwortete Malik und schüttelte den Kopf. „Und so einer, ist mein Partner!“

„Wenn`st mich so wenig magst, dann frag halt den Peter, ob er dir nicht einen anderen Partner geben kann!“, sagte Jerry angekratzt. „Ich hab mir dich nicht ausgesucht und bin dir einfach zugeteilt worden!“

„Naa, lieber nicht! Womöglich ist des dann ein noch größerer Depp, als du“, raunte Malik gehässig zurück und Jerry warf ihm erneut einen schiefen Blick zu.

„Danke!“

„Bitte!“

„Scheiß Türk!“

„Ich bin Perser! Sag a mal, hörst du mir eigentlich zu? Des hab ich dir jetzt schon hundert Mal erklärt! Und außerdem, ist meine Mutter Deutsche und eine gebürtige Münchnerin! Genau, wie ich!“, regte Malik sich mal wieder auf.

„Echt?“, fragte Jerry, gespielt überrascht. Er liebte es, Malik damit zu ärgern.

„Ja, echt, du scheiß Deutscher!“, fuhr der ihn auch gleich an und Jerry schmunzelte vor sich hin.

*

Nach der Vernehmung der Joggerin, die vorwiegend von Malik geführt worden war, fuhren sie zusammen zurück aufs Revier und erledigten recht schweigsam ihren Papierkram. Malik hatte während der Rückfahrt noch einige Male versucht etwas über die unbekannte Schöne herauszufinden, doch Jerry hatte einfach nicht mehr geantwortet und so hatte Malik irgendwann eingeschnappt Ruhe gegeben.

„Ciao, dann und noch einen schönen Feierabend!“, zischte er schließlich über den Schreibtisch hinweg und stand auf.

„Mann, Malik, jetzt sei doch nicht beleidigt“, meinte Jerry entnervt und lehnte sich zurück.

„Ich? Oh Mann, ich bin nicht beleidigt, ich habe einfach nur die Schnauze voll, von dir! Wir kennen uns jetzt drei Jahre! Drei scheiß Jahre, arbeiten wir nun schon zusammen! Was heißt hier eigentlich, zusammenarbeiten?! Die ganze Zeit über, musste ich dich ertragen, deine Scheißlaune, deinen ewigen Zynismus, deinen miesen Charakter, ohne zu murren! Und jetzt meinst du einfach, sei nicht beleidigt“, äffte Malik ihn übertrieben nach, „was ist eigentlich los, mit dir?!“

Jerry stieß schnaubend die Luft aus seiner Nase aus. „Ich, ach Scheiße, Malik, nichts, ist los, mit mir!“ Gar nichts, außer, dass dich das alles ankotzt.

„Warum, erzählst du mir nie was, von dir? Ich weiß so gut wie gar nichts, über dich! Ich wusste bis dato, noch nicht einmal, wo du wohnst! Ok, darauf hätte ich echt verzichten können, aber sonst, ich meine, was machst du so oder was du so treibst, in deinem Leben! Manchmal frage ich mich echt, wer du eigentlich bist! Wer bist du, Jerry?“, platzte es aus Malik heraus.

Jerry schloss für einen Moment die Augen. „Ich will einfach nicht darüber reden, ok? Über meine Vergangenheit und ansonsten, treibe ich gar nichts, ok? Ich finde mein Leben eben nicht gerade berauschend!“, raunte er wieder einmal triefend vor Hohn.

„Wenn dich der Job so angekotzt, wieso machst du ihn dann, hm? Warum, bist du eigentlich Polizist geworden?“, fuhr Malik ihn an.

„Weil“, Jerry verengte betroffen die Augen und strich sich unbehaglich mit den Fingern das Haar zurück, „weil ich es ihr versprochen habe“, sagte er leise.

„Versprochen? Wem?“

„Valerie“, kam es leise und schmerzvoll über Jerrys Lippen. Unwillkürlich senkte er dabei den Blick und schnaufte gequält durch.

„Valerie, aha! Ist sie das, die Rothaarige?“

Jerry schüttelte leicht den Kopf. „Nein“, flüsterte er jetzt fast, „Valerie war mein…, Romys beste Freundin.“

„Und wer ist Romy?“, wollte Malik mit vor der Brust verschränkten Armen wissen.

„Sie!“

„Wer, die Rothaarige?“ Es war eher eine Feststellung dieses Mal, als eine Frage und als Jerry leicht nickte, nickte auch Malik erkennend. „Aha! Sie heißt also Romy und das konntest du mir vorhin nicht sagen, hm? Wieso?“

Jerry neigte den Kopf zur Seite. „Bitte Malik, lass es gut sein, ich kann einfach nicht darüber sprechen. Es hat was mit meiner verdammten Vergangenheit zu tun und reißt einfach nur alte, längst verheilte Wunden, wieder auf. Romy, existiert nicht mehr, für mich“, antwortete er bitter und blinzelte, tief durchschnaufend.

„Sag bloß, du heulst gleich“, brummte Malik und biss sich bestürzt auf die Unterlippe, als er Jerrys feuchte Augen sah.

Jerry schüttelte leicht, was beinahe verträumt wirkte, den Kopf und ein kleines, schüchternes Lächeln, umspielte seinen Mund. „Es tut mir leid“, hauchte er leise und seine sonst so raue Stimme war kaum wieder zu erkennen, klang sanft und samtig weich.

„Ist schon gut, Mann“, murmelte Malik und kratzte sich verlegen an der Stirn. „Sie muss dir viel bedeutet haben, diese Romy, hm?“

„Ja“, antwortete Jerry und sah ihn an. „Sehr viel, sogar. Sie war mein Leben“, sagte er noch, stand auf und eilte hinaus.

Er stürzte geradewegs auf sein Auto zu, schloss auf, warf sich ins Innere und knallte die Türe zu. Wie hatte das passieren können? Warum war er so blöd gewesen, Malik mit zu sich nach Hause zu nehmen? Wie konnte er nur so dumm sein und dieses verdammte Foto aufheben! Weil es alles war, was ihm noch von ihr geblieben war, nur dieses eine Bild und… Er hätte es wegwerfen sollen, so wie alles andere auch, dass er weggeworfen hatte, genauso weggeworfen, wie sein Leben…

Romy. Sie existiert nicht mehr, aus, Ende, alles vorbei, ist nur noch eine Erinnerung, Vergangenheit, meine Vergangenheit. Oder? Könnte ich sie zurückholen, vielleicht nur noch ein einziges Mal, für einen einzigen Tag? Nein! Sie kann, sie darf, nicht zurückkehren…

Er wischte sich über die tränenfeuchten Augen und als er Malik über den Parkplatz kommen sah, startete er den Wagen und raste los. Wohin? Nur nicht nach Hause!

Jerry steuerte die Innenstadt an, parkte seine Rostlaube, ein alter Ford Mustang, vor seiner Stammkneipe und holte noch einmal tief Luft. Ok, ganz ruhig! Alles wieder gut, Alter! Du schaffst das!

Mit dem für ihn so typischen Gesichtsausdruck, einer Mischung aus angewiderter Langeweile und mürrischem Zynismus, betrat er das kleine Lokal und gesellte sich zu den hier üblicherweise verkehrenden Gästen, an die Bar. Sofort wurde der Wirt, der gerade ein frisches Bier zapfte, auf ihn aufmerksam und nickte ihm freundlich zu.

„Hey, Jerry! Auch mal wieder da, was darf es sein, das übliche?“, rief er und Jerry nickte grinsend zurück.

„Servus, Loisl, sei so gut“, erwiderte er und lehnte sich lässig an die Theke. Er war gerne hier, niemand kümmerte sich um sein Privatleben, oder stellte dumme Fragen hierzu.

„Jerry?“, rief sogleich ein anderer Mann und er drehte sich zu der ihm nur zu gut bekannten Stimme um.

„Niklas! Schön, dich zu sehen, altes Haus! Wie geht’s, wie stehts“, gab Jerry zurück und reichte seinem Gegenüber die Hand.

„Gestern gings noch! Und bei dir, alles fit, im Schritt?“

„Klaro! Lange nicht gesehen, wo hast`n dich rumgetrieben?“, wollte Jerry wissen und griff gleich nach seinem Bier.

„Du weißt ja, bei meinem Job bin ich viel unterwegs, komm gerade von `ner Messe. Du, ich hab` ein paar echt gute Flaschen Wein mitgebracht, die warten nur darauf geköpft zu werden“, meinte Niklas augenzwinkernd und stellte sich neben ihn.

„Jederzeit“, antwortete Jerry und prostete ihm zu.

„Ok, wie wäre es mit nächstem Wochenende, ach nein, geht leider nicht, da hab ich schon was vor, aber die Woche drauf?“, meinte Niklas und stieß mit ihm an.

„Gern, wenn ich keinen Dienst habe, ich ruf dich nochmal an, ja?“, sagte Jerry gutgelaunt und machte einen langen Zug. Er mochte Niklas, sie kannten sich schon von der Schule her, waren damals sogar richtig gut befreundet gewesen, bis, ja, bis Romy in Jerrys Leben getreten war und er ihretwegen sein altes Leben und alle damaligen Freunde aufgegeben hatte und in eine andere Stadt gezogen war.

Weit weg, von seinem früheren Leben.

Vor zwei Jahren, waren er und Niklas sich zufällig wiederbegegnet und hatten sich auf Anhieb wieder gut verstanden. Mit ihm konnte Jerry einfach nur er selbst sein, einfach nur herumblödeln und auch einfach nur mal so herrlich albern sein, wie zu ihren Jugendzeiten. Seit sie sich wieder getroffen hatten, verband sie nun zumindest wieder eine lockere Freundschaft und meistens endeten ihre Treffen in einem Saufgelage.

„Du, ich muss dir unbedingt was erzählen“, raunte Niklas und stieß ihn kameradschaftlich an. „Ich hab da jemanden kennengelernt, aus dem Internet, die ist voll der Hammer! Schau mal“, sagte er begeistert und tippte auch schon auf seinem Handy herum. „Da, geile Braut, hm? Lissy, heißt sie und wir treffen uns am Wochenende bei ihr, zum ersten Mal und ich denke, dass es dann auch unser erstes Mal, werden wird! Die ist echt voll scharf“, grinste er augenzwinkernd.