Das verlorene Seelenheil

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Aus der Reihe: Das Licht von Asconien #4
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Das verlorene Seelenheil
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R. S. Volant

Das verlorene Seelenheil

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Prolog

Gebrochene Herzen

Frühlingserwachen

Aufbruchstimmung

Der geheime Garten

Die Taufe

Die wundersame Auferstehung

Der Pakt

Vertraue niemandem

Auch ein König braucht mal eine Auszeit

Ein kleines Stückchen Glück

Der Unglücksrabe

13 Unverhoffter Besuch

14 Der verräterische Bruder

15. Die Flucht

16 Epilog

Impressum neobooks

Prolog

Amanoue sog keuchend die Luft in seine brennenden Lungen und schlug die Augen auf. Sein Blick fiel zum Betthimmel empor und für einen winzigen Augenblick fühlte er sich durch das vertraute Sternenmuster regelrecht erleichtert, bis die Schmerzen einsetzten. Nicht nur die der tiefen Wunde, die der Bauchschnitt mit sich brachte. Sein ganzer Körper schmerzte als wäre er in kochendes Öl getaucht worden oder als ob man ihn bei lebendigem Leibe verbrennen würde.

Er wollte schreien, irgendjemanden um Hilfe anflehen, aber sein Mund öffnete sich nicht, genau wie ihm auch keine andere Bewegung gelang. Irgendetwas schien ihn festzuhalten, an Armen und Beinen zu lähmen, genau wie den Rest seines Körpers. „Du bist schuld, dass der Meister fort ist“, zischte es fauchend um ihn herum, „der Meister ist fort, wehe uns“, „verdammt seist du, Elender“, „dafür wirst du uns büßen“, wimmerte es von überall her.

„Amanoue? Kannst du mich hören? Ich bin`s“, vernahm er eine menschliche Stimme und Marius` Gesicht trat in sein Blickfeld. „Manou?“ Der junge Mann wedelte mit einer Hand vor ihm herum und so versuchte er wenigstens zu blinzeln. „Sag doch bitte was“, flehte Marius besorgt und setzte sich dicht neben ihn. „Spürst du das?“, fragte er, Amanoues Hand nehmend und vorsichtig drückend.

Es fühlte sich an, als würde seine Hand unter einem Mühlstein zerquetscht werden und wieder entrang sich ein stummer Schrei seiner gelähmten Kehle. „Du bist in der Hölle“, fauchte es in seinem Kopf, „dein Kind ist tot, sie hat es erstickt, hast du es gespürt?“, „ja, nicht wahr? Du hast mit deinem Neugeborenem mitgelitten, hast gespürt, wie es seinen letzten Atemzug aushauchte und es war uns die reinste Freude“, zischte es hämisch. „Du hast unseren Meister vertrieben, wir werden dich nicht mehr gehen lassen, als Ersatz für ihn“, „ja, du sollst unser neuer Gebieter sein…“, flüsterte es in seinen Ohren und er schloss die Augen…

***

„Manou?“

„Durst“, krächzte Amanoue und Marius kreischte auf.

„Du sprichst! Manou! Seit drei Wochen liegst du hier und ich hatte schon die Hoffnung aufgegeben“, lachte der junge Medicus erleichtert und fiel ihm vor lauter Freude um den Hals.

„Trinken, bitte…“

„Ja, sicher, hier“, erwiderte Marius entschuldigend und hielt ihm vorsichtig einen Becher an die Lippen. „Warte, ich stütze dich“, sagte er, eine Hand unter dessen Nacken schiebend und Amanoues Kopf anhebend.

„Was ist passiert?“, fragte der, nachdem er seinen ersten Durst gestillt hatte und Marius holte Luft wie ein alter Mann, der gerade einen Berg erklommen hatte.

„Jede Menge, leider. Der Thronerbe ist gestorben, bei der Geburt und Henry wollte, dass du es wiedererweckst, aber du warst bewusstlos“, gestand ihm Marius bedauernd. „Seine Majestät war außer sich und ist es immer noch.“

Amanoue schloss die Augen vor Trauer und schluckte verzweifelt. „Ich weiß“, sagte er leise.

Marius stieß den Atem hörbar aus. „Es war wirklich schlimm und es tut mir leid, dass ich keine besseren Nachrichten für dich habe“, erwiderte er bedrückt. „Hast du Schmerzen?“

„Nein“, antwortete Amanoue, leicht den Kopf schüttelnd. „Nischd mehr. Was ist mit meine Bauch? Und diese Ding, das in mir war? Ist es tot?“, fragte er furchtsam.

„Die Wunde heilt langsam zu, eigentlich viel zu langsam, für dich“, antwortete Marius irgendwie verhalten. „Du hast nach zwei Tagen die Augen geöffnet, konntest mich aber nicht hören und sehen und hast immerzu nur die Decke angestarrt, wenn du nicht geschlafen hast und du hattest starkes Fieber. Ich habe mir wirklich große Sorgen um dich gemacht, das war schon vor drei Wochen und bis jetzt dachte ich wirklich, dass du nie wieder richtig zu dir kommen würdest.“

„Ich habe dich gehört und auch gesehen, aber ich konnte mich nicht bewegen“, meinte Amanoue und rappelte sich etwas hoch. „Was ist mit dem“, er fasste sich an den Bauch, „was in mir drin war, geschehen?“, fragte er erneut und Marius wich seinem bohrenden Blick aus.

„Es war nur ein Geschwür, nichts weiter als ein blutiger Klumpen Fleisch“, raunte er fahrig und stand auf. „Ich hole dir was zu essen, ja?“

„Marius! Was hast du damit gemacht? Hast du es ins Feuer geworfen?“, ließ Amanoue trotzdem nicht locker.

„Es ist fort, ich habe es weggeworfen“, antwortete Marius, ihn kurz über die Schulter hinweg ansehend. „Es war kein Kind! Und auch sonst nichts anderes, nur ein Geschwür“, sagte er noch entschlossen und ging.

Gebrochene Herzen

Herzog Richard lief aufgebracht hin und her. Immer wieder hielt er kurz inne und schüttelte fassungslos den Kopf über das, was ihm sein Neffe und König gerade offenbart hatte. Schließlich blieb er erneut vor dem stehen und atmete tief durch. „Ist das dein letztes Wort?“, fragte er und der König blickte ihn kalt an.

„Ja“, antwortete der unnachgiebig und nun schüttelte auch dessen Bruder Wilhelm das Haupt und stützte seine Stirn in eine Hand.

„Henry, ich bitte dich noch einmal, darüber nachzudenken“, sagte er von den endlosen Diskussionen der letzten Tage zermürbt, „du brauchst sie!“

„Ich brauche niemanden!“, erwiderte der König trotzig und Wilhelm stieß die Luft schnaubend aus.

„Niemand wird das verstehen oder auch nur das geringste Verständnis für deine Entscheidung aufbringen!“, warf Richard ihm wieder vor und Henry fuhr von seinem gepolsterten Stuhl hoch.

„Sie hat mich auf das Schändlichste hintergangen und betrogen! Und das ist in meinen Augen Hochverrat!“, brüllte er seine beiden engsten Verwandten an. „Sybilla wollte mir ein Kind unterjubeln! Soll ich das einfach so hinnehmen? Mit den Schultern zucken und sagen: Ach was solls, kann ja mal passieren“, sagte er gespielt lässig und winkte mit beiden Händen zynisch lächelnd ab.

„Nein, selbstverständlich nicht“, erwiderte Wilhelm genervt.

„Ach!“

„Aber wie willst du es begründen? Offiziell hast du doch jetzt einen Erben und alle Welt denkt, es wäre alles in bester Ordnung zwischen euch beiden“, versuchte Wilhelm es erneut und Henry wandte sich verbittert um.

„Ich kann ihr das nicht verzeihen, ihnen beiden nicht“, raunte er tief getroffen. „Die beiden Menschen, die mir das liebste waren, haben mich betrogen. Ich habe ihnen vertraut und sie haben mich beide verraten“, sagte er, sich wieder zu ihnen umdrehend und sah sie mit feuchten Augen an.

Sein Onkel ging rasch zu ihm und umarmte ihn fest. „Ich kann mir gut vorstellen, wie sehr dein Herz schmerzen muss und es zerreißt auch mich, glaube mir“, murmelte er nahe an Henrys Ohr. „Es muss ein furchtbarer Schock für dich gewesen sein und dennoch bin ich der gleichen Meinung wie Wilhelm. Du kannst doch deine Königin nicht einfach scheinbar grundlos wegen Hochverrates anklagen und hinrichten lassen. Bitte Heinrich, es geht hierbei auch um dich! Du hast Wilhelms Sohn bereits öffentlich als euer legitimes Kind ausgegeben und jedermann denkt, es wäre dein rechtmäßiger Erbe. Du kannst Sybilla nicht mehr anklagen, bitte, sieh das doch ein“, beschwor er ihn nochmals.

Henry entwand sich aus der Umarmung, drehte sich um und stützte sich mit beiden Händen am Kaminsims ab. „Ich kann jeden anklagen! Und niemand hat das Recht, meine Entscheidungen anzuzweifeln!“, bekräftigte er seinen Standpunkt erneut.

„Und gibst damit deinen Gegnern einen wirklich guten Grund, wieder gegen dich zu rebellieren“, entgegnete sein Bruder hämisch. „Verdammt Heinrich! Du spielst Rudolf damit in die Karten, warum kapierst du das nicht?! Er wird sich mit Savoyen verbünden und Satorius lacht sich ins Fäustchen! Die warten doch nur darauf, einen Grund für einen Krieg gegen dich zu finden! Die Savoyer lieben ihre Königin, weil sie eine von ihnen ist! Aber dich, würden sie lieber heute als morgen, zum Teufel jagen!“, fuhr er nun wirklich ärgerlich fort.

 

Richard stieß einen schweren Seufzer aus. „Hast du eigentlich einmal Sybilla selbst dazu befragt?“, fragte er vorsichtig.

„Er hat noch kein einziges Wort seither mit ihr gewechselt“, antwortete Wilhelm ungehalten und Henry drehte sich wütend zu ihnen um.

„Und das werde ich auch nicht!“, zischte er, was Richard entnervt die Hände in die Luft werfen ließ.

„Du willst ihr also nicht einmal die Chance geben, sich zu erklären! Höre sie wenigstens einmal an und dann kannst du immer noch eine Entscheidung treffen! Verdammt, sie liebt dich! Sie hat immer nur dich geliebt und stand immer zu dir oder denkst du wirklich, dass sie in all den Jahren nichts von deinen abwegigen Liebeleien ahnte?!“, fragte er verständnislos.

Der König senkte daraufhin kurz das Haupt und schnaubte nur auf seine spöttische Art. Richard kratzte sich verlegen die gerunzelte Stirn und atmete erst einmal tief durch, um sich wieder zu beruhigen. „Und was geschieht mit Amanoue?“, fragte er leise, Henry hob den Blick und sah ihn mit verengten Augen an. Maßlose Wut, aber auch tiefe Trauer spiegelten sich darin wider und so war es nun Richard, der vor ihm den Blick niederschlug.

„Ich will nicht über ihn sprechen“, hörte er Henry antworten und der Schmerz war deutlich herauszuhören.

„Er hat ihn eingesperrt, seitdem“, antwortete Wilhelm stattdessen.

„Aber das geschah doch schon vor Wochen!“, entfuhr es Richard regelrecht erschrocken. „Seit der Geburt? Du hast ihn seitdem eingesperrt? Das war Anfang Dezember und jetzt haben wir Januar“, hängte er fassungslos daran.

„Du hast dir ja auch reichlich Zeit gelassen“, erwiderte Henry zähneknirschend.

„Ich konnte doch nicht ahnen, was hier los war! In der Nachricht stand nur, dass ich so schnell wie möglich zurückkommen sollte! Und sie war von deinem Bruder“, verteidigte sich sein Onkel und Wilhelm verdrehte die Augen neben ihm. „Außerdem brauchte der Bote eben auch seine Zeit…“

„Ja, genau! Ein paar Tage, hin und zurück! Und du hast erstmal eine Woche überlegt, um überhaupt zu antworten! Oder war der zu Fuß unterwegs?“, brummte Henry schnippisch zurück.

Richard schnaufte laut aus. „Ich war eben noch immer etwas wütend, über deinen liebevollen Hinauswurf“, rechtfertigte er sich höhnisch. „Ist doch selbstredend, dass ich den Boten ausgefragt habe und der erklärte mir lediglich, dass ihre Majestät einen gesunden Jungen zur Welt gebracht hätte und es ansonsten nichts zu berichten gäbe! Ich konnte doch nicht ahnen, was hier wirklich los war!“

Wieder rollte Wilhelm mit den Augen. „Ihr zwei seid beide solche…“, raunte er dazwischen, zwang sich dann aber zur Ruhe und winkte schließlich nur noch ab.

„Was?“, fuhr Henry ihn an, „Arschlöcher?!“

Wilhelm hob überrascht die Augenbrauen und nickte tatsächlich. „Ja, dass auch! Ich wollte es eigentlich nicht so derb ausdrücken, aber ja, ihr seid beide manchmal echte Arschlöcher und beide vom gleichen Schlag! Müsst ihr ausgerechnet jetzt die beleidigten Leberwürste spielen? Wir haben echt andere Sorgen, als euren angekratzten Stolz! Seht mich nicht so schockiert an, es ist so! Und ich habe allmählich echt die Schnauze voll davon! Seit Jahren sehe ich mir das jetzt schon mit an! Ihr streitet euch wegen jedem Furz und liegt euch gleich darauf wieder in den Armen! Jetzt ist Schluss damit! Du bist jetzt da und wir sollten nun endlich eine Lösung finden! Und du“, wandte er sich direkt an Henry, „wirst dich endlich wieder wie ein vernünftiger Mensch benehmen, mit dem man ein vernünftiges Gespräch führen kann! Zu deiner Erinnerung, du bist hier nicht nur ein gewöhnlicher, gehörnter Ehemann, sondern auch unser aller König und trägst damit die Verantwortung für uns alle! Und deshalb musst du erst recht deine Gefühle hintenanstellen! Du wirst Sybilla zumindest die Chance einer Verteidigung lassen und wir drei werden über sie urteilen! Außerdem interessiert es mich brennend, wie es dein kleiner Lustknabe angestellt hat, sie flachzulegen“, meinte er und schüttelte auch gleich geradezu ungläubig den Kopf darüber.

Henrys Brust war mit jedem seiner Worte mehr angeschwollen und er stand kurz vor dem Platzen. „Richtig, ich bin euer König und somit verbiete ich dir, so mit mir zu reden! Was fällt dir ein?!“, brüllte er seinen jüngeren Bruder an, doch der verzog nur gelangweilt das Gesicht.

„Jetzt geht das wieder los“, murmelte er genervt vor sich hin. „Gut, wenn es dir danach besser geht, brüll mich an oder wirfst du mich jetzt auch raus?“, meinte er relativ gelassen.

„Heinrich, Wilhelm hat recht, lass uns nicht länger streiten und unseren Groll beiseitelegen“, lenkte wenigstens Richard ein und streckte ihm die rechte Hand entgegen. „Es tut mir leid, bitte vergib einem störrischen alten Mann“, sagte er geknickt.

Henry holte tief Luft, atmete geräuschvoll aus und drehte sich zierend hin und her. „Du hast mich zutiefst verletzt und warst nicht da, als ich dich am nötigsten gebraucht hätte“, grummelte er und wieder wurden seine Augen feucht. „Ich kann einfach nicht mehr“, gestand er leise und schon lagen sie sich in den Armen.

„Jetzt bin ich ja da, ist schon gut“, versuchte sein Onkel ihn zu trösten und klopfte ihm den Rücken, während Henry leise schluchzend nickte.

„Wie konnten sie mir das antun, wie konnte er mir das antun?“, weinte er mit der Stirn auf Richards Schulter und der unterdrückte nun selbst nur noch mühsam die Tränen.

Wilhelm hob leicht mit dem Kopf schüttelnd die Augenbrauen und seufzte schwer. „Könnten wir jetzt endlich wieder zur Sache kommen? Ich bekomme allmählich Hunger und bin am Verdursten!“, brummte er, stand auf und ging hinüber zum Tisch. Er schenkte sich einen Becher Wein ein und trank einen großen Schluck.

„Mir auch“, krächzte Henry und zog die Nase hoch. Wilhelm goss den Pokal voll, reichte den seinem Bruder und der trank wie ein Verdurstender.

„Ich auch“, knurrte Richard, wischte sich über die Augen und so füllte Wilhelm den dritten Becher.

„Hier“, meinte er, seinem Onkel das Getränk übergebend und alle drei tranken nochmals.

„Gut“, sagte Henry schließlich doch einsichtig und räusperte sich, um den Kloß in seinem Hals endgültig los zu werden. „Dann wollen wir uns mal anhören, was Sybilla dazu zu sagen hat“, murmelte er und die beiden anderen atmeten erleichtert auf.

***

Sybilla betrat mit gesenktem Haupt das private Audienzzimmer und blieb mitten im Raum stehen. „Eure Majestät“, kam es leise über ihre bebenden Lippen und sie knickste etwas unsicher. Sie war ganz in Schwarz gekleidet und auch ein schwarzer Schleier bedeckte ihr lockiges, rötliches Haar.

„Ihr wisst, warum Ihr hier seid?“, fragte Wilhelm kühl und die Königin sah ihn fragend an. „Euch wird Ehebruch vorgeworfen und dazu habt Ihr noch versucht, Eurem Gemahl ein Balg unterzujubeln! Was sagt Ihr dazu?“

„Bitte Henri, Eure Majestät, vergebt mir, es war nicht so, ich wollte es nicht, ich schwöre es!“, prasselte es sofort aus ihr hervor und sie fiel händeringend auf ihre Knie. „Er war es, er hat mich irgendwie gefügig gemacht, ich konnte mich nicht einmal wehren, oh bitte, bitte, das ist die Wahrheit“, bettelte sie und schlug schluchzend die Hände vor ihr deutlich ausgemergeltes Gesicht.

„Was wollt Ihr damit sagen? Dass Amanoue Euch gegen Euren Willen nahm?“, fuhr Herzog Richard sie geradezu entrüstet an und sie nickte schnell.

„Ja, Euer Gnaden, genauso, war es!“

„Oh bitte!“, höhnte Richard schnaubend. „Lasst dieses Theater! Ich kenne Amanoue gut genug um zu wissen, dass er niemals dazu in der Lage wäre!“

„Es ist die Wahrheit! Er hat mich mit einem Zauber gelähmt und mich geschän…“, weinte sie haltlos und sank noch mehr in sich zusammen.

Immerhin schien sie damit Wilhelm zu beeindrucken und der rutschte bereits unwohl auf seinem Polster hin und her. „Er hat Euch“, das Unfassbare auszusprechen, viel selbst diesem hartgesottenen Mann schwer, „vergewaltigt?“, fuhr er wesentlich leiser fort, während Henry weiterhin mit versteinerter Miene neben ihm saß.

„Oh bitte! Niemals! Heinrich, Eure Majestät, meinte ich, du weißt selbst, dass Amanoue nie dazu fähig wäre!“, regte Richard sich erneut auf. „Amanoue ist die Sanftmut in Person!“

„Und dennoch hat er mich mit meiner Gemahlin hintergangen und dazu gehören immerhin zwei! Ob mit oder ohne ihre Zustimmung, es ist unverzeihlich“, erklärte der König kalt.

„Es geschah ohne meine Zustimmung! Bitte, Ihr müsst mir glauben! Ich habe immer nur Euch geliebt und dies sagte ich auch zu ihm! Aber er wollte es nicht hören und fiel regelrecht über mich her!“, beschwor Sybilla ihn, die Hände wie zum Gebet gefaltet. „Henri, ich würde Euch niemals aus eigenem Willen heraus betrügen! Er ist ein Incubus, er muss ein Incubus sein, sonst wäre ich sicher standhaft geblieben, wie in all den Jahren, in denen Ihr mich so oft alleine gelassen habt!“, redete die Königin sich schließlich in Rage, was bei den drei Männern zu unterschiedlichen Reaktionen führte.

Herzog Richards Blick ging zynisch amüsiert zur Decke, da er kein Wort davon glaubte, Wilhelm schien plötzlich ganz Ohr zu sein und der König zeigte weiterhin keinerlei Regung. „Ihr bezichtigt den Adjutanten seiner Majestät also der Zauberei?“, fragte sein Bruder höchst interessiert nach und die Angeklagte nickte rasch.

„Ich schwöre vor Gott und würde es auch vor aller Welt tun, wenn man mir ein gerechtes Gerichtsverfahren zugestehen würde, dass ich in all den Jahren meinem Gatten treu ergeben war und ihn niemals betrog! Ich liebe meinen Gemahl von ganzem Herzen, auch wenn er es wohl nie mit der ehelichen Treue so genau nahm, wie ich! Befragt meine Hofdamen oder Eure eigene Gemahlin, die mir eine enge Freundin ist und sie werden Euch meine Treue bestätigen! Niemals, ich wiederhole es: Niemals, war ich meinem Ehemann untreu, nicht einmal in Gedanken“, antwortete Sybilla felsenfest und mit Stolz erhobenem Haupt.

Wilhelm schnaufte tief durch und sah zu seinen beiden Mitanklägern hinüber. „Ich glaube Euch auch so“, sagte er und deren Köpfe fuhren zu ihm herum. „Was? Sie hat das Recht dazu, eine öffentliche Anhörung zu bekommen, wenn du sie wirklich verurteilen möchtest! Es geht hier schließlich um ihren Kopf“, flüsterte er ihnen zu. „Henry, du wirst nicht um ein ordentliches Gerichtsverfahren herumkommen und was dann? Sie ist echt gut! Und glaube mir, alle Welt wird auf ihrer Seite stehen, wenn sie so vor Gericht redet und damit könnte sich das Blatt ganz schnell wenden und plötzlich stehst du als untreuer Gemahl da, der, wenn sie es darauf anlegt, auch noch mit dem gleichen Kerl wie sie Unzucht getrieben hat! Und nicht nur mit dem!“

„Verdammt, verdammt, verdammt“, murmelte Richard und nickte. „Schicke sie zurück in ihre Gemächer und zwar ganz schnell, ehe sie dich noch ganz um Kopf und Kragen redet!“

Henry sog die Luft ein, stützte nachdenklich seinen Kopf auf eine Hand, wobei er mit drei Fingern sein Kinn hielt und blickte zur Seite. Schließlich nickte auch er. „Gut, Ihr könnt einstweilen wieder zurück in Eure Gemächer gehen. Ich werde mich mit meinen Ratgebern besprechen und Euch wird dann mitgeteilt werden, zu welchem Entschluss ich gekommen bin“, sagte er ehrerbietig, aber ohne seine Gemahlin anzusehen.

Sybilla war längst wieder aufgestanden und fasste im Gegensatz zu ihm alle drei offen ins Auge. „Ich danke Euch, mich wenigstens angehört zu haben aber eines möchte ich noch hinzufügen: Wenn mein Kopf fällt, wird es nicht der einzige sein, das verspreche ich Euch“, sagte sie kühl und knickste wieder, dieses Mal wirkte es allerdings keines Wegs unsicher, sondern voller Eleganz und siegesgewiss. „Eure Majestät, Eure Gnaden“, verabschiedete sie sich liebreizend lächelnd und stolzierte hinaus.

„Sie ist wirklich gut, das muss man ihr lassen“, meinte Wilhelm anerkennend. „Dir ist schon klar, dass sie dir gerade offen gedroht hat? Oder kapierst du es immer noch nicht, dass sie dich in der Hand hat, mehr, als du sie“, wandte er sich an seinen Bruder, der mal wieder kurz vor der Explosion zu stehen schien.

„Ob ich es kapiert habe?“, donnerte er auch gleich los, „oh ja! Wie kann sie es wagen, MICH! Derart anzugreifen! Sie will mir drohen? Soll sie doch! ICH! Bin der König und sitze ja wohl am längeren Hebel!“, brüllte er aufspringend.

 

Die beiden ließen ihn erst einmal einige Runden durchs Zimmer streifen und damit Zeit, um sich wieder einigermaßen zu beruhigen. „Was hast du erwartet? Dass sie weinend zusammenbricht und alles ohne sich zu wehren einfach so hinnimmt? So ist Sybilla nicht, schließlich wurde sie zur Erbin eines Herzogtums erzogen! Sie war schon immer eine Kämpferin“, wagte es Wilhelm schließlich zu sagen.

„Wie konntes du auch diese Scheiße mit Satorius machen! Konntest du nicht irgendeinen anderen zum Herzog von Savoyen einsetzen?“, warf ihm auch noch Onkel Richard vor und Henry biss sich vor Wut dermaßen auf die Unterlippe, dass es fast blutete.

„Ich wollte, dass sein Sohn Herzog wird und dachte mit Nicolas hätte ich somit einen starken Bündnispartner! Wie hätte ich denn ahnen können, dass der alte Satorius mir derart in den Rücken fällt? Hm?“, blaffte er zurück.

„Du hast ihm sein geliebtes Söhnchen weggenommen! Denkst du wirklich, dass er dir dies jemals vergibt? Satorius mochte dich nie so recht, aber seitdem hasst er dich regelrecht und ich kann es ihm nicht mal verdenken“, entgegnete sein Onkel ebenfalls aufgebracht.

„Hört auf!“, rief Wilhelm dazwischen und hob beide Hände ermahnend in ihre Richtungen. „Es nützt uns nichts, wenn wir uns jetzt gegenseitig an die Kehlen gehen und Vorwürfe machen! Henry, auch wenn es dir schwerfällt und du vielleicht sogar daran erstickst, du musst Sybilla freisprechen! Ich verlange nicht, dass du ihr jemals vergeben sollst, aber du hast dich selbst in diese Misere gebracht oder willst du öffentlich deinen Betrug um den Thronerben zugeben? Denn das wirst du tun müssen, wenn du etwas gegen Sybilla in deiner Hand haben möchtest! Du kannst dir hoffentlich ausmalen, was dann alle Welt über dich denkt! Nämlich, dass du nicht nur ein Lügner bist, der sich von seiner Gemahlin auch noch Hörner aufsetzen ließ, sondern offensichtlich nicht in der Lage bist, selbst einen gesunden Thronerben zu zeugen!“

Henry lief so rot an, dass es schon fast bläulich wirkte. Ein Zittern lief durch seinen ganzen Körper und den beiden wurde es für einen Moment himmelangst. „Heinrich?“, fragte Richard beinahe ängstlich und voller Sorge, „geht’s dir gut?“

Der König sah ihn an, blinzelte mehrmals und nickte schließlich. „Ich ziehe mich erst einmal zurück, ich muss jetzt allein sein“, antwortete er murmelnd. „Allein, wie immer“, raunte er seltsam nachdenklich und ging leicht taumelnd zur Tür.

„Henry? Sollen wir Gregorius zu dir schicken?“, fragte nun auch sein Bruder besorgt nach, doch Henry schüttelte den Kopf.

„Ich brauche keinen Arzt, ich brauche nur ein wenig Ruhe, und…“ Er sah sie nochmals an, „nur einer, könnte mir jetzt wirklich Trost spenden. Wie konnte er mir dies antun? Immer wieder, frage ich mich, warum? Aus Rache? Hass?“, sinnierte er wie zu sich selbst und öffnete stirnrunzelnd die Tür.

***

Nach dem Abendmahl suchte Richard nochmals Henry in dessen Gemächern auf. Eine Weile saßen sie sich schweigend schräg gegenüber. „Bitte, Heinrich, ich möchte dir gewiss nicht noch mehr Schmerz zufügen und es tut mir wirklich leid, was dir widerfuhr aber ich frage dich dennoch, lebt er eigentlich noch? Bitte, ich möchte es nur wissen“, machte er schließlich seinem bangenden Herzen Luft.

„Wer?“, fragte sein Neffe scheinbar ahnungslos zurück.

„Du weißt genau, wen ich meine! Amanoue! Lebt er noch?“, verlangte Richard mit sanftem Nachdruck zu wissen.

„Oh ja, er lebt“, antwortete Henry knapp und bitter.

Richard nickte einmal. „Und wie lange willst du ihn noch einsperren?“

„Von mir aus, bis er verrottet“, kam es von Henry derart verbittert, dass es schon einem Hilferuf gleichkam.

Wieder nickte sein Onkel, tief betrübt und voller Mitgefühl. „Möchtest du es mir nicht erzählen? Auch wenn ich wohl schon das Wesentlichste von deinem Bruder erfahren habe, so würde ich doch gerne die ganze Geschichte hören, von dir. Ich spüre doch, dass viel mehr auf deinem Herzen lastet“, bat er sanft.

Statt einer Antwort schloss Henry die Augen und ein gequältes Schluchzen entrang sich seiner Kehle. „Kai, würdest du uns alleine lassen?“, wandte der Herzog sich dem jungen Diener zu und der bejahte es mit einem stillen Nicken. Nachdem er gegangen war, zog Henry nicht gerade königlich die Nase hoch und trank einen großen Schluck.

„Er war mir so nahe, wie nie zuvor“, begann er einigermaßen gefasst zu erzählen, „wir, waren uns so nahe. Nachdem du fort warst, hatten wir einen fürchterlichen Streit und er schimpfte mich aus wie ein Rohrspatz“, sagte er lächelnd, was auch Richard zum Schmunzeln brachte. „Du kennst ja sein überschäumendes Temperament und ich dachte schon, entweder er haut mir jetzt vor versammeltem Hofstaat eine runter oder er grillt mich an Ort und Stelle“, sprach Henry weiter. Richard runzelte ungläubig die Stirn und sein Neffe nickte bestätigend. „Ehrlich! Für einen Moment dachte ich, so, das wars, jetzt kommt gleich ein Blitz und schickt mich geradewegs zu Ambrosius in die Hölle. Ich habe es gespürt, wie sich die Luft um uns auflud und er begann zu leuchten! Er leuchtete heller als die Sonne, zum ersten Male sah ich es mit eigenen Augen, er leuchtete!“, sagte er geradezu überwältigt. „Satory warf mir einmal vor, dass ich ihn eben einfach noch nie zum Leuchten gebracht hätte, weil ich mich darüber lustig machte und ja, er hatte recht, ich war wohl einfach nicht dazu in der Lage, bis zu diesem Tag! Er stand vor mir und leuchtete, aber nicht aus Freude, sondern vor Wut“, meinte er betrübt. „Es kam kein Blitz“, fuhr er achselzuckend fort, „er beschimpfte mich nur weiter und weiter, bis mir der Kragen platzte und ich ihn hinter mir herzog, bis in meine Gemächer. Wir stritten noch eine Weile und er beteuerte mir, dass es nur noch mich geben würde. Ja, du hattest recht, ich war eifersüchtig! Ich hatte einfach nur Angst ihn wieder verloren zu haben, an dich…“

„Heinrich“, unterbrach Richard ihn leise und leicht vorwurfsvoll. Er griff hinüber, drückte ihm kurz die Hand und Henry sah ihn voller Bestürzung an.

„Allein der Gedanke, dass er wieder einen anderen haben könnte, machte mich fast wahnsinnig, aber er sagte mir, dass ich keinen Grund dazu hätte und es nur noch mich in seinem Leben geben würde. Ich glaubte ihm“, raunte Henry und hielt sich im selben Moment die Stirn. „Er log mich an, log mir dreist ins Gesicht, aber dass er mich mit Sybilla betrogen hatte, hätte ich nie erwartet. Nie! Verstehst du?“, krächzte er heiser weiter und schüttelte gleichzeitig fassungslos den Kopf. „Einige Wochen später hatten wir wieder einen Streit, ich war sauer auf ihn und er mal wieder auf mich, weil ich mich nicht mehr ausreichend um ihn kümmern würde, so warf er es mir vor und ich habe ihn einfach stehen lassen. Damit hatte er wohl nicht gerechnet und tags darauf, oder wohl eher die Nacht darauf, hatte ich die vielleicht schönste Nacht meines Lebens. Wir liebten uns wie noch nie und er sagte mir zum ersten Male, dass er mich lieben würde“, erzählte er immer leiser werdend und wieder drückte Richard ihm die Hand. „Ich brach einfach in Tränen aus, heulte sprichwörtlich Rotz und Wasser, vor lauter Glück und dann…“

„Dann?“, hakte Richard gefühlvoll nach, als Henry auch nach einer kurzen Weile nicht weitersprach.

„Wir schlossen eine Art Pakt, ich weiß nicht, wie ich es sonst nennen soll, er saß auf mir und stach mir mit einem Dolch in die Brust, genau hier“, sagte sein Neffe und tippte sich auf die Herzseite. Richards Augen weiteten sich augenblicklich vor Schreck und vor Unglauben. „Nicht schlimm, nur so tief, dass es etwas blutete“, fuhr Henry deshalb rasch fort. „Vertraue mir, sagte er und ich vertraute ihm“, wieder machte er eine kleine Pause, „er schnitt sich in die Hand und legte sie auf meine Wunde und sagte: Jetzt sind wir eins, von einem Blut, du gehörst mir und ich dir oder so ähnlich. Ich war, es war, wie in einem Traum, ich fühlte mich, wie in einem Traum gefangen, unfähig mich zu bewegen und eine bleierne Müdigkeit überfiel mich plötzlich. Alles was ich noch hörte, war sein Geständnis. Eben, dass Sybillas Kind von ihm wäre und ich nie eigene Kinder haben würde. Er bat mich sogar um Verzeihung und sagte, dass er alles nur für mich getan hätte, weil ich mir doch so sehr ein Kind gewünscht hätte…“, schluchzte er verzweifelt auf. Als Richard sich zu ihm hinüberbeugen wollte, wehrte er allerdings mit beiden Händen ab und rutschte sogar ein klein wenig von ihm fort. „Am nächsten Morgen konnte ich mich nicht mehr daran erinnern, alles war weg“, schniefte er hilflos, „bis es mir plötzlich wieder einfiel! Am Tag als Sybilla das Kind gebar!“ Erneut musste er innehalten, um erst einmal tief Luft zu holen und wischte sich fast ärgerlich über die nassen Augen. „Dann kam Gregorius und sagte, dass es tot wäre, dass mein Kind, gestorben wäre! Alles um mich herum drehte sich nur noch und meine letzte Hoffnung war Amanoue. Ich rannte zu ihm, aber seine Tür war verschlossen, ich flehte ihn an, meinem Kind zu helfen, aber er erhörte mich nicht, ich hämmerte wie ein Verrückter gegen diese verfluchte Tür, bis meine Fäuste bluteten und plötzlich öffnete Marius“, berichtete er so als könne er es selbst nicht glauben. „Ich stieß ihn weg und versuchte wie von Sinnen Amanoue zu wecken, doch alles war vergebens. Er konnte mich nicht hören, weil Marius ihm den Bauch aufgeschnitten und ihm das Geschwür entfernt hatte. Da fiel es mir auf einem Male wieder ein, als ich später allein hier war. Ich saß da und wusste alles wieder, konnte mich glasklar an jene Nacht erinnern und damit auch an sein Geständnis. Ich weiß, dass es vor allem meine Schuld war, ich habe ihm so oft Vorwürfe gemacht, weil er mir kein Kind schenken konnte und vielleicht habe ich ihn sogar damit regelrecht in Sybillas Arme getrieben, aber vergeben, kann ich ihm nicht“, endete er beinahe flüsternd und mit geschlossenen Augen.